Originalveröffentlichung in: W. Leitmeyer / S. Heimann (Hg.), Ägyptens Schätze entdecken. Meisterwerke aus dem Ägyptischen Museum Turin,
München, London, New York 2012, S. 130-145
Der Gräberberg von Assiut
und seine Schätze
VON JO C H E M K A H L
Assiut und der im Westen der Stadt gelegene Berg, der
der Stadt, aber auch Klöster, Steinbrüche und M ili
Gebel Assiut al-gharbi (Abb. 2), bieten ein mannigfal
täranlagen und bietet dam it wichtige Quellen zu sei
tiges Archiv an Informationen über die Geschichte
ner eigenen Geschichte wie zu derjenigen der Stadt
des Berges, der Stadt und ihres Umlandes —und damit
Assiut. Eine heute noch im Berg befindliche Kaserne
auch Ägyptens. Sie halten eine ununterbrochene Ge
allerdings macht die wissenschaftliche Erforschung ei
schichte dieser mittelägyptischen Region bereit, die,
nes Teils des Berges unmöglich. Was somit fü r die
375 km südlich von Kairo gelegen, stets ein wichtiger
moderne Wissenschaft zugänglich ist, ist nur ein frag
Zentralort, aber niemals Landeshauptstadt war, und
mentarischer Ausschnitt aus dem »Wissensarchiv«
deren K u ltur sich durch Regionalspezifika von der
Assiut. Und selbst dieser Ausschnitt muss erst er
K ultur Oberägyptens (m it Theben als Hauptvertrete
schlossen werden: Grabräuber, unzulängliche Gra
rin ) und Unterägyptens (m it dem heutigen Groß
bungsmethoden, Regenfälle und dam it verbundene
raum Kairo, d.h. den antiken Orten Memphis, Gisa
Erdrutsche, Steinbruchtätigkeiten, Touristen sowie
und Saqqara sowie dem N ild elta ) deutlich unter
die Exkremente von Fledermäusen und Vögeln haben
scheidet (s. Karte S. 133). Die Zugänglichkeit dieser In
zu einer Veränderung, teilweise zur Zerstörung dieser
formationen ist aber nur teilweise möglich, die Ge
archäologischen Landschaft geführt.
schichte der Region noch n ich t geschrieben: Die
Zwar sind in vielen Museen der Welt Funde aus Assiut
antike Stadt liegt acht und mehr Meter unter den
zu bewundern - und tatsächlich zählen diese Objekte
Schwemmschichten des Nils begraben, die vom A l
zu dem Qualitätsvollsten, was nach M einung von
tertum bis zum Bau des Assuan-Staudammes jähr
Ägyptologen aus dem Alten Ägypten erhalten ist (vgl.
lich um wenige M illim e te r anwuchsen, und eine
Hayes 1959, S. 347-349. - Smith 1957, S. 223. - W ildung
dichte moderne Überbauung lässt eine wissenschaft
1984, S. 34.) - aber ob in Turin, London, Paris, Kairo,
liche Ausgrabung, die das Entfernen der Häuser zur
Berlin oder New York, stets ist der größere archäolo
Voraussetzung hätte, nicht zu (vgl. Kahl 2007.). Der
gische Zusammenhang, aus dem diese Funde entnom
Gebel Assiut al-gharbi wiederum beherbergte in den
men wurden, nicht mehr bekannt. Sie sind nun Einzel
vergangenen 5000 Jahren Gräber der Angehörigen
objekte, die gelegentlich, wie im Fall der Grabkammer
DER GRÄBERBERG VON ASSIUT U N D SEINE SCHÄTZE
<1
Detail aus der Grabkammer
des Amenophis; vgl. Abb. 3.
131
-»•2 Blick auf den
Gebel Assiut al-gharbi.
