Früher einmal war ich Kostümbildnerin beim Film. Viele Jahre meines Lebens habe ich mit dieser Arbeit verbracht und noch immer räume ich die Überbleibsel davon auf.
Neulich ist mir dabei eine Tasche in die Finger gefallen: aus Plastik, mit aufgedruckten Rosen. Zwei Stück hatte ich davon, vielleicht waren es auch drei, ich kann mich nicht erinnern. Damals hatte ich ungeheuer viele Taschen in allen möglichen Farben, Formen und Größen. In meinem Leben als Filmschaffende hatte ich reichlich Dinge zu verstauen und zu transportieren.
Beim aufräumen jedenfalls habe ich ein deutlich ramponiertes Exemplar der Rosen-Taschen gefunden. Zuletzt waren Patina Utensilien darin aufbewahrt worden: Dosen mit grauem, braunen, schwarzen Staub, Pigmente, Asche – alles mögliche um Kostüme dreckig aussehen zu lassen. So leer und lappig, so dreckig und abgegriffen wie sie war entschied ich wehmütigen Herzens, dass die Tasche es nun hinter sich hat, dass es mal gut ist, dass sie nun weg kommt. Erinnerungen an eine Zeit, in der die Tasche quasi in der Blüte ihres Lebens war, diffundierten vage durch mich hindurch, aber schließlich landete sie in einer Ecke mit anderen aussortierten Dingen.
Wenige Tage später habe ich gelesen, dass Peter Patzak gestorben ist. Peter Patzak war Film-Regisseur, am bekanntesten wohl durch seine Reihe „Kottan ermittelt“. Er war aber auch Maler, hat an der Filmakademie in Wien unterrichtet, mindestens ein Buch geschrieben und wer bin ich überhaupt, hier eine so unvollständige, unzureichende, verkopfte Schlagwort-Zusammenfassung niederzuschreiben mit der man doch keinem Menschen gerecht werden kann.
Was ich gern erzählen möchte ist dies: einmal hatte ich die Ehre mit Peter Patzak arbeiten zu dürfen. Das war 2006 in Berlin, und weder ich hab mir ihn als Regisseur ausgesucht, noch er mich als Kostümbildnerin. Wir wurden von der Produktion zusammengewürfelt, das hat sich einfach so ergeben, so ein Glück. Gedreht wurden damals mehrere Folgen „Arme Millionäre“, zwei davon unter der Regie von Peter Patzak.
Ich war begeistert und auch aufgeregt. Peter Patzak – ich weiß noch genau, wie ich irgendwann Anfang der 80er Jahre ungläubig Kottan ermittelt entdeckt habe; mit quasi heruntergeklapptem Kiefer, sowas hatte ich noch nicht gesehen. Es war absurd, es war lustig, es war anders, und alles daran hat mich verblüfft. Sowas! Im Fernsehen! Das war ein eindrückliches Erlebnis, eine wache Erinnerung, und mit dem Regisseur dieser waghalsigen Erzählweise sollte ich nun arbeiten dürfen.
In meiner Zeit beim Film bin ich im Laufe der Jahre so einigen beeindruckenden Menschen begegnet, vor und hinter der Kamera, egal. Peter Patzak gehört für mich persönlich unbedingt und ganz weit vorn dazu.
Was für ein Typ!
Und das meine ich mit ganzem Herzen respektvoll.
Er war in jeder Hinsicht viel. Er war groß, er hatte ein wildes Gesicht, wilde Haare und so eine jede-Menge-Leben-Stimme. Er trug immer etwas schwarzes, die Haltung leicht gebeugt. So brummig er scheinbar daher kam, so filigran zugewandt habe ich ihn erlebt.
Einmal saßen wir beim Mittagessen, auf Bierbänken irgendwo draussen in der Nähe vom Set. Peter Patzak, sein Regieassistent und ich. Worüber genau wir geredet haben weiß ich nicht mehr, es ging aber irgendwie um Kleidung und Mode, Peter Patzak hat das Thema intellektuell aufgerollt, ich konnte nicht recht folgen und habe Fragen gestellt. Zumindest ein paar, allzu doof wollte ich ja auch nicht erscheinen. Irgendwann dreht er sich zu mir und sagt, sehr nett, dass er es nun nicht besser erklären wird. „Unterricht geb ich nicht!“
Der Regieassistent hat gegrinst und sich amüsiert und ich weiss noch, dass ich mich nun doch doof gefühlt habe, ich dachte aber auch „Schade“ und gleichzeitig hatte ich was ganz wesentliches verstanden. Es ging um Augenhöhe. Meine ehrfürchtige Kottan-ermittelt Beeindruckung war für Augenhöhe hinderlich.
