Bergsteigerdörfer
Bergsteigerdörfer | |
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Rechtsform | Orts- und Gemeindenetzwerkprojekt |
Gründung | 2008 |
Gründer | Österreichischer Alpenverein |
Schwerpunkt | Alpenkonvention |
Methode | Netzwerkarbeit, Information, Veranstaltungen |
Aktionsraum | Ostalpenraum |
Personen | Liliana Dagostin, Marion Hetzenauer, Barbara Reitler und Jan Salcher (ÖAV), Tobias Hipp (DAV), Anna Pichler (AVS), Dario Brioschi (CAI), Dušan Prašnikar (PZS), Phillipe Wäger, Marc Bless (SAC) |
Eigentümer | Österreichischer Alpenverein (ÖAV) Deutscher Alpenverein (DAV) Alpenverein Südtirol (AVS) Club Alpino Italiano (CAI) Planinska zveza Slovenije (PZS) |
Mitglieder | 35 Orte und Gemeinden (Ende 2021) |
Website | www.bergsteigerdoerfer.org |
Die Bergsteigerdörfer sind eine länder- und kulturübergreifende Initiative, die vom Österreichischen Alpenverein und bis 2018 mit Unterstützung des Ministeriums für ein lebenswertes Österreich im Zeichen touristischer Nachhaltigkeit ins Leben gerufen wurde. Finanzielle Mittel wurden außerdem aus dem Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (derzeit EL 2014–2020) bereitgestellt. Seit 2015 wurden die nationalen Alpenvereine der Nachbarländer Deutschland, Italien (Südtirol mit seinem eigenen Alpenverein), Slowenien und der Schweiz schrittweise in die auch als Umsetzungsprojekt der Alpenkonvention ausgezeichnete Initiative involviert.
Konzept
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Nach dreijährigen Vorarbeiten wurde das Projekt im Juli 2008 in einer Startkonferenz in Ginzling ins Leben gerufen. Neben dem Konferenzort verpflichteten sich 16 Gemeinden und Dörfer zur Förderung einer alternativen und naturnahen Tourismusentwicklung.[1] Den Rahmen der Initiative bildet die Alpenkonvention,[2] deren Hauptziel eine nachhaltige Entwicklung im gesamten Alpenraum ist. 2016 wurde die Initiative im Rahmen der Jahrestagung in Vent als offizielles Umsetzungsprojekt der Alpenkonvention ausgezeichnet und ein Memorandum of Understanding unterzeichnet.[3]
Der Titel Bergsteigerdorf versteht sich auch als Qualitätssiegel, weshalb Bewerber einen strengen Kriterienkatalog[4] zu erfüllen haben, ehe sie die Bezeichnung offiziell tragen dürfen.[5]
Die wesentlichen Inhalte bzw. Grundsätze der Bergsteigerdörfer-Initiative lauten:
- Bewahrung der örtlichen Kultur und Tradition
- Nachhaltiger Tourismus unter Verzicht auf technische Erschließungsmaßnahmen, wenige, qualitativ hochwertige Beherbergungsbetriebe und Fokus auf ein anspruchsvolles Bergsportangebot
- Ortsbildtypische Bebauung
- Nachhaltige Bergland- und Forstwirtschaft unter dem Aspekt der Produktion und Vermarktung lokaler und regionaler Erzeugnisse
- Aktiver Natur- und Landschaftsschutz
- Sanfte Mobilität und weitläufiger Verzicht auf motorisierten Verkehr
- Kommunikation und Informationsaustausch untereinander[6]
Nach Prüfung und Unterstützung durch die nationalen Vereine entscheidet ein internationales Gremium über die Aufnahme neuer Mitglieder.[7]
Dem Gründungsmitglied Kals am Großglockner wurde der Status Bergsteigerdorf am Ende des Jahres 2011 aberkannt, nachdem sich die Gemeinde entschieden hatte, nach einer Skigebietszusammenführung mit Matrei auch den Bau eines Chaletdorfes außerhalb des historischen Ortskerns in Großdorf voranzutreiben.[8][9] 2018 beendete die Gemeinde Reichenau an der Rax die Kooperation.[10]
Erweiterung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]In Österreich befindet sich mit Ausnahme von Wien und dem Burgenland in jedem Bundesland mindestens ein Bergsteigerdorf. Zu den verbliebenen 16 Gründungsorten kamen zwischen 2011 und 2013 Mauthen, St. Jodok mit dem Schmirn- und Valsertal, Zell/Sele, die Region Sellraintal sowie das Gschnitztal hinzu.
