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Wie kommt ein Jude in den Himmel-Eschatologie im Judentum

Ziel und Aufbau des Vortrages. Ziel: Ziel: Die Elemente des eschatologischen Denkens in den verschiedenen jüdischen Denominationen chronologisch zu umreißen. Es ist ein Versuch eschatologisches Denken zu rekonstruieren und sich vom präfigurativen Schatten der christlichen Eschatologie loszulösen.

Wie kommt ein Jude in den Himmel- Eschatologie im Judentum Vortrag, Böttger Buchhandlung, Dienstag 04.06. 2024, um 20.00, gehalten von Dr. Mordechay Lewy, Bonn Ziel und Aufbau des Vortrages. Ziel: Ziel: Die Elemente des eschatologischen Denkens in den verschiedenen jüdischen Denominationen chronologisch zu umreißen. Es ist ein Versuch eschatologisches Denken zu rekonstruieren und sich vom präfigurativen Schatten der christlichen Eschatologie loszulösen. 1. Definitionen (Eschatologie, Apokalypse, Messias). 2. Die anti-eschatologische Tendenz der priesterlich geprägten hebräischen Bibel (AT). 3. Die Zeit des Zweiten Tempels (vom Ende des Babylonischen Exils 538 v.u.Z. mit dem Edikt von Kyros. bis seine Zerstörung im Jahr 70) und die zoroastrische Verbreitung der Auffassung von Existenz der Nachwelt, Weltgericht und der Auferstehung der Toten. 4. Mischna und Talmudperiode- Die Abneigung die Ankunft des Messias und die Endzeit zu errechnen. 5. Rabbinismus im Mittelalter – Messianismus und Bewältigung der Krisenzeiten durch jüdische Apokalypsen. 6. Mystische Kabbala im Mittelalter und Neuzeit als Opposition zur rabbinischen Rationalität (zoharische und lurianische Strömungen, Schabtaismus und Hassidismus). 7. Der Zionismus als politischer Messianismus und seine orthodoxen Gegner. 8. Ausblick- Die explosive Allianz zwischen Rabbinismus und der Kabbala in Israel. 9. Messias kommt nicht und Tikkun des Diesseits liegt bei Jedermanns Verantwortung. Definitionen Eschatologie: ist die Lehre von den letzten oder den äußersten Dingen. Letzte Dinge können als das endgültige kollektive Schicksal der Menschheit oder einer ethnischen Gruppe in einer chronologisch begrenzten Periode verstanden werden. Es kann sich auch auf die Ebene des Kosmos und auf das Ende der physikalischen Welt beziehen. Eschatologie kann sich aber ebenso auf ein individuelles Schicksal bezogen werden, wobei Tod, Auferstehung und Gottes Gericht, wo die endgültige Zuordnung des Menschen in der kommenden Welt (Himmel oder Hölle) entschieden wird. Es 1 bezieht sich darüber hinaus auf folgende Themen: den Tod und das Verhältnis zwischen Seele und Körper (mit einem starken hellenischen Einfluss), den Erlöser, den Messias (was im Judentum nicht gleichzusetzen sei), den apokalyptischen Vorboten der Endzeit (Gog und Magog, Armilius etc.), die nachfolgende messianische Zeit, die Endzeit der diesseitigen Welt, die Auferstehung der Toten, auf die Belohnung und Bestrafung im Jenseits für diesseitige Handlungen des Menschen, und auf die Gestaltung der kommenden Welt. Apokalypse: griechisch „Enthüllung“, wörtlich „Entschleierung“ wurde christologisch als Offenbarung übersetzt. Sie wird oft als eine überweltliche Realität dargestellt, die von einem übermenschlichen Wesen (Engel, Heilige und Gerechte, verstorbene Personen) an einem lebendigen Menschen enthüllt wird. Diese Realität kann zeitlich bestimmt sein und spielt sich dann auf eine chronologische Achse ab. Sie kann aber auch räumlich bestimmt sein und spielt sich dann entrückt auf der räumlichen Achse ab. Apokalypse wird oft als eine separate literarische Gattung angesehen, kann aber auch in anderen Gattungen erscheinen. Neben religiöse können Apokalypsen säkulare Themen haben, wie Dystopien und Science-Fiction. Apokalyptisches Denken wird oft ausgelöst aufgrund von kreativen Neurosen der anonymen Autoren, die angesichts von Katastrophen ihre Hoffnungen aus endzeitlichen Szenarios schöpfen können. Apokalypsen werden oft als einen Kampf der Guten gegen die Bösen dargestellt. Messias ist eine gesalbte Person (Maschiah), die von Gott geschickt wird um in der diesseitigen Welt eine positive politische, militärische oder eine sonstige errettende Rolle zu übernehmen. Der Erlöser bzw. der Retter in der jüdischen Auffassung ist Gott selbst. Er befreite das Volk von der ägyptischen Knechtschaft und er wird die Rückkehr vom Exil ermöglichen. Im Christentum ist der Gesalbte auch Gottes Sohn und erlöst die Menschheit in dem er ihre Sünden auf sich selbst lädt Anti- eschatologische Haltung der priesterlich geprägten hebräischen Bibel. 1. Als locus classicus für die herrschende Auffassung der priesterlich geprägten hebräischen Bibel kann man die folgenden Verse aus dem Buch Kohelet stellvertretend für den herkömmlichen priesterlichen Glauben nehmen. 2. Kohelet, 9: 5-6: „Denn die Lebenden wissen, dass sie sterben werden, die Toten aber wissen nichts; sie haben auch keinen Lohn mehr, denn ihr Andenken ist vergessen. Ihr Lieben und ihr Hassen und ihr Eifern ist längst dahin; für immer haben sie keinen Teil mehr an allem, was unter der Sonne geschieht [LU]“. 3. So steht es zusammenfassend in Kohelet 12, 7: „Denn der Staub muss wieder zur Erde kommen, wie er gewesen ist, und der Geist [Ruah] wieder zu Gott, der ihn gegeben hat.“ 2 4. Dem zufolge gibt es kein Leben nach dem Tod, also keine Nachwelt (Haolam haba), keine Auferstehung, keine Wiedervereinigung von Körper und Geist und keine messianische Zeit. Gerechte werden diesseitig mit einem langen Leben belohnt, (wie Noah oder Metusalem). 5. Der Glaube ist weniger hellenistisch geprägt, sondern drückt eine Routinisierung der Opferkultes im Tempel aus, die das Wohlwollen Jahves abgesichert hat. Derjenige, der die Gebote der Tora befolgt, fühlt sich beschützt und geborgen. 6. Das zyklische Geschichtsverständnis der biblischen Agrargesellschaft mit ihrem Zyklus der Agrarfesten, die auch mit einer Wallfahrt nach Jerusalem verbunden sind, dominiert den Jahresablauf. 