132
des Amenophis aus der beginnenden 19. Dynastie, als
(Inv.Nr. 63.100) sowie im Museum o f A rt in Toledo/
membra disiecta, als »versprengte Glieder« über meh
Ohio (Inv.Nr. 62/64; vgl- Kahl 2007, S. 97—99.).
rere Museen verteilt sind, ohne dass man die genaue
Genau wie heutzutage assiutische Kunst, Architektur
Position des Grabes, aus dem die Kammer entfernt
und Texte aufgrund ihrer Kunstfertigkeit und ihrer
wurde, im Gräberberg von Assiut kennen würde. Die
oftmals zu beobachtenden besonderen Verbindung
dekorierten Wände der ca. 3 m langen, 1,53 m breiten
von Residenzstil und Lokalstil hoch geachtet werden,
und 2,40 m hohen Kultkammer stammen aus den Gra
so w iderfuhr ihnen schon im A ltertum höchste Auf
bungen Ahmed Bey Kamals (1851-1923) und befinden
merksamkeit. Texte aus Assiut beispielsweise wurden
sich heute im Ägyptischen Museum Berlin (Inv.Nr.
mehr als 2200 Jahre lang immer wieder kopiert und
ÄM 31010/1; Abb. 1 u. Abb. 3), im Kunsthaus Zürich
überliefert (von ca. 2100 v.Chr. bis in das 2. Jh. n.Chr.)
(Inv.N r. 1963/36), im Cleveland Museum o f A rt
und zählten zum kulturellen Gedächtnis der Alten
JOC HEM K AH L
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Herakleöpolis
Hermopolis
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(Teil el-Amarna)
Assiut
A r a b i s c h e*
W ü s t e
Tal der Könige un
Deir el-Medineh
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Abydos ®
Tal der Königinnen
Karnak
Theben-West
Theben
(Luxor)
Gebelein •
Hierakonpolis
Edfu
om Ombo
INSEL ELEPHANTINE
INSEL PHILA&
Abu Simbe
,
Assuan
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EM
1»
«.
Ägypter (Kahl 1999.). Eine derart lange schriftliche
Berg als Wohnplatz, zudem wurden Klöster errichtet,
Überlieferungsgeschichte können nur wenige Texte in
so »Das Kloster der Knochen« (Deir el-Azzam) und
der Geschichte der Menschheit fü r sich beanspruchen.
»Das Kloster der Verstorbenen« (Deir el-Meitin). Die
Die Vorstellung von Assiut als »Wissensarchiv«
Verstorbenen wurden ebenfalls bei den Klöstern auf
schließt auch das Vorhandensein von materiellen H in
dem Berg bestattet. Auch in moderner Zeit w ird der
terlassenschaften ein, von noch vorhandener Archi
Fuß des Berges als Friedhof genutzt.
tektur, von Statuen, Särgen, Schmuck, Münzen und
Diese kontinuierliche, mindestens 5000 Jahre umfas
vielem anderen mehr, ln pharaonischer Zeit war es
sende menschliche Nutzung des Gebel Assiut al-ghar-
Brauch, die Verstorbenen im Gebel Assiut al-gharbi zu
bi machte und macht den Berg fü r Forscher, Reisende
bestatten, teils in monumentalen, in den Fels getrie
und Schatzsucher attraktiv. Er bietet Schätze ver
benen Gräbern, teils in nur leicht aus dem Berg ge
schiedenster A r t—je nach Sichtweise des Betrachters.
kratzten Vertiefungen. Diese Bestattungen erhielten
Johann Michael Wansleben (1635—1679), der 1673 im
oftmals auch umfangreiche Beigaben. In christlicher
Auftrag der französischen Regierung Ägypten be
Zeit nutzten Einsiedler den abseits der Stadt gelegenen
reiste, erhielt vom örtlichen Gouverneur keine Erlaub-
;n
k. 3 Dekorierte Grabkammer des
Amenophis (Berlin, Ägyptisches
Museum und Papyrussammlung,
Staatliche Museen zu Berlin,
Inv.Nr.ÄM 31010/3).
134
JOCHEM KAHL
nis, Grab I, welches das größte Grab im Gebel Assiut
Manuskripte sammelte und nach Frankreich brachte.
