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Supporten, sponsern, werben?

2023, Werkstücke

Supporten, sponsern, werben ? ADRIAN GEHRIG Lokale Einblicke in die Sportförderaktion « Support your Sport» des MigrosGenossenschafts-Bundes ↗ DOI : 10.60135/werkstuecke.00.2023.4 93 ADRIAN GEHRIG SUPPORTEN, SPONSERN, WERBEN? Rudern ist ein wunderschöner Sport. Im Boot auf dem ruhigen See, ist der frühe Morgen ein magischer Moment. Gedanken an finanzielle Probleme, die den Club im kleinen Dorf unweit von Zürich, um den es im Folgenden gehen soll, belasten könnten, sind dann weit weg. Kaum jemand denkt in einer solchen Situation daran, dass Rudern finanziell aufwendig ist. Es braucht ein Bootshaus, einen Rudersteg, Boote verschiedener Kategorien mit entsprechenden Rudern. Für den Regattasport ist auch ein Motorboot für den Trainer nötig. Der Ruderclub (RC) wurde, wie die Chronik auf der Website erzählt, in den 1950er-Jahren von einigen «Seebuben », die Freude am Schwimmen, Rudern und Segeln hatten, gegründet. Die Mitgliederzahl ist mittlerweile auf über 250 Personen gewachsen. Heute finden sich nur schon im Vorstand zehn Leute, wobei sich eine Person ausschliesslich damit befasst, Geldquellen für den Club zu erschliessen. Ich bin seit Längerem Mitglied des Clubs und forsche hier in meinem Umfeld – und in zwei anderen Vereinen im gleichen Ort, um eine Spendenaktion für solche Sportvereine aus dieser lokalen Perspektive zu untersuchen. «Support your Sport», eine Förderaktion des Migros-GenossenschaftsBundes mit starker digitaler Komponente, ist eine solche Geldquelle. Sie wurde 2021 zum ersten Mal durchgeführt – mit insgesamt grossem Erfolg. 9’000 Amateur-Sportvereine nahmen daran teil und wurden mit sechs Millionen Franken unterstützt. Die Aktion wurde 2022 zugunsten des Schweizer Sport-Vereinswesens wiederholt.1 Wie haben Vereine in einem kleinen Schweizer Dorf, das zugleich ein wohlhabender Vorort Zürichs ist, die Migros-Aktion 2022 erlebt ? Wie gehen sie mit den Möglichkeiten und Anforderungen einer solchen Aktion um – und wer profitiert am Ende davon ? Um diese Fragen zu beantworten, habe ich Interviews mit Vertreter : innen der Vereine, und – soweit dies möglich war – des Migros-Genossenschafts-Bundes geführt. VEREINE ALS TRÄGER DER ZIVILGESELLSCHAFT Die Schweiz ist ein Land der Vereine ; es existieren schätzungsweise deren 100’000, davon ca. 19’000 Sportvereine.2 Nur schon in dem Dorf, um das es hier geht, mit seinen knapp 6’000 Einwohner:innen finden sich deren elf. Drei davon, der Ruderclub, der Frauenturnverein und der jüngste Fussballclub, sollen in dieser Arbeit zu Wort kommen. 1 2 O. A. : Medienstelle Migros-Genossenschafts-Bund : Medien Information. Lamprecht et al. 2017, 4–7 : Seit 2000 gibt « Sport Schweiz » alle sechs Jahre einen detaillierten Einblick in die neuesten Entwicklungen und analysiert das Sportverhalten, die Sportmotive, die Sportinteressen und die Sportbedürfnisse der Schweizer Bevölkerung. Zwischen 1985 und 1996 stieg die Zahl der Schweizer Sportvereine von ca. 23’000 auf ca. 27’000 an. Seither nimmt sie kontinuierlich wieder ab, heute sind es noch ca. 19’000 Sportvereine. Um die Jahrtausendwende schien die Zukunft den kommerziellen, effizienten und flexiblen Fitness- und Sportcentern zu gehören, die ohne starre Trainingszeiten und ohne freiwilliges Engagement punkten. Doch aus vielen Trendsportarten sind wieder neue Vereine entstanden, und der boomende Sportmarkt bietet Platz für Vereine und Fitnesscenter. Der Sportverein hat den Sprung ins 21. Jahrhundert geschafft. 94 Sportvereine sind zentrale Träger des zivilgesellschaftlichen Lebens. Die einfache Rechtsform macht sie zum beliebten Instrument der Selbstorganisation, das allen gesellschaftlichen Schichten zugänglich ist. Die Vereine unterstützen das Gemeinwesen, sie leisten Integrationsarbeit, versammeln Menschen mit gemeinsamen Interessen und fördern Freizeitaktivitäten.3 Die Vereinswelt blieb in der Schweiz mit wenigen Ausnahmen bis in die 1960er-Jahre geschlechtergetrennt.4 Sportvereine sind lokal verortet ; sie zu unterstützen, trägt dazu bei, die Angebotsvielfalt und auch die Lebensqualität im eigenen Ort zu fördern. Hier kann eine Parallele gezogen werden zu beliebten Aufrufen wie « Support your local … », wie sie Ege und Zeitler an verschiedenen Beispielen aufzeigen: Inhaltlich appelliert dieser Slogan in fast allen Varianten an tugendhaftes Verhalten im Sinn des ökonomisch-ökologischen Lokalismus, der Ökonomie des kleinen Massstabs […]. Entscheidend ist aber zugleich, dass diese Zitate letztlich immer auch auf ein reales Ethos der gegenseitigen Unterstützung, Grosszügigkeit oder Solidarität verweisen […]. ‹Support your local scene› heisst in erster Linie eben, dass man sich beteiligen soll, dass man etwas für die Szene tun soll.5 Die Aktion der Migros knüpft inhaltlich an diesen Lokalismus an.6 Sie benutzt eine spezifische Sprache und ein spezifisches Vokabular. So tritt sie fordernd im Imperativ auf : « Support your Sport » – dies könnte auch mit « setzt euch für euren Club ein » übersetzt werden.7 Im Deutschen entspricht das Wort ‹ Supporter › in manchen Bereichen weitgehend dem ‹Fan›, zum Beispiel im Fussball, stellt sogar eine Steigerungsform des Fans dar und signalisiert ein grösseres persönliches Engagement.8 Entsprechendes wird von der Migros in dieser Aktion gefordert. «Ein Leben ohne Sport ist möglich – aber sinnlos» – diesem abgewandelten Zitat von Loriot scheint ein grosser Teil der Schweizer Bevölkerung nachzuleben. In der Schweiz wird heute so viel Sport getrieben wie noch nie.9 3 4 5 6 7 8 9 Schumacher 2017, 4–8. Ebd., 40–41. Ege / Zeitler 2015, 214–216. Schulke 2021, 2 : Praktisch zeitgleich mit der ersten Aktion der Migros, im März 2021, hat in Deutschland die Deutsche Unesco-Kommission die « Gemeinwohlorientierte Sportvereinskultur » in das bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes aufgenommen, das heisst, Sportvereine sind Kulturgut. Man kann sich fragen, ob sich der Migros-Genossenschafts-Bund für seine Aktion davon inspirieren liess. Das Wort ‹Support› stammt ursprünglich aus dem Lateinischen. Seine Hauptbedeutung ist hervor-, herbeitragen, -führen, -bringen, herbeischaffen (im Zusammenhang mit Nachschub für das Heer). Seine zweite (moderne) Bedeutung lautet wie im Französischen supporter oder soutenir : unterstützen (Georges 2013). Die deutsche Übersetzung des englischen Terminus lässt verschiedene Interpretationen zu : Von Unterstützung jeglicher Art über Betreuung, Halt, Hilfe, Stütze, Beistand, Förderung, Begleitung, Stärkung, Sympathie bis zu Unterlage (Wörterbuch Linguee, Dictionary Cambridge, beide online). Ege / Zeitler 2015, 210. Lamprecht et al. 2020, 8. 95 ADRIAN GEHRIG SUPPORTEN, SPONSERN, WERBEN? Auf die Frage « Was ist Sport ? », so Lamprecht im Vorwort zu seiner Sportsoziologie, gibt es keine allgemeingültige Antwort mehr. Es sei schwierig, abzugrenzen, wann zum Beispiel Radfahren vom praktischen Verkehrsmittel, um nicht im Stau stecken zu bleiben, zum Sport werde. Das heutige Sportverständnis sei aufgeweicht, erweitert und pluralisiert. Die Vielfalt des modernen Sports sei das Geheimnis seines Erfolgs. Es gebe Hunderte von Sportangeboten, in denen jede und jeder eine Tätigkeit nach ihrem oder seinem Gusto finden könne. Erst die grosse Vielfalt an Sportmöglichkeiten habe die unterschiedlichsten Bevölkerungsgruppen einen Zugang zum Sport finden lassen.10 Auf diese grosse Vielfalt der Sportangebote stützt sich auch die Förderaktion der Migros, spricht sie doch von ‹ your › Sport, betont also die individuelle Verbindung. Der Kunde und die Kundin sollen sich ihren Lieblingssport, ihren Lieblingssportverein aussuchen können, den sie supporten wollen. DIE MIGROS-FÖRDERAKTION FÜR DIE AMATEURSPORTVEREINE In der Werbewoche vom 21. Februar 2022 war zu lesen, die Agentur Wirz werde für die Migros die nächste Runde der erfolgreichen Förderaktion « Support your Sport » inszenieren.11 Diese solle eine Hommage sein an die Schweizer Breitensportlerinnen und -sportler, die abseits von Starrummel, professioneller Betreuung und Millionengagen alles für ihren Sport gäben. Die Promo-Mechanik12 , das heisst der Ablauf der Werbekampagne und das Motto der ersten Förderaktion, würden beibehalten. Einzig der Fokus auf den Amateur-Vereinssport solle noch verstärkt werden.13 Das visuelle Herzstück der Kampagne war ein Composing, zusammengefügt aus verschiedenen Bildern. Es zeigte typische Schweizer FreizeitSportlerinnen und -Sportler im Stil der grossen internationalen Sport-Ikonen 10 11 12 13 Lamprecht 2022, 46–48. O. A. : Migros-Förderaktion «Support your Sport » von Wirz geht in die nächste Runde. Im Online-Wörterbuch Linguee finden sich unter « promotion » : Förderung, Beförderung, Werbung, Aufstieg, Werbeaktion, Unterstützung. O. A. : Migros-Förderaktion «Support your Sport » von Wirz geht in die nächste Runde. und wurde auf Plakaten, in der Print-Werbung und in verschiedenen digitalen Kanälen gezeigt. Zwei TV-Spots und vier Online-Filme übersetzten die Kernidee mit Humor in bewegte und bewegende Bilder. Sie zeigt augenzwinkernd die Schwierigkeiten der Amateursportler:innen und die Leidenschaft, mit der sie trotzdem ans Werk gehen.14 Um den Nutzen der Aktion hervorzuheben, betonte die Migros, dass viele Amateur-Sportvereine ihre Aktivitäten in der zu Ende gehenden Pandemie noch immer unter erschwerten Bedingungen ausüben müssten und deshalb um jeden Zustupf dankbar seien. Die Migros-Kundinnen und -Kunden konnten die Amateur-Sportvereine während dieser Aktion aktiv bei der Erfüllung eines Vereinswunsches unterstützen. In allen Migros-Filialen, im Migros-Onlineshop sowie bei SportXX15 und auf sportxx.ch erhielt man pro 20 Franken Einkauf einen sogenannten Vereinsbon. Dieser konnte ganz einfach mit der üblichen aktuellen digitalen Technik via Smartphone und QR-Code (siehe unten) oder online auf migros.ch/sport einem teilnehmenden Sportverein zugeteilt werden. Je mehr Vereinsbons ein Verein erhält, desto grösser