Alex Demirović
Gesellschaftskritik und Gerechtigkeit1
Die Gleichheit der Individuen gilt in modernen Gesellschaften als eine etablierte
Norm. Die Mitglieder der modernen Gesellschaft müssen seit der Französischen
Revolution mit dem Skandal umzugehen lernen, dass die Norm und die Fakten
voneinander abweichen und das Gleichheitsversprechen vielfach durch reale
Ungleichheit gebrochen wird.
Soziale Ungleichheiten werden vielfach nicht einfach nur als Fakten zur
Kenntnis genommen, sondern auch bewertet. 99 Prozent der deutschen Bevölkerung halten Chancengerechtigkeit für wichtig, 70 Prozent sind der Ansicht,
dass sie nicht gut entwickelt sei 2; der Glaube an „Leistungsgerechtigkeit“ nahm
seit Anfang der 1990er Jahre bis 2007 deutlich ab3 . „Ungerechtigkeit“ ist eine
verbreitete Art und Weise, soziale Ungleichheit zu bezeichnen und kritisch zu
bewerten.
Die Politik reagiert darauf. Insbesondere vor Wahlen wird die Norm der Gerechtigkeit proklamiert. So nahm Angela Merkel laut Spiegel Online (8.9.2009)
das Thema der sozialen Gerechtigkeit vor den seinerzeitigen Bundestagswahlen
für sich in Anspruch – es spiele für die Menschen eine sehr zentrale Rolle, es
gehe um „Zusammenhalt und Miteinander in unserem Land“. Vor den Bundestagswahlen 2017 fordert die SPD „Zeit für mehr Gerechtigkeit“ und publiziert
ihr Regierungsprogramm unter dem Titel „Zukunft. Gerechtigkeit. Europa“.
Die Partei DIE LINKE gibt ihrem Wahlprogramm den Titel „Sozial.Gerecht.
Frieden.Für alle.“
Gerechtigkeit ist ein weit verbreiteter Begriff zur kritischen Beurteilung der
Gesellschaft. Wegen der allgemeinen Akzeptanz genießt er ein Prestige, das allen nahelegt, sich auf ihn zu beziehen, um Probleme anzusprechen, Interessen
geltend zu machen und andere zu einer bestimmten Praxis zu überzeugen. Doch
was genau verstehen die Individuen unter Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit?
Welche Maßstäbe verwenden sie, wie sind diese begründet? Was folgt praktisch
daraus, wenn ein gesellschaftlicher Zustand als ungerecht bezeichnet wird? Ist es
1 Für Hinweise danke ich Mariana Schütt und Markus Wissen.
2 www.presseportal.de/pm/104527/3648903, Zugriff: 5.8.2017.
3 www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,505465,00.html, Zugriff: 5.8.2017.
PROKLA. Verlag Westfälisches Dampfboot, Heft 188, 47. Jg. 2017, Nr. 3, 389 – 410
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Aufgabe der kritischen Theorie, Gerechtigkeitskriterien zu begründen und jene
zweifelhafte Unterscheidung von Fakten und Normen zu akzeptieren – oder hat
sie nicht eher die Aufgabe, die materielle Praxis von Gerechtigkeitsdiskursen im
Alltag von Menschen, in der Politik, in den Medien oder in der Philosophie in
den Blick zu nehmen und zu fragen, ob sie zu Emanzipation beitragen? Darum
geht es im Folgenden: um die gesellschaftstheoretische Frage danach, um welche
Art von diskursiver Praxis es sich handelt, die mit dem Begriff der Gerechtigkeit
verbunden ist. Jacques Derrida hat darauf hingewiesen, dass eine solche Befragung
des mit ihm verbundenen Netzes von Begriffen wie Freiheit, Wille, Subjekt, Ich,
Verantwortung diesen Begriff suspendiert oder einklammert und deswegen etwas
beängstigend ist. Soll etwa der Anspruch auf Gerechtigkeit aufgegeben, auf einen
Maßstab zur kritischen Beurteilung der Gesellschaft verzichtet, sollen gar Ziele
wie die der Emanzipation oder des Glücks aufgegeben werden? Derrida betont,
dass die Befragung der Gerechtigkeit von der Forderung nach einem Zuwachs
an Gerechtigkeit motiviert ist. Woher würde eine solche Befragung ihre Kraft
schöpfen, „wenn nicht von diesem immer unzufriedenen Ruf, von dieser nie
zufriedenstellenden Forderung, jenseits der vorgegebenen und überlieferten Bestimmung dessen, was man in bestimmten Zusammenhängen als Gerechtigkeit,
als Möglichkeit der Gerechtigkeit bezeichnet“? (Derrida 1991: 42) Die Frage
nach der Gerechtigkeit reagiert auf die Erfahrung der Unzufriedenheit mit und
Unzulänglichkeit der Gerechtigkeit. Diese Unzulänglichkeit ist Gegenstand des
vorliegenden Aufsatzes und wird damit erklärt, dass Gerechtigkeit ein Moment
der ideologischen Form Moral ist.
1. Gerechtigkeit als politischer Kampfbegriff
Gerechtigkeit ist ein Begriff, der das politische und moralische Denken seit Jahrtausenden beschäftigt. „Er ist so alt wie die Klassengesellschaft, das heißt wie
die bekannte europäische Geschichte selbst“ und bedeute seinem allgemeinen
Inhalt nach, dass die Ungleichheit nur so groß sein soll, wie es auf der gegebenen
Stufe unvermeidlich ist, will man die gesamtgesellschaftliche Versorgung mit
Gütern aufrechterhalten (Horkheimer 1933: 138, 140). In diesem Sinn erlaubt er
Subalternen, empfundene Ungleichheiten und erfahrene Benachteiligungen zur
Geltung zu bringen, und gewinnt eine entsprechende sozialkritische Bedeutung.
Vom modernen Bürgertum wurde der Begriff moralisiert (ebd.: 138). Er bietet
nun zugleich die Möglichkeit, den Eindruck zu vermeiden, es würden nur partikulare Interessen der „Unteren“ verfolgt, da eine Kritik, die sich auf Gerechtigkeit
beruft, universalistische Gesichtspunkte in Anspruch nimmt, also in einer Weise
argumentiert, die auch denjenigen einleuchten sollte, die die Vorteile dieser als
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ungerecht beschriebenen Ungleichheit genießen. Viele unterschiedliche gesellschaftliche und individuelle Interessen gehen in den Begriff der Gerechtigkeit ein.
Zwar kann – wie im Fall von Neoliberalismus und Systemtheorie – der Begriff
der (sozialen) Gerechtigkeit als theoretisch ungeeignet aufgefasst werden für
moderne Gesellschaften, in denen Gesellschaftsprozesse nicht mehr individuellem
Handeln zuzuschreiben sind. Gleichwohl ist Politiker_innen der Vorwurf nicht
gleichgültig, die von ihr verfolgte Politik sei ungerecht. Im Gegenteil werden die
arbeitnehmerfeindlichsten Maßnahmen, die entschiedensten armutsfördernden
Maßnahmen oder die Verschärfungen von Strafen im Namen der Gerechtigkeit
ergriffen. Die Gerechtigkeit wird offensichtlich zu einem Begriff, auf den sich
alle beziehen oder sogar beziehen müssen, wollen sie ihr eigenes Interesse als ein
allgemeinverbindliches darstellen und das anderer begrenzen oder zurückweisen.
Weil der Begriff der Gerechtigkeit ein politisch umkämpfter Begriff ist, weil
der Versuch unternommen wird, Gerechtigkeitsansprüche zu begrenzen, kommt
es mit Zwangsläufigkeit zu einer Pluralisierung seiner Bedeutungen. Diese Bedeutungsvielfalt findet ihren Niederschlag in einer Vielzahl von attributiven
Erweiterungen des Gerechtigkeitsbegriffs. Als Gerechtigkeit im Allgemeinen
verliert der Begriff offensichtlich seine Aussagekraft. So ist seit Ende des 19. Jahrhunderts die Rede von sozialer Gerechtigkeit (Miller 2008). In den vergangenen
Jahrzehnten wurde der Begriff der Gerechtigkeit um viele Aspekte erweitert: Verteilungs-, Teilhabe-, Teilnahme-, Bedarfs-, Leistungs-, Chancen-, Einkommens-,
Regel-, Geschlechter-, Generationen-, Befähigungs-, globale, Anerkennungs-,
Bildungs-, Umwelt-, Klimagerechtigkeit (vgl. Nullmeier 2009: 10f.). Beides ist
bemerkenswert: die Pluralisierung der Gerechtigkeitssphären ebenso wie die
Tatsache, dass Gerechtigkeit zu einem gemeinsamen Bezugspunkt der politischen
Auseinandersetzung wird. Offensichtlich wollen und können die gesellschaftlichen Kräfte nicht anders, als für sich und ihre Ziele Gerechtigkeit in Anspruch
zu nehmen. Indem sie jeweils in den Begriff der Gerechtigkeit investieren, tragen
sie gleichzeitig dazu bei, dass sich der Bezug auf diesen Begriff immer weniger
vermeiden lässt. Er wird zu einem Terrain, auf dem sich die gesellschaftlichen
Kräfte moralisch und politisch profilieren, Ziele formulieren und antagonistische
Kräfte zu bezeichnen versuchen. Es scheint nicht möglich zu sein, darauf zu
verzichten, auf ihm eine Position einzunehmen, ohne sich selbst politisch und
moralisch zu marginalisieren oder gar auszuschließen.
Das hängt mit dem modernen Begriff der Gerechtigkeit zusammen. Dem
antiken Verständnis nach war Gerechtigkeit eine individuelle Tugend, die die
Grundlage für ein gerechtes Verhalten war, jedem das Seine zu geben. Auch nachdem Gerechtigkeit moralisiert wurde, soll sie ein subjektives Handeln motivieren.
