Willi Bleicher

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Willi Bleicher (* 27. Oktober 1907 in Cannstatt; † 23. Juni 1981 in Stuttgart) war ein deutscher Gewerkschafter.

Leben

Während sein Vater als Schlosser bei Daimler in Stuttgart-Untertürkheim arbeitete, lernte Bleicher den Bäckerberuf und trat 1925 dem Deutschen Nahrungs- und Genußmittel-Arbeiter-Verband (einem der Vorläufer der heutigen Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten) bei. 1927 als Hilfsarbeiter im Betrieb seines Vaters wurde er Mitglied im Deutschen Metallarbeiter-Verband (DMV).[1] In den 1920er Jahren trat er in die KPD ein, wurde aber 1929 wegen Kritik an der aus seiner Sicht linksradikalen Linie und mangelnden „innerparteilicher Demokratie“ ausgeschlossen. Im selben Jahr wurde er Mitglied der Kommunistischen Partei-Opposition (KPO). Nach der NS-Machtübernahme emigrierte Bleicher zunächst in die Schweiz und dann nach Frankreich, kehrte aber nach Stuttgart zurück, fand dort Arbeit, und gliederte sich in die illegale kommunistische Widerstandstätigkeit in den Stuttgarter Neckarvororten ein. Durch Spitzel verraten, wurde er am 3. Januar 1936 bei der Arbeit auf dem Daimler-Gelände von der Gestapo verhaftet.[2] Im November 1936 wurde er wegen Gefährdung der Staatssicherheit und Vorbereitung zum Hochverrat zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt, welche er in Ulm verbüßte. Nach dem Ende der Haftstrafe wurde er nicht freigelassen, sondern zunächst in das Schutzhaftlager Welzheim eingeliefert und im Oktober 1938 weiter im KZ Buchenwald gefangen gehalten, wo er bis zur Befreiung 1945 blieb. Bleicher gehörte der dortigen Widerstandsorganisation an[3] und gewann unter den Gefangenen durch Hilfsbereitschaft Ansehen. In dieser Zeit arbeitete er eng mit seinen anderen inhaftierten KPD-O-Mitgliedern Ludwig Becker, Eugen Ochs und Robert Siewert zusammen.

Der Autor Bruno Apitz beschreibt in seinem 1958 veröffentlichten Roman Nackt unter Wölfen die Rettung eines kleinen polnischen Kindes durch eine Gruppe von Häftlingen im KZ Buchenwald. 1963 wurde bekannt, dass einer der Protagonisten, der Kapo der Effektenkammer, Willi Bleicher nachempfunden war, der diese Funktion innegehabt hatte. Als Bleicher erfuhr, dass man die Adresse des „Kindes von Buchenwald“, des zwischenzeitlich 22-jährigen Stefan Jerzy Zweig, ausfindig gemacht hatte, lud er ihn nach Stuttgart ein.

Nach dem Krieg engagierte sich Bleicher als Gewerkschafter, war ab 1948 hauptamtlicher Gewerkschaftsfunktionär und stieg in den 1950er Jahren an die Spitze der IG Metall in Baden-Württemberg auf. Nachdem er sich 1945 zunächst wieder der KPD angeschlossen hatte, trat er 1950 aus und 1953 in die SPD ein. Auf dem Gewerkschaftstag der IG Metall im September 1950 war durch einen Coup der sozialdemokratischen Delegierten (der bereits aus der KPD ausgetretene) Bleicher zusammen mit den Kommunisten Fritz Salm und Karl Küll aus dem Vorstand der IG Metall ausgeschlossen worden.[4] In jener Zeit verfolgte die KPD eine von Bleicher zweifellos missbilligte Konfrontationspolitik gegen die Gewerkschaftsführung. Sie gipfelte in der „These 37“ des Parteitags im März 1951, die den „rechten Gewerkschaftsführern“ unterstellte, sie würden „im Auftrag und im Interesse des amerikanischen Imperialismus und im Einklang mit den deutschen Monopolisten“ die Gewerkschaftsorganisation „in den Dienst der Kriegsvorbereitungen“ zu stellen versuchen. Daraufhin verlangten verschiedene Industriegewerkschaften von kommunistischen Funktionären eine schriftliche Distanzierung von dieser Aussage, die die KPD ihren Mitgliedern wiederum untersagte,[5] was aber Bleicher selbst schon nicht mehr betraf.

