VO Architekturtheorie 2
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By Way of Scale –
Architecture and
the Abduction of
Space.
Grace and Gravity, Atom Time
and the Natural
Sublime
Wien S2024
Vera Bühlmann
attp.tuwien.ac.at
LARS SPUYBROEK
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GRACE AND GRAVITY
VO Architekturtheorie 2
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LARS SPUYBROEK
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GRACE AND GRAVITY
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TU WIEN
BACHELOR VORLESUNG
ARCHITEKTURTHEORIE 2
GRACE AND GRAVITY, ATOM TIME AND
THE NATURAL SUBLIME
(LARS SPUYBROEK)
DIESER TEXT IST EIN LEICHT REDIGIERTES TRANSKRIPT DER
AUFGEZEICHNETEN VORLESUNGEN (ATTP YOUTUBE: HTTPS://
YOUTU.BE/7PWNAHDASGI?SI=XSUKSBVK6EIEUDIM), VON VERA
BÜHLMANN, MITARBEIT IRINEL PINTILIE, OLIVER SCHÜRER, OPEN AI
(MÄRZ 2024)
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Grace and Gravity,
Atom Time
and the Natural Sublime
Willkommen zur Vorlesung Nummer elf in diesem
Semester Architekturtheorie 2 zum Motto By Way
of Scale: Architecture and the Abduction of Space. Heute
geht es spezifischer um Architektur in der Atomzeit und es geht um Vorstellungen von so etwas wie
einer atomischen Zeit gegenüber von Atomzeit.
Wir werden gleich ausführlicher darauf eingehen.
Es geht im Kern um ein Buch von Lars Spuybroek
mit dem Titel Grace and Gravity, Architectures of the
Figure (2020).
Bloomsbury (2020)
Book Cover Text:
How do we live well? The first sentence of
Grace and Gravity raises the fundamental
question that constantly occupies our mindsand of all those who lived before us. Paradoxically, the impossibility of answering this question opens up the very room needed to find
ways of living well. It is the gap where all disciplines fall short, where architecture does not
fit its inhabitants, where economy is not based
on shortage, where religion cannot be explained by its followers, and where technology
works far beyond its own principles.
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Metaphysische Gesten
und die standardisierte Messungsphysik
der Welt weiten Zeit
Ich möchte zunächst mit einem Rückblick beginnen, um zu erläutern, was das Interesse an diesem
Thema einer sogenannten “Atomzeit” in unserer
Vorlesung ist. Es geht nämlich nicht etwa um die
eine oder andere Form von Aktionismus für oder
gegen Atomstrom zum Beispiel. Vielmehr steht
das, was hier mit “Atomzeit” gemeint ist im
Zusammenhang mit der Art und Weise, wie wir
heutzutage Zeit messen. Zeitmessung basiert auf
der Lichtgeschwindigkeit als einer Naturkonstanten, die es ermöglicht, eine absolute Zeitmaßeinheit basierend auf dem Atomgewicht zu verwenden. Diese “absolute” Zeit kann weltweit gleichförmig gemessen und getaktet werden. Das Atomgewicht spielt dabei eine wesentliche Rolle, insbesondere dasjenige der sogenannt schweren
Atome, das heisst jener Teilchen deren Entstehung
nahe dem Urknall situiert wird.
Ich möchte diese Erklärung stark vereinfachen. Mein Ziel ist nicht, den Eindruck zu erwecken, dass ich über eine spezifische Expertise
diesbezüglich verfüge. Im Gegenteil, es geht eher
um die allgemeine Weise, wie heutigen wissenschaftlichen Technik, die wir alle nutzen, ohne
sie vollständig zu verstehen, Verwendung in unserem Alltag findet. Das Konzept der Atomzeit ist
von Bedeutung, da sie die Grundlage für das
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Konzept der Realzeit bildet, also für eine scheinbar
faktische “Gleichzeitigkeit” der Ereignisse.
Diese unsere reale Zeit oder diese Gleichzeitigkeit, verbinden wir am deutlichste mit der
Logistik von Information, Gütern, Dingen, Menschen, orchestriert durch das Internet: die Globalisierung hat alle möglichen Prozesse enorm
beschleunigt, und erlaubt eine nahezu Synchronizität des Austauschs.
In der zeitgenössischen Theorie – Architekturtheorie, aber auch Medien- und Kulturtheorie etwa –sind verschiedene Diskurse eröffnet
worden, deren Grundmotiv
man am besten vor diesem
Hintergrund erfassen kann:
Etwa der sogenannte Akzelerationismus, die diversen Ansätze eines Posthumanismus
oder besonders, der Transhumanismus, auch der Spekulative
Realismus und die Objekt-orientierte Ontologie, oder in
zahlreichen Variationen die
Ideen heutiger “Apokalyptiker” – denn Apokalypse meint,
i m Ke r n , e i n E n d e d e r
Geschichte. Vor diesem Hintergrund der Atomzeit lässt
sich ihre jeweils spezifische
Architektonik (die Architektonik dieser Diskurse) untersuchen, denn Sie sind alle eng mit der technischen
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Möglichkeit verbunden, Zeit auf eine absolute
Weise zu messen, ohne sie durch übergeordnete
Referenz-Formate, wie etwa Kalenderordnungen
oder auch Sternbilder in einer “Ordnung” zu “halten”. Die Kulturformen die solche Ordnungen indexieren sind vielfältiger den je: Festivals, Festtage
im Allgemeinen. Aber was für Referenz-Ordnungen werden dabei als Unterbrechen des täglichen
Laufs der Dinge verankert? Welche Art von
gemeinsamer Wertschätzung wird damit etabliert?
Wir wollen nicht kartieren, wie sich solche
Festtage heute in der einen oder anderen Gegend
darstellen, sondern wir wollen architektonisch Fragen, um Verbindendes zu finden: Damit steht das
Verhältnis zwischen diesen beiden Aspekten im
Vordergrund, das “Ordnen” und das “Messen” von
Zeit. Es ist von Interesse, welche
Rolle der Computer in diesem
Zusammenhang spielt und
spielen kann, und wie über
diese Rolle reflektiert werden
kann.
Zone Books, 2000
Book Cover Text:
A Thousand Years of Nonlinear History sketches
the outlines of a renewed materialist philosophy
of history in the tradition of Fernand Braudel,
Gilles Deleuze, and Félix Guattari, while engaging — in an entirely unprecedented manner —
the critical new understanding of material processes derived from the sciences of dynamics.
Working against prevailing attitudes that see history merely as the arena of texts, discourses, ideolo-
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gies, and metaphors, De Landa traces the concrete movements
and interplays of matter and energy through human populations
in the last millennium. The result is an entirely novel approach to
the study of human societies and their always mobile, semi-stable
forms, cities, economies, technologies, and languages.
De Landa attacks three domains that have given shape to human
societies: economics, biology, and linguistics. In each case, De
Landa discloses the self-directed processes of matter and energy
interacting with the whim and will of human history itself to
form a panoramic vision of the West free of rigid teleology and
naive notions of progress and, even more important, free of any
deterministic source for its urban, institutional, and technological forms. The source of all concrete forms in the West’s history,
rather, is shown to derive from internal morphogenetic capabilities that lie within the flow of matter—energy itself.
In unserer Vorlesungsreihe ist dieser Hintergrund
von zentralem Interesse, weil wir uns ja verschiedene Umgangsweisen in der zeitgenössischen
oder jüngeren Architekturtheorie anschauen, wie
man heute versucht durch Denkfiguren der Negationsgeste (also zu sagen: “um das und das soll es
nicht gehen”) Verhältnisse “im grossen Ganzen” zu
stiften, oder zu halten, oder zu qualifizieren. Diese
Konzepte beinhalten alle eine Auseinandersetzungen mit einer Logik der Negation, mit Nihilismus
und einer Art objektiver Neutralisierung, die jedoch nicht eine absolute Neutralität im Sinne einer
Beschreibung meint, sondern eher als eine Art Ziel
oder Möglichkeit im Denkhorizont erscheint.
Die Faszination für das “Nichts” weist
einerseits eine fast poetische Dimension auf, ist
aber gleichzeitig äußerst positivistisch-wissenschaftlich gemeint: Es handelt sich um eine
Umschreibung davon, was Nihilismus ausrückt:
nämlich, dass nichts wirklich Gewicht hat und dass
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Werte als vollkommen arbiträr erscheinen, weil
man keinen Ursprung für Werte annimmt.
Documenta (13) 2012
Nothingness. The void. An absence of matter. The blank page.
Utter silence. No thing, no
thought, no awareness. Complete
ontological in- sensibility.
Shall we utter some words about
nothingness? What is there to
say? How to begin? How can anything be said about nothing
without violating its very nature,
perhaps even its conditions of
possibility? Isn't any utterance
about nothingness al- ways already a performative breach of
that which one means to address? Have we not already said
too much simply in pronouncing
its name? Perhaps we should let
the emptiness speak for itself.
Die weltweite und scheinbare Synchronizität der
Ereignisse, von der wir vorher gesprochen haben,
bringt das in neuer Form ins Bewusstsein: Wenn
jegliches zu jeglicher Zeit relativ einfach möglich
ist, dann haben Entscheidungen und Aktionen im
Einzelnen nur mehr wenig Gewicht. Als Symptom
zeigt sich dies wiederum in der gegenwärtigen
Theorie Dis-kursen: Themen der Agency, des
Handlungsvermögens und der Handlungswirkkraft, dominieren weite Teile der Diskurslandschaften. Das alte Schema von menschlicher Absicht und Intention auf der Seite der Kulturwelten,
und Kausalität und Wirkung auf der Seite der
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Natur- und der technischen Wissenschaften, vermag nicht mehr in adäquater Weise, die Zusammenhänge zufassen. Am eindringlichsten zeigt sich
das in den gegenwärtigen Diskussionen, welche
wohl als wirklich “zeitkrisch” angesehen werden
können: “die Klimakrise” und “das Anthropozän”.
Minnesota Press, 2015
Book Cover Text: Critiques the environmental destruction caused by media technologies in the anthropocene era
Smartphones, laptops, tablets, and e-readers
all at one time held the promise of a more
environmentally healthy world not dependent on paper and deforestation. The result
of our ubiquitous digital lives is, as we see
in The Anthrobscene, actually quite the opposite: not ecological health but an environmental wasteland, where media never die.
Jussi Parikka critiques corporate and human
desires as a geophysical force, analyzing the
material side of the earth as essential for the
existence of media and introducing the notion of an alternative deep time in which
media live on in the layer of toxic waste we
will leave behind as our geological legacy.
Das Anthropozän bezeichnet eine Ära, in der die
Aktivitäten des Menschen sich geologisch in die
Erdgeschichte einschreiben, und zwar auf Zeitskalen von einer Grössenordnung, die bisher wenig
oder nicht in Bezug standen zu menschlichen
Lebensweisen. Konkret meint diese Erdgeschicht-
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liche Einschreibung, dass zukünftige Menschen in
den Sedimentschichten der Erde werden lesen
können, wann unsere Generationen (seit der Industrialisierung im achtzehnten Jahrhundert bis zu
den “klimaneutralen” Generationen der Zukunft)
gelebt haben – so wie wir heute in den Sedimenten
lesen können, wann es Eiszeiten gab, wann Dinosaurier gelebt haben, et cetera. Wenn man sich
das veranschaulicht und auf sich wirken lässt, dann
ist das gewaltig! Unsere Nutzung von Rohstoffen
und Energie, sowie die Chemie (welche als
Medikament, Elektrizität, Lebensmittel, Baustoffen
et cetera) alle möglichen materiellen Partikel in Welt weiten
zirkulierenden Umlauf bringt),
rufen im Körper der des Planeten
derartige Veränderungen hervor,
die in Jahrtausenden noch ablesbar sein werden. Es handelt sich
hierbei tatsächlich um eine
neuartige Art von materiellem
Gedächtnis – in welchem sich Psychisches und Physisches, Subjektives und Objektives mischen.
Was uns jetzt begleiten
wird ist genau diese besonderen
Verbindung von Materialität und
Zeit: Einerseits Klima und Anthropozän, andererseits die standardisierte Messungsphysik von
Weltzeit über Atome und deren Gewichte. Das alles
bringt eine Vorstellung hervor, in der Zeit nicht
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primär als linearer Verlauf von Vergangenheit zu
Zukunft und als Entwicklungsprozess betrachtet
wird, sondern eher als eine Art Kontinuum erscheint, in welchem Prozesse der Anreicherung
möglich sind.
Die dinglich gesprochene Rede:
Architektonik und ihr Vermögen
zur “materiellen Anreicherung”
Diese “Anreicherung” hat wiederum zwei Bedeutungsebenen. Einerseits bezieht sie sich auf wissenschaftlichen und kulturellen Fortschritt sowie
auf die Entwicklung von Städten und ähnlichem,
nennen wir es “Wohlstandspol”. Andererseits
bezieht sie sich konkret darauf, dass die Quantenphysik und Atomtechnik neuartige militärische
Anwendungen ermöglicht, Atomwaffen aber auch
Dronen et cetera – sprechen wir hier von einem
“Gewaltspol”. Dazwischen besteht die Vorstellung
eines “Nichts”, ein Fulcrum, das quasi als Dreh- und
Angelpunkt fungiert, um den herum die beiden
Pole sich “in Proportion” zu halten haben. Diese
Vorstellung ist heutzutage von großer Bedeutung
und durchdringt viele Aspekte unserer Gesellschaft. Sie ist – zumindest latent – auch in den untersuchten Konzepten präsent. Fassen wir die
entsprechenden Figure noch einmal zusammen
und benennen wir sie:
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Figuren des Konstruierenden Denkens
mit “Negation” um das Fulcrum von “Nichts”
Beispielsweise zeigt Daniel Libeskind Interesse an
Hieroglyphen. Er erklärt, dass er mittels seiner
mechanischen Zeichnungen, insbesondere in den
“Chamber Works,” die Sedimentierung von
Schriftzeichen quasi archäologisch erforschen
möchte. Dabei strebt er danach, möglicherweise
etwas aufzudecken, was er selbst nicht als Zeichner
oder Schreiber hineingelegt hat. Dies impliziert
eine Dimension, die mit einem gewissen mystischen Bewusstsein oder sogar mit prophetischen
Aspekten verbunden ist, je nach Auslegung. Es geht
um die Wahrnehmung von Zeit als etwas, das er-
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forscht werden kann; Zeit also nicht nur als etwas,
in dem man gestalten kann, sondern auch als etwas,
das selbst aktiv gestalten – im Sinne von “Anreicherung” – werden kann.
