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Hand

2017

H Hand, die unsichtbare Juliane Tiemann & Muriel Norde Die ‚unsichtbare Hand‘ war einer der ersten Begriffe, die uns in den Sinn kamen, als es darum ging, etwas zu dieser Festschrift beizutragen. Die ‚unsichtbare Hand‘ bezeichnet Explananda, die weder allein durch natür‐ liche Ursachen erklärt werden noch als allein durch den Menschen ge‐ schaffen gelten können, sondern die unbeabsichtigten Folgen menschli‐ chen Handelns darstellen. In die Historische Sprachwissenschaft wurde die ‚unsichtbare Hand‘ nachhaltig von Rudi Keller (1994) eingeführt. Dabei benutzt er das Bild des Trampelpfads, der entsteht, wenn Fußgän‐ ger ein Stückchen eines Weges abkürzen, um schneller ans Ziel zu gelan‐ gen (vgl. Abb.1). Sie haben nicht die Absicht, einen neuen Weg zu schaf‐ fen, aber er entsteht als unmittelbare Folge ihrer wiederholten Geh‐ Handlungen. Abb. 1: Trampelpfad. Kellers Verdienst besteht im Übertrag der ‚unsichtbaren Hand‘ auf die Entwicklung sprachlicher Gegenstände. Die Sprachverwender haben ebenso wenig die Absicht, ihre Sprache zu ändern. Ganz im Gegenteil zeigen die vielen Zusendungen empörter LeserInnen an ihre Tageszei‐ tungen über vermeintliche oder tatsächliche sprachliche Unzulänglichkei‐ ten, dass Sprecher dazu tendieren, sprachliche Strukturen als fix anzuse‐ hen. Die Sprache ist gut wie sie ist! Durch Kellers Modell haben Linguisten aber ein Argument zur Hand, mit dem allen Sprechern nachgewiesen 63 Juliane Tiemann & Muriel Norde wird, wie sie an Sprachwandel mitwirken, einfach dadurch, dass sie mit sprachlichen Handlungen ihre ganz eigenen Absichten verfolgen. Unter Kellers (recht spärlichen) Beispielen ist sicherlich die Bedeutungsent‐ wicklung von mhd. wîp und frouwe das bekannteste (Keller 1994: 107f): Männer neigen in höfischer Tradition dazu, Frauen mit ‚höheren‘ Ausdrü‐ cken anzureden und führen dadurch auf Dauer eine Bedeutungsver‐ schlechterung bei Weib und Frau herbei, die von den Sprechern nicht nur nicht beabsichtigt war, sondern ihren Interessen sogar entgegenläuft. Sprache ist ein Phänomen der dritten Art. Wir lernen: Jede Sprach‐ handlung ist zielorientiert, wirkt aber unbeabsichtigt am Aufbau von Strukturen mit, die weit über die einzelne Sprachhandlung hinaus Be‐ stand haben. Betrachten wir daher einmal Karin Donhauser als Sprach‐ handelnde, nehmen als ihre intentionalen Sprachhandlungen – entspre‐ chend der unterschiedlichen Erfahrungsbereiche der Autorinnen – Wis‐ sensvermittlung und Forschung und fragen nach den Strukturen, die diese Handlungen erzeugt haben. Zum einen ist mir aus den Vorlesungen zur Sprachgeschichte rückbli‐ ckend das Bild der Wiese, über die so viele Menschen eine Abkürzung nehmen und einen Trampelpfad hinterlassen, in besonderer Erinnerung geblieben, hat es mich doch erst auf den Weg, den man selbst täglich geht, und die Bedeutung eigener Entscheidungen aufmerksam gemacht. Die Wissenschaft instruiert das Leben. Sprachhandlungen sind bei Karin Donhauser immer soziale Handlungen. Wissen wird mit Leidenschaft für das Thema und ehrlichem Interesse an den Studierenden vermittelt, so dass Strukturen des Wissens entstehen können. Die Sprachhandlungen der Wissensvermittlung schaffen aber nicht selten auch Strukturen zeitli‐ cher Ausdehnung. Vorlesungs‐ und Seminarzeiten werden großzügig genutzt, auch Sprechstunden‐Slots weiten sich. Wer das weiß, kommt halt schon einige Minuten später zu seinem Termin. Entscheidend aber ist, dass Raum für Diskussionen geschaffen wird und bei Fragen zufrieden‐ stellende Antworten garantiert sind. Der bayerische Geist trägt sein Übri‐ ges dazu bei. In meiner, zugegeben, persönlichen Erfahrung hat die ‚un‐ sichtbare Hand‘ der sichtbaren Sprecherin dazu beigetragen, dem klaren Weg, welchen ich bereits zu Beginn meines Studiums im Blick hatte, durch Erfahrungs‐ und Wissensaustausch in Lehre, Sprechstunden und Ganggesprächen sowie schließlich auch durch die Möglichkeit, am Institut als studentische Mitarbeiterin zu arbeiten, eine bessere Struktur zu ge‐ ben. Dafür möchte ich mich an dieser Stelle bei Karin Donhauser bedan‐ ken! Zum anderen bestätigt sich aus kollegialer Perspektive, dass Sprach‐ handlungen bei Karin Donhauser immer auch soziale Handlungen sind. 64 Hand, die unsichtbare Als ich zum Wintersemester 2013 an die HU berufen wurde, war Karin Donhauser eine der ersten, die mich in ihrem Büro als Kollegin begrüßte. Der herzliche Empfang und die gemeinsame Leidenschaft für Fragen der Historischen Linguistik haben sicherlich dazu beigetragen, dass ich mich am Hegelplatz bald heimisch fühlte. Die Arbeit in Forschung und Verwal‐ tung fordert von den ProfessorInnen jede Menge Zeit. So werden Termin‐ kalender zu komplexen Strukturen sozialer Koordination und der Ver‐ such, ein Stück davon zu ergattern, kann komplexe Strukturen der Kom‐ munikation entstehen lassen. Sitzt man dann zusammen, erkennt man in den Stapeln aus Büchern und Artikeln die Strukturen des Wissens ganz gegenständlich wachsen. Und dann ist dort noch Philo auf seiner Hunde‐ decke, der, ab und an Aufmerksamkeit und Interaktion einfordernd und seiner eigenen (Tages‐)Struktur folgend, einen daran erinnert, die Struk‐ turen der Wissenschaft nicht Überhand nehmen zu lassen. Die Autorinnen erkennen für sich das Wirken der ‚unsichtbaren Hand‘ Karin Donhausers an und wollen der Jubilarin nun, zum Ende dieses Beitrages, zielorientierte Worte des kollegialen Danks und feierlichen Grußes entrichten. 65