Schema I (Verfassungsbeschwerde)
Schema I (Verfassungsbeschwerde)
Schema I (Verfassungsbeschwerde)
Rechtswissenschaftliche Fakultät
Großer Examenskurs
SS 2018 – WS 2018/19
Für Rückfragen: [email protected]
PRÜFUNGSSCHEMA I: VERFASSUNGSBESCHWERDE
Literatur: Sachs, Verfassungsprozessrecht, 4. Aufl. 2016, Rn. 505 ff.; Hillgruber/Goos, Verfassungsprozessrecht,
4. Aufl. 2015, Rn. 72 ff.; vgl. auch die Schemata bei Kingreen/Poscher, Staatsrecht II. Grundrechte, 33. Aufl. 2017,
Rn. 1290 ff.; Manssen, Staatsrecht II. Grundrechte, 15. Aufl. 2018, Rn. 883 ff.; R. Schmidt, Grundrechte, 23. Aufl.
2018, Rn. 1019 ff.
Vorbemerkung: Wie bei jedem Prüfungsschema sind schriftliche Ausführungen nicht zu allen
Punkten des Schemas erforderlich. Sie sollten alle Gliederungspunkte gedanklich durchgehen.
Schreiben dürfen (!) Sie nur etwas zu problematischen Punkten des Schemas. Zur Zulässigkeit
sollten Sie immer, wenn unproblematisch in aller Kürze, etwas zu den Punkten 1., 3., 4., 5. und
7. sagen.1
1. Zuständigkeit des BVerfG: Für die Individualverfassungsbeschwerde gem. Art. 93 Abs. 1 Nr.
4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG (im Unterschied zur Kommunalverfassungsbe-
schwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG).
2. Ordnungsgemäßer Antrag
Anmerkung: Der häufig gebrauchte Ausdruck "Beteiligtenfähigkeit" entstammt dem Verwaltungsprozess, vgl. § 61
VwGO, und sollte im Verfassungsprozess nicht benutzt werden. Anders als im Verwaltungsprozess hat die Rechts-
form des Beschwerdeführers für die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde nur noch indizielle Bedeutung; auch
Körperschaften des öffentlichen Rechts können Beschwerdeführer sein, dazu unten.
aa) Natürliche Personen: Deutsche immer, Ausländer und Staatenlose bei Berufung auf Men-
schenrechte.
- Inländische juristische Personen des Privatrechts sind grundrechtsfähig nach Maßgabe des
Art. 19 Abs. 3 GG.
- Juristische Personen mit Sitz im EU-Ausland können sich nach Ansicht des Bundesverfas-
sungsgerichts aber trotz des Merkmals „inländische“ in Art. 19 III GG auf Grundrechte des GG
berufen; die Erstreckung der Grundrechtsberechtigung auf juristische Personen aus anderen EU-
Mitgliedstaaten sei auf Grund des Anwendungsvorrangs der Grundfreiheiten im Binnenmarkt (Art.
26 II AEUV) und auf Grund des allgemeinen Diskriminierungsverbots des Art. 18 AEUV geboten. 2
- Ausländische juristische Personen aus Drittstaaten sind nicht Träger der Grundrechte Art. 1 -
17 GG.
- Juristische Personen des öffentlichen Rechts sind grundsätzlich nicht grundrechtsfähig, Aus-
nahmen:
(1) Kirchen (Körperschaft d.ö.R. nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 Satz 1 WRV) üben
keine staatl. Funktionen aus, gehören vielmehr dem gesellschaftlichen Leben an (nicht dem
Staat, vgl. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 1 WRV).
(2) Jur. Personen d.ö.R., die "unmittelbar einem durch bestimmte Grundrechte geschützten Le-
bensbereich zugeordnet sind",3 z.B. Universitäten, Fakultäten, Rundfunkanstalten.
(3) Jur. Personen d.ö.R., die nicht die Funktion staatlicher Verwaltung bei der Wahrnehmung
gesetzlich zugewiesener und geregelter öffentlicher Aufgaben erfüllen, sondern als Interessen-
vertretung tätig werden, z.B. Innungen der Orthopädietechniker, deren Aufgabe darin besteht,
im Interesse der „hinter“ dem Zusammenschluss stehenden Menschen Verträge abzuschließen 4
(zu den Innungen vgl. §§ 52 ff. HandwO – Sartorius I Nr. 815).
