Theorien der Revolution zur Einführung
Florian Grosser
Theorien der Revolution zur Einführung
Zur Einführung ...
Wissenschaftlicher Beirat
Michael Hagner, Zürich
Ina Kerner, Koblenz
Dieter Thomä, St. Gallen
Junius Verlag GmbH
Stresemannstraße 375
22761 Hamburg
www.junius-verlag.de
© 2013 by Junius Verlag GmbH
Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung: Florian Zietz
Titelbild: In Case of Revolution
Satz: Junius Verlag GmbH
Printed in the EU 2018
ISBN 978-3-88506-075-8
2., überarbeitete Aufl. 2018
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten
sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.
... hat diese Taschenbuchreihe seit ihrer Gründung 1977 gedient.
Zunächst als sozialistische Initiative gestartet, die philosophisches
Wissen allgemein zugänglich machen und so den Marsch durch
die Institutionen theoretisch ausrüsten sollte, wurden die Bände
in den achtziger Jahren zu einem verlässlichen Leitfaden durch
das Labyrinth der neuen Unübersichtlichkeit. Mit der Kombination von Wissensvermittlung und kritischer Analyse haben die
Junius-Bände stilbildend gewirkt.
Seit den neunziger Jahren reformierten sich Teile der Geisteswissenschaften als Kulturwissenschaften und brachten neue Fächer und Schwerpunkte wie Medienwissenschaften, Wissenschaftsgeschichte oder Bildwissenschaften hervor. Auch im Verhältnis zu
den Naturwissenschaften sahen sich die traditionellen Kernfächer
der Geisteswissenschaften neuen Herausforderungen ausgesetzt.
Diesen Veränderungen trug eine Neuausrichtung der Junius-Reihe Rechnung, die seit 2003 von der verstorbenen Cornelia Vismann und zwei der Unterzeichnenden (M.H. und D.T.) verantwortet wurde.
Ein Jahrzehnt später erweisen sich die Kulturwissenschaften
eher als notwendige Erweiterung denn als Neubegründung der
Geisteswissenschaften. In den Fokus sind neue, nicht zuletzt politik- und sozialwissenschaftliche Fragen gerückt, die sich produktiv mit den geistes- und kulturwissenschaftlichen Problemstellungen vermengt haben. So scheint eine erneute Inventur der
Reihe sinnvoll, deren Aufgabe unverändert darin besteht, kom-
petent und anschaulich zu vermitteln, was kritisches Denken und
Forschen jenseits naturwissenschaftlicher Zugänge heute zu leisten vermag.
Zur Einführung ist für Leute geschrieben, denen daran gelegen ist, sich über bekannte und manchmal weniger bekannte Autor(inn)en und Themen zu orientieren. Sie wollen klassische Fragen in neuem Licht und neue Forschungsfelder in gültiger Form
dargestellt sehen.
Zur Einführung ist von Leuten geschrieben, die nicht nur einen
souveränen Überblick geben, sondern ihren eigenen Standpunkt
markieren. Vermittlung heißt nicht Verwässerung, Repräsentativität nicht Vollständigkeit. Die Autorinnen und Autoren der Reihe haben eine eigene Perspektive auf ihren Gegenstand, und ihre
Handschrift ist in den einzelnen Bänden deutlich erkennbar.
Zur Einführung ist in der Hinsicht traditionell, dass es den
Stärken des gedruckten Buchs – die Darstellung baut auf Übersichtlichkeit, Sorgfalt und reflexive Distanz, das Medium auf
Handhabbarkeit und Haltbarkeit – auch in Zeiten liquider Netzpublikationen vertraut.
Zur Einführung bleibt seinem ursprünglichen Konzept treu,
indem es die Zirkulation von Ideen, Erkenntnissen und Wissen
befördert.
Michael Hagner
Ina Kerner
Dieter Thomä
Inhalt
1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
Nach dem »Ende der Geschichte«: Die Rückkehr
der Revolution? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
Rückblick: Kurze Geschichte des Revolutionsbegriffs. . . . 14
Einblick: Spannungen in Phänomen und Begriff
der Revolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20
Rundblick: Die Pluralität von Revolutionen . . . . . . . . . . . . 25
Ausblick: Theorien der Revolution – Grundfragen
und Grundtypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
2. Die Entdeckung der Revolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34
Voraussetzungen revolutionärer Theorie und Praxis:
Das politische Denken der Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . 34
»Männer der Revolution« I: Revolutionstheoretische
Überlegungen bei Thomas Paine und Thomas Jefferson . . 40
»Männer der Revolution« II: Revolutionstheoretische
Überlegungen bei Sieyès, Saint-Just, Robespierre
und Condorcet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
Exkurs I: Theorien der Gegenrevolution . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
3. Die Erschließung der Revolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
Nachbetrachtungen aus der Distanz I: Kants politikund moralphilosophische »Kritik der vernünftigen
Umwälzung« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
Nachbetrachtungen aus der Distanz II: Hegels geschichtsphilosophische Einordnung der Revolution . . . . . . . . . . . . . 80
4. Die Erweiterung der Revolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92
Die »proletarische Revolution«: Karl Marx und
Friedrich Engels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94
Revolution als Abschaffung des Staates: Michail Bakunin
und Pjotr Kropotkin. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112
Passage à l’acte: Revolutionstheorie bei Wladimir I. Lenin
und Rosa Luxemburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
1. Einleitung
Exkurs II: »Konservative Revolution« . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126
5. Krise und Erneuerung der Revolution . . . . . . . . . . . . . . . 128
Revolution und kritische Theorie: Walter Benjamin
und Herbert Marcuse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131
Revolution und postkoloniale Theorie: Frantz Fanon
und Michel Foucault . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
Exkurs III: Hannah Arendts Nachbetrachtungen zu
revolutionärer Freiheit und »sozialer Frage« . . . . . . . . . . . . . 150
6. Das Erbe der Revolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153
»Demokratische Revolution« heute: Étienne Balibar. . . . . . 154
»Kommunistische Revolution« heute: Slavoj Žižek . . . . . . . 159
»Anarchistische Revolution« heute: David Graeber . . . . . . . 164
7. Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170
Der »Denkraum Revolution« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170
Kritiken der Revolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172
Anhang
Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178
Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205
Personen- und Sachregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214
Über den Autor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220
Nach dem »Ende der Geschichte«: Die Rückkehr der Revolution?
Spätestens mit dem Zusammenbruch des Ostblocks und dem
schon bald darauf diagnostizierten »Ende der Geschichte« schien
die Revolution als relevante historische und politische Größe erledigt. Mit dem Wegfall der Systembedrohung durch den Kommunismus, so stellte Francis Fukuyama 1992 fest, habe sich der
Liberalismus als politisches wie ökonomisches Grundprinzip
unwiderruflich durchgesetzt. Bis tief in das erste Jahrzehnt des
neuen Jahrtausends hinein stieß die Gegenwartsdiagnose vom
Triumph der Demokratie und Marktwirtschaft auf beiden Seiten
des Atlantiks auf breite Zustimmung. Trotz vereinzelter kritischer
Einwände gegen die Thesen Fukuyamas – so z.B. derjenigen Jacques Derridas gegen deren implizit eschatologischen und hegemonialen Charakter1 – drückten diese die Epochenstimmung aus:
das Empfinden vom unumkehrbaren Eintritt in ein Zeitalter der
»Nachgeschichte«, in welchem grundlegende Veränderungen, vor
allem aber Verbesserungen angesichts der Errungenschaften des
liberal-marktwirtschaftlichen Gesellschaftsmodells nicht länger
denkbar wären. Sowohl als Ziel politischen Handelns als auch als
Gegenstand politischen Denkens musste Revolution unter den
Vorzeichen dieses atmosphärischen Grundkonsenses zwangsläufig als obsolet gelten.