Peter Eisenman verfolgt eine ähnliche
Konzeption in seiner Herangehensweise an Architektur, die er als eine Art des Schreibens betrachtet, in dem keine expliziten Botschaften vermittelt werden. Sein Ansatz zeichnet sich ebenfalls
durch einen mechanischen Umgang mit Formen,
Strukturen und Setzungen aus, die nicht darauf
abzielen, interpretatorisch vorzugehen, sondern
eher einen nahezu algorithmischen Charakter
aufweisen. Dies beinhaltet das Neuanordnen von
Indexverhältnissen, das Herausstellen neuer
Bezüge, und ähnliche Aspekte, wie wir gesehen
haben.
Bei der Betrachtung von Massimo Cacciari
wurde deutlich, dass er einen Unterschied zwischen Projekt und Entwurf in der Architektur hervorhebt. Bei einem architektonischen Projekt, das
auch eine politische Dimension hat und nicht rein
ökonomisch motiviert ist, muss stets eine spezielle
Art von Bewusstsein der grossen Zusammenhänge
vorhanden sein. Cacciari beschreibt dies als “to feel
the pull of the throw.” Ein Projekt wird als etwas
verstanden, das in die Zukunft geworfen wird, ein
Entwurf hingegen ist dann stark, wenn er immer
den Bezug zu dem behält, wovon er sich absetzen
möchte. Dies erfordert eine quasi zeit-materielle
Art von Projektivität, um die Spannung auszuhalten; dies erachtet er als wesentlich.
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In der Auseinandersetzung mit Pier Vittorio
Aureli’s Ansätzen wurde uns die Konzeption der
“unilateralen Synthese” vorgestellt. Diese bezeichnet eine Form der Synthese, bei der eine Art Abspaltung oder Bifurkation stattfindet, ähnlich einer
Generationen Ordnung. Wenn ein Kind geboren
wird, trägt es zwar den genetischen Code materiell
weiter, bleibt jedoch dennoch entschieden autonom, “resolutely itself, autonomous.” Aureli greift
diese Denkfigur auf und versucht, das Verhältnis
von Stadt und Urbanismus auf dieser Grundlage
neu zu durchdenken: er führt dafür die Figur des
Archipels als “Meta-Form” ein.
Im Werk von Kengo Kuma wird deutlich, dass
er sich direkt mit dem Konzept des Nichts auseinandersetzt. Seine Vorstellung des Anti-Objekts
zielt darauf ab, die Architektur in den Hintergrund
treten zu lassen. Es ist jedoch wichtig zu verstehen,
dass seine Absicht, die Architektur “zum Verschwinden zu bringen,” nicht bedeutet, dass es
keine Architektur mehr geben soll. Vielmehr gründet diese Idee des “Verschwindens” selbst in einem
architektonischer (Denk)Akt. Dies kann nur durch
eine erneute Betrachtung der Mechanik als Kunst
und Vorstellungskraft verstanden werden. Ähnlich
wie bei einem Mechanismus spricht man seiner
Vorstellung nach nur dann von Architektur, wenn
man die Effekte die sie erzielt auch wieder gekonnt
hervorbringen und gekonnt rückgängig machen
kann. Ein Mechanismus impliziert stets die
Fähigkeit, etwas zu erzeugen und gleichzeitig
wieder zu neutralisieren. In diesem Sinne wird die
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Vorstellung der Negation plötzlich in einem stofflich-materiellen, mechanischen Sinn relevant.
Dabei geht es nicht darum, ob man zustimmt oder
ablehnt, ob man etwas überzeugend findet oder
nicht. Vielmehr geht es darum, mit Negation auf
eine Weise zu arbeiten, die sich materiell manifestiert und durch die Handlungen wieder an
Gewicht gewinnen.
In der Vorlesung zu Gilles Clément und
seinem Konzept des “Planetary Gardens” wurde
eine Vorstellung entwickelt, die sich nicht primär
auf Architektur, sondern vielmehr auf Landschaftsarchitektur bezieht. Clément schlägt vor, dass
anstelle der traditionellen Dichotomie von Stadt /
Urbanität und Landschaft die Vorstellung von Welt
als Bereich eines diskontinuierlichen, verteilten
und bei weitem nicht alles abdeckenden (im Sinn
wie die Ländergrenzen die ganze Welt “abdecken”
und aufteilen) planetarischen Gärtnerns entwickelt
werden sollte. Solches Gärtnern hat den Motor im
Städtischen, das (nicht auf Produktion ausgerichtet)
Versprechen der Ruhe und spiritueller Sammlung
solcher “Gärten” entsteht aus der Stadt heraus,
seiner Ansicht nach. Die Gärten sind sozusagen Absorptionsbereiche für intellektuelle Energie und
Stofflichkeit, die nicht verausgabt werden sollen (in
Ökonomische Produkte, Güter, gezielte Aktionen
und Aneignungen). Vielmehr sollen diese “Energien” einer neuartigen Kultur der Muße und der
Sorgfalt und Umsicht zuspielen. Diese Idee eines
planetarischen Gärtnerns grenzt sich ab von der
Symbolik der konventionellen Vorstellungen von
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Gärten, die mit paradiesischen Ideen assoziiert
werden und davon leben, dass sie die Grenzen des
abgeteilten und “frei gestellten” Bereichs eines
Gartens klar setzen und so dicht/geschlossen wie
möglich halten.
Ein Garten wird gemeinhin – auch bei
Clément – als ein Ort des Friedens betrachtet, an
dem man im Grunde genommen alles was man im
Speziellen weiss vergessen kann. Damit ergibt sich
auch eine andere Optik auf den Christlichen
Zusammenhang von Paradies und Wissen: der
Verzehr des Apfels durch Eva, und die damit einhergehenden Entwicklung von Neugier und Wissbegierde, wird spektral mit der Paradiesischen Unschuld und Unwissenheit als dem einen Pol, und
der Macht und Verantwortung von Wissen als den
anderen Pol gedacht. Clément’s Vorstellung folgt
der Idee, dass wir unser gesamtes Wissen als eine
Art Flora betrachten sollen: es handelt es sich dabei
um eine Vielzahl an Pflanzenarten aus der ganzen
Welt, die sich im Laufe der Zeit kontinuierlich
durch Migration vermischen, ohne klare genealogische Ordnungen oder Ableitungen, Ursprüngen
und Reinformen; Wissen als Fauna ergibt sich über
eine Art kreativer Evolution. Das dinglich werdende Wissen selbst wird hier als “Garten” betrachtet, der verteilt über die ganze Welt auf diskrete
Weise Zeit und Raumbezüge herstellt und bewahrt,
kultiviert und erkundet, immer wieder neu und im
Einklang mit so etwas wie globalem Klima und
Wetter.
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Der planetarische Garten umfasst somit viel mehr
als das, was üblicherweise als Globalisierung
beschrieben wird. Sie ist ähnlich wie die gut
etablierte Vorstellung, dass die Physik (als Wissen
von der Natur) die Natur zwar abstrakt wie auch
dinglich beschreibt, dass aber die Natur selbst
notwendigerweise nicht als “Ganzes” erfasst ist im
jeweiligen Stand des Wissens, welchen die Physik
als Lehre von der Natur umfasst. Der globale Bereich des planetarischen Gärterns – als Bereiche von
weltweiten und coexitierenden Wissenskulturen –
ist wie die von der Physik “beherbergte Natur” im
Bild oben, während die Architektur, um im obigen
Bild zu bleiben, wie die Physik ist. Architektur ist
Landschaftsarchitektur, deren Motor und Motive
das Städtische ist – so würde ich es auf den Punkt
bringen.
Metaphysi(kali)sche Gesten:
Architektur domestiziert die Technik
Wenn man auf diese Weise über Negation reflektiert, so zeigen sich “Gesten” im Denken – eine
Geste hat etwas unmittelbares und körperliches, es
ist weder ganz in Kontrolle von Sprache oder Bewusstsein noch ist es in irgendeinem Sinn ursprünglich oder rein; wörtlich heisst eine Geste laut
etymonline.com “a manner of carrying the body,”
vom Mittelalterlichen Latein gestura “bearing, behavior, mode of action,” vom Lateinischen gestus
“gesture, carriage, posture”.
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1991
Zum Buch, Klappentext:
Gesten als Ausdruck einer Freiheit zu entziffern - das versucht so wohl die Phänomenologie wie auch die Geschichtsphilosophie. Doch
geht die Geschichtsphilosophie davon aus, daß
sich die Freiheit in der Zeit ereignet, und zwar
in einer ganz spezifischen Zeit: der linearen.
Erst auf dem Boden dieser Hypothese verschafft sie sich Zugang zu einem Phänomen
wie der Geste. Die Phänomenologie dagegen
versucht, so voraussetzungslos wie möglich
vorzugehen. Sie nimmt ihren Ausgang von der
konkreten einzelnen Geste. Und genau dies ist
Flusser’s Verfahren, das, was sich in Gesten
bekundet und zeigt, ohne historische oder
ideologische Vor-Urteile »aufzuschließen«:
strikte Arbeit an den Phänomenen.
In den einzelnen Vorlesungseinheiten habe ich versucht, Ihnen diese Gesten quasi als Denk-Figuren in
Aktion vorzuführen, damit Sie sie etwas kennenlernen können. Dabei ging es weniger darum, eine Art
System aus den verschiedenen Architekturtheoretikern zu bilden, sondern darum zu verdeutlichen, dass sie sich alle mit dieser Dimension der
Negation, des Nichts und der immensen Macht, die
wir uns durch die moderne Wissenschaft und
Technik angeeignet haben, auseinandersetzen.
Es ist möglicherweise wichtig, hier speziell zu
betonen, dass in diesem Verständnis nicht nur die
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Technik der Architektur Möglichkeiten bereitstellen soll (wie es heute geläufigerweise erwartet
wird) – sondern dass auch in gegenlaufender Richtung die Architektur die Technik eigentlich “zähmen” soll, nämlich domestizieren. Oft wird
angenommen, dass Technik für die Architektur nur
interessant sei, insofern sie dem Architekten dabei
hilft, etwas präziser, einfacher, schneller oder
kostengünstiger zu gestalten. Gegen dieses ebenso
arrogante wie konsumierende Verständnis spricht
sich diese Vorlesung insgesamt aus. Hier wird eine
grundlegend andere Verbindung zwischen Technik
und Architektur diskutiert. Es geht um eine
Beziehung, in der die Architektur – wie jede kulturelle Praxis – dazu beiträgt, das neue Vermögen,
welches die Technik jeweils freisetzt, aktiv kennenzulernen und domestizierend zu gestalten. Solch
neue “Potenziale,” die von der Technik immer
wieder frei gesetzt werden, erstrecken sich nicht
nur wie gegenwärtig auf die Elektrizität und die
Atomphysik; ebenso war auch die Industrialisierung durch die Thermodynamik “in Bewegung
bebracht”, oder in der Renaissance und Barock
waren es vorallem die neue Notation der Algebra in
der Mathematik, und der Optik, die auf ähnliche
Weise transformative Kräfte entfaltetet haben, die
nicht vorhersehbar waren und alles veränderten.
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Bernhard Siegert
Brinkmann & Bosse, 2003
Passagen des Digitalen. Zeichenpraktiken der
neuzeitlichen Wissenschaften 1500-1900
Die Architektur selbst hat sich
im Laufe der Jahrhunderte auf
abstrakte Weise, aber kontinuierlich, mit solchen Neuerungen auseinandergesetzt;
warum sollte dies heute anders
sein als früher? Dabei kommt
das ins Spiel, was wir hier
meta-physi(kali)sche
(Denk)Gesten nennen – kurz:
metaphysische Gesten.
Gemeint damit ist ein Umgang-bezogenes
Verhalten, das gewissermaßen Annahmen über Voraussetzungen trifft, die nicht eindeutig entscheidbar sind, ähnlich wie die Frage nach dem Huhn
oder dem Ei. Die Wahl der Optionen macht einen
Unterschied und beeinflusst die Art und Weise, wie
die Welt betrachtet wird. Es ist daher weil jenseits
der Anliegen des sogenannten “linguistic turn” des
zwanzigsten Jahrhunderts interessant, wieder zu
lernen, auf diese Weise “abstrakt-dinglich”
sprechen, lesen und schreiben zu lernen. Es geht
jetzt um eine literacy im Codieren.
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Atomzeit und atomische Zeit –
Gravity and Grace / Schwerkraft und Gnade (Simone Weil)
Lassen Sie uns nun spezifischer auf die Atomzeit
eingehen. Das Buch, mit dem wir uns befassen
werden, stammt von einem Architekten namens
Lars Spuybroek. Sein Buch trägt denselben Titel
wie ein sehr bekanntes Werk einer Philosophin aus
dem frühen 20. Jahrhundert, Simone Weil, nämlich
Gravity and Grace (veröffentlicht 1952, geschrieben
vor und während dem zweiten Weltkrieg). Weil verfolgt in ihrem Werk die Bedeutung der Gravität
und im übertragenen Sinn das Gewicht der Dinge,
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das seit Newtons Physik als vereinigende physikalische Kraft angesehen wird.
Also, die Gravität ist so etwas wie ein Prinzip,
das heisst, es geht beim Gewicht der Dinge nicht
wirklich um deren Eigenschaften der vereinzelte
Dinge. Gewicht ist auch immer etwas universelles.
Es ist nicht nur so, dass die materiellen Dinge
Gewicht haben (ausser in einem künstlich
erzeugten Vakuum). Sondern der Grund, sozusagen, warum die Dinge Gewicht haben, as ist was
man Gravität nennt. Die Gravität steht mit Masse in
Verbindung, und Maße steht wieder-um mit Licht
in Verbindung. Verrückter Weise hat eine Sonne in
einer Galaxie gleichzeitig das größte Gewicht in
diesem Sinn, und sie ist ein reiner Lichtkörper! In
einer Sonne vollziehen sich Kernfusionsprozesse,
die Maße binden; über die Strahlung der Sonne verausgabt sie buchstäblich, was sie ständig sammelt
und bindet: eine Sendung im Magazin Alpha auf
ARD formuliert es wie folgt:
Pro Sekunde fusionieren in ihrem Inneren rund 600
Millionen Tonnen Wasserstoff zu 596 Millionen
Tonnen Helium. Das geht schon seit rund 4,6 Milliarden Jahren so. Dieser Massenunterschied von 4
Millionen Tonnen pro Sekunde sorgt dafür, dass unsere Sonne scheint, denn er wird als Energie freigesetzt.