Doch soll normorientiertes, gerechtes Handeln nun einer für alle geltenden Regel
entsprechen. Gerechtigkeit ist damit dem individuellen Belieben entzogen. Es
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ist nicht jeweils das gerecht, was die einzelnen für gerecht halten. Wird davon
gesprochen, dass etwas ungerecht ist, dann ist damit explizit oder implizit ein
Maßstab der Allgemeinheit in Anspruch genommen, nach dem ein soziales Verhältnis oder eine Handlungsweise kritisiert wird. In modernen kapitalistischen
Gesellschaften, die gerade dadurch gekennzeichnet sind, dass die Einzelnen aufgerufen sind, ihr Interesse zu verfolgen, dabei aber auch das Wohl der Anderen
und der Allgemeinheit nicht zu ignorieren, muss das Verhältnis zwischen allgemeinem und individuellem Interesse permanent strittig bleiben. Diskussionen
über Gerechtigkeit lösen die Konflikte nicht, sondern stellen ihre Fortsetzung
mit anderen Mitteln dar. Zwangsläufig findet die Diskussion über Gerechtigkeit
kein Ende, im Gegenteil nehmen die Sensibilitäten für Bedeutungsnuancen zu,
und der Begriff der Gerechtigkeit pluralisiert sich oder verliert an Verbindlichkeit,
weil die Einzelnen oder Interessengruppen sich nicht ohne Weiteres den Allgemeinheitsdefinitionen unterwerfen können, die ihnen von Anderen angesonnen
werden. Es wird darum gestritten, was genau mit der auf Allgemeinverbindlichkeit
des Handelns zielenden Norm der Gerechtigkeit gemeint sein kann. Auf diese
Weise gerät Gerechtigkeit in den Sog von gesellschaftlichen Konflikten. Das ist
allerdings ein internes Problem für den Begriff der Gerechtigkeit selbst. Denn die
Norm der Gerechtigkeit soll gerade einen Maßstab geben, der zu helfen vermag,
sich in Konflikten über die Frage des Allgemeinen orientieren zu können. Das
leistet diese Norm jedoch nicht. Die Konflikte um seine Deutung führen dazu,
dass der Gerechtigkeitsbegriff den in Anspruch genommenen, verbindlichen
universalistischen Charakter verliert und parteilich wird.
2. Philosophische Begründungen der Gerechtigkeit
Der moderne, moralische Begriff der Gerechtigkeit ist verbunden mit der Herausbildung des spezialisierten Wissens professioneller Moralphilosophen (Haug
1986). Diese intellektuelle Funktion in der gesellschaftlichen Arbeitsteilung hat
mit einem bestimmten Verständnis von Philosophie sowie von ethischen und
moralischen Fragen zu tun. Die Philosophie genießt als Wissensdisziplin eine
besondere Wertschätzung, weil sie für sich in Anspruch nimmt, eine nicht mehr
weiter zu hintergehende Ebene der Erkenntnisvermögen und der Wirklichkeit zu
denken. Sie scheint aufgrund dieses Allgemeinheitsanspruchs über den konkreten
Alltagsnöten und Konfliktlagern zu stehen und ein richtiges Denken und Handeln
empfehlen zu können. Dem entspricht die weitverbreitete idealistische Annahme,
dass Praktiken die Folge ethischer Werte und moralischer Normen sind. Wenn es
also gelingt, die Normen auf eine bestimmte Weise zu begründen, dann lässt sich
damit auf dem Weg der Philosophie auch das Handeln der Individuen ändern.
Gesellschaftskritik und Gerechtigkeit
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Soweit das Handeln unter Gesichtspunkten der moralischen Allgemeinheit problematisiert und für Normen gute plausible Argumente entwickelt werden können,
ist dies ein privilegierter Gegenstandsbereich der Moralphilosophie. Diese scheint
damit besonders geeignet, universalistische Handlungsorientierungen geben zu
können, die den Akteuren nahelegen, ihre Konflikte zu beenden. Im Folgenden
stelle ich zwei solche philosophischen Strategien dar.
2.1 Ein erster Modus der Begründung von Gerechtigkeit – hier anhand von
Überlegungen Martha Nussbaums dargestellt – versucht, dem oben angesprochenen Dilemma, dass Gerechtigkeit vielseitig gedeutet und unverbindlich wird, zu
entgehen, indem sehr grundlegende Kriterien von Gerechtigkeit definiert werden,
die eigentlich alle Individuen akzeptieren können sollten, insofern sie Menschen
sind und an ihr eigenes Leben bestimmte Erwartungen haben. Unterstellt wird,
dass es Menschen ermöglicht werden muss, ein gutes Leben zu führen. In den
Allokationsstrukturen einer Gesellschaft ist bereits eine Vorstellung vom guten
Leben enthalten: also Entscheidungen darüber, welche Ressourcen auf welche
Weise verteilt werden und welche menschlichen Tätigkeiten in welchen Bereichen mehr Unterstützung finden als andere – also Entscheidungen zugunsten
von industriellem Fortschritt und monetärem Reichtum im Unterschied zu
Werten der Gesundheit, Bildung oder Sorge für andere. Bevor Ressourcen verteilt werden, muss über solche Werte entschieden worden sein, nach denen die
Verteilung stattfindet, die das konkrete Leben der Individuen bestimmt. Gutes
Leben bedeutet für Nussbaum nicht, auf eine ganz bestimmte Weise zu leben,
vielmehr betont sie – um die mögliche liberale Kritik zu unterlaufen, sie wolle
die Individuen paternalistisch auf eine bestimmte Vorstellung von Gerechtigkeit
und eine bestimmte Lebensweise verpflichten -, dass es darum gehe, „Menschen
hervorzubringen, die zu bestimmten Tätigkeiten befähigt sind und sowohl die
Ausbildung als auch die Ressourcen haben, um diese Tätigkeiten auszuüben,
falls sie dies wünschen“ (Nussbaum 1999: 40f.). Eine dieser Fähigkeiten ist „die
Entscheidungsfähigkeit: die Fähigkeit, sich dafür zu entscheiden, alle diese Tätigkeiten in Übereinstimmung mit der eigenen praktischen Vernunft auszuüben“.
Aus Nussbaums Sicht ergibt sich hier ein erheblicher Gegensatz zur liberalen
Gerechtigkeitstheorie. Während diese sich damit zufriedengebe, für eine gleiche
Verteilung von Gütern einzutreten, wenn Arbeiter zu wenig davon hätten, kümmere sie sich nicht darum, auf welche Weise die Arbeiterinnen in den täglichen
Interaktionen am Arbeitsplatz daran gehindert würden, zur vollen Entfaltung
ihrer Fähigkeiten, vor allem der Entscheidungsfreiheit, zu gelangen. Dazu reiche eine Neuverteilung der Ressourcen nicht, vielmehr seien auch „allgemeine
radikale institutionelle und gesellschaftliche Veränderungen“ notwendig (ebd.:
43). Der Maßstab dafür ist eine Konzeption des guten Lebens, die Nussbaum
als „starke vage Theorie“ bezeichnet: stark, weil sie „die menschlichen Ziele in
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allen menschlichen Lebensbereichen ins Auge faßt“ (ebd.: 46); vage, weil sie nur
Umrisse eines guten Lebens skizziert. Diesen Umriss gewinnt sie aus kulturübergreifenden Geschichten „von der allgemeinen Form oder Struktur des menschlichen Lebens“, die eine vage Vorstellung davon vermitteln, was es bedeutet, „als
Menschen in der Welt zu leben“ (ebd.: 47). Aus diesen Geschichten destilliert
Martha Nussbaum also eine Anzahl von Merkmalen des guten Lebens, die zu
beurteilen erlauben, ob der Zustand, in dem Menschen leben, als gerecht gelten
kann. Sehr stark zusammengefasst handelt es sich vor allem um die folgenden
Fähigkeiten (ebd.: 49ff.): die, ein volles Menschenleben bis zum Ende zu führen,
nicht vorzeitig zu sterben; sich guter Gesundheit zu erfreuen, angemessen zu
ernähren, eine angemessene Unterkunft zu haben, Möglichkeiten zu sexueller
Befriedigung zu haben, mobil zu sein; unnötigen Schmerz zu vermeiden und
freudvolle Erlebnisse zu haben; die fünf Sinne zu benutzen; Bindungen zu Dingen und Personen außerhalb unserer selbst zu haben; diejenigen zu lieben, die
uns lieben und für uns sorgen; zu lieben, zu trauern; sich eine Vorstellung vom
Guten zu machen und kritisch über die eigene Lebensplanung nachzudenken; für
andere und bezogen auf andere zu leben; in Verbundenheit mit Tieren, Pflanzen
und der ganzen Natur zu leben; zu lachen, zu spielen, und Freude an erholsamen
Tätigkeiten zu haben; sein eigenes Leben und nicht das eines anderen zu leben;
sein eigenes Leben in seinem eigenen Kontext zu leben.