ist sein Anteil am Fördertopf. Man konnte als Kundin oder Kunde auf migros.ch/sport seinem Lieblingsverein aber auch eine Direktspende zukommen lassen. Die Vereine wiederum mussten bei der Anmeldung bei der Migros ihren Wunsch, den sie sich mit dem Geld der Förderaktion erfüllen möchten, bekannt geben. Der Ruderclub zum Beispiel wünschte sich ein spezielles Skiff, der Frauenturnverein Bälle für das Volleyball und der Fussballclub ein Zelt. Diese SportFörderaktion dauerte vom 15. Februar bis 25. April 2022. Eine Helpline stand für die Kund :innen wie für die Vereine zur Verfügung.16 Das Geld für die Aktion, die sechs Millionen Franken, stellte die Migros pauschal zur Verfügung. Die Kunden halfen mit ihren Bons, die sie für ihren Einkauf erhielten, lediglich, das Geld der Migros zu verteilen. Je grösser der Einkauf einer Kundin oder eines Kunden war, desto grösser war ihr oder sein Einfluss auf die Verteilung des Migros-Geldes. Eine Besonderheit dieser Aktion war also : Die Kundin und der Kunde verteilten fremdes Geld, etwas, das sie selbst gar nicht besassen. Mit dem Soziologen und Gabenforscher Adloff können wir diese Rolle mit der nur scheinbar ganz anderen eines Priesters vergleichen, der seine Gemeindemitglieder segnet und dabei auch nur etwas weiterreicht, das er nicht selbst hat.17 Adloff fragt in seiner Politik der Gabe allgemein, warum wir anderen Menschen überhaupt Dinge geben, ihnen Aufmerksamkeit schenken, ihnen helfen oder sogar verzeihen ; ob Geben etwas Normales und Alltäg- 14 15 16 17 96 Ebd. O. A. : SportXX das Sportgeschäft für Sportbekleidung und Sportartikel von Migros. O. A. : Medienstelle Migros Genossenschaftsbund : Medien Information. Adloff 2018, 185. 97 ADRIAN GEHRIG SUPPORTEN, SPONSERN, WERBEN? liches oder die Ausnahme sei; oder ob nicht doch der Eigennutz als Regel menschlichen Handelns gelten müsse.18 Er postuliert den « homo donator » und die These von der natürlich und kulturell bedingten Tendenz des Menschen zum Geben und Teilen.19 Er geht so weit, zu sagen, dass die Gabe die Grundlage jeder Gesellschaft sei.20 Bei der Aktion « Support your Sport » ermöglichte der Geldgeber, also die Migros, seinen Kunden und Kundinnen mit den Bons ein Mitspracherecht bei der Verteilung seiner Gabe. Das Geld, das die Kundinnen und Kunden bei ihrem Einkauf ausgaben, blieb in anderer Form in ihrem Besitz. Sie mussten sich nicht ohne Gegenwert davon trennen. Dass die Migros ausgerechnet den Sportvereinen Geld gegeben hat, scheint mit deren Popularität zusammenzuhängen. Zugleich sind die Sportvereine auch die Konkurrenz der Migros-Fitnesscenter. Die Migros-Genossenschaft eröffnete schon 1977 ihren ersten Fitnesspark. Heute besitzt sie deren 17 und 140 Fitnessstudios.21 Um dies zu verstehen, ist ein kurzer Exkurs zum Kulturprozent der Migros erforderlich. DAS KULTURPROZENT DER MIGROS diesen Award für die vielen nachhaltigen Investitionen des Migros-Kulturprozents, zum Beispiel die Monte-Generoso-Bahn im Tessin, das GottliebDuttweiler-Institut oder den Gottlieb-Duttweiler-Lehrstuhl an der Universität St. Gallen.23 Die Gabe des Kulturprozents der Migros beträgt jährlich 140 Millionen Franken.24 Das Kulturprozent dürfte deshalb als moralisch-ökonomische Vorlage des Gebens in den aktuellen MigrosAktionen betrachtet werden. « Support your Sport » basiert auf diesem Kulturprozent, die sechs Millionen Franken, die die Migros in diesem Rahmen 2021 und 2022 dafür eingesetzt hat, kommen aus diesem Topf. Bis dahin hatte die Migros den Sport in einem solchen Rahmen noch nie unterstützt. Es lässt sich allerdings fragen, ob das Geld aus dem Kulturprozent für die Förderaktion « Support your Sport » tatsächlich im Sinne des Gründers verwendet wird oder ob es sich hier nicht eher um ein klassisches Sponsoring handelt, das mit einer Gegenleistung seitens der Gesponserten und dem Ziel eines kommerziellen Nutzens einhergeht (siehe unten). Die Vereine erhalten das Geld nicht einfach so. Sie müssen ihre Mitglieder, deren Verwandte, Freunde und Bekannte motivieren, in der Migros einzukaufen und für ihren Verein Bons zu sammeln. Erst für diese, vom « erweiterten Verein » gesammelten Bons erhalten sie « ihr » Geld. In jedem Fall handelt es sich hier um eine digitale Neukonfiguration bisheriger Praktiken des Spendens und Unterstützens, weil neue Übermittlungstechniken eingesetzt werden, die ein schweizweites Projekt dieser Art überhaupt erst ermöglichen. Damit sind auch Werbestrategien verbunden, die für die Aktion der Migros neu sind. Die Geschichte der Migros22 ist im kulturellen Gedächtnis der Schweiz sehr präsent. 1941, mitten im Zweiten Weltkrieg, wandelte Gründer und Eigentümer Gottlieb Duttweiler seine Migros-Aktiengesellschaft in eine Genossenschaft um. Im selben Jahr trat er mit der Idee eines « Kulturprozentes » an die Öffentlichkeit : Ein volles Prozent des Umsatzes der Migros sollte in nichtkommerzieller Weise verwendet werden. Duttweiler bestimmte: Das Allgemein-Interesse muss höhergestellt werden als das Migros-Genossenschafts-Interesse. 