(Quelle: https://www.ardalpha.de/wissen/umwelt/
nachhaltigkeit/kernfusion-fusion-sonne-energiekraftwerk-102.html).
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Die Vorstellung eines Zusammenhangs zwischen
Licht und Schwere beschäftigt Simone Weil. Sie
macht dazu eine ethische Annahme: Weil geht davon
aus, dass “Grace,” also Anmut, Gnade oder wie ich es
übersetzen würde: Dankbarkeit, auch Eleganz und
Schönheit, wie wir gleich sehen werden, genauso
universell existiert wie die Gravität.
Diese Eigenschaften werden als spirituell
oder eben auch metaphys(ikal)isch als Lichtkörperlich betrachtet, also als körperlich und quasigestisch, aber auch als ebenso universell. Daher ist
“Grace” nicht nur eine Eigenschaft, die man besitzen kann anstelle von Gravity, sondern die Polarität von beidem wird gebunden in moralischen
Werten – eine Art ethischer Kernfusion. Grace and
Gravity bilden eine Art Denk-Reaktor: Einerseits
steht Grace für etwas Erhebendes und Erbauendes
(als Lichtkörperlich), andererseits für das gegenstrebige davon, das Drückende und Schwere, die
Gravität.
Die Vorstellung besteht darin, dass hier eine
Art Balance etabliert wird, eine Skala oder ähnliches, auf der man lernen kann, auf beiden Polen in
gewisser Weise zu jonglieren. Dieses Jonglieren
steht in Zusammenhang mit dem, was Simone Weil
als Kunst bezeichnet. Kunst ist natürlich mit
Kreativität verbunden. Jedoch setzt Weil der
Kreativität – die im Wesentlichen das Erschaffen
von Neuem bedeutet – eine Art Negation entgegen: sie spricht von “Creation” und “Decreation.”
Dies führt zu einem völlig anderen Blickwinkel auf
Mathematik und Technik: diesen anderen Blick
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wollen wir als “atomic time” bezeichnen und von
“Atomzeit” unterscheiden – in der “atomic time”, in
der atomischen Zeit, wird das “Atom” vom Partikel
und substantiellen Teilchen zum qualifizierenden
Adjektiv: hier stehen Technik und Mathematik
nicht automatisch in einer (oder auch mehreren)
Linie des Fortschritts zusammen; die gegenläufige
Richtung ist jetzt mit im Spiel.
Das Eröffnen dieses Blickes, genau das ist das
Interessante und Schöne an Simone Weil’s Buch.
Bevor wir zu Lars Spuybroek, kommen, der sein
eigenes Buch Grace and Gravity, Architectures of
the Figure ganz nahe mit demjenigen von Weil verbunden wissen möchte, lassen Sie uns diesen
“Blickwinkel” auf das Verhältnis von Mathematik
und Technik etwas studieren.
Decreation
Dieses “positive Negativ-Vermögen”, welches Simone Weil Decreation nennt, beschreibt sie so: “Decreation: to make something created pass into the uncreated…”. Aber dennoch ist “Decreation” nicht etwa
das Gleiche wie “destruction” (oder sogar “deconstruction”); für Weil heisst “Destruction”: “to make
something created pass into nothingness. A blameworthy
substitute for decreation.”
Also, die Unterscheidung zwischen Decreation
und Destruction zielt im Kern, ähnlich wie wir es
hier gesehen haben, darauf ab, einen Umgang mit
dem Nichts und mit der Negation zu entwickeln,
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der nicht den Nihilismus befürwortet, sondern versucht, diesem entgegenzuwirken.
Was bedeutet das konkret? Oder wie kann
man darüber nachdenken? Simone Weil wählt hier
eine naturphilosophische Weise, und das ist für uns
heute etwas fremd, aber umso spannender und
lehrreicher. Die Vorstellung von Gravität war für
die Physiker wie Newton selbst keineswegs rein ein
rein empirisches, physikalisches Phänomen.
Besonders für Newton, wie für Weil, war es spirituell konnotiert. Newton betrachtete die Gravität
metaphorisch als Haut Gottes, da sie allgegenwärtig
ist und das Gewicht der Dinge spürbar macht. Nur
durch sie konnten die physikalischen Zusammenhänge systematisch studiert werden. Man könnte
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sie als eine Art abstraktes “Membran” betrachten,
womit die Vorstellung von Gott einen eigenartigen
– einen naturphilosophischen – Körper erhält, so
Newtons Vorstellung.
In ähnlicher Weise argumentiert Weil nun,
auch ihr Ansatz zielt darauf ab, die Diskussion
dessen, was die Dinge im grossen Ganzen zusammenhält, in Richtung Physik statt Theologie zu
lenken. Sie sagt: “There exists a ‘deifugal’ force.
Otherwise all would be God.” Das ist die Konsequenz, die etwas nüchterne und direkte, und auch
furchtlose Konsequenz, die sie zieht. Eine andere
Formulierung aus ihrem Buch: “An imaginary divinity has been given to man so that he may strip
himself of it like Christ did of his real divinity.” Also,
es hat etwas mit Körper, mit Körperwerden, mit
endlicher Existenz zu tun.
Auf diesen Aspekt werden wir jetzt nicht
weiter eingehen. Ich möchte Ihnen dies als Hintergrundinformation für den Vorstellungsraum mitgeben, in dem Spuybroek denkt wenn er, in
gewisser Weise erneut, den beinahe skandalösen
oder zumindest sehr überraschenden Versuch unternimmt, sich mit der aktuellen Technik auseinanderzusetzen, insbesondere mit Automaten.
Denn wenn man in der Tradition der Mechanik
über diese Zusammenhänge nachdenkt – also
wenn man einfach mit der Hypothese arbeitet, dass
es ein Gegenprinzip zur Gravität geben müsse –
dann stellt sich die Frage: Was könnte dieses
Gegenprinzip sein? Für Weil ist es “Grace.” Mit dem
Hervorheben auf die “Denkmechanik” hierbei
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möchte ich diese Thematik keinesfalls trivialisieren; im Gegenteil, sie hat einen spielerischen
und menschlichen Zugang. Ähnlich verfährt Spuybroek, wenn er darauf hinweist, dass, wenn es in
der Physik solche Prinzipien gibt, wir dem Technischen auch in der Kunst eine gewisse Autonomie
zusprechen müssen. Seinen Ansatz halte ich für
wichtig und inspirierend heute weil er vormacht,
wie man neue Wege finden kann, um über das Verhältnis von Kunst und Technik zu sprechen. Jedoch
greife ich damit schon zu weit vor. Lassen wir das
vorerst so stehen.
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Gewicht als Messgrösse von Gravität:
was ist die Referenz dafür?
Was ich Ihnen noch zeigen möchte, ist eine Kuriosität, die jedoch eng mit allem zusammenhängt.
Es handelt sich um eine Art Neuigkeit, die ziemlich
viel Aufsehen erregt hat. Wiederum geht es geht
um die Gravität, darum wie ihre Kraft als Gewicht
gemessen wird: es geht um das Kilogramm.
Für jedes standardisierte Messen braucht es
eine Referenz: früher war das oft der menschliche
Körper, weil er für alle Menschen mehr oder
weniger gleich proportioniert ist – man nahm mass
in Ellen (Unterarm), Füssen (immer noch im AngloAmerikanischen Kulturraum), Fingerbreiten und
so weiter. Mit der Französischen Revolution im
achtzehnten Jahrhundert wurde eine globale Standardisierung etabliert, seit damals gibt es das heute
LARS SPUYBROEK
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noch sogenannte International Bureau for Weights
and Measures. Anstatt den menschlichen Körper als
unmittelbare Referenz für Masseinheiten zu verwenden, wurden globale Standards als Artefakte
gefertigt: so wie es für die Meterstäbe einen Prototypen als “Original” gibt, so gibt es auch für das
Kilogramm einen solchen Prototypen als “Original”.
Was Sie hier sehen, ist eine Kopie dieses Kilogramm-Prototypen. Und was jetzt jüngst
Schlagzeilen wie die obige gemacht hat, ist dass das
Kilogramm selbst (der Original Prototyp, wie auch
die Kopien davon) während der letzten 200 Jahren
oder so buchstäblich an Gewicht verliert.
Anders als die Schlagzeile suggeriert, ist das
natürlich nicht “mysteriös;” sondern das normale
und erwartbare Altern von Materie. Dennoch
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verdeutlicht die Geschichte, wie die die Zeit in der
Materialität selbst in gewisser Weise aktiv ist. Kommen
wir damit noch einmal auf
die rahmende Vorstellungen zurück, wie wir heute
über Zeit als etwas nachdenken, das Eigenheiten
vereinen soll in einer Weise
so dass einem fast schwindelig werden kann: Zeit soll
real, gleichzeitig, fortschreitend, anreicherbar sein,
die Metrik für ihr Zählen
und Ordnen (Kalender)
beziehen wir nicht mehr
aus den Sternkonstellationen und deren Rotationen,
sondern absolut: aus dem
Gewicht von Atomen, wobei das Atomgewicht buchstäblich das Alter des Universums indiziert (die chronometrisch-zeitliche
Distanz zum sogenannten Big Bang).
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Die empörte Form von Zeit
Wir haben bereits zahlreiche bedeutende Aspekte
der Atomzeit kennengelernt. Ehe wir uns nun
Spuybroek’s Buch zuwenden, möchte ich Ihnen
einen ästhetischen Zugang zu diesen Fragen
näherbringen – er bezieht den ästhetischen Begriff
des Sublimen, für das Erhabene, mit ein. Damit
eröffnet sich für diese Art von “Spekulation mittels
Mechanik und metaphysischen Gesten” eine
schöne Anschlussweise an den alten Begriff des
Sublimen, wie es die Rhetorik rund 100 Jahre nach
Vitruv, also im ersten Jahrhundert CE, eingeführt
hat.
Anne Carson
Decreation. Poetry - Essays - Opera (2005)
Auf diesen Zusammenhang
bin ich durch ein Buch
gestoßen, das ich Ihnen
nicht vorenthalten möchte.
Es stammt von einer zeitgenössischen Dichterin
namens Anne Carson. Carson greift den Begriff “Decreation” aus Simone Weil’s
Buch Grace and Gravity auf.
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Sie hat einen Band veröffentlicht, indem sich
Gedichte, Essays und “Opera” finden. Opera steht
hier nicht nur für eine Kunstform, sondern auch
für das Werk, oder das Gefertigte, als gattungsspezifisches (Genres) und geformtes. Eigentlich geht es
ihr in der Auseinandersetzung mit diesen Genres
oder Formaten darum, die “Decreation” als ästhetische, und metaphysische Geste künstlerisch –
in ihrem eigenen Werk – zu erkunden. Es ist ein
sehr beachtliches Buch.
In einer ihrer Episoden im Buch hat sie sich
mit dem Begriff des Erhabenen und des Sublimen
auseinandergesetzt. Dabei wird der Begriff nicht
auf die herkömmliche Weise betrachtet, wie wir ihn
üblicherweise in der Ästhetik seit dem Zeitalter der
Aufklärung und der Romantik verstehen, wo das
Erhabene dafür steht, wie gewaltig und eigentlich unfassbar Ästhetik unsere individuelle Gefühlsrealität
beeinflusst. Der Begriff des Erhabenen und des
Sublimen hat jedoch eine viel ältere Herkunft und
stammt aus der Rhetorik, genauer gesagt von
einem römischen Rhetoriker namens Longinus, de
im ersten Jahrhundert CE gelebt hat. Über diese
historische Dimension, insbesondere die
rhetorische Geschichte des Sublimen, möchte ich
Ihnen einige Gedanken präsentieren, die auf
faszinierende Weise mit den zeitkritischen und offenen Themen resonieren, mit denen wir uns hier
beschäftigen – wie Atomzeit, Gleichzeitigkeit, das
Nichts, die Negation und die Affirmationen als
metaphysische Gesten.
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Schauen wir zunächst das philologische Spektrum
des Begriffs an, wie es auf etymonline.com erfasst
ist:
Longinus hat einen Text
geschrieben, der übersetzt
wird mit On the Sublime – eine
Übersetzung des griechischen
hypsos. Wenn wir heute im etymologischen Wörterbuch
schauen, dann lesen wir etwa:
“the sublime is expressing
lofty ideals in an elevated
manner.” Wenn man jetzt, wie
Simone Weil das vorgemacht
hat, nach einem Gegenprinzip zur Gravität sucht,
eines das auch universell ist,
wie die Gravität, aber in
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gewisser Weise den anderen Pol manifestiert –
dann ist klar: es muss etwas dann muss das etwas
Erhebendes sein wie “Grace.” Es muss etwas
Luftiges sein, ein Gegenpol zum Drückenden,
Ziehenden, zum Gewicht. Und genau das finden
wir mit Anne Carson im “Sublimen”: “lofty ideas in
an elevated manner... or directly from latin sublimis
“uplifted, high, borne aloft, lofty, exalted, eminent,
distinguished,” possibly originally “sloping up to the
lintel,” from sub “up to” (see sub-) + limen “lintel,
threshold, sill” (see limit (n.)). Der Begriff des Sublimen hat auch mit “Status” und “Imposing” (engl.
für eindrucksvoll, gebietend) zu tun. Wenn wir uns
das Sublime so veranschaulichen, so finden wir in
diesem Begriff gewissermaßen eine nahezu materielle Form, könnte man sagen. Eine Form die uns
diese Grenze als so etwas wie einen dinglichen und
transportierbaren Horizont oder so etwas Ähnliches gibt – eine solche Form würde ich “die empörte
Form”, und den Umgang damit als “das Empören
von Form” bezeichnen.
