1998 legte das Bundesministerium fur Arbeit und Sozialordnung (BMA) den gesetzgebenden Korperscha... more 1998 legte das Bundesministerium fur Arbeit und Sozialordnung (BMA) den gesetzgebenden Korperschaften von Bund und Landern seinen Bericht zur Pflegeversicherung vor, eine Art Bestandsaufnahme der Situation. Dort heist es: Die „Pflegeversicherung hat ihre Bewahrungsprobe bestanden.“280 Ob man dieses positive Urteil so stehen lassen kann, wird noch zu diskutieren sein. Teil D dieser Arbeit beschaftigt sich daher mit der Umsetzung des PflegeVG in die Wirklichkeit und den dort auftauchenden Problemen und Schwierigkeiten.
Im zweiten Teil dieser Arbeit soll der Versuch unternommen werden, die zwei Jahrzehnte andauernde... more Im zweiten Teil dieser Arbeit soll der Versuch unternommen werden, die zwei Jahrzehnte andauernde Diskussion um die Einfuhrung der Pflegeversicherung — eine der langsten in der Geschichte der Bundesrepublik — nachzuzeichnen. Die Vielzahl der involvierten Akteure, die Komplexitat des Gegenstandes sowie der grose zeitliche Rahmen zwingen freilich zur Vereinfachung und zur Aggregation. Ziel soll es sein, die pragenden Akteure und deren (sich im Zeitverlauf auch verandernden Positionen) herauszuarbeiten. Dabei wird die Darstellung der Interessen und Positionen der Akteure in den chronologischen Verlauf eingeflochten, erfolgt also nicht isoliert, um eine Zersplitterung der Thematik und etwaige Redundanzen so weit wie moglich zu vermeiden. Angelehnt an das methodische Konzept von Sabatier bzw. an das Vorgehen von Rothgang werden die Akteure auch zu Gruppen von gleich- bzw. ahnlichgerichteten Interessen und Argumentationsmustern aggregiert — sog. „Akteurstypen“60 -, um einen strukturierten Uberblick zu ermoglichen.61 Bei der Darstellung des Politikergebnisses soll so verstehbar werden, welche Positionen sich in bestimmten Bereichen durchsetzen konnten. Gleichzeitig sollen die noch zu problematisierenden Widerspruche und Inkonsistenzen der Pflegeversicherung als Resultat eines Kompromisses der verschiedenen Interessen begreifbar werden.
Die Niederlande fuhrten bereits 1968 mit dem AWBZ (gesetzliche Versicherung gegen „besondere Kran... more Die Niederlande fuhrten bereits 1968 mit dem AWBZ (gesetzliche Versicherung gegen „besondere Krankheitskosten“) eine Pflegesozialversicherung ein.426 Das niederlandische Modell last sich freilich nicht ohne weiteres mit dem deutschen vergleichen, allein schon, weil es mittlerweile seit uber 30 Jahren besteht, die Pflegeversicherung in Deutschland dagegen gerade mal ein halbes Jahrzehnt. Nichtsdestoweniger (oder gerade deswegen) ist es lohnend, einen (allerdings sehr kurzen und unvollstandigen) Blick uber den Tellerrand zu werfen.
Im folgenden wird ein Uberblick uber die Konzeption des PflegeVG (SGB XI) gegeben. Dieser wird ni... more Im folgenden wird ein Uberblick uber die Konzeption des PflegeVG (SGB XI) gegeben. Dieser wird nicht blos deskriptiv, sondern problemorientiert, also mit Blick auf die angetrebten Ziele, erfolgen. Dabei sollen auch jene Besonderheiten deutlich werden, die das PflegeVG von den anderen „Saulen“ der sozialen Sicherung in Deutschland unterscheiden.
Welche Lander sollen dem Vergleich unterzogen werden und warum gerade diese? Zunachst ist es notw... more Welche Lander sollen dem Vergleich unterzogen werden und warum gerade diese? Zunachst ist es notwendig, die Zahl der Lander auf ein operationalisierbares Mas zu begrenzen. Die Diskussion aller EU-Staaten ware im Rahmen dieser Arbeit unmoglich. Daher sollen hier lediglich drei Lander betrachtet werden. Vor dem Hintergrund der theoretischen Uberlegungen zum Thema Sozialstaat und seinen Typisierungen bietet es sich an, drei Lander auszuwahlen, welche je einem Sozialstaatstypus angehoren. Freilich beginnen bereits hier die Schwierigkeiten: Kein Land stellt einen „reinen Typus“ dar, dies wurde bereits diskutiert.