1944 wurde der Grundstein zur heutigen Klubschule gelegt. 1946 folgte die Eröffnung des Parks im Grünen. Das Ehepaar Duttweiler schenkte den grössten Teil seines privaten Landes in Rüschlikon der Öffentlichkeit als Naherholungsgebiet für die Städter. Sie sollten dort ihre Freizeit aktiv gestalten können. 1948 begründete Duttweiler die Klubhauskonzerte mit dem Slogan : Grosse Erlebnisse zu kleinen Preisen. 1957 wurde das Kulturprozent, das heisst die Grundlage für das kulturelle und soziale Engagement der Migros, dann in den Statuten verankert : Ein Prozent des Umsatzes (nicht des Gewinns!) sollte fortan für kulturelle und soziale Zwecke eingesetzt werden. Das Kulturprozent erhielt 2010 in Berlin eine internationale Auszeichnung als « Kulturinvestor des Jahres » für den engagiertesten Kulturvermittler im deutschsprachigen Raum. Die Jury verlieh Was heisst es nun, hier von digitalen Rekonfigurierungen und von Digitalisierung zu sprechen ? Der deutsche Begriff ‹ Digitalisierung › wurde lange ausschliesslich in technischen Disziplinen wie Elektronik, Informatik, Nachrichtentechnik verwendet und war einer breiten Öffentlichkeit wenig geläufig.25 Im englischen Sprachraum werden die Begriffe digitization und digitalization konsequent unterschieden.26 Der Erstere meint die Umwandlung analoger Signale in digitale Daten, das heisst in Bits und Bytes, in 1 oder 0 (digitize). Der zweite Begriff meint den Prozess der Umstellung von analogen auf digitale Systeme (zum Beispiel Computer statt Schreibmaschine, digitalize). Im deutschen Sprachgebrauch wird nur der Begriff ‹ Digitalisierung › verwendet. Er ist seit 2013 zu einem unscharfen, fast inflationär genutzten Terminus geworden, der auf diffuse Weise mit neu, 18 19 20 21 22 23 24 25 26 Ebd., 23. Ebd., 75. Ebd., 238. O. A. : Fitnesspark.ch. O. A. : Die Geschichte der Migros. Die 15 Thesen von Gottlieb und Adele Duttweiler. 98 DIGITALISIERUNG – EINE BEGRIFFSBESTIMMUNG O. A. : Migros Kulturprozent : www.report.migros.ch/2010/unsere verantwortung. O. A. : Migros-Kulturprozent : www.engagement.migros.ch. Langes / Boes : Digitalisierung. Definition und Abgrenzung. O. A. : Digitize vs Digitalize : Why You Need to Know the Difference. 99 ADRIAN GEHRIG SUPPORTEN, SPONSERN, WERBEN? fortschrittlich und computertechnisch konnotiert ist. Demgegenüber scheint alles Analoge auf unbestimmte Weise veraltet. Ohne weitergehende Definitionen kann der Begriff wegen seiner unterschiedlichen Bedeutungen und Konnotationen nicht sinnvoll verwendet werden.27 Mit Sybille Krämer28 gesprochen, lohnt sich, wenn ein Begriff zur Leerformel zu erstarren droht, ein wortgeschichtlicher Rückblick : ‹ Digital › ist mit dem lateinischen digitus (Finger, später auch Zehe) verwandt. Die Finger einer Hand bilden eine abgegrenzte Menge klar unterscheidbarer Einheiten, ein statisches Bild. Erst Finger in ihrem Zusammenspiel bergen das performative Potential der Hand, das verkörperte Tätigwerden als Option. Das ‹ Digitale › ist prozessual als Hergang, als Geschehen zu verstehen. Digitalisierung ist ein Vorgang, der auf der Zerlegung eines Kontinuums beruht, die Codierbarkeit dieser Elemente einschliesst und auf deren Rekombinierbarkeit zielt. Digitalisierung meint also zunächst einmal – im Sinne der digitization – jene Transformation, bei der etwas, das als kontinuierlich, das heisst als analog gelten kann, in Einzelelemente beziehungsweise Einzelschritte aufgespalten wird, die ihrerseits eindeutig chiffrierbar sind und zu variablen Strukturen zusammengefügt werden können. Während die bisherigen medientechnologischen Entwicklungen (zum Beispiel der Buchdruck) nur eine Form der Kommunikation betroffen haben, betreffen das Digitisieren und das Digitalisieren heute Text, Bild und Ton. Die Vervielfältigung von digitalen Inhalten ist mit geringem Aufwand möglich. Die Überbrückung von Distanz erfolgt mit Lichtgeschwindigkeit. Auf gespeicherte Inhalte kann jederzeit zugegriffen werden. Die Inhalte sind einem viel breiteren Kreis von Akteurinnen und Akteuren zugänglich.29 Das gilt auch für diese Förderaktion. Die Migros kommunizierte ihren Kundinnen und Kunden ihre Aktion mit Text, Bild und Ton, mit Plakaten und Printwerbung, aber auch über digitale Kanäle wie Facebook, Twitter oder E-Mail. Sie schaltete zwei TV-Spots und vier Online-Filme. Daneben betrieb sie eine Kampagnen-Webseite.30 Die Teilnahme an der Migros-Aktion erfolgte für Kundinnen und Kunden vor allem über das Scannen eines QR-Codes. Solche QR-Codes (Quick Response Codes) sind heute fast überall zu finden. Damit lassen sich Informationen kontaktlos – durch Fotografieren des Codes mit dem Handy – übermitteln. Ursprünglich stammen die quadratischen Muster aus der Autoindustrie. Im Toyota-Konzern wollte man die Logistik von Teilen erleichtern. Es wurde eine Technologie gesucht, die mehr Information übermitteln konnte als die eindimensionalen Barcodes. Anfang der neunziger Jahre entwickelte ein Team um Masahira Hara die zweidimensionalen