Empörung und Entropie
als Wahrscheinlichkeitszustand
Ich bin nicht sicher, und es ist nicht einfach,
hierfür die Worte gut zu wählen. Aber es gibt einen
interessanten Doppelsinn bezüglich des Begriffs
der Empörung. Empörung wird heute oft als Geste
an sich zelebriert, indem man über alles mögliche
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“empört” ist; in diesem Fall dient die Empörung
fast schon als ein Mechanismus, um sich den schwerwiegenden Themen zu entziehen. Es gibt eine
Art, Empörung auf moralisierende Weise zu inszenieren, die dann nicht authentisch ist. Aber wenn
wir gewissermassen “a-moralisch” und als “Mechaniker” danach fragen, was wir eigentlich meinen mit
dem Begriff der Empörung , dann stellt sie sich als
einen mentalen Zustand das, in dem die Dinge
nicht festgelegt sind: Empört sind wir, wenn wir
nicht wissen, was gerade mit uns geschieht. Empört
sind wir, wenn wir nicht wissen, ob wir gleich wütend, traurig, glücklich oder etwas anderes sein
sollen. Empörung ist mit der Unbestimmtheit der
Faktoren verbunden, die einen Zustand ausmachen.
Daher kommt diese interessante Verbindung
zwischen Empörung und Entropie: Entropie bezeichnet ebenfalls einen Zustand, aber einen objektiven; nämlich einen wahrscheinlichkeitstheoretischen
Zustand. Entropie bezeichnet den Default oder
Ausgangs Zustand eines physikalischen Systems, in
dem alles gleich wahrscheinlich ist, in dem alles
gleich möglich ist. Mit der Informationstechnik
und der Digitalisierung ist Entropie eines der
wichtigsten Konzepte heute, um Phänomene zu
beschreiben.
Unsere Frage ist: kann Entropie, als Begriff
einer objektiven Subjektivität (so etwas wie die
Wahrscheinlichkeits-Mentalität eines physikalischen Systems) in Verbindung mit Empörung als
gegenpoligem Begriff, nämlich als Begriff einer sub-
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jektiven Objektivität, helfen, diese einen Umgang mit
Negation und mit dem Nichts zu finden, der den
Nihilismus zurückzuweisen vermag? Anders formuliert, kann das Begriffspaar Empörung und Entropie – ähnlich wie Gravität und Gnade/Anmut
bei Weil – operieren? Die folgenden Ausführungen
als Hinführung und Einstimmung auf die folgende
Besprechung des Buches von Spuybroek.
Wie beginnt man,
“anders” auf das Vertraute zu schauen?
Hier ist der Link zu einer Website, auf der Longinus
vorgestellt wird [https://www.poetryfoundation.org/articles/69397/from-on-the-sublime]. Sie
können dort über ihn lesen. Hier will ihn direkt zitieren. Er beginnt:
First of all, we must raise the question whether there
is such a thing as an Art of the sublime or lofty. Some
hold that those are entirely in error who would bring
such matters under the precepts of Art. A lofty tone,
says one, is innate, and does not come by teaching;
nature is the only Art that can compass it. Works of
nature are, they think, made worse and altogether
feebler when wizened by the rules of Art. But I maintain that this will be found to be otherwise if it be
observed that, while nature as a rule is free and independent in matters of passion and elevation, yet is
she wont not to act at random and utterly without
system. Further, nature is the original and vital underlying principles in all cases, but system can define
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limits and fitting seasons, and can also contribute the
safest rules for use and practice. Moreover, the expression of the sublime is more exposed to danger
when it goes its own way without the guidance of
knowledge, – when it is suffered to be unstable and
unballasted, – when it is left at the mercy of mere
momentum and ignorant audacity. It is true that it
often needs the spur, but it is also true that it often
needs the curb …
Mit diesen Worten eröffnet er seinen Text, in
welchem er das Werk von vielen verschiedenen
Dichtern auf diese bestimmte Qualität hin befragt,
die er “hysos” oder eben, “das Sublime”, das Erhabene nennt. Longinus führt mit seinem Buch
dieses Konzept in die Poetik und Rhetorik ein, das
kann man sich ein bisschen so vorstellen, wie wenn
im achtzehnten Jahrhundert mit der Thermodynamik plötzlich die “Temperatur” in die Physik
eingeführt wird: Die Temperatur war eine erste
universelle Eigenschaft in dem Sinn als dass es
nichts gibt was keine Temperatur hätte. So hatte
man vorher nicht gedacht, da waren die Eigenschaften der Dinge “elementar”, sie hatten Zustände
die sich aus der Mischung von Wasser, Erde, Feuer
und Luft ergab – die Dinge waren flüssig oder
gefroren, wolkig oder brennend, rauchend oder
flüchtig, und so weiter. Dieser Unterschied, den die
Temperatur als universelle (nicht elementare)
Eigenschaft bedeutet, hat die gesamte Weise
verändert, wie man die Natur der Dinge ermessen ,
befragt und beschrieben hat. Ähnlich ist es mit
diesem Begriff des Sublimen, nur dass es eine
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Eigenschaft ist die nicht von selbst den Texten
eigen wäre, sondern mit Kunstfertigkeit erzeugt
werden kann. “Can there be such a thing as an Art
of the Sublime or Lofty?” Diese Frage war fast schon
ketzerisch: In früheren Zeiten wurde die Fähigkeit,
fesselnd, überzeugend, berührend zu sprechen
nicht als individuelle Kompetenz angesehen. Sondern man glaubte, dass man selbst nur Medium ist
für etwas Göttliches, das sich in der Rede ausdrücken kann wenn man begabt ist. Zu behaupten, dass
es eine Technik oder Rhetorik – eine Kunst – geben
könnte, die den Umgang mit dem Erhabenen kultivieren könnte – es geht in der Ästhetik immer um
eine Art seelisches Berührtsein.
Ein kürzlich erschienenes Buch von Robert
Doran diskutiert, wie genau dieser Begriff der Erhabenheit stark polarisiert ist, weil er bei Longinus
eine Art von natürlicher Basis des Geistigen oder Spirituellen annimmt. Genau dies ist es, was Longinus
für unser naturphilosophisches Interesse so
fruchtbar macht. Die Fähigkeit, die Qualität des
Sublimen im Schreiben zu erreichen, hat natürliche
Quellen bei Longinus, in der Rhetorik. Sie macht
eine spezifische Objektivität dieser Ästhetik aus.Das heißt, es handelt sich um eine Ästhetik, die
nicht primär subjektiv ist und uns als Individuen
betrifft, sondern es wird eine Form von Intersubjektivität etabliert. Diese Intersubjektivität unterscheidet sich von direkten moralischen Vorstellungen (Urteilen wie dass etwas schön oder hässlich
sei, gut oder böse et cetera), da das Erhabene zwar
Werte voraussetzt, aber nicht festlegt. Deswegen
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auch der Vorschlag, von einer Empörung der Form
zu sprechen, wie oben erläutert.
Etwas provokant formuliert dreht sich die Thematik um eine Form von Rhetorik oder Poetik, die
den Einfallsreichtum in der literarischen Verarbeitung von Fakten zelebriert. Es ist herausfordernd zu behaupten, dass Fakten oder Dokumente jemals eine vollständig adäquate Darstellung
einer Situation bieten können. Daher lenke ich bewusst den Blick auf die ästhetische Dimension
dieser Thematik, anstatt auf eine rein pragmatische
oder alltägliche Betrachtungsweise zu setzen. Es
geht hier um eine Ästhetik, die einen Raum für Intensität schafft, welcher jedoch nicht überall gleichermaßen vorhanden ist. Es ist unmöglich, sich
den ganzen Tag auf diese Aspekte in gleichem
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Maße einzulassen. Manche Dinge müssen funktionieren, vorhersehbar sein und einem langfristigen Zweck dienen. Dennoch ist die Ästhetik ein
äußerst wichtiger Faktor für jede menschliche
Ethik. In diesem Kontext wird in der Ästhetik eine
Form von Einfallsreichtum gefeiert, die sich mit
Fakten auseinandersetzt. Es geht hier nicht um
eine spezifische Geschichte oder eine konkrete
Moral, sondern vielmehr darum, einfallsreich mit
den Gegebenheiten umzugehen, unabhängig von
ihrer konkreten Natur.
Besonders interessant ist dabei, dass diese
Ästhetik – sie ist weder ausschließlich eine Eigenschaft der Sprache, noch ist sie alleinig einer individuellen Persönlichkeit zuzuordnen. Denn das,
was diese Ästhetik beschreiben kann, sind
Phänomene, die mit Erfahrungen von “Ekstasis”
verbunden sind, also Situationen, in denen man
nicht vollständig bei sich selbst ist.
Es geht also um alle Aspekte, die mit dieser
Empörung einhergehen, einschließlich Gefühlen
der Überwältigung, der Ekstase, des Erstaunens,
der Überraschung und der Unbegreiflichkeit. All
diese Gefühle versetzen uns gewissermaßen
außerhalb unserer gewohnten “Verfassung,” sodass
wir quasi außer Kraft gesetzt werden. Diese Ästhetik bezieht sich auf Situationen, in denen wir
nicht wirklich wir selbst sind, sondern von den
Ereignissen überwältigt werden, die nicht nur uns,
sondern allen Menschen widerfahren können. In
diesem Zusammenhang wird eine Objektivität postuliert, die eine Form der Intersubjektivität
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beschreibt, die nicht bereits von Stereotypen
geprägt ist, sei es in Bezug auf Geschlecht, Menschlichkeit, Anthropozentrismus, Rassismus oder
andere Vorurteile. Hier geht es darum, dass man
nicht als individuelles Subjekt agiert, aber dennoch
innerlich davon berührt ist. Dies ist das
Faszinierende an dieser Thematik.
Eine Konsequenz davon ist eben auch:
“sublimity is principally a manifestation of the
mental qualities of the writer, not a property of language per se.” Dies bedeutet, dass dies auch der
Punkt ist, der bei Lars Spuybroek von großer Bedeutung ist. Es geht um Fähigkeiten und Handlungen. Diese Form der Ästhetik befasst sich nicht nur
mit der Frage, wie Phänomene beschrieben, bewahrt, verstanden und kommuniziert werden können, sondern auch damit, wie sie entstehen. Das ist
das architektonische an diesem Verständnis von Ästhetik.
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Es handelt sich hier um eine sowohl rhetorisch als
auch mechanisch Perspektive. Diese Perspektive ist
auch bei Spuybroek von Bedeutung im Kontext
seines Konzepts der “Grace Machine”, wie wir gleich
sehen werden. Der bezieht sich auf einen Umgang
mit Technik, während Technik im Grunde automatisch tut was sie tut. Allerdings ist die Art und
Weise, wie dieser automatische Prozess vonstatten
geht, nicht von selbst ersichtlich, sondern erfordert
ein gewisses Können um erkennbar zu sein. Diese
Ebene macht das Thema für uns heute interessant,
da wir uns mit Computern und Technologie in
Beziehung setzen möchten.
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Es gilt folglich, die Fähigkeit zu entwickeln, mit
solchen Transzendental-Erfahrungen umzugehen,
ohne sie jedoch in eine narrative Struktur zu zwängen. Es handelt nicht davon zu behaupten: “Mir ist
ein Text erschienen” oder “Ich habe eine religiöse
Geschichte erlebt von dem, was hier geschieht,”
sondern vielmehr darum, phänomenal einen Effekt
zu beschreiben, eine Erfahrung zu schildern. Dies
verleiht solchen ästhetischen Erlebnissen etwas
Universelles und auch Transhistorisches, nämlich
die Möglichkeit, sich quasi entsetzt oder empört –
also buchstäblich ein bisschen ausser sich – zu verweilen. Diese Herausforderung ist keineswegs trivial.
Sich wirklich mit Empörung auseinanderzusetzen, hat viel mit dem zu tun, was Cacciari
als “to feel the pull of the throw” bezeichnet, also
mit dem Gefühl des Nichtwissens über die genaue
Positionierung und dem Verbleiben in einer
beständigen Spannung. Dieses “in einer Spannung
bestehen bleiben” führt uns zur Figur, da eine Figur
wie eine Skulptur stets eine Haltung einnimmt, die
balanciert, die gehalten werden muss: eine Contrapposto. Sie muss also ein Gleichgewicht selbst balancieren, nicht weil sie belastet ist; sondern weil sie
unter Spannung steht. Dies ist das Interessante an
dieser Thematik.
Der Respekt ist eine Eigenschaft, die unabhängig von einem konkreten Ort und einer spezifischen Zeit existiert, was es ermöglicht, zwischen
dem wahren “Sublime” und einem falschen “Sublime” zu unterscheiden. Es ist wichtig, in der
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Rhetorik auch ein falsches “Sublime” im Spiel zu
haben, da Rhetorik natürlich manipulativ sein
kann. Rhetorik gibt die Möglichkeit, eine starke Intensität zu erzeugen, indem man weiß, was die
Menschen berührt und quasi solche Erfahrungen
vortäuscht, ohne dabei einer tatsächlichen Erfahrung Ausdruck zu verleihen. Ein solches Vorgehen würde als falsches “Sublime” gelten. Wenn ein
Text auf diese Weise falsch sublimiert ist, dann wird
er nicht zur Quelle für die Zukunft, er repräsentiert
nicht die Natur im eigentlichen Sinne. Es handelt
sich als “falsches” Erscheinen, weil keine transgenerische oder transhistorische Natur darin erscheint, die sich von selbst (automatisch) fortsetzt.
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Das Klassische
als transgenerisch und transhistorisches
“Automaton”
In vielen Positionen des 20. Jahrhunderts lag ein
starkes Augenmerk auf Strukturen, Grammatiken
und der Form, oder sogar schlicht auf dem Text
und dem Schreiben. Das Sublime bringt jedoch
eine Aktivität auf Seiten des Lesenden mit ein. Hierin liegt die Relevanz dieses Diskurses und des
rhetorischen Begriffs des Erhabenen für den Status
von Schriftlichkeit, Code, Programmierung und
ähnlichen Aspekten in der heutigen Zeit. Es ergibt
sich hierbei eine andere Perspektive auf das Klassische. Wenn wir uns an den Vortrag zu Eisenman
erinnern: hier wurde diskutiert, wie zwischen dem
klassischen Kanon und dem modernen Ansatz, der
sich davon absetzen will und alles anders machen
möchte, eine Kontinuität in der Haltung der Negation hergestellt werden kann, also wie “non-classical” versus “the classical” offen gelegt werden kann.
In dieser Vorstellung soll der Architekt autonom
sein, wie von Eisenman dargestellt. Hier mit Longinus’s Lehre des Erhabenen soll die phänomenale
Natur autonom sein.