Beachte: Nicht grundrechtsfähig sind nach BVerfG die Gemeinden, weil keine "grundrechtstypische Gefährdungs-
lage" bestehe, BVerfGE 61, 82, 103 ff. - "Sasbach" (betr. Art. 14 Abs. 1 GG). Die Rspr. des BVerfG zur Grund-
rechtsberechtigung jur. Personen des öff. Rechts ist sehr umstr.5
Die Verfahrensgarantien aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (Garantie des gesetzlichen Richters)
und Art. 103 Abs. 1 GG (rechtliches Gehör) sollen auch nach BVerfG juristischen Personen des
öff. Rechts zustehen.6
2 BVerfGE 129, 78 [94 ff.]); ferner Windthorst, in Gröpl/Windthorst/von Coelln, Studienkommentar GG, 2. Aufl. 2015, Art. 19
Rn. 61 ff.
3 BVerfGE 61, 82 (102) m.w.N-
4 So BVerfGE 70, 1 (20).
5 Näher Kingreen/Poscher, a.a.O., Rn. 176 ff. m.w.N.
6 BVerfG NVwZ 2015, 510; näher Kingreen/Poscher, Rn. 217).
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Nicht grundrechtsfähig war danach z.B. die "Aktionseinheit gegen den Nato-Nachrüstungsbe-
schluss",7 wohl aber OHG, KG, GbR, politische Parteien.
b) Akte der vollziehenden Gewalt: alle Exekutivakte (außer justizfreie Hoheitsakte), insbeson-
dere auch solche mittelbarer Staatsverwaltung der vom Staat rechtlich selbstständigen Körper-
schaften, z.B. Gemeinden, Universitäten, selbst bei privatrechtlicher Handlungs- oder Organisa-
tionsform ("Verwaltungsprivatrecht").
Beachte: Ist der gerichtliche Instanzenzug durchlaufen, kommen als Angriffsgegenstand in Betracht:
- der ursprüngliche Hoheitsakt (z.B. VA),- die Entscheidungen aller Instanzen (soweit den Bf. belastend),
- die Entscheidungen aller Instanzen (soweit Bf. belastend).
Das BVerfG lässt dem Bf. die Wahl. ob er nur gegen die letzte Instanz vorgehen
oder auch die unteren Instanzen bzw. den vorangegangenen Exekutivakt einbeziehen will. Er
kann sich nicht auf die erstinstanzliche Entscheidung oder den Exekutivakt beschränken.
Beachte auch: Die Nachprüfung von Gerichtsurteilen durch das BVerfG ist beschränkt, keine „Superrevision“, vgl.
unten 6.)
5. Beschwerdebefugnis:
a) Behauptung des Bf., in einem seiner Grundrechte oder grundrechtsähnlichen Rechte betrof-
fen zu sein (§ 90 Abs. 1 BVerfGG). Die Verletzung muss möglich erscheinen. Wichtig für Klau-
sur und Hausarbeit: Bereits hier muss jedes Grundrecht genannt werden, das in der Begründet-
heit der Vb. geprüft wird. Unzulässigkeit der Vb. ergibt sich bereits hier, wenn der Schutzbereich
des geltend gemachten Grundrechts offensichtlich nicht betroffen ist (selten!). Regelmäßig be-
steht die Möglichkeit der Grundrechtsverletzung, wenn die im Folgenden unter b) - e) genann-
ten Voraussetzungen erfüllt sind.
Beschwerdebefugnis behandeln.
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b) Rechtsrelevanz des angegriffenen Aktes: Der Akt enthält eine materielle Entscheidung und
entfaltet unmittelbare Außenwirkung, nicht z.B. Mitteilung über den Stand der Dinge.
c) Selbstbetroffenheit des Bf.: der Bf., nicht nur jemand anders ist betroffen. Wirtschaftliche oder
nur mittelbare Berührung reicht nicht. (Zur Abgrenzung: Bei der Antragsberechtigung geht es
darum, ob dem Bf. das Recht in abstracto zustehen kann, bei der Prozessführungsbefugnis da-
rum, ob es ihm in concreto zusteht. Selbstbetroffen ist er dagegen erst dann, wenn er auch
selbst beeinträchtigt ist.)
d) Gegenwärtige Betroffenheit des Bf.: Bf. ist aktuell – d.h. schon und noch – betroffen.
Sonderfälle:
- "Schon-Betroffenheit" bei künftigen Beeinträchtigungen (wenn Abwarten unzumutbar);
- "Noch-Betroffenheit" reicht aus, wenn der Bf. ein spezielles Interesse an der Feststellung der
seinerzeitigen Grundrechtswidrigkeit hat (z.B. Wiederholungsgefahr).
Faustregelartig kann für d) und e) gefragt werden, ob ein Verzicht auf die Vb. zum gegenwärti-
gen Zeitpunkt zumutbar ist.