7. Es gibt keinen Anlass zu einer internen Krise, die zum Messianismus führt. Die davidisch politisch verstandene Messiasfigur taucht ab während der Priesterherrschaft. Die Figuren des Messias ben David (Judäa) und Messias ben Josef (Israel) erscheinen wieder als Opposition zur Hasmonäer Dynastie im 2. und 1. Jahrhundert v.u.Z. 8. Die Rückkehr aus dem Babylonischen Exil wird dem ahmenidischen Perserkönig Kyros, der bei Jasaja 45:1 auch als Messias genannt wird, zugeschrieben. Aus politischen Gründen wird sie nicht dem davidischen Messias zugerechnet. Fehlende Doktrin einer jüdischen Eschatologie. Die fehlende Schärfe bei der Bestimmung von eschatologischen Begriffen in der hebräischen Bibel, in der Literatur aus der Epoche des Zweiten Tempels, und schließlich in rabbinischen und talmudischen Texten ist u. a. eine Konsequenz der fehlenden Doktrin. Aharith Hayamim (Ende bzw. letzte Tage), Yemot Hamaschiah (Messianische Tage bzw. Zeit), Le‘atid lavo (kommende Zukunft), Ha’olam Haba, (Die nächste Welt), Kez Hayamim (Ende der Tage); alle diese Begriffe zu bestimmen und die Versuche sie zu übersetzen, werden keine sprachliche Einheitsregelung ergeben. Die konkrete Bedeutung ist immer im Einzelfall und durch den Kontext zu prüfen. Dabei wird man dennoch ein Anzeichen eines chronologischen Gerüsts skizzieren können. Einige Begriffe sind rabbinisch und nicht biblisch wie Le‘atid Lavo und Haolam Haba. Letzter Begriff steht allerdings nicht für eine diesseits verstandene messianische Zeit, sondern ist auf eine jenseits gerichtete zukünftige Welt orientiert. Jüdische Gelehrten haben sich im Talmud und andere rabbinische Texte durch die Jahrhunderte nicht zurückhalten können und haben sich öfters über eschatologische Themen geäußert. Eine Doktrin ist daraus nicht geworden, sondern eher eine spekulative Reflexion über kaum zu beweisenden Sachverhalten. Erst im Mittelalter haben jüdische Denker wie Saadia ben Josef Gaon in seinem Sefer Emunot we-Deot (Buch der Glaubenslehren und Überzeugungen , verfasst 933 in der babylonischen Diaspora), Maimonides mit seinem Iggeret Teiman (Brief nach Jemen, verfasst 1172 in Ägypten) und Nachmanides (1194–1270) in seinem Sefer Hageula (Buch der Erlösung verfasst in 3 Spanien) und Isaac Abarbanel messianisches Kompendium (verfasst nach der Vertreibung aus Spanien 1492), einen Versuch gemacht auch eschatologische Elemente im Judentum systematisch zu erfassen. Nahe Zukunft Messianische Zukunft und Endzeit (diesseits) Aharit Hayamim Aharit Hayamim ‫אחרית הימים‬ Kommende Welt (jenseits) Yemot Hamaschiah ‫( ימות המשיח‬rabbinisch) Le‘atid lavo ‫לעתיד לבוא‬ (rabbinisch) Le‘atid Lavo ‫לעתיד לבוא‬ (rabbinisch) Haolam Haba ‫העולם הבא‬ (rabbinisch) Kez Hayamim ‫קץ הימים‬ Kez Hayamim ‫קץ הימים‬ Die Auferstehung der Toten. 1. Die Abwägung einer guten gegenüber einer schändlichen Handlung stellte, jenseits der rechtlichen Normen (Tora und Gebote) als biblische Orientierung, ein neues System der Belohnung und Bestrafung auf. 4 2. 3. 4. 5. Die unbekannte Vorstellung einer damit verbundenen Verurteilung in den Himmel oder Unterwelt wurde von jüdischen Gelehrten in der Epoche des Zweiten Tempels während des babylonischen Exils und der persischen Herrschaft über Judäa eingeführt. Die spätbiblischen Bücher (Daniel) und vor allem die jüdischen Apokryphen (Enoch, Testamente der 12. Patriarchen,4. Buch Esra und 2. Buch Baruch) und einige Qumran Rollen, zeugen von einer neuen Vorstellungswelt über die Auferstehung und die kommende Welt. Diese neue Vorstellungswelt lehnte sich auf die persischzoroastrischen Theologie, die das manichäische Prinzip der Dualität des Guten und des Bösen auf der Welt betonten. Zusammengekoppelt mit diesen neuen Vorstellungen ergab sich auch eine neue Sicht der zukünftigen Welt. Die Auferstehung der Toten erzwingt oft die Darstellungen des Geschehens im himmlischen Paradies (oft auch Gan Eden genannt). Paradies stammt vom Avestischen pairi-daēzab. Das chronologisch letzte Buch in der Bibel, das im Jahr 164 v. Chr. abgeschlossene Buch Daniel, enthält in 12:2, die Idee der Auferstehung: Und viele, die im Staub der Erde schlafen, werden aufwachen, die einen zum ewigen Leben, die andern zu ewiger Schmach und Schande. Ein Beispiel zur Einführung der Auferstehung befindet sich in den Makkabäerbücher: Während der Hasmonäer Herrschaft (163-37 v.Chr.) finden wir ein klares Zeugnis für den Glauben an ein ewiges Leben nach dem Tod im 2. Makkabäerbuch 7: 36, und zwar in der Episode des Martyriums der Söhne von Hannas:“ Unsere Brüder sind jetzt nach kurzem Leiden mit der göttlichen Versicherung ewigen Lebens für den Bund Gottes gestorben“. Dieselbe Episode wird etwa 200 Jahre später in einem in griechischer Rhetorik versierten jüdischen Werk, das 4. Makkabäerbuch 17: 18, wiedererzählt und diesmal mit der Beschreibung wie die Söhne Hannas im Himmel leben: „Um derentwillen sie jetzt auch die göttlichen Throne nahestehen um die glückselige Ewigkeit leben“. Die endgültige Akzeptanz dieser Auffassung im rabbinischen Judentum kann im Jerusalemer Talmud, Traktat Sanhedrin 10, Halakha 1 festgestellt werden: Wer nicht an der Totenauferstehung glaubt, hat keinen Anteil an der kommenden Welt. Die Schlussredaktion dieses Talmuds wird in die Hälfte des 4. Jahrhunderts datiert. Der Himmel Das hebräische Wort für Himmel ist Schamayim ‫שמים‬. Ursprünglich ist damit das Firmament bzw. dessen Gewölbe, wie in der Schöpfungsgeschichte (Genesis 1:8) gemeint. In der hebräischen Bibel befinden sich weder die Seelen noch die Körper der Toten im Himmel, denn die Trennung zwischen Seele und Körper ist noch nicht geläufig. Noch nicht einmal Gott wohnt im Himmel, er zieht es vor im Tempel zu wohnen. Dies 5 ändert sich mit der Einführung der Trennung Körper und Seele, die nach der Rückkehr aus dem Babylonischen Exils einsetzt. Mit der in der hebräischen Bibel bislang unbekannten Verkopplung der Belohnung und Bestrafung des menschlichen Handels mit der Verortung der Gerechten im Jenseits (im Himmel) und der Frevler (in der Unterwelt) erhalten beide Sphären eine neue narrative und moralische Dimension. Im Kommentar zu Habakuk (1QpHab, VIII, 4) werden die Getreuen des Lehrers der Gerechtigkeit (Führer der Yachad Sekte in Qumran) im Haus des Gerichts vom Gott gerettet. Derjenige aber den der Reichtum betrügt sperrt seinen Schlund auf wie die Unterwelt und er wird wie die Gottheit Mot in der Unterwelt nie satt. ‫ואף כיא הון יבגוד גבר יהיר ולוא ונוה אשר הרחיב כשאול נפשו והוא כמות‬ ‫לוא ישבע‬. Wir haben im