al-gharbi ist, zu besuchen. Das Grab, das von den Be
So schreibt er über sein Treffen m it dem Gouverneur
wohnern Assiuts »Stabl Antar«, also »Stall des Antar«
von Assiut, dessen Erlaubnis zum Besuch des Berges
genannt wurde, war nach Ansicht der Bevölkerung
er benötigte: »Und als man ihm [dem Gouverneur
m it noch nicht geborgenen Schätzen - man dachte
von Assiut] gesagt hatte, dass ich A rzt und A ntiquar
hierbei an Gold und anderes Edelmetall - gefüllt:
sei und dass ich im Auftrag des Königs von Frankreich
»Auf dem Berge bey Siut gegen Westen zu, sieht man
all das suchte, was dazu beitragen könne, diese zwei
unter einer Menge Grotten die im Felsen gehauen
Wissensbereiche zu verbessern, erkundigte er sich
sind, eine in Form eines Stalls. Sie heißt deswegen
bei m ir danach, was ich an allen Orten, die unter sei
auch beym Volke il stabl oder Pferdestall. Sie ist si
ner Plerrschaft stünden, zu sehen wünschte: Ich sagte
groß, daß tausend Reuter sich bequem darin in
ihm, ich hätte große Fust, die schönen Grotten, die in
Schlachtordnung stellen können. Ich hatte sie nicht
dem benachbarten Gebirge sind, zu besuchen, und
gesehen, obgleich ich große Fust dazu hatte: aber
auf das, was er m ir antwortete - nämlich dass ich
niemand wollte es wagen mich dahin zu führen, aus
zweifellos noch mehr Lust hätte, die Schätze m itzu
Furcht von dem Cascief dafür übel behandelt zu wer
nehmen, die dort verborgen seien —sagte ich ihm,
den, welcher besorgt, daß man die Schätze, die nach
dass die Schätze, nach denen ich suchte, weitaus wert
der allgemeinen Meynung hier vergraben liegen, weg
voller fü r meinen Herrn und fü r mich wären als Gold
nehmen möchte.« (Paulus 1794, S. 348.).
und Silber, die überhaupt nicht Gegenstand meiner
Mehrere arabische Bücher, die regelrecht zur Schatz
Reisen wären.« (Lucas 1719, S. 338—339.; Übersetzung
suche anleiten, beispielsweise das Livre des perles en-
J. Kahl).
fouies et du mystereprecieux au sujet des indications des
Lucas tra f m it der Vorstellung in Assiut ein, hier etwas
cachettes, des trouvailles et des tresors (Kamal 1907.; vgl.
über das A lte rtum erfahren zu können —ein Inte
auch Daressy 1917, hier S. 183, S. 216.), sowie der Reise
resse, das die europäischen Gelehrten und letztendlich
bericht des französischen Kaufmanns und Alter-
die europäischen Mächte, wie noch zu sehen sein wird,
tumskundlers Paul Lucas (1664-1737), der 1714 im Auf
viel zu lange fü r sich beanspruchten und den einhei
trag des Sonnenkönigs FudwigXIV. (1643-1715) Assiut
mischen Ägyptern absprachen, denen sie die Ver
besuchte und den Gebel Assiut al-gharbi erforschte,
m ittlung dieses Wissens um die eigene Vergangenheit
belegen, dass es sich bei den von einheimischer Seite
sogar vorenthielten. Lucas jedenfalls sah seinen Assiut-
erwarteten Schätzen um Gold und Geld handelte.
Besuch als Erfolg an. Er zählte den Gebel Assiut al-
Aber auch Europäer führten Raubgrabungen auf dem
gharbi und seine Gräber zu den eindrucksvollsten
Berg durch. Fucas hingegen sah den Wissensgewinn,
menschlichen Hinterlassenschaften, die er auf seinen
den ihm der Besuch der Gräber bringen würde, als
Reisen gesehen hatte (Lucas 1719, S.343.).
weitaus größeren Schatz an - dies schließt allerdings
Die Gelehrten der im Auftrag Napoleon Bonapartes
nicht aus, dass Fucas auf seinen Reisen Objekte und
während seines Ägyptenfeldzugs durchgeführten wis-
DER GRÄBERBERG VON ASSIUT U N D SEINE SCHÄTZE
135
SY ö r T
A
( LVCOI’ O M S )
ten, erhielten sie durch das Studium der Grabdeko
rationen die ersten genauen Vorstellungen von ägyp
tischer Kunst und stießen sie erstmalig auf reichhal
tiges Mumienmaterial (Panckoucke 1821, S. 125-126.;
Abb. 4).