Ab Sommer 2013 liefen in Deutschland Überlegungen, das Projekt nach Bayern zu holen.[11] Nach Unterzeichnung eines Partnerschaftsabkommens mit dem ÖAV als Projektinitiator gab der DAV im Februar 2015 bekannt, dass das Projekt auch nach Deutschland, genauer gesagt nach Bayern kommen wird, und verlieh im September desselben Jahres als erster deutscher Gemeinde Ramsau bei Berchtesgaden das Siegel Bergsteigerdorf.[12] Zwei Jahre später wurde das Projekt um die ebenfalls in Oberbayern gelegenen Gemeinden Sachrang und Schleching erweitert, 2018 folgte Kreuth.
Die Initiative wurde auch vom Alpenverein Südtirol aufgegriffen und seit 2017 ist Matsch erstes Südtiroler Bergsteigerdorf.[13] 2018 wurde mit Jezersko das erste slowenische Mitglied aufgenommen. Mit Lungiarü (Südtirol) und Val di Zoldo (Venetien) kamen außerdem zwei neue italienische Orte dazu, wobei letzterer bereits mehrere Jahre via dem INTERREG-Programm der EU mit den Bergsteigerdörfern kooperierte.[14][15] Im Sommer 2019 wurde Luče in Slowenien in die Gemeinschaft aufgenommen.[16] 2021 gibt es gleich 6 neue Bergsteigerdörfer: den Anfang machten die Beitrittsfeiern der beiden ersten Schweizer Bergsteigerdörfer[17] - St. Antönien und Lavin, Guarda & Ardez. Am 12. September 2021 traten die beiden Österreichischen Kandidaten Göriach und Steinberg am Rofan bei, im Herbst folgen die italienischen Dörfer Balme und Triora.[18] Im April 2022 trat die Gemeinde Paularo der Initiative der Bergsteigerdörfer bei.[19][20] Das Jahr 2023 brachte eine Erweiterung um zwei Dörfer in Italien und Slowenien, im Juni trat die Gemeinde Crissolo der Initiative bei[21], im August folgte mit Dovje-Mojstrana[22] (Ortsteil der Gemeinde Kranjska-Gora) das dritte Bergsteigerdorf ins Slowenien.
Liste der Bergsteigerdörfer
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Ehemalige Bergsteigerdörfer
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Bergsteigerdorf | Höhe (m) | Region | Land | Höchster Gipfel | Höhe (m) | Gebirgsgruppe (AVE) | Jahr | Grund des Ausscheidens |
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Kals am Großglockner | 1324 | Tirol | Österreich | Großglockner | 3798 | Glocknergruppe Granatspitzgruppe Schobergruppe |
2008–2011 | Bau einer Chaletanlage außerhalb des historischen Ortskerns,
Skischaukel Großglockner Resort |
Reichenau an der Rax | 484 | Niederösterreich | Österreich | Schneeberg | 2076 | Rax-Schneeberg-Gruppe | 2008–2018 | Kooperation wurde von Seiten der Gemeinde nicht verlängert |
Rezeption
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Bergsteigerdörfer, die sich als Gegenbewegung zum Massentourismus verstehen, werden auch vielfach so wahrgenommen. Mit dem Hinzukommen neuer Mitglieder entwickle sich die Initiative laut einem Artikel der Süddeutschen Zeitung von einer „romantischen Idee“ zu einem alpenweiten Netzwerk. Mitbegründer Peter Haßlacher, jahrzehntelanger Leiter der ÖAV-Abteilung für Raumplanung und Naturschutz sowie langjähriger österreichischer Vorsitzender der Alpenschutzkommission CIPRA[23], wollte den Aspekt der Nachhaltigkeit nicht nur im ökologischen Sinne, sondern auch vor dem Hintergrund des Bergsteigens als alpinem Erbe verstanden wissen.[13]