Zur Abgrenzung: Bei der Selbstbetroffenheit geht es um die Frage, ob unmittelbar der Bf. (oder ein anderer) be-
troffen ist; bei der Unmittelbarkeit darum, ob der Akt selbst (oder ein anderer) den Bf. betrifft. Dort geht es um den
Beeinträchtigten, hier um die Beeinträchtigung.
6. Beschwerdegrundlage:
a) Grundrechte oder grundrechtsähnliche Rechte gem. der Aufzählung in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a
GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG.
Aber Beschwerdemaßstab muss ein Grundrecht bleiben, das allerdings dadurch verletzt sein
kann, dass anderes Verfassungsrecht verletzt wird. Alle Grundrechtseinschränkungen müssen
verfassungsmäßig sein, grundlegend – mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 GG - BVerfGE 6, 32 - "Elfes".
Das BVerfG prüft in jedem Falle nur, ob spezifisches Verfassungsrecht verletzt ist. Es ist keine
„Superrevisionsinstanz“.
Wichtige Ausnahmen: schwerer und unabwendbarer Nachteil für Bf. (§ 90 Abs. 2 Satz 2 BVer-
fGG), gefestigte höchstrichterliche Rspr. Zu beachten ist, dass gegen formelle Gesetze kein
Rechtsweg offensteht, arg. e § 93 III BVerfGG.
Sie ist (nach BVerfG) neben der Erschöpfung des Rechtswegs als eigenständige Sachentschei-
dungsvoraussetzung zu beachten. Der Bf. muss neben der Erschöpfung des Rechtswegs i.e.S.
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alles tun, um eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu erwirken oder
eine solche von vornherein zu verhindern. Wichtige Fälle:
- kein Rechtsweg eröffnet: Bf. muss im Einzelfall den Vollzug des angegriffenen Gesetzes ab-
warten;
- Rechtsweg erschöpft: Bf. muss im Einzelfall weitere zumutbare Gegenmaßnahmen ergreifen
(z.B. formlose Rechtsbehelfe).
Sowohl die Erschöpfung des Rechtswegs als auch die Subsidiarität der Vb. stehen allerdings
unter dem Vorbehalt, dass es dem Bf. zumutbar ist, (i.S. der Subsidiarität) alles zu tun, um gegen
die Grundrechtsverletzung vorzugehen bzw. (i.S. der Rechtswegerschöpfung) den Rechtsweg
erschöpfend zu beschreiten. Eine anschauliche Zusammenfassung der bisherigen Rspr. Zur Sub-
sidiarität der Verfassungsbeschwerde findet sich in einer jüngeren Entscheidung des BVerfG:
„Der in § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zum Ausdruck kommende Grundsatz der Subsidiarität erfordert, dass ein Be-
schwerdeführer vor Erhebung einer Verfassungsbeschwerde alle zur Verfügung stehenden prozessualen Möglich-
keiten ergreift, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erwirken oder eine Grundrechts-
verletzung zu verhindern (…). Daher ist eine Verfassungsbeschwerde unzulässig, wenn in zumutbarer Weise
Rechtsschutz durch die Anrufung der Fachgerichte erlangt werden kann (…).
Die Pflicht zur Anrufung der Fachgerichte besteht ausnahmsweise dann nicht, wenn die angegriffene Regelung die
Beschwerdeführenden zu Dispositionen zwingt, die später nicht mehr korrigiert werden können (…), oder wenn die
Anrufung der Fachgerichte nicht zumutbar ist, etwa weil sie offensichtlich sinn- und aussichtslos wäre (…). Sie be-
steht ferner nicht, wenn ein Sachverhalt allein spezifisch verfassungsrechtliche Fragen aufwirft, die das Bundesver-
fassungsgericht letztlich zu beantworten hat, ohne dass von einer vorausgegangenen fachgerichtlichen Prüfung ver-
besserte Entscheidungsgrundlagen zu erwarten wären (…). Außerdem verlangt der Grundsatz der Subsidiarität
nicht, dass Betroffene vor Erhebung einer Verfassungsbeschwerde gegen eine straf- oder bußgeldbewehrte Rechts-
norm verstoßen und sich dem Risiko einer entsprechenden Ahndung aussetzen müssen, um dann im Straf- oder
Bußgeldverfahren die Verfassungswidrigkeit der Norm geltend machen zu können (…).“ 10
Gegen ein Gesetz sind innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten dieses Gesetzes zu erheben
(§ 93 Abs. 3 BVerfGG).