Babylonischen Talmud, Traktat Brachot,17a, eine Darstellung wie es den Gerechten im Himmel ergeht: In der zukünftigen Welt gibt es weder Essen noch Trinken noch Fortpflanzung noch Kauf oder Verkauf noch Neid, Hass und Streit. Vielmehr sitzen de Gerechten mit ihren Kronen auf ihren Häuptern und weiden sich an dem Glanze der Göttlichkeit (Ziv Haschechina ‫ ) זיו השכינה‬denn es heißt: ‘sie schauten Gott und aßen und tranken [Exodus 24:11]‘. Es bleibt also ein talmudisches Rätsel: hat man im Himmel Vollpension oder nicht? Die Transformation der Hölle – von Sche‘ol zu Gehinom. Der hebräische Begriff Sche’ol ist häufig in der Bibel anzutreffen und bedeutet das Reich der Toten, wohin alle Verstorbene kommen und ein Schattendasein führen. Auch rechtschaffende Personen, wie der Patriarch Jakob glauben, wenn sie sterben (in Genesis 42:38) ‫ ביגון שאולה‬in Trauer in die Unterwelt absteigen zu müssen. Der Prophet Jesaja in 26: 14 beklagt in seiner apokalyptischen Darstellung: „Tote werden nicht lebendig, Schatten (Rephaim ‫ ) רפאים‬stehen nicht auf; denn du hast sie heimgesucht und vernichtet, jede Erinnerung an sie hast du getilgt“ (EU). Einige Verse später steht bei Jesaja 26:19: „Aber deine Toten werden leben, deine Leichname werden auferstehen. Wachet auf und rühmet, die ihr liegt unter der Erde! Denn ein Tau der Lichter ist dein Tau, und die Erde wird die Schatten herausgeben“ (LU). Was hier als Durchbruch der Idee der Auferstehung der Toten in das biblische Gedankengut zu sein scheint, ist tatsächlich das alte Konzept einer durchlässigen Unterwelt, wo nach dem Willen Gottes die Schatten der Verstorbenen wieder ins Leben gerufen werden können. Das Konzept solcher Durchlässigkeit stammt wahrscheinlich aus der ugaritischen Mythologie. Deren Gottheit des Todes und Gegenspieler von Ba‘al wird Mot genannt. Sein Name entstammt aus Konsonanten der gemeinsamen Wurzel mem vav tav, was so viel bedeutet wie Mavet, der Tod im Hebräischen. Der alles verschlingende und nimmersatte Mot, wird oft mit einem großen Schlund als Sche’ol personifiziert und es besteht sogar Gefahr, dass er durch Fenster in die Häuser eindringt, um die Bewohner zu 6 verschlingen. So z.B. bei Jeremias 9:20: „Der Tod (Mot ‫ )מות‬ist zu unseren Fenstern eingefallen und in unsere Paläste gekommen, die Kinder zu würgen auf der Gasse und die Jünglinge auf der Straße“. Die Kommunikation mit den Toten im Sche’ol war durch kultische Handlung eines Totenbeschwörers möglich. Berühmt ist der Besuch König Sauls bei der Wahrsagerin in Ein Dor (‫)בעלת האוב‬, wo Saul sie bittet, den verstorbenen Propheten Samuel von der Unterwelt heraufzubeschwören (1. Samuel 28: 3-25). In der Intertestamentarischen (oder deuterkanonische) Periode kann man in verschiedenen Qumran Schriften eine Bedeutungserweiterung der Unterwelt ablesen. In der Kriegsrolle (1QM, XIV, 18 und 4Q491, Fragmente 8-10, Zeile 15)) werden die Feinde der Söhne des Lichts als Frevler in der Unterwelt ewig verbrennen. Gehinom taucht in der hebräischen Bibel als ein geographischer Begriff Ge Ben Hinom. Es ist das Tal von Hinom, das bis heute als Tal die südliche Flanke der Jerusalemer Altstadt abgrenzt und die Grenze zum Stamm Benjamin ausmachte. Zur Zeit des Judäischen Königreichs berichtet die Bibel von einer Kultstätte Tophet im Gehinom Tal, wo Kinder dem Moloch geopfert wurden. Die Verortung einer berüchtigten Opferstätte im Tal hat wahrscheinlich den Ort so in Verruf gebracht, dass er eine spätere Bedeutungserweiterung erfuhr und als Paradebeispiel zur Verortung der Hölle geworden ist. Die früheste Erwähnung von Gehinom scheint in den Rabbinischen Schriften der Tanaiten in dem älteren Teil der Mischna in Pirkei Avot, Sprüche der Väter, zu sein. In einem für uns beschämenden frauenfeindlichen Abschnitt wird folgendes behauptet: Wer viel mit einer Frau schwatzt, bringt Unheil über sich, vernachlässigt die Worte der Tora und verdient das Gehinom. Die Strafe im Gehinom soll 12 Monate dauern, also eine befristete Strafe. Dies soll den Delinquenten eine Möglichkeit ihre Reue zu zeigen bevor sie sich dem göttlichen Gericht stellen. Erst danach wird Gott entscheiden, wohin sie in der zukünftigen Welt gelangen. Für schwere Delikte wird sich das Gehinom für die Delinquenten für ewig verschliessen. In einem Buch eines Kabbalisten aus Böhmen aus dem 17. Jahrhundert, Yalkut Reuveni, wird behauptet, dass ein halbes Jahr das Feuer brennt, jedoch nicht am Schabbat. In der zweiten Hälfte des Jahres fallen Schnee und Hagel, die schwerer auszuhalten seien als die Hitze. Konzepte der Zeit im Judentum. Der israelische Gelehrte Mosche Idel 5 Archetypen von Zeitaufassungen im Judentum klassifiziert. Diese Typologie ist für das eschatologische Denken bedeutsam: 1. Die rituelle Zeitkategorie, in die Gebete gemeinschaftlich in drei Tageseinheiten verrichtet werden: Morgengebet (Schaharit); Opfergebet am Nachmittag (Minha); Abendgebet (Arvit). Am Sabbat teilt der Gläubige seinen Ruhetag mit der Ruhe den Gott sich nach 6 Tagen der Schöpfung gegönnt hat. Die Aussetzung der 7 Bewirtschaftung des Ackerlandes (Schemita) alle 7 Jahre gehört ebenso zu dieser Zeitkategorie. 2. Die lineare Zeitkategorie in der Geschichte, wo es ein Anfang und ein Ende gibt. Das ist die häufigste Zeitkategorie für eschatologische Vorstellungen und Berechnungen eines wie auch immer geartetes Ende der diesseitigen Welt. Apokalyptische Szenarios ereignen sich auf diese lineare Zeitachse. 3. Die kosmische Zeitkategorie die in Zyklen von Tausenden, wenn nicht von Zehntausenden von Jahren berechnet werden. Die jüdische Mystik im Mittelalter adoptierte das siebenjährige Jahressystem und verwandelte es in kosmische Zeitkategorie. 4. Die Ewigkeit – Eine Kategorie jenseits der Zeitvorstellung, in der die Gottheit herrscht. Das En sof (Ohne Ende) ist die unabänderliche Ewigkeit. 