Urbich
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1. Problemgeschichtliche Vorbemerkung
Jede Arbeit über den Begriff des ›Symbols‹ in der ( Jenaer) Frühro-
mantik ist von mehreren Problemen betroffen, die sowohl den Gegen-
stand als auch die Rezeptionsgeschichte angehen. Diese Probleme
machen es unmöglich, im Rahmen eines Aufsatzes eine Gesamtschau
des Denkzusammenhanges auch nur von einem der zentralen Prota-
gonisten der frühromantischen Theoriebildung, Friedrich Schlegel
oder Novalis, bieten zu können, und zwingen zur Beschränkung auf
einen bestimmten Problemkomplex innerhalb dieses Themenfeldes.
Ich will zu Anfang einige dieser Probleme benennen.
Erstens haben weder Friedrich Schlegel noch Novalis eine solche
Theorie systematisch entwickelt und zusammenhängend dargebo-
ten. Vielmehr sind die entscheidenden Äußerungen über das jewei-
lige Gesamtwerk verstreut und häufig in der für die Frühromantik
zentralen Darstellungsform des Fragments2 höchst unterschiedlich
1 Dieser Aufsatz stellt die erheblich erweiterte und überarbeitete Fassung des folgen-
den Textes dar: Jan Urbich: »Friedrich Schlegel’s Symbol-Concept«. In: Helmut
Hühn/James Vigus (Hg.): Symbol and Intuition: Comparative Studies in Kantian
and Romantic-period Aesthetics. Oxford 2012, S. 96–105.
2 Vgl. Eberhard Ostermann: Das Fragment. Geschichte einer ästhetischen Idee. Mün-
chen 1991. Zitate von Friedrich Schlegel im Folgenden nach: Kritische Friedrich-
Schlegel-Ausgabe. 35 Bde. Hg. von Ernst Behler unter Mitwirkung von Jean-Jacques
Anstett und Hans Eichner. Paderborn u. a. 1958 ff. Zitiert als KFSA mit Bandnum-
mer, Seitenzahl und ggf. Fragmentnummer. Novalis wird zitiert nach: Novalis. Die
Schriften Friedrich von Hardenbergs. 6 Bde. Hg. von Paul Kluckhohn und Richard
Samuel. Stuttgart 1960 ff. Zitiert als NS mit Band und Seitenzahl, ggf. Fragment-
nummer.
Jan Urbich
bestimmte Begriffe scheinbar bald gegeneinander setzt, bald um- 79
standslos identifiziert (Symbol – Allegorie/ Symbol – Zeichen), so
dass schon die Frage strittig ist, ob und inwiefern Schlegel hier über-
haupt differenziert und sich um begriffliche Unterscheidungen küm-
mert. Sechstens überspannt das Symbol in besonderer Weise den
intermedialen Raum zwischen Sprache und Bild, Literatur und Bil-
dender Kunst, weil dieser Terminus für die Theoriebildung beider
Darstellungsmedien um 1800 den zentralen Bezugspunkt bereitstellt.
Dabei gibt allerdings das Modell der Bildenden Kunst die verschwie-
gene Fundamentalarchitektur des Begriffs überhaupt ab: Die Einheit
von Sein und Bedeuten ist deutlich der sinnlichen Wahrnehmungs-
erfahrung entlehnt. Die Reflexion der medialen Bedingungen, ge-
nealogischen Beziehungen und Differenzen im Begriffsgebrauch
zwischen den Gattungen muss demnach für jede Gesamtschau des
Symbols eigentlich mit großer Genauigkeit unternommen werden.
Und siebtens ist die Forschungslage zu beinahe allen frühromanti-
schen Problemkomplexen, vor allem aber zur Frage der frühroman-
tischen Philosophie6 und Zeichentheorie, derart unübersichtlich und
widersprüchlich, dass jede Beschäftigung sich beinahe notwendig in
starken Spannungslagen zu positionieren hat.7 Die Arbeit an den Pri-
märtexten ist so stärker als für andere Denker an die Arbeit mit der
Forschungsliteratur verwiesen: nicht zuletzt wiederum deshalb, weil
die frühromantischen Theorien aufgrund des fragmentarischen Cha-
rakters ihrer Darstellung weitaus stärker an eine (re)konstruktive Ar-
beit des Interpreten rückgebunden sind. Die wechselvolle und durch
polemische Bezugnahmen bestimmte ›klassische‹ Rezeptionsge-
schichte der Frühromantik,8 welche indirekt und untergründig noch
immer weiter wirkt, macht dieses Unternehmen zudem nicht eben
6 Kubik konstatiert beispielsweise, dass sich »noch kein gesicherter Konsens darüber
gebildet hat, was als das eigentliche philosophische Grundanliegen von Novalis zu
gelten hat.« Kubik: Symboltheorie bei Novalis (s. Anm. 5), S. 22. Ähnliches gilt bei
Schlegel bspw. für die Frage nach dem Status und der Form des Absoluten, d. h. für
die Art seiner Grundsatzphilosophie. Vgl. dazu Jan Urbich: »›Mysterium der Ord-
nung‹. Anmerkungen zum Verhältnis von Absolutem und Sprache bei Friedrich
Schlegel und Walter Benjamin«. In: Sprache und Literatur 1 (2009), S. 93–111.
7 Vgl. zu Novalis Kubik: Symboltheorie bei Novalis (s. Anm. 5), S. 14–25.
8 Vgl. Jan Urbich: »Epoche und Stil« (s. Anm. 4); Karl Heinz Bohrer: Die Kritik der
Romantik: der Verdacht der Philosophie gegen die literarische Moderne. Frankfurt a. M.
1989; Klaus Peter (Hg.): Romantikforschung seit 1945. Königstein/Ts. 1980. Abzu-
lesen ist dies im Extrem an zwei ›klassischen‹ Darstellungen im 20. Jahrhundert,
welche von entgegengesetzten Seiten des weltanschaulichen Spektrums überaus ähn-
lich eine fundamentale Kritik des vermeintlich frühromantischen Schlegel vorneh-
men und dabei die Ressentiments des 19. Jahrhunderts, wie sie Bohrer dargestellt
hat, einsammeln: Carl Schmitts Politische Romantik (1919) und Georg Lukács’ Die
Zerstörung der Vernunft (1954).
9 Wolfgang Kayser empfahl deshalb bereits vor einiger Zeit, »das nichtssagende Wort
Symbol zu meiden«. Wolfgang Kayser: Das sprachliche Kunstwerk. 16. Aufl.
Bern/München 1973, S. 316. Das scheint mir allerdings eine Übertreibung zu sein,
die letztlich weder sachangemessen noch hilfreich ist. Weder Überkomplexität noch
Unschärfe sind für sich hinreichende Argumente gegen eine Begriffsverwendung,
solange auch diese Aspekte wiederum in deutlicher Weise diskutiert werden können
und der Begriff durch sie nicht völlig ununterscheidbar von anderen Begriffen wird.
10 Wenn deshalb im Folgenden von ›Schlegel‹ die Rede ist, meine ich stets Friedrich
Schlegel.
11 Ich meine die Arbeit von Kubik (s. Anm. 5). Für Schlegel steht eine analoge Arbeit,
soweit ich sehe, noch aus. Vgl. zu Schlegels Symbolbegriff weiterhin folgende ältere
Arbeiten: Doris Starr: Über den Begriff des Symbols in der deutschen Klassik und Ro-
mantik. Unter besonderer Berücksichtigung von Friedrich Schlegel. Reutlingen 1964;
Raymond Immerwahr: »Die symbolische Form des Briefs über den Roman«. In:
Zeitschrift für deutsche Philologie 88 (1969), S. 41–60; Tae Won Yoon: Der Symbol-
charakter der neuen Mythologie im Zusammenhang mit der kritischen Funktion der
romantischen Ironie bei Friedrich Schlegel. Frankfurt a. M. 1996. Der vorliegende
Aufsatz versteht sich aufgrund der genannten Beschränkungen nicht als Substitut
einer solchen Arbeit, sondern lediglich als ein Baustein zur Vorarbeit zu einem sol-
chen Unternehmen. Folgende methodische Einschränkungen müssen ebenfalls
Jan Urbich
bei Friedrich Schlegel weitreichende Beschränkungen vorgenom- 81
men. Dabei blende ich beispielsweise den im engeren Sinn ›philolo-
gischen‹ Hintergrund sowohl von Schlegels eigenem Werk als auch
der Rezeptionsgeschichte Schlegels aus und fokussiere hier einzig den
›philosophischen‹ Aspekt der Begriffsbildung des Symbols, d. h. den
kategorialen Zuschnitt des Verhältnisses von Repräsentation und
Wirklichkeit, den er inauguriert. Genau genommen konzentriere ich
mich damit auf einen entscheidenden Aspekt des Symbolbegriffes,
wie er um 1800 beinahe durchgehend in allen ästhetischen Theorien
diskutiert wird, und frage danach, wie dieser Gesichtspunkt bei
Friedrich Schlegel verhandelt wird: das zur Identität tendierende Ver-
hältnis von Sein und Bedeutung im Symbolbegriff. Verschärft for-
muliert, sollen somit einige von Friedrich Schlegels Äußerungen zu
symbolischen Fragen Anlass sein, um über die Funktion einer Grund-
bestimmung symbolischer Vergegenwärtigung im Diskussionsraum
der Goethezeit nachzudenken. Damit ist zugleich auch die letzte,
ebenso wichtige Beschränkung bezeichnet: Mir geht es im Folgenden
nur um die Theorie bzw. Programmatik eines Symbolverständnisses,
nicht um die symbolische poetische oder philologische Praxis der
Frühromantiker oder um den Vergleich zwischen beiden. Das Pro-
blem, ob überhaupt und wie die Symboltheorie der Goethezeit prak-
tische poetische Anwendung finden kann, ist bisher in der Forschung
noch relativ unbeachtet geblieben und würde ebenfalls eine weitrei-
chende Untersuchung fordern.12
noch erwähnt werden: Der Versuch, in der Beschränkung auf Friedrich Schlegel
trotzdem den reichen Kontext der Diskussionen der Zeit, ohne den sich, wie zu zei-
gen sein wird, Schlegels Symbolbegriff kaum verstehen lässt, zumindest exempla-
risch sichtbar zu machen, bringt es mit sich, dass der Verweis auf die Kontexte
zuweilen arbiträr erscheinen mag. Es ist im Rahmen eines solchen Aufsatzes nicht
sinnvoll, Vollständigkeit der Kontexte anzustreben; noch ist es um der Prägnanz
und der Konzentration auf Schlegel willen möglich, die Auswahl der geführten
Kontexte umständlich herzuleiten. Trotzdem überwiegt m. E. der Vorteil einer sol-
chen Vorgehensweise den Nachteil deutlich: das Panorama der Stimmen des Sym-
boldiskurses wenigstens bis zu einer solchen Prägnanz hervortreten zu lassen, dass
Friedrich Schlegels Symbolbegriff zumindest in seinen Abgrenzungen deutlich wird.
12 Nicholas Halmi: The Genealogy of the Romantic Symbol. Oxford 2007, S. 3, weist
völlig zu recht darauf hin, dass die konkreten Beispiele der Symboltheorien um 1800
zumeist in ganz konventionellen rhetorischen Termini beschrieben werden können.
13 Ernst Behler: »Symbol und Allegorie in der frühromantischen Theorie«. In: Ders.:
Studien zur Romantik und zur idealistischen Philosophie. Bd. 2. Paderborn/München
1993, S. 249–263, hier: S. 251.
14 Ebd., S. 256.
15 Aufgezeigt hat dies Liselotte Dieckmann: »Friedrich Schlegel and Romantic con-
cepts of the Symbol«. In: The Germanic Review 34 (1959), S. 276–283. Behler:
»Symbol und Allegorie« (s. Anm. 13), S. 250, weist zu Recht darauf hin, dass Schle-
gel beide Ausdrücke nicht generell gegeneinander austauscht, sondern einzig die
Adjektivbildungen (»allegorisch« wird zu »symbolisch«), wodurch sich die Zu-
Jan Urbich
ausgehen, dass »die Bevorzugung des Symbolbegriffs in seiner Spät- 83
zeit [. . .] sich nicht auf einen Wandel seiner kunsttheoretischen Po-
sitionen zurückführen«16 lässt, oder haben wir es im Gegenteil damit
zu tun, dass sich »unter Einwirkung Schellings und Creutzers [. . .]