Codes, deren Design sich an den schwarzen und weissen Steinen auf einem Go-Spielfeld orientiert.31 Schwarz und Weiss codieren binäre Informationen, das heisst sämtliche Zahlen, Buchstaben und Sonderzeichen werden in Nullen und Einsen übersetzt und schliesslich in schwarzen und weissen Quadraten ausgedrückt. Bequem kann man seine SmartphoneKamera über diesen Code halten, und sogleich öffnet sich eine Webseite mit weiteren Informationen oder ein kleines Programm, eine App.32 So konnten auch die QR-Codes auf den Migros-Bons gescannt und einem Verein überwiesen werden. Die Kommunikation zwischen den Kunden, der Migros und den Sportvereinen war auf diese Weise einfach und schnell. Diese neue technische Umsetzung kann im eigentlichen Sinn als eine Form von Digitalisierung bezeichnet werden. Die Bons mussten weder im Couvert zur Post getragen noch transportiert, wieder verteilt, ausgepackt, gezählt und eingetragen werden.33 GESPRÄCHE MIT VERANTWORTLICHEN VON DREI VERSCHIEDENEN SPORTVEREINEN Um mehr über die Erfahrungen des Geldgebers, aber auch der beschenkten Sportvereine mit der Aktion «Support your Sport» zu erfahren, versuchte ich, mit der Migros und Verantwortlichen der Vereine in Kontakt zu kommen. Mein Versuch, vonseiten der Migros mehr über die Aktion, ihre Hintergründe und ihre technische Seite zu erfahren, war nicht von viel Erfolg gekrönt. Als Angestellte:r einer Institution wie der Migros ist man einer Geheimhaltungspflicht unterstellt. Sie gilt gegenüber dem Geschäft, aber auch gegenüber dem Kunden. Entsprechend zurückhaltend fielen auch die Antworten auf meine Fragen an die Migros zur Aktion « Support your Sport » aus. Der Filialleiter einer 2-M-Filiale wollte meine Fragen in schriftlicher Form erhalten und leitete sie dann aus verschiedenen Gründen (unter anderem wegen seiner Ferienabwesenheit) an die Projektleiterin « Promotionen und Aktivierung » des Migros-Genossenschafts-Bundes, Alice Huber, weiter. Von ihr erfuhr ich schriftlich, dass : ● Die Kunden auf verschiedene Arten über den PromotionsMechanismus aufgeklärt wurden (vgl. oben), ● der QR-Code auf den Bons direkt auf die Webseite der Promotion verlinkte, ● ältere, mit digitalen Techniken nicht vertrauten Personen mit der Helpline durch den Prozess geführt wurden, ● in Einzelfällen die Scans für die Kunden sogar übernommen worden seien. 31 32 33 27 28 29 30 Langes und Boes : Digitalisierung. Definition und Abgrenzung. Kulturgeschichte der Digitalisierung, 2022, 2. Friemel, Studium Digitale 2022, Internet und Onlinemedien, 1. O. A. : Migros-Förderaktion « Support your Sport ». 100 Dieses Brettspiel für zwei Personen gilt weltweit als das komplexeste Strategiespiel. Nestler 2022. Seit Oktober 2022 akzeptieren die Schweizer Banken « nur noch Rechnungen im neuen Format mit QR-Code ». Indem die Kunden den QR-Code scannen, können sie sämtliche Zahlungsinformationen auf ihre E-Banking- oder Mobile-Banking-App laden. Das Abtippen der 27-stelligen Referenz- oder der IBAN- Nummer (Kontonummer des Adressaten oder der Adressatin) erübrigt sich (Müller 2022). 101 ADRIAN GEHRIG Aus Datenschutzgründen gibt die Migros über das Einkaufsverhalten ihrer Kund:innen nichts bekannt, das heisst, sie will zum Beispiel nicht sagen, ob sie während der Aktion mehr einkaufen. Sie verrät einzig, dass die Vereinstätigkeit auf dem Land grösser sei als in der Stadt. Als zusätzlichen Wettbewerb von SportXX34 konnten alle zwei Wochen auf Social Media Videos zu einem Thema gepostet werden, um z. B. Vereinsrituale zu zeigen. Die Gewinner erhielten einen prominenteren Platz auf der Webseite der Aktion, einen Repost auf Instagram sowie einen Gutschein von SportXX. Die Projektleiterin erklärte, dass diese Challenges zwingend gelöst werden müssten, um dabei zu sein. Erstaunlicherweise löste keiner der drei von mir befragten Vereine diese Aufgaben, sie empfanden diese als zu aufwendig. Sie erhielten ihr Geld trotzdem. Das Geld der Migros durfte nur für den angemeldeten Wunsch, der von der Migros geprüft worden war, verwendet werden. Grundsätzlich setzte die Migros auf Vertrauen, nur vereinzelt seien Stichproben durchgeführt worden. Die Gespräche mit den drei Vereinen verliefen persönlicher und waren für die Fragestellung aussagekräftiger. Im Folgenden stelle ich die Vereine und ihre Erfahrungen mit der Migros-Aktion vor. DER RUDERCLUB Der Ruderclub (RC) ist ein ambitiöser, gemischter Verein. Der Vorstand besteht aus zehn Personen. In früheren Jahren wurde unter verschiedenen ehrenamtlichen Trainern gearbeitet, heute beschäftigt der Verein einen Profitrainer, der innerhalb des Vereins eine eigene Abteilung, die « Ruderschule », aufgebaut hat. Diese inszeniert auch Events für Firmen, um Teamarbeit zu fördern, wie sie sagt. Die Teilnahme an der Migros-Kampagne steht im Zusammenhang umfangreicher Bemühungen des Vereins um Geldquellen. Vor allem bemüht man sich um Sponsoring. Im Gegensatz zum Mäzenatentum ist Sponsoring für den Sponsor oder die Sponsorin ein Marketing-Instrument, das komplementär zu