Die Gerechtigkeitstheorie von Martha Nussbaum erschöpft sich nicht in diesen
hier nur angedeuteten Überlegungen. Gleichwohl lassen sich einige Einwände
erheben. Um einen Maßstab für Gerechtigkeit zu finden, entwickelt Nussbaum
eine starke vage Theorie, die sich auf menschliche Lebensbedingungen beruft,
die sie durch Verallgemeinerung aus Erzählungen von Menschen gewinnt. Diese
narrativen Bestimmungen erscheinen als allgemeine, weil sie weit verbreitet sind
und als eine Art Minimum der menschlichen Existenz angesehen werden. Doch
die große Verbreitung besagt noch nicht, dass diese Bestimmungen normativ
gerecht sind und allgemein verbindlich sein sollten. Die Konflikte können dort
entstehen, wo Individuen aufgrund ihrer wirtschaftlichen Möglichkeiten ein
besseres als bloß jenes „gute“ Leben leben. Sie würden vielleicht anderen ein Leben
nach jenen Maßstäben nicht verwehren, aber auf ihrem Lebensniveau beharren
und bestreiten, dass es zwischen ihrer guten Lebensweise und den schlechten
Lebensbedingungen der anderen einen Zusammenhang gibt. Eine Frage der
Gerechtigkeit stellt sich für sie dann nicht. Die Vorstellungen vom guten Leben
bleiben auch unverbindlich, weil sie sehr unterschiedlich verstanden werden
können: So kann „mobil zu sein“ für einen Manager in New York etwas anderes
bedeuten als für einen Indio in Bolivien; „in Verbundenheit mit der Natur zu
leben“ kann sozial und ökologisch sehr Verschiedenes bedeuten und sehr unterschiedliche Folgen für das Leben aller haben. Streit kann auch dort entstehen, wo
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die Kriterien der besonderen Situation von Individuen nicht angemessen sind:
Warum nicht Freude an nicht erholsamen Tätigkeiten haben? Warum nicht
dazu fähig sein, traurig zu sein? Scheitert ein Leben wirklich, wenn jemand die
fünf Sinne nicht nutzen kann? Ist „Entscheidungsfreiheit“ tatsächlich schon ein
ausreichendes Kriterium für ein gutes Leben und sollten nicht auch Kriterien
für die Ziele der Entscheidungsfreiheit ausgebildet werden? Martha Nussbaum
orientiert sich an individuellen Fähigkeiten und Lebensentwürfen. Ein Gerechtigkeitsmaßstab, der aus einer Verallgemeinerung von empirischen Praktiken
gewonnen wird, kann vielleicht eine verbreitete Zustimmung finden; und doch
würde er am Leben aller wenig ändern, weil er nicht auf die Gestaltung der
Verhältnisse, des Zusammenhangs zielt. Um es mit Adorno zu sagen: Moralische
Objektivität und damit der Gedanke an die richtige Einrichtung der Welt kann
nicht am einmal so seienden Menschen gemessen werden (Adorno 1955: 65).
Martha Nussbaum würde eine solche Kritik wohl nicht akzeptieren, denn sie
teilt mit dem politischen Liberalismus die Annahme, dass Gerechtigkeit keine
individuelle Fähigkeit oder Tugend ist, sondern Gerechtigkeit ein Maßstab zur
Beurteilung von gesellschaftlichen Verhältnissen darstellt, unter denen Individuen systematisch benachteiligt und um ihre individuellen Möglichkeiten gebracht
werden, also Ungleichheit hergestellt oder verstärkt wird, wo sie vermieden werden könnte. Sie unterstellt in ihrer Argumentation, dass die Bedingungen für die
individuellen Fähigkeiten vom Staat geschaffen werden müssen. Wie viele andere
Moralphilosoph_innen auch bezieht sie sich damit auf existierende Nationalstaaten, die der Adressat moralphilosophischer Argumente sind. Sie sollen die
Hindernisse beseitigen, die sich zwischen die Bürger_innen und jene gerechten
Lebensumstände stellen. Der Staat erscheint als eine Instanz über den Individuen, die sich um deren Wohl bemühen würde, wäre sie nur von den richtigen
Gerechtigkeitskriterien programmiert. Damit ist weder die Frage beantwortet,
ob es wünschenswert oder vorstellbar ist, dass ein Staat die Gesellschaft plant und
infrastrukturelle Bedingungen schafft, die allen ermöglichen, jene Fähigkeiten
zu erwerben oder zu entfalten. Der Staat kann das weder leisten noch ist er jene
neutrale und allgemeine Instanz, die in gleicher Weise das Interesse aller Bürger_innen fördert. Vielmehr trägt er als Herrschaftsagentur aktiv zum Nachteil
von Bevölkerungsgruppen bei. Dies wird wiederum von Gerechtigkeitskonzeptionen und Intellektuellen gestützt, die mit professionellen moralphilosophischen
Argumenten zugunsten eines moralisch Richtigen zur herrschenden, staatlichen
Definition des Allgemeinwohls, also einem Partikularismus, beitragen.
Die Theorie von Nussbaum ist also nur ein Beitrag zur Bildung staatlicher
Strategien und weist damit auf eines der Probleme der Gerechtigkeitstheorien
hin. Wenn Nussbaum von den Strukturen des menschlichen Lebens spricht,
dann nimmt ihre Theorie der Gerechtigkeit einerseits Universalität in Anspruch,
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um normativ zu binden. Andererseits bringt sie mit dem Staat eine bestimmte
historische Form der Ausübung von Herrschaft ins Spiel. Diese Form wird damit
enthistorisiert – und da der Staat auch dort individuelle Fähigkeiten ermöglichen
soll, wo er noch nicht oder unzulänglich existiert, wird implizit eine modernisierungstheoretische Norm eingeführt. Der Rückgriff auf die Norm Gerechtigkeit
entdemokratisiert, da die Form der Vergesellschaftung selbst kein Gegenstand
der Diskussion ist.
2.2 Martha Nussbaum setzt ihre Überlegungen zu einem guten Leben der
liberalen Gerechtigkeitskonzeption entgegen. Ihr Haupteinwand ist, dass auch
die Liberalen Gerechtigkeit keineswegs nur formal bestimmen können. Ob die
Verteilung eines Gutes als gerecht oder ungerecht beurteilt wird, hängt davon
ab, ob und welchen Wert dieses Gut für die Individuen hat. John Rawls, einer
der führenden Vertreter des politischen Liberalismus, argumentiert formal, weil
er glaubt, dass das Problem der Gerechtigkeit auf einer allgemeineren Ebene als
der der konkreten Lebensformen behandelt werden muss. Er gibt zu bedenken,
dass ein Merkmal des Pluralismus moderner Gesellschaften gerade die Existenz
vieler Gerechtigkeitskonzeptionen und Vorstelllungen von einem guten Leben
ist. Wenn verschiedene gesellschaftliche Gruppen ihre jeweiligen Lebensformen
für gut halten und dafür Gerechtigkeit beanspruchen, verliert Gerechtigkeit ihre
verbindliche Kraft. Seit John Locke vertritt der Liberalismus die Ansicht, dass
die Gefahr für das Zusammenleben weniger darin besteht, dass die Menschen
sich entzweien, weil sie schlecht sind, sondern eher, weil sie das moralisch Gute
und Richtige wollen und dafür das Recht in Anspruch nehmen, ihre Vorstellung
vom Gerechten zu verallgemeinern. Wie also soll zwischen den verschiedenen
Gerechtigkeitskonzeptionen entschieden werden, ohne dass es dabei ungerecht
zugeht? Anders gefragt: wie kommt man zu einer gerechten Konzeption der
Gerechtigkeit, einer Konzeption, die von allen akzeptiert werden kann? In seiner
auf eine „vollkommen gerechte oder nahezu gerechte konstitutionelle Staatsform“ zielenden „Idealtheorie“ schlägt Rawls eine Konzeption der Gerechtigkeit
als Fairness vor, die keine moralische Globallehre, keine allgemeine, sondern
eine politische Theorie der Gerechtigkeit ist (Rawls 2003: 33ff.). Sie befasst sich
vorwiegend mit den Prinzipien der Grundstruktur – das sind politische und
soziale Institutionen und ihr Zusammenhang als Kooperationssystem – der pluralistischen Gesellschaft. Dabei handelt es sich um Prinzipien, denen alle Bürger
zustimmen können sollen, auch wenn sie ansonsten widerstreitende religiöse,
philosophische und politische Anschauungen und Globallehren vertreten. Es
handelt sich um die Bestimmung von fairen Modalitäten einer Kooperation
zwischen als frei, gleichberechtigt, vernünftig geltenden Bürger_innen, die einer
Gesellschaft angehören (ebd.: 28). Die politische Konzeption der Gerechtigkeit
formuliert einen „gemeinsamen Standpunkt, von dem die Bürger Fragen bezüg-
Gesellschaftskritik und Gerechtigkeit
397
lich der wesentlichen Verfassungselemente lösen können“ (ebd.: 64). Rawls zufolge
sind die Grundideen dieser Gerechtigkeitskonzeption der öffentlichen Kultur
entnommen und deswegen den Bürger_innen vertraut (ebd.: 65).
Rawls nimmt gemäß der vertragstheoretischen Tradition an, dass eine wohlgeordnete Gesellschaft von einer öffentlichen Gerechtigkeitskonzeption wirksam
reguliert wird, die auf einer Vereinbarung der vernünftigen Bürger_innen unter
fairen Bedingungen beruht. Eine solche ist möglich aufgrund einer hypothetischen Annahme über einen Urzustand, in dem alle einem gemeinsamen Gesellschaftsvertrag zustimmen, ohne über die Informationen zu verfügen, welche
Position sie selbst in der zukünftigen gesellschaftlichen Kooperation einnehmen
würden. „Da der Inhalt der Vereinbarung die Gerechtigkeitsprinzipien für die
Grundstruktur betrifft, bestimmt die im Urzustand ausgehandelte Abmachung
die fairen Modalitäten der sozialen Kooperation zwischen den als solche Personen
betrachteten Bürgern.“ (Ebd.: 41, 132) Die Grundstruktur ist der eigentliche
Gegenstand von Rawls’ Theorie der Gerechtigkeit. Sie ergibt sich aufgrund einer
unterstellten vertraglichen Zustimmung durch alle, die sich in der generationenübergreifenden sozialen Kooperation zwischen freien und gleichen Bürger_innen
vollzieht.
