Arbeit Über Nähe+Distanz

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Verhaltenskodex Nähe und Distanz

Konzeptarbeit zum Umgang mit Nähe und Distanz


in Risikosituationen

Agogis Studiengang Sozialpädagogik


Diplomarbeit verfasst von
Titia Schutter
OA 19.2
Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung .......................................................................................................................... 5

1.1 Ausgangslage: institutioneller Kontext und persönliche Kompetenzbereiche ............ 5

1.2 Themenwahl, Begründung und Zielsetzung ................................................................ 6

1.3 Methodisches Vorgehen und geplante Kooperationen ................................................ 7

1.4 Übersicht zur schriftlichen Dokumentation ................................................................. 8

1.5 Einhaltung des Datenschutzes ..................................................................................... 9

1.6 Gendergerechte Schreibweise ...................................................................................... 9

2. Hauptteil .......................................................................................................................... 10

2.1 Phase I: Start .............................................................................................................. 10

2.1.1 Konzeptantrag ..................................................................................................... 10

2.1.2 Konzeptleitung und -organisation /Kick-off Moment......................................... 11

2.1.3 Erfolgsfaktoren .................................................................................................... 12

2.1.4 Stakeholder-Analyse ........................................................................................... 12

2.2 Phase II: Hauptstudie ................................................................................................. 16

2.2.1 Ausgangslage und defizitärer Zustand ................................................................ 16

2.2.2 Rahmenbedingungen und Vorgaben ................................................................... 18

2.2.3 Zielsetzung .......................................................................................................... 20

2.2.4 Konzeptorganisation............................................................................................ 22

2.2.5 Konzeptstrukturplan ............................................................................................ 22

2.2.6 Zeitplan und Meilensteine ................................................................................... 25

2.2.7 Kommunikation nach innen und aussen.............................................................. 27

2.2.8 Risiken................................................................................................................. 28

2.3 Phase III: Detailplanung ............................................................................................ 31

2.3.1 Aufgaben- und Ressourcenplanung .................................................................... 31

2.4 Phase IV: Ausführung ................................................................................................ 33

2.4.1 A-Teil: inhaltliche Überlegungen........................................................................ 33

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2.4.1.1 Begrifflichkeiten des Konzepts ........................................................................ 33

2.4.1.2 Integritätsverletzungen bei Menschen mit einer Beeinträchtigung .................. 35

2.4.1.3 Die vier Grundbedürfnisse nach Grawe ........................................................... 37

2.4.1.4 Empowerment und Partizipation ...................................................................... 39

2.4.2 B-Teil: Konzeptionelle Überlegungen ................................................................ 40

2.4.2.1 Bedingungsanalyse ........................................................................................... 41

2.4.2.2 Ziele.................................................................................................................. 49

2.5 Phase V: Einführung .................................................................................................. 52

2.5.1 C-Teil: Überlegungen zur Auswertung/Selbstevaluation ................................... 52

2.5.2 Implementierung ................................................................................................. 55

2.6 Phase VI: Abschluss .................................................................................................. 56

2.6.1 Evaluation............................................................................................................ 56

2.6.2 Abschluss ............................................................................................................ 58

3. Schlussteil ........................................................................................................................ 59

3.1 Reflexion zur Planung der Konzeptarbeit .................................................................. 59

3.2 Reflexion zur Durchführung der Konzeptarbeit ........................................................ 61

4. Quellenverzeichnis .......................................................................................................... 64

4.1. Literatur- und Internetverzeichnis ............................................................................ 64

4.1.1 Literaturverzeichnis ............................................................................................. 64

4.1.2 Internetverzeichnis .............................................................................................. 65

4.2 Abbildungs-, Tabellen- und Abkürzungsverzeichnis ................................................ 65

4.2.1 Abbildungsverzeichnis ........................................................................................ 65

4.2.2 Tabellenverzeichnis ............................................................................................. 65

4.2.3 Abkürzungsverzeichnis ....................................................................................... 66

5. Anhang ............................................................................................................................ 67

5.1 Konzeptantrag ............................................................................................................ 67

5.2 Erfassung IST- und SOLL-Zustand ........................................................................... 69

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5.3 Fragebogen Institutionen ........................................................................................... 73

5.4 Fragebogen Mitarbeitende ......................................................................................... 75

5.5 Fragebogen Bewohnende ........................................................................................... 83

5.6 Zwischenevaluation ................................................................................................... 87

5.7 Verhaltenskodex Nähe und Distanz ........................................................................... 90

5.8 Deklaration Urheberschaft ......................................................................................... 98

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1. Einleitung

Die vorliegende praxis- respektive projektorientierte Diplomarbeit (PPD) befasst sich mit
dem Thema Nähe und Distanz in Betreuungssituationen in einer Institution mit Betreuungs-
und Beschäftigungsauftrag im Bereich Erwachsene mit einer kognitiven, psychischen und
körperlichen Beeinträchtigung. In einer Konzeptarbeit wird der Umgang mit Nähe und
Distanz in Betreuungssituationen in Form eines handlungsleitenden Verhaltenskodexes
konzeptualisiert. Die Konzeptarbeit wird in den sozialpädagogischen Kontext eingebettet
und mittels handlungsleitender sozialpädagogischer Konzepte und relevanter
Theoriebezüge fachlich und methodisch gestützt. Zur Eingrenzung der Konzeptarbeit richtet
sich der Fokus auf den Umgang mit Nähe und Distanz in Risikosituationen. Als
Risikosituationen werden hierbei Situationen verstanden, in welchen die Gefahr für
mögliche Grenzverletzungen im Bereich Nähe und Distanz aufgrund struktureller und
personeller Rahmenbedingungen besonders hoch ist.
Die Konzepterarbeitung wird durch ein humanistisch geprägtes Menschenverständnis
gestützt, nach welchem Menschen als ganzheitliche, eigenständige und entwicklungsfähige
Individuen verstanden werden. Zudem stützt sich die Konzeptarbeit auf die Annahme,
wonach Menschen mit einer Beeinträchtigung aufgrund ihrer erhöhten Vulnerabilität
besonderen Schutz vor Grenzverletzungen bedürfen. Dieser Verhaltenskodex dient somit als
institutionsinternes Instrument zum Schutze von Menschen mit einer Beeinträchtigung, wie
dies im Rahmen der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) sowie der Charta
Prävention auf gesellschaftspolitischer Ebene gefordert wird.

1.1 Ausgangslage: institutioneller Kontext und persönliche Kompetenzbereiche


Die Institution, für welche das Konzept erarbeitet wird, bietet kleinere, individuell geprägte
Wohneinheiten für erwachsene Menschen mit einer Beeinträchtigung an zwei Standorten
an. Eine der Wohneinheiten wurde für Bewohnende konzipiert, denen es möglich ist,
selbständiger als in den anderen Wohnangeboten zu leben. Verschiedene interne
Beschäftigungsmöglichkeiten sowie Projekte ergänzen das Angebot der Institution.
Anliegen der Institution ist es, durch sinnvolle Beschäftigungsangebote und auf die
Bedürfnisse der Bewohnenden zugeschnittene Begleitangebote einen gegenseitigen
Entwicklungsprozess von Bewohnenden und Mitarbeitenden zu ermöglichen. Die Erhaltung
und Entwicklung von Lebensqualität stehen dabei im Zentrum der Arbeit. Die Institution
bietet insgesamt 13 Plätze für Bewohnende an und beschäftigt 20 Mitarbeitende, welche
grösstenteils gruppenübergreifend arbeiten. Es wird eine Organisationskultur gelebt und

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gepflegt, welche eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit allen Beteiligten ermöglicht.
Zudem bestehen flache strukturelle Hierarchien und die Kommunikation kann aufgrund der
Institutionsgrösse sowohl für Bewohnende als auch für Mitarbeitende jederzeit im formellen
als auch im informellen Rahmen sichergestellt werden. Die Sitzungen in den einzelnen
Wohngruppen finden gemeinsam mit Bewohnenden und Mitarbeitenden statt. Sitzungen, an
welchen allein Mitarbeitende teilnehmen, finden nur dann statt, wenn es die Situation oder
das Fallthema zum Schutze von Betroffenen zwingend verlangt.
Als langjährige Mitarbeitende und Teil der agogischen Fachleitung umfassen meine
Kompetenzbereiche die Begleitung der Bewohnenden in allen drei Wohngruppen und in
verschiedenen Beschäftigungssituationen. Ebenfalls kommt mir die Aufgabe der
Bezugspersonenarbeit von zwei Bewohnenden und die Begleitung von interdisziplinären
Kooperationen zur Betreuung von Bewohnenden mit herausfordernden Verhaltensweisen
zu. Ebenfalls bin ich als Mitverantwortliche der internen Präventions- und Meldestelle
interne Vertrauensperson für Bewohnende und Mitarbeitende für physische, psychische und
sexualisierte Gewalt und Grenzverletzungen.

1.2 Themenwahl, Begründung und Zielsetzung


Als Ergänzung zu den bestehenden Konzepten der Institution zum Umgang mit Gewalt,
Missbrauch und sexuellen Übergriffen sowie dem Sexualkonzept wird von der Fachstelle
Prävention des Verbandes, welchem die Institution angeschlossen ist, die Erarbeitung eines
Verhaltenskodexes Nähe und Distanz empfohlen.
Mit der Erarbeitung des Verhaltenskodexes kommt die Institution der Empfehlung der
externen Präventionsstelle nach und schafft dadurch die Grundlage für eine Kultur der
Transparenz und Besprechbarkeit von Risikosituationen zum Schutze von Bewohnenden
vor Grenzverletzungen im Bereich Nähe und Distanz. Der Verhaltenskodex Nähe und
Distanz dient im Sinne des handlungsleitenden Ansatzes des Empowerments als
Präventionsinstrument, indem Bewohnende und Mitarbeitende dazu angeregt und
ermächtigt werden, Bedürfnisse und Gefühle wahrzunehmen und zu benennen und bei
Grenzverletzungen gemäss den konzeptualisierten Handlungsempfehlungen reagieren zu
können. Zudem wird die Institution durch den Verhaltenskodex Nähe und Distanz und einer
Kultur der Transparenz und Besprechbarkeit für potenzielle Täterinnen und Täter als
Arbeitsplatz unattraktiver.
Als Mitverantwortliche der internen Präventions- und Meldestelle kommt mir die Aufgabe
zu, diesen Verhaltenskodex partizipativ mit Mitarbeitenden und Bewohnenden unter

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Einbezug von weiteren Fachpersonen zu erarbeiten sowie die Arbeit mit dem Instrument,
als Grundlage zur Besprechung und Klärung von Irritationen oder korrigierbarem
Fehlverhalten im Bereich Nähe und Distanz, im Alltag längerfristig sicherzustellen.
Aufgrund meiner Rolle als Vertrauensperson der internen Präventions- und Meldestelle bin
ich regelmässig mit Fragen und Unsicherheiten von Bewohnenden und Mitarbeitenden zum
Umgang mit Nähe und Distanz konfrontiert, was mein persönliches Interesse an dieser
Themenstellung verstärkt. Zudem ist es mir ein Anliegen, den Umgang mit Nähe und
Distanz differenziert gestalten und begleiten zu können, also nebst konzeptionell
festgesetzten Handlungsrichtlinien auch die Grundlage für die Sensibilisierung und
Ermächtigung von Bewohnenden und Mitarbeitenden für das individuelle Wahrnehmen und
Bewerten von Grenzverletzungen zu schaffen. Dieses persönliche Anliegen gründet in
meiner Überzeugung, dass ein sozialpädagogischer Begleitprozess sich immer im
Spannungsfeld von Nähe und Distanz bewegen muss und die Professionalität darin besteht,
mit diesem Spannungsfeld differenziert und reflektiert, das heisst dem Kontext, den
Bedürfnissen und den Ressourcen der einzelnen Bewohnenden und Mitarbeitenden
entsprechend, umzugehen und mögliche Grenzverletzungen frühzeitig zu erkennen und zu
thematisieren.
Die übergeordneten Ziele, welche ich mit der Konzeptarbeit verfolge und erwirken möchte,
lauten demnach wie folgt:

• Der Verhaltenskodex Nähe-Distanz ist partizipativ erarbeitet und als längerfristiges


Präventionsinstrument bereit zur Implementierung.
• Die Grundlage für eine Kultur der Transparenz und Besprechbarkeit und einer
Sensibilisierung von Mitarbeitenden und Bewohnenden für Grenzverletzungen in
Risikosituationen im Bereich Nähe und Distanz ist geschaffen.
• Der Verhaltenskodex ist unter Einbezug von externen Fachpersonen erarbeitet und
eine längerfristige Vernetzung der internen Präventions- und Meldestelle ist
initiiert.

1.3 Methodisches Vorgehen und geplante Kooperationen


Die Konzeptarbeit orientiert sich an dem methodischen Vorgehen des Projektmanagements
nach Hans Peter Gächter. Dieses methodische Vorgehen wird durch die Methodik zur
Konzepterarbeitung nach Johannes Schilling ergänzt. Das methodische Vorgehen nach
Gächter dient der Strukturierung der Konzeptarbeit und wird wo nötig zielführend auf die

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Konzeptarbeit adaptiert. Zudem wird die Konzeptarbeit auf zwei Ebenen erarbeitet,
einerseits auf der Ebene der praktischen Erarbeitung in der Institution, andererseits auf der
Ebene der schriftlichen Dokumentation in der vorliegenden Arbeit.
Zur Erarbeitung des Verhaltenskodexes trete ich nach der Auftragserteilung durch die
Institutionsleitung in einen Kooperationsprozess mit Bewohnenden und Mitarbeitenden, um
durch die Partizipationsmöglichkeit derselben, individuelle Bedürfnisse und Ressourcen
sowie Fachwissen und Erfahrungen in der Konzeptarbeit berücksichtigen und einbeziehen
zu können. Eine weitere Kooperation wird innerhalb der internen Präventions- und
Meldestelle sowie mit der agogischen Leitung und der Institutionsleitung eingegangen.
Zudem werde ich einen Austauschprozess zur Klärung und Beratung von spezifischen
Fragen mit externen Fachpersonen anstreben, insbesondere mit Vertrauenspersonen und
Leitenden von Präventions- und Meldestellen anderer Institutionen.

1.4 Übersicht zur schriftlichen Dokumentation


In der schriftlichen Dokumentation der Konzeptarbeit richte ich mich bei der Planung und
Auswertung der Konzeptarbeit, Kapitel 2.1, 2.2, 2.3 und 2.6, auf das Vorgehen nach Gächter
zum Projektmanagement. Bei der Dokumentierung und Verschriftlichung des Konzepts,
Kapitel 2.4 und 2.5 beziehe ich mich vorwiegend auf das Vorgehen nach Schilling zur
Konzepterarbeitung.
Im Hauptteil dieser Arbeit wird die gesamte Konzepterarbeitung dokumentiert sowie
fachlich und theoretisch kontextualisiert. In einem ersten Schritt wird auf die Startphase
nach Gächter eingegangen. In einem zweiten Schritt, der zweiten Phase nach Gächter, folgt
die Hauptstudie zur konkretisierten Planung der Konzepterarbeitung. In diesem Teil der
Dokumentation wird die Planung der Konzeptarbeit in einen fachlichen und theoretischen
Kontext gestellt. Anschliessend wird die dritte Phase nach Gächter behandelt. Hier wird eine
Detailplanung zu den Aufgaben und den Ressourcen zur Konzepterarbeitung vorgenommen.
In der vierten und fünften Phase nach Gächter, der Ausführung und Einführung, wird anhand
des methodischen Vorgehens nach Schilling der Verhaltenskodex erarbeitet und
verschriftlicht. Hier werden inhaltliche und konzeptionelle Überlegungen sowie
Überlegungen zur Auswertung, zur Selbstevaluation und Implementierung des Konzepts
vorgenommen. In einem letzten Schritt des Hauptteils dieser Dokumentation wird auf die
sechste Phase nach Gächter eingegangen. Hier wird auf den Abschluss und die Evaluation
der Konzeptarbeit eingegangen.