5 Die Kabbala Zeit – Mystiker haben geglaubt, dass man durch theurgische- mantische Mittel (wunderwirkende Worte, Zaubersprüche, Gebete und Magie) auf göttliche Macht einwirken und die Ewigkeit ändern kann. Man kann aus einem Kommentar zum Wochenabschnitt Jethro in Mechiltha de Rabbi Ischmael, das etwa um das Jahr 135 in Palästina verfasst wurde, herauslesen, dass Juden seit biblischer Zeit vier Zeitrechnungen sukzessiv angewendet haben. Zunächst hat man die Zeit seit dem Auszug der Kinder Israels aus Ägypten berechnet. Danach, als Salomon den ersten Tempel um 970 v.u.Z. baute, wurde die Zeit seit der Tempelerrichtung berechnet. Als sein Tempel durch die Babylonier 586 zerstört wurde, hat man die Zeit seit der Zerstörung des ersten Tempels berechnet. Nachdem die Juden ihre Unabhängigkeit in Judäa verloren haben und keine eigene Zeitrechnung hatten, griff man auf die Zeitrechnung der herrschenden Königreiche zurück, um die Zeit nach den verschiedenen Herrschern zu berechnen. Dieser Stil dominierte die jüdische Zeitrechnung in der Spätantike und blieb noch lange danach unter babylonischen, ägyptischen und jemenitischen Juden in Umlauf. Es war die seleukidische Zeitrechnung (Leschtarot ‫)לשטרות‬, die 312 v.u.Z. begann. Unter europäischen Juden (Aschkenasim) ging man im Mittelalter über zur Zeitrechnung seit Erschaffung der Welt (3761 v. u. Z.). Im Mittealter wurde die Zerstörung des zweiten Tempels und das beginnende Exil im Jahr 70 als eine Zäsur zwischen historische Zeit und der messianische Erwartungszeit angesehen. Gegen die Errechnung der Ankunft des Messias. Zwischen den Berechnungen und Herbeiführen der messianischen Zeit herrscht ein Spannungsverhältnis. Die Busse und Reue sind aber die 8 menschlichen Attribute, die zur messianischen Zeit der Erlösung führen werden. Wie es Peter Schäfer formuliert, das Menschenbild im Talmud impliziert eine Verantwortung des Menschen, der seinen Anteil an der kollektiven Erlösung mitzuentscheiden hat. Die messianische Endzeit bleibt den Menschen trotz Berechnungen verschlossen. Im Traktat Sanhedrin werden auf Seiten 97a. bis 98b einige Diskurse der Talmudgelehrten gegen die Errechnungen zusammengefasst. Bemerkenswert ist die periodische Dreiteilung der Geschichte bei Rabbi Elijahu: „Sechstausend Jahre wird die Welt bestehen. Zweitausend Jahre der Nichtigkeit (Tohu), Zweitausend Jahre der Gesetzeslehre (Tora) und Zweitausend Jahre der messianischen Zeit; wegen unserer zahlreichen Sünden aber sind schon manche von diesen [messianischen Jahren] vergangen“. Die Dreiteilung der Epochen in der Geschichte hat auch Anklang in der christlichen Periodisierung der Geschichte erfahren (sei es bei Joachim von Fiore oder auch bei der immer noch häufigen Einteilung zwischen Altertum, Mittelalter und Neuzeit). Rabbi Qattina berechnete davor Siebentausend Jahre, da eintausend Jahre wegen des Siebenjahres Zyklus der Schemitta hinzugefügt werden. Zwei Gelehrte, Rabbi Eliezer und Rav, betonten in Sanhedrin 97a, dass die Berechnungen nichts bringen, wenn das Volk keine Reue zeigt und Busse tätigt. Auf demselben Folio steht danach: „Wenn immer Rabbi Zeïra Gelehrte fand, die sich damit [also mit dem Kommen des Messias] befassten, sagte er zu ihnen: ‚Ich bitte euch, schiebt es nicht hinaus‘, [da solche Berechnungen, die sich nicht bewahrheiten, entmutigen die Menschen]. Es wird nämlich gelehrt: Drei kommen unerwartet: der Messias, ein verloren geglaubter Fund und ein Skorpion“. Auf Habakuk 2:3 abzielend steht es in 97b: „Was heißt: [die Prophzeiung] sie eilt dem Ende entgegen und trügt nicht? Rabbi Schemuel ben Nahmani erwiderte im Namen Rabbi Jonatans: Es schwinde der Geist derjenigen, die das Ende berechnen wollen; diese sagen nämlich, sobald das [also von ihnen berechnete] Ende herangereicht, und er nicht gekommen ist, so komme er nicht mehr; vielmehr harre man seiner, denn es heißt: wenn sie sich verzögert, so harre ihrer“. In Wochenabschnitt Ekev, Zeichen 7, in Midrasch Tanhuma wird eine ziemlich unfruchtbare Debatte zwischen Talmudgelehrten über die Länge der messianischen Zeit geführt. Die Einschätzungen liegen zwischen 40 Jahren (R. Akiba) und 7000 Jahren (R. Avahu). Diese Art des Diskurses wird, wie oft ad absurdum geführt, um zu beweisen, dass man Spekulationen über die Zukunft nicht betreiben sollte. So kommt es nicht zu überraschend, dass die Debatte mit der eindeutigen Feststellung beendet, wird: Nach den Tagen des Messias folgt die 9 kommende Welt. ‫ וְאַ חַ ר יְמוֹת הַ מָּ ִשׁיחַ בָּ א הָ עוֹלָ ם הַ בָּ א‬.Es ist also müßig über die Dauer der messianischen Zeit zu diskutieren wenn wir eine Gewissheit haben, dass danach die kommende Welt folgt. Eine ähnliche Mahnung gegen Spekulationen über die kommende Welt spricht Rabbi Hija bar Aba im Namen von Rabbi Johanan in BT Brachot 34b, aus: „Alle Propheten haben nicht prophezeit, es sei denn über die messianische Zeit, über die kommende Welt jedoch ‚kein Auge hat es geschaut, o Gott, außer dir‘ [Jesaja 64:3]“. Das Inventar der eschatologischen Elemente in den Achtzehn Segensprüchen. Das wichtigste Gebet in der jüdischen Liturgie nennt sich das Achtzehner Gebet (Schmoneh Esre) oder das Standgebet (Amida). Es wird an Wochentagen dreimal am Tage stehend gebetet. Es ist ein sehr alter Brauch, wahrscheinlich schon aus dem 1. Jahrhundert. Das Achtzehner Gebet enthält eigentlich19 Segen. Sechs von ihnen enthalten eschatologische Elemente: 1. Gott ist der Erlöser. Eine besondere Erwähnung des Messias ist nicht notwendig, da schon in Jesaja 43: 11 steht: Ich, Ich bin der Herr, und außer mir ist kein Retter [Erlöser] [Luther übersetzt christologisch Heiland]. ַ‫מוֹשׁיﬠ‬ ִ ,‫ יְהוָה; וְאֵ ין ִמבַּ ְלﬠָ ַדי‬,‫אָ נֹכִ י אָ נֹכִ י‬. 2. Das Konzept der Auferstehung der Toten. 3. Das biblische Konzept der Erlösung Ge’ula (‫ )גאולה‬war ursprünglich materiell aufgefasst worden. Man erlöste im Sinne von Freikauf den Grund und Boden oder die Befreiung eines Sklaven. Mit der Erfahrung des Babylonischen Exils im 6.Jahrhundert v.u.Z. verschob sich die Bedeutung von Erlösung im Sinne von Befreiung auf die Rückkehr vom Exil ins Land Israel. Die Erlösung kristallisierte sich allmählich zu einer kollektiven Hoffnung auf Rückkehr, ohne eine Bedeutung für das Individuum zu erhalten. Im rabbinischen Judentum mutierte die Erlösung wegen der langen Diasporaexistenz zur nationalen Hoffnung des jüdischen Volkes. 4. Wiederaufbau Jerusalems durch den gesalbten König David. Diese eschatologische Hoffnung folgt nach der Hoffnung der Rückkehr. Dieses Konzept entstand erst nach der Zerstörung des Zweiten Tempels. 