Zahlreiche weitere Gelehrte und Reisende des 19. Jhs.
machten in Assiut halt, um die Gräber und ihre Deko
ration und Inschriften zu sehen, sie zeigten sich von
den besonderen Motiven und Texten beeindruckt.
Hervorzuheben sind (in chronologischer Reihenfolge)
die Felsgräber Grab V, Grab III und Grab IV von Gau
fürsten aus Assiut - Cheti I., Iti-ib i und Cheti II. —, die
zur Zeit der Regionen (21.Jh. v.Chr.), einer Zeit des
Zerfalls des Zentralm acht des Staates in mehrere
kleine Herrschaftsbereiche, für die Stadt und das Um
land zu sorgen hatten. Die fü r die damalige Zeit au
ßergewöhnliche A rchitektur und Größe der Gräber
sowie ihre historisch bedeutsamen Inschriften, die
über Hungersnöte und den Bürgerkrieg zwischen The
ben einerseits und Assiut und Herakleopolis anderer
seits berichten, machen sie zu herausragenden Zeitzeu
gen der ägyptischen Geschichte am Ende der Zeit der
Regionen. Die Bestattungen erfolgten in Grabkam
mern, die am Boden von vertikalen, teilweise über
10 m tiefen Grabschächten horizontal in den Fels ge
hauen waren (Abb. 5). In Grab V war die Grabkammer
wie ein oberirdischer Grabbau m it einer Tür, einem
senschaftlichen Expedition betrachteten Assiut und
Pfeiler zum Stützen der Deckenlast und einem Archi-
seine im Gebel Assiut al-gharbi gelegenen Gräber
trav versehen (Abb. 6).
Jahre 1799 in der Description
ebenfalls als besonderes Forschungsobjekt, kopier
Grab I aus der Zeit Sesostris’ I. (um 1956-1910 v.Chr.)
de ltgypte.
ten sie doch im Frühjahr 1799 - und somit 23 Jahre vor
aber war und ist das bekannteste Grab im Gebel Assiut
der Entzifferung der Hierogly phenschrift durch Jean
al-gharbi. Suchen doch seine monumentale Architek
Francois Champollion (1790-1832) - in diesen Grä
tu r wie auch seine inhaltlich wie stilistisch außerge
bern die ersten vollständigen Hieroglypheninschrif
wöhnlichen Texte ihresgleichen. M it einer Gesamt-
▲4 Inschriftenkopien, Pläne
und Zeichnungen der franzö
sischen Expedition aus dem
136
JOCHEM KAHL
länge von über 70 m, von denen heute noch 55 m in
chen Bereich entlehnt. M it der Aufzeichnung und
den Fels gehauen anstehen, Raumhöhen von über 11 m
quasi steten Vergegenwärtigung dieses Textes sollte
sowie einem Aufweg, der eine im Fruchtland gele
dem Verstorbenen seine Aufnahme in die Götterge
gene Kapelle m it dem Grabbau verband, ist es das
meinschaft ermöglicht werden. A ll diese Texte wurden
größte ägyptische Felsgrab des M ittleren Reiches
in den nächsten 2000 Jahren mehrfach in Ägypten
(ca. 2020-1794v.Chr; A b b .7). Die erhaltenen In
überliefert und zählten zum Bestand des sogenannten
schriften geben u. a. zehn Verträge wieder, welche der
kulturellen Gedächtnisses der Alten Ägypter (Kahl
Grabherr, der Gaufürst D jefaihapil. um 1930 v.Chr.
iggg.). Der Gaufürst Djefaihapi I. zeichnet sich durch
m it den Priestern der Tempel der schakalsgestaltig
diesen Grabbau wie auch durch die Qualität der darin
vorgestellten Götter Upuaut und Anubis sowie m it
wiedergegebenen Texte und Bilder sowie durch Sta
dem Nekropolenpersonal des Gebel Assiut al-gharbi
tuen, die von ihm bekannt sind, nicht nur als ein lo
geschlossen hatte. Inhalt der Verträge war die Siche
kaler Machthaber, sondern auch als ein Förderer und
rung des Grabkultes. Andere Texte, wie eine Liturgie
Liebhaber von Architektur, Kunst und Literatur auf
zur Verklärung des Verstorbenen, sind dem königli
höchstem Niveau aus.