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Abschliessend wird im Schlussteil dieser Arbeit eine Reflexion der Konzeptarbeit auf
inhaltlicher sowie methodischer Ebene durchgeführt und Konsequenzen abgeleitet.
In der folgenden Arbeit werden die Begriffe «Konzept» und «Verhaltenskodex» synonym
verwendet. Unter Konzept wird im Folgenden ein Zielgruppenkonzept zum Umgang mit
Nähe und Distanz in Risikosituationen in der Begleitung von erwachsenen Menschen mit
einer Beeinträchtigung verstanden.
Bezüglich der Urheberschaft ist anzumerken, dass Textstellen, welche nicht mit
Quellenangaben deklariert sind, auf eigenen Erfahrungen, Beobachtungen, Überlegungen
und Kenntnissen gründen. Die in dieser Arbeit verwendeten Inhalte aus Fachliteratur und
anderen Quellen werden entsprechend den Richtlinien für schriftliche Arbeiten der Agogis
in der Dokumentation korrekt und transparent gekennzeichnet und im Quellenverzeichnis
aufgeführt.

1.5 Einhaltung des Datenschutzes


Der Personen- und Datenschutz wird in der gesamten Arbeit berücksichtigt und eingehalten.
An der Konzeptarbeit beteiligte Bewohnende und Mitarbeitende sind anonymisiert, indem
nur fiktive Vornamen verwendet werden. Ebenso wird auch der Name der Institution zur
Wahrung des Datenschutzes nicht genannt, indem in der Arbeit nur der Begriff «Institution»
verwendet wird. Der Personen- und Datenschutz wird ebenfalls bezüglich der Kooperation
mit externen Institutionen und Fachpersonen eingehalten, indem hier für Personen die
Formulierung «Fachperson einer anderen Institution» oder «Experten/Expertinnen» und für
die Institutionen der Begriff «andere Institution» verwendet wird. Verwendete
Personendaten sind gemäss Konzeptantrag ebenfalls anonymisiert.

1.6 Gendergerechte Schreibweise


In der gesamten Arbeit wird eine gendergerechte Schreibweise angewendet. Es werden nach
Möglichkeit geschlechtsneutrale Begrifflichkeiten verwendet. Fachpersonen, welche in der
Institution tätig sind, werden als Mitarbeitende bezeichnet. Die begleiteten Menschen,
welche in der Institution leben, werden Bewohnende genannt. Eine geschlechterspezifische
Schreibweise wird in der Arbeit nur dann verwendet, wenn es sich um eine konkrete
Einzelperson handelt.

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2. Hauptteil

Im Hauptteil dieser Arbeit wird die Planung, die Ausführung und die Auswertung der
Konzeptarbeit dokumentiert. Mittels der Bezugnahme zu fachlichen und methodischen
Inhalten und Konzepten wird die Konzeptarbeit dabei in einen fachlich-theoretischen
Kontext gestellt. Die Kapitel 2.1, 2.2, 2.3 und 2.6 werden, wie zuvor erwähnt, anhand von
Gächter strukturiert. Die Erarbeitung des Verhaltenskodexes, dokumentiert im Kapitel 2.4
und 2.5 wird anhand von Schilling durchgeführt.

2.1 Phase I: Start


Ziel dieser Phase ist nach Gächter die Formulierung eines Projektantrags und der
Projektstart, die Konkretisierung des Projekts mittels der Klärung von Zuständigkeiten und
Organisationsform sowie einer Analyse der Stakeholder und der Erfolgsfaktoren (vgl.
Gächter 2019, S. 13). Im Folgenden wird der Begriff «Projekt» durch den Begriff «Konzept»
ersetzt oder die Begriffe, in Erläuterungen zum Projektmanagement nach Gächter, synonym
verwendet.

2.1.1 Konzeptantrag
Nachdem mir die Institutionsleitung (abgekürzt IL) aufgrund meiner Zuständigkeit für die
interne Präventions- und Meldestelle bereits mündlich den Auftrag zur Erarbeitung eines
Verhaltenskodexes Nähe und Distanz erteilt hatte, stellte ich einen schriftlichen
Konzeptantrag an die Institutionsleitung, um den Verhaltenskodex im Rahmen meiner
Diplomarbeit erarbeiten zu können (Anhang 5.1).
In diesem Konzeptantrag wird die Ausgangssituation sowie die Empfehlung der externen
Fachstelle zur Ausarbeitung eines Konzepts zum Umgang mit Nähe und Distanz in
Risikosituationen genannt. Ebenso wird ein fachlicher Bezug zum Thema der Konzeptarbeit
hergestellt. Damit wird auf die Dringlichkeit zur Konzepterarbeitung verwiesen. Zudem
werden die Ziele der Konzeptarbeit sowie die geplanten Kooperationen aus dem Antrag
ersichtlich und es ist ein Verweis auf die Konzeptleitung durch mich in der Rolle der
Vertrauensperson der internen Präventions- und Meldestelle enthalten. Ebenfalls wird
ersichtlich, dass die Erarbeitung des Verhaltenskodexes Nähe und Distanz für die Institution
keine zusätzlichen Kosten verursachen wird. Zudem wurde mit dem Konzeptantrag die
Einwilligung zur anonymisierten Verwendung von Personendaten bei der Institutionsleitung
eingeholt.

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Zu den fachlichen Bezügen ist anzumerken, dass ich mich als Ergänzung zu gängigen
Theorien und Konzepten der Sozialen Arbeit auf Inhalte aus meiner Weiterbildung für
Vertrauenspersonen von internen Präventions- und Meldestellen stütze. Auf diese
Weiterbildung stützt sich auch die Vernetzung mit Fachpersonen aus weiteren Institutionen
zur Perspektivenerweiterung, welche als eine geplante Kooperationsebene aus dem
Konzeptantrag hervorgeht. Eine weitere Kooperationsebene wird zur Zusammenarbeit und
zum Einbezug von Mitarbeitenden (abgekürzt MA) hergestellt, um deren Erfahrungen und
Fachwissen in die Konzepterarbeitung einbeziehen zu können. Zudem wird als dritte
Kooperationsebene die Zusammenarbeit mit Bewohnenden (abgekürzt BW) zur Erfassung
von individuellen Bedürfnissen und Ressourcen angestrebt.
Nachdem ich den offiziellen Auftrag zur Erarbeitung des Konzepts von der
Institutionsleitung erhalten hatte, konnte ich mit der Erarbeitung des Konzepts zum Umgang
mit Nähe und Distanz in Risikosituationen in Form eines Verhaltenskodex Nähe und Distanz
beginnen.

2.1.2 Konzeptleitung und -organisation /Kick-off Moment


Die Konzeptleitung (abgekürzt KL) liegt wie dem Konzeptantrag zu entnehmen ist, in
meiner Verantwortung. Die mitverantwortliche Mitarbeiterin für die interne Präventions-
und Meldestelle gehört zum Kernteam (abgekürzt KT) der Konzepterarbeitung. Sie ist
aufgrund ihrer geplanten Abwesenheit jedoch nicht durchgängig während der gesamten
Konzepterarbeitung in dem Prozess aktiv involviert. Als Vertrauenspersonen der internen
Präventions- und Meldestelle verfügen wir hinsichtlich Risikomanagement und
Kriseninterventionen über eine Begleit- und Beratungskompetenz. Aus diesem Grund
unterliegt die Konzepterarbeitung der Entscheidungskompetenz der Institutionsleitung und
der agogischen Fachleitung (abgekürzt FL), welche demnach das Konzept zur
Implementierung freigeben müssen. Aufgrund der flachen Hierarchien ist es für
Mitarbeitende und Bewohnende jederzeit möglich, ihre Erfahrungen und ihre Bedürfnisse
bezüglich des Konzeptthemas in die Konzepterarbeitung einzubringen. Zur Klärung eines
allfälligen Rollenkonflikts ist anzufügen, dass ich die Konzepterarbeitung in meiner Rolle
als internen Vertrauensperson ausführe und somit im Rahmen dieser Konzepterarbeitung
nicht die Entscheidungskompetenzen hinsichtlich Risikomanagement und
Kriseninterventionen habe, über welche ich in meiner weiteren Rolle als Teil der agogischen
Fachleitung in Zusammenarbeit mit der Institutionsleitung verfüge.

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Nachdem ich den Konzeptauftrag erhalten hatte, ging die Konzeptarbeit über in den Kick-
off Moment, in welchem ich im Kernteam und mit der Institutionsleitung und der agogischen
Leitung den Beginn der Konzepterarbeitung sowie Rahmenbedingungen und
Kommunikationsfragen klärte und anschliessend Mitarbeitende und Bewohnende über die
Konzepterarbeitung im Rahmen der regelmässig stattfindenden Sitzungen der einzelnen
Wohngruppen mit Mitarbeitenden und Bewohnenden informierte.

2.1.3 Erfolgsfaktoren
Gemäss Gächter lassen sich verschiedene Erfolgsfaktoren für eine gelungene
Projektdurchführung identifizieren (vgl. Gächter 2019, S. 21). Bei der Konzepterarbeitung
zum Umgang mit Nähe und Distanz in Risikosituationen stütze ich mich bei der Planung in
Anlehnung an Gächter auf folgende Erfolgsfaktoren:
• Die Ziele sind klar und konkret kommuniziert sowie überprüfbar und transparent in
der Praxis umgesetzt.
• Die Institutionsleitung unterstützt die Konzeptarbeit; die nötigen Ressourcen sind
durchgehend gesichert und ihr gewinnbringender Einsatz liegt in meiner
Zuständigkeit.
• Als Konzeptleitung schaffe ich Kooperationsmöglichkeiten auf verschiedenen
Ebenen, nutze meine langjährigen Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit
Bewohnenden und Mitarbeitenden und bin als Vertrauensperson der internen
Präventions- und Meldestelle akzeptiert.
• Die Partizipationsmöglichkeit, die offene, zeitnahe und transparente
Kommunikation sowie Kenntnisse über die Kommunikationswege bei allen
Beteiligten sichern den Einbezug von Fachwissen und Erfahrungen von
Mitarbeitenden, Bewohnenden und externen Fachpersonen.
• Die Steuerung der Konzepterarbeitung liegt in meiner Verantwortung und wird
gemäss den kontinuierlichen Vergleichen des Soll- und Ist-Zustandes angepasst.

2.1.4 Stakeholder-Analyse
Als Stakeholder werden nach Gächter Personen, Personengruppen oder Organisationen
verstanden, welche aufgrund ihrer direkten oder indirekten Betroffenheit durch ein Projekt
oder ihrem Interesse daran eine hemmende oder fördernden Wirkung auf das Projekt haben
(vgl. Gächter 2019, S. 22). In der Stakeholder-Analyse (Tabelle 1), welche auf meinen
Einschätzungen und Auslegungen beruht, sind die Stakeholder und deren mögliche Wirkung

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auf die Konzepterarbeitung sowie konkrete Massnahmen zum Umgang damit aufgeführt.
Die verwendeten Begrifflichkeiten der Analyse sind wie folgt zu verstehen:
• Stakeholder: Alle Personen oder Gruppierungen, welche in einem direkten oder
indirekten Bezug zur Konzepterarbeitung stehen oder ein Interesse daran haben.
• Günstig: Wo gibt es Ähnlichkeiten zwischen den Bedürfnissen der Stakeholder und
denen der Konzepterarbeitung. Welchen Nutzen haben die Stakeholder an der
Konzepterarbeitung?
• Ungünstig: Welche Bedürfnisse weichen voneinander ab? Gibt es
Interessenskonflikte? Welche Nachteile können für die Stakeholder aus der
Konzepterarbeitung entstehen?
• Massnahmen: Wie kann der Umgang mit ungünstigen Faktoren für die
Konzepterarbeitung gewinnbringend und unterstützend sein? Welche konkreten
Handlungsmöglichkeiten gibt es?
Stakeholder Mitarbeitende (MA)
Ungünstig:
• Angst vor Kontrolle und eingeschränktem Handlungsspielraum
• Spannungen durch unterschiedliche Wertvorstellungen bezüglich der
Aufgabenstellung
• Partizipative Erarbeitung bringt einen Mehraufwand
Günstig:
• Gibt Sicherheit und Orientierung
• Schafft Transparenz
• Möglichkeit zum Einbringen von Fachwissen und Erfahrungen
Massnahmen:
• Ängste als Indiz für mögliche blinde Flecken anerkennen und wertschätzen
• Transparent kommunizieren und für Dringlichkeit sensibilisieren
Stakeholder Institutionsleitung/agogische Leitung (IL/AF)
Ungünstig:
• Gegen theoretische Standards mit eingeschränktem Handlungsspielraum in der
Praxis
Günstig:
• Qualität wird durch Risikomanagement gesichert
• Bewusstsein für Dringlichkeit
• Garantiert die nötigen Ressourcen für Kooperationen
• Begrüsst Vernetzung mit anderen Institutionen
Massnahmen:
• Kooperation mit MA und BW zur Erarbeitung von praxisnahen
Handlungsmöglichkeiten
Stakeholder Bewohnende (BW)
Ungünstig:
• Themenstellung und Partizipationsmöglichkeit kann Überforderung auslösen
• Verunsicherung durch Umsetzung in der Praxis

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Günstig:
• Berücksichtigung individueller Ressourcen und Bedürfnisse
• Schutz der persönlichen Integrität
Massnahmen:
• Adressatengerechte Kommunikation
• Ressourcengerechte Partizipationsmöglichkeiten
• Differenzierte Einführung, den einzelnen Wohngruppen entsprechend
• Nahe Begleitung von BW und MA während der Implementierungsphase
Stakeholder Angehörige Bewohnende
Ungünstig:
• Thematisierung durch Bewohnende könnte Fragen aufwerfen
Günstig:
• Konzept trägt zum Schutz der persönlichen Integrität der Bewohnenden bei
Massnahmen:
• Transparente Kommunikation gegenüber Angehörigen-Netzwerk
Stakeholder Externe Präventionsstelle
Ungünstig:
• nichts
Günstig:
• Empfehlung wird berücksichtigt
• Risikomanagement zum Erkennen von Grenzverletzungen im Graubereich
Massnahmen:
• keine
Stakeholder Andere Institutionen
Ungünstig:
• Mehraufwand
• Mögliche Datenschutzverletzungen
Günstig:
• Erfahrungsaustausch und Perspektivenwechsel
• Vernetzung und Interesse an Kooperation
Massnahmen:
• Zeitaufwand und Rahmenbedingungen bei Planung berücksichtigen
• Über Umgang mit Datenschutz informieren
Stakeholder Öffentlichkeit
Ungünstig:
• nichts
Günstig:
• Forderungen von Gesellschaft und Politik (Präventionsstrategien) werden
umgesetzt
• Schutz der Öffentlichkeit und der BW vor grenzverletzenden Verhaltensweisen
Massnahmen:
• keine
Tabelle 1: Stakeholder-Analyse, eigene Darstellung in Anlehnung an Gächter (vgl. Gächter
2019, S. 23)
Als Erkenntnisse aus der Stakeholder-Analyse lässt sich für die weitere Planung der
Konzepterarbeitung ableiten, dass durch gezielte Massnahmen mögliche ungünstige
Einflüsse einzelner Stakeholder auf die Konzepterarbeitung minimiert werden können.