Friedrich Schlegels Symbolauffassung entschieden gewandelt«17 hat?
Meine These, die ich im Folgenden plausibel zu machen versuche,
lautet hingegen, dass bereits die Frage falsch gestellt ist. Entscheidend
ist, warum Allegorie und Symbol aufeinander relativierbar sind, d. h.
welche Gründe es in Schlegels Begriff der Poesie ermöglichen, solche
Ersetzungen ohne konzeptionelle Schwierigkeiten vorzunehmen und
andere Unterschiede bzw. Problemhorizonte für relevanter zu halten.
Der Diskurs des Symbolischen um 1800 (wobei die zeitliche Er-
streckung der Kerndiskussion ca. zwanzig Jahre vor und nach der
Jahrhundertschwelle umfasst) soll im Folgenden als ›Idee‹ im Sinne
Walter Benjamins18 rekonstruiert werden. Demnach lautet das Ziel, un-
ordnung von ›Allegorie‹ und ›symbolisch‹ ergibt. Schon daran zeigt sich, dass von
einem totalen Umbruch in der Poetologie bei Schlegel keine Rede sein kann.
16 Markus Schwering: »Symbol und Allegorie in der deutschen Romantik«. In: Hel-
mut Schanze (Hg.): Romantik-Handbuch. Stuttgart 1994, S. 366–379, hier: S. 370.
17 Götz Pochat: Der Symbolbegriff in der Ästhetik und Kunstwissenschaft. Köln 1983,
S. 44.
18 Walter Benjamin: Ursprung des deutschen Trauerspiels. In: Ders.: Gesammelte Schrif-
ten. Bd. I.1. Hg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser. Frankfurt
a. M. 1991, S. 203–430, hier: S. 214 f. Der Bezug auf eine methodologische ›Vor-
gabe‹ Benjamins inauguriert hier keine abseitige erratische Esoterik, weil diese Me-
thodologie in einem breiten Strom familienähnlicher Theorieangebote steht, welche
sich in der Moderne um eine eigenständige, nicht-szientistische oder anti-naturalis-
tische Methodenlehre der Kulturwissenschaften bemühen. Benjamins ›Ideenlehre‹
unterhält demgemäß enge Beziehungen zu Max Webers Idealtypentheorie aus dem
Objektivitätsaufsatz (Max Weber: »Die ›Objektivität‹ sozialwissenschaftlicher und
sozialpolitischer Erkenntnis«. In: Ders.: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre.
Hg. von Johannes Winckelmann. 7. Aufl. Tübingen 1988, S. 146–214) sowie zu Witt-
gensteins Ideal einer »übersichtlichen Darstellung« (Ludwig Wittgenstein: Philoso-
phische Untersuchungen. In: Ders.: Werkausgabe Bd. 1. 12. Aufl. Frankfurt a. M. 1999,
S. 225–581, hier: S. 293 und302). Ihr starker Nachhall bis in die Gegenwart stellt
das Feld der »Konstellationsforschung« dar, wie es Dieter Henrich entworfen hat
(vgl. überblickshaft Marcelo R. Stamm: »Konstellationsforschung – Ein Metho-
denprofil: Motive und Perspektiven.« In: Martin Mulsow/Marcelo R. Stamm
(Hg.): Konstellationsforschung. Frankfurt a. M. 2005, S. 31–74). Adornos Methode
der Philosophie seit dem frühen Aufsatz »Die Idee der Naturgeschichte« (Theodor
W. Adorno: »Die Idee der Naturgeschichte«. In: Ders.: Philosophische Frühschriften.
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nander in Beziehung zu setzen und die individuellen Interessenla- 85
gen und Bedeutungsfelder auszublenden. Heuristisch sinnvoll ist
ein solches Vorgehen, das die Nuancen der historischen Semantik
zugunsten der idealtypischen Konstruktion kanonischer Positionen
zurückstellt, jedoch schon deshalb, weil es erst einmal sehr scharf
reine Strukturähnlichkeiten in den Blick bekommt, also das Zentrum
der logischen Gestalt eines sehr breiten, sehr vielfältigen und sehr un-
scharfen Diskurses rekonstruiert, ohne mehr zu behaupten als eben
jene einzig in der Isolation vergleichbaren idealbegrifflichen Infra-
strukturen. Erst von hier aus wäre es dann sinnvoll (aber auch notwen-
dig), die heterogenen Faktoren seiner Bedeutungspolitik anzulagern
und so aufzuzeigen, welches breite Spektrum von programmatischen
Grundlagentheorien des Geistigen mit ihm verbunden ist. In der Tat
ist es die zentrale metatheoretische Frage des Diskursfeldes ›Symbol‹
am Ende des 18. und Anfang des 19. Jh., aus welchen Gründen sich
unterschiedliche Theoriedesigns partiell unabhängig voneinander
des Symbolbegriffs bedienen, und welche Wechselwirkungen sich in
diesem Prozess ergeben. Methodisch ist also die (Benjaminsche) ›Idee‹
als Offenlegung der Gestalt des Bedeutungsraums unverzichtbar, so-
lange sie nicht ontologisiert und als Normativ verstanden wird, son-
dern eben nur als heuristisches Mittel, um sich dem je Besonderen
der einzelnen Begriffsbildungen überhaupt nähern zu können.
Folgende Elemente kehren im Symboldiskurs als Denkgestalt re-
lativ häufig wieder und konstituieren den Erwartungshorizont der
theoretischen Auseinandersetzung, ohne dabei notwendige oder hin-
reichende Merkmale zu sein. Dabei wird das jeweilige Gegenteil zu-
meist vom Allegoriebegriff besetzt, wobei allerdings zu beachten ist,
dass ›Allegorie‹ um 1800 nicht wesentlich und notwendig das be-
sondere barocke Allegorische meint, sondern nur im vermeintlichen
Anschluss an dieses eine Art von Zeichengebung – als Extremwert
einfach das willkürliche, arbiträre Zeichen – thematisiert.21
A) Im Raum des Autonomiediskurses wird das Symbol als ten-
denziell intransitives Zeichen betrachtet: Symbolische Darstellung
beharrt stärker auf dem Eigenwert des Dargestellten und betont des-
sen sinnliche Konkretion sowie figürliche Präsenz. Der semiotische
21 Halmi: The Genealogy of the Romantic Symbol (s. Anm. 12), S. 13.
Jan Urbich
Allgemeines (›Ideal‹ in der Terminologie Schillers und Hegels)27 87
– nicht das Allgemeine schlechthin – meint. Deshalb sind ganz unter-
schiedliche Ansichten über die Art und Reichweite dieses Allgemei-
nen bzw. die Möglichkeiten seiner Darstellbarkeit mit dem Konzept
des Symbols verbunden. Im Symbolischen ist aber in jedem Fall die
Hoffnung auf eine universale Harmonie präsent, welche ein organi-
sches Verhältnis von Einzelnem und Ganzem denkt, das zugleich mit
monadischer Repräsentationskraft ausgestattet ist.28 Damit wird die
›ideologische‹ Komponente des Symbols sichtbar: Vor dem Hinter-
grund der Klage über den Verlust der Einheit der Erfahrung und der
modernen arbeitsteiligen Gesellschaft29 repräsentiert der Diskurs des
Symbolischen das Beharren auf der verdeckten Einheit des natürli-
chen wie historischen Seins als Substitut natürlicher oder göttlicher
Totalität.30 In der (partiellen oder totalen, tendenziellen oder präsen-
tischen) Einheit von Zeichen und Bezeichnetem repräsentiert das
Symbol sowohl die in der Dämmerung der Moderne langsam verlo-
rengehende Repräsentierbarkeit der Welt überhaupt als auch ihre tie-
tischer Mimesis. Aristoteles: Poetik. Hg. von Manfred Fuhrmann. Stuttgart 1994,
S. 28 f. (Kap. 9, 1451 b).
27 Vgl. G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik I. Frankfurt a. M. 1997 (=Werke,
Bd. 13), S. 202 ff.
28 Vgl. zur monadischen Logik der Darstellung Theodor W. Adorno: Ästhetische Theo-
rie. 6. Aufl. Frankfurt a. M. 1996 (=Gesammelte Schriften, Bd. 7), S. 133 und 268.
29 Vgl. die wirkmächtige Klage in Friedrich Schillers Briefen über die ästhetische Erzie-
hung des Menschen (6. Brief ) sowie Hegels Analyse der »Entzweiung als Bildung
des Zeitalters« (G. W. F. Hegel: Differenz des Fichteschen und Schellingschen Systems
der Philosophie. In: Ders.: Jenaer Schriften 1801–1807. Frankfurt a. M. 1986 [=Werke,
Bd. 2], S. 9–141, hier: S. 20–23).
30 Vgl. Gadamers noch immer konzise, wenn auch überscharfe kontrastive Darstellung
des goethezeitlichen Gegensatzes von Symbol und Allegorie (Hans-Georg Gadamer:
Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik. 5. Aufl. Tü-
bingen 1986, S. 76–87) und seine Betonung des metaphysischen wie theologischen
Charakters des Symbolbegriffs; so auch Titzmann: »Allegorie und Symbol im
Denksystem der Goethezeit« (s. Anm. 19). Halmi schließt an Gadamer an, wenn
er ausführt, dass im Symbol die »significance« und »structural continuity« der
Wirklichkeit als harmonisch und geschlossen gedacht wird; Halmi: The Genealogy
of the Romantic Symbol (s. Anm. 12), S. 22. Gadamer hatte davon gesprochen, dass
im Symbol die »millionenfache Hydra der Empirie« (Hans-Georg Gadamer: Wahr-
heit und Methode, S. 82, ein Goethe-Wort) noch einmal in der Harmonie des Wirk-
lichen gebannt werde. Die weiteren Unterschiede der hier aufgeführten Positionen
bleiben darüber hinaus jedoch unbeachtet.
31 Titzmann: »Allegorie und Symbol im Denksystem der Goethezeit« (s. Anm. 19),
S. 662.
32 »Freilich spricht die Poesie sich nicht sittlich aus durch das Auswerfen klingender
Sentenzen [...], sondern durch lebendige Darstellung«. Jean Paul: Vorschule der Äs-
thetik. Hg. von Wolfhart Henckmann. Hamburg 1990, S. 79 [§ 20]. »Der Dichter
ist angewiesen auf Darstellung. Das Höchste derselben ist, wenn sie mit der Wirk-
lichkeit wetteifert, das heißt, wenn ihre Schilderungen durch den Geist dergestalt
lebendig sind, daß sie als gegenwärtig für jedermann gelten können. Auf ihrem
höchsten Gipfel scheint die Poesie ganz äußerlich; je mehr sie sich ins Innere zu-
rückzieht, ist sie auf dem Wege zu sinken.« ( Johann Wolfgang von Goethe: Maxi-
men und Reflexionen. In: Ders.: Werke. Hamburger Ausgabe. Hg. von Erich Trunz.
Bd. 12. München 1998, S. 510 f. [1028]). »Lebendigkeit« ist als rhetorische »ener-
geia« eine Norm der Dichtung seit der Antike und wird im 18. Jh. zum wesentlichen
Qualitätsmaßstab jeder poetischen Darstellung erhoben; vgl. im historischen Abriss
Jan Urbich: Darstellung bei Walter Benjamin (s. Anm. 18), S. 401–454, und Inka
Mülder-Bach: Im Zeichen Pygmalions. Das Modell der Statue und die Entdeckung
der ›Darstellung‹ im 18. Jahrhundert. München 1998.