Es sind zwei Gerechtigkeitsprinzipien, die auf solche Weise mit der Zustimmung aller vernünftigen, freien und normalen Bürger_innen rechnen können: 1.
„Jede Person hat den gleichen unabdingbaren Anspruch auf ein völlig adäquates
System gleicher Grundfreiheiten, das mit demselben System von Freiheiten für
alle vereinbar ist.“ 2. „Soziale und ökonomische Ungleichheiten müssen zwei
Bedingungen erfüllen: erstens müssen sie mit Ämtern und Positionen verbunden
sein, die unter Bedingungen fairer Chancengleichheit allen offenstehen; und
zweitens müssen sie den am wenigsten begünstigten Angehörigen der Gesellschaft
den größten Vorteil bringen (Differenzprinzip).“ (Ebd.: 78) Rawls betont, dass es
zwischen den drei Elementen der Gerechtigkeit eine Rangfolge gibt, die entsprechend erfüllt sein sollte: erst kommt die Freiheit, dann die legitime Gleichheit
und Ungleichheit, die faire Chancengleichheit und die Bevorzugung von Benachteiligten ermöglichen soll. Insbesondere letzteres ist von Bedeutung: Eine von
Gerechtigkeitsprinzipien regulierte soziale Ungleichheit gilt als legitim, wenn
sie dem allgemeinen Wohl oder den besonders schlecht gestellten Angehörigen
der Gesellschaft nutzt (ebd.: 91).
Die beiden Gerechtigkeitsprinzipien übernehmen jeweils eine spezifische
Rolle: Auf der Grundlage der Freiheitsrechte gewährleistet die gesellschaftliche
Grundstruktur ein gerechtes konstitutionelles Staatswesen. Faire Chancengleichheit und Differenzprinzip sorgen für die Einrichtung von Hintergrundinstitutionen der sozialen und ökonomischen Gerechtigkeit. Es geht Rawls nicht um
Verteilungs-, sondern um Verfahrensgerechtigkeit. Entsprechend formuliert er
398
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Ansprüche auf Verteilungs- in solche der Verfahrensgerechtigkeit um. Die gerechte Verteilung soll sich aus den Prinzipien ergeben, auf deren Grundlage sich
die Hintergrundinstitutionen bilden. „Die Grundstruktur ist so geordnet, dass
dann, wenn jeder die öffentlich anerkannten Regeln der Kooperation befolgt
und die von den Regeln festgesetzten Ansprüche anerkennt, die resultierenden
Einzelverteilungen der Güter als gerecht (oder zumindest als nicht ungerecht)
und akzeptabel gelten – einerlei, welche Form diese Verteilungen annehmen.“
(Ebd.: 89) Auf dieser Grundlage kommt es zu Regulierungsmaßnahmen, die
„erforderlich sind, um die Hintergrundgerechtigkeit langfristig und für alle
Personen in der gleichen Form zu sichern“ (ebd.: 94). Dies beinhaltet, dass die
Verteilung von Eigentum und Vermögen durch entsprechende steuerliche und
Erbschaftsregelungen, die der Kapital- und Vermögenskonzentration, der damit
verbundenen sozialen Ungleichheit und entsprechenden politischen Machtpotenzialen, entgegenwirken, „langfristig gleich genug bleibt, um den fairen Wert
der politischen Freiheiten und die faire Chancengleichheit über Generationen
hinweg aufrechtzuerhalten“ (ebd.: 90). Die frühere gerechte Verteilung gewährleistet dann die Gerechtigkeit späterer Verteilungen.
Rawls nimmt also implizit an, dass die gesellschaftliche Struktur selbst ständig
beobachtet und durch Gerechtigkeitsprinzipien reguliert werden muss. Er erwartet, dass die Bedingungen der fairen Chancengleichheit dadurch gewährleistet
werden, dass die Konzentration von Vermögen und Kapital durch eine kontinuierliche Umverteilung nach dem Differenzprinzip verhindert wird. Das aber
läuft darauf hinaus, eine Kontinuität der Verhältnisse zu unterstellen, die eine
solche Umverteilung stetig von Neuem erforderlich machen. „Chancengleichheit“
besagt ja genau dies: dass es nur wenige Chancen gibt und deswegen nur wenige
sie ergreifen können, während viele verlieren müssen und durch die Niederlage
biografisch gezeichnet sind. Die faire Chancengleichheit ist aber zudem aus der
Kooperation heraus bedroht, da diejenigen, die die Chancen ergriffen haben,
sich die Vorteile erhalten wollen. Es bedarf eines Staates, der die Umverteilung
ständig gegen die Gesellschaft durchsetzt.
Anders als Nussbaum versucht Rawls, Gerechtigkeitsprinzipien nicht einfach nur empirisch zu behaupten, sondern zu begründen, warum diese von ihm
aufgestellten Prinzipien von allen rationalen, freien, gleichen Individuen geteilt
werden müssten. Appelliert Nussbaum an die verbreitete Erfahrung mit dem
eigenen Leben, appelliert Rawls an das rational einsichtige und wohlverstandene
Interesse der Individuen und sozialen Gruppen, dem von ihm vorgeschlagenen
politischen Gerechtigkeitsmaßstab zu folgen. Es müsse sie ja überzeugen, dass sie
alle kein Interesse daran haben könnten, durch die Globallehren anderer Gruppen
übermächtigt zu werden. Rawls entwickelt eine Metatheorie der Gerechtigkeit.
Das oben beschriebene Dilemma, dass das, was allgemein gelten und moralisch
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verbindlich sein soll, gleichzeitig Gegenstand eines Konflikts ist, greift er auf und
macht gerade daraus einen zentralen Gesichtspunkt einer Gerechtigkeitstheorie.
Die Konzeption der Gerechtigkeit von Rawls erweist sich in ihrem Universalismus als Status-quo-orientiert. Er trennt die Gerechtigkeit auf in einen Bereich
der Allgemeinheit und in einen Bereich der lokalen Besonderheit von sozialen
Gruppen und Individuen. Wenn diese Gruppen Ziele für die soziale Kooperation
vertreten würden, hätten sie keine allgemeine Rechtfertigung, diese als solche
durchzusetzen, sofern mit einer solchen Veränderung der gesellschaftlichen
Grundstruktur Freiheiten einer Gruppe mit einer anderen Globallehre eingeschränkt oder sogar die Existenzgrundlagen dieser Gruppe überflüssig gemacht
würden. Denn nach Rawls’ erstem Gerechtigkeitsprinzip sind die Freiheiten
aller mit Blick auf ihre Vereinbarkeit zu berücksichtigen. Der antinomische
Charakter von egoistischer, negativer Freiheit und von Herrschaft bestimmter
Kooperation unter kapitalistischen Bedingungen wird von Rawls nicht gesehen,
sodass sich auch eine Veränderung der Grundstruktur und Kooperation nur in
der Weise in den Blick nehmen lässt, dass ein von Rawls’ Gerechtigkeitstheorie
informierter Staat regulierend eingreift. Die neoliberale Konterrevolution hat
eine solche moralphilosophische Erwartung an wohlfahrtsstaatliche Verteilungsfunktionen widerlegt. Der Staat ist keine neutrale Instanz, die von den besten
gerechtigkeitstheoretischen Argumenten programmiert wird, sondern in seinen
Apparaten verdichten sich gesellschaftliche Macht- und Herrschaftsverhältnisse.
Es werden entsprechend Politiken verfolgt, die auf eine Umverteilung zugunsten
derjenigen zielen, die alle Chancen in der Hand behalten und alle Risiken auf die
Unteren abwälzen. Rawls’ Gerechtigkeitsphilosophie stellt einen Beitrag in dieser
Kräftekonstellation dar. Doch er täuscht sich und andere darüber hinweg, weil
er mit der liberalen Tradition die Vorstellung teilt, dass die von ihm entfalteten
Gerechtigkeitsprinzipien und die entsprechenden Institutionen gleichzeitig etwas
historisch Besonderes und etwas Überzeitliches sind: historisch Gewordenes
(eine bestimmte Ökonomie, die als Markt funktioniert und zur Konzentration
von Kapital tendiert, die soziale Ungleichheit, der Staat, die Öffentlichkeit, die
gesetzlichen Regelungen, die Familie, die Kirche), das sich jedoch geschichtslos
bewährt und der Geschichte eine normative Orientierung gibt (die freien, gleichen
und vernünftigen Bürger_innen, der Vertrag, der Urzustand, der Konsens über ein
allgemein verbindliches Verfahren). Die Prinzipien der Gerechtigkeit bedürfen
jedoch, weil ideal und nicht in der Wirklichkeit allgemein verbindlich wirksam,
der idealisierenden philosophischen Herausstellung und Begründung durch einen
Intellektuellen, der als universitär autorisierter Moralexperte und mit dem Anschein der wissenschaftlich-philosophischen Rationalität und Überparteilichkeit
handelt, und eines Staates, der durch die Berufung auf diese universalistische
Moral sich selbst universalisiert, also ewig und überparteilich erscheint.