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Diese Massnahmen beinhalten eine transparente, klare und zeitnahe Kommunikation mit
allen Beteiligten, adressaten- und ressourcenorientierte Partizipationsangebote für
Mitarbeitende und Bewohnende, eine ressourcenorientierte Planung der Kooperation mit
Fachpersonen weiterer Institutionen und die Sicherstellung von zeitlichen Ressourcen zur
gelingenden längerfristigen und differenzierten Umsetzung in der Praxis.
Die Stakeholder-Analyse verdeutlicht, dass die Erarbeitung des Verhaltenskodexes zwar
den aktuellen gesellschaftspolitischen Forderungen entspricht und als
Qualitätssicherungsinstrument von der Institutionsleitung mitgetragen und gefördert wird,
dass die längerfristige Umsetzung und die Zielerreichung jedoch von der Kooperation mit
den Mitarbeitenden und Bewohnenden abhängig sind. Aus diesem Grund wird bei der
weiteren Planung ein besonderer Schwerpunkt auf die Kooperation mit Mitarbeitenden und
Bewohnenden gelegt, um die Konzepterarbeitung als bottom-up Prozess, also als Prozess
von der Basis der Institution ausgehend, gestalten zu können. Um die Bedürfnisse und
Ressourcen der Bewohnenden erfassen zu können, wird nebst der adressatengerechten
Kommunikation auf Beobachtungen aus der institutionsinternen Präventionsarbeit
zurückgegriffen.

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2.2 Phase II: Hauptstudie
Die Hauptstudie dient nach Gächter zur Klärung der Frage, was im Rahmen eines Projekts
geleistet werden kann und muss. Dazu gehört zum einen eine genaue Klärung der
Ausgangslage und der Zielsetzung sowie des zeitlichen Rahmens inklusive der Meilensteine
des Projekts, zum andern die Erfassung der benötigten Ressourcen sowie der Risiken,
welche mit einem Projekterfolg verbunden sind (vgl. Gächter 2019, S. 33).
Als Orientierungshilfe ziehe ich in dieser Phase in einigen Schritten das Modell der
Kooperativen Prozessgestaltung nach Ursula Hochuli Freund und Walter Stotz hinzu.
Aufgrund des Fokus auf die analytischen Phasen von Prozessen und des kooperativen
Ansatzes erscheint mir dieses Modell als Orientierungshilfe geeignet. Das Modell umfasst
sieben Prozessschritte, welche zirkulär zueinanderstehen, zwei Phasen zugeordnet werden
können und sich auf zwei Kooperationsebenen erstrecken. Die Prozessschritte
«Situationserfassung», «Analyse», «Diagnose» und «Evaluation» sind unter der
analytischen Phase zu fassen, die Prozessschritte «Zielsetzung», «Interventionsplanung»
und «Interventionsdurchführung» unter der Handlungsphase. Die zwei Kooperationsebenen
beziehen sich auf die Arbeit mit Klientensystemen einerseits und andererseits auf die intra-
und interprofessionelle Arbeit (vgl. Hochuli Freund/Stotz 2017, S.135ff).

2.2.1 Ausgangslage und defizitärer Zustand


Der Konzepterarbeitung liegt im Sinne Gächters ein Defizit zugrunde (vgl. Gächter 2019,
S. 34), denn die Institution verfügt seit mehreren Jahren über mehrere Konzepte, welche den
Bereich Nähe und Distanz mehr oder weniger tangieren. So beispielsweise das Konzept zum
Umgang mit Gewalt, zu Übergriffen und sexuellem Missbrauch, das Sexualkonzept, das
Pflegekonzept, das Hygienekonzept und das Bezugspersonenkonzept. In all diesen
Konzepten finden sich zwar Anhaltspunkte zum Umgang mit Nähe und Distanz in
Betreuungs- und Beschäftigungssituationen. Die Sensibilisierung und Ermächtigung von
Mitarbeitenden und Bewohnenden zur Erkennung von und zum Umgang mit
Risikosituationen und Grenzverletzungen im Bereich Nähe und Distanz ist allerdings nicht
eindeutig konkretisiert und in der Institutionskultur noch nicht durchgehend verankert.
Zudem gibt es immer wieder Unsicherheiten und Fragen bezüglich der Abgrenzung,
respektive Einstufung von Grenzverletzungen, Übergriffen und Gewalt, also meist
unabsichtlichem, korrigierbarem Fehlverhalten in Form von Grenzverletzungen,
Handlungen aufgrund unzureichenden Respekts anderen Menschen gegenüber in Form von

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Übergriffen und strafrechtlich relevanten Handlungen in Form von Gewalt (vgl. Curaviva
(2016), S.18).
Aufgabe der Vertrauenspersonen der internen Präventions- und Meldestelle, welche seit
mehr als fünfzehn Jahren besteht, ist es, Meldungen von Bewohnenden und Mitarbeitenden
entgegenzunehmen und mit allen Beteiligten aufzuarbeiten. Ebenfalls ist es Aufgabe der
Vertrauenspersonen, Präventionsarbeit zum Schutze von Bewohnenden und Mitarbeitenden
vor physischen, psychischen und sexualisierten Integritätsverletzungen zu leisten. In dieser
Arbeit zeigt sich immer wieder, dass der Umgang mit Nähe und Distanz in bestimmten
Situationen und das Erkennen von Grenzverletzungen Unsicherheiten und Fragen
aufwerfen. Dazu tragen zudem auch die eingeschränkten verbalen
Kommunikationsmöglichkeiten mehrerer Bewohnenden und wiederkehrende
herausfordernde Verhaltensweisen, ausgehend von mehreren Bewohnenden, bei.
Die Unsicherheiten und Unklarheiten bezüglich des Umgangs mit Nähe und Distanz bilden
ein Risiko für den Schutz der psychischen, physischen und sexuellen Integrität der
Bewohnenden, da sich viele Grenzverletzungen im Gegensatz zu Gewaltanwendungen im
Graubereich befinden. Das heisst viele Grenzverletzungen befinden sich in einem
strafrechtlich nicht relevanten Bereich und der transparente Umgang durch die bereits
bestehenden Konzepte damit, ist von der subjektiven Wahrnehmung und Bewertung von
Mitarbeitenden und Bewohnenden abhängig. Dies kann von potenziellen
gewaltanwendenden Personen zur Planung und Anwendung von physischen, physischen
und sexualisierten Gewaltformen gegenüber Bewohnenden ausgenutzt werden (vgl. Limita
2017, S.3).
Die externe Präventionsfachstelle des Verbandes, welchem die Institution angeschlossen ist,
empfiehlt, wie einleitend dargestellt, zur transparenten Gestaltung von Situationen, in
welchen ein erhöhtes Risiko für Grenzverletzungen und der Anwendung von Gewaltformen
ausgehend von Betreuungspersonen gegenüber Menschen mit Unterstützungsbedarf besteht,
handlungsleitende Richtlinien in Form eines Verhaltenskodexes Nähe und Distanz
auszuarbeiten. Die Erarbeitung dieses Verhaltenskodexes sollte dabei partizipativ mit
Mitarbeitenden und der Zielgruppe gestaltet werden, um durch den damit verbundenen
Sensibilisierungsprozess die Akzeptanz aller Beteiligten zu erzielen und der Wahrnehmung
als Kontrollinstrument entgegenzuwirken (vgl. Limita 2017, S.6f). Zudem sind in der Charta
Prävention zur Prävention von sexueller Ausbeutung, Missbrauch und anderen
Grenzverletzungen von Menschen mit besonderem Unterstützungsbedarf unter anderem die
Grundsätze enthalten, die Selbstkompetenzen von Menschen mit besonderem

17
Unterstützungsbedarf zu fördern und sie zur Abwehr und Signalisation von
Grenzverletzungen zu befähigen. Damit dies gelingen kann, sind auch Mitarbeitende
bezüglich Grenzverletzungen zu sensibilisieren und eine entsprechende interne
Kommunikationskultur zu pflegen, wie es ein weiterer Grundsatz der Charta Prävention
fordert (vgl. Charta Prävention 2016).

2.2.2 Rahmenbedingungen und Vorgaben


Der Verhaltenskodex Nähe und Distanz muss zur Freigabe durch die Institutionsleitung und
späteren Implementierung auf allen drei Wohngruppen verschiedenen Vorgaben und
Rahmenbedingungen entsprechen, welche in Tabelle 2 und 3 zusammengefasst sind (vgl.
Gächter 2019, 34f). Im Anschluss folgt ein Verweis auf das Konzept der Partizipation, um
in der folgenden Planung den Grad der Partizipation von Mitarbeitenden und Bewohnenden
bestimmen zu können.

Vorgaben: Vorgegeben von:


Der Verhaltenskodex muss einen Institutionsleitung
Handlungsspielraum zur differenzierten
Umsetzung in der Praxis enthalten
Der Verhaltenskodex orientiert sich an den • Institutionsleitung und agogische
Empfehlungen der externen Fachstelle Leitung
Prävention • Kernteam
Für Mitarbeitende und Bewohnende sind • Institutionsleitung und agogische
Partizipationsmöglichkeiten gewährleistet Leitung
• Kernteam
• Mitarbeitende
• Bewohnende
Die Professionsethik und rechtliche • Institutionsleitung und agogische
Grundlagen (UN-BRK) werden Leitung
berücksichtigt • Kernteam
• Bewohnende
Individuelle Ressourcen und Bedürfnisse • Institutionsleitung und agogische
von Bewohnenden sind berücksichtigt Leitung
• Kernteam
• Mitarbeitende
Bewohnende
Bereits vorhandene Konzepte werden • Institutionsleitung und agogische
berücksichtigt und relevante Inhalte Leitung
entsprechend aufgenommen • Kernteam
• Mitarbeitende
Tabelle 2: Vorgaben, eigene Darstellung in Anlehnung an Gächter (vgl. Gächter 2019, S.
34)

18
Rahmenbedingungen: Auswirkungen:
Zeitliche Ressourcen für Partizipation von • Mitarbeitende max. 2 Stunde ausserhalb
Mitarbeitenden und Bewohnenden ist des Arbeitsplanes
beschränkt • Bewohnende ausserhalb der
Beschäftigungszeit
Abwesenheit der Mitverantwortlichen der • Anpassung der Kommunikationsform
Präventions- und Meldestelle und Arbeitsorganisation
Schutz- und Hygienemassnahmen müssen • Planung der Räumlichkeiten und Bedarf
eingehalten werden an Schutz- und Hygienematerial
• Anpassung der Gruppengrösse
Konzepterarbeitung richtet sich methodisch • Orientierung der Institutionsleitung und
nach dem Projektmanagement nach Kernteam über methodisches Vorgehen
Gächter (2019) und der Konzepterarbeitung
nach Schilling (2016)
Tabelle 3: Rahmenbedingungen, eigene Darstellung in Anlehnung an Gächter (vgl. Gächter
2019, S. 35)

Da die Partizipation von Mitarbeitenden und Bewohnenden, aber auch der Leitungsebene
und Fachpersonen anderer Institutionen, bei der Konzepterarbeitung als eine Vorgabe
verstanden werden kann, welche durch die übergeordnete Zielsetzung dieser Arbeit, der
Institutionsleitung und den Empfehlungen externer Fachstellen gegeben ist, folgt an dieser
Stelle eine kurze Ausführung zu dem sozialpädagogischen Partizipations-Ansatz. Anhand
des Modells der Partizipationspyramide nach Gaby Strassburger und Judith Rieger werden
die verschiedenen Formen von Partizipation als Grundlage für die weiteren Planungsschritte
der Konzepterarbeitung erläutert.
Nach Strassburger und Rieger kann die Beteiligung bei Entscheiden anhand einer
siebenstufigen Pyramide analysiert werden. Die ersten drei Stufen, bei denen Informationen
vermittelt (Stufe 1), Meinungen erfragt (Stufe 2) und Stellungnahmen eingefordert (Stufe 3)
werden, sind als Vorstufen der Partizipation zu verstehen. Partizipation im engeren Sinne
beginnt ab der vierten Stufe. Hier werden bei Entscheidungen Meinungen einbezogen (Stufe
4), eine teilweise Entscheidungskompetenz abgegeben (Stufe 5) und die
Entscheidungsmacht übertragen (Stufe 6). Auf der höchsten Partizipationsstufe liegt die
zivilgesellschaftliche Eigenaktivität (Stufe 7), welche einzig in bürgerschaftlicher
Verantwortung liegt und in der Pyramide über die Partizipation aus institutioneller
Perspektive hinausgeht (vgl. Strassburger/Rieger 2019, S. 230ff).
In der weiteren Planung der Konzepterarbeitung wird auf dieses Modell zurückgegriffen und
bei den Kooperationen, insbesondere derjenigen mit Mitarbeitenden und Bewohnenden
überprüft, auf welcher Stufe die Zusammenarbeit zu verorten ist. Zu beachten gilt es hierbei,
dass eine höher gelegene Stufe nicht zwingend «besser» als eine tiefergelegene Stufe ist, da

19
situations- und kontextabhängig zu entscheiden ist, welche Partizipationsstufe für welche
Gruppe von Beteiligten den Rahmenbedingungen entsprechend am realistischsten und auch
praktisch durchführbar ist (vgl. Strassburger/Rieger 2019, S. 231). Welche Bedeutung das
Konzept der Partizipation für die Arbeit und Umsetzung des Verhaltenskodexes im
institutionellen Kontext für alle Beteiligten hat, wird später im Teil A-Teil der
Konzeptausarbeitung (Kap. 2.4.1) konkretisiert.

2.2.3 Zielsetzung
Um die Konzepterarbeitung weiter zu konkretisieren und kontrollierbar zu machen, wird im
Folgenden die Zielsetzung präzisiert (Vgl. Gächter 2019, S. 36). Diese Zielsetzung bezieht
sich auf den Prozess der Konzepterarbeitung (Prozessziele) und ist auf der Ebene der
Bewohnenden (Tabelle 4) und auf der Ebene der Institution und der Mitarbeitenden (Tabelle
5) angesiedelt. Im Kapitel 2.4 folgen dann die Ziele des Verhaltenskodexes zum Umgang
mit Nähe und Distanz in Risikosituationen.
Die Prozessziele sind hierarchisiert und nach Fernzielen, Grobzielen und Feinzielen
gegliedert. Das heisst, es wird in einem ersten Schritt ein richtungsweisendes Fernziel
formuliert, aus welchem in einem zweiten Schritt ein Grobziel abgeleitet wird. Aus dem
Grobziel werden in einem dritten Schritt zwei Feinziele abgeleitet. Die Ziele sind nach der
SMART-Regel formuliert und somit (vgl. Gächter 2019, S.36-39):

• spezifisch (S), messbar (M), attraktiv (A), realistisch (R) und terminiert (T).

Zielsetzung Bewohnende (Zielgruppe)


Fernziel:
Die Bewohnenden sind partizipativ und kooperativ in den Prozess der Konzepterarbeitung
eingebunden.
Grobziel:
Die Partizipationsmöglichkeiten sind individuell den Ressourcen und Bedürfnissen der
Bewohnenden entsprechend gestaltet.
Feinziel: 1
Bewohnende aus allen drei Wohngruppen können sich im November und Dezember 2020
zum IST und SOLL-Zustand im Umgang mit Nähe und Distanz mit den internen
Vertrauenspersonen austauschen und ihre Bedürfnisse und Ressourcen im Umgang mit
Nähe und Distanz mitteilen.
• Kommentar: Durch die Formulierung dieses Zieles als ein Kann-Ziel (vgl. Gächter
2019, S. 38) wird die Freiwilligkeit zur Partizipation berücksichtigt. Um die
Zielerreichung zu unterstützen, wird den Bewohnenden von den
Vertrauenspersonen ein Gespräch angeboten, welches individuell den
Bedürfnissen und kommunikativen Fähigkeiten der Bewohnenden entsprechend
gestaltet wird.