9
Zunehmend fragwürdig, gar brüchig wird dieser »posthistorische« Konsens freilich in dem Moment, in dem politische, soziale und insbesondere wirtschaftliche Krisen auch in den Ländern
des Westens nicht länger zu übersehen sind. So spiegelt sich die
immer raschere Abfolge immer neuer Krisen verstärkt in Diskursen wider, die um die Frage der Möglichkeit alternativer Formen
von Politik, Gesellschaft und Wirtschaft kreisen. Im Zuge dieser
diskursiven Verschiebungen, Ausdruck der verbreiteten Wahrnehmung einer schleichenden Aushöhlung demokratischer Institutionen und Prinzipien infolge der ökonomischen Globalisierung, verliert nicht zuletzt der Begriff »Revolution« den Anstrich
des Abseitigen und rein Anachronistischen. Stießen die globalisierungs- und kapitalismuskritischen Slogans der Protestierenden in Seattle 1999 noch auf breites Unverständnis und wurde
das Leitmotto des Weltsozialforums 2001 in Porto Alegre – »Eine
andere Welt ist möglich« – weithin als utopische Schwärmerei
verbucht, so ist die Infragestellung des bestehenden Systems seitdem in erstaunlichem Maße salonfähig geworden. Oberflächlich
angezeigt wird das verbreitete, durch die Finanz- und Wirtschaftskrisen der letzten Jahre zweifelsohne gesteigerte Unbehagen der
Main Street an einer durch die Wall Street dominierten politischökonomischen Kultur beispielsweise durch den Verkaufserfolg
der Streitschriften des französischen Autors und ehemaligen Widerstandskämpfers Stéphane Hessel, Empört Euch! (2010) und
Engagiert Euch! (2011), oder des Manifests Der kommende Aufstand
(2007) des sogenannten Unsichtbaren Komitees. Dass mittlerweile sogar die Unterhaltungsindustrie Revolution als publikumswirksames Thema für sich entdeckt hat, unterstreicht diese Tendenz nur. Maßgeblicher ist jedoch die Tatsache, dass sich vermehrt Bewegungen formiert haben, die das grassierende diffuse
Unwohlsein an den gegenwärtigen Ordnungs- und Entscheidungsstrukturen politisch artikulieren und deren vielfach postulierte
10
Alternativlosigkeit vehement zurückweisen. Die Suche nach Alternativen, nach Keimzellen des Neuen und Anderen – so z.B.
nach Formen direkter, radikaler Demokratie oder nach »autonomen Räumen« (Graeber 2008: 17), die sich dem Zugriff etablierter Autoritäten entziehen – erfolgt dabei in dezidiert systemverändernder Absicht. Innerhalb des heterogenen Spektrums der
Protestierenden, das gewerkschafts- und kirchennahe Gruppierungen ebenso umfasst wie Bürgerrechtsaktivisten, Studenten
und prekär Beschäftigte, konnte sich in jüngerer Vergangenheit
insbesondere die Occupy-Bewegung profilieren. Deren Protest
gegen soziale und ökonomische Ungleichheit, im Herbst 2011
in unmittelbarer Nähe der Wall Street begonnen, stieß nicht nur
auf das Interesse der Medien. Vielmehr fand die Forderung von
Occupy nach strukturellen Umbauten am globalen Finanz- und
Wirtschaftssystem in über achtzig Ländern auf sämtlichen Kontinenten ein Echo. In den Zeltlagern von Tel Aviv und Kapstadt,
Istanbul und Athen, London und Madrid, New York und Oakland äußerte sich das Empfinden einer gravierenden Legitimationskrise der Eckpfeiler des bestehenden Ordnungssystems – eines Marktes, der außerstande scheint, Minimalanforderungen der
Gerechtigkeit zu erfüllen, ebenso wie einer zunehmend ökonomisierten Demokratie.
Entscheidende Impulse erfuhr die Wiederentdeckung der Revolution als relevante Kategorie politischer Praxis freilich gerade auch von außerhalb des westlichen Kontexts. Denn mit der
Ausbreitung des Arabischen Frühlings über Nordafrika und den
Nahen Osten blieb es nicht bei der Infragestellung des Status
quo und »präfigurativen« Erwägungen zu etwaigen Alternativen. Stattdessen ließ sich in Tunesien und Ägypten tatsächliche
Umwälzung, d.h. der reale Zusammenbruch alter Ordnungen, beobachten. Auch wenn die Transformationen der Jahre 2010/11
sich rasch als unabgeschlossen erwiesen haben und ihre Resul11
tate selbst mit wachsendem zeitlichen Abstand kaum schlüssig
zu bewerten sind – bereits das Faktum des Ausbruchs und Erfolgs jener Umwälzungen bei der Beseitigung autokratischer und
ferngesteuerter Regime trägt dazu bei, dass das Phänomen Revolution, ob nun als Chance oder als Bedrohung begriffen, in einer
Weise ernst genommen wird, die mit jeder »posthistorischen«
bzw. »postpolitischen« Weltsicht unvereinbar ist; und dies umso
mehr, als ausgerechnet die arabische Welt zum Schauplatz von
Versuchen wurde, »den Erscheinungsraum der Freiheit neu zu
gründen« (Arendt 2011: 79) – eine Region also, als deren politische Hauptmerkmale lange Zeit Passivität, Stagnation und Rückständigkeit galten. So heterogen sich der Arabische Frühling und
Occupy in ihren spezifischen Zielen und Mitteln, in ihren Triebkräften und Erfolgen zweifellos darstellen: In ihrem geteilten Bestreben nach tiefgreifendem sozialen und politischen Wandel
deuten diese Bewegungen, zumal in ihrer zeitlichen Koinzidenz,
dennoch auf eine Rückkehr der Revolution in den Rang eines
politischen Schlüsselphänomens und Kampfbegriffs hin. Der
Tahrir-Platz in Kairo und der Zuccotti Park in New York symbolisieren diesen Wiedereintritt der Revolution in die Arena der
politischen Praxis, sind sie doch diejenigen Orte, an denen die
Vorstellung von der Unmöglichkeit politisch-gesellschaftlichen
Neuanfangs mit besonderem Nachdruck zurückgewiesen wird.
Anstatt ein »Ende der Geschichte« zu bezeugen, scheinen sie Kristallisationspunkte zu bilden für ein Ende der »Nachgeschichte«.
Diese Entwicklungen in der politischen Praxis bleiben nicht
ohne Wirkung auf den Bereich der politischen Theorie. Zwar zeigen Empire (2000) und Multitude: War and Democracy in the Age
of Empire (2004), zwei Arbeiten der postmarxistischen Philosophen Michael Hardt und Antonio Negri, dass ein kontemporäres Nachdenken über radikale Veränderung nicht erst mit den
Protesten und Rebellionen der jüngsten Vergangenheit einsetzt.