33 Goethe: Maximen und Reflexionen (s. Anm. 32), S. 471 [751].
34 Vgl. Joachim Jacob: Die Schönheit der Literatur. Zur Geschichte eines Problems von
Gorgias bis Max Bense. Tübingen 2007, S. 287–352. »Das Schöne ist eine symbo-
lische Darstellung des Unendlichen« August Wilhelm Schlegel: Die Kunstlehre.
Stuttgart 1963 (=Kritische Schriften und Briefe, Bd. 2), S. 82. Vor allem Karl Philipp
Moritz hat den symbolischen Diskurs des Schönen begründet; vgl. Todorov: Sym-
boltheorien (s. Anm. 19), S. 148–160: »Das wahre Schöne besteht aber darin dass
eine Sache bloß sich selbst bedeute, sich selbst bezeichne, sich selbst umfasse, ein in
sich vollendetes Ganzes sey.« Karl Philipp Moritz: Schriften zur Poetik und Ästhetik.
Hg. von Hans Joachim Schrimpf. Tübingen 1962, S. 114.
Jan Urbich
inneren und wesenhaften Beziehung zum Bezeichneten stehen und 89
dergestalt die verlorengegangene Harmonie von Denken und Sein,
Kultur und Natur zu tage treten lassen.35 Selbst Kants Engführung
der symbolischen Hoffnung auf eine Einheit von Vernunft und Natur
zehrt trotz aller programmatischen Frontstellung gegen einen solchen
Symbolbegriff deutlich vom Horizont dieses Theoriedesigns, wenn
es sich auch eben dessen Prämissen verbietet.36
Zudem wird hier auch die systematische Spannung innerhalb des
Symbolkonzepts deutlich. Einerseits fungiert es partiell als Einspruch
gegen die illusionistische Präsenzästhetik des natürlichen Zeichens
(Lessing), die den Zeichenkörper im Raum ästhetischer Darstellung
zugunsten der lebendigen Gegenwart des Gemeinten ganz ausge-
löscht sehen will,37 indem es gegen diese Idee auf der Präsenz der Dar-
stellungslinien des ästhetischen Zeichens beharrt. Zum anderen
formuliert es diesen Einspruch jedoch ebenfalls im Medium der Idee
38 »Es ist daher auch der Unterschied beider Arten in das Momentane zu setzen, des-
sen die Allegorie ermangelt. In einem Augenblicke und ganz gehet im Symbol eine
Idee auf, und erfasst alle unsere Seelenkräfte. [. . .] Die Allegorie locket uns aufzu-
blicken, und nachzugehen dem Gange, den der im Bilde verborgene Gedanke
nimmt. Dort ist momentane Totalität; hier ist Fortschritt in einer Reihe von Mo-
menten.« Friedrich Creutzer: Symbolik und Mythologie der alten Völker. Erster
Theil. Leipzig 1819, S. 70. Vgl. auch Solgers Theorie von Allegorie und Symbol;
Todorov: Symboltheorien (s. Anm. 19), S. 216–219.
39 Johann Wolfgang von Goethe: Zur Farbenlehre. Didaktischer Teil. In: Ders.: Werke.
Hamburger Ausgabe. Bd. 13. München 1998, S. 314–523, hier: S. 520 [916 f.]. Ge-
rade Goethes Symbolbegriff zeugt jedoch von einem Pendeln zwischen den Polen
›Raum‹ und ›Zeit‹, zwischen der Plötzlichkeit sich instantan zeigender Bedeut-
samkeit und der Betonung ihrer zeitlichen Verfertigung.
40 Benjamin: Ursprung des deutschen Trauerspiels (s. Anm. 18), S. 342. Die Zeitlichkeit,
Konstruktivität und Kulturalität sowie die (allegorische) Differenz von Material
und Bedeutung gerade auch im klassischen Symbolbegriff z. B. in einigen Formu-
lierungen bei Goethe, betonen zu Recht und unter verschiedenen Aspekten Frauke
Berndt und Heinz Drügh in ihren Einleitungen. Frauke Berndt/Heinz J. Drügh
(Hg.): Symbol (s. Anm. 19).
41 Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft, B 74 (dagegen die »Spontaneität der
Begriffe«). Damit wird die aristotelische Tradition der ›theoria‹ aufgerufen (vgl.
das 10. Buch der Nikomachischen Ethik) und mit ihr das Diskussionsfeld der ›in-
tellektuellen Anschauung‹ um 1800.
Jan Urbich
Paul de Man hat als letzte historische Konsequenz dieser Tradition 91
und in Aufnahme schon der benjaminschen Engführung dieses Gegen-
satzes die poststrukturalistische Figur des Allegorischen begründet,42
die freilich auf eine ausgewogenere Theoriebildung zur Allegorie als
Figur moderner Darstellung bzw. moderner Literaturinterpretation
radikalisierend zurückgreift (Peter Bürger43). Im Symbol aktualisiert
sich so auch eine Utopie des Verstehens als instantane, quasi-natür-
liche Einsichtigkeit, freilich in Spannung zur ebenfalls apostrophier-
ten Unendlichkeit seines Gehalts. Im Kontrast zur ›rationalen‹
Allegorie, die auf Bildung und Wissen beruht, offenbare sich im poe-
tischen Symbol Bedeutung auf intuitive Weise und jenseits der Re-
lativität historischen Wissens oder systematischen Könnens.44 Dass
dies wohl kaum an symbolischen Gegenständen einsichtig zu machen
ist, spricht nicht gegen die Programmatik solcher Konstruktionen.
Dem entgegen steht im poetologischen Diskurs des 18. Jahrhunderts
das vielfältige Beharren auf der kategorialen Zeitlichkeit literarischer
Darstellung und Rezeption.45 F) Gegenüber der »diskursiven Aus-
dehnung« der Allegorie,46 deren Entzifferung sich extensiv als ›zwei-
ter Text‹ über den Gegenstand legt, ist das Symbol durch eine
besondere Art der ›Dichte‹, also der semantischen Intensität oder
sogar ›intensiven Unendlichkeit‹, gekennzeichnet. Baumgartens Be-
griff der »perceptio praegnans«, der vielsagenden Vorstellung,47 steht
42 Vgl. Paul de Man: »Allegorie und Symbol in der Frühromantik«. In: Stefan Son-
deregger u. a. (Hg.): Typologia litterarum. Zürich 1969, S. 403–427, hier: S. 424.
Dazu übersichtlich Michael Kahl: »Der Begriff der Allegorie in Benjamins Trauer-
spielbuch und im Werk Paul de Mans«. In: Willem van Reijen (Hg.): Allegorie und
Melancholie. Frankfurt a. M. 1992, S. 292–318.
43 Peter Bürger: Theorie der Avantgarde. Frankfurt a. M. 1974, S. 92–98.
44 Kants Symbolbegriff in der Kritik der Urteilskraft (§ 59) hingegen betont gerade die
besondere Schlussform, also die Reflexionssignatur, die in symbolischen Darstel-
lungen als indirekten Vergegenwärtigungen von Begriffen und Ideen steckt. Vgl. Ur-
bich: Darstellung bei Walter Benjamin (s. Anm. 18), S. 436–446.
45 Vgl. die paradigmatischen Texte von James Harris: Three treatises. The first concerning
art. The second concerning music, painting and poetry. The third concerning happiness,
1744, und Gotthold Ephraim Lessing: Laokoon oder Über die Grenzen der Malerei
und Poesie, 1766.
46 Todorov: Symboltheorien (s. Anm. 19), S. 201.
47 Alexander Gottlieb Baumgarten: Ästhetik, § 732; Metaphysik, § 517. Vgl. zur Tradi-
tion dieser Vorstellung Gottfried Gabriel: »Kontinentales Erbe und analytische Me-
thode. Nelson Goodman und die Tradition«. In: Erkenntnis 52 (2000), S. 185–198.
48 Kant: Kritik der Urteilskraft (s. Anm. 24), § 49, S. 664 [192 f ]. Vgl. zu Kant instruk-
tiv Klaus Hofmann: »Können Texte schön sein? Ästhetik und Literaturtheorie in
Revision«. In: Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft 53 (2008),
H. 1, S. 125–150, bes. S. 126–136.
49 Kant: Kritik der Urteilskraft (s. Anm. 24), Erste Einleitung, S. 431–437 [211–216],
und Einleitung, Kap. IV, S. 496–496 [XXV–XXIX]. Kants Unterscheidung von
›subsumierender‹ und ›reflektierender‹ Urteilskraft ist demnach ebenfalls in die
goethezeitliche Differenz von Allegorie (subsumierend) und Symbol (reflektierend)
eingegangen.
50 Theorien ästhetischer Negativität wie die von Christoph Menke: Die Souveränität
der Kunst. Ästhetische Erfahrung nach Adorno und Derrida. Frankfurt a. M. 1991,
haben diese hermeneutische Suchbewegung eines stetigen Zurückgeworfenseins der
Verstehensbewegung auf den Gegenstand (so noch vorsichtig Szondi: Über philo-
logische Erkenntnis [s. Anm. 23]) als unendliche Prozessualität ästhetischer Negati-
vität radikalisiert. Damit bricht der semantische Überdruck, der um 1800 nur in
der Idee einer zentripetalen intensiven Unendlichkeit des symbolischen Darstellens
kontrolliert werden kann, den Mantel der Einheit des Symbols endgültig auf.
Jan Urbich
Diese von Kant etablierte Verbindung von Symbol und ästhetischer 93
Dichte bestimmt fortan den Diskurs des Symbolischen wie auch des
Ästhetischen51 und äußert sich vor allem im Theorem der semanti-
schen ›Unendlichkeit‹ des Symbols:52 »Das ist die wahre Symbolik,
wo das Besondere das Allgemeinere repräsentiert, nicht als Traum
und Schatten, sondern als lebendig-augenblickliche Offenbarung des
Unerforschlichen.«53 Bei Schelling heißt es: »So ist es mit jedem
wahren Kunstwerk, indem jedes, als ob eine Unendlichkeit von Ab-
sichten darin wäre, einer unendlichen Auslegung fähig ist, wobei man
doch nie sagen kann, ob diese Unendlichkeit im Künstler selbst ge-
legen habe, oder aber bloß im Kunstwerk liege.«54 Der Gegenüber-
stellung Symbol – Allegorie korrelieren so die Gegensätze von Idee
und Begriff, Unaussprechlichkeit und Angebbarkeit, Prozessualität
und statischer Finalität, Unbewusstheit und Bewusstheit:55 freilich
51 Menninghaus meint, dass Kants Konzept der ›ästhetischen Idee‹ »immer noch
– oder erst langsam in seiner vollen Tragweite – unser heutiges Verständnis von
Dichtung« prägt; Winfried Menninghaus: »Darstellung. Friedrich Gottlieb Klop-
stocks Eröffnung eines neuen Paradigmas«. In: Christiaan L. Hart Nibbrig (Hg.):
Was heißt ›Darstellen‹? Frankfurt a. M. 1994, S. 205–226, hier: S. 219. Vgl. Ernst
Cassirers Formulierung der ›symbolischen Prägnanz‹ im dritten Band der Philo-
sophie der symbolischen Formen; Ernst Cassirer: Phänomenologie der Erkenntnis.
Hamburg 2002 [=Gesammelte Werke, Bd. 13], S. 230 f. Vgl. dazu Philipp Dubach:
»Symbolische Prägnanz – Schlüsselbegriff in Ernst Cassirers Philosophie der sym-
bolischen Formen?« In: Enno Rudolph/Bernd-Olaf Küppers (Hg.): Kulturkritik
nach Cassirer. Hamburg 1995, S. 47–84.
52 Zu den unterschiedlichen Sinnhorizonten der ästhetischen Unendlichkeit zwischen
Mehrdeutigkeit, Vieldeutigkeit, Überbestimmtheit, Unterbestimmtheit etc. vgl.
Urbich: Darstellung bei Walter Benjamin (s. Anm. 18), S. 347–350.