20
Feinziel 2:
Aus allen drei Wohngruppen hat sich mindestens ein/e Bewohner/in verbal oder
nonverbal im Gespräch mit der Vertrauensperson positiv zur Evaluationsfrage «Wie war
für dich das Gespräch zum Umgang mit Nähe und Distanz?» geäussert.
• Kommentar: Dieses Feinziel dient der Beurteilung der Partizipation der
Bewohnenden. Die Evaluationsfrage gibt Erkenntnisse darüber, ob die
Partizipationsmöglichkeit den Bedürfnissen und kommunikativen Ressourcen der
Bewohnenden entsprechend gestaltet wurde. Es beruht auf der Annahme, dass
Bewohnende das Gespräch als positiv bewerten, wenn durch eine
adressatengerechte Kommunikation und Partizipationsmöglichkeit die
Zugänglichkeit der Bewohnenden für die Themenstellung gesichert wurde.
Tabelle 4: Zielsetzung Bewohnende, eigene Darstellung in Anlehnung an Gächter (vgl.
Gächter 2019, S. 36-40)
Zielsetzung Institution und Mitarbeitende
Fernziel:
Das Kernteam erarbeitet kooperativ und partizipativ einen Verhaltenskodex zum Umgang
mit Nähe und Distanz in Risikosituationen, welcher eine Kultur der Transparenz und
Besprechbarkeit ermöglicht.
Grobziel:
Der erarbeitete Verhaltenskodex ist zur Implementierung auf allen drei Wohngruppen
bereit und stützt sich auf Erfahrungen von Fachpersonen anderer Institutionen und von
Mitarbeitenden zur Berücksichtigung der individuellen Bedürfnisse und Ressourcen der
Mitarbeitenden und Bewohnenden.
Feinziel 1:
Das Kernteam hat bis Ende Februar 2021 einen Erfahrungsaustausch mit mindestens zwei
weiteren Institutionen zum Umgang mit Nähe und Distanz initiiert und den
Verhaltenskodex in schriftlicher Form der Institutionsleitung zur Freigabe und
Verankerung in der Institution vorgelegt.
• Kommentar: Dieses Ziel dient dem Austausch von Wissen und Erfahrungen und
der längerfristigen Kooperation mit Fachpersonen anderer Institutionen zum
Umgang mit Nähe und Distanz. Zudem wird dadurch die
Entscheidungskompetenz der Leitungsebene, also die Linienorganisation,
berücksichtigt.
Feinziel 2:
Alle Mitarbeitenden aus dem Betreuungs- und Beschäftigungsbereich haben bis Ende
Dezember 2020 einen Fragebogen zum Umgang mit Nähe und Distanz in
Risikosituationen erhalten und mindestens 10 davon sind beantwortet beim Kernteam
eingegangen.
• Kommentar: Durch den Einbezug der Mitarbeitenden kann eine
Auseinandersetzung der Mitarbeitenden mit den eigenen Erfahrungen bezüglich
der Themenstellung erreicht und die Grundlage für die Akzeptanz der zukünftigen
Arbeit mit dem Instrument unterstützt werden. Ebenso kann durch den Einbezug
der Mitarbeitenden der notwendige Handlungsspielraum für einen differenzierten
Umgang mit Nähe und Distanz in Risikosituationen berücksichtigt werden.
Tabelle 5: Zielsetzung Institution und Mitarbeitende, eigene Darstellung in Anlehnung an
Gächter (vgl. Gächter 2019, S. 36-40)

Die Prozesszeile sind aus Überlegungen des Kernteams unter Einbezug der Empfehlungen
externer Fachstellen (Anhang 5.2 und 5.3) erarbeitet und in der Nachbearbeitung durch mich

21
hierarchisiert und ausformuliert worden. Dabei sind Erkenntnisse aus der vorangehenden
Situationsanalyse sowie aus Gesprächen und Beobachtungen der internen Präventions- und
Meldestelle mit Bewohnenden und Mitarbeitenden eingeflossen. Die Feinziele sind durch
einen Kommentar ergänzt, welcher sich auf methodische und didaktische Überlegungen
bezieht und zur Nachvollziehbarkeit der Zielsetzung dient.

2.2.4 Konzeptorganisation
Nach der Zielformulierung wird nun mittels eines Organigramms (Abbildung 1) die bereits
zuvor erwähnte Konzeptorganisation aus der Startphase zur Konkretisierung und
Visualisierung aufgenommen. Nach Gächter wird dadurch ersichtlich, wie einzelne
Personen in einem Projekt einander zugeordnet sind und welche Hauptaufgaben ihnen in
dem Projekt zukommen (vgl. Gächter 2019, S. 46).

Auftraggeber

Institutionsleitung
Agogische
Fachleitung

Konzeptleiterin
Kernteam
Vertrauensperson
Konzeptmitarbeiterin
TS
Kernteam
Vertrauensperson
MA

Expertinnen/Experten

Externe
Fachpersonen
Konzeptmitarbeitende Konzeptmitarbeitende

Mitarbeitende Bewohnende

Abbildung 1: Organigramm Projektorganisation, eigene Darstellung in Anlehnung an


Gächter (vgl. Gächter 2019, S. 47)

2.2.5 Konzeptstrukturplan
Nach Gächter dient der Projektstrukturplan, welcher im nächsten Schritt erarbeitet wird, der
Erfassung des gesamten Inhalts einer Projektarbeit. Er bildet die Grundlage für die Planung
der einzelnen Arbeiten und der benötigten Ressourcen, welche in einer späteren Phase

22
detaillierter ausgearbeitet werden. Der Projektstrukturplan gibt Auskunft darüber, was in
einem Projekt alles zu tun ist (vgl. Gächter 2019, S. 40).
In Anlehnung an das Modell der Kooperativen Prozessgestaltung nach Hochuli/Stotz erfolgt
die Erfassung des gesamten Inhalts der Konzepterarbeitung visuell in einer Auslegeordnung
zu den Schritten Situationserfassung, Analyse und Diagnose anhand des Austauschs im
Kernteam. Anschliessend habe ich die einzelnen Inhalte nach Aufgabenthemen und
zeitlichem Verlauf in dem Konzeptstrukturplan aufgegliedert und im Kernteam besprochen.
Der Konzeptstrukturplan beinhaltet zwei Teile, einen ablauforientierten Teil (Tabelle 6),
welcher die kooperative und partizipative Arbeit mit der Leitungsebene, Bewohnenden,
Mitarbeitenden und Fachpersonen weiterer Institutionen strukturiert und einen
objektorientierten Teil (Tabelle 7), welcher sich auf meine Arbeitsschritte als
Konzeptleitung zur Ausarbeitung und Dokumentation des Arbeitsprozesses zur Erstellung
des Zielgruppenkonzepts bezieht. In dem ablauforientierten Strukturplan ist die Variante
integriert, die bei einer früheren Abwesenheit der Konzeptmitarbeiterin aus dem Kernteam
zum Tragen käme. Diese Variante ist in kursiver Schrift hervorgehoben.

Ablauforientierter Strukturplan
Nr. Bis Beteiligte Ziel Arbeit/Massnahme
KW Personen
1 36 KL Überblick zur • Studium von Fachliteratur
Themenstellung und
verschaffen Weiterbildungsunterlagen
• Auseinandersetzung mit
Kernteam bilden Empfehlungen der
externen Fachstelle
Prävention
• Information an KT, IL
und FL
2 38 KT, IL, FL, Kick-Off: Klärung • Vorbereitung der offenen
MA, BW Partizipation, Fragen durch
Kommunikation, Konzeptleitung
Rahmenbedingungen • Protokoll erstellen
Information MA und BW • MA und BW über
Vorhaben informieren
3 42 KT, IL, FL Situationserfassung, • Individuelle Vorbereitung
Analyse • Sammeln von
Risikosituationen und Beobachtungen
IST-Zustand • Erfassung zusätzlicher
Risikosituationen
Diagnose IST-Zustand • Verbindung zu
und Risikosituationen Fachtheorien herstellen

23
Ziele des • Fragen klären zu den
Verhaltenskodexes Zielen des Konzepts
definieren • Protokoll erstellen
4 44 KT, Erfahrungsaustausch zur • Anmeldung zum externen
Fachpersonen Erstellung, Fachaustausch
anderer Implementierung und • Fragen vorbereiten durch
Institutionen Arbeit mit einem Konzeptleitung
Verhaltenskodex • Inputs sammeln
• Protokoll erstellen
Vernetzung mit • Austausch von
Fachpersonen anderer Kontaktdaten
Institutionen
5 45 KT, IL, FL Detailplanung zur • Individuelle Vorbereitung
Partizipation von MA • Austausch und Inputs
und BW und zur sammeln
Erstellung des • Protokoll erstellen
Zielgruppenkonzepts
6 46 KT, IL, FL, MA Information von MA und • Fragebogen für MA
52 und BW BW über erstellen und verteilen
7 Partizipationsmöglichkeit • Gespräche mit BW führen
Variante: und protokollieren
KL, IL, FL, MA Erfassung IST und - • Antworten der
und BW SOLL-Zustand bei MA eingegangenen
und BW Fragebögen laufend
zusammenfügen
• Handlungsleitende
Richtlinien ableiten
• Variante: Gespräche mit
BW, mind. aus allen 3
Wohngruppen 1 Person
Zwischenevaluation der Beobachtungen und
Partizipation von MA mündliche
und BW Rückmeldungen zur
Partizipation sammeln
und protokollieren
7 7 KT, IL, FL Freigabe des • Konzept im Kernteam auf
Variante: Zielgruppenkonzepts Vollständigkeit
KL, IL, FL durch IL und AF überprüfen
• Konzept IL und AF
vorlegen
• Korrekturen aufnehmen
und einfügen
8 26 KT, IL, FL, MA, Zielgruppenkonzept wird • Vorbereitung der internen
BW gemäss Kapitel 2.5.2 Weiterbildungssequenzen
implementiert durch Kernteam

Evaluation • Evaluationsfragen
vorbereiten
Abschluss

24
• Konzept in
Betriebshandbuch und
Präventionsordner
einfügen
Tabelle 6: Ablauforientierter Strukturplan, eigene Darstellung in Anlehnung an Gächter
(vgl. Gächter 2019, S. 43)

Objektorientierter Strukturplan

Nr. Zu Ziel Massnahme


erledigen
bis KW
1 38 Konzeptantrag ist gestellt • Recherche und Studium von
ausgewählter Fachliteratur
• Konzeptantrag schreiben
2 40 Die Projektplanung nach • Auseinandersetzung mit dem
Gächter ist an das konkrete Projektmanagement nach Gächter
Vorhaben angepasst und die und der Konzepterarbeitung nach
Konzeptstruktur nach Schilling
Schilling ist erstellt • Visualisierung erstellen
3 7 Regelmässiges Arbeiten am • Planung der übrigen Aufgaben
Zielgruppenkonzept und der im Betrieb und der Freizeit
Verschriftlichung, • Zeitplan einhalten
Dokumentation ist erstellt
4 7 Zielgruppenkonzept ist • Konzept auf Vollständigkeit und
überarbeitet und fertiggestellt Richtigkeit überprüfen
• Gegenlesen lassen, Rückmeldung
einholen und Korrekturen
einfügen
5 26 Zielgruppenkonzept ist • Implementierung und Evaluation
gemäss Kapitel 2.5.2 Vorbereiten
implementiert und evaluiert • aktuelle Rahmenbedingungen
berücksichtigen
6 26 Arbeitsprozess ist • Daten sichern
abgeschlossen • Externe Fachstelle informieren
Tabelle 7: Objektorientierter Strukturplan, eigene Darstellung in Anlehnung an Gächter
(vgl. Gächter 2019, S. 43)

2.2.6 Zeitplan und Meilensteine


Anhand der Visualisierung der einzelnen Phasen der Konzepterarbeitung in einem Zeitplan
mit entsprechenden Meilenseinen (Abbildung 2) wird der Verlauf der Konzepterarbeitung
ersichtlich sowie strukturiert und zeitlich begrenzt. Der Zeitplan und die Meilensteine
dienen nach Gächter im weiteren Verlauf eines Projekts der Orientierung. Die Meilensteine
dienen als Zwischenziele, welche angeben, was in dem Projektprozess bis dahin erreicht ist
(vgl. Gächter 2019, S.50ff). Der Zeitplan und die Ausführungen zu den Meilensteinen

25
(Tabelle 8) dienen in der später folgenden Detailplanung gemeinsam mit dem
Projektstrukturplan als Grundlage der Arbeits- und Ressourcenplanung.

Start Hauptstudie Detailplanung Konzept Abschluss

• M1 •M2 •M4 •M5 •M8


•M3 •M6
•M7

Abbildung 2: Zeitplan mit Meilensteinen, eigene Darstellung in Anlehnung an Gächter (vgl.


Gächter 2019, S. 50ff)

Meilenstein Bis KW Zwischenziele


1 38 • Konzeptantrag ist erteilt
• Kernteam ist gebildet, MA und BW sind über Vorhaben
informiert
• Fragen zu Rahmenbedingungen, Partizipation und
Kommunikation sind geklärt
2 42 • IST-Zustand ist erfasst
• Risikosituationen sind analysiert
• Ziele des Verhaltenskodex sind definiert
3 44 • Erfahrungsaustausch mit Fachpersonen anderer
Institutionen hat stattgefunden
4 45 • Detailplanung zur Erarbeitung des Zielgruppenkonzepts
ist abgeschlossen
5 47 • Fragebogen für MA ist erstellt und an alle MA verteilt
• Vorbereitung der Gespräche mit BW ist abgeschlossen
6 52 • Fragebögen von MA sind zurück
• Gespräche mit BW sind geführt
• Handlungsleitende Richtlinien sind abgeleitet
7 7 • Zielgruppenkonzept ist erstellt, überarbeitet und
freigegeben
• Beobachtungen und Rückmeldungen zur Partizipation von
MA und BW sind protokolliert
8 26 • Zielgruppenkonzept ist implementiert und die Erarbeitung
evaluiert
• Konzepterarbeitung ist abgeschlossen
Tabelle 8: Meilensteine, eigene Darstellung in Anlehnung an Gächter (vgl. Gächter 2019,
S. 53)

Nach Gächter würde an dieser Stelle des Projektmanagements nun eine Einschätzung der
Kosten folgen (vgl. Gächter 2019, S. 54ff). Da durch die Konzepterarbeitung des
Verhaltenskodexes Nähe und Distanz, wie dem Konzeptantrag zu entnehmen ist, für die
Institution keine zusätzlichen Kosten entstehen, wird auf diesen Schritt verzichtet. Es ist

26
lediglich zu erwähnen, dass die Partizipationsmöglichkeiten für Bewohnende und
Mitarbeitende so geplant werden, dass sie innerhalb der Dienstzeiten oder der frei
verfügbaren zusätzlichen Arbeitszeiten der Mitarbeitenden durchgeführt werden können.
Der Fachaustausch der externen Präventionsstelle ist kostenlos, Spesen fallen keine an.
Allfällige Kosten für Fachliteratur werden von mir privat übernommen. Ebenso werden die
Schreibarbeiten zur Konzepterarbeitung und Dokumentation in meiner Freizeit erledigt.

2.2.7 Kommunikation nach innen und aussen


Wie den Überlegungen zu den Erfolgsfaktoren der Konzepterarbeitung und den
Massnahmen aus der Stakeholder-Analyse zu entnehmen ist, trägt eine funktionierende und
transparente Kommunikation zum erfolgreichen Gelingen der Konzepterarbeitung und -
umsetzung bei. Nach Gächter gibt ein Kommunikationskonzept eines Projekts darüber
Auskunft, was, wer, an wen, wo, wie und wann kommuniziert wird, wobei drei Richtungen
des Kommunikationsflusses zu unterscheiden sind (vgl. Gächter 2019, S. 60).