12
Doch belegen z.B. die Analysen und Interventionen Alain Badious – er hält im Winter 2010/11 ein Seminar mit dem Titel
Que signifie »changer le monde«? – zum Arabischen Frühling,
David Graebers zu Occupy oder Slavoj Žižeks zum deus absconditus, zum verborgenen Gott einer postkapitalistischen Zukunft, dass die Frage nach der Möglichkeit von Weltveränderung sich aufgrund ihrer wiedererlangten Welthaltigkeit
gegenwärtig neu aufdrängt; dass also das Problem der Revolution für das politische Denken entschieden an Bedeutung gewinnt. So stellt sich die Frage nach dem revolutionären Subjekt
im Lichte der massenmobilisierenden Wirkung ägyptischer Blogger wie Wael Ghonim oder der Selbstverbrennung des Gemüsehändlers Mohamed Bouazizi – eines Schlüsselmoments zum
Umsturz in Tunesien – nicht nur in neuer Dringlichkeit, sondern
auch in besonderer Verständlichkeit. Im Hinblick auf Erfolge
und Misserfolge in Kairo bzw. New York gilt das Gleiche für
Fragen nach revolutionärer Gewalt, nach dem rechten Augenblick der Revolution oder nach der generellen (Un-)Möglichkeit
revolutionärer Neugründung. Daran, dass sich Phänomen und
Begriff revolutionären Widerstands und Umsturzes – ob in
ideengeschichtlicher oder zeitgenössischer Perspektive (vgl.
Thomä 2016 bzw. Butler 2016) – in verstärktem Maße auf der
Agenda politischen Denkens wiederfinden, hat die konkrete Anschauung umwälzender Anstrengungen zweifellos mitgewirkt.
Die gegenwärtig verbreitete Wahrnehmung der allgemeinen
»Dürftigkeit« (Avital Ronell) des gesellschaftlich-politischen Zustands, der um sich greifenden »Anteilslosigkeit« (Jacques Rancière) und »Entdemokratisierung« (Wendy Brown) sowie das daraus resultierende Bedürfnis nach substanzieller Veränderung,
die sich in den genannten und weiteren Bewegungen wie jener
der spanischen Indignados bzw. 15-M, aus der die linksalternative Partei Podemos hervorgegangen ist, niederschlägt, haben
13
ihren Anteil daran, dass es innerhalb der politischen Philosophie und Theorie Verschiebungen gerade in der Art und Weise
gibt, wie über Wandel nachgedacht wird bzw. welche Formen
von Wandel als rechtfertigbar erachtet werden. Reformerisch angelegte Ansätze wie diejenigen John Rawls’, Jürgen Habermas’
oder Richard Rortys sehen sich mit der Frage konfrontiert, ob
nicht gerade das Ausmaß der sozialen Ungleichheit lokalen, nationalen wie auch globalen Zuschnitts mehr als bloße Nachbesserungen und Verfeinerungen am existierenden demokratischen
Institutionen- und Diskursgefüge nötig macht. Pragmatische
Empfehlungen jedenfalls, es im Zuge progressiver Politik bei reformorientierten Korrekturen an einem grundsätzlich funktionsfähigen System zu belassen, sehen sich angesichts der gegenwärtigen Krisen – im Politischen den Krisen der Legitimation, der
Repräsentation und der Staatsbürgerschaft (vgl. Balibar 2012: 16
ff. bzw. 64) – zunehmend dem Vorwurf ausgesetzt, sich nicht
auf der Höhe der Zeit zu bewegen. Anstatt, so die Argumentation zeitgenössischer Theoretiker der Transformation, lediglich
einer Symptomverschiebung innerhalb eines »Regimes der absoluten Immanenz« (vgl. Negri 2010: 19) das Wort zu reden, gelte
es heute, Transzendenz und damit das »Ereignis« der Revolution aufs Neue ins Zentrum politischer Auseinandersetzungen
zu stellen.
Rückblick: Kurze Geschichte des Revolutionsbegriffs
Der Revolutionsbegriff ist, jedenfalls sofern er auf politische Veränderungen bezogen wird, nach verbreiteter Einschätzung genuin neuzeitlichen Ursprungs.2 In seiner im gängigen Sprachgebrauch vorherrschenden Bedeutung, die entscheidend durch die
Erfahrung der Französischen Revolution – den zentralen Refe14
renzpunkt moderner Revolutionskonzeptionen – geprägt ist,
bezeichnet er politischen Wandel schlechthin, d.h. einen ebenso
tiefgreifenden wie dauerhaften Wandel des bestehenden Ordnungssystems. Die Vorstellung einer derartig radikalen und überdies rechtfertigbaren Strukturveränderung im Politischen ist in
der Antike unbekannt. Zwar kennt das antike Athen den Wechsel der Herrschafts- und Verfassungsmodelle, doch bleibt dieser
insofern begrenzt, als es sich dabei um Machtverschiebungen
zwischen verschiedenen Gruppen innerhalb der Bürgerschaft
handelt. Unter den Vorzeichen der Rechtsgleichheit unter Bürgern geht die Macht lediglich von einer Minderheitengruppe auf
die andere über, während die Bevölkerungsmehrheit – Frauen,
in der Stadt lebende Fremde, Sklaven – von politischer Partizipation ausgeschlossen bleibt. Dies trifft auf die Demokratie
ebenso zu wie auf Monarchie und Aristokratie; auch die Demokratie stellt damit keinen vollkommenen Bruch in der Abfolge
politischer Systeme dar. Aristoteles’ Überlegungen zur metabolé
tes politeías, zum Wechsel in den politischen Dingen in den Büchern III, IV und V der Politik bestätigen, dass es im Übergang
von einer politischen Form zur anderen nicht zum Kollaps der
Polis-Ordnung insgesamt und der diese organisierenden Mechanismen der Inklusion und Exklusion kommt. Generell gelten
protorevolutionäre Bewegungen nicht nur als illegal; sie stehen
mit ihren Forderungen, beispielsweise nach Umverteilung des
Landes, sowohl in Athen als auch in Rom zudem im Verdacht
der ebenso illegitimen wie ungehörigen Insubordination und Ruhestörung. Trotz gewisser inhaltlicher Nähen zum modernen
Begriff der Revolution, so z.B. hinsichtlich des Elements der
Gewaltsamkeit, sind dessen griechische und römische Vorläufer
– stásis und kínesis bzw. seditio, secessio oder tumultus – eindeutig
negativ besetzt: Im Vordergrund steht jeweils die Gefährdung
der harmonischen Existenz des Polis- bzw. Staatsganzen, betont
15
wird die Tendenz allen Aufruhrs, in vollkommene Anarchie und
Bürgerkrieg auszuarten. Auch dem Mittelalter ist Revolution im
neuzeitlich-modernen Sinne – d.h. im Sinne einer veränderten,
vom Bruch zwischen »Erfahrungsraum« und »Erwartungshorizont« (vgl. Koselleck 1989) gekennzeichneten Zeitlichkeit sowie
einer dem Menschen zukommenden »Kraft zu Unterbrechung
und Neubeginn« (vgl. Merleau-Ponty 1945/1974), die von historisch früheren Vorstellungen der Revolution als »Restauration«
(vgl. Arendt 1967/2018) gänzlich losgelöst ist – sowohl der
Sache als auch dem Begriff nach unbekannt. Die auftretenden Erhebungen und Umstürze werden nicht als irreversibel aufgefasst,
mit ihnen ist der für die Revolutionen seit 1789 so bezeichnende
Gedanke des absoluten Neubeginns, des Herausfallens aus dem
Kontinuum der Geschichte, noch nicht verknüpft. Es ist das
Fehlen zweier Grundvoraussetzungen, einer begrifflichen und
einer historischen, aus welchem sich erklären lässt, warum Revolution als politisch-gesellschaftlicher Strukturwandel und als
Verwirklichung des Neuen weder in der Antike noch im Mittelalter gedacht werden kann: Während es auf ideell-konzeptueller
Ebene der Ablösung zyklischer geschichtsphilosophischer Modelle durch linear-progressive Ansätze bedarf3, trägt auf materieller Ebene insbesondere die Entstehung des modernen »starken« Staates maßgeblich dazu bei, dass sich die Vorstellung von
radikalem Neubeginn bzw. Systemsturz entwickeln kann. Denn
sowohl das Ausmaß der vom Staat der Moderne ausgeübten Disziplinierung als auch die Idee der Repräsentation des Volkes
durch einen souveränen Herrscher, die direkte politische Partizipation verunmöglicht, bereiten der Hoffnung auf bzw. dem Bedürfnis nach fundamentaler Umwälzung den Boden (vgl. Koselleck et al. 1984: 660 ff.).