53 Goethe: Maximen und Reflexionen (s. Anm. 32), S. 471 [751]. »Die Symbolik ver-
wandelt die Erscheinung in Idee, die Idee in ein Bild, und so, dass die Idee im Bild
immer unendlich wirksam und unerreichbar bleibt und selbst in allen Sprachen
ausgesprochen, doch unaussprechlich bliebe.« Ebd., S. 470 [749].
54 Friedrich Wilhelm Joseph Schelling: System des transzendentalen Idealismus. Hg.
von Horst D. Brandt und Peter Müller. 2. Aufl. Hamburg 2000, S. 112 [620].
55 Todorov: Symboltheorien (s. Anm. 19), S. 203 f. Damit gerät dieses Merkmal aber
in Konflikt mit der intuitiven Einsichtigkeit des Symbolischen: Die Prozessualität
unendlicher Auslegung implementiert die Zeitlichkeit des Verstehens, die Unsag-
barkeit des Sinns widerspricht zumindest tendenziell dem unmittelbaren Ergriffen-
sein durch dessen Gehalt. Hier muss deshalb mindestens zwischen einer intuitiven
und einer diskursiven Rezeption des Gehalts unterschieden werden: Sprachlos mag
im Symbol das Gemeinte klar sein; in dem Versuch aber, es in Sprache zu überführen
und damit erst wirklich zu sich kommen zu lassen, entzieht es sich in die Vielzahl
von Auslegungsperspektiven. Theodor W. Adorno fasst später den Rätselcharakter
der Werke auf eben diese Weise; Adorno: Ästhetische Theorie (s. Anm. 28), S. 184.
56 Todorov: Symboltheorien (s. Anm. 19), S. 153 und 155.
57 Vgl. Wilhelm von Humboldts gedrängte Zusammenfassung des Gegensatzes von
Allegorie und Symbol, die als enzyklopädischer Eintrag dienen könnte: Wilhelm
von Humboldt: Verfall und Untergang der griechischen Freistaaten. In: Ders.: Schrif-
ten zur Sprache. Frankfurt a. M. 2008, S. 739–774, hier: S. 772 f.
58 Johann Wolfgang von Goethe: »Nachtrag zu ›Philostrats Gemälde‹«. In: Ders.:
Ästhetische Schriften 1816–1820. Hg. von Hendrik Birus. Frankfurt a. M. 1999
(=Sämtliche Werke, I, 20), S. 536–540, hier: S. 540.
59 Friedrich Wilhelm Josef Schelling: Philosophie der Kunst. Darmstadt 1990 (=Ausge-
wählte Werke, Bd. 5), S. 198 f. [554 f.]. Vgl. v. a. auch § 39 des »Allgemeinen Teils«
(ebd., S. 50 f. [406 f.]), und Halmi: The Genealogy of the Romantic Symbol (s. Anm. 12),
S. 2; Todorov: Symboltheorien (s. Anm. 19), S. 196 ff.; Titzmann: »Allegorie und
Symbol im Denksystem der Goethezeit« (s. Anm. 19), S. 655 ff.
60 Ebd., S. 660.
Jan Urbich
winnt. In der Einheit von Sein und Bedeutung61 verschränken sich 95
alle anderen Bestimmungen, weil sie auf dem dinghaften Verschlos-
sensein des Zeichenhaften im Gegebenen beruhen und aus der damit
gemeinten Harmonie eines »in sich selbst Vollendeten« (Moritz)
ihre Energien beziehen: »Und von sterblichen Lippen, lässt sich kein
erhabneres Wort vom Schönen sagen, als: es ist!«62 Dass eben diese
um 1800 so utopisch aufgeladene Dimension des Symbolischen mit-
samt ihrer sozialkritischen Komponente (siehe C) zu Anfang des
20. Jahrhunderts – in dem von Georg Lukács in Geschichte und
Klassenbewußtsein (1923) aufgenommenen Marxschen Begriff der
»zweiten Natur« – gerade den imaginären Grenzwert eines höchst
entfremdeten, weil verdinglichten symbolischen Selbstverhältnisses
einer Gesellschaft abgibt, zeigt bereits hier den Problemhorizont der
Theoriebildung des Symbols noch für die Gegenwart an.63 Diese
61 So auch Goethe in einem Brief an Meyer vom 13. März 1791: »Es sind alles bedeu-
tende Figuren, sie bedeuten aber nicht mehr als sie zeigen und ich darf wohl sagen
nicht mehr als sie sind«. Goethe: Weimarer Ausgabe (s. Anm. 25), IV. Abteilung,
Bd. 9, S. 248–251, hier: S. 251. »Die symbolische Darstellung ist der versinnlichte
allgemeine Begriff selbst, die allegorische Darstellung bedeutet blos einen von ihr
selbst verschiedenen allgemeinen Begriff.« Heinrich Meyer; zit. n. Todorov: Sym-
boltheorien (s. Anm. 19), S. 211. So auch Friedrich Ast: System der Kunstlehre. Leip-
zig 1805, S. 6 (vgl. Todorov: Symboltheorien [s. Anm. 19], S. 212).
62 Moritz: Schriften zur Ästhetik und Poetik (s. Anm. 34), S. 93.
63 Der Begriff der »zweiten Natur«, der bisher kaum als kritische Lektüre auch der
Symbolvorstellung verstanden worden ist, hat vor allem in der Gestalt ihrer Deu-
tung durch Georg Lukács’ Geschichte und Klassenbewußtsein [1923]. Neuwied und
Berlin 1970, S. 170–356, hier: S. 174, diskursprägend für den westlichen Marxismus
kritischer Prägung gewirkt; vgl. Norbert Rath: »Natur, zweite«. In: Historisches
Wörterbuch der Philosophie. Hg. von Joachim Ritter u. a. Bd. 6. Basel 1984, Sp. 484–
494. Er ist freilich älter und taucht bspw. schon bei Aristoteles im Zusammenhang
seiner Tugendkonzeption auf. Dort bezeichnet er die Wirklichkeit der Tugenden,
die »weder von Natur noch gegen die Natur« (Aristoteles: Nikomachische Ethik.
Hg. von Günther Bien. 4. Aufl. Hamburg 1985, S. 26) sind, also zwar kulturelle
Produkte eines Aneignungsprozesses darstellen, aber wirksam werden sollen wie
Naturgaben. Hegels Konzept der »Gewöhnung« in der »Philosophie des Geistes«
der Enzyklopädie fokussiert eben dieses Moment, betont aber stärker das Moment
der unerreichbaren, verselbständigten Voraussetzung: »Die Gewohnheit ist mit
Recht eine zweite Natur genannt worden, – Natur, denn sie ist ein unmittelbares
Sein der Seele, – eine zweite, denn sie ist eine von der Seele gesetzte Unmittelbarkeit,
eine Ein- und Durchbildung der Leiblichkeit, die den Gefühlsbestimmungen als
solchen und den Vorstellungs- [und] Willensbestimmungen als verleiblichten zu-
Jan Urbich
seinshafter Unmittelbarkeit eines Darstellungsgeschehens als Rück- 97
stoß der Intention ins De-Intentionale, des Gemachten ins Unge-
machte bzw. des Subjektiven in ein Subjektunabhängiges,64 Objektives
wird im Glücksversprechen des Symbols um 1800 noch zum Vor-
schein einer wiederhergestellten Verbindlichkeit, Darstellbarkeit und
Einheit seines Gehalts, bevor die Fliehkräfte der Moderne an diesem
Modus einzig noch den Index von Verdinglichung und Entfremdung
der kulturellen Produktion vom Produzenten erkennen können.
Dass mit diesen Merkmalen nicht die Vielfalt der verschiedenen Sym-
bolverständnisse hinreichend beschrieben ist, wurde bereits erwähnt.
An Beispielen wie den Symbolbegriffen von Friedrich Schleierma-
cher, Ludwig Tieck65 oder Georg Wilhelm Friedrich Hegel66, die ganz
Zeichen und Bezeichnetem den Symbolcharakter zuspricht. Bei ihm heißt die Vor-
stellung, welche sonst im Symbolbegriff gemeint ist, das ›Klassische‹; Georg Wil-
helm Friedrich Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Kunst. Hg. von
Annemarie Gethmann-Siefert. Hamburg 2003, S. 119–179.
67 »Die Ideen sind in der Welt der Phänomene nicht gegeben.« Benjamin: Ursprung
des deutschen Trauerspiels (s. Anm. 18), S. 215.
68 Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Kunst (s. Anm. 66), S. 5.
69 Schelling: System des transzendentalen Idealismus (s. Anm. 54), S. 301 [480].
Jan Urbich
so nicht mehr teilen wird: »Jeder ist von Natur getrieben, ein Abso- 99
lutes zu suchen; aber indem er es für die Reflexion fixiren will, ver-
schwindet es ihm. [. . .] Es ist nur da, inwiefern ich es nicht habe, und
inwiefern ich es habe, ist es nicht mehr«.70 Die romantische und so
oft missverstandene »Sehnsucht nach dem Unendlichen« (KFSA 18,
S. 418 [1168])71 gründet also in der paradoxen, die Kantische Regu-
lativität letztbegründender Ideen verobjektivierenden Bewegung,
den Abschluss allen Wissens und Daseins im Absoluten genauso
nötig anvisieren zu müssen, wie er nicht vollständig im Raum der
Medien des endlichen Geistes präsent zu machen ist, ohne allerdings
dabei ein bloßes Jenseits zu sein.72 »Erkennen bedeutet schon ein
70 Friedrich Wilhelm Joseph Schelling: Fernere Darstellungen aus dem System der Phi-
losophie (1802). In: Ders.: Ausgewählte Werke. Bd. 2. Hg. von Manfred Frank. Frank-
furt a. M. 1985, S. 77–169, hier: S. 101 [357]. Weiter beschreibt Schelling an dieser
Stelle die Struktur von Offenbarungsereignissen in Religion und Kunst: »Nur in
Augenblicken, wo in diesem Streit die subjektive Thätigkeit sich mit jenem Objek-
tiven in unerwartete Harmonie setzt, tritt es [das Absolute, J. U.] vor die Seele.«
Vgl. außerdem Novalis: »Reflectirt das Subj[ekt] aufs reine Ich – so hat es nichts –
indem es was für sich hat – reflectirt es hingegen nicht darauf – so hat es für sich
nichts, indem es was hat.« (NS 2, S. 137 f. [49])
71 Vgl. Bohrer: Die Kritik der Romantik (s. Anm. 8); Urbich: »Epoche und Stil«
(s. Anm. 4).
72 Vgl. Manfred Franks aussagekräftige, aber vielleicht etwas zu einseitige Definition:
»Als idealistisch bezeichne ich die – zumal durch Hegel verbindlich gemachte –
Überzeugung, Bewußtsein sei ein selbstgenügsames Phänomen, das auch noch die
Voraussetzungen seines Bestandes aus eigenen Mitteln sich verständlich zu machen
vermöge. Dagegen ist die Frühromantik überzeugt, daß Selbstbewußtsein einem
transzendenten Grund sich verdankt, der sich nicht in die Immanenz des Bewußt-
seins auflösen lasse.« Manfred Frank: »Unendliche Annäherung«. Die Anfänge der
philosophischen Frühromantik. Frankfurt a. M. 1997, S. 359. Martin Götze hat die
Tendenz, den Frühromantikern eine bloße Transzendenz des absoluten Grundes
zu unterstellen, zu Recht kritisiert und hingegen in der Betonung der Vorbildrolle
Fichtes für die Frühromantiker das Wechselspiel von Immanenz und Transzendenz
des absoluten Grundes stark gemacht; Martin Götze: Ironie und absolute Darstel-
lung. Paderborn/München 1999. Die Paradoxie, wie das Absolute als Absolutes ge-
rade im Entziehen in den Raum des Bewusstseins fällt, um diesen gleichsam
immanent aufzusprengen, stellt das Grundproblem dar, an welchem sich die Theo-
rie der Darstellung bei den Frühromantikern abarbeitet. Zu den diskursgeschicht-
lichen Umrissen dieser Denkfigur der konstitutiven Gegenläufigkeit von Reflexion
und Selbstgegenwärtigkeit, Bewusstsein und Grund vgl. Urbich: Darstellung bei
Walter Benjamin (s. Anm. 18), S. 66 f.