400
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Rawls macht keine Aussagen zu den Globallehren selbst, er legt nahe, dass er
selbst keine vertritt, weil seine Theorie allen Globallehren einen Raum gewährt,
friedlich zu koexistieren – was selbst eine bestimmte Globallehre und Lebensweise darstellt. Denn alle Globallehren sollen ja als solche bleiben, wie sie sind,
so als gäbe es nicht Aufklärung und rationale Einsicht. Was aber bedeutet es,
wenn die Globallehren eine Gerechtigkeitstheorie wie die von Rawls akzeptieren
würden? Sie würden ihren Charakter ändern und ihren Anspruch reduzieren,
blieben also de facto nicht unverändert. Denn zu einer Globallehre gehört der
Anspruch auf Richtigkeit und Allgemeinheit der mit ihr verbundenen Lebensweise. Eine solche Globallehre muss nicht totalitär sein, sondern kann rational
dazu beitragen, dass Verhältnisse so gestaltet werden, dass Ungleichheit zum
Vorteil einiger Weniger gar nicht erst entsteht und durch Gerechtigkeitsdiskurse
und Staatsinterventionen überwacht und zurückgedrängt werden muss. In einer
solchen neuen Lebensweise, die durchaus vielfältig, differenziert und plural sein
kann, wären dennoch bestimmte Lebensformen nicht mehr enthalten, mit denen
die rawlssche Theorie noch einen Kompromiss eingeht. Nicht alle Globallehren
sind gleich gut, einige sind überholt und andere besitzen die Fähigkeit, weit über
die Gerechtigkeitstheorie hinaus zur vernünftigen Gestaltung der Kooperation
und der sozialen Verhältnisse beizutragen. Solche rationalen Globallehren – wie
die Theorien im Anschluss an Marx – sind keine beliebigen Globallehren, sondern
stellen eine Konkurrenz für die rawlssche Gerechtigkeitstheorie dar, die sich mit
ihrer Festlegung auf eine spezifische liberale Ordnung als eine partikularistische
Theorie erweist, und sie stellen deren Geste, über den Parteien zu stehen, infrage.
2.3 Die Diskussion von zwei gegensätzlichen und prominenten Positionen
innerhalb der jüngeren Moralphilosophie zeigt, dass es ihnen nicht gelingt, ihre
Gerechtigkeitstheorie als eine wirklich allgemeine auszuweisen. Ihre Gerechtigkeitsvorstellungen sind parteiisch, in den gesellschaftlichen Konflikt hineingezogen und treten für nur begrenzte soziale Fortschritte ein. Damit scheitert im
Prinzip gerade das, was Gerechtigkeit beansprucht, nämlich die Allgemeinverbindlichkeit von normativen Maßstäben herzustellen, die der Beurteilung des
Handelns von Individuen und gesellschaftlichen Verhältnissen zugrunde gelegt
werden und richtiges Handeln anleiten kann. Was Friedrich Engels (1888: 289)
über die feuerbachsche Moraltheorie sagt, gilt auch hier: „Sie ist auf alle Zeiten,
alle Völker, alle Zustände zugeschnitten, und eben deswegen ist sie nie und nirgends anwendbar und bleibt der wirklichen Welt gegenüber ebenso ohnmächtig
wie Kants kategorischer Imperativ.“ Die Gerechtigkeitsdiskurse denken ihre
eigene Praxis nicht. Aufgrund der Tatsache, dass Philosoph_innen in Anspruch
nehmen, sich mit den Geltungsaspekten von Gerechtigkeit zu befassen, sich in
einem Bereich normativer Idealität zu bewegen, glauben sie, die Nachfrage, was
sie da tun, wenn sie moralische Normen begründen, ignorieren zu können. Dabei
Gesellschaftskritik und Gerechtigkeit
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gibt es gute Gründe, sich zu fragen, was es genau bedeutet, dass sich Philosoph_innen seit Jahrhunderten um die Bestimmung von Gerechtigkeit bemühen, diese
Bemühungen jedoch nicht zum Erfolg geführt haben – wenn der Maßstab des
Erfolgs der wäre, dass das gesellschaftliche Leben gerecht und von den Individuen
als gerechtes gelebt werden kann. Angesichts dieses Scheiterns können die Gerechtigkeitsphilosophien entgegen ihrem Anspruch auf Allgemeinverbindlichkeit
allenfalls Diskussionsvorschläge sein. Damit muss die Erwartung einhergehen,
dass soziale Gruppen ihre Argumente bestärkt sehen oder staatliche Akteure
überzeugt werden, eine entsprechende Politik zu verfolgen. Dies müsste zur Folge
haben, dass gesellschaftliche Gruppen mit oder ohne Globallehre, die andere
Gruppen in ihrer Freiheit schon längst übermächtigt und in ihrer Freiheit eingeschränkt haben, demoralisiert werden und ihre Lebensform, also ihre Form von
Freiheit, aufgeben. Allerdings handelt es sich ohnehin nicht um Argumente im
Zusammenhang einer in der Gesellschaft von allen und offen geführten Diskussion darüber, wohin sich die konkrete Gesellschaft entwickeln will. Das Allgemeine
nimmt in den moralphilosophischen Diskussionen zunächst die Gestalt einer
partikularen arbeitsteiligen Funktion an. Denn es handelt sich zunächst nur um
Überlegungen von Philosophieprofessor_innen, die sich in einem bestimmten
akademischen Kontext mit definierten Problemen, einer Referenzliteratur und
einem spezifischen professionellen Geltungsbereich bewegen. Auf diesem Feld
der Moralphilosophie gibt es zahlreiche Philosoph_innen, die bemüht sind zu
zeigen, dass das moralisch Richtige von den anderen jeweils noch nicht gut genug
begründet ist. In dieser konkreten Diskussion müssen Nussbaum oder Rawls nun
beweisen, dass ihre Argumente tatsächlich dem Anspruch auf Allgemeinheit genügen, den sie erheben müssen, soll ihre Theorie zu einer allgemein verbindlichen
normativen Orientierung werden können. Da das Publikum sich interessenorientiert oder rational verhält, wird es die professionellen Philosophien selbst dann
nicht als verbindliche Wahrheit betrachten, wenn ihre Vertreter_innen schon
eine gewisse Bekanntheit und Bedeutung jenseits einer kleinen Fachöffentlichkeit
erlangt haben und als relevante Sprecher_innen bestimmter bürgerlicher Gruppen
und Funktionsträger gelten können. Vielmehr wird das Publikum warten, wie
der Streit zwischen den Expert_innen weitergeht, und sich im Handeln bis auf
Weiteres von anderen Gesichtspunkten leiten lassen.
Theodor W. Adorno hat das grundlegende Problem moralischen Argumentierens angesprochen: „Moralische Fragen stellen sich bündig […] in Sätzen wie:
Es soll nicht gefoltert werden; es sollen keine Konzentrationslager sein […]. Bemächtigte aber ein Moralphilosoph sich jener Sätze und jubelte, nun hätte er
die Kritiker der Moral erwischt: auch sie zitierten die von Moralphilosophen
mit Behagen verkündeten Werte, so wäre der bündige Schluss falsch. Wahr sind
die Sätze als Impuls, wenn gemeldet wird, irgendwo sei gefoltert worden. Sie
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Alex Demirović
dürfen sich nicht rationalisieren; als abstraktes Prinzip gerieten sie sogleich in die
schlechte Unendlichkeit ihrer Ableitung und Gültigkeit.“ (Adorno 1966: 281) Die
Paradoxie der moralphilosophischen Begründung von Normen besteht Adorno
zufolge darin, dass, wenn mit vernünftigen Argumenten gegen Konzentrationslager oder gegen Folter argumentiert wird, die entsprechende Handlungsweise,
der Bau von Konzentrationslagern oder die Folter, abhängig gemacht wird vom
richtigen Argument. Die empirische Erfahrung mit der Moral als Denkform
aber zeigt, dass moralisches Argumentieren an kein Ende kommt, weil gegen jede
moralphilosophische Begründung von Normen immer noch ein_e Philosoph_in
Gegenargumente vorbringen wird – sodass eine Dynamik der „schlechten Unendlichkeit“ in Gang gesetzt und die Gerechtigkeit immer aufgeschoben wird.
Adorno zufolge sind die moralischen Gefühle, auch das der Ungerechtigkeit, ein
Impuls. Wenn sie rationalisiert werden und die Gestalt der praktischen Philosophie annehmen, werden sie zum Gegenstand einer spezialisierten Kategorie von
Intellektuellen, die es zu ihrem Beruf machen, moralische Argumente zu prüfen,
hin und her zu wenden, zu verwerfen oder zu verteidigen. Daraus entsteht etwas
Inhumanes. Das Dringlichste, nämlich das Unrecht, die Angst, das Elend, werde,
so Adorno, kontemplativ, Gegenstand akademischer Begründungsrituale und
professioneller Routinen. Das Grauen ginge weiter. Denen, die widerständig
sind, kann vorgeworfen werden, ohne moralische Rechtfertigung zu handeln.
Adorno nährt in seiner Überlegung das Misstrauen in die moderne Gestalt des
philosophischen Intellektuellen, der die traditionelle Praxis der Kleriker fortsetzt,
wenn er alle Einwände damit kontert, dass auch die Kritiker der Moral moralische
Normen in Anspruch nähmen, und wenn er angesichts dieses vermeintlichen
argumentativen Triumphs glaubt, etwas zur Änderung der Verhältnisse beigetragen zu haben. Doch mit moralischen Argumenten reichen die Intellektuellen
an die Verhältnisse nicht heran. Dies gilt allerdings auch für den moralischen
Impuls, der mittlerweile Gegenstand der empirischen Gerechtigkeitsforschung
und einer rekonstruktiven Moralphilosophie geworden ist, die moralische Intuitionen in den Blick nimmt, um auch noch solche Impulse selbst in die paradoxen
Endlosschleifen der Moralphilosophie hineinzuziehen. Der moralische Impuls
wird von Adorno positiv bewertet, weil er überhaupt noch auf die Beseitigung
von Verhältnissen zielt, in denen die Menschen unfrei leben. Erstaunlicherweise
denkt Adorno an diesem Punkt nicht radikal genug und vertraut diesem Impuls,
ohne sich zu fragen, woher genau er kommt und mit welcher gesellschaftlichen
Praxis er selbst verbunden ist. Es spricht jedoch viel dafür, dass solche moralischen
Impulse nicht erst durch nachträgliche professionelle Rationalisierungsstrategien
in Handlungsunfähigkeit überführt werden, sondern selbst schon widersprüchlich sind und das Handeln blockierende Folgen mit sich führen. Dies möchte ich
im nächsten Abschnitt zeigen.