In ihrer Studie Über die Revolution (1963) hebt Hannah Arendt
die Bedeutung des Renaissancedenkers Niccolò Machiavelli für
16
die Ausprägung des neuzeitlichen Revolutionsbegriffs hervor.
Machiavellis Sonderstellung als Revolutionstheoretiker avant la
lettre ist Arendt zufolge dessen Konzept der rinovazione geschuldet, dem Gedanken also, die Missstände im zersplitterten Italien
des ausgehenden 15. und beginnenden 16. Jahrhunderts ließen
sich nur in engster Orientierung an antiken, vor allem römischen
Vorbildern, ja nur qua Erneuerung derselben beheben. In vergleichbarer Weise leitet die Vorstellung einer »renovierenden«
Neugründung Roms ursprünglich auch die Theoretiker und Praktiker der Revolution im späten 18. Jahrhundert. Deren typisch
modernes »Pathos des radikalen Neubeginns« – die Vorstellung
also, nicht nur Rom neu, sondern vielmehr das neue Rom zu
gründen – sei hingegen, so Arendt, »erst im Gang der Revolutionen selbst« entstanden (vgl. Arendt 2011: 44). Doch nicht nur
aufgrund dieser Rückwendung auf das Altertum, die Revolution
mit Restauration verklammert, glaubt Arendt in Machiavelli den,
so heißt es jedenfalls in der englischen Ausgabe ihres Revolutionsbuches, »geistigen Vater der Revolution« zu erkennen. Vielmehr ist Machiavellis enge gedankliche Verwandtschaft zu den
Revolutionären zumal in Frankreich – Maximilien de Robespierre erklärt dessen Schriften zur Blaupause der Französischen Revolution – für sie auch darauf zurückzuführen, dass Machiavelli
Gewalt im Politischen nicht nur enttabuisiert, sondern im Gegenteil deren gründende Kraft, die Produktivität des Destruktiven, unterstreicht. Von Arendt nicht thematisiert, für Machiavellis geistige Vorreiterschaft für ein modernes Revolutionsverständnis jedoch nicht weniger erheblich, sind zudem Überlegungen, die dieser in den Istorie Fiorentine darüber hinaus zur
institutionellen Dimension politischen Wandels anstellt. So gilt
ihm Michele di Lando, Anführer einer Revolte der Wollweber im
Jahr 1378, gerade insofern als paradigmatisch politisch-revolutionäre Figur, als es diesem gelingt, die gewalttätigen Elemente
17
des Volksaufstands einzudämmen und für die Errichtung einer
neuen, pluralen und partizipativen republikanischen Rechtsordnung fruchtbar zu machen. Diesen verstreuten Anlagen zur Ausbildung eines Revolutionsbegriffs und der vereinzelten Verwendung des Wortes zum Trotz (vgl. Günther 1992: 959) unterbleibt
die volle Ausprägung eines solchen im Denken Machiavellis.
Ausschlaggebend hierfür ist insbesondere sein ganz der Epoche
verhaftetes, seinen Überlegungen zur Unveränderlichkeit der
menschlichen Natur entsprechendes Geschichtsbild, dem zufolge sämtliche Veränderungen im Politischen – Machiavelli
spricht von mutazioni und alterazioni – eingebettet bleiben in
einen Kreislauf der ewigen Wiederkehr bestimmter grundlegender Verfassungsformen. In diesem Anknüpfen an zyklische Zeitund Geschichtsmodelle, die von Aristoteles, Polybios und Cicero her bekannt sind, sowie an mit diesen korrespondierende
Vorstellungen von der allenfalls relativen, stets umkehrbaren Veränderlichkeit politischer Verhältnisse muss Machiavelli die Idee
scharfer geschichtlicher Zäsur bzw. absoluter Neuheit fremd
bleiben, die gemäß dem modernen Verständnis für die Sache der
Revolution so bedeutsam ist.
Eine zunehmende politische Ausrichtung erfährt das Wort
»Revolution«, dessen Anwendungsbereich ursprünglich die
Astrologie und Astronomie ist, seit dem 17. Jahrhundert. Mit dieser Politisierung geht auch insofern eine massive inhaltliche Neuausrichtung einher, als das Bedeutungsmoment der Gesetz- und
Regelmäßigkeit verloren geht: Hatte »Revolution« in den Studien
von Nikolaus Kopernikus den gleichbleibenden Lauf der Gestirne und damit den Wiederholungscharakter von Veränderung
bezeichnet, so hebt das nunmehr politisch einschlägige Wort gerade auf ebenso unberechenbaren wie einmaligen Wandel ab.
Dass der Prozess der Neuaufladung des Wortes »Revolution« und
ihr Hervortreten als politische Kategorie sich schrittweise und
18
vielfach vermittelt vollziehen, belegen die Glorious Revolution in
England 1688 und deren Deutung durch die Zeitgenossen: So treten zwar sowohl die politische Konnotation des Begriffs als auch
sein Vermögen, ein singuläres historisches Ereignis zu benennen,
eindeutig zutage; doch klingt darin vernehmbar auch der ehemals
dominante Aspekt der Wiederholung nach, nach deren Logik die
Wiederherstellung der monarchischen Ordnung verstanden wird.
Eine weitere nachhaltige Verschiebung des Gehalts ergibt sich
daraus, dass »Revolution«, vor allem in den Volkssprachen, im
Unterschied zu konzeptuellen Vorläufern wie stásis oder seditio,
nicht länger negativ konnotiert ist, d.h. als Verletzung einer natürlich-harmonischen Ordnung bzw. als Staatsverbrechen aufgefasst wird (vgl. Günther 1992: 957). Verstärkt wird die Politisierung und positive Umbesetzung von Revolution seit Mitte des 18.
Jahrhunderts schließlich durch eine »geschichtsphilosophische
Begriffsanreicherung« (Koselleck et al. 1984: 719). Beeinflusst
durch die Erfahrung der friedlichen Transformation in England,
kommt der Revolution eine Schlüsselrolle innerhalb progressiver
aufklärerischer Geschichtsmodelle zu. Indem Revolution als Katalysator von Fortschritt, als Weg zur Freiheit und Sprungbrett in
eine neue Epoche der zur Herrschaft gelangten Vernunft gefasst
wird, erfährt der Begriff nunmehr neben der eindeutig politischen auch eine moralische Aufladung, die sich unter anderem in
den Schriften Voltaires oder Rousseaus widerspiegelt.