5. Gott wird die Rückführung der 10 verschollene Stämme (Nidhei Israel) herbeibringen. 6. Gott ist der Friedensstifter. Die eschatologische Chronologie nach rabbinischer Auffassung. • Nichtbefolgung der Gebote durch Vergehen und Sünden und prophetische Mahnungen. 10 • • • • • • • • • • Krise (Gefahr, Angst, Trauma, Vertreibung ins Exil). Hoffnung auf Erlösung nur durch Befolgung der Gebote, Reue und Buße. Berechnung der Ankunft Messias oder der Endzeit zwecklos, aber als „Steckenpferd“ unter den Gelehrten weitverbreitet. Apokalyptische Vorzeichen auf Ankunft des Messias/ Endzeit (diesseitig). Mythischer Armilius begleitet von Gog und Magog übt die Rolle des Anti- Christus aus. Apokalyptischer Kampf als Rache Gottes (Erlösung durch Rache), angedeutet bei Jesaja 26, 14- 19 und Ezekiel, 38- 39. Nach den Kreuzzugspogromen im Rheinland 1096 weit verbreitet. Ebenso hat der Mongolensturm und das fünfte Millennium 1260 apokalyptische Texte bewirkt. Die Shoa hat ähnliche Strömungen bewirkt. Erlösung durch Konversion in der die Glorie Gottes von den Völkern anerkannt wird. Angedeutet bereits bei Jesaja 11- 12. Verbreitet in Spanien im Mittelalter Messianische Zeit. Erlösung durch Rückführung des Volkes ins Land Israel, die der Messias als Instrument Gottes vollbringt. Gottes Präsenz (Schechina) kehrt zurück in den wiedererbauten Tempel in Jerusalem. Dauer der messianischen Zeit variiert, aber bleibt eigentlich unwesentlich, da die Kommende Welt folgen wird. (Messianische Zeit als Warteraum oder Vorzimmer für die himmlische Festmahlzeit) Ende der diesseitigen Welt (Endzeit). Termin unbestimmbar da Gott seine Pläne nicht preisgibt. 11 • • • • • • Voraussetzung für die Auffassung über die Kommende Welt: Auferstehung der Toten und Trennung von Körper und Seele. Seele steigt auf in den Himmel, Körper begraben unter der Erde auf Zeit bis zum Gottes Gericht. Beschneidung als „Eintrittsbillet“ zum Himmel bei Midrasch Tanhuma Yelamdenu, kompiliert wahrscheinlich 5. bis 7. Jahrhundert. Gottes Gericht: Seele und Körper wiedervereint. Verteilung der Auferstandenen nach Lohn (Himmel) und Strafe (Unterwelt). Gestaltung des himmlischen Aufenthalts: Großes Festgelage (talmudische Debatte, ob Bewohner des Himmels zu essen und trinken brauchen). Tora wird von Gott gelehrt und auch gleich so verstanden, dass Debatten überflüssig werden. Debatte ob die Gebote der Tora im Himmel ausgesetzt werden. Sie hat den antinomistischen Ansatz bei Shabtei Zvi und Nachfolger sehr gefördert. Gestaltung des unterweltlichen Aufenthalts: Unterwelt ist durchlässig da der Aufenthalt in der Regel auf 12 Monaten befristet ist. Zeigt der Sündige Reue, kann er auch nach oben in den Himmel gelangen. Maimonides und die eschatologischen Elemente in seinen 13 Prinzipien des Glaubens. 1. Der Glaube an Gottes Existenz. 2. Der Glaube an Gottes Einheit. 3. Der Glaube an einen unkörperlichen Gott. 4. Der Glaube an Gottes Ewigkeit. 5. Der Glaube, dass nur Gott angebetet werden kann. 12 6. Der Glaube an Prophetie. 7. Der Glaube, Moses sei der größte Prophet. 8. Der Glaube, dass die Tora von Gott an Moses gegeben wurde. 9. Der Glaube, dass die Tora unabänderlich sei. 10. Der Glaube, dass Gott die Gedanken und Taten der Menschen kennt. 11. Der Glaube, das Gott belohnt und bestraft. 12. Der Glaube an die Ankunft des Messias. 13. Der Glaube an die Auferstehung der Toten (umstritten, ob er nur die Seele oder auch den Körper meinte). Maimonides versuchte im 12. Jahrhundert aus der rabbinischen Tradition, die wichtigsten Glaubensätze zu formulieren. Diese Dreizehn Prinzipien sollten dem rabbinischen Judentum das Prestige einer Religion stärken, die auch ein Credo und eine Doktrin hat. Manche der angesprochenen Prinzipien beziehen sich auf das angespannte Verhältnis zwischen Juden und Nichtjuden. Man wollte gut stehen im Wettbewerb mit den anderen zwei monotheistischen Religionen: Christentum und Islam. Prinzipien 12 und 13 beziehen sich auf eschatologische Themen: Auferstehung der Toten und die Ankunft des Messias. Das 9. Prinzip, das die Unabänderlichkeit der Tora betont, mag Maimonides als besondere Absicherung gesehen haben, da die Halakha in BT-Traktat Nida, 61 b, besagte, dass, „Gebote in der kommenden Welt aufgehoben werden. ‫ בטלות לעתיד לבוא‬. ‫ “מצוות‬. Unter Talmudgelehrten ist die Debatte unentschieden geblieben. Im selben Traktat Nida, 70b, wird daher apodiktisch empfohlen: Sobald sie auferstehen werden, werden wir darüber beraten. Eine weitere Sorge für Maimonides bereitete die nicht nur in der Kabbala verbreitete Praxis der Gematrie, die zu einer neuen Deutung der Torah führen konnte, ohne den Text zu ändern. Typologie des Messias in der jüdischen Geschichte. Es war der amerikanische Zionistenführer Abba Hillel Silver, der an die 70 Messias Prätendenten in seiner Untersuchung über Messianismus im Judentum gezählt hatte. Karl Grözinger hat eine Typologie von verschiedenen Messias Figuren bis zur modernen Zeit aufgestellt. Folgende Aufstellung basiert darauf. 1. Der davidische Messias König als politische Figur. 2. Der priesterliche Messias (Aharon und Testament Levi). 3. Der prophetische Messias (Moses, Elias). 13 4. Der apokalyptische Messias (in der Qumran Rolle vom Krieg der Söhne des Lichts gegen Söhne der Finsternis). 5. Der leidende Messias Knecht (in Deuterjesaja 53:4-5 und Targum Jesaja). 6. Der sterbende Messias Ben Josef (in Sacharja 12:10 und Daniel 9:26). 7. Der mystische Kabbala Messias -Adam Redivivus (Asriel von Girona (1160- 1238). 8. Der prophetische Kabbala Messias (Abraham Abulafia 1240- 1292). 9. Der theurgische Kabbala Messias Josef della Reina 10. Messianische Prätendenten nach der Vertreibung 1492: a. David Reuveni (1490- 1535) b. Schlomo Molcho (1500- 1532) c. Schabtai Zvi (1626- 1676). 11. Der theurgische chassidische Messias Israel ben Elieser Baal Shemtov (1700- 1760). 12. Der zionistische Messias Zusammenarbeit von Messias Ben David und Messias Ben Josef. (verkündet durch Jehuda Alkalai (1798- 1878). Die falschen Messias nach Bar Kosiva (132- 135). 