DER GRÄBERBERG VON ASSIUT U N D SEINE SCHÄTZE
k. 5 Grab V aus der Zeit der
Regionen; Blick in die innere
Halle m it einem Grabschacht.
▼6 Blick in die unterirdische
Grabkammer von GrabV.
137
... 7 Das bekannteste Grab im
Gebel Assiut al-gharbi ist Grab I
Zahlreiche Forscher und Künstler des 19. und frühen
kamen diese Inschriften Schätzen gleich. Der deutsche
20. Jhs. reisten nach Assiut, um die Inschriften dieses
Ägyptologe Heinrich Ferdinand Karl Brugsch (1827
und anderer Gräber zu studieren, zu kopieren und zu
1894) schrieb 1853 über die Anziehungskraft der Grä
kollationieren, zu nennen sind Robert Hay (1799-1863),
ber von Assiut: »Von clem entgegengesetzten Theile
John Gardner W ilkinson (1797-1875), Peter le Page
der Stadt fü h rt gleichfalls ein Damm nach dem nahe
Renouf (1822-1897), Emmanuel de Rouge (1811-1872),
liegenden Kalkgebirge, auf dessen M itte und Höhe
Johann Peter A d olf Erman (1854-1937), Francis Llewel-
eine grosse Anzahl antiker Gräber schon von weitem
lyn G riffith (1862-1934), Percy Edward Newberry
die Neugierde des Forschers anlocken.« (Brugsch 1855,
(1868-1949) und Pierre Montet (1885-1966). Für sie
S. 100.).
aus der 12. Dynastie.
138
JOCHEM KAHL
Stellten die Gräber, ihre Dekoration, Inschriften und
gütern von Assiut in europäische Museen und Samm
Architektur somit Schätze für die westlichen Gelehr
lungen, ohne die Fundumstände dieser Artefakte hin
ten des 17. bis frühen 20.Jhs. dar, so versäumten es
reichend dokumentiert zu haben. Diese Grabungen
diese Gelehrten wie auch die Politiker ihrer Zeit, die
waren rechtmäßig, Fundteilungen m it Ägypten fan
ses Wissen m it den Einheimischen des Landes zu tei
den statt, der Gewinn der Unternehmungen lag jedoch
len. Die Geburtsstunden der Ägyptologie - Napoleon
eindeutig auf europäischer Seite. Die Museen von Pa
Bonapartes französische Expedition (1798—1801), die
ris, London und Turin wurden gefüllt, das Ä g ypti
von Jean-Franqois Champollion begonnene Entziffe
sche Museum in Turin beispielsweise wurde auch
rung der Elieroglyphen 1822 und der im Jahre 1831 fü r
durch die Funde aus Assiut zur weltweit zweitgrößten
ihn eingerichtete erste Lehrstuhl fü r ägyptische Ge
ägyptischen Sammlung nach dem Ägyptischen Mu
schichte und Archäologie am College de France in
seum in Kairo (vgl. Beitrag Vassilika).
Paris - fallen alle in eine Zeit des Kolonialismus und
Die Grabungsunternehmungen aber hatten den Cha
Imperialismus westlicher Staaten. Ägypten stellte eine
rakter einer Ausbeutung des Gebel Assiut al-gharbi:
Begehrlichkeit fü r die westlichen Kolonialmächte dar,
Der britische Archäologe David George H ogarth
westliche Nationen, ihre Politiker, aber auch ihre For
(1862-1927), der auch fü r den britischen Geheimdienst
scher, fühlten sich Ägypten und Ägyptern überlegen.
im Nahen Osten tätig war, benutzte während seiner
Das Wissen über die ägyptische Vergangenheit wurde
Tätigkeit in Assiut im Jahre 1906/1907 sogar Dyna
nicht m it den Einheimischen geteilt, bis ins 20. Jh.