Am Vorabend der revolutionären Geschehnisse in den Vereinigten Staaten und in Frankreich präsentiert sich »Revolution«
als weithin gebräuchlicher politischer Kampf- und »Zukunftsbegriff« (Koselleck et al. 1984: 720). Dabei kristallisieren sich, was
dessen Kerngehalte anbelangt, folgende charakteristische Tendenzen heraus: Revolution wird verstanden (1) als fundamentaler Wandel der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse,
der eine bleibende neue Ordnung der Dinge hervorbringt, und (2)
19
als Fortschrittsbewegung auf die Freiheit hin. Neben den Momenten der Neuheit und der Freiheit scheint im Hintergrund
zudem (3) das Problem der Gewalt auf. Diese wird zwar nicht
als notwendig der Revolution zugehörig, aber doch als eng mit
dieser verknüpft erachtet. Die Frage der Gewalt wird – so z.B.
in den Schriften Paines und Jeffersons, in den theoretisch anspruchsvollen Auseinandersetzungen zwischen Condorcet und
Robespierre über den rechten Umgang mit dem entmachteten
König Ludwig XVI. oder in Kants Rede von »gewaltsamer Revolution« – deutlich als Herausforderung an die revolutionäre
Praxis und Theorie markiert. Eine einheitliche Festlegung, ob
neuheitlich-freiheitliche Revolution nun gewaltsam oder im Gegenteil gewaltlos zu sein habe, ist dabei freilich nicht auszumachen. Bei näherer Betrachtung erweisen sich allerdings auch die
Momente der Neuheit und der Freiheit als ihrem Inhalt nach vergleichbar undeutlich bestimmt. Jedoch ist mit dem endgültigen
Durchbruch des Kollektivsingulars »Revolution« in der zweiten
Hälfte des 18. Jahrhunderts der Problemhorizont, in dem sich
seither alles Nachdenken über radikalen politisch-sozialen Wandel vollzieht, im Wesentlichen abgesteckt: Zu den Fragen, wie
genau Neuheit und Freiheit im Zusammenhang derartigen Wandels zu denken sind und ob Gewalt als Mittel der Transformation
zulässig und rechtfertigbar sei, haben sämtliche Theorien der
Revolution Stellung zu beziehen.
Einblick: Spannungen in Phänomen und Begriff der Revolution
Jeder Versuch, sich dem Phänomen der Revolution theoretisch zu
nähern und es begrifflich zu erfassen, sieht sich einer Reihe von
Schwierigkeiten ausgesetzt, die sich aus dem Gegenstand selbst,
aus dem spezifischen Charakter desselben, ergeben. Eine erste
20
Komplikation ergibt sich aus der sowohl exzessiven als auch evasiven Verfasstheit des Phänomens Revolution. So ist Revolution
zum einen durch ein Moment des Überschusses bestimmt, fließen darin doch vollkommen heterogene Elemente und Faktoren
zu einem unübersichtlichen Ganzen zusammen: In revolutionären Situationen treffen vielfältige Akteure (bestimmte für das
Transformationsgeschehen ausschlaggebende Individuen oder Kollektive) mit unterschiedlichen Triebkräften (ideelle Motive wie
der Anspruch auf Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit auf der
einen, handfeste materielle Interessen wie die Befreiung von Steuer- oder Schuldenlast auf der anderen Seite) und divergierenden
Zeit- und Geschichtskonzeptionen (chronologischer oder kairologischer, eschatologischer oder messianischer Art) auf verschiedene schon bestehende politisch-rechtliche Institutionen und sozio-ökonomische Strukturen. Die Flut von Handlungen, Haltungen und Überzeugungen, von Worten, Bildern und Symbolen, von
Kontroversen und Konflikten, die durch ihre Koinzidenz Revolution erst konstituieren, erschwert es erheblich, diese auf einen
begrifflichen Nenner zu bringen. Zum anderen prägt auch ein
Moment des Evasiven, des Entzugs, das Phänomen Revolution:
Kennzeichnend für Revolution, zumal im dialektischen Zusammenspiel mit gegenrevolutionären Kräften, ist auch deren notwendige Unvollständigkeit und Unabgeschlossenheit, lässt sich
doch kein endgültiger End-, kein evidenter Ruhepunkt der Umwälzung, der Kette von Menschen angestoßener revolutionärer
Prozesse und diesen widerfahrender revolutionärer Ereignisse
identifizieren. Das Bedürfnis zahlreicher Revolutionstheoretiker
des 19. und 20. Jahrhunderts, die Französische Revolution »abzuschließen«, verleiht diesem evasiven Zug ebenso Ausdruck wie
der von Proudhon und Marx entwickelte, von Trotzki zum Programm erhobene Gedanke einer »permanenten Revolution«. Dass
deren Anfang und deren Ende, vor allem aber deren Erfolg – als
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tatsächlich vollendete Revolution – und Misserfolg – als »unvollendet«, als bloße Revolte oder bloßer Putsch – allenfalls ex
post zu bestimmen sind, erweist sich somit als weitere Herausforderung an jede konzeptuelle Analyse von Revolution. So ist
es wesentlich den Momenten von Überschuss und Entzug geschuldet, dass es an der »Sache« Revolution etwas – eine eigenwillige, gleichsam nicht objekthafte Gegenständlichkeit – gibt,
das sich gegen begriffliche Fixierung sperrt; dass also zwischen
Phänomen und Begriff der Revolution notwendig eine Spannung
bzw. Abweichung bestehen bleibt.
Zusätzliche Schwierigkeiten ergeben sich für den theoretischen Zugriff auch aus der Verwendungsweise des Begriffs. Dabei
ist es nicht allein dessen ubiquitäres Auftreten in unterschiedlichsten Kontexten – der Politik, der Kunst, der Wissenschaft
und der Technik, nicht zuletzt der Werbung –, die eine Unschärfe mit sich bringt. Vielmehr tritt diese Vieldeutigkeit bereits innerhalb politischer Sprachspiele zutage. Diese resultiert
daraus, dass es sich bei Revolution um ein essentially contested
concept (W.B. Gallie) handelt, über das gänzlich positionslos, unparteiisch und wertneutral zu sprechen unmöglich ist. Wie umkämpft der Begriff ist und wie attraktiv es für politische Gruppierungen und Bewegungen ist, ihn zu besetzen, belegt nicht
zuletzt seine vielfache Inanspruchnahme in der Gegenwart. Von
den Protestierenden auf dem Tahrir-Platz bis zu den Anhängern
der neokonservativen Tea Party und sogar Präsidentschaftskandidaten unterschiedlichster politischer Couleur in den Vereinigten Staaten: Den Titel Revolution zu reklamieren dient dazu,
das eigene politische Projekt nicht nur in seiner Ausnahmestellung gegenüber dem normalen Politikbetrieb zu beschreiben,
sondern es überdies auch als fortschrittlich bzw. als Projekt zur
Wiederherstellung verloren gegangener Werte und Ideale auszuweisen und dadurch zu legitimieren. Umgekehrt wird »Revolu22
tion« jedoch auch von Reformern – und selbstverständlich auch
von Konterrevolutionären – als Kampfbegriff ins Feld geführt,
um einer gegnerischen Bewegung die Rechtmäßigkeit der Mittel
wie der Zwecke gerade abzusprechen. Selbst innerhalb der Domäne des Politischen eröffnet sich somit ein breites, uneinheitliches Bedeutungsspektrum des Revolutionsbegriffs. Wie nachfolgend an den Darstellungen philosophischer Konzepte von
Revolution bzw. philosophischer Kommentare zu dieser zu zeigen
sein wird, bleibt die umstrittene, die notorisch weltanschaulich
aufgeladene Verfasstheit des Begriffs auf die Theorie nicht ohne
Auswirkungen.