14 Die Vertreibung der Juden aus der Iberischen Halbinsel 1492- 1507. Eschatologisches in der zoharischen Kabbala (=Jüdische Mystik) Das eschatologische Geschehen verlagert sich auf den inneren geheimnisvollen Aspekt des Erlösungsvorgangs, wo zwei Parameter an Bedeutung gewinnen: Erlösung als Überwindung der materiellen Existenz und die Unsterblichkeit der Seele. Die zoharische Kabbala entsteht in der Provence und Katalonien innerhalb einer jüdischen Bildungselite. Sie wird als mystische Geheimlehre zunächst nicht verbreitet und steht im Gegensatz zu den rabbinischen Gelehrten, die die Gesetze auslegen. Diese Kabbalisten schöpfen von der Neoplatonischen Renaissance die sowohl islamische wie auch christliche Gelehrten zur selben Zeit erfasst hatten. Das grundlegende Buch der Kabbala Zohar wurde höchstwahrscheinlich von Moses de Leon mit Hilfe anderer Autoren in Girona/Spanien zwischen 1270 und 1300 verfasst Die zoharische Kabbala: Gott ist in sich selbst unnahbar und endlos (En sof). 15 Gott ist jedoch erreichbar durch die Hierarchie der Emanationen (Sefirot). Tugendhaftes Handeln sendet wohltuende Impulse nach oben, die eine Harmonie unter den Sefirot schaffen. Lasterhaftes Handeln sendet üble Impulse nach oben, die die Harmonie der Sefirot stören. Damit wird das Fließen der göttlichen Gnade behindert. Auferstehung nach dem Tod. Hierarchisierung der drei Arten der Seele: Nefesch - Irdische Seele oder Leben, die ihre Bestrafung im Grab erlebt (Hibbut Hakever, Din Hakever). Ruah - Geist, Windhauch, der bis zum unterem (irdischen?) Paradies gelangen kann. Neschama – himmlische Seele die ins obere (himmlischen) Paradies zurückkehrt. Die Neschama kann nicht sündigen. Inkarnation. Nach dem Tod kann die Seele auch in einen anderen Körper wandern. Die lurianische Kabbala: In der lurianischen Lehre hatte die Schöpfung der Welt zwei Unzulänglichkeiten, die sie unvollkommen machte. Die eine war kosmisch bedingt, weil Gottes Unendlichkeit (en sof) musste sich selbst einschränken (zimzum), um der Schöpfung mit all ihrer Diversität und Pluralität in der Welt Platz einzuräumen. Die zweite war Adams Sündenfall und seine Vertreibung aus dem Paradies. Metaphorisch wird dies schvirat Ha-kelim (Bruch der Gefäße) genannt, denn die göttlichen Funken sind dadurch in 16 aller Welt verstreut worden. Die Verpflichtung Israels ist diese Unzulänglichkeiten zu beheben durch eine Korrektur (tikkun) mittels drei Maßnahmen: Die Ausführung der jüdischen Gebote mit Hingabe Buße machen Theurgische Gebete durchführen. Der Tikkun ist als eine kollektive messianische Maßnahme gedacht deren Erfolg mit der Ankunft des Messias gekrönt wird. Sein Erscheinen wird die Restauration der vollkommenen Welt symbolisieren und die Rückkehr der schekhina (Gottes Präsenz) ermöglichen. Diese Verpflichtung hat die gesamte jüdische Diaspora in religiöse Bewegung gesetzt. Sie hat bleibende Spuren bis heute auf Liturgie und auf die Gestaltung des religiösen Lebens im Alltag hinterlassen. Die schlechte Intention (sitra achra) wird kelipa, plural kelipot genannt. Es sind Hülsen (oder Schalen) die während der göttlichen Einschränkung (zimzum) wegen der Brüche der Gefässe in der ganzen Welt mit den göttlichen Funken (nitzozot)verbreitet wurden. Erst durch gute Taten und menschliche Buße können die üblen Hülsen in göttliche Funken umgesetzt werden. Das Ziel ist den göttlichen Glanz wiederherzustellen, der seit der Schöpfung durch die üblen Hülsen verdunkelt wird. Als Erlösung gilt die Wiederherstellung der ursprünglichen Einheit und inneren Harmonie der Schöpfung durch Tikkun. Der Tikkun hängt entscheidend von der Mitwirkung des Menschen ab. Schabtaismus. Wie konnte der Glaube an Schabtai Zvi fortgesetzt werden trotz seiner messianischen Abtrünnigkeit? Schabtaismus ist die einflussreichste jüdische Häresie in der Neuzeit. Der Tikkun wird eigenhändig von dem Messias getätigt und nicht von der Mitwirkung der Gläubigen. Der (Pseudo)- Messias Schabtai Zvi steigt hinunter in die Unterwelt (als Apostat), um die Funken einzusammeln und von den Schalen zu befreien. Dies diente als Erklärung, warum die messianische Zeit nach seiner Konvertierung zum Islam 1666 sich verzögert hatte. Mehr als ein Jahrhundert lang wollten jüdische Anhänger das neuerfahrene Gefühl in einer restaurierten Welt zu leben erleben. In einem gottgewollten neuen gesellschaftlichen Rahmen organisiert zu sein, bedeutete ein Novum im Vergleich zu dem traditionellen Ghettoleben. Die bohrende Frage der Anhänger war, warum hat sich nach seiner Offenbarung der Messias sich von ihnen abgewendet und seine Religion verlassen. Warum verspäten sich historische und politische Befreiung, die mit dem kosmischen Verfahren der Korrektur der Welt Tikkun verbunden sind. Die paradox erscheinende 17 Antwort war schnell parat: Die Apostasie des Messias war in sich selbst ein religiöses Mysterium von immenser Bedeutung. Dafür wurde Maimonides zitiert, wonach die Details des Prozesses der Erlösung im Voraus unbekannt wären. Natan von Gaza und Abraham Cardozo konstruierten nun eine neue Doktrin, die wahrscheinlich auch von Zwi genehmigt wurde. Dem zu folge, solange der letzte göttliche Funken (nitzotz), der im Zuge der Schöpfung und Adams Ursünde in dem unreinen Bereich der üblen Hülsen (klipot) gefallen ist, nicht wieder eingesammelt wird, kann der Vorgang der Erlösung nicht vervollständigt werden. Es bleibt die Aufgabe des heiligsten Menschen, des Erlösers selbst, das zu tun, was früher keiner der gerechtesten Menschen machen konnte, nämlich in das unreine Bereich der klipot abzusteigen, um auch die letzten dort gefangenen göttlichen Funken zu retten. Erst danach wird der Bereich des Bösen kollabieren, da er ohne die Funken nicht existieren kann. Der Messias (Erlöser) ist also gehalten merkwürdige Aktionen (ma’asim zarim) zu machen, von denen die Apostasie die skurrilste sei. Cardozo formulierte es wie folgt: „Es war vorgesehen, dass der König Messias sich wie ein Marranos einkleiden wird und so von seinen Kameraden die Juden unerkannt bleibt. In einem Wort, es war also vorgesehen, dass er ein Marrano wird wie ich“. Scholem betonte, dass das Neue in den schabtaischen Ideen war vor allem eine paradoxe religiöse Sensibilität die die Marranen und ihre Nachkommen, die einen Großteil der sephardischen Juden ausmachten, mitbrachten. Teil 2 Zu diesem Konzept gesellte sich ein weiteres neues Element, das