den übrigen Instrumenten der Kommunikationspolitik (persönlicher Verkauf, Public Relations, Verkaufsförderung, Werbung) eingesetzt werden kann.35 Sponsoring ist eine unternehmerische Kommunikations- und Beziehungsform, bei der sich Leistung und Gegenleistung langfristig entsprechen sollen. Der Verantwortliche für das Sponsoring im Ruderclub, 34 35 O. A. : SportXX das Sportgeschäft für Sportbekleidung und Sportartikel von Migros. Historisch gesehen war das Sportsponsoring die erste Form, welche die Möglichkeiten des zielgruppenspezifischen Sponsorings nutzte. Es war insbesondere die Tabakindustrie, die in verschiedenen Ländern mit nachhaltigen Werbebeschränkungen konfrontiert wurde und deshalb neue Wege suchte, diese Einschränkungen zu umgehen. Im Sportsponsoring ist aus Sicht der Sponsoren eine hohe Beziehungsaffinität zwischen Sponsor und Gesponsertem anzustreben (Wehrli 1996). Ein Sponsoring-Vertrag regelt die Details. Die Ziele des Sponsorings sind die Steigerung der Bekanntheit der Sponsor-Firma, ihr Image, das Erreichen neuer Zielgruppen, Umsatzsteigerung (Prescher 2022). Der Geldgeber strebt also einen unmittelbaren kommerziellen Nutzen an, indem er die entsprechenden Aktivitäten gleichzeitig als Werbeträger verwendet.→ 102 Im selben Jahr trat er mit der Idee eines « Kulturprozentes» an die Öffentlichkeit : Ein volles Prozent des Umsatzes der Migros sollte in nichtkommerzieller Weise verwendet werden. Duttweiler bestimmte : Das Allgemein-Interesse muss höhergestellt werden als das Migros-GenossenschaftsInteresse. ADRIAN GEHRIG SUPPORTEN, SPONSERN, WERBEN? Giulio Bianchi, empfindet seine Arbeit jedoch als Herausforderung. Er hat eine anspruchsvolle, neue Präsentation für die Sponsoren geschaffen, die er mir auch vorgeführt hat. Die Motivation der unterschiedlichen Sponsoren aus verschiedenen Branchen sei bei allen ähnlich: Sie teilten die Begeisterung für den Rudersport und wollten junge Leute dabei unterstützen. Seine Aufgabe, neue Sponsoren zu finden, sei aber nicht so einfach wie zum Beispiel beim Fussball, wo die Möglichkeiten der Gegenleistung, etwa Reklame auf den Banden des Fussballfeldes, auf der Hand liegen. Bei den Ruderern ist es schwierig, eine Gegenleistung zu bieten. Die Sponsorentafeln im Bootshaus werden, wenn überhaupt, nur von den Vereinsmitgliedern beachtet. Eine Logo-Platzierung des Sponsors wäre möglich auf dem Bootsanhänger, auf dem Clubfahrzeug oder dem Clubzelt. Neu werden die Sponsoren auf der Webseite des RC jetzt « Partner » genannt. Ob sie sich mit dieser ‹ Aufwertung › zufriedengeben, bleibe dahingestellt. Vor diesem Hintergrund ist die Bemerkung eines alten Ruderers (Otto Hefti) besser zu verstehen, der mir auf die Frage nach dem Zusammenhang von Rudern und Sponsoring antwortete: Rudern ist zu wenig attraktiv, um Gegenleistungen zu erhalten. Das sind doch alles Gönner in unserem Club und keine Sponsoren, die Geldbeträge sind zu klein. Die Kasse ist doch meistens leer, darum wurden die Mitgliederbeiträge auch um 300 Prozent erhöht! Trotzdem soll ein neues Bootshaus gebaut werden. [Im Dorf spricht man von ansehnlichen Gesamtkosten von 2,2 bis 2,4 Millionen Franken.] An sich sind Gönner und Sponsoren gleichwertig, sie unterstützen den Club, aber mit unterschiedlichen Überlegungen. In den frühen 70er-Jahren hat ein Unternehmer, Ruderer im RC, eine grosse Zahlung von 100’000 Franken geleistet, ein Architekt, auch ein Ruderer im RC, hat die Pläne für das neue Bootshaus gratis erstellt – aber das war damals. Doch es gibt auch heute noch Leute im RC, die gratis arbeiten.36 Die Art des « Sponsorings » von Migros sei für den Club aufwendig. Es brauche ein Anmeldeprozedere. Ganz wichtig sei anschliessend die Motivation der Leute im Club, Bons zu sammeln. Der Wunsch des RC war 36 Sponsorbeiträge haben die Bedeutung von Werbeaufwand und sind damit abziehbare, begründete Unkosten im Sinne von Art. 40 Abs.1 und 84. Abs1 StG (O. A. : St. Galler Steuerbuch, Sponsoring und Gönnerbeiträge). Seit Beginn der 1980er-Jahre hat das Sponsoring eine explosionsartige Entwicklung erfahren und ist seitdem zu einer geläufigen und alltäglichen Erscheinung avanciert (Bruhn 2009). Zur Unterscheidung der Begriffe: «Personen oder Organisationen, denen das Anliegen des Vereins viel bedeutet, können zu Gönnern : innen werden, indem sie mehr als den Mitgliederbeitrag bezahlen oder regelmässig Geld spenden. Spenden sind freiwillige Beiträge von Personen oder Organisationen in Form von Geld oder Sachmitteln. Damit wird der Verein bei der Verwirklichung seiner Ziele unterstützt. Viele Vereine sind auf Spenden angewiesen » (O. A. Gönner). Ein Verein darf nur Spendenbescheinigungen (für die Steuererklärung des Spenders oder der Spenderin) ausstellen, wenn er wegen Gemeinnützigkeit steuerbefreit ist. 104 ein Coastal-Rowing-Skiff37, Kostenpunkt rund 10’000 Franken. Dass dieser grosse Wunsch nur teilweise in Erfüllung gehen konnte, ist klar. Der RC hat letztlich 1’194.50 Franken aus dem Fördertopf der Migros erhalten. Giulio