Insbesondere stellt sich die Frage nach der Erforderlichkeit der Vb. (z.B. bei Wiederholungsge-
fahr nach bereits erledigtem Eingriff12).
11. Annahme durch die Kammer und den Senat, §§ 93a ff. BVerfGG.
10 BVerfG NJW 2017, 147 (Rn. 9 f.), betr. eine also nicht examensrelevante Problematik aus dem Urheberrecht.
11 Dazu unlängst: BVerfG, NJW 2016, 3230.
12 Vgl. BVerfGE 81, 138; auch oben 5 d.
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II. Begründetheit der Verfassungsbeschwerde bei Freiheitsrechten:
Anmerkung: Das Schema weist, wie alle anderen Prüfungsschemata auch, nicht für alle denkbaren Fälle den rich-
tigen Lösungsweg. Halten Sie sich daher nicht an das Prüfungsschema, wenn Ihnen wegen der Besonderheiten
des Falles ein abweichender Aufbau sachgerecht erscheint. Das Schema kann zudem nicht alle Probleme, die bei
einer Grundrechtsprüfung auftreten können, erfassen.
Auch ist zu beachten, dass wohl kein Übungs- oder Examensfall gestellt wird, zu dessen Lösung alle Punkte des
Schemas angesprochen werden müssen. Grundsätzlich sollten Sie nur zu problematischen Fragen schriftliche
Ausführungen machen. Das entbindet Sie natürlich nicht davon, das Schema in Gedanken möglichst vollständig
durchzugehen; auf diese Weise können Sie erkennen, an welcher Stelle des Gutachtens die Probleme des Falles
zu erörtern sind.
Obersatz: "Die Verfassungsbeschwerde ist begründet, wenn ein dem A zustehendes Grund-
recht oder grundrechtsähnliches Recht verletzt ist, Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG."
Vorbem.: Sie müssen sich zunächst Klarheit über die Reihenfolge verschaffen, in der Sie mehrere in Betracht kom-
mende Grundrechte prüfen wollen. Sie ergibt sich zunächst daraus, welches Grundrecht das sachnächste ist, fer-
ner aus den Grundrechtskonkurrenzen (z.B. Subsidiarität des Art. 2 Abs. 1 GG; Spezialität des Art. 6 Abs. 5 GG im
Verhältnis zu Art. 3 Abs. 1 GG) und aus der Trennung von Freiheits- und Gleichheitsrechten (insoweit sollten Grup-
pen gebildet werden). Nachdem Sie die Reihenfolge festgelegt haben, können die einzelnen Grundrechte nach
den folgenden Vorschlägen durchgeprüft werden.
1. Schutzbereich betroffen?
Bei juristischen Personen ist hier die an Art. 19 Abs. 3 GG orientierte konkrete Prüfung vorzu-
nehmen (vgl. Schema zur Zulässigkeit unter 3 a bb). Juristische Personen können sich nur auf
Grundrechte berufen, die "ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind".13 Nicht auf juristische
Personen anwendbar sind Grundrechte, die an das „Menschsein“ des Individuums anknüpfen.
Dazu zählen beispielsweise die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), die Grundrechte auf Ehe und Familie (Art. 6
Abs. 1 GG) sowie zur Pflege und Erziehung (Art. 6 Abs. 2 GG), das Recht auf Leben und körperliche Unversehrt-
heit, die Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und 2 GG) sowie die Gewissensfreiheit (Art. 4 GG).
bb) Grundrechtsmündigkeit (bei Minderjährigen) nach wohl derzeit h.L. hier – im Bereich der
Sachprüfung – bedeutungslos.14
b) Sachlicher Schutzbereich
Beispiele: Handelt es sich um eine Versammlung i.S.d. Art. 8 GG, um eine Vereinigung i.S.d. Art. 9 Abs. 1 GG,
um einen Beruf i.S.d. Art. 12 Abs. 1 GG? Ist die Freizügigkeit i.S.d. Art. 11 GG betroffen? Handelt es sich bei dem
Geschäftslokal des A um eine Wohnung i.S.d. Art. 13 Abs. 1 GG?
An dieser Stelle der Prüfung ist auch danach zu fragen, ob ein Tatbestandsmerkmal des Grund-
rechtstextes einschränkend auszulegen ist.
13 Vgl. hierzu BVerfGE 61, 82 (101): "Durchblick auf die hinter den juristischen Personen stehenden Menschen".
14 Vgl. Manssen, a.a.O., Rn. 70.
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Beispiele: Offensichtlich sozialschädliche Tätigkeiten, z.B. Rauschgifthändler, Berufskiller, fallen nicht unter den
Schutzbereich der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG. Die öffentlich-rechtliche Vereinigung unterfällt nicht dem
Schutz der Vereinigungsfreiheit des Art. 9 Abs. 1 GG (str.).