Das Bayerische Fernsehen widmete den Bergsteigerdörfern 2015 eine Episode der Dokumentarreihe Unter unserem Himmel, in der die Gemeinden Lesachtal, Obertilliach und Ramsau bei Berchtesgaden im Fokus standen. Neben ersten Bilanzen wurden auch Erwartungen gezeigt, die mit der Ernennung zum Bergsteigerdorf oft einhergehen. Während im Lesachtal einige Familienbetriebe mit steigenden Nächtigungszahlen von der Initiative profitierten, hätte im Tiroler Gailtal[24] zumindest eine Bewusstseinsschärfung stattgefunden. In Ramsau erwartete man sich neben einer Signalwirkung auf umliegende Gemeinden auch – unabhängig vom wirtschaftlichen Interesse – einen kritischeren Umgang mit Bauvorhaben, bessere Unterstützung kleinbäuerlicher Betriebe sowie allgemein größere Chancen auf Förderungen.[25] Auch Matsch und Jezersko erhofften sich einen langfristig höheren Bekanntheitsgrad mehr Übernachtungsgäste, ohne dabei überlaufen zu werden.[13][26]
In Ramsau habe der Titel Bergsteigerdorf wie auch in Kartitsch zwar zur Identifikation innerhalb der Gemeinde beigetragen, ein Großteil der Gäste wüsste zwei Jahre nach Verleihung mit dem Begriff jedoch nichts anzufangen. Eine touristische Vermarktungsstrategie abseits einer gewissen Klientel sei somit nicht realisierbar. Kritiker sehen in der Initiative ein „Sammelbecken der Abgehängten“[27]. Zudem könnten die strengen Umweltauflagen eine mögliche touristische Entwicklung sogar hemmen. Im Osttiroler Kals etwa, wo Bauprojekte zu einem Ausschluss aus der Gemeinschaft führten, sah man die finanziellen Interessen der Gemeinde nicht mehr mit dem Kriterienkatalog vereinbar.[13] Grundlegende Probleme des strukturschwachen ländlichen Raums wie die Abwanderung könnten durch die Bergsteigerdörfer ohnehin nicht gelöst werden.[25]
Der Fachbereich Verkehrssystemplanung der Technischen Universität Wien bot im Studienjahr 2010/11 in Zusammenarbeit mit dem ÖAV ein Projekt an, das dabei helfen sollte, innovative Mobilitätskonzepte für ausgewählte Bergsteigerdörfer zu erarbeiten.[28]
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Ideen – Taten – Fakten, Nr. 1: Startkonferenz Bergsteigerdörfer im Bergsteigerdorf Ginzling, vom 10-11. Juli 2008, Österreichischer Alpenverein im Rahmen des Projekts „Alpenkonvention konkret: Via Alpina und Bergsteigerdörfer“, Fachabteilung Raumplanung-Naturschutz, Innsbruck 2008, 36 S. Ideen – Taten – Fakten, Nr. 1: Startkonferenz Bergsteigerdörfer im Bergsteigerdorf Ginzling, vom 10. -11. Juli 2008 ( vom 8. November 2018 im Internet Archive).
- Österreichischer Alpenverein / Abt. Raumplanung & Naturschutz: Bergsteigerdörfer – Kleine und feine Bergsteigerdörfer zum Genießen und Verweilen. 8. aktualisierte Ausgabe. Österreichischer Alpenverein, Innsbruck 2018, 120 S. Bergsteigerdörfer
- Diverse Autoren: Einzelbroschüren und Alpingeschichten zu jedem einzelnen Bergsteigerdörfern, Österreichischer Alpenverein et al., Innsbruck 2010–aktuell. Austria-Forum Bergsteigerdörfer.
- Mark Zahel: Bergsteigerdörfer (Bildband), Tyrolia Verlag, Innsbruck/Wien 2017, ISBN 978-3-7022-3595-6, 240 S.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Ideen – Taten – Fakten, Nr. 1: Startkonferenz Bergsteigerdörfer im Bergsteigerdorf Ginzling, vom 10. -11. Juli 2008 ( vom 8. November 2018 im Internet Archive), Österreichischer Alpenverein im Rahmen des Projekts „Alpenkonvention konkret: Via Alpina und Bergsteigerdörfer“, Fachabteilung Raumplanung-Naturschutz, Innsbruck 2008, PDF, S. 4, abgerufen am 4. Dezember 2022.
- ↑ Bergsteigerdörfer. Österreichischer Alpenverein, abgerufen am 29. Juli 2015.
- ↑ Du bist Tirol Genossenschaft: Tagung zum Klimawandel im Alpenraum. Abgerufen am 8. Januar 2021.