betrachtet diese Förderaktion eher als clever angelegte Werbekampagne, um möglichst viele Leute in die Läden zu bringen. Die Clubs übernähmen einen Teil der Werbung, indem sie Clubmitglieder, Verwandte und Freunde anfeuerten und aufforderten, Bons für sie zu sammeln. Im Vergleich zum Ertrag sei dies ein grosser Aufwand. Im ersten Jahr hätten noch nicht so viele Vereine am Wettbewerb teilgenommen, der Anteil am Topf sei entsprechend grösser gewesen. Giulio vermutet, dass mit jedem Jahr weniger Vereine mitmachen würden. Seine Sorgen sind allerdings umsonst, denn zumindest in diesem Jahr (2023) heisst die Aktion « Support Culture » und läuft zugunsten von Kultur-, nicht von Sportvereinen.38 DER FRAUENTURNVEREIN Auch der Frauenturnverein nahm an der Förderaktion der Migros teil, wie die Präsidentin, Martha Hug, erklärte, die sich spontan für ein kurzes Gespräch zur Verfügung stellte. Der Frauenturnverein ist viel kleiner als der Ruderclub. Seine Mitgliederzahl beträgt nur zirka einen Viertel davon. Die Vereinsmitglieder, alles Frauen, sind zwischen 20 und 86 Jahre alt. Sie bilden drei Gruppen, eine Fitness- und Gymnastikgruppe, eine Volleyball-Gruppe und daneben gibt es für die ältere Generation noch das Gesundheitsturnen. Sie bestreiten keine Wettkämpfe. Es ist ein Verein, wie ihn Lamprecht beschreibt, der auch ein Hort der Geselligkeit ist, für den sozialen Kitt sorgt und die Kameradschaft nach den Turnstunden und auf Wanderungen pflegt.39 Die Anmeldung für die Aktion war aus der Sicht von Martha Hug sehr einfach. Sie forderte die Clubmitglieder via E-Mail auf, in der Migros Bons zu sammeln. Ihre Bekannten hat sie mündlich orientiert. Ihre Zusammenfassung der Aktion war rundum positiv. Es sei doch schön, sagt sie, wenn man Geld erhalte und eigentlich dafür nur einkaufen müsse. Ihr Wunsch, neue Bälle für das Volleyball kaufen zu können, ging in Erfüllung, der Verein erhielt zwischen 300 und 400 Franken. Aus ihren Aussagen ist Dankbarkeit herauszuspüren. Hier scheint sich genau die Wahrnehmung herausgebildet zu haben, die sich Migros für ihre Aktion wünscht. DER FUSSBALLCLUB DYNAMO Der Fussballclub geht neue Wege und gilt im Kanton als Vorbild für Integrationsarbeit, wie ein Testimonial eines Regierungsrats auf der Website 37 38 39 Coastal Rowing ist gewissermassen das Mountainbiking des Rudersports. Es erfordert eine andere Rudertechnik und soll voraussichtlich 2028 ins Olympiaprogramm aufgenommen werden (O. A. : Coastal Rowing). Wobei hier anzufügen ist, dass Sportvereine wie erwähnt seit 2021 als Kulturgut gelten. Lamprecht et al. 2017, 17. 105 ADRIAN GEHRIG SUPPORTEN, SPONSERN, WERBEN? bezeugt. Der Verein betreut unter anderem auch unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Gearbeitet wird in altersgerechten Kleingruppen. Der gemischte Club ist offen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Spricht man mit Vereinsvertreter:innen, spürt man ihre Begeisterung für den Verein. Der Gründungspräsident Henri Dubois gab spontan und gerne Auskunft über die Migros-Aktion : « Wir haben gute Erfahrungen gemacht, die Anmeldung für die Aktion war simpel. Da die Migros ihre sechs Millionen Franken in drei Töpfen zu je zwei Millionen, je nach Grösse des Vereins verteilt, musste auch der richtige Topf gewählt werden ; aber nachher muss man aktiv sein. » Er habe alle seine Freunde, Verwandten und Bekannten motiviert, in der Migros einzukaufen, um Bons zu erhalten. Selbst habe er während der Aktion ausschliesslich in der Migros eingekauft. Ausserdem habe er in dieser Zeit häufig Gespräche mit den Kassier:innen geführt. Vor allem in der ersten Aktion habe ihm dies meist zusätzliche Bons eingebracht. Die Kassier:innen waren sehr generös, da sie wussten, dass diese Bons dem Verein zugutekommen würden. Diese Taktik nutzte offenbar nicht nur er. Die Migros habe deshalb bald erkannt, dass auf diesem Weg gewisse Probleme entstehen können. Deshalb seien die Kassier:innen 2022 angehalten worden, weniger grosszügig zu sein. Wichtig ist an dieser Stelle, dass ein direkter Zusammenhang besteht zwischen der Beteiligung an der Aktion insgesamt und dem Wert der ‹ Anteile › an den sechs Millionen, die ein Bon repräsentiert. Je mehr Bons im Umlauf sind, desto weniger sind sie wert. Während die Vereine ein Interesse daran haben, dass ihre Mitglieder möglichst viele Bons sammeln, wirkt es sich negativ auf ihr ‹ Ergebnis › aus, wenn die anderen das auch tun. Auf der Webseite der Aktion liess sich laufend einsehen, wo welcher Verein in der Rangliste klassiert war. Dies beflügelte, wie mein Gesprächspartner sagte, den Wettbewerb und spornte zum weiteren Sammeln an. Je mehr Bons ein Verein schon gesammelt hat, desto beliebter ist er bei seinen Mitgliedern und Fans – so die Botschaft. Auch hier resultierte die Aktion in einem greifbaren Ergebnis für den Verein : Der Fussballclub Dynamo habe vom Geld der Migros ein Zelt für zirka 1’500 Franken kaufen können, erklärt Henri Dubois. Sein Stolz ist herauszuhören. Er nimmt aber auch eine