Beispiele: "friedlich und ohne Waffen" (Art. 8 Abs. 1 GG), "im ganzen Bundesgebiet" (Art. 11 Abs. 1 GG)
Häufig bedarf die Frage, ob ein Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts vorliegt, keiner –
näheren – Ausführungen. Im Einzelfall kann aber fraglich sein, ob durch ein bestimmtes staatli-
ches Handeln (oder auf andere Weise) in den Schutzbereich des zu prüfenden Grundrechts (o-
der nur der eines anderen) eingegriffen (oder ob er nur unerheblich berührt) wird. Die Frage,
wann ein Grundrechtseingriff vorliegt, ist nach wie vor nicht abschließend geklärt. Faustregelar-
tig gilt, dass ein Eingriff das grundrechtlich geschützte Verhalten erschwert oder unmöglich
macht. Im Einzelnen gilt für manche Grundrechte Besonderes (nach der Rspr. z.B. für Art. 12
Abs. 1 GG: "berufsregelnde Tendenz").15
a) Gesetzliche Grundlage
Damit ein Grundrechtseingriff gerechtfertigt sein kann, muss er auf einer gesetzlichen Grund-
lage beruhen. Nach der sog. Wesentlichkeitstheorie muss der Gesetzgeber alle wesentlichen
Entscheidungen selbst treffen, wobei Fragen der Grundrechtsverwirklichung stets wesentlich
sind. Daher bedarf jeder Eingriff in grundrechtliche Freiheiten einer gesetzlichen Grundlage.
Darüber hinaus ergibt sich die Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage für die Grundrechte
mit Gesetzesvorbehalt (siehe hierzu unter b) schon daraus, dass diese Grundrechte selbst aus-
drücklich ein Gesetz verlangen, um eingeschränkt werden zu können. Aber auch Eingriffe in
Grundrechte ohne Gesetzesvorbehalt bedürfen zur ihrer Rechtfertigung einer gesetzlichen
Grundlage.16
aa) Feststellen, dass das Grundrecht durch Gesetz oder aufgrund Gesetzes einschränkbar ist!
15 Zum Grundrechtseingriff: Kingreen/Poscher, Rn. 264 ff.; Skript Staatsrecht II: Allgemeine Grundrechtslehren.
16 Vgl. etwa BVerfGE 108, 282 (296).
17 Zu Modifikationen: Kingreen/Poscher, Rn. 1340 ff.
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cc) Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes
(2) Sonstige verfassungsrechtliche Anforderungen an das Gesetz: Das Gesetz muss in jeder
Hinsicht verfassungsgemäß sein (Gedanke aus BVerfGE 6, 32 - "Elfes", der inzwischen auch
für andere Grundrechte als Art. 2 Abs. 1 GG gilt).
Schranken des Grundrechts ergeben sich aus Grundrechten Dritter und anderen mit Verfas-
sungsrang ausgestatteten Rechtswerten (zur Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage für
den Grundrechtseingriff bereits oben a).
(1) Wenn ein kollidierendes Grundrecht in Betracht kommt: Prüfung, ob das Verhalten des Bf.
den Schutzbereich des Grundrechts verkürzt und ob der Dritte sich mit Erfolg auf dieses Grund-
recht berufen kann.
(a) Prüfung, ob das hoheitliche Handeln diesem Verfassungswert dient (z.B.: Einschränkung
der Verbreitung rassistischer oder pornographischer Kunstwerke zugunsten des Jugendschut-
zes)
(b) Prüfung, ob die Voraussetzungen einfachgesetzlicher Vorschriften, die dem Schutz des be-
treffenden Verfassungswertes dienen, erfüllt sind. Zur Rechtsfolge, wenn die Voraussetzungen
des einschränkenden Gesetzes nicht erfüllt sind, vgl. oben S. 8 b) bb).
(c) Prüfung, ob die einfach-gesetzlichen Vorschriften in jeder (formeller und materieller) Hin-
sicht, also auch z.B. hinsichtlich der Gesetzgebungskompetenz, verfassungsmäßig sind. Die
gesetzliche Regelung muss dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen. Die Verfas-
sungswidrigkeit des Gesetzes kann sich zudem gerade daraus ergeben, dass dem Grundrecht
des Bf. nicht hinreichend Rechnung getragen wurde (u.U. verfassungskonforme Auslegung
möglich)