In der Nachfolge von Ludwig Becker übernahm Bleicher 1959 die Leitung des IG-Metall-Bezirks Stuttgart (mit den drei Tarifgebieten Nordwürttemberg/Nordbaden, Südwürttemberg/Hohenzollern und Südbaden). Er galt als markanter Redner, der die Interessen der Arbeiter über alles andere stellte. Zwei große Streiks um Tariflohnerhöhungen (1963 und 1971) führte er zum Erfolg. 1972 setzte er sich zur Ruhe. Sein Nachfolger wurde Franz Steinkühler.

Bleicher starb an seinem Wohnort in Stuttgart. Er ist in einem Familiengrab auf dem Steinhaldenfriedhof beigesetzt.

Zitat

„Mir war es lieber, zehn Pfennige mit Streik durchzusetzen, als elf Pfennige am Verhandlungstisch[6]

Ehrungen

Willi Bleicher von Klaus Mausner im Stuttgarter DGB-Haus

Dies waren die einzigen Ehrungen, die er zu Lebzeiten annahm.[9]

  • Die Stuttgarter Kanzleistraße wurde 1982 in Willi-Bleicher-Straße umbenannt.
  • In Stuttgart-Mitte wurde 1999 am Haupteingang des Gewerkschaftshauses in der Willi-Bleicher-Straße 20 eine von Klaus Mausner geschaffene und von der IG Metall gestiftete Büste von Willi Bleicher enthüllt.
  • In Göppingen wurde die Diagonalstraße in Willi-Bleicher-Straße umbenannt. In dieser Stadt hatte er in den 1950er Jahren als Bevollmächtigter der IG Metall gewirkt.[10]
  • Straßen dieses Namens gibt es auch in Ditzingen, Düren, Hemmingen, Kirchheim unter Teck sowie in Lohr am Main, wo sich eine zentrale Bildungseinrichtung der IG Metall befindet.
  • In Hattingen befindet sich die Bundesjugendbildungsstätte der DGB-Jugend. Diese ist im Andenken an den Gewerkschaftsführer und Kämpfer gegen den Faschismus „Willi-Bleicher-Haus“ benannt.

Filme

  • Willi Bleicher: Widerstandskämpfer und Arbeiterführer – Wer nicht kämpft, hat schon verloren ein Filmporträt von Hermann G. Abmayr, 60 min, BR Deutschland 2007[11]
  • Du sollst dich nie vor einem lebenden Menschen bücken! – Willi Bleicher von Hannes Karnick und Wolfgang Richter – BR Deutschland 1976–1978, Kurz-Dokumentarfilm