Die beiden Diskurse unterscheiden sich sehr,
aber dennoch ähneln sie sich im Wesentlichen. Es
geht darum, wie Unterbrechung und Kontinuität in
zusammenspielen. Bei Longinus ist dieses Spiel
bereits in der Natur des Phänomens am Werk. Das
Erlebnis einer Krise oder das Verweilen im Em-
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pörung durch etwas Sublimes bedeutet, dass ein
Bruch in der Kontinuität besteht, obwohl das Erlebnis kontinuierlich weitergegeben werden kann,
selbst wenn jedes Verständnis davon quasi einen
architektonischen Schnitt darstellt. Diese Dynamik
verleiht den beschriebenen Dingen anhaltenden
Wert und Bedeutung. Dies ist die vermittelte Idee.
Was kann eine “Lehre”?
Keine Definitionen (wie bei Eisenman)
sondern das Nennen von Quellen
Wie lässt sich dieser Zustand erreichen? Wie
gelangt jemand dazu, auf diese Weise zu schreiben?
Wie lässt sich das theoretisieren? Dies ist von
großer Bedeutung. Eine Definition von Sublimität
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kann nicht gegeben werden. Dennoch ist es
möglich zu beschreiben, wie sie entsteht. Longinus
unterscheidet dabei die “Five most productive
sources of sublimity.”
Das ist erstens: “The first and most important
is the power [ability] to conceive great thoughts.” So,
große Gedanken denken. Große Zusammenhänge
denken. Es ist eine Fähigkeit. Darin kann man sich
üben. Das heißt noch nicht, dass man dann etwas
Sublimes sagen kann, aber man kann sich darin
üben. Zweitens “The second is strong and inspired
emotion.” Zwei Hauptquellen, große Gedanken und
starke Gefühle. Also, mit starken Gefühlen umgehen können und große Gedanken denken. Die zwei
Sachen gehören fast zusammen. Also, das eine geht
eigentlich nicht ohne das andere. Und das sind die
Hauptquellen von dieser Qualität, die er das “Sublime” nennt.
Die drei weiteren, so sagt er, das sind keine
natürlichen sondern technische Quellen. Die zwei
natürlichen Quellen, darin kann man sich zwar
üben, aber es ist auch Dispositionen. Dass oder ob
man starke Gefühle wahrnimmt oder grosse
Gedanken denken kann – das ist zu einem großen
Teil gegeben; aber das alleine ist nicht genug, so
oder so muss man sich üben darin. Talent oder Disposition. Aber die anderen drei Quellen – das sind
solche, die explizit technisch sind. Das heißt, die
man wirklich lernen kann. Und diese drei anderen
sind: “certain kinds of figures.” Schemen und Figuren denken. “These may be divided into figures of
though and figures of speech.” Denkfiguren und
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Redewendungen oder Redefiguren. Dann weiters:
das was Longinus “die phrasis” nennt, “the noble
diction.” Dazu sagt er: “This has as subdivisions
choice of words and the use of metaphorical and
coined words.” Hier ist das Poetische ganz wichtig,
welches Vokabular man verwendet, welche Emotionalität damit erreicht werden kann. Das ist
vielleicht das Zentralste an der Rhetorik. Und weiters, ebenso eine technische Quelle: “And then finally, to round off the whole list, dignified and elevated words arrangement.” Die Komposition und die
Synthesis. Zum Beispiel, Libeskind macht mit
seinen “Chamber Works” eine Komposition, eine
Synthesis, die aber keinen Zusammenhang klärt
sondern nur ein Verweisspiel etabliert, also indiziert. Es geht darum, eine Darstellung zu schaffen,
die eine Synthese ist im Sinn von “Arrangement.” –
Arrangement, ein Kernbegriff in jedem Architekturverständnis.
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Kurzum: Aus dem Zusammenspiel der drei
technischen und die zwei natürlichen Quellen,
kann dieses Vermögen zustande kommen, das etwas Sublimes auszudrücken und zu verkörpern
vermag. Es kann zustande kommen, aber ohne
Garantie. Doran bringt es hier auf den Punkt: “One
does not, however, learn to have elevated thoughts;
it is not acquired through methodos (system of
method); one becomes the sort of person to whom
elevated thought and discourse come ‘naturally’.”
Wenn man sich in diesen Dingen übt, dann formt
das die Person. Es liegt nicht in einer Methode, die
einfach jede befolgen könnte, und dann würde es
auch passieren. Das ist die wiederum die ethische
Dimension solcher Ästhetik.
Phantasie und Methode
Ethik und Ästhetik bilden gewissermassen zwei
Pole eines Kugelkreises. Das Denken in großen
Zusammenhängen erfordert eine ausgeprägte Fantasie. Dies bedeutet nicht, dass man alles erfindet,
sondern dass man eine Spannung aufrechterhalten
kann, so dass einem Dinge buchstäblich (her)einfallen
können, ins Erfahren. Um diese Spannung aufrecht
zu erhalten, ist eine umfassende Vorstellungskraft
erforderlich. Man muss quasi in der Lage sein, eine
gewisse Unentschlossenheit auszuhalten. Es geht
darum, wie man in diesem Zustand der Unentschlossenheit eine Haltung einnehmen kann.
Um eine solche Haltung zu finden im Zustand der
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Empörung, der Unentschlossenheit, ist eine beträchtliche Fantasie erforderlich – ich stelle mir
immer vor, dass es ein bisschen so ist als ob wir
viele Bälle in der Luft jonglieren. Am Anfang absorbiert das Lernen alles, kapselt die Aufmerksamkeit ein; ab wenn man es kann, kann man alle
möglichen Zusammenhänge spielerisch erfahren.
Man kann Komplexitäten jonglieren. Fantasie ist
eng mit einem Vorstellungsraum verbunden, der
reich ist. Es müssen immer viel mehr Möglichkeiten
mitgedacht werden als diejenigen, auf die man sich
letztendlich einigen wird. Solche Vorstellungskraft
basiert nicht nur auf Exaktheit, sondern ziel auch
darauf ab, Ideen gewisserweise auszubrüten. Zu
großen Zusammenhängen kommt man, wenn man
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die Dinge gedeihen lässt, nicht wenn man allzu hygienisch Ordnung halten will.
Früher sprach man oft von Musen in diesem
Zusammenhang. Es ist nicht ratsam, alles sofort
entscheiden zu wollen, sondern man muss sich mit
etwas vertraut machen, es kennenlernen, eine
Beziehung dazu aufbauen. Es ist ähnlich wie beim
Erlernen neuer Wörter. Wenn Sie neue Wörter
kennenlernen, die Sie zuvor noch nie gehört haben,
kann das zunächst befremdlich wirken. Es ist aber
faszinierend, wie diese Wörter, sobald man sie
gehört habe, plötzlich überall auftauchen und oft
von anderen Menschen verwendet werden, ohne
dass man davon vorher Notiz genommen hätte.
Neue Wörter muten uns zu, den gesamte
Wortschatz über den wir verfügen neu zu überdenken – weil etwas Neues mit im Spiel ist das man
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vorher nicht benannt hatte. Das braucht Zeit und es
lässt sich nicht durch eine vollständig kontrollierte
Entscheidung erlangen.
Unpersönliche Privatheit
In diesem Sinne kann man sagen, dass die Rhetorik
des Sublimen immer schon “jenseits der Rhetorik”
ist. Die Rhetorik entfaltet sich oder manifestiert
sich im Grunde genommen in einem öffentlichen
Kontext. Die Rhetorik des Sublimen spielt jedoch
nicht hauptsächlich in der Öffentlichkeit, sondern
ist eigentlich etwas Privates. Aber es handelt sich
um eine eigenartige Art von Privatheit, die nicht
wirklich persönlich ist; das ist Interessante daran.
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Es ähnelt ein wenig den spirituellen Praktiken die
wir kennen, wie zum Beispiel das Gebet, die Meditation oder auch mystische Vorstellungen. Allerdings sind diese Praktiken innerhalb eines Sinngefüges verankert, sei es in einem Narrativ oder einer
Vorstellung von Göttlichkeit. Die Rhetorik des Sublimen befindet sich quasi am gleichen Ort, strebt
aber nicht primär als etwas Verbindendes (wie man
es für die Religionen vielleicht sagen kann), sondern invers dazu, als eines Fortstrebens.
Mimesis: Modell und Präsenz
Das Interessante dabei ist, dass es einen indirekten
Diskurs zwischen Präsenz und Repräsentation ermöglicht. Das bedeutet, es ermöglicht einen anderen Bezug zum Modell. Was heisst es, ein Modell
als Vorbild zu nehmen? Man will es imitieren, aber
in der Weise, wie es entstanden ist. In seiner unpersönlich privaten Architektonik.
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Es handelt sich um einen Modellbegriff, der in
einem performativen und ebenso natürlich wie
sozialen Kontext auftritt, vorallem in künstlerischen Aktivitäten. Wenn jemand in der Musik
eine Partitur spielt, inwiefern kann man diese Partitur dann als Modell verstehen? Es ist eine Art
Vorbild, das die “Wahrheit eines Stückes” bewahrt,
aber gleichzeitig zeigt sie es nicht, sondern verlangt
dass es aufgeführt, dass es dargestellt wird. Dies
hängt stark mit der Rolle von Mimesis für Lernprozesse im Allgemeinen zusammen.
Das Interessante ist, dass darüber die Mimesis mit
Eifersucht, “jealousy” oder Griechisch: Zelosis ins
Verbindung gebracht ist. Wenn die Merkmale und
Eigenschaften nicht in eine unpersönliche Privatheit der Dingen gehören, dann ergibt sich da-
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raus eine andere Art Ökonomie von Aufmerksamkeit,
kann man sagen.
Intersubjektivität im unpersönlich-Privaten
Es ist bedeutend, dass das Modell in diesem Sinn
eine Art Intersubjektivität etabliert, die nicht persönlich ist, sondern eine Unpersönlichkeit
aufweist, die dennoch unterschiedlich spezifisch
sein kann. Wenn man ein Kunstwerk oder einen
Text, dem diese Qualität (des Sublimen)
zugeschrieben wird, würdigt, und sich damit auseinandersetzt, entsteht eine Form von Intersubjektivität, die vielfältig gestaltet sein kann.
LARS SPUYBROEK
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Dies ist auch interessant, da es in das Verhältnis von
Autor und Leser eingreift, auf eine Weise, in der
weder der Autor das Modell bestimmt, noch der
Leser das Modell bestimmt. Das Verhältnis, wie der
Leser das Werk des Autors liest und interpretiert,
während der Autor gleichzeitig die Projektionen
des Lesers erkennt, ermöglicht die fortlaufende Entwicklung dieses Modells, und führt zu dessen kollaborativer Ausgestaltung und Figuration.
Schließlich lässt sich das Ganze auf eine einfache
Formel bringen. Die verschiedenen Techniken dienen dem Erlernen dieses Prinzips, jedoch geht es
im Kern darum, dass Worte großartig werden, wenn
die Gedanken gewichtig sind. Somit sind wir wieder
beim Thema Gewicht, oder beim Nihilismus. Be-
LARS SPUYBROEK
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deutung hat, was Gewicht hat – und was einen
kunsftertigen Umgang fordert, weil es sich nicht direkt in dieser Bedeutung anbietet. Das Luftige, Erhebende, Empörende des
Sublimen ist eine Art Fulcrum – ein Dreh- und Angelpunkt – für eine
Mechanik von Grace and
G ra v i t y . D i e s i s t e i n
entscheidender Gedanke,
der nun, und damit
komme ich zu Lars Spuybroek, von ihm aufgegriffen wird. Womit man sich
beschäftigt, muss eine Bedeutung haben, die nicht
selbst gemacht ist. Dafür
muss sich das “Worum es
geht” quasi im Kreis bewegen. Es muss uns fremd
sein. Aus diesem Kreislauf
finden wir einen anderen
Bezug zu Automatismen,
zur Technik, zur Schönheit
und zur Bedeutsamkeit.
Spuybroeks Buch trägt den Titel Grace and Gravity,
mit dem Untertitel Architectures of the Figure. Mit
diesem Hintergrund können wir verstehen, dass es
ihm nicht darum geht, dass die Architektur Plastik
werden soll, Skulptur werden soll. Es geht nicht
mehr um den Diskurs, dass alle künstlerische Architektur im Grunde Skulptur sei, sondern im
LARS SPUYBROEK
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Gegenteil. Sein Anliegen ist es, dass die Architektur
figurativ ist, wenn sie in der Lage ist, Erfahrungen
aufscheinen zu lassen. Dabei geht es nicht darum,
Erfahrungen zu manifestieren oder phänomenologische Phänomene zu produzieren, sondern tatsächlich die Phänomene zu erschaffen.
In Longinus’ Theorie des Sublimen geht es
nicht darum, zu klassifizieren, was als sublim betrachtet werden kann und in welchem Maße etwas
sublim sein soll. Es geht um das Schaffen von
solchen Erfahrungen. Ähnlich verhält es sich bei
Spuybroek. Das Figurative ist hier nicht repräsentativ gedacht. Ein Haus soll keine Figur darstellen
oder repräsentieren, sondern es wird als figurativ
betrachtet, wenn es in der Lage ist, eine Erfahrung
hervorzubringen, die bisher nicht erwartet wurde
oder möglicherweise noch nicht existiert hat.
Deshalb spricht er auch von einer “Grace
Machine.” Ähnlich wie im Strukturalismus und im
Poststrukturalismus ist auch bei ihm eine neue
Aufmerksamkeit auf die Mechanik von Interesse.
Und zwar deswegen, weil sie von der Intention
eines Einzelnen abstrahieren kann, ohne die aktive
Rolle des einzelnen damit müssig zu machen, ohne
sie auszuradieren oder ihr jedes Gewicht abzusprechen. Wenn Libeskind einen mechanischen
Umgang mit abstrakten Formen in seinen Plänen
vereint oder wenn Eisenman ähnliche grammatische Übungen mit den Grundrissen und der Planung eines Hauses durchführt, ist dies wichtig, weil
sich aus den mechanischen Strukturen etwas
ergeben kann. Es geht nicht darum, “ich, der etwas
LARS SPUYBROEK
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sagt,” sondern darum, “ich gehe mit den Dingen so
um, dass sich daraus etwas zeigen kann.” Dies ist
auch das Anliegen von Spuybroek.