Gesellschaftskritik und Gerechtigkeit
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3. Handlungsblockaden durch Gerechtigkeit
In seiner Studie über das Ungerechtigkeitsempfinden am Arbeitsplatz untersucht
François Dubet nicht professionell ausgearbeitete, sondern von Lohnabhängigen
in ihrem beruflichen Alltag intuitiv geäußerte moralische Impulse, die sich als
Gerechtigkeitsprinzipien rekonstruieren lassen: Gleichheit, Leistung, Autonomie,
Recht, Macht und Anerkennung. Er beobachtet, dass die von ihm Befragten
alle diese Prinzipien gleichzeitig zur Beschreibung von Ungerechtigkeiten in
ihrem Arbeitsalltag verwenden. a) Nach dem Maßstab der Gleichheit fragen die
Individuen nach der Gerechtigkeit ihrer Position in der Organisation der Arbeit.
So fühlen sich Befragte als arm, minderwertig oder untergeordnet behandelt; es
werden die geringen Verdienste, die anstrengende Arbeit, die rauen Umfangsformen der Vorgesetzten, die schlechten Chancen des Zugangs zu guten Schulen und
des Aufstiegs in den beruflichen Hierarchien beklagt. b) Das Prinzip der Leistungsgerechtigkeit erlaubt eine Abwägung der Angemessenheit der Entlohnung.
Es rangiere noch vor dem der Gleichheit. Der Glaube an Leistung sei auch bei
Arbeiter_innen sehr hoch, variiere aber mit der sozialen Stellung der Befragten
(Dubet 2008: 99). Leistung rechtfertigt eine hart errungene Position, ebenso aber
auch die Kritik an Privilegien, die nicht auf angemessenen Leistungen beruhen
wie Dienstalter oder Beziehungen; die ungleiche Entlohnung von gleicher Arbeit;
der Status, der erlangte und protegierte Positionen vor Unsicherheit schütze;
intransparente und subjektive Leistungsbewertung. c) Autonomie ermöglicht eine
Beurteilung der Arbeit nach Gesichtspunkten der inneren Befriedigung, dem
Gefühl der Entfaltung und der Freiheit. Von einem „Ende der Arbeit“ könne nicht
die Rede sein, der Mehrheit der Französ_innen gelte die Arbeit nach der Familie als der zweitwichtigste Wert. Für die Arbeit spreche Selbstverwirklichung,
Bewährung eigener Fähigkeiten, Erfahrung des Hergestellten und Gestalteten,
menschliche Beziehungen und Kommunikation, Abwechslung, Initiative und
Verantwortung. Kritisiert wird die Arbeit, weil sie ermüdend, erschöpfend, monoton, angsterregend und schmutzig sei, aber auch, weil sie als Herrschaft, Zwang
und Kontrolle erfahren wird, weil man kommandiert, abgewertet, missachtet
oder auf bloße körperliche Arbeitskraft ohne Subjektivität reduziert wird, weil
es Stress und zeitlichen Druck gibt.
Diese Beobachtungen erlangen ihre Bedeutung in einem zweiten argumentativen Schritt. Die Befragten verwenden alle diese Gerechtigkeitsprinzipien gleichzeitig, doch damit geraten sie in Widerspruch zueinander und tragen zu einer Art
von Desorientierung bei. a) Aus dem Blickwinkel der Gleichheit erscheint das Leistungsprinzip als Egoismus, es verschärft die Konkurrenz und die Ungleichheiten, es
individualisiert, zerstört die Arbeitsbeziehungen und das Vertrauen untereinander.
Autonomie isoliere die Menschen, Individualismus höhle die Solidarität und die
für alle geltenden Regeln aus und trage zum moralischen Verfall auf der Arbeit
404
Alex Demirović
und in der Gesellschaft bei. b) Aus dem Blickwinkel der Leistung stellt sich der
Anspruch auf Gleichheit als Hindernis dar: die Leistung am Arbeitsplatz steht
in einer Spannung zu den erworbenen Bildungsabschlüssen, die aus einer früh
erbrachten Leistung ein lebenslanges Privileg macht; die Gleichheit, die von legitimen hierarchischen Ordnungen geschaffen wird, führt zu Statusprotektion und
hemmt die freie Konkurrenz. Dem Leistungsprinzip zufolge müssen für alle die
gleichen Ausgangsbedingungen und Leistungsmaßstäbe gelten. Dem widerspricht
aber der Anspruch auf Autonomie, der etwas subjektiv Einzigartiges und insofern
auch Irrationales anhaftet. Sie anzuerkennen heißt, die Objektivität der Leistung
zu beeinträchtigen. c) Die Autonomie mit ihrem Anspruch auf Selbstbestimmung,
dem Recht, sein Leben zu leben und sich nach eigenen Maßstäben zu verwirklichen steht im Widerspruch zum Gleichheitsprinzip, das Selbstverleugnung und
Konformismus verlangt. Der Gesichtspunkt der Autonomie impliziert harte Erwartungen an die Eigenverantwortlichkeit der Individuen; die Arbeit, den Lohn,
die öffentliche Unterstützung muss man sich durch eigene Aktivität verdienen.
Die Autonomie ist auch nicht mit dem Leistungsprinzip in Einklang zu bringen,
die sich an Kriterien der Effizienz und des Resultats orientiert. So kommt es zu
dem Gefühl, dass die eigene Autonomie, die Motivation und Arbeitsmoral von
den Vorgesetzten nur ausgebeutet und verschlissen werden, das Verlangen nach
Autonomie könne zur Falle werden. (Ebd.: 249).
Dubet hält die aus der Inanspruchnahme der Gerechtigkeitsprinzipien resultierenden Widersprüche nicht für einen Mangel an Stimmigkeit oder Irrationalität. Vielmehr seien die Individuen in einer Spirale, einem Rondo der Kritik
befangen, die „eine oft fast vollständige Realisierung der Syntax [seien], die den
Gerechtigkeitsprinzipien innewohnt“. „Wenn für die Subjekte gleichzeitig mehrere Prinzipien der Gerechtigkeit bedeutsam sind, ist es sehr wahrscheinlich, dass
eines davon nicht befriedigt wird; es ist kaum vorstellbar, dass man gleichermaßen
in puncto Gleichheit, Leistung und Autonomie wunschlos glücklich ist. Darüber hinaus führt aber die Annahme eines bestimmten Gerechtigkeitsprinzips
zwangsläufig zu einer Kritik der anderen und ihrer negativen Auswirkungen
auf das bevorzugte Prinzip der Gerechtigkeit.“ (Ebd.: 259) Der Bezug der Gesellschaftskritik auf die Gerechtigkeit wird deswegen prekär, weil sie in diesem
Begriff nicht zu wenig, sondern zu viel kritisches Potenzial vorfindet und zu
einem beständigen „Kreislauf von widersprüchlichen Prinzipien führt“ (ebd.:
261). Die Kritiken dynamisieren sich wechselseitig, doch gerade damit lähmen
sie sich. Diese Dynamik führt im Alltag von Gerechtigkeitsempfindungen zu
dem, was Adorno an der oben zitierten Stelle die „schlechte Unendlichkeit“
genannt hat: Jedes Gerechtigkeitsprinzip gilt im Lichte der jeweils anderen als
problematisch und verlangt einen Perspektivenwechsel oder neue Begründungen. Dies schafft Unsicherheit, Inkohärenz, Widersprüchlichkeit. Dies ist die
Gesellschaftskritik und Gerechtigkeit
405
Grundlage für die von Dubet vertretene These, dass die Gerechtigkeitsgefühle
selbst es sind, die von einem gemeinsamen Kampf und Handeln abhalten (ebd.:
384). Denn die drei Gerechtigkeitsprinzipien geben die Möglichkeit, sich auf die
unlösbaren Widersprüche zwischen ihnen zu beziehen und Ungleichheit und
Ungerechtigkeit doch für unvermeidbar oder gar für gerecht zu halten (weil die
Lohnabhängigen sich aus Gründen der moralischen Selbstwertschätzung nicht
als Opfer sehen wollen; weil sie sich als mitverantwortliche Rädchen im Getriebe
sehen; weil sie Vorteile von Ungerechtigkeit genießen; weil nach Leistungs- oder
Autonomiemaßstäben angenommen werden kann, dass Individuen selbst schuld
an ihrer Situation sind; weil der Gleichheitsanspruch in einem Widerspruch zu
meritokratischen Gesichtspunkten steht). Da gemeinsames Handeln einen Preis
hat: Einkommenseinbußen, Repressalien, Isolierung von den Kolleg_innen, verhindern die inkohärenten und widersprüchlichen Gerechtigkeitsimpulse gerade
das, was sie anregen sollen, nämlich Mobilisierung und gemeinsames Handeln.