Kommunikation nach innen (Kernteam, Projektmitarbeitende):


Als Konzeptleiterin bin ich um eine transparente, zeitnahe und funktionierende
Kommunikation innerhalb des Kernteams und gegenüber den Projektmitarbeitenden
bemüht. Sowohl von Seiten der Konzeptleitung, des Kernteams und der
Projektmitarbeitenden wird nach gegenseitigem Einverständnis das Prinzip der Hol- und
Bringschuld gepflegt. Zusätzlich werden von der Konzeptleitung Rahmenbedingungen
geschaffen, die einen adressatengerechten, offenen Austausch von Überlegungen, Ideen und
möglichen Lösungsvorschlägen von Mitarbeitenden und Bewohnenden begünstigen. Dabei
wird jedoch auch auf die Vertraulichkeit, respektive die notwendige Diskretion hinsichtlich
des Themas Rücksicht genommen. Als Ergänzung zu diesem persönlichen Austausch wird
der Kommunikationsfluss parallel auch über Protokolle, E-Mail und Telefon gesichert. Die
Kommunikation mit den Bewohnenden wird zusätzlich noch durch die Anwendung von
Methoden zur unterstützten und adressatengerechten Kommunikation ergänzt und durch
eine flexible und spontane Zeitplanung sichergestellt. Die Bewohnenden werden über
diejenigen Aspekte der Konzepterarbeitung informiert, welche sie direkt betreffen, wie
beispielsweise die konkrete Partizipationsmöglichkeit.

Kommunikation mit der strategischen Ebene (Auftraggeber):


Die Kommunikation mit der strategischen Ebene liegt, gemäss Abmachung im Kernteam,
in meiner Verantwortung. Die Kommunikation mit dem Auftraggeber findet mündlich

27
während der Bürozeiten oder schriftlich per E-Mail statt. Der Auftraggeber wird gemäss
Abmachung nach der Erteilung des offiziellen Konzeptauftrages regelmässig über den
Verlauf der Konzeptarbeit informiert. Ebenso wird er über die konkret geplante
Partizipationsmöglichkeiten für Mitarbeitende und Bewohnende informiert, um allfällige
ungünstige Auswirkungen, auch auf strategischer Ebene, beurteilen zu können. Während
der Abwesenheit der Vertrauensperson der internen Präventions- und Meldestelle
(Kernteam) stehen die Auftraggeber für Rückfragen und zum Austausch zur Verfügung. Die
Nutzung dieses Angebots liegt in der Verantwortung der Konzeptleitung.

Kommunikation nach aussen (Stakeholder):


Die Kommunikation der Stakeholdergruppe der Mitarbeitenden, der Bewohnenden und der
Leitungsebene wurden bereits oben erläutert. Die Koordination der Kommunikation gegen
aussen zur Stakeholdergruppe der Angehörigen liegt in der Verantwortung der
Konzeptleitung und läuft über das Kernteam, die Institutonsleitung und/oder über die
Bezugspersonen. Dabei werden die Angehörigen bei konkretem Nachfragen darüber
informiert, dass ein Verhaltenskodex Nähe und Distanz zur Sicherung der
Betreuungsqualität erarbeitet wird. Der Kommunikationsfluss mit Fachpersonen anderer
Institutionen findet mündlich am externen Fachaustausch über das Kernteam oder über die
Konzeptleitung per Telefon und schriftlich per E-Mail statt. Die externe Präventionsstelle
wird nach Abschluss der Konzeptarbeit durch das Kernteam oder die Institutionsleitung über
die Arbeit mit dem Verhaltenskodex informiert.

2.2.8 Risiken
Abschliessend folgt in der Hauptstudie nun eine Analyse der Risiken, welche mit der
Konzepterarbeitung verbunden sind. Die folgende Risiko-Analyse (Tabelle 9) wird anhand
der 3-E-Formel erstellt. Die 3 E stehen dabei für das Erfassen, das Einschätzen und die
Eindämmung der Risiken. Die einzelnen Risiken werden durch Punkte von 1-10 anhand
ihrer Wahrscheinlichkeit (WS) und ihrer allfälligen Tragweite (TW) abgeschätzt. Damit
erhält jedes Risiko einen bestimmten Risikowert (RW = WS x TW), wodurch transparent
wird, wie wahrscheinlich das Eintreten dieses Risikos ist und welchen Schaden damit
möglicherweise für die Konzepterarbeitung einhergehen würde. Je höher der Risikowert ist,
umso wichtiger ist es, gezielte Massnahmen zur Eindämmung zu definieren. Die Risiko-
Analyse wird im weiteren Verlauf der Konzepterarbeitung regelmässig durch die
Konzeptleitung überprüft und allfällige Bearbeitungen zur Aktualisierung vorgenommen
(vgl. Gächter 2019, S. 61f).

28
Risiko WS TW RW Massnahmen
Unstimmigkeiten innerhalb des 1 8 8 • Offene Kommunikation und
Kernteams Haltung
• Störungen ansprechen und
kooperativ nach Lösungen
suchen
Widerstand von 6 9 54 • Proaktive Kommunikation zur
Mitarbeitenden gegen die Dringlichkeit und den Zielen
Arbeit mit einem der Konzeptarbeit
Verhaltenskodex Nähe und • Widerstand ernst nehmen
Distanz • Nachfragen, auf Gegenüber
eingehen, Zeit lassen
• Kooperative Gespräche und
Verhalten wertschätzen
Überforderung der 4 6 24 • Individuell auf Mitarbeitende
Mitarbeitenden in der eingehen
Auseinandersetzung mit der • Gespräche und Hilfestellungen
Themenstellung Nähe und anbieten
Distanz • Auf Erfahrungen hinweisen
• Nachsorgebedarf überprüfen

Überforderung der 5 6 30 • Bedeutung der Partizipation


Bewohnenden in der erklären und wertschätzen
Auseinandersetzung mit der • Adressatengerecht
Themenstellung Nähe und kommunizieren
Distanz • Rahmenbedingungen für
Gespräche anpassen
• Nachfragen und Zeit lassen
• Gegenüber beobachten und bei
Überforderung intervenieren
• Nachsorgebedarf überprüfen

Kommunikationsprobleme mit 6 8 48 • Kommunikationshilfen


den Bewohnenden anwenden (Visualisierungen)
• Konkrete Beispiele machen
• Beobachtungen hinzuziehen
• Wertschätzung kommunizieren
• Nachfragen, Verbalisieren,
Spiegeln

29
Verschärfung der Schutz- und 7 6 42 • Kooperationsrahmen anpassen
Hygienemassnahmen (Telefon oder schriftlich)
• Gespräche in kleinen Gruppen
führen
• Kontakte minimieren
• Einführung im Rahmen der
einzelnen Wohngruppen

Geringe Kapazitäten und 5 4 20 • Auf Gegenüber eingehen,


Motivation der Mitarbeitenden Verständnis zeigen
durch pandemie-bedingte • Freiwilligkeit hervorheben
Belastung • Kooperationen wertschätzen

Krankheitsbedingter Ausfall 7 4 28 • Weiterer Verlauf frühzeitig


der Vertrauensperson im klären
Kernteam vor der geplanten • Anzahl Gespräche mit
Abwesenheit, Bewohnenden reduzieren
Ausfall der Konzeptleiterin • Fragen stellvertretend mit IL
durch Krankheit oder Unfall und FL klären
• Achtsam mit den eigenen
Ressourcen umgehen
• Risiken vermeiden
Tabelle 9: Risiko-Analyse, eigene Darstellung in Anlehnung an Gächter (vgl. Gächter 2019,
S. 63)

30
2.3 Phase III: Detailplanung
In der Phase der Detailplanung geht es nach Gächter darum, die Aufgaben und Ressourcen
für die Ausführung eines Projekts zu planen (vgl. Gächter 2019, S. 73).

2.3.1 Aufgaben- und Ressourcenplanung


Bei der Aufgaben- und Ressourcenplanung wird auf den Konzeptstrukturplan und den
Zeitplan mit den Meilensteinen zurückgegriffen. Der bereits detaillierte Strukturplan wird
durch den vorgesehenen Zeitaufwand für die Ausführung der einzelnen Aktivitäten, mit den
notwendigen Ressourcen und den Verantwortlichkeiten und Kooperationen, inklusive der
Partizipationsstufe, ergänzt. Die Partizipationsstufe ist in Klammer angegeben und bezieht
sich auf die Ausführungen in Kapitel 2.2.2. Die Nummern der Aktivitäten beziehen sich auf
den Strukturplan (Kap.2.2.5). Der Zeitaufwand umfasst die Vorbereitung, Durchführung
und Nachbearbeitung.

Objektorientierter Aufgaben- und Ressourcenplan


•Verantwortung: KL
•Zeitaufwand: 2 Monate
1 •Ressourcen: Fachbücher, internes Präventionsmaterial, eigene Notizen, PC

•Verantwortung: KL
•Zeitaufwand: 6h
2 •Ressourcen: Fachlektüre (Gächter und Schilling), eigene Visualisierung, Notizen, Post-its

•Verantwortung: KL
•Zeitaufwand: 3 Monate
3 •Ressourcen: Fragebogen, Besprechungsmaterial, Fachbücher, eigene Visualisierungen

•Verantwortung: KL
•Zeitaufwand: 3h
4 •Ressourcen: Verhaltenskodex, Besprechungsmaterial

•Verantwortung: KL
•Zeitaufwand: 4h
5 •Ressourcen: Verhaltenskodex, Visualisierungen, Evaluationsfragen

•Verantwortung: KL
•Zeitaufwand: 1h
6 •Ressourcen: Verhaltenskodex, Dokumente und Daten

Abbildung 3: Objektorientierter Aufgaben- und Ressourcenplan, eigene Darstellung in


Anlehnung an Gächter (vgl. Gächter 2019, S.75ff )

31
Ablauforientierter Aufgaben- und Ressourcenplan

•Verantwortung: KL Kooperation mit: KT, IL/AF (6)


•Zeitaufwand: 3 Wochen
1 •Ressourcen: Fachbücher, internes Präventionsmaterial, Besprechungsmaterial

•Verantwortung: KL Kooperation mit: KT, IL/AF (6), MA/BW (1)


•Zeitaufwand: 3h
2 •Ressourcen: Besprechungsmaterial, Risikoanalyse, Beobachtungen

•Verantwortung: KL Kooperation mit: KT, IL/AF (6)


•Zeitaufwand: 5h
3 •Ressourcen: Fachbücher, Beobachtungen, Besprechungsmaterial

•Verantwortung: KL Kooperation mit: KT (6), Fachpersonen (3)


•Zeitaufwand: 3h
4 •Ressourcen: Fragen, Besprechungsmaterial, Kontaktdaten

•Verantwortung: KL Kooperation mit: KT, IL/AF (6)


•Zeitaufwand: 2h
5 •Ressourcen: Fragebogen MA, Besprechungsmaterial

•Verantwortung: KL Kooperation mit: KT, IL/AF (5), MA/BW (4)


•Zeitaufwand: 3 Monate
6 •Ressourcen: Fragebogen MA/BW, Visualisierungs- und Besprechungsmaterial, Fachbücher

•Verantwortung: KL Kooperation mit: KT, IL/AF (6)


•Zeitaufwand: 2h
7 •Ressourcen: Verhaltenskodex, Besprechungsmaterial

•Verantwortung: KL Kooperaton mit: KT, IL/AF(4), MA/BW (5)


•Zeitaufwand: 6h
8 •Ressourcen: Verhaltenskodex, Visualisierungs-und Besprechungsmaterial

Legende: Besprechungsmaterial=persönliche Unterlagen, Notizmaterial, Uhr, PC, Raum,


Visualisierungsmaterial= Bilder der UN-BRK zu Gewaltformen, Gefühls-Karten
Abbildung 4: Ablauforientierter Aufgaben- und Ressourcenplan, eigene Darstellung in
Anlehnung an Gächter (vgl. Gächter 2019, S.75ff )

32
2.4 Phase IV: Ausführung
In der Phase der Ausführung werden nach Gächter die geplanten Arbeiten durchgeführt
(Gächter 2019, S.89). Die Erkenntnisse aus den Analysen aus den vorangehenden Phasen
der Planung ziehe ich bei der Durchführung der Arbeiten mit ein, ich orientiere mich
demnach bei der Kooperation mit Bewohnenden, Mitarbeitenden und weiteren
Fachpersonen an den Erkenntnissen der bereits durchgeführten Konzeptplanung.
Parallel dazu erarbeite ich auf der Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse aus den
Kooperationen den Verhaltenskodex Nähe und Distanz, wobei ich mich an der
Konzeptstruktur nach Schilling orientiere. Auf inhaltliche Überlegungen zum Konzept wird
nach Schilling in einem A-Teil eingegangen, auf welche die konzeptionellen Überlegungen
in einem B-Teil folgen. Der Abschluss einer Konzepterarbeitung bildet nach Schilling ein
C-Teil, welcher im Kapitel 2.5 folgen wird (vgl. Schilling 2016, S.233ff). Die zentralen
Erkenntnisse aus den Besprechungen im Kernteam, mit der Leitungsebene und mit
Fachpersonen anderer Institutionen sowie die Zusammenfassungen der
Kooperationsbeiträge von Bewohnenden und Mitarbeitenden, welche die Grundlage der
Konzeptausarbeitung bilden, sind im Anhang abgelegt. Ebenfalls ist im Anhang der
erarbeitete Verhaltenskodex abgelegt (Anhang 5.7).

2.4.1 A-Teil: inhaltliche Überlegungen


In diesem Teil der Konzepterarbeitung steht die vertiefte fachliche Auseinandersetzung mit
dem Thema und der Fragestellung im Vordergrund. Dabei wird auf relevante Literatur zur
Themenstellung eingegangen und die gewonnenen allgemeinen Erkenntnisse auf die
konkrete Situation und die Zielgruppe übertragen (vgl. Schilling 2016, S. 233f).
In einem ersten Schritt werden dabei zentrale Begrifflichkeiten weiter präzisiert und
definiert und anschliessend die Thematik fachlich erörtert. In einem zweiten Schritt werden
für die Themenstellung relevante handlungsleitende sozialpädagogische Ansätze beleuchtet.

2.4.1.1 Begrifflichkeiten des Konzepts


Grenzverletzungen:
Die körperliche Grenze eines Menschen bildet die Haut. Somit stellen jegliche Berührungen
durch einen anderen Menschen eine mögliche Grenzverletzung dar. Ob eine Berührung von
der betroffenen Person als Grenzverletzung wahrgenommen wird, hängt von deren
subjektiver Wahrnehmung und Bewertung ab. Weitere Grenzen eines Menschen werden
durch dessen Bedürfnisse, Gefühle und Rechte gebildet. Sie liegen demnach in einem für

33
das Gegenüber nicht offensichtlich erkennbaren Bereich. Ob eine Grenzverletzung
unabsichtlich oder absichtlich stattgefunden hat, ist ausschlaggebend für deren mögliche
Folgen, welche gar nicht, wenig oder lebenslänglich wirken können. Wird eine
Grenzverletzung bewusst ausgeübt, so wird in der Literatur und Praxis der Begriff
«Übergriff» verwendet. Grenzverletzungen mit einem strafrechtlich relevanten
Schweregrad werden unter dem Begriff «Gewalt» gefasst. Diese Einordnung dient als
Orientierung und ist nicht abschliessend, da die Kategorisierung von Grenzverletzungen in
eine dieser drei Stufen von differenziertem Hintergrundwissen zum jeweiligen «Fall»
anhängig ist (vgl. Curaviva 2016, S. 17f). Unter dem Begriff «Grenzverletzung» wird somit
die subjektiv wahrgenommene Verletzung der körperlichen, physischen und sexuellen
Integrität eines Menschen verstanden. Als korrigierbares Fehlverhalten werden
grenzverletzende Handlungen verstanden, welche von den internen Richtlinien abweichen
und sich ausserhalb des strafrechtlichen Bereichs befinden.