Neben den Spannungen, die sich aus seinem Gebrauch ergeben,
weist schließlich auch der Begriff selbst, gleichsam in seinem Inneren, eine Reihe von Spannungen auf. Dies ist nicht allein der Tatsache geschuldet, dass sich in ihm deskriptive und präskriptive Elemente überlagern und durchmischen, dass er also gewissermaßen
an der Schwelle zwischen Theorie und Praxis angesiedelt ist, so
dass er stets zwischen beiden kippen kann.4 Hinzu kommt vielmehr, dass dem Begriff gerade in seiner modernen Bedeutung ein
Moment des in sich Differenten, ja Widersprüchlichen innewohnt:
Trotz der emphatischen Ausrichtung auf die Zukunft bleibt »Revolution« – präziser: »Re-volution«, dem ursprünglichen lateinischen Wortsinn nach also »Zurück-wälzung« – ihrem semantischen Gehalt nach in eigentümlicher Weise aufgespannt zwischen
einem Zurück und einem Vorwärts, zwischen einer Wiederholung
des Alten und Ursprünglichen und einem Ausgreifen auf das
Neue und Andere. Auch indem sich der Begriff in dieser Struktur,
in der sich die spezifische Zeitlichkeit von Revolution ausdrückt –
»Das Heute geht gespeist durch das Gestern in das Morgen«, so
Bertolt Brecht im Hinblick auf den revolutionären »großen
Sprung« –, dem Kriterium der Widerspruchsfreiheit verweigert,
stellt er eine Herausforderung für die konzeptuelle Analyse dar.
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Angesichts des sich begrifflicher Feststellung verweigernden
Charakters des Phänomens sowie des umstrittenen, in sich spannungsgeladenen Charakters des Begriffs erweist sich der Versuch, Revolution in Theorie zu überführen, als in seinen Möglichkeiten begrenzt. Besonders konturiert tritt diese Begrenztheit im Vergleich mit anderen Textarten hervor, die nicht der
nüchternen Begriffsarbeit verpflichtet sind. So sind es weniger
distanzierte Abhandlungen und Traktate, die an die »Sache« Revolution heranzureichen scheinen, als vielmehr engagierte, existenziell involvierte Manifeste und Pamphlete, Streitschriften und
Reden, die dieser in ihrer emphatischen Sprache entsprechen;
die, indem sie die reine Betrachterperspektive ablehnen, das erfassen, was Revolution zu großen Teilen ausmacht. So spricht
das Affektgeladene, das Enthusiastische, gar das Fanatische gerade aus offen parteiischen, agitierenden Texten wie der Flugschrift Was ist der Dritte Stand? (1789) des Abbé Sieyès, die die
Dynamik des Revolutionären rhetorisch spiegeln, ja performativ umsetzen. Den »Geist«, die Atmosphäre der Revolution – eine
Gemengelage aus Hoffnung und Stolz, aus Frustration und Wut,
aus Zusammengehörigkeits- und Feindschaftsgefühlen – einzufangen und sich darin am Saum des Phänomens festzuhalten gelingt daneben auch Dichtern der Revolution wie William Blake,
Friedrich Hölderlin, Victor Hugo, René Char oder Ahmed Fouad
Negm, der »Stimme der ägyptischen Revolution«, besonders gut.
Der ebenso hochgestimmte wie hochfahrende Anspruch und die
unbedingte Zukunftsgläubigkeit des Revolutionärs artikulieren sich
in den Worten Hölderlins jedenfalls eindrucksvoll: »Ich glaube
an eine künftige Revolution der Gesinnungen und Vorstellungen,
die alles Bisherige schaamroth machen wird.«5 Schwer zu bestreiten ist, dass theoretische Stellungnahmen zu Revolution diese
atmosphärische Dimension in der Regel verfehlen, die Michel
Foucault, als Zeuge der Umwälzungen im Iran 1978/79, als Di24
mension »politischer Spiritualität« bezeichnet. Durch welche Gewinne Theorien der Revolution diesen Verlust an unmittelbarer
Gegenständlichkeit jedoch zu kompensieren vermögen, soll in
den nachfolgenden Kapiteln ausführlich untersucht werden.
Rundblick: Die Pluralität von Revolutionen
Weitgehend ausgeklammert wurde bis hierher die Tatsache, dass
es sich bei Revolution keineswegs um einen Begriff handelt, der
ausschließlich im Kontext des Politischen einschlägig wäre. Im Gegenteil: Spätestens seit Beginn des 19. Jahrhunderts vollzieht sich
eine Ausdifferenzierung von »Revolution«, in deren Folge es zu
einer Anwendung auf Entwicklungen einschneidender Transformation in einer Vielzahl weiterer sozialer Sphären kommt. Nachdem der Begriff in seiner modernen Bedeutung mit Immanuel
Kants »kopernikanischer Wende«, seiner philosophischen »Umänderung der Denkart«, bereits für den Bereich der Wissenschaft erschlossen ist, treten zur »politischen Revolution«, wie sie sich in
den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts in den Vereinigten
Staaten und Frankreich vollzieht, auch die »industrielle« und die
»soziale Revolution« hinzu (vgl. Koselleck et al. 1984: 766 ff.). Auch
wenn sich beispielsweise Hannah Arendt für eine scharfe Grenzziehung zwischen politischer und sozialer Revolution ausspricht,
ja mit Blick auf die Französische Revolution sogar die Kontamination der Ersteren durch die »soziale Frage«, d.h. die aus Arendts
Warte letztlich apolitische »Tatsache der Armut«, beklagt (vgl.
Arendt 2011: 73 ff.), ist für die revolutionäre Praxis und Theorie
des 19. Jahrhunderts gerade das Verwischen dieser Grenze ein zentrales Merkmal. Ob bei Babeuf, bei Blanqui, bei Weitling oder
schließlich bei Marx und Engels: Das Moment des Sozialen gewinnt so stark an Gewicht, dass das in einem engen Sinne, d.h. als
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Regimesturz und Verfassungswandel verstandene Moment des Politischen davon geradezu absorbiert wird.