Die Mobilisierung zu kollektivem Handeln gelinge nur, wenn die Berufung auf
homogene Gerechtigkeitsprinzipien möglich sei. Doch gerade einen übergreifenden Horizont der Gerechtigkeit, der die Gerechtigkeitsprinzipien in Einklang
bringt, gebe es nicht. „So werden eher diejenigen handeln, die handeln können,
als diejenigen, die dafür gute moralische Gründe hätten.“ (Ebd.: 420)
4. Moral als ideologische Form und die Versöhnung von
Besonderem und Allgemeinem
Die Moralphilosophie hat einen positivistisch-affirmativen Zug, denn sie unterstellt die Trennung von Sein und Sollen als eine Gegebenheit und gewinnt daraus
ihre Rechtfertigung als akademische Disziplin. Sie besteht seit Kant darauf, dass
es neben den empirischen, analytischen Wissenschaften auch eine Disziplin geben
muss, die sich mit der Idealität von Normen und Werten befasst, die moralisch
richtiges Handeln begründet und dazu motiviert. Unterstellt wird, was selbst
Gegenstand einer Frage sein müsste, dass es nämlich Moral als „ewige Kategorie“
gibt (Horkheimer 1933: 113). Die theoretische Aufgabe der kritischen Theorie
der Gesellschaft besteht nicht darin, Handeln zu rechtfertigen, eine Norm der
Gerechtigkeit zu entwerfen und anderen Gerechtigkeitskonzeptionen entgegenzustellen. Es geht darum, die Tatsache der Existenz von Gerechtigkeitsnormen
und ihrer Widersprüche und Verwicklungen zu begreifen. Warum werden Sein
und Sollen unterschieden und getrennt? Wie lässt sich das Scheitern der Begründungsversuche von Gerechtigkeit erklären? Wieso führt Moral, die Handeln
anleiten will, zu einer widersprüchlichen Bewegung, die in dessen Blockade
mündet?
406
Alex Demirović
Die materialistische Tradition seit Marx hat es abgelehnt, die kapitalistischen
Verhältnisse nach Gesichtspunkten der Gerechtigkeit zu kritisieren. Moral ist
Marx zufolge wie Philosophie, Politik, Recht oder Kunst eine jener Bewusstseinsund Denkformen (Haug 1986: 45, 50), die zur ideologischen Herrschaft beitragen, indem sie Individuen als Willenssubjekte konstituieren, denen Handeln,
Verantwortung, Freiheit zugerechnet werden. Gerechtigkeit, Moral, Religion
gehört zu jenen vermeintlichen ewigen Wahrheiten, die mit der Geschichte der
Klassengegensätze verbunden sind. Statt Moral neu zu gestalten, argumentiert
er zusammen mit Engels für einen Bruch mit jenen überlieferten Bewusstseinsformen (Marx/Engels 1848, MEW 4: 480f). Ausdrücke wie recht, unrecht,
Gerechtigkeit, so Engels (1872, MEW 18: 277), mögen im gewöhnlichen Leben
ohne Missverständnisse hingenommen werden, doch in wissenschaftlichen Untersuchungen habe ein Begriff wie der der Gerechtigkeit einen Status wie das
Phlogiston in der Chemie. Das Ideal einer überhistorischen Norm der Gerechtigkeit, an dem sich Pierre-Joseph Proudhon orientiert, um die Warenproduktion
und die ihr entsprechenden Rechtsverhältnisse umzugestalten, habe er gerade aus
diesen Produktionsverhältnissen gewonnen und liefere damit zirkulär noch den
Beweis, dass Gerechtigkeit ebenso ewig sei wie die Gerechtigkeit (Marx 1890,
MEW 23: 99). Der Bezug auf Gerechtigkeit füge konkreten inhaltlichen und
theorievermittelten Forderungen nichts hinzu (Maihofer 1992: 87). Der Bezug
auf Gerechtigkeit ist also politisch und wissenschaftlich falsch.
Marx hat sich nicht weiter dazu geäußert, warum diese sozialen Gegensätze
„historisch genau diesen spezifischen Typ gesellschaftlichen Bewußtseins, nämlich einen Gerechtigkeitsdiskurs“ hervorgebracht haben (Maihofer 1992: 76).
Sein Begriff der Form legt allerdings nahe, dass er eine Widerspruchsbewegung
in den Blick nehmen will. Die Form prozessiert Widersprüche. Widersprüchliche
gesellschaftliche Tendenzen nehmen eine Form an, „worin dieser Widerspruch
sich ebensosehr verwirklicht als löst“ (Marx 1890, MEW 23: 118f). Moral ist
also nicht einfach nur eine von oben kommende Praxis der Herrschaft. In den
ideologischen Formen werden die Menschen sich ihrer Konflikte bewusst und
tragen sie aus. Die moralische Bewusstseinsform bildet ein Feld, auf dem soziale
Konflikte auf spezifische Weise, nämlich vor allem in der Gestalt von verschiedenen Gerechtigkeitskonzeptionen ausgetragen werden.
Max Horkheimer hat im Anschluss an Marx einen Versuch unternommen,
den Widerspruch und die Konflikte genauer zu kennzeichnen, die die Form des
moralischen Bewusstseins annehmen. Ihm zufolge ist es ein Merkmal des Materialismus, dass er versucht, die wirklichen Verhältnisse aufzuzeigen, aus denen
das „moralische Problem hervorgeht“ und die sich in den „moralphilosophischen
Lehren spiegeln“ (Horkheimer 1933: 118). Er kritisiert an der Moralphilosophie,
dass ihr Moral als ewige Kategorie gilt. „Die Wandelbarkeit des Inhalts, das
Gesellschaftskritik und Gerechtigkeit
407
Angeborensein einzelner Sätze wird behauptet und bestritten, aber die Fähigkeit
zum moralischen Werturteil gilt in der Regel als ein der theoretischen Erkenntnis
mindestens ebenbürtiger Grundzug der menschlichen Natur.“ (Ebd.: 114) Demgegenüber bestreitet Horkheimer, dass die Moral eine überhistorische Instanz
sei. Er vertritt die Ansicht, dass die Moral eine „Lebensäußerung bestimmter
Menschen“ sei (ebd.: 131) und zu „der bestimmten Form der menschlichen Beziehungen“ gehöre, „welche diese auf Grund der Wirtschaftsweise des bürgerlichen
Zeitalters angenommen haben“ (ebd.: 136). Das Moralproblem hat seine Wurzeln
in der bürgerlichen Ordnung. Sie ist entscheidend gekennzeichnet dadurch, dass
einzelne Private ihre jeweiligen Interessen verfolgen und ihren Besitz mehren.
Da sie dies nur erreichen, wenn sie etwas leisten, was andere brauchen, setzen
sich mit der egoistischen Verfolgung des jeweils eigenen Wohls die Bedürfnisse
der Allgemeinheit nur indirekt durch. Die Interessen der Einzelnen und die
Interessen der Gesamtgesellschaft greifen auf diese Weise nur ungenau und mit
vielen Reibungen ineinander. Dieser Zusammenhang des eigenen Handelns
mit der Gesellschaft wird zu einem Problem des subjektiven Bewusstseins. Es
kommt zu einer Aufspaltung des Individuums. In einer Hinsicht verfolgt es sein
eigenes Wohl, in einer anderen richtet es sich am Maßstab der Allgemeinheit
aus. „In seiner Seele spielt sich ein Kampf zwischen dem persönlichen Interesse
und der vagen Vorstellung des Gesamtinteresses, zwischen individueller und
allgemeiner Zweckmäßigkeit ab. Doch ist nicht zu ersehen, wie eine vernünftige
Entscheidung nach Kriterien zwischen beiden möglich sei. Es entsteht eine unendliche Reflexion und fortwährende Bekümmerung, die grundsätzlich nicht zu
überwinden ist.“ (Ebd.: 115) Kant bringt, Horkheimer zufolge, diese historische
Konstellation auf den Begriff. Das moralische Handeln ist das Handeln nach
Gesichtspunkten des schlechthin Allgemeinen und beinhaltet die Lossagung von
allem Interesse, von jedem empirischen Gehalt. Daraus resultiert erstens, dass die
Moralphilosophie behauptet, dass das Allgemeine Vorrang vor dem Besonderen
hat; zweitens, dass die Moralphilosophie selbst keine Partei ergreift, sondern sich
ihre Unbedingtheit und ihren Allgemeinheitsanspruch damit erkauft, dass sie
sich nicht auf einen geschichtlichen Augenblick bezieht (vgl. ebd.: 113). Drittens
schließlich reicht ein Handeln nach dem Sittengesetz, also ein Handeln nach
Prinzipien der moralischen Allgemeinheit und Richtigkeit nicht an die gesellschaftliche Allgemeinheit heran, führt also das Handeln der Einzelnen und die
Allgemeinheit nicht zusammen (ebd.: 119ff). Viertens folgt daraus, dass das
Individuum immerzu ein schlechtes Gewissen hat, weil es, innerlich zerrissen,
jeweils für sich selbst überlegen muss, ob und wie sein individuelles Handeln
mit der Allgemeinheit zusammenstimmt, dieses Ziel jedoch niemals oder nur
zufällig erreicht. Als moralisch gelten deswegen eher der gute Wille, die Tugend,
die Gesinnung, das Pflichtbewusstsein als die Wirklichkeit eines gemeinsamen,
408
Alex Demirović
allgemeinen Handelns selbst. Es sei nicht das Gewissen, das Auskunft darüber
gebe, in welchem Verhältnis der Inhalt moralischen Handelns zur Entwicklung
der Gesamtgesellschaft stehe, sondern die „richtige Theorie“ (ebd.: 122; Maihofer 1992: 86). Diese Theorie steht der Moral nicht einfach gegenüber wie das
Richtige dem Falschen. Die Moral ist eine historische Form des Handelns wie
der Erkenntnis; die Theorie ist, Horkheimer zufolge, eine neue historische Stufe,
die das, was die Moral historisch wollte, aber nicht vollenden kann, aufgreift,
aufhebt und zur Verwirklichung treibt. Die Theorie dieser Verwirklichung „führt
von der Philosophie zur Kritik der politischen Ökonomie“ (Horkheimer 1933:
128). Die Kritik der politischen Ökonomie ist die Theorie, die zu Ende bringt,
was der Moralphilosophie nicht gelingt, weil sie im Zustand der „schlechten
Unendlichkeit“ von Begründungen und der „Ewigkeit“ der Erwartung auf eine
immer noch kommende Gerechtigkeit verharrt.