allerdings eine Basis in der aggadischen Literatur hatte. Dessen Implikationen sind unbeachtet geblieben, solange die Realität nicht zwingend drängte außerhalb des Bereiches der Theorie und Phantasie umgesetzt zu werden. Das Neue dabei war, dass der König Messias die „neue Tora“ erteilt und dass die verpflichtenden Gebote (Mitzwot) in messianischen Zeiten annulliert werden sollten. Gedanken darüber fallen in Midraschim (Homilien) und Aggadot (narrativer Teil des Talmuds), aber sie entbehrten keine besondere Autorität und waren leicht widerlegbar mit andersgemeinter Exegese. Folglich blieben Fragen bezüglich Erhaltung der Tora und der Gebote in der kommenden Welt spekulativ und spielten nur eine marginale Rolle. Sogar kabbalistische Visionäre, die über die Veränderung von Gottes Worte nach der Erlösung träumten, haben nicht an einem Messias gedacht der aktiv in der Erneuerung der Tora eingreifen wird. Die Doktrin eines abtrünnigen Messias nährte sich nicht aus literarischen Quellen. Vielmehr entstand sie in einem neuen religiösen Klima der Marranen und ihrer Nachfahren. In ihrer existenziellen Erfahrung führten sie ein Doppelleben, um ihr Judentum vor der spanischen Inquisition zu verstecken. Nathan von Gaza und Abraham Cardozo haben in Not praktisch aus dem Boden eine originelle Doktrin gestampft, deren Bestandteile aus dem traditionellen Inventar von talmudischen und kabbalistischen Quellen stammten. Nichts haben sie 18 erfinden müssen nur den messianischen Kontext, um die Erklärungsnot eines Apostaten zu kaschieren. Sie war bei vielen Anhängern attraktiv, weil sie eine missionarische Grundidee der lurianischen Kabbala beibehielt. Ein jeder Jude muss seinen Beitrag leisten, um die verstreuten göttlichen Funken einzusammeln und damit die Erlösung herbeizuführen. Zunächst war klar, dass die Übertretung zum Islam erzwungen war und keine freiwillige Tat war. Allmählich ergab sich aber das Bild einer freiwilligen Konversion, zumal der Erlöser selbst den Rest der Funken aus dem Bereich der üblen Hülsen einsammeln musste. Dieses war theologisch konform mit der dafür gezimmerten Doktrin. Der Sinn, dass man eine Mitzwa, eine von der Tora oder talmudischen Gelehrten definierte religiöse Pflicht wurde in dieser Doktrin ausgehhöhlt. Die talmudische Frage, ob man die Ausübung einer Mitzwa durch ein Vergehen erfüllen kann (Mitzwa ha ba’a ba’avera), wurde durch den Schabtaismus bejaht. Die Doktrin behauptete, dass es nicht um ein Vergehen handele, sondern die Propheten Israels könnten agieren und anordnen Dinge, die nicht konform seien mit der Tora und seine Gebote. Sünden wurden bei Zwi zu Tugenden. Ehebrechen nach der Tora wurde mit dem Tode bestraft. Aus dem Bittgebet um Befreiung von Gefangenen matir assurim wurde interpretiert der Jenige, der verbotenes erlaubt. Das war Anti- Nomianismus in Reinkultur. Sein Schüler Jakob Frank hat seine Interpretierung ins Extreme geführt und eine orgiastische Sekte gegründet. Jakob Frank und seine Anhänger traten zum Katholizismus über. Sie wurden Frankisten genannt und waren in Mittelosteuropa ansässig, also in Polen, Böhmen und im Reichsgebiet, vor allem in Offenbach, wo Jakob Frank seine letzten Jahre verbrachte. Die polnische Nobelpreisträgerin für Literatur Olga Tokartcuk verewigte in ihrem epischen Roman „Die Jakobsleiter“ den Impakt der Frankisten auf die polnische Gesellschaft in den letzten Jahrhunderten. Es gab auch eine Abzweigung, die sich aus in Islam übergetretenen Anhängern von Schabtai Zwi, die Dönmeh hießen, zusammensetzte und in Regionen des Osmanischen Reiches ansässig waren. Hassidismus Die Konsequenzen einer solchen Erlösungsvorstellung führten im Hassidismus zu einer Unterscheidung zwischen einer allgemeinen Erlösung im rabbinischen traditionellen Sinn und der individuellen mystischen Erlösung. Der Begründer des Hassidismus, Israel Ba‘al Schem Tov, der BESCHT, (1700- 1760) hielt sich insgeheim als den Messias. Er war noch im Bann des Schabtaismus. Der große Maggid Dov Ber of Meseric, der Nachfolger von Bescht, sah in der Devekut (Hingabe) den Weg zur individuellen Erlösung da sie eine mystische Vereinigung des Geistes und Seele mit Gott voraussetzte. Sie war frei von der Materialität des Körpers (bitul hayesch). 19 Historische Erlösung, die durch messianische Rückkehr ins Land Israel und mit dem Wiederaufbau des Tempels bewirkt wird, spielt keine Rolle in dieser Art von hassidischer Theologie. Hassidische Dvekut stand im Gegensatz zu der Dvekut in der zoharischen Kabbala, die diese mystische Vereinigung durch asketische Übungen erreichen wollte. Der Zadik (Rebbe), der ein Hof (Hatzer) seiner Getreuen führt, diente in seiner charismatischen Herrschaft als Ersatz für den Messias. Im zeitgenössischen Hassidismus neigt die Lubawitscher CHABAD Bewegung zum Messianismus seit dem Tod des Rebben Menahem Mendel Schneorson im Jahre 1994, dessen Rückkehr von seinen Getreuen immer noch erwartet wird. Ein intensiver Zadikkult hat sich in den letzten Jahrzehnten um den messianischen Nachman von Braslov an seinem Grab in Uman /Ukraina entwickelt. Die Legende besagt, dass jeder, der sein Grab am jüdischen Neujahr, Rosch Haschana, aufsucht, Zehn Psalmen zum Tikkun Klali zitiert und Reue zeigt, von seinen Sünden befreit wird und von der Unterwelt emporgeholt werden kann. Zwischen Zionismus und Erlösung - Vater und Sohn der Rabbinerfamilie Kuk. Der Vater R. Abraham Isaac Hacohen Kook (1865- 1935). ‫) אתחלתא דגאולה‬. Der von der britischen Mandatsmacht ernannte Oberrabbiner hatte Sympathien gegenüber der sich säkulär verstehenden zionistischen Bewegung, die von der jüdischen Orthodoxie angefeindet wurde. Kuk selbst stand für einen gemäßigten messianischen Eifer, da er sich bewusst war, dass die Erlösung nicht von Menschenhand kommt. R. Kuk Senior verstand sich als Brückenbauer zwischen den verschiedenen jüdischen Gruppen in Mandatspalästina: die säkulare politische zionistische Führung, die gerade dabei war staatliche Strukturen vorzubereiten und die religiösen Zionisten, die den zionistischen Aufbau und Rückkehr des Volkes ins Land bejahten und als Anfang der Erlösung ansahen (Atchalta de Ge’ula 20 Gleichzeitig war er bemüht die Kanäle zu den anti-zionistischen