Auch an frühen, in der Geburt der Tragödie (1872) angestellten
Überlegungen Friedrich Nietzsches zu einer Überwindung der
»apollinischen« bzw. »sokratischen Cultur« lässt sich die Ausdifferenzierung des Revolutionsbegriffs ablesen. Das darin entwikkelte Programm einer kulturellen Revolution sieht eine Wiederaneignung des tragischen Zeitalters vor, des von Nietzsche im
vorklassischen Griechenland verorteten Ursprungs westlicher
Kultur. Dass die kulturelle oder ästhetische Umwälzung, die
Nietzsche vorschwebt, keineswegs frei ist von politischen Implikationen, belegt nicht zuletzt die Tatsache, dass für den erstrebten tiefgreifenden Wandel ausgerechnet die Musik Richard Wagners, eines aktiven Teilnehmers an der Umsturzbewegung des
Jahres 1848, von entscheidender Wichtigkeit ist. Im 20. Jahrhundert wird diese Verflechtung in den chinesischen und iranischen
»Kulturrevolutionen« besonders augenfällig, die, wie Mao formuliert, an den »Seelen der Menschen« ansetzen und auf eine
»in der Geschichte der Menschheit noch nie dagewesene Umwälzung der Gesellschaft« abzielen (vgl. Schram 1992-; Wemheuer 2008). Ein Ineinandergreifen von Politischem und Ästhetischem lässt sich auch im zeitlichen Umfeld der Russischen
Revolution von 1917 feststellen. So bestehen zwischen Künstlern der Avantgarde wie Kasimir Malewitsch und El Lissitzky
und den Oktober-Revolutionären um Lenin und Trotzki nicht
lediglich weltanschauliche Sympathien. Vielmehr unterstützen
und verstärken sie sich in ihrer jeweiligen Suche nach Formen
des Neuen gegenseitig – Suprematismus und Konstruktivismus
auf der einen, Kommunismus auf der anderen Seite; sie begreifen sich als gemeinsame Gestalter einer radikal gewandelten Gesellschaft, die, bei grundsätzlich geteilten Zukunftsvisionen, den
Hebel des Revolutionären lediglich an verschiedenen Punkten
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ansetzen (vgl. Groys/Hansen-Löve 2005). Ähnliche Verhältnisse
der Komplementarität von politisch-sozialen und künstlerischen Elementen lassen sich mit Blick auf die Transformationsbemühungen der 1960er Jahre auch für die Studentenbewegung
und Vertreter der »Situationistischen Internationale« um Guy
Debord, der »Fluxus«-Gruppe oder der »Arte Povera«-Bewegung feststellen.6 Freilich soll damit keineswegs gesagt sein, dass
das revolutionäre Potenzial der Kunst – und gerade der Kunst
des 20. Jahrhunderts – auf derlei politische Anbindungen und
Gehalte zu reduzieren wäre, dass also die von Futuristen, Dadaisten, Surrealisten oder Repräsentanten der Konzeptkunst
oftmals in Form von Manifesten explizit gemachten revolutionären Ambitionen sämtlicher Kunstrichtungen sich darin bereits erschöpften.
Außer dem sozialen Wandel, so z.B. der Geschlechter- und
Familienverhältnisse oder in Gestalt einer postindustriellen Revolution der Arbeitswelt, sind insbesondere einschneidende Veränderungen auf dem Gebiet der Wissenschaft und Technik für
das 20. Jahrhundert prägend. In seiner Analyse der Struktur wissenschaftlicher Revolutionen (1962/1967), die – beispielsweise zwischen den Zeitaltern des geozentrischen und des heliozentrischen
Weltbildes oder zwischen Newton’scher und Einstein’scher Physik – Gräben der »Inkommensurabilität« aufreißen, erklärt Thomas S. Kuhn die naturwissenschaftliche Forschung zu derjenigen
Kraft, der die Möglichkeit, »Paradigmenwechsel« zu erwirken und
das Neue zu erschließen, in höchstem Maße gegeben ist. Als nicht
weniger bedeutsam, dabei jedoch als entschieden breitenwirksamer müssen freilich technologische Revolutionen gelten; allein
die Effekte, die Neuerungen im Bereich der Kommunikationstechnologie während der vergangenen Jahrzehnte auf bis dahin
vorherrschende Wahrnehmungsgewohnheiten, Aufmerksamkeitsmuster und Interaktionsformen bewirkten, weisen diese als nach27
haltig umwälzend aus. Dass derlei Durchbrüche technologischer
Art auch politische Transformationsprozesse anzustoßen und
zu intensivieren imstande sind, wird nicht zuletzt an der maßgeblichen Rolle ersichtlich, die neue Medien und soziale Kommunikationsnetzwerke für Aktivisten des Arabischen Frühling
gerade im Hinblick auf Möglichkeiten der Mobilisierung gespielt haben – wenngleich sich dabei wiederholt gezeigt hat, auf
welche Weise und in welchem Ausmaß diese Technologien auch
zu Zwecken gegenrevolutionär-restaurativer Überwachung und
Unterdrückung eingesetzt werden können. Während Revolutionen in der Wissenschaft der Tendenz nach quer stehen zu politischer Transformation, sich auf diese zumindest nicht unmittelbar auswirken, sind die Auswirkungen technologischer
Revolutionen – und insbesondere, man denke nur an Buchdruck
und Internet, Medienrevolutionen – auf den Bereich des Politischen augenfällig.
Im Licht der skizzierten Ausdifferenzierung zeigt sich, dass
»Revolution« kein Bereichsbegriff ist, der lediglich regional begrenzt Geltung beanspruchen könnte. Die sukzessive Ausdehnung auf die Sphären des Sozialen, der Kunst, der Wissenschaft
und der Technik belegt, wie wenig dieser Begriff auf seinen politischen Bedeutungsgehalt verkürzt werden kann. In Anbetracht
dieser Pluralität von Revolutionen, welche das vielschichtige Bewegungsbild der Moderne und Hochmoderne maßgebend mitbestimmt, liegt die Frage nach unterschiedlichen Fließgeschwindigkeiten der verschiedenen revolutionären Ströme – und damit
nach Bedingungsverhältnissen zwischen diesen – nahe; die Frage also, welche revolutionären Entwicklungen in einem Bereich
vergleichbar transformativen Entwicklungen in anderen Bereichen vorangehen oder diese sogar erst auf den Weg bringen. Offensichtlich ist, dass sich eine allgemeine Antwort darauf nicht
geben lässt, sondern nur in Einzelfallstudien seriös zu klären ist,
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an welchem spezifischen Ort in welcher spezifischen Zeitspanne der Anstoß zu nachhaltigem Wandel von welcher spezifischen
(politischen, sozialen, kulturellen, künstlerischen oder technologischen) revolutionären Avantgarde angestoßen wird. Da eine derartig kleinteilige Untersuchung, die die Beziehung der vielfältigen Revolutionstypen und -begriffe zueinander tatsächlich ausbuchstabieren könnte, den Rahmen der vorliegenden Einführung
übersteigen würde, sei hier lediglich festgehalten, dass die Umwälzungen und Neugestaltungen in verschiedenartigen Domänen
nicht unabhängig voneinander verlaufen, sondern sich, in freilich
ganz uneinheitlichen Weisen und Graden, wechselseitig bedingen. Wie am Verhältnis der aufgeführten Revolutionen zueinander erkennbar wird, handelt es sich oftmals um kein bloßes Nebeneinander, sondern um ein Ineinander der Veränderungsprozesse,
die sich somit als kommunizierende, einander gegenseitig affizierende Stränge verstehen lassen.
Zwar werden diese Relationen gegenseitiger Beeinflussung in
den anschließenden Kapiteln verschiedentlich aufgegriffen; so
sind z.B. die Interdependenzen von politischer und sozialer Revolution im Zusammenhang der Überlegungen von Karl Marx
und Friedrich Engels zu diskutieren. Der Fokus dieses Bandes
jedoch liegt, der Vielfalt der Revolutionen zum Trotz, auf politischer Revolution bzw. auf maßgebenden modernen und zeitgenössischen Ansätzen, diese theoretisch zu erfassen.