Horkheimer zufolge können unter kapitalistischen Verhältnissen die Einzelnen für ihr Handeln nicht verantwortlich gemacht werden. Allerdings darf
damit nicht der Gesichtspunkt der Allgemeinheit fallen gelassen und das spannungsreiche Widerspruchsverhältnis zwischen Einzelnen und Allgemeinheit
affirmativ aufgelöst werden. Horkheimer zielt auf das „Ende der Moral“ (ebd.:
123). Aber über dieses Ende wird nicht rationalistisch von der Theorie entschieden. Aus Horkheimers Sicht ist ein wesentlicher Aspekt der materialistischen
Methode und Theorie, dass sie sich solchen Fragen stellen, die so beharrlich in der
gesellschaftlichen Welt wiederkehren. „Die Moral wird vom Materialismus daher
keineswegs etwa als bloße Ideologie im Sinne falschen Bewußtseins verworfen.
Sie gilt als menschliche Erscheinung, die während der Dauer des bürgerlichen
Zeitalters gar nicht zu überwinden ist.“ (Ebd.: 119) Horkheimer gelangt hier zu
der Frage, die auch Derrida beschäftigt: eine Befragung der Gerechtigkeit – die
aus der Unzulänglichkeit der Gerechtigkeit, dem Wunsch nach einem Mehr der
Gerechtigkeit, einem Mehr als Gerechtigkeit resultiert. Derrida versteht diese
supplementäre Gerechtigkeit als Antrieb zur Suche nach einer immer neuen
Gerechtigkeit. Damit argumentiert er trotz der betonten Differenz zu moralphilosophischen Annahmen einer universalistischen Norm in der Perspektive der
Ewigkeit: Die Gerechtigkeit, die kein politischer oder juridischer Begriff ist, sei
unendlich, sie bleibe immer im Kommen, sie schaffe die niemals abgeschlossene, immer noch kommende „zu-künftige Offenheit für eine Verwandlung, eine
Umgestaltung oder eine Neu(be)gründung des Rechts und der Politik“ (Derrida
1991: 56). Horkheimer lenkt die Frage nach der Gerechtigkeit – ganz im Sinne
von Marx – in eine andere Richtung. Die Gerechtigkeit, um die seit Jahrtausenden
gekämpft wurde, soll an ein Ende kommen, sie soll einen Wendepunkt markieren,
von dem an alles anders werden kann. Die Moral drängt auf ihre „Erfüllung“
und „zugleich ihre Aufhebung“ (Horkheimer 1933: 123, 125). Die Moral und
Gesellschaftskritik und Gerechtigkeit
409
das Streben nach Gerechtigkeit verlieren ihre Grundlage in der Gesellschaft.
Historisch konkret kann der Unterschied und Gegensatz von individuellen und
allgemeinen Interessen überwunden werden und die Menschheit eine Stimme
bekommen (ebd.: 123). Horkheimer antizipiert, dass dies für utopisch gehalten
werden könnte, hält es aber mit Kant für möglich, dass die Zwecke eines jeden
Individuums mit den Zwecken aller übrigen zusammen bestehen könnten. So
verlangt das Streben nach Verwirklichung des Sittengesetzes das Verändern
der gesellschaftlichen Verhältnisse, unter denen die Einzelinteressen durch die
Verschiedenheit der Eigentumsverhältnisse bestimmt seien. Die verschiedenen
Interessen der Einzelnen seien keine letzten Tatsachen. „Die Menschen stehen
heute gegeneinander als Funktionen verschiedener ökonomischer Potenzen, deren
jede den anderen widersprechende Entwicklungstendenzen zeigt. Erst wenn diese
gegensätzliche Wirtschaftsweise, deren Einführung einmal einen außerordentlichen Fortschritt, unter anderem die Entwicklungsmöglichkeit selbstbewußter
Menschen bedeutet hat, von einer Lebensform der Gesellschaft abgelöst sein
wird, in der das produktive Eigentum nicht bloß der guten Absicht nach, sondern mit vernünftiger Notwendigkeit im allgemeinen Interesse verwaltet wird,
hört die Zusammenstimmung der Einzelzwecke auf, als Wunder zu erscheinen.“
(Ebd.: 126) Dies wird den moralphilosophischen Einwand provozieren, nicht
denkbar zu sein, weil zwischen Allgemeinem und Besonderem immer wieder
Widersprüche entstehen könnten und insofern die Gerechtigkeit tatsächlich eine
„ewige“ Aufgabe, ein immer noch bevorstehendes Ereignis sei. Diesen Horizont
zu schließen, könnte gefährliche autoritäre oder sogar totalitäre Konsequenzen
haben, wenn den Einzelnen abverlangt würde, dem herrschenden Allgemeinen
nicht mehr zu widersprechen, weil alle ihre Bedürfnisse, Interessen, Impulse
schon befriedigt wären und sie glücklich zu sein hätten. Horkheimer wendet sich
gegen Vorstellungen der Unterordnung der Einzelnen unter das Allgemeine. Das
ist aus seiner Sicht die Fortsetzung des Naturzwangs. Vielmehr plädiert er für
gesellschaftliche Verhältnisse, unter denen die „sachlichen Verrichtungen aufs
feinste gegliedert“, die Entfaltungsmöglichkeiten und das Glück der Individuen
aber nicht mehr Schicksal und der gesellschaftlichen Hierarchie unterworfen
sind (ebd.: 127). „Im Sinne Kants gebührt keiner besonderen Ganzheit die Ehre,
als absoluter Zweck zu gelten, sondern den Individuen: nur sie haben Vernunft.“
(Ebd.: 128) Mit ihrer Vernunft können die Individuen zweckmäßig über den
gesellschaftlichen Reichtum entscheiden.
Besteht das Argument also darin, sich gar nicht auf Moral und Gerechtigkeit
einzulassen? Gerade weil es sich um eine ideologische Form handelt, die Herrschaft ausübt, indem in ihr das Subjekt und sein Handeln betreffende Konflikte
über die Spannung von Allgemeinem und Besonderem ausgetragen werden, lässt
sich aus ihr nicht ohne Weiteres heraustreten. Marx hat an wenigen Stellen seiner
410
Alex Demirović
Schriften – wenn er Betrug bei Löhnen, Qualität der Waren oder Sklaverei als
ungerecht bezeichnet – auf ein für die kapitalistischen Produktionsverhältnisse spezifisches Gerechtigkeitskriterium zurückgegriffen, um die bürgerlichen
Herrschaftsverhältnisse zu kritisieren (Maihofer 1992: 65ff). Gerechtigkeit gilt
ihm jedoch nicht als universeller Maßstab, dessen Verwirklichung Emanzipation
intendiert, sondern als ein Anachronismus; sie ist eine historische Bewusstseinsform, die selbst überflüssig wird. Horkheimer argumentiert deswegen dialektischpraxistheoretisch dafür, an die Grenze der Moralbegriffe zu gehen, die über sich
hinausweisen. Gerade um einmal über die Vergeblichkeit und das Scheitern der
Moral und ihre spezifischen Widersprüche hinauszukommen und zu verwirklichen, was Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Glück als „einzelne Züge der
vernünftigen Gesellschaft“ (ebd.: 138) in der Moral schon vorweggenommen
haben, müsse über die Moral hinausgegangen werden. Die jahrtausendealte
Forderung nach Gerechtigkeit könne unter den Bedingungen des entwickelten
Kapitalismus eingelöst werden, weil „heute die Hilfsmittel der Menschheit groß
genug geworden seien, dass ihre angemessene Verwirklichung als unmittelbare
geschichtliche Aufgabe gestellt ist“ (ebd.: 138).
Literatur
Adorno, Theodor W. (1955): Zum Verhältnis von Soziologie und Psychologie. In: Ges. Schriften,
Bd. 8. Frankfurt/M 1972: 42-85.
– (1966): Negative Dialektik. In: Ges. Schriften, Bd. 6. Frankfurt/M 1973.
Derrida, Jacques (1991): Gesetzeskraft. Der „mystische Grund der Autorität“. Frankfurt/M.
Dubet, François (2008): Ungerechtigkeiten. Zum subjektiven Ungerechtigkeitsempfinden am Arbeitsplatz. Hamburg.
Engels, Friedrich (1872): Zur Wohnungsfrage. In: Marx-Engels-Werke, Bd. 18. Berlin 1973:
209-287.
Haug, Wolfgang Fritz (1986): Marx, Ethik und ideologische Formbestimmtheit von Moral. In:
Angehrn,Emil/Lohmann, Georg (Hg.): Ethik und Marx. Moralkritik und normative Grundlagen der Marxschen Theorie. Königstein/Ts: 36-57.
Horkheimer, Max (1933): Materialismus und Moral. In: Ges. Schriften, Bd. 3. Frankfurt/M 1988:
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Marx, Karl (1890): Das Kapital, Bd. 1. In: Marx-Engels-Werke, Bd. 23, Berlin 1969.
–/Engels, Friedrich (1848): Manifest der Kommunistischen Partei. In: Marx-Engels-Werke, Bd.
4, Berlin 1972: 459-493.
Maihofer, Andrea (1992): Das Recht bei Marx. Zur dialektischen Struktur von Gerechtigkeit, Menschenrechten und Recht. Baden-Baden.
Miller, David (2008) Grundsätze sozialer Gerechtigkeit. Frankfurt/M-New York.
Nullmeier, Frank (2009): Soziale Gerechtigkeit – ein politischer „Kampfbegriff“?. In: APuZ
47/2009: 9-14.
Nussbaum, Martha C. (1999): Gerechtigkeit oder Das gute Leben. Frankfurt/M.
Rawls, John (2003): Gerechtigkeit als Fairneß. Ein Neuentwurf. Frankfurt/M.