Literatur

  • Hermann G. Abmayr: Wir brauchen kein Denkmal. Willi Bleicher: Der Arbeiterführer und seine Erben. Silberburg, Stuttgart 1992, ISBN 3-87407-123-5.
  • Hermann G. Abmayr: Willi Bleicher (1907–1981) – Helfer bei der Rettung eines Kinder im KZ Buchenwald. In: Angela Borgstedt u. a. (Hrsg.): Mut bewiesen. Widerstandsbiographien aus dem Südwesten (= Schriften zur politischen Landeskunde Baden-Württembergs, hg. von der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, Bd. 46), Stuttgart 2017, ISBN 978-3-945414-37-8, S. 197–206.
  • Georg Benz u. a. (Hrsg.): Willi Bleicher – Ein Leben für die Gewerkschaften. Nachrichten Verlagsgesellschaft, Frankfurt am Main 1983, ISBN 3-88367-050-2.
  • Detlef Prinz, Manfred Rexin: Beispiele für aufrechten Gang: Willi Bleicher. Helmut Simon. Im Geiste Carl von Ossietzkys. Europäische Verlagsanstalt, Köln 1979, ISBN 3-434-00402-5.
  • Theodor Bergmann: Gegen den Strom. Die Geschichte der KPD(-Opposition). Hamburg 2004 (darin: Kurzbiografie Willi Bleicher).
  • Rainer Fattmann: Willi Bleicher. 27. Oktober 1907 – 23. Juni 1981."Und wenn die Welt voll Teufel wär …" ein konsequentes Leben für Menschenwürde und Gerechtigkeit. Ein Portrait. Ludwigsburg : Info & Idee, Medien-Verlag, 2011, ISBN 978-3-931112-22-6.
  • Siegfried Mielke, Stefan Heinz (Hrsg.) unter Mitarbeit von Julia Pietsch: Emigrierte Metallgewerkschafter im Kampf gegen das NS-Regime (= Gewerkschafter im Nationalsozialismus. Verfolgung – Widerstand – Emigration. Band 3). Metropol, Berlin 2014, ISBN 978-3-86331-210-7, S. 63, 65, 636, 817–818 (Kurzbiografie).
  • Zacharias Zweig, Stefan Jerzy Zweig: Tränen allein genügen nicht. Eine Biographie und ein wenig mehr. Mit Epilog, zeitgenössischen Illustrationen, Bildern, Texten und Satiren hrsg. v. Stefan J. Zweig. Nachwort: Elfriede Jelinek. Wien (Eigenverlag des Verf./Hrsg.) 2005, 2. Aufl. 2006; ISBN 978-3-200-00264-7.[12]

Online

Einzelnachweise

  1. Hermann G. Abmayr: Wir brauchen kein Denkmal. Willi Bleicher: Der Arbeiterführer und seine Erben. Stuttgart 1992, S. 36. Bleichers erstes Gewerkschafts-Mitgliedsbuch ist dort abgebildet.
  2. Hermann G. Abmayr: Wir brauchen kein Denkmal. Willi Bleicher: Der Arbeiterführer und seine Erben. Stuttgart 1992, S. 53.
  3. Hermann Langbein: „Nicht wie die Schafe zur Schlachtbank“: Widerstand in NS-Konzentrationslagern. Frankfurt/Main 1980, S. 134ff.
  4. Hermann G. Abmayr: Wir brauchen kein Denkmal. Willi Bleicher: Der Arbeiterführer und seine Erben. Stuttgart 1992, S. 78.
  5. Hans-Otto Hemmer, Kurt Thomas Schmnitz (Hrsg.): Geschichte der deutschen Gewerkschaften in der Bundesrepublik. Von den Anfängen bis heute. Bund-Verlag, Köln 1990, S. 134.
  6. Äußerung von Willi Bleicher, Erhard Korn: Dass der Mensch dem Menschen ein Helfer sei, zum 100. Geburtstag von Willi Bleicher, Zeitschrift Sozialismus, 12/2007, S. 39–40
  7. Willi Bleicher auf der Website von Yad Vashem (englisch)
  8. Der Tag, an dem Willi Bleicher starb. In: Stuttgarter Nachrichten 23. Juni 2006.
  9. Hermann G. Abmayr: Wir brauchen kein Denkmal. Willi Bleicher: Der Arbeiterführer und seine Erben. Stuttgart 1992, S. 131.
  10. Hermann G. Abmayr: Wir brauchen kein Denkmal. Willi Bleicher: Der Arbeiterführer und seine Erben. Stuttgart 1992, S. 82 ff.
  11. Auf der Tonspur der DVD dieses Films ist ein über 11-stündiges Tonbandinterview enthalten, das der WDR-Rundfunkjournalist Klaus Ullrich 1973 mit Willi Bleicher führte. Es behandelt die Zeit bis 1948 und ist eine authentische Quelle zu Bleichers Biografie.
  12. Der im ersten Teil dieses Buches abgedruckte Bericht des Vaters von Stefan Jerzy Zweig bezeugt ab S. 54 ff. mit vielen Einzelheiten Willi Bleichers Rolle bei der Rettung des Kindes in Buchenwald.