Nähe und Distanz:


Nähe und Distanz ist ein Begriffspaar, welches nach Margret Dörr und Burkhard Müller auf
ein Spannungsfeld zwischen zwei Polen verweist; einerseits dem Bestreben eines Menschen
nach Selbstbehauptung, andererseits dem gegenseitigen Anerkennen von Abhängigkeiten
zwischen und gegenüber anderen Menschen. Im professionellen Kontext ist das
Spannungsfeld zwischen Nähe und Distanz dadurch gekennzeichnet, dass einerseits formale
Berufsrollen von Professionellen kompetent wahrzunehmen und auszugestalten sind,
andererseits Professionelle der Herausforderung begegnen, sich auf Beziehungen
einzulassen, welche emotional geprägte, persönliche und nur begrenzt steuerbare sind (vgl.
Dörr/Müller 2019, S. 15f). Grenzverletzungen im Bereich Nähe und Distanz beziehen sich
demnach einerseits auf das Spannungsfeld zwischen der Selbstbehauptung und
Abhängigkeit auf körperlicher Ebene, andererseits auf das Spannungsfeld zwischen der
Selbstbehauptung und Abhängigkeit auf der Ebene der Beziehung.

Risikosituationen:
Risikosituationen sind wiederkehrende Situationen in der Betreuung und Begleitung von
Menschen mit einer Beeinträchtigung, welche aufgrund personeller und struktureller
Rahmenbedingungen sich dazu eigenen, Abhängigkeiten herzustellen und zu fördern, Nähe
in besonderer Intensität herbeizuführen und zu pflegen und sich der Kontrolle durch
Drittpersonen entziehen (vgl. Limita 2017, 3). Dies sind im institutionellen Kontext und in
Bezug auf die Zielgruppe beispielsweise Pflegesituationen, Situationen im Zweiersetting,

34
Nachtpikett, Einzeldienste oder die Begleitung von Bewohnenden mit herausfordernden
Verhaltensweisen.

Transparenz und Besprechbarkeit:


«Das Ziel eines sorgfältigen Risikomanagements in Organisationen ist nicht die
Vermeidung sämtlicher Risiken, sondern deren transparente und aktive Gestaltung» wie die
Fachstelle Limita festhält (Limita 2017, S.4). Die aktive und transparente Gestaltung von
Risikosituationen beinhaltet, dass für alle Beteiligten eine Hol- und Bringschuld gilt, die
Abweichungen von der Umsetzung der handlungsleitenden Richtlinien eines
Verhaltenskodex und somit mögliche Distanzverluste erkennbar und besprechbar macht
(vgl. Limita 2017, S.4). Der Fokus der Besprechbarkeit richtet sich dabei auf
Grenzverletzungen, welche unabsichtlich geschehen und sich nicht im strafrechtlich
relevanten Bereich befinden, also korrigierbarem Fehlverhalten.

2.4.1.2 Integritätsverletzungen bei Menschen mit einer Beeinträchtigung


Studien zufolge liegt die Häufigkeit von erzwungenen sexuellen Handlungen und
physischen und psychischen Gewalterfahrungen bei Menschen mit einer Beeinträchtigung
im Erwachsenenalter deutlich höher als bei Menschen ohne Beeinträchtigung. Menschen
mit einer Beeinträchtigung bilden demnach eine Risikogruppe für Grenzverletzungen und
Gewalterfahrungen (vgl. Schröttle, Monika 2013, S.4). Gleichzeitig sind Professinelle im
Bereich kognitive und körperliche Beeinträchtigung gegenüber anderen Bereichen
überdurchschnittlich oft mit verbalen und physischen Grenzverletzungen und
sachbezogener Gewaltanwendungen konfrontiert (vgl. Isenhardt/Mayer/Baier 2019, S.14)
Diese Belastungssituationen, mit welchen Professionellen der Sozialen Arbeit im Bereich
kognitive und körperliche Beeinträchtigung konfrontiert sind, können wiederum Auslöser
für unabsichtlich ausgeübte Grenzverletzungen oder Gewaltanwendungen gegenüber
Menschen mit Beeinträchtigung ausgehend von Professionellen sein, wodurch das bereits
vorhandene Risiko zusätzlich erhöht wird. Denn jede Handlung ist sowohl Aktion als auch
Reaktion, durch die systemisch bedingten zirkulären Rückkoppelungsprozesse, die Wolf
Ritscher wie folgt beschreibt: «Jedes Element eines Systems ist mit allen anderen
verbunden, jede von einem Element ausgehende oder von ihm empfangene Botschaft hat
eine verändernde Konsequenz für den Sender der Botschaft und über ihn hinaus für alle
anderen Mitglieder des Systems» (Ritscher 2017, S. 251).
Menschen mit einer Beeinträchtigung haben multifaktoriell bedingt ein höheres Risiko,
Opfer von Grenzverletzungen und Gewalterfahrungen im physischen, psychischen und

35
sexualisierten Bereich zu werden. Faktoren, die zur erhöhten Vulnerabilität eines Menschen
beitragen, sind wie Klaus Föhlich-Gildoff und Maike Rönnau-Böse aus der
Resilienzforschung zusammenfassen, auf zwei Ebenen anzuordnen: auf der Ebene der
kindbezogenen Faktoren, welche sich auf die biologischen und psychologischen Merkmale
beziehen und auf der Ebene der psychosozialen Faktoren, welche Stressoren und
Risikofaktoren aus der Umwelt eines Kindes umfassen. Die kindbezogenen
Vulnerabilitätsfaktoren sind zudem in primäre und sekundäre Faktoren zu unterscheiden.
Die primären Faktoren sind Risikofaktoren, welche ein Kind von Geburt an aufweist, die
sekundären Faktoren solche, die aus der Interaktion des Kindes mit der Umwelt entstanden
sind. Die Stressoren und Risikofaktoren aus der psychosozialen Umwelt eines Kindes sind
in diskrete und kontinuierliche Faktoren zu unterscheiden (vgl. Fröhlich-Gildoff/Rönnau-
Böse 2019, S.21).
Kindbezogene Vulnerabilitätsfaktoren wären bei der Zielgruppe demnach beispielsweise
eine eingeschränkte verbale Kommunikationsfähigkeit, die körperliche Einschränkung zur
selbständigen Ausübung von Pflegehandlungen oder die kognitive und emotional
eingeschränkte Fähigkeit zur Herausbildung und Wahrnehmung von individuellen Grenzen
wie etwa die Ausbildung eines körperlichen Schamgefühls. Ein Risiko aus der
psychosozialen Umwelt der Zielgruppe wäre beispielsweise der fehlende Kontakt zu
Bezugspersonen ausserhalb der Institution oder das soziale Umfeld einer Person (vgl.
Fröhlich-Gildoff/Rönnau-Böse 2019, S.39).
Die historische Aufarbeitung systematischer Anwendungen von physischen, psychischen
und sexueller Gewaltformen im 20. Jahrhundert gegenüber Kindern und Jugendlichen im
stationären Bereich zeigen, dass der Schutz von Menschen mit Unterstützungsbedarf,
welche in Institutionen leben, durch präventive Massnahmen zwingend zu fördern ist.
Jüngere Missbrauchsfälle des 21. Jahrhunderts im stationären Bereich zeigen zudem, dass
die Thematik hochaktuell ist und zahlreiche Massnahmen auf institutioneller Ebene aber
auch auf Ebene der Kantone und der Verbände auslöste, wie etwa die Erarbeitung der Charta
Prävention (vgl. Curaviva 2015, S. 9).
In der UN-BRK, der Übereinkunft der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen
mit einer Behinderung aus dem Jahre 2006, welche von der Schweiz 2014 unterzeichnet
wurde und so schnell als möglich umgesetzt werden sollte, sind in verschiedenen Artikeln
die Rechte von Menschen mit einer Beeinträchtigung zum Schutze von
Integritätsverletzungen festgehalten. Dies mitunter «unter Hinweis auf die in der Charta der
Vereinten Nationen2 verkündeten Grundsätze, denen zufolge die Anerkennung der Würde

36
und des Wertes, die allen Mitgliedern der menschlichen Gesellschaft innewohnen, sowie
ihrer gleichen und unveräusserlichen Rechte die Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit und
Frieden in der Welt bildet» und aus «der Erkenntnis, dass Frauen und Mädchen mit
Behinderungen sowohl innerhalb als auch ausserhalb ihres häuslichen Umfelds oft in
stärkerem Masse durch Gewalt, Verletzung oder Missbrauch, Nichtbeachtung oder
Vernachlässigung, Misshandlung oder Ausbeutung gefährdet sind» (UN-BRK, S. 1-3) Die
für diese Arbeit zentralsten Artikel der UN-BRK sind:
• Art. 6 Frauen mit Behinderungen
• Art. 14 Freiheit und Sicherheit der Person
• Art. 15 Freiheit von Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender
Behandlung oder Strafe
• Art. 16 Freiheit von Ausbeutung, Gewalt und Missbrauch
• Art. 17 Schutz der Unversehrtheit der Person
• Art. 22 Achtung der Privatsphäre

2.4.1.3 Die vier Grundbedürfnisse nach Grawe


Nach Klaus Grawe hat der Mensch vier Grundbedürfnisse, die er mittels motivationaler
Schemata, die ein Mensch nach der Konsistenztheorie nach Grawe unter spezifischen
Lebensumständen entwickelt, zu befriedigen versucht. Es sind dies das Bedürfnis nach
Orientierung und Kontrolle, das Bedürfnis nach Lustgewinn und Unlustvermeidung, das
Bindungsbedürfnis sowie das Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung (Vgl. Grawe 2000,
S.383f).
Das Bedürfnis nach Orientierung und Kontrolle dient, nebst dem Ausüben von Kontrolle in
einer bestimmten Situation, dazu, sich vorbereitend für zukünftige Situationen einen
möglichst weitreichenden Handlungsspielraum zu schaffen, um wichtige Ziele erreichen zu
können. Personen, welche über das Bewusstsein verfügen, unangenehme Reize wie Schmerz
vermeiden oder beenden zu können, haben nach Grawe eine höhere Lebenszufriedenheit
und sind resistenter gegen Stress (vgl. Grawe 2000, S.387). Werden bei der Zielgruppe also
Grenzen verletzt und verfügt die betroffene Person über das Bewusstsein, über den
Handlungsspielraum zu verfügen, um auf den unangenehmen Zustand positiv einwirken zu
können, so ist sie gegenüber Grenzverletzungen resilienter. Unter «Resilienz» wird die
Fähigkeit eines Menschen gefasst, Krisen in seinem Lebenszyklus durch die Aktivierung
persönlich und sozial vermittelter Ressourcen bewältigen zu können und als Ausgangspunkt
von Entwicklungen zu nutzen (vgl. Fröhlich-Gildoff/Rönnau-Böse 2019, 10).

37
Zum Bedürfnis nach Lustgewinn und Unlustvermeidung in Verbindung mit Nähe und
Distanz ist ausführen, dass entsprechend den Erfahrungen, welche ein Mensch in seiner
Kindheit erlebt hat, ein Mensch die Welt als Ursprung von positiven oder negativen
Ereignissen sieht, wodurch die Lebenseinstellung von optimistischen oder pessimistischen
Glaubenssätzen bestimmt wird. Erfährt ein Mensch mit einer positiven Lebenseinstellung
traumatisierende Ereignisse, so entsteht eine Diskrepanz zwischen seinen
Grundüberzeugungen und der Realitätswahrnehmung, welche ein andauerndes Gefühl von
Angst und weitreichende Auswirkungen auf das psychische Wohlbefinden hervorruft (vgl.
Grawe 2000, S. 395). Im institutionellen Kontext steht ein Gefühl von Angst bei Personen
aus der Zielgruppe in Verbindung mit herausfordernden Verhaltensweisen, wie etwa einem
starken Bedürfnis nach Nähe zu Betreuungspersonen oder zwanghaften Handlungen wie
Ausfragen von Personen oder Ordnen von Gegenständen. Die herausfordernden
Verhaltensweisen können demnach als Erscheinungsform des Bedürfnisses zur
Unlustvermeidung verstanden werden, da sie zur Herstellung des Gleichgewichts zwischen
den Grundüberzeugungen und der Realitätswahrnehmung dienen.
Das Bedürfnis nach Bindung steht, wie Grawe zusammenfasst, für das Grundbedürfnis nach
Nähe zu einer Bezugsperson, wie es von John Bowlby interpretiert wurde. Durch die immer
erreichbare Nähe «in einer guten Bindung» zu einer Bezugsperson, welche Schutz, Trost
und Sicherheit vermittelt, kann ein Mensch, wie Grawe unter Bezugnahme zu der
Entwicklungstheorie nach Erik Erikson weiter ausführt, ein sogenanntes «Urvertrauen»
entwickeln. Die Herstellung von Nähe zu einer Bezugsperson bleibt nach Mary Ainsworth
für einen Menschen lebenslang eine zentrale Grundlage für das physische und psychische
Wohlergehen. Die Beziehungserfahrungen, welche ein Mensch in den ersten Monaten
seines Lebens erlebt, prägen die Beziehungsschemata und das Beziehungsverhalten eines
Menschen.
Die vier Bindungsmuster, welche sich auf der Grundlage der vorhandenen
Beziehungsschemata eines Menschen herausbilden, sind erstens eine sichere Bindung,
zweitens eine unsichere Bindung mit vermeidenden Beziehungsverhalten, drittens eine
unsichere Bindung mit ambivalentem Beziehungsverhalten und viertens eine unsichere
Bindung mit einem desorganisierten/desorientierten Beziehungsverhalten (vgl. Grawe 2000,
S. 396). Diese Bindungsmuster und Beziehungsverhalten sind in Bezug auf
Grenzverletzungen im Bereich Nähe und Distanz in der Betreuung und Begleitung der
Zielgruppe zu berücksichtigen. Ebenfalls ist auch der Grad der emotionalen Entwicklung
von Personen aus der Zielgruppe, welcher von dem Grad der kognitiven und körperlichen

38
Entwicklung abweichen kann, zu berücksichtigen, da dieser auf das Bedürfnis nach Nähe zu
einer Bezugsperson ebenfalls Einfluss haben kann. Hier besteht die Herausforderung für
Professionelle in der Akzeptanz des Erwachsenseins mit kindlichen Bedürfnissen (vgl.
Sappok/Zeperitz 2019, S.35ff).
Das Bedürfnis nach der Erhöhung des Selbstwerts ist nach Grawe die Grundlage zentraler
menschlicher Motive. Ein «schlechtes Selbstwertgefühl» kann dadurch entstehen, dass die
Bedürfnisse eines Kindes durch dessen Bindungsperson nicht befriedigt werden. Dies kann
von dem betroffenen Kind mit zwei alternativen Denkweisen interpretiert werden, entweder
in dem Sinne, dass die fehlende Befriedigung der Bedürfnisse auf sich selbst oder die
Bindungsperson zurückzuführen sei, wobei erstere Interpretation die überwiegende ist und
sich also negativ auf die Herausbildung des Selbstwerts auswirkt. Da ein Mensch darum
bemüht ist, negative Emotionen aufgrund des Bedürfnisses nach Lust und
Unlustvermeidung zu vermeiden, entwickeln Menschen mit einem geringen
Selbstwertgefühl sogenannte Vermeidungsschemata, welche es ihnen ermöglichen, das
Erfahren von negativen Gefühlen, welche durch einen vergeblichen Versuch einer
Bedürfnisbefriedigung entstehen könnten, vermeiden zu können (vgl. Grawe 2000, S.
411ff). In Bezug auf den institutionellen Kontext und die Zielgruppe bedeutet dies
insbesondere, dass hinsichtlich Grenzverletzungen das Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung
dadurch unterstützt werden kann, indem die Signalisation von Grenzverletzungen durch
Personen aus der Zielgruppe von Professionellen wahrgenommen wird und Professionelle
entsprechend handeln.