Relativierung vor: «Doch eigentlich ist es mir am liebsten, wenn gespendetes Geld direkt an den Verein einbezahlt wird », erklärt er zum Schluss. Er möchte mir noch einen Trick verraten : « Bei Ricardo, einem OnlineMarktplatz, sind die Bons viel mehr wert als bei Migros. So kaufte man dort zum Beispiel für 30 Rappen einen Bon. Viele Leute haben ihre Bons bei Ricardo verkauft. Ein Kollege hat dabei 250 Franken verdient. » Die Migros findet den Weiterverkauf widersinnig, wie der Presse in vereinzelten Artikeln zu entnehmen war.40 Das Geld für den:die Versteigerer:in könne man ebenso gut einem Amateur-Sport-Verein direkt zukommen lassen. Ausserdem verstosse der Weiterverkauf der Bons gegen die Teilnahmebedingungen. Ricardo selbst sieht keinen Handlungsbedarf, einzig der Code dürfe auf den angebotenen Bons nicht sichtbar sein. Erstaunlich ist nicht die Anzahl der Auktionen (allein an einem Morgen deren 160), sondern die Höhe der Angebote, nämlich durchschnittlich 1.20 Franken pro Vereinsbon. Der Weiterverkauf zeigt jedenfalls, dass Vereinsfans nach Mitteln und Wegen suchen, sich einen kleinen Vorteil zu verschaffen. Der Handel mit den Bons bei Ricardo wird nur im Verein, der ausschliesslich Mannschaftssport betreibt, offen thematisiert. Ist dies erstaunlich, da Mannschaftssport doch immer in Verbindung mit Fairness gebracht wird, was hier ein wenig zweifelhaft erscheint ? Die Beweggründe für diesen Handel sind vielfältig und meines Erachtens eher ein psychologisches Thema. FAZIT Die Recherche zeigt, dass die Wahrnehmung der Beteiligten grundsätzlich positiv ist. Viele nahmen gern an der Aktion teil, passten ihr Einkaufsverhalten an und agierten als Multiplikator:innen, indem sie ihr soziales Umfeld dazu anhalten, es ihnen nachzutun. Die Ansprüche sind jedoch je nach Verein recht verschieden. Der Wunsch des grossen Ruderclubs liegt bei 10’000 Franken, eingebracht haben seine Bons keine 1’200 Franken. Der kleine Frauenturnverein ist mit 300 bis 400 Franken überglücklich. Der 40 106 Pereiro 2021. 107 ADRIAN GEHRIG SUPPORTEN, SPONSERN, WERBEN? neu gegründete Fussballclub bringt 1’500 Franken ein und kauft sich stolz ein Zelt. Der Geist in diesen drei Vereinen ist sehr verschieden. Der Vereinseinsatz ist jedenfalls nicht einfach proportional zur Clubgrösse. Zugleich besteht hier und da ein gewisses Unbehagen. Der ‹sekundäre› Handel mit Bons zeigt, dass die Kampagne eine finanzielle Eigendynamik annimmt. Insgesamt scheint das Verhältnis von ‹ Gabe ›, Werbung und Sponsoring in dieser Aktion durcheinanderzugeraten oder neue Formen anzunehmen. Die ‹ Gabe › hat generell – wie auch die Geschichte des MigrosKulturprozents – ein sehr positives Image. Das Geben kann auf recht unterschiedliche Art und Weise geschehen, dies vor allem, wenn es bei der Gabe um Geld geht – in diesem Beitrag war von Mäzen:innen, Sponsor:innen, Gönner:innen, Spender:innen und Supporter:innen die Rede, was im Detail mit jeweils unterschiedlichen Bedeutungen verbunden ist. Wer sich als Migros-Käufer (oder Genossenschaftsmitglied) beteiligte, verteilte ohnehin nicht eigenes Geld, sondern beteiligte sich an der ‹Gabe› der Migros. In der zehnten These aus Gottlieb und Adele Duttweilers Vermächtnis41 lautet ein wichtiger Satz : « Wir müssen wachsender eigener materieller Macht stets noch grössere soziale und kulturelle Leistungen zur Seite stellen. » Die ‹ Gaben › von Gottfried und Adele Duttweiler, zum Beispiel der Park im Grünen, die Klubhauskonzerte oder die Klubschule, wurden der Öffentlichkeit uneigennützig übergeben, auch wenn diese Tätigkeit sicher indirekte Werbeeffekte hatte und dem Image der Genossenschaft förderlich war. Die Aktion « Support your Sport » dagegen könnte man als direktere Form von Sponsoring betrachten, muss doch ein Sportverein für Umsatz (ein Bon für 20 Franken Einkauf) als Gegenleistung sorgen. Was fehlt, ist unter anderem ein ‹ echter › Vertrag – es sei denn, man betrachtet die verbindliche Anmeldung des Vereins als solchen. Die Migros spendet mit dieser Aktion einen Anteil ihres Kulturprozents doch nicht ganz so uneigennützig, wie es ursprünglich gedacht war. 41 QUELLENVERZEICHNIS ONLINE-QUELLEN INTERVIEWS (NAMEN GEÄNDERT) Langes, Barbara und Andreas Boes: Digitalisierung. Definition und Abgrenzung. URL: www.bidt.digital/glossar/digitalisierung (abgerufen : 27.01.23). Alice Huber (Migros) (Mail), 12.12.22. Giulio Bianchi (schriftlich), 20.11.22. Giulio Bianchi (schriftlich), 27.11.22. Giulio Bianchi, 29.11.22. Giulio Bianchi (schriftlich), 13.12.22. Otto Hefti, 09.11.22. Martha Hug, 14.12.22. Henri Dubois, 16.12.22. Müller, André : Ab morgen sind die orangen und roten Einzahlungsscheine Geschichte : Was ändert sich mit dem neuen System mit dem QR-Code ? In : Neue Zürcher Zeitung, 30.09.22. URL : www.nzz.ch/finanzen/ qr-rechnung-was-aendert-sich-mit-demqr-code-system-ld.1699912 (abgerufen : 19.12.22). Nestler, Ralf : So funktioniert ein QR-Code. In : NZZ am Sonntag, 15.01.22. 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