Weltweit altern die Gesellschaften, das ist eine Binsenweisheit. Der Befund gilt nicht nur fur In... more Weltweit altern die Gesellschaften, das ist eine Binsenweisheit. Der Befund gilt nicht nur fur Industriegesellschaften, die damit alle vor ahnlichen Herausforderungen stehen, sondern betrifft zunehmend auch Entwicklungslander.3 Diese Entwicklung ist komplexer als die blose Feststellung, dass immer mehr Menschen immer langer leben, wir es also gewissermasen mit einem Alterungsprozess in einem zweifachen Sinne zu tun haben.4 Der Politik wird zwar bescheinigt, endlich die Folgen des demographischen Wandels entdeckt zu haben, gleichzeitig aber auch der Vorwurf gemacht, sie handele nicht entschlossen genug. Auf die „Uberalterung“, die der ganzen Welt grose gesellschaftspolitische Aufgaben stelle, werde nicht vorausschauend reagiert. Stattdessen sei man im Kurzzeitdenken verhaftet5, orientiert mehr an Wahlperioden als an Sachzwangen, und produziere „sozialstaatliche Reformruinen“ mit „geschonten Prognosen und frisierten Zahlen“ 6. Kurz: Das Alter(n) wird zum Thema.
Die Untersuchung der Pflegesicherungsregime in Deutschland, Niederlande und Danemark hat gezeigt,... more Die Untersuchung der Pflegesicherungsregime in Deutschland, Niederlande und Danemark hat gezeigt, dass sowohl bzgl. der Grundprimzipien wie auch der konkreten Ausgestaltung der Pflegesicherung erhebliche systemische Unterschiede bestehen, die in prinzipiell unterschiedlich organisierten Wohlfahrtssystemen begrundet liegen. Trotz dieser strukturellen Unterschiede ist im Blick auf die europaische Integration immer wieder vom „Europaischen Sozialmodell“ oder einer „Sozialunion“ die Rede. Zweifellos nimmt die Europaische Union sozialregulative Aufgaben wahr und betreibt so direkt Sozialpolitik. Mehr noch aber setzt der politisch voran getriebene Ausbau des Binnenmarktes die nationalen Regierungen unter Druck, ihre im Wettbewerb stehenden Sozialsysteme zu reformieren und „binnenmarktkompatibel“ zu machen. Insofern beeinflusst die EU indirekt die nationalen Sozialpolitiken. Die deutsche Pflegeversicherung ist in beiderlei Hinsicht, indirekt als auch direkt, von der europaische Integration betroffen: Indirekt wirkte sich der Binnenmarkt auf die Ausgestaltung des Leistungskataloges (Limitierung) und die Finanzierungslogik (Belastungsausgleich fur die Wirtschaft) aus. Direkten Einfluss ubte der EuGH aus: Er urteilte, dass der im deutschen Pflegeversicherungsrecht nicht vorgesehene Export von Pflegeleistungen unvereinbar mit europaischem Binnenmarktrecht sei (mehr hierzu spater).
1998 legte das Bundesministerium fur Arbeit und Sozialordnung (BMA) den gesetzgebenden Korperscha... more 1998 legte das Bundesministerium fur Arbeit und Sozialordnung (BMA) den gesetzgebenden Korperschaften von Bund und Landern seinen Bericht zur Pflegeversicherung vor, eine Art Bestandsaufnahme der Situation. Dort heist es: Die „Pflegeversicherung hat ihre Bewahrungsprobe bestanden.“280 Ob man dieses positive Urteil so stehen lassen kann, wird noch zu diskutieren sein. Teil D dieser Arbeit beschaftigt sich daher mit der Umsetzung des PflegeVG in die Wirklichkeit und den dort auftauchenden Problemen und Schwierigkeiten.
Im zweiten Teil dieser Arbeit soll der Versuch unternommen werden, die zwei Jahrzehnte andauernde... more Im zweiten Teil dieser Arbeit soll der Versuch unternommen werden, die zwei Jahrzehnte andauernde Diskussion um die Einfuhrung der Pflegeversicherung — eine der langsten in der Geschichte der Bundesrepublik — nachzuzeichnen. Die Vielzahl der involvierten Akteure, die Komplexitat des Gegenstandes sowie der grose zeitliche Rahmen zwingen freilich zur Vereinfachung und zur Aggregation. Ziel soll es sein, die pragenden Akteure und deren (sich im Zeitverlauf auch verandernden Positionen) herauszuarbeiten. Dabei wird die Darstellung der Interessen und Positionen der Akteure in den chronologischen Verlauf eingeflochten, erfolgt also nicht isoliert, um eine Zersplitterung der Thematik und etwaige Redundanzen so weit wie moglich zu vermeiden. Angelehnt an das methodische Konzept von Sabatier bzw. an das Vorgehen von Rothgang werden die Akteure auch zu Gruppen von gleich- bzw. ahnlichgerichteten Interessen und Argumentationsmustern aggregiert — sog. „Akteurstypen“60 -, um einen strukturierten Uberblick zu ermoglichen.61 Bei der Darstellung des Politikergebnisses soll so verstehbar werden, welche Positionen sich in bestimmten Bereichen durchsetzen konnten. Gleichzeitig sollen die noch zu problematisierenden Widerspruche und Inkonsistenzen der Pflegeversicherung als Resultat eines Kompromisses der verschiedenen Interessen begreifbar werden.