Eine Physik des Phänomenalen
So mit den Dingen umzugehen lernen, dass sich
daraus etwas wie von selbst zeigen kann – das ist
auch die Verbindung zu dem, was wir als Atomzeit
und als “atomische Zeit” (Atomic Time) herstellt
haben. Beim Umgang mit den Dingen durch Form
geht es nur um Worte, sondern auch um Körperlichkeit der abstrakten Vorstellungen. Man könnte
vielleicht sogar von einer Art Rhetorik des Sublimen
als Meta-Physik sprechen. Denn wie lässt sich über
das Schaffen von Phänomenen, von Erscheinungen,
architektonisch nachdenken? Mechanik braucht
Geometrie, Formen und Elemente. Für eine solche
Rhetorik ist es zentral dass Licht in seiner Stofflichkeit begriffen wird. Spuybroek spricht von
Licht, das “radiant” ist, also nicht nur (passiv)
scheint, sondern (aktiv) strahlt. Er betont, dass es
darum geht, “the site of appearances” zu gestalten,
also Orte des Erscheinens. Figurative Architektur
artikuliert somit, stofflich, “sites of appearances”
ähnlich einem “Screen”, einem Bildschirm der aktiv
strahlt und stark mit der Quantenphysik und dem
heutigen Verständnis von Licht, Sonne, Elektrodynamik und ähnlichen Konzepten verknüpft ist.
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In diesem Artikel leitet Spuybroek die Geschichte
dieses Lichtbegriffs und dieser Optik her. Diese
Vorstellung bricht mit der kunsthistorischen Idee
von Perspektive als einem subjektiven Gesichtspunkt, der irgendwie zur individuellen Innerlichkeit eines Einzelnen gehört. Im Gegensatz dazu
ist das Anliegen eines solchen Licht-Physik, eines
solchen Erscheinungs-Materialismus, immer objektiv und real (nicht subjektiv und individuell). Es
geht darum, dass ein solches unpersönliches Empörtsein geteilt werden kann, dass es objektiv sein
kann, ohne in isolierten Kapseln zu verbleiben, in
denen die eigene Innerlichkeit unüberwindbar
weit von der anderer entfernt ist. Dies ist von
wesentlicher Bedeutung. Es dreht sich nicht um
Perspektive oder Darstellungstechnik, sondern um
LARS SPUYBROEK
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die Physik des Lichts und seine Natur, die sowohl
aktiv als auch passiv ist, sowohl reflektierend als
auch strahlend. Sie können diesen Text einfach im
Internet finden. In meiner Architekturtheorievorlesung 1 im Wintersemester habe ich zwei Episoden über Optik und Perspektive, in denen es auch
um eine solche Stofflichkeit von Licht geht.
Lars Spuybroek’s Buch
Uns geht es aber jetzt um Spuybroek‘s Buch. Lars
Spuybroek war und ist eine Weg weisende Figur in
der gegenwärtigen Architekturtheorie, vorallem
auch weil er mit Computern an der Schnittstelle
zwischen Kunst und Architektur arbeitet und wissen will, was die Digitalisierung für die Architekturpraxis in einem architektonischen, einem theoretischen Sinn bedeuten kann. Er hat ein Büro in
den Niederlanden, NOX Architecture, und lehrt
darüber hinaus Architektur an der Georgia Tech
Universität in den USA. Während sich der Diskurs
um Computer und Architektur der 90er und
2000er Jahre weitgehend etwas tot gelaufen hat
(wenige oder keine überraschenden und luftigen
Einfälle mehr zeigt, sondern zunehmend pragmatisch geworden ist oder moralisierende journalistische Meinungsbildung betreibt) hat Spuybroek
keine Angst vor einem neuartigen Umgang mit
Metaphysik und spirituellen Themen. Ich kenne
kein vergleichbares Buch heute. Es erscheint wirk-
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lich wie aus einer anderen Welt in der heutigen Architekturtheorie Diskurslandschaft.
Betrachten wir zunächst das Inhaltsverzeichnis. Das zentrale Kapitel ist “The Grace Machine –
Of the Figure and the Gap”. Bereits hier wird deutlich, um welchen Zusammenhang es geht. Ich
möchte Ihnen empfehlen, den Rahmen des Computus oder der Kalenderzeit oder des Arrangements
von Zeiten, von dem wir zu Beginn gesprochen
haben, stets im Hinterkopf zu behalten, wenn wir
jetzt über die “Grace Machine” sprechen.
LARS SPUYBROEK
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Es geht dabei um “Grace and Figure, Grace and
Gift.” Erinnern wir uns an das Diffiziele beim Übersetzen von Grace – es kann als Gnade aber auch als
Anmut oder gar als Dankbarkeit ins Deutsche übersetzt werden. Also, es geht um “Grace” und Figur,
“Grace” und Geschenk. Auch die Gewohnheit und
das Spiel sind hierbei relevante Aspekte. Es geht
immer um etwas Zyklisches, und das ist – überraschenderweise – auch der Ursprung des Begriffs
“Figur”.
Die Figur
Die Figur in der Rhetorik sowie in der Plastik steht
in Zusammenhang mit dem Zyklischen. Es ist nicht
belanglos oder zufällig, dass Figuren im Denken
und in der Sprache als “Tropen” bezeichnet werden: Ähnlich den geographischen Tropen, die sich
um den Äquator befinden und ein relativ homogenes Klima aufweisen, sind auch Figuren tropisch
in dem Sinn, als dass sie sich um eine Art Äquator
drehen: eine Figur im Denken und in der Sprache
zeichnet sich durch Wendigkeit und Wendbarkeit
LARS SPUYBROEK
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aus. Sie gestalten sich aus einer kontinuierlichen
Bewegung heraus, immer wieder gleich und dennoch etwas anders. Figuren bleiben stets, in jeder
Herausgestaltung, abhängig davon, wo sie erscheinen: the consist in the use of a phrase other than that
which is proper to it”, wie etymonline.com sagt.
Weiterhin unterscheidet Spuybroek zwischen
“Foot Space and Hand Space.” Er argumentiert, dass
Lebewesen ohne Hände in einer anderen Welt
leben. Obwohl es sich um dieselbe Welt handelt,
wird sie von diesen Lebewesen nicht nur anders
wahrgenommen, sondern ist objektiv für sie anders. Er verallgemeinert die Rolle des Körpers figurativ.
Ich werde mich in den folgenden Ausführungen
hauptsächlich auf das erste Kapitel und auf das
Vorwort konzentrieren.
Spektrale Architektur
Es handelt sich um das Verhältnis von Mimesis und
Physis sowie um Ornamente, wobei ein besonderer
Schwerpunkt auf dem liegt, was der Autor als
“spektrale Architektur” bezeichnet. Dabei wird
wiederum Bezug genommen auf die Atomzeit,
Atomphysik und Quantenphysik. Wir haben es hier
stets mit Spektren zu tun und mit “Screens,” auf
denen diese Spektren zur Erscheinung gebracht
werden können. Der Autor betrachtet diese Thematik materialistisch, insbesondere die Stofflichkeit des Lichts, und entwickelt eine Art Physik
des Computierens. Dabei ist das Können ähnlich
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konstitutiv wie bei Longinus das Dichten: Es
entsteht eine Art Zusammenspiel zwischen Mensch
und Maschine, in dem es auch um Automaten und ,
wie er sagt, Thaumata geht, auch um Pain and Sweetness. Allerdings werde ich relativ rasch durch diese
Präsentation gehen, denn mein Ziel kann es hier
nur sein, Ihr Interesse etwas zu wecken. Ich kann
Ihnen einige Ideen aus diesem Buch vermitteln
und Ihnen Kontext dazu geben. Das Buch ist jedoch
so reichhaltig und gut gemacht (im rhetorischen
Sinn von “gut gemacht”), dass es mir jetzt nicht
darum geht, Ihnen eine Quintessenz zu präsentieren. Gerade in diesem Buch lassen sich Form
und Inhalt wirklich nicht separieren voneinander.
Genau dadurch ermöglicht es eine Erfahrung mit
Technik, auch mit Computertechnik, die an eine
alte Tiefenstruktur anschliesst, die genuin architektonisch ist und zu der wir aber, mit der Entwicklung der industriellen Technik seit rund 200
Jahren, den Bezug verloren haben.
Chasms –
Die Künste und das Polytechnikum
Ich habe einige Zitate ausgewählt, um bestimmte
Punkte hervorzuheben, die sowohl für das architektonische Selbstverständnis als auch für
Spuybroek’s spezifische Denkweise von Bedeutung
sind. Die Frage, wie ein Architekt dazu gelangt, architektonisch zu denken oder sich zu verhalten, ist
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dabei von großer Relevanz. Spuybroek sieht einen
Bruch zwischen Kunst und Technik, der mit der
Aufklärung und der Industrialisierung einherging,
und bemüht sich, diesen zu überwinden – eine Bestrebung, die viele Menschen heutzutage teilen.
Jedoch geht es ihm nicht darum, eines über das andere vorherrschen zu lassen. Vielmehr interessiert
ihn das Verhältnis zwischen “Appearances and
Workings” – also wie Phänomene entstehen (workings) und wie sie in Erscheinung treten (appearances). Er schreibt dazu:
… the split is merely a symptom of a far more fundamental chasm between appearances and workings,
where appearances are interpreted as if they are Text
and can be read as if they are information, and where
workings are nothing but blind interactions between
forces and matter. In that regard, Art, Art history, Art
theory, and philosophy suffer as much under the
chasm as engineering and design.
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Das ist auch wieder jenes Kernanliegen, das sich
heute oft als neuen Materialismus bezeichnet. Also,
es geht um eine Art Eigen-Aktivität von Material.
Materielle Prozesse sind nicht einfach als blinde Interaktionen zu denken, die “workings” hinter dem
was in Erscheinung tritt sind nicht einfach „blind
interactions between forces and matter,“ sondern es
ist komplexer. Dieses Verhältnis ist wichtig, es fasst
in gewisser Weise eine exakte Umschreibung von
dem, was wir hier “die Atomzeit” nennen. Atomzeit
unterscheidet sich von der “atomischen” Zeit darin,
dass in ihr diese “workings” als blinde Interaktionen gefasst werden – was nicht adäquat ist.
Spuybroek beschreibt dieses gespaltene Verhältnis
zwischen den Künsten und der Polytechnik so:
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We remain locked in – as in the syndrome – either
working at the dark reverse side of images and trying
to expand the realm of materiality and technics as
far as possible, or from the other side, to expand the
realm of appearances as deeply as possible into matter without ever being able to explain how things
work.
Wovon er hier spricht ist das bekannte Problem der
black boxes, das wir in vielen Anwendungen von
heutiger Computertechnik haben. Die Künstliche
Intelligenz ist dann am produktivsten, wenn wir
gar nicht im Detail verstehen wollen, wie sie arbeiten – wie sie zu ihren Lösungen kommen. Was aber
schlägt er vor, dass man tun kann?
Save the Appearances – Phenotechnik
and Philosophical Gymnastics
Sein konkretes Vorhaben, wie er erklärt, besteht
darin, die Erscheinungen zu “retten.” Dies steht im
Gegensatz zur üblichen Herangehensweise, bei der
es darum geht, die Erscheinungen zu bereinigen.
Für ihn ist es von höchster Bedeutung, die Dinge
und ihre Erscheinungen zu komplex vermischt zu
erachten. Er betont, dass dies keine polemische
Aussage sei. Vielmehr liegt seinem Ansatz eine
Physik (Optik) und eine Metaphysik der Stofflichkeit von Licht zugrunde.
Das heisst, es geht ihm nicht um eine
Phänomenologie im herkömmlichen Sinne, son-
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dern vielmehr um das Konzept einer Phenotechnologie, wie er sagt. Es ist nicht nur so, dass die Dinge
nur für uns phänomenologisch erscheinen würden,
so betont er, sondern die Dinge erscheinen (aktives
scheinen, to radiate) auch für sich selbst, ganz unabhängig davon, ob jemand sie wahrnimmt. Die
Phänotechnik sucht nun die “workings” zu lernen,
mimetisch wie oben besprochen, davon wie dieses
aktive er-scheinen der Dinge an sich (nicht für uns)
geschieht. Dies bedeutet, dass Erfahrung nicht rein
idealistisch und subjektivistisch betrachtet wird,
sondern das ist, was man in der Philosophie als realistisch meint. Um diese Ideen zu diskutieren, betont
er, braucht es Übung in einer Art philosophischen
Gymnastik.
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Auch das, das Sprechen von philosophischer Gymnastik, stellt keine Abwertung der Philosophie dar;
vielmehr drückt Spuybroek aus, dass er die Gesten
der Philosophie erlernen möchte, dass er seinen
Denkkörper schulen will, und nach Beweglichkeit
der Denkfiguren strebt. Sein Ziel ist es nicht, nach
der einen richtigen Haltung zu suchen und zu
streben, sondern Beweglichkeit zu entwickeln.
Dieses Verständnis von theoretischer Bildung
möchte ich Ihnen ans Herz legen. Die Vorlesungen
hier sind ebenfalls weitgehend darauf ausgerichtet.
Sie sollen die Gesten der Theoretiker erlernen –
nicht wie Sie sortieren, einordnen, ausgrenzen oder
behalten sollen. Theorie macht einen nicht sicher,
sondern frei.
Dualität als Verbindendes im Paradoxen,
nicht als Gegensätze
Nun geht es darum, beide Aspekte zu vermischen –
“thing and appearance must be confused”, so formuliert Spuybroek. und zwar deshalb, weil für ihn
in diesen beiden Dingen (als Phänomene) Beweglichkeit und Stasis, Stille, enthalten sind. Die
Dinge sind geprägt von einer “Stillness” und gleichzeitig auch von einer “Motion”, “Motivik”, einer
Bewegtheit die “still gestellt” werden kann. Wir
können uns das als eine Art polares Modell denken,
das einen sphärischen Körper aufspannt – ähnlich
wie es der Nordpol und Südpol für ein Weltmodell
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tun. Damit wird das Modell für etwas Zyklisches
denkbar, wo im Grunde genommen alles, was darin
Platz findet, immer “etwas von beiden Polen
verkörpert” – an jedem Ort der Welt ist sozusagen
ein bisschen Südpoligkeit und ein bisschen Nordpoligkeit. Spuybroek schreibt:
When we draw a diagram that says “movement” on
one side and “stillness” on the other... with two semicircular arrows pointing in opposite directions to
show the continuous reversal of one into the other,
we should put the word “beauty” with the arrow that
points from stillness to movement, and “Grace” with
the other arrow. Both beauty and Grace are turns,
transformations, but in opposite directions that cannot be separated from one another: the shining of
the one is turned into the movement of the other,
and vice versa. In short, it works.