Und noch etwas habe ich durch Peter Patzak gelernt: sehr konkret zu sein in meiner Arbeit. Was er überhaupt nicht mochte waren Alternativen. Er wollte meinen konkreten Kostüm-Entwurf; solange ich selbst noch mit suchen, finden und ausprobieren zugange war brauchte ich ihm gar nichts vorschlagen. Das war für mich neu, meiner Erfahrung nach war man gut beraten Regisseuren Alternativen zeigen zu können.
Ich habe also immer nur eins gezeigt: Hier bitte, das ist das Kostüm. Ich konnte sämtliche Zeit und Energie auf dieses eine konkrete Kostüm für eine konkrete Szene verwenden, es gab keinerlei Verschwendung an materiellen oder persönlichen Ressourcen für Unentschlossenheit, halbherzige Alternativen oder Angst-Vorschläge.
Für mich war das eine Art Erweckung, das kann ich ohne Übertreibung sagen. Diese Art zu arbeiten kam und kommt mir maximal entgegen. Eine starke innere Anbindung ans Thema, ein immer weiter suchen, forschen, probieren, verwerfen und schließlich finden, Verantwortung, Entscheidungen treffen, konkret sein, all das steckt da drin und es ist soviel richtig daran.
Hervorgebracht in mir wurde das durch die Begegnung und die Arbeit mit Peter Patzak und wirklich wahr, für mich persönlich ist das richtig wesentlich.
Und was hat das alles mit der Tasche auf dem Foto zu tun?
Irgendwann hat Peter Patzak mich gefragt, ob ich eine Tasche für ihn hätte. Er müsse übers Wochenende nach Wien fliegen, viel wolle er da nicht mitnehmen, er habe aber nur Koffer dabei.
Das einzige was von der Größe in Frage kam war eine der Rosentaschen. Bunt, kitschig, aus Plastik. Ich habe also eine ausgeräumt und ihm hingehalten und eigentlich nicht damit gerechnet, dass er sie nimmt. Aber er hat sie genommen. Er hat seine paar Habseligkeiten da hinein getan und ist damit nach Wien geflogen. Ich habe Witzchen darüber gemacht, ich fand die Vorstellung, dass dieser große, schwarz gekleidete Mann mit der bunten albernen Tasche am Flughafen in der Sicherheitskontrolle steht einfach zu lustig.
Als er wieder da war hat er die Tasche zurück gebracht. Er hat sie bei uns im Kostümraum irgendwo abgelegt, leer und in sich zusammengefallen. So eine leere Tasche hat auch immer ein bisschen etwas erbarmungswürdiges. Aber es war nun auch ein Stück unbekannte Geschichte auf sie übergegangen, und ich fand damals, und finde noch immer, dass es Peter Patzak eigentlich ziemlich prima beschreibt mit dieser Tasche durch die Welt zu fliegen.
Er hatte einfach Würde.
Dies ist mein ganz persönliches Danke. Es ist mir, bei aller Bescheidenheit, ein Bedürfnis es auszudrücken.
Danke Peter Patzak!
Die Rosentasche hab ich vorerst wieder im Schrank verstaut.
Ich verbinde nur Kottasn mit Peter Patzak. Aber die Anekdoten haben ihn mir präsenter gemacht, vielen Dank. (Und überhaupt, Erinnerungen; beschäftigen mich im Moment sehr.)
Ja, das mit den Erinnerungen geht mir gerade auch so! Ob es am Alter liegt? Frage ich mich.
Solche Erinnerungsstücke sind wertvoll, schon weil man immer mal wieder über Erlebnisse nachdenkt.
Eine gute Geschichte!
Liebe Grüße, Juliane
Ich kenne mal wieder weder Peter Patzak noch „Kottan ermittelt“ (werde aber mal nachforschen, vielleicht finde ich ja irgendwo alte Folgen. Aber Dich und die riesengroßen Taschen sind nicht zu trennen. Irgendwann hab ich Dir auch mal eine geschenkt. Aber so wunderschön wie die Rosentasche war sie nicht.
irgendwie klngelt es im Hinterkopf bei „Kottan ermittelt“
eine sehr einfühlsamme Beschreibung des Mannes
und ich finde gut dass due die Tasche doch noch mal aufhebst 😉
liebe Grüße
Rosi
Tasche bleibt 🙂
So ein schöner, würdevoller Nachruf.
Dankeschön, wenn es so verstanden wird freut mich das sehr!
Vielen Dank für diese ungewohnte Art des Nachrufens. Auch ich kenne weder den Regisseur noch Kottan ermittelt, habe aber durch Ihre Zeilen mehr mitbekommen als wenn seine Biografie „aberzählt“ worden wäre.
Vielen Dank, das freut mich sehr!