2.4.1.4 Empowerment und Partizipation


Der Verhaltenskodex Nähe und Distanz soll, wie eingangs erwähnt, als Grundlage für die
Sensibilisierung und Ermächtigung von Bewohnenden und Mitarbeitenden für das
individuelle Wahrnehmen und Bewerten von Grenzverletzungen dienen. Dazu wird auf das
handlungsleitende Konzept des Empowerments zurückgegriffen. Dieses hat seinen
Ursprung in der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung des «Schwarzen Amerika» der
1950er Jahre und verfolgt in der psychosozialen Praxis das Ziel einer autonomen
Bewältigung der Alltagsangelegenheiten der Klientel und findet in deren Selbstbestimmung
seinen Leitfaden. Unter Empowerment wird wörtlich übersetzt die Selbstbefähigung oder
Selbstermächtigung eines Individuums oder einer Gruppe von Individuen verstanden. Diese
Definitionen verweisen auf den zeitlichen Entwicklungsprozess, welcher Menschen
bedürfen, um die Kraft und Fähigkeiten für ein nach ihrem Verständnis besseren Lebens zu

39
finden und nutzen zu können. Das Empowerment-Konzept wird in der Literatur
unterschiedlich und kontrovers behandelt (vgl. Herringer 2020, S.13ff). Als Grundmerkmale
eines Empowerment-Ansatzes, welcher auf einer Philosophie der Menschenstärke beruht,
können folgende Punkte eines «Menschenverständnisses der Stärken» zusammengefasst
werden:
• Orientierung an den Kräften und Ressourcen der Klientel und das Vertrauen in deren
Fähigkeiten zur Selbstgestaltung des eigenen Lebens
• Respektieren von Umwegen, Rückschritten und Stagnation in Empowerment-
Prozessen sowie der individuellen Zeitrhythmen der Klientel
• Verzicht auf Expertenurteile durch Professionelle zu Standards der «richtigen
Lebensgestaltung» der Klientel
• Orientierung an dem Zukunftsentwurf der Klientel und den Schritten, die in dieser
Zukunft zu mehr Selbstbestimmung und Unabhängigkeit führen
• Orientierung an und Wahrung der unveräusserlichen Freiheitsrechte der Klientel
durch die Verwirklichung von Teilhabe, Wahl- und Entscheidungsfreiheit
Diese Grundmerkmale eines Menschenverständnisses, welches sich auf die Stärken eines
Individuums beruft, können als «Gegenrezept» gegen eine erlernte Hilflosigkeit dienen, wie
sie bei der Klientel durch die Orientierung an Defiziten herbeigeführt und gefördert wird
(vgl. Herringer 2020, S. 74ff).
Die Möglichkeit zur Partizipation der Klientel ist mit den Grundmerkmalen dieses
Empowerment-Ansatzes eng verknüpft. Das Konzept der Partizipation, welches als zweites
handlungsleitendes Konzept der Erarbeitung und längerfristigen Arbeit mit dem
Verhaltenskodex zugrunde liegt, fokussiert wie zuvor in der Hauptstudie erwähnt, auf der
Mitwirkung bei und der Einflussnahme auf Entscheidungen. Dazu benötigen Fachpersonen
nach Strassburger und Rieger nebst einer Haltung, welche auf den Werten Gerechtigkeit,
Gleichwertigkeit und Solidarität beruht, bestimmte Kompetenzen, sogenannte
Partizipationskompetenzen. Darunter wird erstens die Kompetenz verstanden, die
Perspektive der Zielgruppe einnehmen zu können, zweitens die Kompetenz, Stärken der
Zielgruppe spiegeln zu können und drittens die Kompetenz, die Eigenständigkeit der
Zielgruppe fördern zu können (vgl. Strassburger/Rieger 2019, S. 234ff).

2.4.2 B-Teil: Konzeptionelle Überlegungen


In diesem Teil der Konzepterarbeitung geht es nach Schillig darum, eine Bedingungsanalyse
durchzuführen, welche als Grundlage des (sozial)pädagogischen Handelns dient. Dazu

40
gehört die Analyse des IST-Zustandes unter Einbezug aller relevanter Komponenten, wie
den vorhandenen Ressourcen und den gegebenen Voraussetzungen. Auf der Grundlage der
Bedingungsanalyse werden anschliessend die Ziele des Konzepts auf der Ebene von
Richtzielen und Grobzielen formuliert. Diese Ziele werden in Erziehungsziele (Lehrende),
Handlungsziele (Lernende) und Lernziele unterteilt (vgl. Schlling 2016, S.64f, 234f). Dabei
bilden die Informationen aus der Kooperation mit Bewohnenden und Mitarbeitenden zum
SOLL-Zustand sowie die Informationen von Fachpersonen anderer Institutionen die zentrale
Grundlage. Die verwendeten Dokumente zur Informationsgewinnung auf der Ebene der
Institution und der Zielgruppe zur Erfassung der Ressourcen und Voraussetzungen bleiben
zur Wahrung des Personen- und Datenschutzes anonym.

2.4.2.1 Bedingungsanalyse
Eine Bedingungsanalyse ist nach Schilling in drei didaktische Bausteine zu unterteilen.
Diese drei didaktischen Bausteine werden im Folgenden erläutert, wobei als Grundlage die
Erfassung des IST- und SOLL-Zustandes durch das Kernteam und der Leitungsebene sowie
Mitarbeitenden und Bewohnenden dient, wie dies im ablauforientierten Strukturplan (Kap.
2.2.5) enthalten ist. Das Kernteam und die Leitungsebene orientierten sich an der bereits
vorhandenen Risikoanalyse und den Beobachtungen und Erfahrungen aus der Arbeit in der
Präventions- und Meldestelle (Anhang 5.2). Zusätzlich wurden die Erfahrungen von
Fachpersonen anderer Institutionen anhand eines Fragebogens und einem mündlichen
Austausch mit der Konzeptleitung einbezogen (Anhang 5.3).
Die Mitarbeitenden konnten sich anhand eines Fragebogens zur IST-Situation und zum
gewünschten Umgang mit Nähe- und Distanz in Risikosituationen äussern (Anhang 5.4).
Der Fragebogen wurde von der Konzeptleitung erstellt und der Leitungsebene zur
Konsultation vorgelegt, bevor er an alle Mitarbeitenden aus dem Betreuungs- und
Beschäftigungsbereich (insgesamt 14) verteilt wurde. Der Fragebogen wurde von 12
Mitarbeitenden ausgefüllt. Mündliche Rückmeldungen und Überlegungen zum Fragebogen
und zum Thema wurden von der Konzeptleitung laufend festgehalten.
Den Bewohnenden wurde ein Gespräch zum Thema Nähe und Distanz mit dem Kernteam
angeboten, welches von 4 Bewohnenden wahrgenommen wurde. Aus jeder Wohngruppe
konnte mit mindestens einer Person aus der Zielgruppe ein Gespräch anhand eines
Fragebogens (Anhang 5.5) geführt werden. Der Fragebogen basierte auf der Grundlage des
Fragebogens für die Mitarbeitenden, wurde jedoch zur adressatengerechten Kommunikation
auf die Zielgruppe angepasst.

41
Erster didaktischer Baustein: Lehrender und Ressourcen
Nach Schilling besteht der erste didaktische Baustein aus den Ressourcen, welche aus
internen und externen Faktoren bestehen (vgl. Schilling 2016, S. 65ff). Unter den internen
Faktoren sind folgende Ressourcen zu fassen:

• Rechtliche Grundlagen: Unterzeichnung der Mitarbeitenden des Konzepts zum


Umgang mit Gewalt, Übergriffen und sexuellem Missbrauch mit Hinweis zu
Meldepflicht und Melderecht von Mitarbeitenden gemäss ZGB. Rechte von
Menschen mit Behinderung in der UN-BRK.
• Ziele des Trägers/Leitbild: Förderung individueller Betreuungs- und Wohnformen
und gegenseitiger Entwicklungen von Bewohnenden und Mitarbeitenden.
Ganzheitliches Menschenbild, welches nach einer Arbeit auf Augenhöhe verlangt.
• Personale Ressourcen der Mitarbeitenden: Mitarbeitende verfügen über
unterschiedliche Qualifikationen in unterschiedlichen Bereichen. Zudem verfügen
Mitarbeitende über unterschiedliche persönliche und berufliche Kompetenzen,
Erfahrungen und Ressourcen, welche in der Zusammenarbeit untereinander und
gegenüber Bewohnenden transparent sind. Mitarbeitende erweitern und
aktualisieren ihr Fachwissen in externen und internen Weiterbildungen. Mehrere
Mitarbeitende arbeiten bereits längere Zeit in der Institution und haben langjährige
Erfahrungen in der Arbeit mit Bewohnenden mit herausfordernden
Verhaltensweisen.
• Individuelle Stärken und Schwächen: Die Zusammenarbeit ermöglicht die
Berücksichtigung und Förderung individueller Stärken. Individuelle Schwächen
werden wahrgenommen, akzeptiert und, wenn für die Zusammenarbeit unter
Mitarbeitenden oder mit Bewohnenden notwendig, transparent gemacht. Bei der
Einstellung neuer Mitarbeitenden wird auf die Beziehungsfähigkeit, die
Reflexionsfähigkeit und das Menschenverständnis besonderen Wert gelegt.
• Zielgruppe: Bewusstsein für die Themen «Gewalt» und «Risikosituationen» ist bei
der Zielgruppe unterschiedlich vorhanden. Interne Weiterbildungen sind für
Bewohnende freiwillig, wurden in der Vergangenheit aber praktisch ausnahmslos
von allen Bewohnenden besucht, da sie ein Interesse am gemeinsamen Lernen
zeigen. Die präventive Arbeit zum Thema Gewaltformen und Grenzverletzungen,
welche bisher auf einer Wohngruppe mit Bewohnenden durchgeführt wird, stösst bei
Bewohnenden auf Interesse und zeigt Veränderungen in der Wahrnehmung und

42
Signalisation von Grenzverletzungen durch Bewohnende und Mitarbeitende.
Mehrere Bewohnende bekräftigen, dass sie die Auseinandersetzung mit den Themen
Grenzverletzungen, Gewalt, Nähe und Distanz als wichtig oder interessant erachten,
da es sie direkt betrifft und sie alltägliche Situationen zur Konkretisierung des
Themas kennen.
• Arbeitsklima und Zusammenarbeit: Das Arbeitsklima ist freundlich, wertschätzend,
respektvoll und vertrauensvoll. Es wird eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit
allen Beteiligten und eine offene, transparente Kommunikation gepflegt und
gefördert. Fragen zum Umgang mit Nähe und Distanz werden in Sitzungen,
gegenüber Bezugspersonen oder den Vertrauenspersonen geäussert. Bezüglich eines
einheitlichen Umgangs und der Kommunikationswege wird die Erarbeitung eines
Verhaltenskodex von Mitarbeitenden als Optimierungsmöglichkeit verstanden.
• Materialien und Räume: Das interne Arbeitsinstrument zu Gewalt und
Grenzverletzungen anhand der UN-BRK kann an die Voraussetzungen der einzelnen
Bewohnenden und Wohngruppen adaptiert werden. Die Visualisierungen der UN-
BRK in leichter Sprache sind mehreren Bewohnenden bekannt. In den einzelnen
Wohngruppen sind private, halbprivate und öffentliche Räume getrennt und
unterschiedlich gestaltet. In jeder Wohngruppe gibt es mindestens einen halbprivaten
Raum, welcher über die Möglichkeit des Sichtkontakts von aussen verfügt.
• Arbeitszeiten, Personalplanung: Die meisten Mitarbeitenden arbeiten
gruppenübergreifend und sowohl im Betreuungs- als auch im
Beschäftigungsbereich. Alle Mitarbeitenden arbeiten nach einem fixen
Wochenstundenplan und haben eine bestimmte Anzahl Stunden zur Verfügung,
welche für zusätzliche Arbeiten wie Weiterbildungen oder Projekte genutzt werden
können. Die Bewohnenden arbeiten mindestens einmal in der Woche gemeinsam mit
ihrer Bezugsperson zusammen. Ebenso arbeiten die internen Vertrauenspersonen
mindestens einmal pro Woche auf jeder Wohngruppe.
• Arbeitsweisen, -methoden: Methoden der kollegialen Beratung werden in Sitzungen
und Gesprächen regelmässig angewendet. Auch der Austausch und die gegenseitige
Beratung unter Mitarbeitenden im informellen Rahmen findet regelmässig statt.
Einzelne Arbeiten innerhalb des Arbeitsplanes werden entsprechend des
individuellen Betreuungsbedarfs und den aktuellen Bedürfnissen der Bewohnenden
unter deren Einbezug geplant und durchgeführt.

43
• Flexibilität der Strukturen: Die Institution legt Wert auf Flexibilität und fördert die
gruppen- und bereichsübergreifende Arbeitsgestaltung. Ausfälle von Mitarbeitenden
oder spezielle Gegebenheiten können mit geringem personellem Mehraufwand
aufgefangen werden. Bei längerer Abwesenheit beider Vertrauenspersonen, werden
die Meldewege vorgehend kommuniziert und eine mögliche Vertretung vor Ort
festgelegt.

Die externen Faktoren sind unter folgenden möglichen Ressourcen zu fassen:


• Lage der Einrichtung/Nachbarn: Ein Standort der Institution ist zentral in einem Dorf
gelegen. Zu den Nachbarn besteht ein guter, entspannter Kontakt. Der zweite
Standort der Institution liegt abgelegener auf dem Land. Die Nachbarhäuser liegen
hier einige Fussminuten entfernt.
• Angehörige/Klientensysteme: Der Austausch zwischen der Institution und
Angehörigen, respektive den Klientensystemen findet regelmässig statt.
Unsicherheiten können von beiden Seiten angesprochen werden und kritische Fragen
sowie Sorgen werden von der Institution und Angehörigen ernst genommen. Die
Bezugspersonen und für die Zusammenarbeit relevante Zuständigkeiten von
Mitarbeitenden sind den Klientensystemen bekannt.
• Andere soziale Anbieter: Die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit externen
Fachstellen und anderen Institutionen zur Begleitung und Betreuung von
Bewohnenden mit herausfordernden Verhaltensweisen und/oder psychischen
Beeinträchtigungen wird regelmässig gepflegt und von Mitarbeitenden und
Angehörigen geschätzt.
• Nationalitäten: In der Institution arbeiten und leben Menschen unterschiedlicher
Nationalitäten. Dies fördert die Multiperspektivität und eine bewusste
Auseinandersetzung mit dem Themenfeld.
• Gesellschaftliche Situation: Durch ihr selbstbewusstes und selbstverständliches
Auftreten und Teilhaben an der Gesellschaft erfahren Bewohnende und die
Institution von der Öffentlichkeit immer wieder Anerkennung und Akzeptanz. Durch
den Paradigmenwechsel der Gesellschaft bezüglich Menschen mit Beeinträchtigung,
welcher Bewohnende und die Institution insbesondere während Projekten und im
Austausch mit Nachbarn und Freunden immer deutlicher erleben, verstehen sich die
Bewohnenden der Institution als Teil der Gesellschaft.