Ausblick: Theorien der Revolution – Grundfragen
und Grundtypen
Auch bei einer Beschränkung auf den Bereich des Politischen
erweist sich der Untersuchungsgegenstand jedoch als komplex
und unübersichtlich genug. Denn wie bereits ein flüchtiger Blick
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auf knapp 250 Jahre des Nachdenkens über radikalen Wandel
offenbart, ist ein wesentliches Merkmal von Begriffen und Theorien der politischen Revolution deren Heterogenität. So bestehen zwischen Immanuel Kants Verständnis der Revolution als
»gründlicher Reform«, Karl Marx’ Konzept der »proletarischen
Revolution«, Michail Bakunins anarchistischem, Walter Benjamins
»messianischem« oder Frantz Fanons anti-kolonialistischem Revolutionsmodell derartig große Divergenzen, dass der Verdacht
naheliegt, es handle sich bei diesen Begriffsverwendungen um
bloße Äquivokationen, nicht aber um Thematisierungen derselben Sache. Diese teils erheblichen Abweichungen zwischen den
unterschiedlichen theoretischen Einlassungen zu Revolution machen, sofern diese nicht einfach unvermittelt in ihrer Heterogenität nebeneinandergestellt werden sollen, einen Rahmen der
systematischen Untersuchung erforderlich, innerhalb dessen sich
diese Theorien erst sinnvoll aufeinander beziehen und miteinander vergleichen lassen. Als ein derartiger Bezugsrahmen dient
dieser Einführung ein Komplex von Fragen und Problemen, mit
welchen sich jede Theorie der Revolution konfrontiert sieht und
denen gegenüber sie sich zu positionieren hat. Mit den bereits genannten Fragen der Neuheit, der Freiheit sowie der Gewalt ist,
jedenfalls in groben Zügen, der Problemhorizont bzw. der Denkraum abgesteckt, in dem sich sämtliche der hier behandelten
Theoretiker der Revolution von Jean-Jacques Rousseau bis David
Graeber bewegen. Sie alle haben Stellung zu nehmen, ob absolute Neuheit des postrevolutionären Zustands eine notwendige
Bedingung für erfüllte Revolution darstellt oder ob dazu bereits
relative Neuheit hinreicht; ob nur positive Freiheit, Freiheit zur
Neugründung, ein authentisch revolutionäres Ziel sein kann
oder ob bereits negative Freiheit, Befreiung von Unterdrükkung, als solches genügt7; und ob Gewalt ein zulässiges Mittel
der Umwälzung oder, um deren freiheitlichen Charakter nicht
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zu kompromittieren, nicht vielmehr auszuschließen ist. Herausgefordert sehen sich die Versuche, Revolution zu denken, von
einer Reihe weiterer Gegensatzpaare. Zu ergründen ist z.B., wer
oder was als entscheidender Träger von Revolution zu gelten
hat, die Geschichte in ihrer »notwendigen« Eigenbewegung
oder der Mensch in seinem Handeln. Für den ersten Fall ist weiterhin zu bestimmen, ob Revolution als eschaton oder als katechon, d.h. als »Lokomotive« (Karl Marx) eines geschichtlichen
Fortschrittsprozesses oder aber, wie Walter Benjamin Marx entgegenhält, als »Notbremse« gegen Verfallsentwicklungen zu betrachten ist. Im zweiten Fall ist zu klären, wer genau als revolutionäres Subjekt gelten darf: die Ausnahmeerscheinung eines
singulär geschichtsmächtigen »Täters« (mit Blick auf die Gegenwart schlägt z.B. Geoffrey de Lagasnerie »exemplarische Figuren«
wie Edward Snowden vor), eine revolutionäre »Avantgarde«, eine
entrechtete Minderheit oder marginalisierte soziale Klasse, ein
Volk, eine Mehrheit der »99 Prozent« oder eine offene, von klaren Zugehörigkeitskriterien unabhängige »Multitude«. Im Zusammenhang mit dem Problem des revolutionären Subjekts gilt
es auch zu prüfen, ob und in welchem Maß revolutionäre Prozesse als Resultat von Planung und Organisation oder aber von
Spontaneität zu verstehen sind. Zudem ist theoretisch die Erstreckung der Revolution zu bestimmen, und dies sowohl in
zeitlicher (punktuell oder permanent) als auch in räumlicher
(lokal, national oder global) Hinsicht. Diese Fragen – und einige
weitere, die in den folgenden Kapiteln noch anzuführen sind –,
geben somit die Folie ab, auf der sich die verschiedenen Ansätze, Revolution theoretisch fassbar zu machen, strukturiert untersuchen lassen. Nicht zuletzt wird dabei zu überprüfen sein,
ob, in welchem Maß und aus welchen Gründen es diesen Ansätzen gelingt, Revolution abzugrenzen gegen mehr oder weniger
nah verwandte Konzepte wie Reform, Revolte oder Rebellion,
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die ebenfalls Modi politischer Bewegung und Transformation
bezeichnen.
Auch wenn sich die Darstellung lose an jenen historischen
Momenten orientiert, an denen seit 1776 reale Umstürze bzw.
Umsturzversuche auftreten, sind es nicht die revolutionären Geschehnisse selbst, die den Untersuchungs- und Erkenntnisgegenstand bilden. Im Zentrum stehen stattdessen maßgebliche Konzepte von Revolution sowie Kommentare zu Revoltuion, d.h. theoretische Vorwegnahmen, Spiegelungen und Nachbetrachtungen
revolutionärer Ereignisse.8 Leitendes Erkenntnisziel ist es dabei,
besonders gehaltvolle und wirkmächtige theoretische Einlassungen zu Möglichkeiten, Bedingungen und Formen einschneidenden politischen Wandels nicht nur zu durchmustern, sondern –
mit Blick auf die genannten Kernfragen – auch zu systematisieren. Den vorrangigen Fluchtpunkt dieser Einführung bildet damit die Bestimmung von sowie ein Überblick über Grundtypen
von Theorien der Revolution.
Da eine umfassende Rekonstruktion jeder der thematisierten
Theorien angesichts des begrenzten Umfangs dieser Einführung
nicht zu leisten ist, sind Auslassungen unvermeidbar. So werden,
ihrem revolutionstheoretisch zweifellos einschlägigen Inhalt zum
Trotz, Schriften von Autoren wie Johann Gottlieb Fichte oder
Louis-Auguste Blanqui, wie Albert Camus oder Kwame Nkrumah ganz ausgeklammert. Darüber hinaus werden auch die behandelten Autoren nicht mit dem Anspruch auf Vollständigkeit
in der Darstellung ihrer Überlegungen diskutiert. Vielmehr geht
es darum, Schlaglichter auf Analysen, Argumente und Aporien
zu werfen, wie sie etwa für den theoretischen Zugriff Hegels, Kropotkins oder Foucaults auf das Phänomen der Revolution kennzeichnend sind.9 Folglich beschränkt sich die vorliegende Einführung darauf, zentrale Fragen und Probleme der Revolutionstheorie exemplarisch an ausgewählten Denkern zu verhandeln,
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deren Ansätze sich in besonders relevanter – wirkmächtiger, erhellender oder kontroverser – Art und Weise mit eben diesen
Fragen und Problemen auseinandersetzen.
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