Die Niederlande fuhrten bereits 1968 mit dem AWBZ (gesetzliche Versicherung gegen „besondere Kran... more Die Niederlande fuhrten bereits 1968 mit dem AWBZ (gesetzliche Versicherung gegen „besondere Krankheitskosten“) eine Pflegesozialversicherung ein.426 Das niederlandische Modell last sich freilich nicht ohne weiteres mit dem deutschen vergleichen, allein schon, weil es mittlerweile seit uber 30 Jahren besteht, die Pflegeversicherung in Deutschland dagegen gerade mal ein halbes Jahrzehnt. Nichtsdestoweniger (oder gerade deswegen) ist es lohnend, einen (allerdings sehr kurzen und unvollstandigen) Blick uber den Tellerrand zu werfen.
Im folgenden wird ein Uberblick uber die Konzeption des PflegeVG (SGB XI) gegeben. Dieser wird ni... more Im folgenden wird ein Uberblick uber die Konzeption des PflegeVG (SGB XI) gegeben. Dieser wird nicht blos deskriptiv, sondern problemorientiert, also mit Blick auf die angetrebten Ziele, erfolgen. Dabei sollen auch jene Besonderheiten deutlich werden, die das PflegeVG von den anderen „Saulen“ der sozialen Sicherung in Deutschland unterscheiden.
Welche Lander sollen dem Vergleich unterzogen werden und warum gerade diese? Zunachst ist es notw... more Welche Lander sollen dem Vergleich unterzogen werden und warum gerade diese? Zunachst ist es notwendig, die Zahl der Lander auf ein operationalisierbares Mas zu begrenzen. Die Diskussion aller EU-Staaten ware im Rahmen dieser Arbeit unmoglich. Daher sollen hier lediglich drei Lander betrachtet werden. Vor dem Hintergrund der theoretischen Uberlegungen zum Thema Sozialstaat und seinen Typisierungen bietet es sich an, drei Lander auszuwahlen, welche je einem Sozialstaatstypus angehoren. Freilich beginnen bereits hier die Schwierigkeiten: Kein Land stellt einen „reinen Typus“ dar, dies wurde bereits diskutiert.
Weltweit altern die Gesellschaften, das ist eine Binsenweisheit. Der Befund gilt nicht nur fur In... more Weltweit altern die Gesellschaften, das ist eine Binsenweisheit. Der Befund gilt nicht nur fur Industriegesellschaften, die damit alle vor ahnlichen Herausforderungen stehen, sondern betrifft zunehmend auch Entwicklungslander.3 Diese Entwicklung ist komplexer als die blose Feststellung, dass immer mehr Menschen immer langer leben, wir es also gewissermasen mit einem Alterungsprozess in einem zweifachen Sinne zu tun haben.4 Der Politik wird zwar bescheinigt, endlich die Folgen des demographischen Wandels entdeckt zu haben, gleichzeitig aber auch der Vorwurf gemacht, sie handele nicht entschlossen genug. Auf die „Uberalterung“, die der ganzen Welt grose gesellschaftspolitische Aufgaben stelle, werde nicht vorausschauend reagiert. Stattdessen sei man im Kurzzeitdenken verhaftet5, orientiert mehr an Wahlperioden als an Sachzwangen, und produziere „sozialstaatliche Reformruinen“ mit „geschonten Prognosen und frisierten Zahlen“ 6. Kurz: Das Alter(n) wird zum Thema.
Die Untersuchung der Pflegesicherungsregime in Deutschland, Niederlande und Danemark hat gezeigt,... more Die Untersuchung der Pflegesicherungsregime in Deutschland, Niederlande und Danemark hat gezeigt, dass sowohl bzgl. der Grundprimzipien wie auch der konkreten Ausgestaltung der Pflegesicherung erhebliche systemische Unterschiede bestehen, die in prinzipiell unterschiedlich organisierten Wohlfahrtssystemen begrundet liegen. Trotz dieser strukturellen Unterschiede ist im Blick auf die europaische Integration immer wieder vom „Europaischen Sozialmodell“ oder einer „Sozialunion“ die Rede. Zweifellos nimmt die Europaische Union sozialregulative Aufgaben wahr und betreibt so direkt Sozialpolitik. Mehr noch aber setzt der politisch voran getriebene Ausbau des Binnenmarktes die nationalen Regierungen unter Druck, ihre im Wettbewerb stehenden Sozialsysteme zu reformieren und „binnenmarktkompatibel“ zu machen. Insofern beeinflusst die EU indirekt die nationalen Sozialpolitiken. Die deutsche Pflegeversicherung ist in beiderlei Hinsicht, indirekt als auch direkt, von der europaische Integration betroffen: Indirekt wirkte sich der Binnenmarkt auf die Ausgestaltung des Leistungskataloges (Limitierung) und die Finanzierungslogik (Belastungsausgleich fur die Wirtschaft) aus. Direkten Einfluss ubte der EuGH aus: Er urteilte, dass der im deutschen Pflegeversicherungsrecht nicht vorgesehene Export von Pflegeleistungen unvereinbar mit europaischem Binnenmarktrecht sei (mehr hierzu spater).
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