73 »Das Wesen ist schlechthin nicht erkennbar« (NS 2, S. 238 [438]). »Das Wesen
läßt sich nur negativ bestimmen.« (Ebd., S. 239 [438]) Dagegen Hegel: »Auf solche
Behauptung ist [. . .] zu erwidern, daß, wenn auch heutigentags alles Wahre für un-
begreiflich und nur die Endlichkeit der Erscheinung und die zeitliche Zufälligkeit
für begreiflich ausgegeben wird, gerade das Wahre allein schlechthin begreiflich ist,
weil es den absoluten Begriff und näher die Idee zu seiner Grundlage hat.« Hegel:
Vorlesungen über die Ästhetik I (s. Anm. 27), S. 127.
74 Diesen Gedanken finden die Frühromantiker in Kants Theorie des Erhabenen in
der Kritik der Urteilskraft – Kant spricht von »negativer Darstellung«; Kant: Kritik
der Urteilskraft (s. Anm. 24), § 29, S. 613 f. [124 f.] – und objektivieren ihn.
75 »Poesie ist ein Theil der phil[osophischen] Technik. Das Prädicat philosophisch
– drückt überall die Selbstbezweckung – und zwar die indirecte, aus. Die directe
Selbstbezweckung ist ein Unding mithin« (NS 3, S. 399 [688]).
76 Vgl. zur Erläuterung von Ironie und Witz Ernst Behler: Frühromantik. Berlin/New
York 1992, S. 247–255; Manfred Frank: Einführung in die frühromantische Äs-
thetik. Frankfurt a. M. 1989, S. 231–307; Götze: Ironie und absolute Darstellung
(s. Anm. 72), S. 195–217; Urbich: »Epoche und Stil« (s. Anm. 4).
Jan Urbich
lichem in Identität und Präsenz zu setzen.77 Die Zeitlichkeit einer 101
unendlichen formensprachlichen und semantischen Bewegung figu-
riert als das innere,78 verkehrte wie verkleinerte Abbild des Unendli-
chen im Endlichen, weil ihre Negativität des Überschreitens und
Anderswerdens in jede positive Geschlossenheit des Endlichen ein-
greift,79 ohne selbst ein positives Absolutes als es selbst setzen zu kön-
nen. Dieser Gedanke prädestiniert die frühromantische Poetologie
dazu, im Anschluss an Lessing (Laokoon oder über die Grenzen von
Malerei und Poesie) in ganz neuer Weise Zeitformen poetischer Dar-
stellung zu überdenken.
»Wer etwas Unendliches will, der weiß nicht, was er will. Aber
umkehren lässt sich dieser Satz nicht.« (KFSA 2, S. 153 [47]) Das
Absolute als das ›immanente Jenseits‹80 von Intentionalität und be-
wusstseinsförmiger Distinktion gerät folglich frühromantisch vor
77 Novalis bringt die Ablehnung des goetheschen Symbolbegriffs auf den Punkt: »Auf
Verwechselung des Symbols mit dem Symbolisirten – auf ihre Identisirung – auf
den Glauben an wahrhafte, vollst[ändige] Repraesentation – und Relation des Bil-
des und des Originals – der Erscheinung und der Substanz – auf der Folgerung von
äußerer Aehnlichkeit – auf durchgängige innre Übereinstimmung und Zusammen-
hang – kurz auf Verwechselungen von Subj[ect] und Obj[ect] beruht der ganze Aber-
glaube und Irrthum aller Zeiten, und Völker und Individuen« (NS 3, S. 397 [685]).
78 Vgl. dazu generell Dirk Oschmann: Bewegliche Dichtung. Sprachtheorie und Poetik
bei Lessing, Schiller und Kleist. München 2007.
79 Vgl. Manfred Frank: Das Problem ›Zeit‹ in der deutschen Romantik. 2. Aufl. Pa-
derborn/München 1990, S. 22–97; Frank: Einführung in die frühromantische Äs-
thetik (s. Anm. 76), S. 262 ff.
80 Vgl. Friedrich Schlegel: »Man kann keine Gränze bestimmen, wenn man nicht dies-
seits und jenseits ist. Also ist unmöglich die Gränze der Erkenntniß zu bestimmen,
wenn wir nicht auf irgend eine Weise (wenn gleich nicht erkennend) jenseits der-
selben hingelangen können.« (KFSA 18, S. 521 [23]) Vgl. dazu Frank: Einführung
in die frühromantische Ästhetik (s. Anm. 76), S. 288 f. In ähnlicher Weise tritt diese
Denkfigur an einer Stelle bei Schlegel auf, die Benjamin zitiert: »Selbstbeschränkung
[...] [ist] das Notwendigste und Höchste [...]: denn man kann sich nur in den Punk-
ten und an den Seiten selbst beschränken, wo man unendliche Kraft hat.« (Walter
Benjamin: Der Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik. In: Ders.: Gesam-
melte Schriften (s. Anm. 18). Bd. I.1, S. 9–123, hier: S. 74). Der Grundgedanke
dafür auch bei Hegel: »Es ist daher nur Bewußtlosigkeit nicht einzusehen, daß eben
die Bezeichnung von etwas als einem Endlichen oder Beschränkten den Beweis von
der wirklichen Gegenwart des Unendlichen, Unbeschränkten enthält, daß das Wissen
von Grenze nur sein kann, insofern das Unbegrenzte diesseits im Bewußtsein ist.«
(Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften I.
Frankfurt a. M. 1986 [=Werke, Bd. 8], S. 144 [§ 60]; vgl. die Logik von »Grenze«
und »Schranke«, Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Wissenschaft der Logik I. 2. Aufl.
Frankfurt a. M. 1990 [=Werke, Bd. 5], S. 131–149.)
81 »Denn darin besteht ja eben das Wesen des Schönen, dass ein Theil immer durch
den andern und das Ganze durch sich selber, redend und bedeutend wird – dass es
sich selbst erklärt – sich durch sich selbst beschreibt – und also ausser dem bloss an-
deutenden Fingerzeige auf den Inhalt, keiner weitern Erklärung und Beschreibung
mehr bedarf.« (Moritz: Schriften zur Ästhetik und Poetik (s. Anm. 34), S. 95)
Jan Urbich
(NS 3, S. 650 [554]).82 Die ›natura naturans‹ wird zur Substanz 103
künstlerischer Tätigkeit: sowohl was die unendliche harmonische
Produktivität und Schönheit ihrer Ausdrucksformen, als auch was
die organische Geschlossenheit und innere Notwendigkeit ihrer Bil-
dungen und deren Verhältnisse betrifft.83 Zugleich sichert sie über
ihre spinozistische Harmonie die prinzipielle Übersetzbarkeit ihrer
Elemente in alle möglichen Ausdrucksbeziehungen ab.84 Das früh-
82 Bei Schelling heißt es analog: »Der ist noch sehr weit zurück, dem die Kunst nicht
als ein geschlossenes, organisches und ebenso in allen seinen Teilen notwendiges Gan-
zes erschienen ist, als es die Natur ist.« (Schelling: Philosophie der Kunst [s. Anm. 59],
S. 1 [357].)
83 Vgl. dazu konzis Ernst Behler: »Einleitung«. In: KFSA 18, S. XII–XXI. Schlegel
spricht von der »formlose[n] und bewußtlose[n] Poesie« der Natur (KFSA 2,
S. 285) und entwickelt zu Anfang des Gesprächs über die Poesie das poetische Bild
einer sich in den »Gebilden und Gewächsen« von Natur und Kunst gleichermaßen
verwirklichenden Lebenskraft.
84 »Alles kann Symbol des Andern seyn«. (NS 2, S. 398) Zu Schlegels Philosophie
seit den Jenaer Vorlesungen zur Transcendentalphilosophie von 1800/1801, die den
Fichteschen Idealismus und den Spinozistischen Realismus wiederum im Begriff
der ›unendlichen Substanz‹ bzw. der ›Natur‹ zu vereinen suchen, ohne die Ma-
terie auf Gedachtes oder das Gedachte unkritisch auf das ›Ding an sich‹ zu re-
duzieren, vgl. konzis Michael Elsässer: »Einleitung«. In: Friedrich Schlegel:
Transdencendentalphilosophie. Hg. von Michael Elsässer. Hamburg 1991, S. IX–
XLIII, und Ernst Behler: »Einleitung« (s. Anm. 83). Freilich harmonisiert El-
sässer im Blick auf den mittleren bis späten Schlegel wohl zu sehr dessen
vernunftkritische Perspektive, wodurch die wiederum z. B. von Walter Benjamin
markierte Philosophie des ›Reflexionsmediums‹, die weitaus näher an Hegel ist
als Elsässer im Allgemeinen für Schlegel betont (vgl. Michael Elsässer: »Einlei-
tung«, S. XVI, wo er ihn den »Gegenspieler seines Zeitgenossen Hegel« nennt),
sowie im Ganzen die hochgradige frühromantische Reflexionssignatur von ›iro-
nischer Darstellung‹ und ›Transzendentalpoesie‹ aus dem Blick geraten. Die Ab-
stufungen und graduellen Perspektivverschiebungen der Philosophie Schlegels
machen es äußerst schwierig, seine Position im Geflecht des Theoriedesigns des
›Idealismus‹ trennscharf zu bestimmen. Insbesondere das kategoriale Fundament
von Intuition/Gefühl (Unbewusstheit/Phantasie) und Verstand/Vernunft (Be-
wusstsein/Reflexion) in seinem internen Verhältnis genau zu beschreiben, scheint
der Forschung Probleme zu bereiten. Vgl. auch die immer noch geführte Ausei-
nandersetzung um das genaue Verhältnis des Absoluten zum begrifflichen Denken
bzw. zur Darstellbarkeit desselben in verschiedenen Medien des Geistes bei Schlegel;
Götze: Ironie und absolute Darstellung (s. Anm. 72), S. 14–19 und passim Urbich:
»Mysterium der Ordnung« (s. Anm. 6), S. 94.
Jan Urbich
Individua? Oder: Warum läuft das Spiel der Natur nicht in 105
einem Nu ab, so daß also gar nichts existirt? Die Antwort auf
diese Frage ist nur möglich, wenn wir einen Begriff einschie-
ben. Wir haben nämlich die Begriffe eine, unendliche Substanz –
und Individua. Wenn wir uns den Übergang von dem einen zu
den andern erklären wollen, so können wir dies nicht anders, als
daß wir zwischen beyden noch einen Begriff einschieben, näm-
lich den Begriff des Bildes oder Darstellung, Allegorie (eikon).
Das Individuum ist also ein Bild der einen unendlichen Substanz.
(Man könnte dies auch ausdrücken: Gott hat die Welt hervor-
gebracht, um sich selbst darzustellen.) (KFSA 12, S. 39)
Das verkürzte, indirekte und gebrochene Bild (»Welt im verringerten
Maasstabe«),89 welches im möglichst vielgestaltig und lebendig dar-
gestellten Individuellen als dessen energetischer Kern sichtbar wird,
ist hier durch den Begriff der Allegorie in seinem Bezug aufs Unend-
liche gefasst. Im »Wesen des Geistes [. . .], sich selbst zu bestimmen
und im ewigen Wechsel aus sich herauszugehn und in sich zurückzu-
kehren« (KFSA 2, S. 314), in dessen Bewegung sich folglich »die un-
beschränkte Fülle neuer Erfindung, durch die allgemeine Mitteilbarkeit
und durch die lebendige Wirksamkeit aufs herrlichste offenbart«
(ebd.), liegt demnach der Einheitspunkt einer gemeinsamen harmo-
nischen Produktivität. In ihr sind Endlichkeit und Unendlichkeit
miteinander verbunden und spiegeln sich ineinander,90 ohne dass
damit ihre Differenz aufgehoben ist. Ganz im Gegenteil: Ihr Diffe-
rential ist gerade der Motor dafür, sich beständig aufeinander zuzu-
bewegen und sich ineinander darzustellen, um darin eine Harmonie
energetischen Strebens zu verwirklichen, die Schlegel den »Geist der
Liebe« nennt. Mit ihm ist im platonischen Sinn der Eros des stre-
benden Bezogenseins des Endlichen und Unendlichen aufeinander
Jan Urbich
nome94 Ordnung ihrer Gestaltung (»systematische Gliederbau, [. . .] 107
Konstruktion und Organisation«; KFSA 2, S. 328) bestimmt sind.