- ↑ Die Philosophie des Projekts Bergsteigerdörfer. Abgerufen am 8. Januar 2021.
- ↑ Bergsteigerdörfer bald in Bayern? Deutscher Alpenverein, archiviert vom (nicht mehr online verfügbar) am 4. April 2015; abgerufen am 4. Dezember 2022.
- ↑ Grundsätze der Bergsteigerdörfer. Österreichischer Alpenverein, abgerufen am 29. Juli 2015.
- ↑ Bergsteigerdörfer des Alpenvereins feiern 10-jähriges Jubiläum. Österreichischer Alpenverein, 14. Mai 2018, abgerufen am 7. November 2018.
- ↑ Christina Schwann: Kleine und feine Bergsteigerdörfer des OeAV – eine gelungene Umsetzung der Ziele der Alpenkovention. In: Jahrbuch des Vereins zum Schutz der Bergwelt, 79. Jahrgang (2014), S. 165–178.
- ↑ Naturschutzreferentenseminar 2014. Österreichischer Alpenverein, 6. Juli 2014, abgerufen am 7. November 2018.
- ↑ Das Gschnitztal in Tirol und Luce in Slowenien werden Bergsteigerdörfer. 22. Januar 2019, abgerufen am 8. Januar 2021.
- ↑ Stephanie Geiger: Von Österreich lernen: Bayern will "Bergsteigerdörfer" küren. Welt am Sonntag, 18. August 2013, abgerufen am 19. Februar 2019.
- ↑ Das Projekt „Bergsteigerdörfer“ kommt nach Bayern. Deutscher Alpenverein, archiviert vom (nicht mehr online verfügbar) am 12. Mai 2015; abgerufen am 4. Dezember 2022.
- ↑ a b c d Dominik Prantl: Klein, fein – aber weiterhin arm? Süddeutsche Zeitung, 14. August 2017, abgerufen am 14. November 2018.
- ↑ Drei neue Bergsteigerdörfer. Dolomiti UNESCO, 27. April 2018, abgerufen am 14. November 2018.
- ↑ Bergsteigerdörfer ein Erfolg. Tiroler Tageszeitung, 5. April 2014, abgerufen am 14. November 2018.
- ↑ Neue Bergsteigerdörfer: Gschnitztal und Luce. Deutscher Alpenverein, 15. Januar 2019, abgerufen am 25. Januar 2019.
- ↑ Stephanie Geiger: Rückenwind fürs Dorf – und für die Natur. Neue Zürcher Zeitung, 4. Juni 2021, abgerufen am 11. Juli 2021.
- ↑ Neue Bergsteigerdörfer 2021 und der Schweizer Alpen-Club als neuer Partner. Abgerufen am 23. September 2021.
- ↑ Neues Bergsteigerdorf im Friaul: Paularo. Alpenverein Südtirol, 7. April 2022, abgerufen am 20. Juli 2022.
- ↑ Paularo und das Val d'Incarojo. Abgerufen am 20. Juli 2022.
- ↑ Crissolo entra nella rete internazionale dei Villaggi degli Alpinisti. Abgerufen am 29. August 2023 (italienisch).
- ↑ STA: V Vratih slavnostni vstop Mojstrane v družino Gorniških vasi. Abgerufen am 29. August 2023.
- ↑ In Memoriam Peter Haßlacher — CIPRA (d). Abgerufen am 8. Januar 2021.
- ↑ Bergsteigerdörfer – ein sanftes Erfolgskonzept. ORF, 16. Mai 2018, abgerufen am 14. November 2018.
- ↑ a b Brigitte Kornberger (Regie): Alpen abseits des Trubels – Alternative Bergsteigerdorf. In: ARD Mediathek. Bayerischer Rundfunk, 11. Januar 2015, abgerufen am 14. November 2018.
- ↑ Andreas Kanatschnig: Die neuen Logenplätze der Alpen. Kleine Zeitung, 13. August 2017, abgerufen am 14. November 2018.
- ↑ Dominik Prantl: Bergsteigerdörfer in den Alpen: Klein, fein - aber arm. Abgerufen am 1. Juli 2021.
- ↑ Ankündigung P3 Bergsteigerdörfer. Technische Universität Wien, Oktober 2010, archiviert vom (nicht mehr online verfügbar) am 16. November 2018; abgerufen am 14. November 2018. Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.