Üblicherweise wird Arbeit mit der Produktion von
etwas in Verbindung gebracht, mit einem klaren
Anfang und Ende – einem fertigen Produkt. Ein
Automatismus hingegen läuft einfach ab, er endet
auch nicht sondern wiederholt sich ständig. Bei
den “workings” von denen Spuybroek spricht, bei
seinem Arbeitsbegriff, sind beide Aspekte vermischt. In dem, was er Arbeit nennt, läuft eine
zirkuläre Transformation ab ein bisschen so wie die
Zeit unweigerlich fortschreitet, und es fallen
diskrete “Produkte” von diesem Transformationsprozess ab wie von der fortschreitenden Zeit
Minuten, Stunden, Tage, Jahre et cetera “abperlen”.
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Es ist eine Art Arbeit im Magma: ein Unterscheiden, ein Trennen, ein Verbinden, ein Durchdenken,
ein Durchkneten. Es perlen ständig Dinge ab, die
resolut sich selbst sind, und dennoch kann man
nicht davon sprechen, dass “die Arbeit” je ende, zu
einem Ende komme. Das bedeutet vorallem eines:
das Produkt selbst ist nicht das Ausschlaggebende,
nicht das ist, was diesen Arbeitsbegriff auszeichnet.
Das Interessante an der Vorstellungswelt die Spuybroek entwickelt ist, dass es diese beiden gegenstrebigen Bewegungen gibt: Einerseits das Schöne
und andererseits das Graziöse, das Begnadete wie er
es nennt (grace). Beide interagieren miteinander
und bilden einander gegenüberliegende Pole.
Durch die Optik ihrer “Gegenpoligkeit” kann man
in den Blick nehmen, wie Erscheinungen an und in
und mit den Dingen entstehen: nicht als
Geschichte, als Bericht dessen, was geschehen ist;
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sondern als Mechanik: es geht darum, wie Erscheinungen “gemacht” werden.
Die Grace Machine
Hier haben wir einige Formulierungen, die das auf
den Punkt bringen:
Grace is enabling but not assured; it depends on automatism yet is not automatic. The definition of
Grace as a movement that we cannot truly locate –
since we cannot say if we are moving or being moved
– links directly to the meaning of habit and inhabitation. The word “habit” shares its etymological roots
with “able,” and inhabitation likewise with “enable,” a
distinction that resolutely structures the whole book.
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Es geht um das Spannungsfeld zwischen “Inhabitation,” etwas bewohnen, etwas zum Eigenen
machen, und dem was eine “Gewohnheit” darstellt.
An diesem Spannungsverhältnis arbeitet diese Arbeit, das was Spuybroek “the workings” nennt. Es
geht darum, so kann man vielleicht am besten
sagen, “wie etwas passiert,” wie es von statten geht.
Und das nun benennt Spuybroek als “Grace Machine,” weil “Grace” nicht etwas ist, was wir uns
aneignen können, ohne dass es einem schon
“gegeben wäre” – ohne dass man eine Disposition
dafür hat. Spuybroek spricht hier von einer Art Existenz – in der Philosophie mein man mit Existenz
das Dasein, das Sein an einem Ort – dessen Orte
gewissermassen aus dem Räderwerk von Automatik abperlen. Automatisch steht dabei für das ,
was natürlich ist. Was sich aus dieser automatischen
Natur (wörtlich selbst-bewegte Natur, von auto(selbst) und -matos (animiert, beseelt, denkend)
herausgestaltet, ist was Spuybroek “figurate archi-
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tecture” nennt: “figurate architecture is not an architecture that itself takes on the qualities of the
figure, but rather lets figures appear.” Also, es geht
nicht darum zu sagen, Architektur soll Skulptur
werden.
Gnade/Anmut/Dankbarkeit ist absolut
im Sinn von ohne Bedingungen
Diese “Grace Machine” ist eine “paradoxical machinery,” so Spuybroek. Das Paradoxe ist von zentraler Bedeutung für das Verständnis dieser Haltung. Das Figurative bezieht sich hier auf eine Architektur, die Haltungen hervorruft.
Haltungen eröffnen auf interessante Weise
das Thema des Kanons als etwas, das überhaupt
nicht normativ sein kann – ähnlich wie die Qualität
des Sublimen, die rhetorisch nicht beschreibbar ist.
In dieser Hinsicht verhält sich das Thema des
Kanons und der ethischen Haltungen, die er vermitteln kann (die Contrappost Mechanik als Referenz für ein menschliches Maß der Dinge) wie das
Thema des Erhabenen/Sublimen. Beide sind in
ihrer Qualität nur quantitativ zugänglich
(Mechanik, Technik) und können dennoch nicht
positiv beschrieben werden.
The ties between movement as given and posture as
pursued can never be directly established. If it were,
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Grace would be the same as training, and could be
repeated infinitely.
Dies ist auch der Punkt, der das Thema “Grace”
heutzutage oft mit Robotern in Verbindung bringt.
Spuybroek’s gegenpolige Welt-AufspannVerbindung zwischen den Graziösen und dem
Schönen findet hier nämlich einen interessanten
Ausdruck, eine Variation im Thema: Anstelle vom
Graziösen und dem Schönen stehen hier Eleganz und
Präzision. Das Figurative stellt sich darin dar, dass es
eigentlich gar kein Präzision ohne Eleganz gibt, und
auch keine Eleganz ohne Präzision – so wie es
nichts Graziöses gibt ohne Schönheit, und keine
Schönheit ohne Anmut, wobei in beiden Fällen nie
der eine Pol den anderen Pol dominiert. Vielmehr
finden beide eine Kontrapost Haltung, könnten wir
sagen. Hier liegt eine grosse Faszination, die auch in
der Literatur oft behandelt wurde. Zum Beispiel
über Puppen oder Marionetten, die von außen gesteuert werden und gerade darüber bestimmte
Facetten von Menschlichkeit verkörpern können,
die sonst schwer zu greifen sind. Ich möchte nicht
weiter darauf eingehen, aber man kann sich vielleicht damit etwas besser dasjenige vorstellen, was
Spuybroek als “paradoxical machinery” feiert. Es
geht um Haltungen, die eine Art Erlebnis
darstellen, das Anlass für einen Versuch – einen Essay – im Umgang mit dem Sublimen gibt.
Man kann die Fertigkeiten und auch die
gefertigten Dinge (die aus der Zyklizität des Automatischen “abperlen”) nicht klassifizieren oder
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definieren. Aber man kann lernen, eine Rezeptivität dafür zu entwickeln. Hier verbindet sich Kunst
mit Technik, Technik mit Kunst: wenn ein enorm
prekäre Sache so stark in ihrer Erscheinung
gemacht werden kann, dass sie immer wieder zum
Referenzpunkt wird für weiteres Tun. So ungefähr,
glaube ich, ist die Faszination, die dieses Denken
hier antreibt.
Shining Out – Gift Cycle
Aber was hat es auf sich, mit diesem Abperlen aus
der polaren und automatischen Zyklizität? Kommen wir jetzt auf die Facette der Dankbarkeit, die
in “Grace” enhalten ist und schauen wir, was Spuybroek damit macht. Das Sprechen von einer Grace
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Die Dankbarkeitsspirale
als Motor von Kunst und Technik
Machine hat tatsächlich auch eine interessante anthropologische Dimension. “Grace” hat zwar mit
Dankbarkeit zu tun, aber es ist eine Dankbarkeit,
die nicht direkt göttlich ist – wie etwa im Christentum. Spuybroek schreibt:
The ancient notion of Grace is deeply embedded in a
far older history though, namely that of gift exchange. And with the gift we start to understand far
better how thing-appearances work. Purely emphasizing the thing as a realist entity would quickly place
our relationship with them in an objectivist framework; similarly, an emphasis on appearance could –
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thank to phenomenology – only be understood in a
subjectivist mode, since it is based on subjective experience. Neither applies to gift exchange, which is
of cyclical nature, The two positions cancel each other out.
Der letzte ist der zentrale Satz: So wie der Gift Cycle den Austausch von Geschenken beschreibt, geht
es auch bei der Grace Machine um eine Art Neutralisieren, wobei aber kein absoluter Nullpunkt
etabliert wird – sondern vielmehr alles in zyklischer Bewegung gehalten wird.
Spuybroek unterscheidet diese Zyklizität dann in
drei Phasen. “Three stages: giving, receiving and returning.” Und das ist der Punkt. Es ist zyklisch, aber
nur kontinuierlich in einem Sinn als dass Dinge daraus abperlen. Also, “giving, receiving, and returning
– three stages that, unsurprisingly, correspond
again with the Three Graces” in den mythischen
Erzählungen, nämlich die “goddesses of charm,
beauty, nature, human creativity, goodwill, and fertility which Hesiod names Aglaea (“Shining”), Euphrosyne (“Joy”), and Thalia (“Blooming”).
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Die Weltoffenheit
des unpersönlich Privaten
Eine solche Dankbarkeitsspirale gibt uns eine
Mechanik im Umgang mit Werten, und ist für das
figurative Denken und die Zyklizität seiner
Domäne von Bedeutung – wir wollen jetzt diese
Domäne als das Domestische der “unpersönlichen
Privatheit” bezeichnen, von der wir vorher
gesprochen haben. Diese Privatheit ist ein tropischer Ort, in dem Sinn als dass in der Rhetorik und
Poetik die unpersönlichen Sprachfiguren oder
Denkfiguren “Tropen” heissen, weil hier ihre
Wendigkeit konstitutiv ist, nicht ihre “Bedeutung”
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oder ihre semantische “Referenz”. Solche Sprachund Denkfiguren agieren als eine Art generische
Subjektivität. Spuybroek schreibt:
… tropos, in English trope, […] positions the turn unequivocally in the domain of the figure. Now, instead
of immediately placing the figure in the tradition of
rhetoric and Mimesis […] I begin by taking the figure
as literally as possible. The strength of standing does
not by itself simply turn into the sideways movement of appearing, it requires a specific Form of
weakening that allows the parts of the figure to mobilize and connect to one another in order to construct a standing entity. Therefore, standing and appearing cannot simply be compounded by hyphenating two terms; they require a third aspect, something
that is not-standing, a weakening that enables stance
to bend sideways, a doubling that sounds extremely
ambiguous and paradoxical, which I term contrapuntal based on the classic notion of contrapposto.
And here we have arrived at the arguments of the
very first chapter. Of course, it is no accident that
contrapposto is derived from sculpture’s vocabulary
– in rhetoric it is called chiasmus – since sculpture
necessarily addresses the problem of stance; after all,
that is what statue means.
Hier ist die Art der Haltung eingeführt, um die es
geht. Mit den Darstellungen, die wir bereits gesehen haben lasse ich das für sich selbst sprechen,
und fügen noch eine zweite Passage dazu:
However, such a real thing does not yet appear by itself, and still relies on an outer source, namely light
in combination with human consciousness, to ap-
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pear. A thing-appearance, on the other hand, not
only stands forth, it also shines forth and makes a
claim on the realm of seeing, thinking, and feeling,
without being a priori seen, understood, or felt by
others. Before being properly thought through in its
philosophical consequences, such a statement needs
to be experimentally constructed, and that I mean
quite literally. My conclusion, in the last section of
the second chapter, is that a thing-appearance, if it
exists, does two things simultaneously: it stands vertically and appears horizontally, and therefore needs
to take a turn.
Standing-forth, Shining-forth
– Radiant Intersubjectivity
Spuybroek beginnt, so richtig mit der Sprache zu
arbeiten. Diese “radiants” – dieses aktive Scheinen
oder Screening, das vorhanden ist am Ort der Intersubjektivität – wie kann man es objektiv
beschreiben? Oder anders gefragt: wie kann man
die technischen Begriffe so verwenden, dass wir das
was sie Können ohne die herkömmliche Sterilität
(Eindeutigkeit, Starrheit) wahrnehmen können?
Ein “Screen” wird wenige Leute als etwas
Poetisches ansprechen. Oder etwas, das irgendwie
mit einer Epiphanie, einer Erscheinung in
Verbindung gebracht werden kann. Doch genau
darum geht es ihm. Um dies zu erreichen, beginnt
er von “shining forth” und “standing forth” zu
sprechen. Also, vom Herausleuchten und vom
leuchtenden Hervortreten. Und das ist interessant,
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weil es quasi eine Vermischung von Raum und Zeit
darstellt. Das Leuchten ist immer gegenwärtig. Das
Leuchten kann auch nicht eingefangen werden.
Etwas ist belichtet, wenn es geschehen ist. Doch
eine Dauer mit dem Leuchten zu verbinden – das
ist ungewöhnlich. Ebenso beim “standing forth”:
eine Dauer mit dem Stehen zu verbinden – das ist
ungewöhnlich. Weiters ist es ungewöhnlich, dass es
in unterschiedlichen Skalen erscheint, die koexistieren. Lassen Sie uns versuchen, das etwas zu
“beleuchten”.
Man könnte sagen: Einerseits ist das Stehen,
wenn wir an eine Haltung denken, etwas, was ohne
Bewegung ist. Doch andererseits, wenn die Haltung
aktiv eingenommen ist, müssen ganz viele unterschiedliche Muskelspiele stimmen, zum Beispiel.
Jedes einzelne davon kann man als Skala beschreiben, die in ihrem Zusammenspiel die Haltung ausmachen als etwas, was viele partielle Gleichgewichte jonglieren kann. Ein Körper hat von
vielen Gliedern, Organen, zwei – zwei Hände, zwei
Füße und so weiter. Zwei Hirnhälften. Dadurch,
dass der Körper sich in einer Symmetrie halten
kann, wird für unsere Körper ein enormer Ausdrucksreichtum ermöglicht. Um dies zu
beschreiben, prägt Spuybroek Worte neuartig, so
dass das was er mit “Figur” meint, sehr interessant
erscheint: eine Figur wird zum “radiant thing”.