m it, um seine Grabungsziele zu erreichen, die darin
erfolgten Ausgrabungen durch Europäer und Am eri
bestanden, die Sammlung des Britischen Museums in
kaner ohne ägyptische Beteiligung, die Verwaltung
London zu bereichern (Ryan 1988.). Veröffentlicht hat
der ägyptischen Altertüm er lag in den Händen von
Hogarth seine Grabung nicht, aber er hat Tagebücher
Europäern, Reiseführer, die über die ägyptischen
hinterlassen. Eine retrospektive Beschreibung seiner
Denkmäler informierten, waren von Europäern und
Arbeit in Assiut lässt erkennen, wie profitorientiert
Amerikanern geschrieben und nicht auf Ägyptisch
Hogarths Unternehmung war, da er doch vom B riti
Arabisch erhältlich. Das Wissen über die eigene Ver
schen Museum für die Beschaffung von Objekten und
gangenheit wurde Ägypten und seinen Bewohnern
nicht fü r die Dokumentation von Funden und Befun
lange Zeit vorenthalten (Reid 2002. - Said 2003. - Said
den angestellt worden war (Hogarth 1910, S. 151-155.)-
200g.). Was sich im 18. und 19. Jh. in einer Geisteshal
Die französischen Archäologen Emile Gaston Chassi-
tung manifestierte, setzte sich noch im frühen 20. Jh.
nat (1868-1948) und Charles Palanque (1865-1910)
in großem Stil in Form von Ausgrabungen fort. A r
sind die Einzigen, die Ergebnisse ihrer Feldforschun
chäologen aus Frankreich, Italien und England legten
gen in einer Monografie veröffentlichten und somit
unabhängig voneinander innerhalb von zehn Jahren
tatsächlich einen substanziellen wissenschaftlichen
(1903-1913) Hunderte von Gräbern im Gebel Assiut al-
Beitrag zur Erforschung Assiuts leisteten. Die 26 Grä
gharbi frei und überführten Tausende von K u ltu r
ber aus der Zeit der Regionen und dem M ittleren
DER GRÄBERBERG VON ASSIUT U N D SEINE SCHÄTZE
139
140
Reich, die sie im Jahre 1903 freilegten, hatten sie al
könnten —nur zwei Hefte m it Notizen seines Assis
lerdings nur auf Kosten der Zerstörung und Nichtdo-
tenten Virginio Rosa (1886-1912) scheinen erhalten zu
kumentierung eines Teils der Ruinen des christlichen
sein, aber leider ohne Pläne (Kat. Trient 2009, S. 118
Klosters Deir el-Meitin erreicht (Chassinat/Palanque
120.). Konkrete Bezüge zwischen den Objekten und
1911, S. 2-4.).
der archäologischen Landschaft lassen sich nicht mehr
Italiens Urvater der ägyptischen Archäologie, Ernesto
herstellen.
Schiaparelli (1856-1928), legte zwischen 1906 und 1913
Die eigentliche Leistung Schiaparellis liegt somit we
m it seiner systematischen Ergrabung des im Westen
niger in seiner Grabungsdokumentation und Publi
von Assiut gelegenen Gräberberges den Grundstock
kationstätigkeit als vielmehr in seinem fü r die Zeit
fü r die Größe der Sammlung des Ägyptischen Muse
vor dem Ersten Weltkrieg (1914-1918) beeindruckend
ums Turin. Die Grabungen Schiaparellis, der von
breit gefächerten Interesse fü r alle ( ! ) Hinterlassen
1894-1928 Direktor des Ägyptischen Museums in Tu
schaften des Alten Ägypten. Die in großer Zahl nach
rin war, erbrachten 4437 Funde bzw. Fundgruppen
Turin gebrachte Keramik, Figuren von Holzmodellen
und machten dam it einen Großteil der Erweiterung
der Zeit der Regionen und des M ittleren Reichs, Pflan
des alten Bestandes der Museumssammlung aus, näm
zen- und Knochenmaterial und anderes zeugen davon.
lich 26% (Kat. Trient 2009, S. 44, S. 120.). Schiaparellis
Neben diesen europäischen Ausgrabungen ist die vom
Tätigkeiten werden heute noch in Italien als faszinie
ägyptischen Archäologen Ahmed Bey Kamal durch
rende Heldentaten gefeiert, seine Aktivitäten in Assiut
geführte zu erwähnen. Kamal arbeitete für den Samm
als fruchtbare Grabungskampagnen bezeichnet und
ler Sayed Bey Khashaba in Assiut und ergrub u.a.