Orthodoxen offen zu halten. Kuk maß dem politischen Zionismus, der die Rückkehr und die Schaffung einer jüdischen Staatlichkeit in Palästina anstrebte, eine wesentliche theologische Bedeutung. Kuk selbst war sehr vorsichtig in seinen Äußerungen hinsichtlich des Anfangs der Erlösung. Er zog vor eine Kontinuität in dem Erlösungsgeschehen von Moses bis Elias zusehen und darin befindet sich eben der Zionismus, ohne aber die Erlösung zu datieren. Die zionistischen Pioniere waren in seinen Augen Agenten eines göttlichen Planes, der die messianische Zeit verkünden sollte. In dessen Ende wird die 2000- jährige Diaspora (Galut) beendet sein. Der Sohn R. Zvi Yehuda Kuk (1891- 1982): National- religiöser Zionismus bringt die Erlösung. Im Gegensatz zu seinem Vater war Zvi Yehuda Kuk ein offener Verfechter der atchalta de ge’ula. Seit 1952 stand er dem Lehrinstitut Mossad Harav Kuk in Jerusalem vor, dass seit Jahrzehnten die geistige Schmiede für die Siedler Bewegung Gusch Emunim gewesen ist. Zvi Yehuda Kuk war seit 1967 der geistige Führer derjenigen, die die Westbank als biblisches Heimatland und als verheißungsvolles Land unter keinem Umstand bereit waren zurückzugeben. Nach dem Yom Kippur Krieg im Jahr 1973 ist er als scharfer Kritiker gegen die Regierung aufgetreten, die seiner Meinung nach nicht die Siedlungspolitik entschlossen genug vorangetrieben hat. Eschatologie im Judentum nach der Shoa Die Satumarer Hassidengemeinde (Neturei Karta) nach 1945. 1. Der dritte Tempel wird von Gottes Hand erbaut werden und nicht von Menschenhand. Es gilt in der Diaspora auszuharren und auf den Messias warten. 2. Juden in der Diaspora sollen sich der lokalen Autorität unterwerfen und keine Waffen oder Gewalt anwenden. Die Satumarer Gemeinde soll sich äußerlich von den übrigen Juden unterscheidbar machen. Diese drei Schwüre (nach Debora Feldmann‘s Buch UNORTHODOX), verpflichten die Satumarer, aber gelten für die Gesamtheit des jüdischen Volkes. Die Offenbarung der Tora am Berg Sinai gilt nicht nur für die damalig Anwesenden, sondern auch für alle zukünftigen Generationen. Die Schoa gilt als Strafe Gottes, weil Juden sich der Assimilation hingegeben haben. Die Satumarer müssen also für die Sünden aller Juden büßen, um Gott gefällig zu sein. Daher herrscht in ihrer Gemeinde eine strikte Reglementierung des Alltags und der äußerlichen Erscheinung, vor allem bei den sündhaft geltenden Frauen. Frauen dürfen z.B. vom Kopf bis zu den Knien ihre Haut nicht entblößen, um bei Männern keinen sündhaften Gedanken zu erwecken. 21 Eschatologie der Selbsterlösung durch Rache- der Weg der Kahanisten. Theologie der Rache geht davon aus, dass nach der Schoa, Gott kraftlos geworden ist. Ein Tikkun mit ihm ist nicht mehr möglich. Theurgie allein reicht nicht mehr aus. Handlung muss im konkreten historischen Geschehen verwirklicht werden. Der Schlüssel zu Israels Erlösung ist, dass man Gott „aufrappeln“ soll, in dem man für seine Erniedrigung Rache bei den Nicht-Juden nimmt. Erlösung wird als Rehabilitation der zerrüttenden Würde Gottes verstanden. Die Nation Israels muss den Erlösungsvorgang von „unten“ einleiten und nicht auf Gott warten, bis er den messianischen Vorgang beginnt. Nach dem Yom Kippur Krieg 1973, der inmitten der Nachkriegseuphorie von 1967 ausbrach, hat Rabbi Meir Kahane (1932- 1990) seine Theologie der Rache gegen Israelische Araber und Palästinenser gelenkt. Kahanes erklärte der Staat Israel sei von Gott gegründet als Racheakt gegen die Nicht-Juden und als Vergeltung für die Judenverfolgung und insbesondere für die systematische Ausrottung der Juden während der Shoa. Die explosive Allianz zwischen Rabbinismus und kabbalistischer Hassidismus in Israel. Zweifelsohne befindet sich das national- religiöse rabbinische Judentum heutzutage, vor allem in Israel, zusammengekoppelt mit kabbalistischen Auffassungen, die im Hassidismus Verbreitung fanden, in einer bislang nie dagewesenen messianischen Phase. Das Christentum hat diese Phase längst hinter sich gelassen. Ob im schiitischen Islam dieser messianische Antrieb vorbei ist, wage ich zu bezweifeln. Der politisch und utopisch zu verstehender, ursprünglich säkularer Zionismus, ist in Israel heute marginalisiert. Die Vereinigung von ursprünglich unvereinbaren Elementen des Rabbinismus und der Kabbala haben dazu geführt, dass 1. alle Juden aufgerufen werden ihren Anteil an Tikkun beizutragen, um damit die Phasen der Erlösung im Jenseits zu beschleunigen. Dabei wird die Rückkehr ins Land und die Absicherung von “Judäa und Samaria“ als Teile der biblischen Heimat nur als erste Stufe angesehen. Die weiteren Stufen sind der Wiederaufbau des Tempels und bei einigen sogar die Wiederherstellung des priesterlichen Tempelkultes. Diese Auffassung wird von evangelikalischen Kreisen außerhalb Israels unterstützt. 2. Die Toleranzschwelle, eine Vorbedingung des demokratischen Systems, ist erheblich gesunken. Die Loyalität der Bürger Israels, die sich diesem „Erlösungsvorhaben“ verweigern, wird von dem politischen Messianismus getriebene Mehrheit angezweifelt und sogar angefeindet. 3. Die Figur des kommenden Messias wird nicht nur eine göttliche Legitimierung suchen, sondern auch die populäre politische Unterstützung des Wahlvolkes anstreben. 22 4. Aus heutiger Sicht kann noch nicht bestimmt werden, wann diese politisch- messianische Phase vorbei sein wird. Wenn man aus der Geschichte anderer Religionen lernen könnte, so wird diese Phase beim Judentum ebenso auslaufen. Moderne Reformbewegung- Tikkun des Jetzigen und nicht des Diesseitigen: Messias kommt nicht Die Bedeutung des aus der lurianischen Kabbalah stammenden Tikkuns (Korrigieren) wird von nun an, als eine individuelle Verantwortung eines Jeden, die existierende Welt zu verbessern, umgedeutet. Es ist eine Umkehr von Erwartungen auf dem Jenseits in eine diesseitige Erwartung auf der Korrektur der jetzigen Welt. Man hat sich völlig von einer messianischen Person oder Gottheit entkoppelt. Man kann diese Haltung als Reaktion zu den Enttäuschungen und Katastrophen, die (Pseudo) Erlöser dem Jüdischen Volk verursacht haben. Die Dauer der Diaspora gilt als unbestimmbar und die Rückkehr zum Land Israel verliert an Bedeutung. **** 23