Im Beziehungsreichtum ihrer Elemente, im Wechselspiel von Kon-
trast und Versöhnung ihrer Gegensätze, in der Lebendigkeit ihrer in-
neren Fortbewegung, plastischen Eindrücklichkeit und ihres
formensprachlichen Gewebes, wie es die Wilhelm-Meister-Kritik pa-
radigmatisch vorführt,95 schafft das Kunstwerk eine individuelle orga-
nische innere Harmonie, die zugleich der Grund seiner Transzendenz
ins Allgemeine und Absolute wird.96 Denn die individuelle Einheit des
Werkes, die sich gerade am Widerstand größtmöglicher innerer Diffe-
rentialität bewährt,97 zitiert als homologes verkürztes Bild eine Einheit
des »Mediums der Kunst«, auf deren große Einheit aller Werke das
einzelne Werk abzielt. In seiner inneren Vollendung und Geschlos-
senheit rekapituliert das einzelne Kunstwerk eine Einheit, die ihm
als individuelles fehlt, die in ihm aber in niedrigerer Potenz – erwei-
tert um den Ausstand dessen, was sich in ihr ankündigt – bereits aus-
gebildet ist. Symbolisch verweist die Vollendung der Formengestalt des
Werkes auf eine Abwesenheit, die sich aber in ihm aufspannt. Organisch
ist im einzelnen Werk bereits das Ganze als verkleinertes Bild derart
präsent, dass diese Abwesenheit keine bloße Abwesenheit mehr ist.98
94 »Jede Kunst und jede Wissenschaft, die durch die Rede wirkt, wenn sie als Kunst
um ihrer selbst willen geübt wird, und wenn sie den höchsten Gipfel erreicht, er-
scheint als Poesie.« (KFSA 2, S. 304)
95 Vgl. dazu Winfried Menninghaus: Unendliche Verdopplung. Die frühromantische
Grundlegung der Kunsttheorie im Begriff absoluter Selbstreflexion. Frankfurt a. M.
1987, S. 132–208. Schlegel spricht vom »angeborne[n] Trieb des durchaus organi-
sierten und organisierenden Werks, sich zu einem Ganzen zu bilden«, der sich äu-
ßert »in den größeren wie in den kleineren Massen. Keine Pause ist zufällig und
unbedeutend, [. . .] hier wo alles zugleich Mittel und Zweck ist«. (KFSA 2, S. 131)
96 Vgl. den Anfang des Gesprächs über die Poesie, wo zugleich vom Allgemeinen (»Alle
Gemüter, die sie lieben, befreundet und bindet Poesie mit unauflöslichen Banden.«
KFSA 2, S. 284) wie auch vom Individuellen der Poesie die Rede ist (»Die Vernunft
ist nur eine und in allen dieselbe; wie aber jeder Mensch seine eigne Natur hat und
seine eigne Liebe, so trägt auch jeder seine eigne Poesie in sich.« Ebd.).
97 Vgl. Menninghaus: Unendliche Verdopplung (s. Anm. 95).
98 Das meint bei Schlegel die Rede von der Poesie als »Harmonie des Ideellen und
Reellen« (KFSA 2, S. 315; vgl. auch KFSA 19, S. 342 [248]), d. h. des Unendlichen
und des Endlichen: keine Identität wie im Symbol, sondern eine homologische wie
metonymische Relation, die zugleich die Negativität ihrer Nichtidentität mit dar-
stellt.
99 Kritik ist nach Schlegel das Medium, das die Werke, »welche sich selbst beurtei-
len« (KFSA 2, S. 133) aufgrund des »Geis[es] der Betrachtung und der Rückkehr
in sich selbst, von dem es so voll ist« (KFSA 2, S. 140), in Aufnahme von deren
Eigenreflexion vollendet. Vgl. auch Vom Wesen der Kritik (KFSA 3, S. 51–60) und
KFSA 2, S. 140, wo Schlegel aufzuzeigen sucht, wie im Analyse- und Zerlegevor-
gang des Werkes durch die Kritik neue, vom Einzelwerk ausgehende und es doch
überschreitende Ganzheiten erzeugt werden, die Benjamin das »Medium der
Kunst« genannt und bei Schlegel durch einen »doppelten Formbegriff« begrün-
det hat; Benjamin: Der Begriff der Kunstkritik (s. Anm. 80), S. 86 f. Damit der
Roman seine werkhafte Geschlossenheit auch einlösen kann, muss demnach »die
Beziehung der ganzen Komposition auf eine höhere Einheit, als jene des Buchsta-
bens« (KFSA 2, S. 336) im Werk selbst als dessen Selbsttranszendenz, welche die
Kritik vollendet, angelegt sein.
100 Vgl. zu Benjamins Kritikbegriff präzise und zugleich umfassend Jean-Michel Pal-
mier: Walter Benjamin. Frankfurt a. M. 2009, S. 819–846.
Jan Urbich
noch in zweiter Stufe aus der »Bedeutung« entspringt. Die Impli- 109
kationen dieser Stelle, das ambivalente symbolische Verhältnis von
Bedeuten (»Beziehung«) und Sein (An-die-Stelle-treten) sowie die
damit möglicherweise korrespondierende Zweistufigkeit von Bedeu-
tung und Sinn, hat Schlegel scheinbar nicht weiter entfaltet.101 Die
Selbsttranszendenz des Kunstwerks als Resultat seiner inneren Ge-
schlossenheit, die aber den sinnlichen Pol nicht wie beim bloßen Zei-
chenverweis gegen den eigentlich Gemeinten aufhebt, ist entscheidend
mit dem reflexiven Selbstverhältnis verknüpft, welches Benjamin als
»Medium der Reflexion« bei Schlegel ontologisiert hat:102 Die »hö-
here Kunst [. . .] ist selbst Natur und Leben und schlechthin eins mit
diesen; aber sie ist die Natur der Natur, das Leben des Lebens, der
Mensch im Menschen« (KFSA 2, S. 414). Schlegel hat für die konsti-
tutive Funktion der Reflexivität werkhafter Strukturen bekanntlich
den Begriff der ›Transzendentalpoesie‹ erfunden,103 die »das Produ-
zierende mit dem Produkt darstellte [...], überall zugleich Poesie und
Poesie der Poesie« (KFSA 2, S. 204 [238]) sei und so »auf den Flü-
geln der poetischen Reflexion in der Mitte schweben, diese Reflexion
immer wieder potenzieren und wie in einer endlosen Reihe von Spie-
geln vervielfachen« (KFSA 2, S. 182 f. [116]) soll. Erst diese Struktur
nämlich garantiert für den Fichte-Schüler Schlegel die Geistartigkeit
der Kunst: »Sinn, der sich selbst sieht, wird Geist«. (KFSA 2, S. 225)
101 Eine strukturell ganz ähnlich gelagerte Stelle legt nahe, dass Schlegel diese Diffe-
renzierungen in der Tat bewusst angelegt hat: »Jedes Gedicht, jedes Werk soll das
Ganze bedeuten, wirklich und in der Tat bedeuten, und durch die Bedeutung und
Nachbildung auch wirklich und in der Tat sein, weil ja außer dem Höheren, woraus
sie deutet, nur die Bedeutung Dasein und Realität hat.« KFSA 2, S. 414.
102 »Denn einerseits ist die Reflexion selbst ein Medium – kraft ihres stetigen Zu-
sammenhanges, andererseits ist das fragliche Medium ein solches, in dem die Re-
flexion sich bewegt – denn diese, als Absolute, bewegt sich in sich selbst.« Walter
Benjamin: Der Begriff der Kunstkritik (s. Anm. 80), S. 36. Darüber hinaus erklärt
Benjamin für Schlegel und Novalis die Idee zentral, dass »alles Wirkliche denkt;
es kann, weil dies Denken das der Reflexion ist, nur sich selbst, genauer gesagt, nur
sein eigenes Denken denken«. Ebd., S. 55. Benjamin nennt dies die »Bedingtheit
jeder Objekterkenntnis in einer Selbsterkenntnis des Objekts« (ebd.).
103 Zum Versuch, einen konstitutiven Begriff ästhetischer Reflexivität systematisch zu
entwickeln, vgl. Urbich: Darstellung bei Walter Benjamin (s. Anm. 18), bes. S. 320–
350 und S. 477–501.
104 Vgl. Todorov: Symboltheorien (s. Anm. 19), S. 169–173. Vgl. Novalis’ berühmten
Monolog und KFSA 2, S. 364. Zur romantischen Sprachtheorie vgl. Urbich: »Mys-
terium der Ordnung« (s. Anm. 6).
Jan Urbich
von seinshafter Einheit und bedeutungshafter Differenz für Schlegel 111
hinfällig ist und als ganzer einer metaphysischen Kritik unterzogen
wird. An seine Stelle treten verschiedene Grade und Arten der poe-
tischen »Hindeutung auf das Höhere, Unendliche« (KFSA 2, S. 334)
als ›indirekt mitteilen‹-Können. Wesentlich wird so die Betonung
der Dynamik des »Immer-wieder-anders-Sagen«105 als einzige Mög-
lichkeit, die unhintergehbaren »Zeichen, Repräsentanten d[er] Ele-
mente die nie an sich darstellbar sind« (KFSA 18, S. 420 [1197])
wiederum nur indirekt in eine Annäherungsbewegung ans Absolute
zu dynamisieren: »Alle Wahrheit ist relativ Alles Wissen ist symbo-
lisch« (KFSA 18, S. 417 [1149]). In diesem grundlegenden Sinn sind
für Schlegel die Ausdrücke ›Symbol‹ und ›Allegorie‹ austauschbar,
wobei er tendenziell weitaus häufiger den Terminus ›Allegorie‹ ge-
braucht.106 Die »höhere idealische Ansicht der Dinge« als »Wesen
der Poesie« (KFSA 2, S. 323), wobei das Einzelne »Zeichen, Mittel
zur Anschauung des Ganzen« (ebd.) ist, wird pointiert so gefasst:
»Alle Schönheit ist Allegorie. Das Höchste kann man eben, weil es
unaussprechlich ist, nur allegorisch sagen.« (KFSA 2, S. 324)107 In
jedem Fall findet sich in Bezug auf den Terminus ›Allegorie‹ bei
Schlegel eine vergleichsweise hohe Homogenität der Verwendung,
die sich um die Idee der ›Hindeutung‹ bzw. der ›indirekten Darstel-
lung‹ des Unendlichen gruppiert. Allegorisch taucht das Unendliche
in der poetischen Darstellung auf, indem das Endliche sich durch seine
formensprachliche reflexive Dynamik an sich selbst negiert und damit
den Raum eines gestalthaften und semantischen Anderswerdens öffnet,
ohne ihn wiederum positiv zu bestimmen und zu besetzen.108 Dies gilt,
105 So auch Behler: Frühromantik (s. Anm. 76), S. 250 und 257 f.
106 Es gibt bei Schlegel Stellen, in denen in der Tat durch eine solche Verwendung eine
Art Synonymie zwischen ›allegorisch‹ und ›symbolisch‹ nahegelegt wird (vgl. z. B.
KFSA 18, S. 269 [894], KFSA 18, S. 209 [148]), und wiederum solche, die einen
unbestimmten Unterschied nahelegen, aber nicht erklären (KFSA 18, S. 214 [233],
KFSA 18, S. 219 [297], KFSA 18, S. 233 [482]).