als systematische Forschungen beschrieben, die m it
künstlerisch ungewöhnlich hochwertige Objekte des
Methoden durchgeführt worden seien, die für ihre
Neuen Reiches (1550-1070 v.Chr.; vgl. Abb. 3; Reid 2002,
damalige Zeit führend gewesen seien (Kat. Trient
S. 201-212.). Die Funde seiner Grabungen gelangten
2009, S. 11, S. 15.). Diesen Einschätzungen gegenüber
zunächst in die Sammlung Khashaba, die in Assiut
steht aber auch hier der ungeheure Verlust, den die
der — insbesondere einheimischen —Öffentlichkeit
Forschung durch Schiaparellis Grabungen hinneh
die Vergangenheit der Stadt verdeutlichen sollte. Un
men musste. Praktisch alle Funde harren - über 100
glücklicherweise ging diese Sammlung später ihrer
Jahre nach ihrer Entdeckung-noch immer ihrer wis
wertvollsten Stücke verlustig. Auch Kamal veröffent
senschaftlichen Aufarbeitung. Als Einzelstücke im
lichte seine Funde nur summarisch in Form einer lis
Museumsmagazin wie auch als Exponate in einer Aus
tenartigen Aufzählung unter Vernachlässigung der
stellung sind sie ihres Fundkontextes verlustig ge
Angabe eines Fundkontextes und somit ohne dem
gangen, ist ihre wissenschaftliche Aussagekraft ge
Leser die H erkunft der Funde, ihre eventuellen Ver
schwunden. Und es steht zu befürchten, dass es keine
gesellschaftungen oder andere Besonderheiten m it
Aufzeichnungen der Ausgrabungen Schiaparellis gibt,
zuteilen und dam it fü r eine weitere wissenschaftli
die diesen Inform ationsverlust noch ausgleichen
che Auswertung verfügbar zu machen.
JOCHEM KAHL
Neben der oftmals fragwürdigen archäologischen Er
kann dort nur noch Skelette der Gräber erkennen.«
forschung des Gebel Assiut al-gharbi durch legale
(Champollion 1974, S. 469.; Übersetzung J. Kahl).
Ausgrabungen im frühen 20. Jh. war der Berg zu allen
Die Steinbruchtätigkeiten trugen auf nahezu jeder
Zeiten Angriffspunkt fü r Grabräuber und Plünderer.
der e lf Terrassen, in die sich der Berg grob gliedern
Während des 18. und 19. Jhs. war er aber noch auf eine
lässt, ca. 10-15 m des Felsens ab. Zudem wurden die
andere A rt ausgebeutet worden: Groß angelegte Stein
Pfeiler aus den pharaonenzeitlichen Gräbern heraus
bruchtätigkeiten zogen ihm —bildlich ausgedrückt -
gebrochen, da sie bearbeitet und somit quasi schon
seine Haut und sein Fleisch ab und ließen ihm nur
zum Abtransport vorbereitet waren. Zeichnungen der
seine Knochen. Jean-Francois Champollion verglich
französischen Expedition belegen für das Jahr 1799 die
die zerstörten Gräber bereits 1828 m it einem (mensch
noch intakten Grabfronten von Grab III, Grab IV und
lichen) Körper: »beinahe alles ist zerstört und man
Grab V aus der Zeit der Regionen, während heute nur
’
»8
„ ..
Die GräberIII, IVund V m it
den zerstörten Grabfronten.
►9 Die erhaltenen Lehmziegel
mauern des koptischen Klosters
Deir el-Azzam, des »Klosters der
Knochen«.
142
noch weite Öffnungen erkennbar sind, denen die
Sicht unverständlich erscheinen, m it welcher Konse
Ägyptische Altertümerverwaltung zum Schutz Gitter
quenz lediglich Fundstücke berücksichtigt wurden,
vorgesetzt hat (A b b .8). Andere Gräber gingen ihrer
ih r unm ittelbarer Zusammenhang m it Inschriften,
vordersten Räume verlustig, so z. B. Grab I, wieder an
Architektur und Dekoration hingegen kaum von In
dere sind komplett verschwunden.
teresse war, doch spiegelt dies die zeittypische Denk-
Schatzsucher, Plünderer, Steinbrucharbeiter - alle zu
und Herangehensweise der frühen Archäologie w i
sammen verwüsteten den Gebel Assiut al-gharbi bis
der und sollte unsere Generation se