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Das empörte Modell
Spuybroek zieht damit einen interessanten Schluss
daraus. Er sagt, mit der Contrapposto (er bezieht
sich hier auf Leonardo), damit liesse sich eine
Verbindung zwischen Grace und der Figur stiften:
…we establish the link to Grace: the appearance of
gracefulness is paradoxically not of any strength but
of the weakness of stance. Yet, its appearance is not a
question of a static image, but of many images moving through and over one another, a blurred and
thickened state of the image that the Greeks already
called shining or radiance.
In dieser Verbindung von Anmut und Figur hat
dieses Fort-Scheinen (shining forth) oder Fort-Stehen (standing forth) mit den vielen Skalen zu tun.
Mit einer Art Gestimmtheit oder Stimmung, die aktiv gehört oder empfunden werden muss.
With the notion of radiance, appearances conceptually change from a dependence on exogenous human
consciousness to an endogenous, inside-out luminosity where the mobility of the parts shines out but
now as issued by the whole. A figure, then, is a radiant thing.
Die Wende hier ist wichtig: “an appearance of
gracefulness is not due to strength but to the weakness of stance.” Dieses “weakness of stance” hat
damit zu tun, dass etwas fort-scheinen kann das
eigentlich “un-gesetzt”, “prekär” oder eben “em-
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pört”, als Gegenteil von “firm” (Engl. für das
deutsche Adjektiv “entschlossen”) ist. Anmut hat
mit einer Leichtigkeit im Umgang damit zu tun,
was nicht einfach auszuhalten ist – einer Spannung, die trägt aber auch zerrt, weist aber auch
fügt.
Das Modell dafür, für einen solchen Begriff
der Figur, ist der hinkende Gott Hephaistos, der
“Craftsman”.
Here the full powers of Hepaestus come to the fore,
the Limping God married to the first of the Three
Graces, Aglaea, a name that literally means ‘shining.’
Deeply hidden in our abilities it is disability that
leads to Grace, weakness that works, and pain that
structures the architecture of the figure. If the second, third, and fourth chapters are about the spectrality of architecture, the fifth, sixth, and seventh
are about our own spectrality. Yet, that involves as
much architecture as the other set of three chapters.
Instead of seeing us humans living in an architectural environment, we quickly begin to see how we ourselves turn into architecture, by becoming a structure bearing the unbearable – pain – and a figure of
carrying based on the rhetoric of metaphor and chiasmus. We begin to see that the figure of contrapposto introduced in the first chapter is never a figure of
virtuosity and relaxation, but of true weakness, pain,
and suffering. We are hurt. Though Grace looks like a
Form of ease, it is difficult and can only be acquired
through, sometimes extreme, difficulty. We have entered the domains of religion, which from our phenotechnical viewpoint means a technological realm
of appearances, light and spectrality.
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Damit setzt Spuybroek mit seiner Phenotechnik eine
Verletzlichkeit mitten ins Zentrum von Technik –
heute oft Inbegriff für Stärke, Eindeutigkeit,
Entschlossenheit, Zielgerichtetheit et cetera. Die
Technik verdankt ihre “Schönheit” dieser Verletzlichkeit, dieser erhobenen (empörten) Unentschiedenheit. Hephaestus ist der “Limping God” – der
hinkende Gott, aber auch der Handwerker, der
Mechaniker und der Skulptur, des Feuers und der
Vulkane. Er war der Schmied unter den griechischen Göttern, der die technischen und künstlerichen Instrumente fertigen kann. Und er war
verheiratet mit einer der drei mythischen Figuren
für Grace, nämlich mit Aglaea. Neben Euphrosyne
(“Joy”) und Thalia (“Blooming”) ist Aglaea laut Hesiod jene der drei Graces, die das “shining” verkörpert.
Das ist deswegen so interessant, weil hier die
Technik nicht von der Perfektion als Stärke her
gedacht ist, sondern von der Verletzlichkeit. Am
deutlichsten werden die Implikationen dieser
Wende wenn wir darüber nachdenken, was wir
meinen wenn wir sagen: Technik ist ein “Achievement.” Wir sollten die Technik wertschätzen nicht
dafür, dass sie uns stärker und unverletzlicher
macht, sondern dafür dass sie uns Verletzlichkeit
gibt – Verletzlichkeit heisst auch Sorgsamkeit,
Achtsamkeit, Moderatheit und so weiter. Hier liegt
eine ganz andere Ethik gegenüber von Technik, als
sie heute gängig ist. Natürlich mag diese Vorstel-
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lung etwas befremdlich erscheinen, aber wenn wir
über Klima, Globalisierung, all die großen Zusammenhänge nachdenken, all die Themen, die uns
heute herausfordern, dann ist es zumindest interessant. Denn es würde erlauben, die Änderungen
der Lebensstile die auf uns zukommen, nicht so
sehr als eine Buße zu verstehen; es könnte vielleicht Wege aus den so oft Scham und Haß getriebenen Diskursen weisen.
Abschliessende Bemerkungen,
zur Methodik von Spuybroek’s Architekturverständnis
Zum Abschluss möchte ich gerne auf zwei, drei
methodische Aspekte eingehen, die in einem verallgemeinerten Sinn wichtig sind (auch jenseits von
Spuybroek’s Buch) und die sein Buch aber sehr
schön vorführt.
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Einer dieser Aspekte betrifft das Thema Gleichzeitigkeit. Wir haben bisher vorallem die Geste der
Negation als Spiegelfiguren gesehen, als bestimmte
Drehungen von gegebenen Symmetrien die alle
mit der Zeit ringen, mit ihrem chronologischen
linearen fortlaufen: das Anti-Objekt bei Kuma, in
welchem die Architektur Architektur ist, insofern
sie Architektur zum Verschwinden bringt; oder wir
hatten bei Eisenman die Gest einer Kommunikation ohne Botschaft besprochen, oder bei Libeskind
die Weissagugnen einer mechanischen Hieroglyphik, oder bei Clément die Planetarischen
Gärten als weltweit verteilte Gärten des Wissens,
regional and lokal unterschiedlich entwickelt, kultiviert, gepflegt. Das alles sind metaphysische
Gesten, die eigentlich nach einer Chronometrik
suchen im Umgang mit einer Synchronizität des
Geschichtlichen – die Gleichzeitigkeit, die Realzeit
die wir hier in dieser Vorlesungsheinheit auch als
Atomzeit beschrieben haben. Mit Spuybroek jetzt
finden wir uns in einer Art Tropik, die uns zu einer
Art Naturkunde des Figurativen anleitet; die Materialität dieses Figurativen, das ist ein quasi-Vulkanischen Magma von “anachronical Connections”.
Anachronismen bedeuten hier, Harmonien
oder Resonanzen zwischen Zeiträumen zu finden,
die sehr weit voneinander entfernt liegen können.
Wie zum Beispiel die Geschichte von Hephaestos
als mythische Figur am Ursprung von Technik, in
Verbindung gebracht mit der heutigen Physik von
Licht, der Quantenphysik. Spuybroek findet solche
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Bezüge in der Tiefe der Zeit. Das ist vielleicht das,
was Longinus “große Zusammenhänge” nennen
würde. Also, Dinge, die eigentlich sehr weit hergeholt scheint und die aber dennoch auch ganz nahe
beieinander liegen.
Aber in welcher Weise? Wie ein kosmischer
Rubik Würfen, so Spuybroek:
the machine of phenotechnology, like a cosmic Rubik’s Cube running wild, relentlessly keeps on
shredding history by making its anachronical connections, turning the multileveled symmetries into a
kaleidoscopic mosaic of stories, images, and philosophies.
Mechanisches Lesen –
Die “fifty percent rule on method”
Wie aber kann man mit dieser Metapher eines Rubik Würfels etwas anfangen in Bezug zur Frage
nach der Methodik? Was können wir daraus lernen,
dafür wie sich mit metaphysischen Gesten theoretisieren lässt? Das Wichtigste scheint mir die
Verbindung von Puzzle und Mosaik, dem Setzen
der diskreten Teile durch kontinuierliche Bewegungen die kreisend, wendend, drehend vorgehen.
Spuybroek beschreibt im Vorwort, wie er versucht
hat eine mechanisches Lesen zu praktizieren
während er das Buch geschrieben hat.
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Er beschreibt, wie er enorm viel und breit gelesen
hat – aber nicht, um spezifische Antworten zu
finden, Übersichten zu schaffen, oder lediglich um
Wissen anzuhäufen. Sondern was ihn interessiert
hat war ein mechanisches Lesen. Dabei bestand
seine eigene Aktivität darin, dass er wie ein
Schauspieler (Actor) unterschiedliche und bewusst
gewählte Haltungen eingenommen, ausprobiert,
und praktiziert hat bei diesem Lesen. Er hatte sich
dabei eine einfache Regel auferlegt – eine Art
Metamethode. Sein Anspruch war: Unabhängig von
dem, was er gelesen hat, sollte er sich so lange mit
einem Text auseinandersetzen, bis er genau die
Hälfte des Textes gerne mochte und die andere
Hälfte nicht. Oder anders gesagt, bis er sich genau
mit der Hälfte des Textes einverstanden erklären
konnte und mit der anderen Hälfte nicht.
Diese Metamethode ähnelt im Kern selbst der
Form, von der er im Buch spricht – also dem Figurativen, dem Tropischen, dem Zyklischen, dem
Skulpturalen, und der Ethik des Hervorhebens uns
Ausweitens der Verletzlichkeiten, hier nun mit
dieser Metamethode auf sich selbst angewandt.
Wenn man darüber nachdenkt, was das
bedeutet, finde ich das äußerst interessant als Umgangsform. Denn unser Problem besteht oft darin,
dass wir nur die Dinge wahrnehmen oder lesen, die
unsere bereits bestehenden Ansichten lediglich
bestätigen. Es ist äußerst anstrengend, sich mit etwas auseinanderzusetzen, was unseren Überzeugungen erst einmal widerspricht. Und umgekehrt:
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Einfach nur die Dinge zu lesen, gegen die man
aufgebracht ist, also wenn man sich ausschließlich
mit dem beschäftigt, bei dem man bereits im Voraus weiß, dass man es ablehnen wird, das ist ähnlich selbstbestätigend, und unproduktiv.
Veranschaulichen wir uns also die Ethik
dieses mechanischen Lesens: Nehmen wir an wir
sprechen über einen Text, bei dem wir fast jeden
Satz unterstreichen möchten um zu sagen wie
wichtig er sei, hier müssten wir probabilistisch
denken, wir müssten so lange darin lesen, wir
müssten so viel hineinprojezieren, den Text in Kontext und in seiner Motivik virtuell anreichern, aufladen, und dann Haltungen, die wir so impliziert
(eingesäumt, eingefaltet) finden extrapolieren (ein
bisschen so so wie die Computer KI das mit unseren Daten macht heute) – bis wir mindestens mit
der Hälfte nicht mehr einfach so einverstanden sind.
Dafür müssten wir uns aus der Identifikation mit
dem Text heraus entfremden, bis wir Dinge darin
lesen können, mit denen wir eigentlich nicht mehr
einverstanden sind. Und umgekehrt auch bei
einem Text, den man eigentlich nicht ertragen
kann: auch hier müssten wir uns so lange mit ihm
auseinandersetzen, bis wir einen Zugang finden
können.
Was ich Ihnen zeigen möchte, ist, dass durch
ein solches Theorieverständnis man von den
schwierigen und den scheinbar starren Dingen lernen kann. Das ist ein Ansatz im Umgang mit dem
sogenannten Klassischen, der heutzutage etwas
verloren gegangen ist. Im Hinblick auf all diese
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Überlegungen ist es sehr einfühlsam und schön,
wie Spuybroek das hier entwickelt.
Die Sprache muss mit sich selbst
in Berührung bleiben
Abschließend für die heutige Vorlesung habe ich
zwei Folien. Wir haben einerseits gesehen, wie
dominant die Sprache teilweise als Metapher und
als Instrument, insbesondere im 20. Jahrhundert,
für die Architektur wurde. Aber nicht nur für die
Architektur. Im 20. Jahrhundert sprechen wir vom
sogenannten Linguistic Turn. Während man bisher
immer gedacht hatte, die Sprache solle so transparent wie möglich sein, wird die Sprache plötzlich
vordergründig. Das Interesse besteht darin, die
Verbindung zwischen Rhetorik und Architektur
neu zu denken, insbesondere über die Technik.
Diese Verbindung bezieht sich darauf, dass es in
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der Sprache selbst eine Öffentlichkeit gibt, die
durch die Sprache konstituiert wird. Diese Öffentlichkeit hat viel mit einer unpersönlichen Subjektivität zu tun. Denn über Worte kann man nicht
einfach verfügen, ähnlich wie bei Mechanismen:
man muss sich ihnen unterordnen um sie gut
handhaben zu können. Eine solche Öffentlichkeit
hat viel mit Code und Codierung zu tun, da Code
Gewohnheiten etabliert und verbreitet, was mit
Macht verbunden ist.
Ausblick,
nächste und letzte Vorlesungseinheit
In der kommenden letzten Vorlesung werden wir
einerseits über Junya Ishigami sprechen, insbesondere über sein Buch Another Scale for Architecture.
Andererseits möchte ich auch einige allgemeine
Fäden zusammenführen und reflektieren, die sich
durch die Vorlesungen dieses Semesters gezogen
haben. Dabei geht es um den Gedanken, der unser
Motto war: “By Way of Scale – Architecture and the
Abduction of Space.” Wir werden darüber nachdenken, wie wir Raum betrachten können als etwas, das aus der Zeit herausgelöst wird, was aus ihr
“entführt” wird (Abduction). Die Konzepte der
Atomzeit werden dabei hoffentlich auch anschaulicher werden – sie kommt gewissermassen
als gegenüberliegender Pol zu Geschichte ins Spiel.
Denn Geschichte wird erst dann wirklich zu
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Geschichte, wenn sie nicht “gemacht” wird sondern
“passiert” – dafür braucht es ein Aussen zu dem,
was wir als “Geschichte” kultivieren, kommunizieren, et cetera. Heutzutage scheint es oft, dass
wir ein solches Aussen verloren haben. Darauf
wollen wir in der abschließenden Vorlesung noch
einmal eingehen, insbesondere im Zusammenhang
mit dem Begriff der Skala: was kann das Denken in
Scales leisten, diesbezüglich?
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Wien S2024
attp.tuwien.ac.at
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