107 Damit ist auch die Beziehung der Allegorie auf Religion bzw. auf Gott als ihren
Gegenstand gerechtfertigt; vgl. KFSA 18, S. 267 [869], KFSA 18, S. 347 [315].
Vgl. auch: »B.[öhme] enthält d.[ie] INNERSTEN Principien der Allegorie (und eben
damit der Poesie), nach ihm verwandelt sich die ganz Welt in Allegorie, der Zweck
alles Daseins ist Offenbarung und DARSTELLUNG.« KFSA 19, S. 136 [457].
108 Vgl. KFSA 18, S. 249 [663], KFSA 19, S. 5 [26], KFSA 19, S. 25 [227], KFSA 19,
S. 167 [106].
Jan Urbich
als Ausdrucksbeziehung zumeist zwischen Teil(kraft) und Ganzem 113
gefasst wird.114 Damit ist zum einen das organische Denken der Na-
turharmonie, in welchem das Ganze als ›verkürztes Bild‹ sich in den
Teilen repräsentiert, im Symbolbegriff reformuliert. Zum anderen be-
wahrt dieser Symbolbegriff das ›Geheimnis‹ der Beziehungen zwi-
schen den Elementen und dem Ganzen, dem Endlichen und dem
Unendlichen. Denn als ›symbolisch‹ werden vor allem die Spuren
von Verhältnissen115 (Analogieverhältnisse; Metonymie; Zeitlichkeit
von Anfang/Ende) an den Dingen bezeichnet, die bei Lessing noch
als Idee eines »bequemen Verhältniss[es]« von »Zeichen« und
»Bezeichnetem« die Erwartung einer säkularen Transsubstantation
von willkürlichen in natürliche Zeichen im Raum der Dichtung auf-
zeigte.116 Diese Spuren lassen sich zugleich begrifflich nicht vollstän-
dig aufklären und bringen deshalb im Wunder ihres (zeichenhaften)
Abstandes gerade die allerdings stets verborgene und notwendig aus-
stehende (seinshafte) Einheit zum Ausdruck.
Es hat sich gezeigt, dass die Verschleifung des Unterschiedes von
Symbol und Allegorie bei Friedrich Schlegel ihren Grund darin hat,
dass seine Metaphysik der Poesie die abstrakte Einheit von Sein und
Bedeutung im ›Symbol‹ um 1800 sowie die mit ihr zusammenhän-
genden Begriffsdimensionen zugunsten einer offenen konstitutiven
Wechselwirkung beider suspendiert.117 Diese Wechselwirkung fun-
diert grundsätzlich jedes Verhältnis von Endlichem und Unendli-
chem, durchzieht als Harmonie der Bewegung die Bereiche von Geist
und Natur und potenziert sich im Kunstwerk auf allen formensprach-
118 Vgl. zu dieser Denkfigur bei Schlegel Jan Urbich: »›Die Kunst geht auf den letz-
ten Messias‹. Friedrich Schlegels ›Ideen‹-Fragmente und das messianische Ver-
hältnis von Revolution und Religion«. In: Klaus Ries (Hg.): Romantik und
Revolution. Zum politischen Reformpotential einer unpolitischen Bewegung. Hei-
delberg 2012, S. 171–195.
119 Paul Ricœur: Die Interpretation. Ein Versuch über Freud. Frankfurt a. M. 1974,
S. 540. Vgl. Jeffrey Andrew Barash: »Was ist ein Symbol? Bemerkungen über Paul
Ricœurs kritische Stellungnahme zum Symbolbegriff bei Ernst Cassirer«. In: In-
ternationales Jahrbuch für Hermeneutik 6 (2007), S. 259–274.
Jan Urbich
5. Der Grund der Bedeutung: Konsequenzen aus Schlegels Symboltheorie 115
120 Zur Logik des Allgemeinen, Besonderen und Einzelnen bzw. zu ihrer Einheit vgl.
Hegels »Methodenreflexion« am Ende der Logik Georg Wilhelm Friedrich
Hegel: Wissenschaft der Logik II. Frankfurt a. M. 1986, S. 548–574.
121 Vgl. schon Hegels Differenzschrift, welcher die wechselseitige Ableitbarkeit dieser
letzten Grundsätze auseinander demonstriert; Differenzschrift (s. Anm. 29), S. 37–
41. Hegels gesamte Logik stellt den Versuch dar, den abstrakten Gegensatz dieser
beiden Bezugsrichtungen mitsamt der jeweiligen Begriffe der Gegensatzpole pro-
zessual immer stärker miteinander zu verzahnen. Ihren Ursprung hat diese Unter-
scheidung in Platons ›Charakteren‹ des Seins im Sophistes (255c–d). Kein
Wunder ist es, dass Fichte in der Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre seine
Philosophie aus der Verbindung eben dieser beiden Sätze (Identitätssatz und Satz
des ausgeschlossenen Widerspruchs), die auch im Symbolbegriff in eine Relation
treten, aufbaut.
122 Sowohl die Sozialkritik der Kritischen Theorie als auch bspw. Roland Barthes’
Analyse der Mythen des Alltags haben eben an die Naturalisierung kultureller Ver-
hältnisse, wie sie im Symbolbegriff verklärt wird, den Begriff der ›Ideologie‹ ge-
knüpft.
123 Deshalb ist eine Fassung der Idee des Unaussprechlichen an die Unauftrennbarkeit
von Darstellung und Dargestelltem gebunden: Kunstwerke würden sich der In-
terpretation entziehen, weil sich ihr Gehalt nicht in eine anderen Form bringen
lasse, Gemeintes und Medium des Meinens also in der Einheit seinshafter Ding-
lichkeit existieren. »Was in [literarischen] Texten geschrieben steht, kann und soll
nicht mit anderen Worten gesagt werden. Das hingegen, was in philosophischen
Texten geschrieben steht, kann und soll in andere Worte übertragen werden. Dies,
so meine ich, ist der entscheidende Unterschied in der literarischen und philoso-
phischen Behandlung von Texten.« Martin Seel: »Platons Apologie der Literatur.
Eine kurze Lektüre des Phaidros«. In: Ders.: Die Macht des Erscheinens. Texte zur
Ästhetik. Frankfurt a. M. 2007, S. 131–143, hier: S. 141; vgl. grundsätzlich Jan Ur-
bich: »Der Begriff der Literatur, das epistemische Feld des Literarischen und die
Sprachlichkeit der Literatur«. In: Alexander Löck/Jan Urbich (Hg.): Der Begriff
der Literatur. Transdisziplinäre Perspektiven. Berlin 2010, S. 9–63, bes. S. 40–43.
Die Formulierung der Unaussprechlichkeit als Vieldeutigkeit hingegen nimmt ge-
rade den inneren Impuls der permanenten vielstrahligen Bedeutungsbewegung
des Werkes auf und überführt ihn in eine unbegrenzbare Zahl von Interpretatio-
nen. Vgl. Adorno: Ästhetische Theorie (s. Anm. 28), S. 113, und Todorov: Symbol-
theorien (s. Anm. 19), S. 186–195.
Jan Urbich
ins Zeichen zurückbiegen. Die Präsenz des Symbols ist nicht das An- 117
dere zum Zeichen, sondern das Andere am Zeichen: Auch das Sich-
selbst-Bedeuten des Symbols und der Zusammenfall seines Daseins
und Bedeutens funktioniert nur aus dem Mangel heraus, den die Dif-
ferenz des Zeichens überhaupt hinterlässt und in Funktion setzt. Die
Einsicht, dass jeder Grund in der Form der Identität wiederum die
Differenz der Vermittlung in sich trägt,124 zusammen mit der gegen-
sätzlichen Einsicht, dass jede Differenz auf einem vorgängigen Ein-
heitsgrund beruht,125 in welchem ihre Gegensätze vereint sind, als
124 Um 1800 betonen dies vor allem Hölderlin und im Anschluss an ihn natürlich
Hegel. Vgl. Friedrich Hölderlins Differenz von Identität und Einheit (des
»Seyns«); Friedrich Hölderlin: »Urteil und Sein«. In: Ders.: Hyperion. Empe-
dokles. Aufsätze. Übersetzungen. Hg. von Jochen Schmidt. Frankfurt a. M. 1994,
S. 502 f. Hegel polemisiert gleich zu Anfang der Enzyklopädie der philosophischen
Wissenschaften gegen die Vorstellung der »gewaltsame[n] Halbierung« der Iden-
tität, so »als ob die konkrete geistige Einheit in sich bestimmungslos wäre und
nicht selbst den Unterschied in sich enthielte«. (Hegel: Enzyklopädie der philoso-
phischen Wissenschaften I (s. Anm. 80), S. 18 [»Vorrede zur zweiten Ausgabe«])
125 »Wo Subject und Object schlechthin, nicht nur zum Theil vereiniget ist, mithin
so vereiniget, daß gar keine Theilung vorgenommen werden kann, ohne das
Wesen desjenigen, was getrennt werden soll zu verlezen, da und sonst nirgends
kann von einem Seyn schlechthin die Rede seyn«. Hölderlin: »Urteil und Sein«
(s. Anm. 124), S. 503. Besonders Jacobi und Schelling betonen idealistisch die Not-
wendigkeit, einen vor- oder transreflexiven Einheitsgrund des Absoluten anzuneh-
men, der zumeist den Titel des ›Seins‹ trägt – und damit die Verbindung zur
Terminologie des ›Symbols‹ evident macht; vgl. konzis Manfred Frank: Einfüh-
rung in die frühromantische Ästhetik (s. Anm. 76), S. 231 ff. Vgl. v. a. Schellings
Schrift Vom Ich als Princip der Philosophie oder über das Unbedingte im menschli-
chen Wissen (1798), in der Schelling den Gedanken zu durchdenken sucht, dass
die Synthesen und Identitäten des Selbstbewusstseins, wie sie Kant dargelegt hat,
nur durch ihre Ununterschiedenheit in einem ihnen noch vorausgesetzten Ein-
heitsgrund, von dem Kant nur dunkel andeutend sprechen konnte, in ihrer Funk-
tionsweise erklärbar seien. Vgl. Henrichs monumentale Studie: Dieter Henrich:
Der Grund im Bewußtsein. Untersuchungen zu Hölderlins Denken (1794–1795).
Stuttgart 1992. Als Kritik an dieser Auffassung des Hölderlinschen ›Seins‹ als
transreflexiver Grund vgl. Friedrich Strack: »Das Ärgernis des Schönen. Anmer-
kungen zu Dieter Henrichs Hölderlindeutung«. In: DVjs 68 (1994), S. 155–169.
Vor allem bei Fichte findet sich die Reflexion des nicht mehr durch Reflexion er-
reichbaren Grundes im Ich, der als Selbstsetzung des »in sich Zurückkehren als
de[s] ursprünglichsten Act[s] des Subjects« ( Johann Gottlieb Fichte: Versuch einer
neuen Darstellung der Wissenschaftslehre. Hg. von Reinhard Lauth und Hans Gli-
wicky. Stuttgart/Bad Cannstatt 1970, S. 216) erst entsteht, aber noch nicht den
Charakter des ›Begreifens‹ haben kann, weil er der Möglichkeit des Bewusstseins,
d. h. der Subjekt-Objekt-Struktur, als kategorialer Rahmen vielmehr zugrunde
liegt (ebd., S. 214). Selbst der Vollzug der »intellectuelle[n] Anschauung« (ebd.,
S. 216 f.) als Darstellungsvermögen dieser Selbstkonstitution des Ich für sich führt
noch keine Bewusstwerdung und damit Erreichbarkeit des Vollzuges für das Be-
wusstsein im Vollziehen seiner selbst mit sich. Der Philosoph, so Fichte, gelangt
zur »Kenntniß und isolirten Vorstellung« der »intellectuellen Anschauung« auf
anderem Wege – »durch einen Schluß, aus den offenbaren Thatsachen des Be-
wusstseins«; ebd., S. 218. Freilich ist in der Fichte-Forschung die Frage nach dem
angemessenen Verständnis des Grundes des Ich und seines Verhältnisses für das
Ich – zwischen dem Reflexionsmodell und dem Produktionsmodell des Ich, zwi-
schen Bewusstseinsimmanenz und -transzendenz – seit den Arbeiten Dieter Hen-
richs heftig umstritten.
126 Die platonische Idee des Schönen, nach welcher jedes sinnlich-schöne Ding gerade
darin, dass es sich in vollkommener Vollendung (und damit Selbstidentität) zeigt,
zugleich den Abstand zu sich einbekennt, weil es zugleich das Schöne an sich be-
deutet (›Vorschein‹ des Schönen), welches es als materielles nicht sein kann (und
so die Stufenleiter des erotischen Aufstieges zu den Ideen initiiert), findet sich um
1800 bspw. bei Hegel aufgenommen: »Die freie, vollendete Schönheit vermag
sich nicht in der Zustimmung zu einem bestimmten endlichen Dasein zu genügen
[. . .]. Je mehr [. . .] an den Göttergestalten der Ernst und die geistige Freiheit he-
raustritt, desto mehr läßt sich ein Kontrast dieser Hoheit mit der Bestimmtheit
und Körperlichkeit empfinden. Die seligen Götter trauern gleichsam über ihre
Seligkeit und Leiblichkeit ...« (Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesungen über
die Ästhetik II. Frankfurt a. M. 1986, S. 86). Im Sinnlich-Schönen ist eine Sache ganz
bei sich und doch zugleich nur Zeichen dafür, dass die Vollkommenheit, welche in
ihr verwirklicht ist, zugleich sich selbst fehlt, weil sie im Sinnlichen nicht ihre höchste
Potenz haben kann: »An allem, was mit Grund schön genannt wird, wirkt paradox,
daß es erscheint.« (Benjamin: Gesammelte Schriften (s. Anm. 18), Bd. IV.1, S. 116)
127 Vgl. Andreas Kubik: Die Symboltheorie bei Novalis (s. Anm. 5), S. 388 f., der an
Novalis zeigen kann, wie dieser die Philosophie des Selbstbewusstseins aufs engste
mit der Theorie des Zeichens verknüpft. Als brillante Skizze des idealistischen
Selbstbewusstseinsproblems zwischen Einheit des Selbstgefühls und Differenz der
Selbstbeziehung aus der Perspektive der französischen Philosophie seit Descartes
vgl. Bernhard Waldenfels: »Metamorphosen des Cogito«. In: Ders.: Idiome des
Denkens. Frankfurt a. M. 2005, S. 13–32.
Jan Urbich
ung128 gebunden. Schlegels Symbolbegriff macht, indem er die Be- 119
dingungen und Ausschlüsse der symbolischen Leistungen indirekt
offenlegt, den theologischen Symbolbegriff seiner Zeit als geschichts-
philosophisches Vehikel sichtbar: Vertreten ist in ihm die Erinnerung
an eine unendlich verlorene Einheit von Sein und Sinn, die einzig als
Markierung ihres Verlorenseins präsent zu machen ist – oder sogar ein-
zig in dieser Form existieren kann. Denn überall dort, wo die goethe-
zeitlichen Symbolkonzepte ihre absolute ästhetische Integrität von
Dasein und Bedeutungserfüllung postulieren, ist diese stets zugleich
als Dasein entzogen: Sie versperrt sich den Formen endlicher Arti-
kulierbarkeit jenseits ihrer selbst und bleibt ein tautologischer Aus-
druck an der Grenze zwischen höchster Erfüllung und höchster
Leere, weil ihr Sinnversprechen der Logik ihres Mediums endlicher
Verkörperung, mit dem sie doch zur Einheit verschmolzen sein soll,
zugleich widerstrebt. Denn Bedingung und Motor alles endlichen
Daseins ist seine Relationalität: Es entsteht aus Anderem, bringt An-
deres hervor, vergeht für Anderes, bedingt Anderes und wird bedingt
durch Anderes, bedeutet nur in Bezug auf Anderes, versteht sich nur
im Unterschied zu Anderem. Die Verweigerung des Symbols (in der
Extremform seiner Idee129), seine Sein-Sinneinheit anders als in sich
selbst, d. h. in Übertragungen und Reformulierungen durch Anderes
geben zu können, mit dem es in explizierenden Relationen steht und
durch die es eben nicht nur entstellt sondern auch entfaltet wird, un-
130 Adornos Ästhetische Theorie zeigt auf, in welcher Weise Theoriebildung der Kunst
auf grundsätzlicher Ebene die zentripetalen Tendenzen ästhetischer Darstellung
mit zentrifugalen verbunden denken muss, um gerade deren Eigengesetzlichkeit
und Irreduzibilität nicht zu entleeren, sondern sprechend zu machen: »Deshalb
bedarf Kunst der Philosophie, die sie interpretiert, um zu sagen, was sie nicht sagen
kann, während es doch nur von Kunst gesagt werden kann, indem sie es nicht
sagt.« (Adorno: Ästhetische Theorie [s. Anm. 28], S. 113)
131 Hegel: Wissenschaft der Logik I (s. Anm. 80), S. 19 und 21. Vgl. dazu Christian
Iber: Metaphysik absoluter Relationalität. Eine Studie zu den beiden ersten Kapiteln
von Hegels Wesenslogik. Berlin/New York 1990, S. 68–71.
132 Vgl. Giorgio Agambens Denkfigur echter Erinnerung, die der Negativität ihres
Modus’ eingedenk bleiben muss: »Das Verlorene fordert nicht, erinnert und kom-
memoriert zu werden, sondern als Vergessenes in uns und mit uns zu bleiben, als
Verlorenes – und nur deshalb ist es unvergeßlich.« Giorgio Agamben: Die Zeit,
die bleibt. Ein Kommentar zum Römerbrief. Frankfurt a. M. 2006, S. 52.
Jan Urbich
Produktivität und Reflexivität der entworfenen Sinnhorizonte sowie 121
eine Offenheit dialogischen Gesprächs innerhalb dieser und über
diese benötigen eben jene Strukturen der Relationalität und des An-
dersseins, die Schlegel als allegorische Tendenzen in das Feld des Sym-
bolischen eingefügt hat.
Schließlich findet sich in den Diskussionen um den Symbolbegriff
um 1800 und Schlegels impliziter Kritik an diesem ein weiteres Pro-
blem antizipiert, das in der Analytischen Philosophie des 20. Jahr-
hunderts zentrale Bedeutung erlangt hat und gewissermaßen das
sozialontologische Problem der ›zweiten Natur‹ epistemologisch re-
formuliert: die Kritik an einem »Mythos des Gegebenen«. Ausfor-
muliert in Wilfrid Sellars wirkmächtigem Aufsatz Empiricism and
the Philosophy of Mind (1956),133 gilt für diese Kritik die im Logischen
Positivismus bspw. Rudolf Carnaps als letztbegründendes Fundament
133 Wilfrid Sellars: Empiricism and the Philosophy of Mind. Ed. by Robert Brandom.
Harvard 1997 (Empirismus und die Philosophie des Geistes. Hg. von Thomas Blume.
Paderborn 1999). Die Kritik am Prinzip des perzeptiv unmittelbar Gegebenen als epis-
temologische Letztbegründung allen Wissens entspringt im Wiener Kreis und seinen
Ausläufern selbst, bspw. bei Otto Neurath, der darauf hinweist, dass »Aussagen [...]
mit Aussagen verglichen [werden], [...] nicht mit einer ›Welt‹ noch mit sonst was«;
Otto Neurath: »Soziologie im Physikalismus.« In: Erkenntnis 2 (1931) S. 393–431,
hier: S. 403. Diese Betonung der Vorgängigkeit von kultureller Vermittlung als unhin-
tergehbare Bedingung jedes symbolisch gegebenen Gehalts wird dann wirkmächtig von
Ludwig Wittgenstein in den späten Texten in eine Soziologie von »Lebensformen«
als geschichtliche Kollektivbedingungen aller symbolischen Bezüge erweitert (Ludwig
Wittgenstein: Über Gewißheit. Frankfurt a. M. 1970). Die kategoriale, logische wie
ontologische Inkongruenz zwischen dem nicht-epistemischem Empfinden sinnlicher
Gegebenheiten und der epistemischen Form aller Gehalte, d. h. zwischen der Form
des Präsenz- und Einheitserlebnisses und der epistemisch-semantischen Struktur des
Erlebten, die das emphatische Symbol fugenlos verschließen soll, wird vor und nach
Sellars auch von W. V. O. Quine: »Zwei Dogmen des Empirismus«. In: ders.: Von
einem logischen Standpunkt. Neun logisch-philosophische Essays. Frankfurt a. M. u. a.
1979, S. 27–50, Donald Davidson: »Eine Kohärenztheorie der Wahrheit und der
Erkenntnis«. In: Ders.: Subjektiv, Intersubjektiv, Objektiv. Frankfurt a. M. 2004, S. 233–
270, hier: S. 243 ff., und systematisch in der Unterscheidung eines »logischen Raums
der Natur« von einem »logischen Raum der Gründe« bei John McDowell: Geist und
Welt. Frankfurt a. M. 2001, entwickelt. Auch der kritischen kontinentalen Philosophie,
bspw. bei Theodor W. Adorno, ist die Kritik am Mythos des Gegebenen und damit
am ›symbolischen‹ Philosophieren – für Adorno in der Ontologie Heideggers para-
digmatisch vertreten – die Grundlage ihrer Theoriebildung (sehr deutlich in: Theodor
W. Adorno: Ontologie und Dialektik. Hg. v. Rolf Tiedemann. Frankfurt a. M. 2002).
134 Peter Sloterdijk hat ganz analog in seiner Nietzsche-Lektüre (Der Denker auf der
Bühne. Nietzsches Materialismus. Frankfurt a. M. 1986, S. 55 f.) am Beispiel der
Begriffsarchitektur der Geburt der Tragödie nachgewiesen, wie dort der scheinbar
mindestens gleichgewichtige Gegensatz des Apollinischen und Dionysischen, der
als moderne Aktualisierung des Verhältnisses des Symbolischen und des Allegori-
schen verstanden werden kann, nicht wie oft gedeutet unter der Herrschaft des
entgrenzenden Dionysischen, sondern im Gegenteil quasi-symbolisch durch das
Apollinische beherrscht und geschlossen wird.
135 Vgl. dazu die umfangreichen Literaturhinweise bei Urbich: Darstellung bei Walter
Benjamin (s. Anm. 18), S. 291–293. Neuerdings beinahe schon summarisch: Hans
Ulrich Gumbrecht: Präsenz. Frankfurt a. M. 2012.
136 Vgl. kritisch dazu vom Standpunkt der Kunstphilosophie Martin Seel: Ȁsthetik
und Hermeneutik. Gegen eine voreilige Verabschiedung«. In: Ders.: Die Macht
des Erscheinens (s. Anm. 123), S. 27–39.
Jan Urbich
kann an Schlegels Symbolbegriff (ohne den systematischen Aufwand 123
Hegels) gelernt werden, wie jedes vermeintlich selbstgenügsame Er-
lebnis von Gegenwärtigkeit wiederum bedingt ist durch Codes von
Erfahrungen, Kontexte kultureller Wirklichkeitsmuster und konsti-
tutive Bedeutsamkeitsweisen von Unmittelbarkeit. Ont(olog)ische
wie epistem(olog)ische Präsenzhoffnungen, wie sie um 1800 im Sym-
bol, im 20. Jahrhundert unter dem Vorwand des »Mythos des Gege-
benen« und heute im Zeichen des Körpers und des emphatischen
Augenblicks wiederum verkörpert sich finden, auf den Grund in ihrem
Anderen zu befragen, ihre permanente Übergängigkeit in diesen her-
vorzuheben, ohne damit den Charakter der Gegenwärtigkeit als Erleb-
nishorizont herabzuwürdigen oder gar abstreitig machen zu wollen,
macht das innovative Moment in Schlegels Symbolbegriff bis heute
aus.