44
Auswertung der internen und externen Faktoren
Als zentrale interne Ressourcen sind die bereits erkennbaren Entwicklungen hinsichtlich der
Wahrnehmung und Benennung von Grenzverletzungen bei mehreren Bewohnenden sowie
die Reflexionsfähigkeit und Bereitschaft zur Weiterentwicklung der Mitarbeitenden, etwa
durch Methoden der kollegialen Beratung, zu sehen. Ebenso sind auch die Motivation von
Mitarbeitenden zur Umsetzung der UN-BRK und die gemeinsame Auseinandersetzung mit
dieser zusammen mit den Bewohnenden sowie wie die Flexibilität der Strukturen, das
Bezugspersonensystem und das Interesse an internen Weiterbildungen zentrale Ressourcen.
Die Zusammenarbeit mit anderen sozialen Anbietern dient als externe Ressource zum
Verständnis von herausfordernden Verhaltensweisen und dem angemessenen und
einheitlichen Umgang damit innerhalb der Institution und bei den Klientensystemen. Ebenso
ist die Wahrnehmung der Bewohnenden durch die Öffentlichkeit als Ressource zu
verstehen, da sich Bewohnende als Teil der Gesellschaft verstehen und ihr Recht auf
Teilhabe und Mitbestimmung auch innerhalb der Institution bei Mitarbeitenden äussern und
einholen.

Zweiter didaktischer Baustein: Voraussetzungen


Der zweite didaktische Baustein widmet sich nach Schilling den Voraussetzungen des
Lernenden, also der Zielgruppe. Dabei werden zwischen individuellen und sozio-kulturellen
Voraussetzungen unterschieden. Gemäss Schilling bietet der Empowerment-Ansatz dabei
die Möglichkeit, sich mit dem Lernenden auseinanderzusetzen Es wird bei der Analyse der
Voraussetzungen demnach der Fokus auf individuelle Ressourcen und Fähigkeiten gerichtet
mit dem Ziel, Menschen bei der Suche nach Selbstbestimmung, autonomer Lebensenergie
und der Ressourcenfreilegung unterstützen zu können (vgl. Schilling 2016, S. 69ff).

Individuelle Voraussetzungen:
Die Grundlage für die Sammlung der individuellen Ressourcen bilden einerseits Gespräche
mit den Bewohnenden, andererseits Beobachtungen aus der Präventionsarbeit (Kernteam)
und ungerichteten Beobachtungen von Mitarbeitenden aus der alltäglichen Arbeit mit
Bewohnenden. Die Bewohnenden sind in der nachfolgenden Tabelle nach ähnlichen
Voraussetzungen eingeteilt und sind durch fiktive Namen anonymisiert.

45
Name, Beeinträchtigung Ressource Vorkenntnisse
Alter,
Geschlecht
Anna, Kognitive • Kennt und benennt Anna: externe
44, Beeinträchtigung verschiedene Gewaltformen Weiterbildung
weiblich • Äussert Grenzverletzungen zum Thema
gegenüber vertrauten Personen «Gewalt und
• Kann Körperhygiene Übergriffe»
selbständig durchführen besucht
Bruno, Kognitive • Zeigt Körperscham
45, Beeinträchtigung • Drückt Emotionen nonverbal Alle:
männlich und verbal aus Vorkenntnisse
• Drückt Bedürfnisse gegenüber aus interner
vertrauten Personen verbal aus Präventions-
Claudio, Kognitive arbeit,
• Zeigt Interesse an
46, Beeinträchtigung kennen
Weiterbildungen mit
männlich Meldewege
Mitarbeitenden
• Ist kommunikativ und offen
• Spricht Unsicherheiten bei der
Bezugsperson an
Bruno: kann einfache Sätze
lesen
Doris, 50, Kognitive • Erkennt exemplarische Doris:
weiblich Beeinträchtigung Gewaltformen Vorkenntnisse
• Äussert Grenzverletzungen aus interner
gegenüber vertrauten Personen Präventions-
Ernst, 46, Kognitive nonverbal oder verbal arbeit
männlich Beeinträchtigung, • Drückt Emotionen und
eingeschränkte Bedürfnisse nonverbal und
verbale verbal aus
Kommunikations- • Kann Körperhygiene
fähigkeit selbständig durchführen
• Zeigt teilweise Körperscham
• Zeigt Interesse an Sitzungen
und visuellen Inhalten
Doris: kann einfache Sätze lesen
Henri, 38, Kognitive • Erkennt exemplarische Fabio: Kennt
männlich Beeinträchtigung Gewaltformen Meldewege und
• Äussert Grenzverletzungen Vorgehen bei
verbal oder nonverbal einer Vorfall-
Fabio, 50, Kognitive und • Drückt Emotionen verbal Aufarbeitung
männlich psychische gegenüber vertrauten Personen
Beeinträchtigung aus
• Drückt Bedürfnisse nonverbal
Gaudenz, Kognitive und oder verbal aus
49, psychische • Kann Körperhygiene
männlich Beeinträchtigung selbständig oder unter
Anleitung durchführen
• Zeigt teilweise Körperscham

46
Charlie, 47, Kognitive und • Weicht engem Körperkontakt
männlich körperliche aus
Beeinträchtigung • Zeigt Interesse am Thema im
informellen Rahmen
• Ist bei passendem Setting
kommunikativ und offen
• Spricht Unsicherheiten bei der
Bezugsperson an
Fabio: kann lesen und schreiben
Charlie: kann lesen

Ina, 52, Kognitive und • Erkennt teilweise Beide: Kennen
weiblich körperliche exemplarische Gewaltformen das offene
Beeinträchtigung, • Wehrt sich teilweise zeitnah Ansprechen von
eingeschränkte gegen Grenzverletzungen wiederholten
verbale nonverbal oder verbal Grenzver-
Kommunikations- • Drückt Emotionen und letzungen
fähigkeit Bedürfnisse teilweise
nonverbal oder verbal aus
• Kann Körperhygiene teilweise
Klara, 43, Kognitive und unter Anleitung durchführen
weiblich körperliche • Ist bei Sitzungen teilweise
Beeinträchtigung, dabei
eingeschränkte • Teilt sich im Alltag durch Ein-
verbale bis-zwei-Wort-Sätze mit
Kommunikations- • Kann «ja» und «nein» sagen
fähigkeit
• Versteht verbale Mitteilungen
Lara, 43, Kognitive und • Kennt und benennt teilweise Kennt das
Jahre psychische exemplarische Gewaltformen offene
Beeinträchtigung, • Äussert teilweise Ansprechen von
emotionale Grenzverletzungen gegenüber wiederholten
Entwicklung eines vertrauten Personen Grenzver-
1.5-7 jährigen • Kann Körperhygiene letzungen und
Kindes selbständig oder unter macht dies
physischer Präsenz von selbst teilweise
Betreuenden durchführen aktiv
• Drückt Emotionen und
Bedürfnisse nonverbal und
teilweise verbal aus
• Zeigt ein starkes Bedürfnis
nach Nähe und Kontrolle zu
Bezugspersonen
• Nimmt aktiv an Sitzungen teil
• Zeigt Interesse an visuellen
Inhalten
• Kann klare, kurze
Informationen aufnehmen und
verarbeiten
Tabelle 10: Individuelle Voraussetzungen der Zielgruppe, eigene Darstellung

47
Sozio-kulturelle Voraussetzungen:
• Rolle und Rollenbilder: Die meisten Bewohnenden sind in ihrer Familie
aufgewachsen und haben klare geschlechterspezifische Rollenbilder vermittelt
bekommen. In der Institution werden davon abweichende, modernere
geschlechterunspezifische Rollenbilder offen thematisiert und gemäss der UN-BRK
die Chancengleichheit von Frauen und Männern berücksichtigt. Ebenfalls wird
Bewohnenden vermittelt, dass Grenzverletzungen, Übergriffe und Gewaltformen im
Bereich Nähe und Distanz von beiden Geschlechtern ausgehen können.
• Sprachstil und Kommunikationsfähigkeit: Die Institution legt Wert auf die
Bewusstseinsbildung, wonach alle Menschen entsprechend ihren Fähigkeiten
kommunizieren können. Bewohnende verfügen über einen gepflegten Sprachstil und
haben meist einen freundlichen Umgangston. Bei neun Bewohnenden verläuft die
Kommunikation primär auf der verbalen Ebene. Bei drei Bewohnenden verläuft die
Kommunikation auf der nonverbalen Ebene in Verbindung mit unterstützenden
Kommunikationsformen.

Auswertung der Voraussetzungen


Ausgehend von den individuellen Voraussetzungen ist festzuhalten, dass alle Bewohnenden
über zahlreiche Ressourcen verfügen, die zu einer transparenten Gestaltung von
Risikosituationen im Bereich Nähe und Distanz beitragen können. Durch die Wahrnehmung
und Aktivierung dieser Ressourcen können Risikosituationen zudem auch minimiert
werden, da die Selbständigkeit gefördert werden kann und Abhängigkeiten verringert
werden. Der eingeschränkten verbalen Kommunikationsmöglichkeit einzelner
Bewohnenden ist zwingend durch die Sensibilisierung zur Wahrnehmung und Signalisation
von Grenzverletzungen auf nonverbaler Ebene Rechnung zu tragen. Zudem kann durch die
Sensibilisierung von Bewohnenden und Mitarbeitenden für die Entwicklung von
geschlechterneutralen Rollenbildern die Grundlage für die Chancengleichheit von
Bewohnerinnen und Bewohnern, auch hinsichtlich der Ermächtigung zur Wahrnehmung
und Benennung von Grenzverletzungen, weiter gefördert werden. Ebenfalls ist festzuhalten,
dass auf ein passendes Setting zur präventiven Arbeit mit den Bewohnenden zu achten ist,
welches eine vertraute und ungezwungene Atmosphäre ermöglich.

48
Dritter didaktischer Baustein: Lehr-Lern-Situation
Der dritte didaktische Baustein ergibt sich nach Schilling aus der Kombination von Aspekten
des ersten und zweiten didaktischen Bausteins, indem der Lehrende und der Lernende
miteinander interagieren und kommunizieren. Die Lehr-Lern-Situation, welche sich aus
dieser Interaktion und Kommunikation ergibt, sollte analysiert und entsprechend gestaltet
werden. Die sechs Aspekte, die es nach Schilling dabei zu behandeln gilt, sind, die Aspekte
Lernen, Prozess, Gefälle, Verhältnis, Beziehung und Situation (vgl. Schilling 2016, S.74).
Nach Schilling nimmt die Zielgruppe anhand von konkreten Beispielen aus ihrem Alltag
durch die Aktivierung verschiedener Ebenen des Lernens Informationen zum Thema auf,
verarbeitet diese und setzt sie unter Umständen um. Bei dem Prozess ist das individuelle
Lerntempo der Zielgruppe bei der langfristigen, mittelfristigen und kurzfristigen Planung
von Lernangeboten zu berücksichtigen und aufzunehmen. Zudem sind auch
Gruppenprozesse zu beobachten und zu berücksichtigen. Auf das Gefälle zwischen
Lehrenden und Lernenden ist durch die stete Einbeziehung der Zielgruppe und eines
Lernangebotes auf Augenhöhe mit allen Beteiligten einzuwirken. Das Lehr-Lern-Verhältnis
orientiert sich an einem partnerschaftlichen Verhältnis zwischen Bewohnenden und
Mitarbeitenden und ist rücksichtsvoll, wertschätzend, empathisch, kongruent. Auf den
Aspekt der Beziehung ist bewusst einzugehen durch den Einbezug aller Mitarbeitenden,
damit durch die vielfältigen Beziehungsstrukturen und Beziehungsarbeiten ein
grösstmögliches Mass an Motivation bei der Zielgruppe erreicht werden kann. Die Situation
des Lernangebotes ist sowohl auf innere, äussere und interpretierende Faktoren zu
überprüfen und die Anfangsphase, die Hauptphase und Abschlussphase sind entsprechend
den Ressourcen und Bedürfnissen der Zielgruppe zu gestalten (vgl. Schilling 2016, S.76ff).

2.4.2.2 Ziele
Auf der Grundlage der Bedingungsanalyse folgt die Formulierung der Ziele des Konzepts
in hierarchisierter Form. Die Richtziele sind die übergeordneten Ziele und beziehen sich
durch ihre grobe und abstrakte Formulierung auf den Lernenden wie auch den Lehrenden.
Das Richtziel ersten Grades bezieht sich auf die Ebene der Institution und ist gemäss
Schilling statisch. Das Richtziel zweiten Grades bezieht sich auf die Zielgruppe und ist
veränderbar, also dynamisch. Von den Richtzielen werden Grobziele abgeleitet, welche
einen hypothetischen Charakter haben und grob formuliert sind. Die Grobziele sind zu
unterscheiden in Erziehungsziele, welche der Lehrende bewusst in die Situation einbringt
und Handlungszielen, welche sich auf die Zielgruppe beziehen und Lernziele, welche aus

49
der Übereinstimmung von Erziehungs- und Handlungszielen ergeben. (vgl. Schilling 2016,
S. 110ff).
Von den Grobzielen werden bei einer Zielhierarchisierung mindestes zwei Feinziele
abgeleitet. Bei einem längerfristigen Zielgruppenkonzept fehlt gemäss Schilling die
Feinziel-Ebene. Dadurch fehlt in einem Zielgruppenkonzept nach Schilling auch der Bezug
zu möglichen Methoden zur Umsetzung der Feinziele. (vgl. Schilling 2016, S.246ff). In den
folgenden Ausführungen werden demnach keine Feinziele formuliert und auf den Bezug zu
möglichen Methoden zur Umsetzung der Ziele verzichtet.
Die folgenden Richt- und Grobziele des Konzepts sind auf der Grundlage des Austauschs
im Kernteam und der Leitungsebene und auf der Grundlage der Kooperationen mit
Mitarbeitenden und Bewohnenden ausgearbeitet worden.

Richtziel 1. Grades:
Die Bewohnenden werden durch die transparente Gestaltung von Risikosituationen im
Bereich Nähe und Distanz vor Grenzverletzungen geschützt.
Richtziel 2. Grades:
Die transparente Gestaltung von Risikosituationen im Bereich Nähe und Distanz ist
individuell und professionell umgesetzt.
Erziehungsziele: Handlungsziele:
Mitarbeitende… Die Bewohnenden möchten…
• reflektieren ihre Rolle und Haltung in • Schutz ihrer Privatsphäre und ihrer
Risikosituationen Intimsphäre
• kommunizieren Unsicherheiten zeitnah • Mitbestimmung bei der Gestaltung von
im geeigneten Rahmen Unterstützungsangeboten
• werten ihr Handeln anhand eigener • klare Informationen und Begründungen
verbaler und nonverbaler Signale aus über Handlungen, die Körperkontakt
• werten ihre Wahrnehmung in benötigen
Risikosituationen anhand verbaler und • freundlich auf Grenzüberschreitungen
nonverbaler Signale von Bewohnenden gegenüber Mitarbeitenden hingewiesen
aus werden
Die Bewohnenden… • Raum und Zeit, um Unsicherheiten und
• erhalten einen einheitlichen und Fragen in Bezug auf Nähe und Distanz
transparenten Umgang mit Nähe und ansprechen zu können
Distanz • Zeit und Aufmerksamkeit von
• treten bei der Gestaltung von Mitarbeitenden beim Äussern und
Risikosituationen in Kooperation mit Wahrnehmen von Bedürfnissen
Mitarbeitenden • Respekt und Achtung gegenüber ihren
• erhalten ressourcenorientierte und - individuell wahrgenommenen Grenzen
aktivierende Unterstützungsangebote
Lernziele:
Bewohnende…
• erhalten Angebote zur Wahrnehmung und Benennung individueller Bedürfnisse
• erhalten Sicherheit im Umgang mit Nähe und Distanz durch eine transparente und
kongruente Kommunikation

50
• erhalten individuell gestaltete Unterstützungsangebote, die auf ihren Ressourcen und
Bedürfnissen beruhen
• werden kooperativ bei der Gestaltung von Unterstützungshandlungen in
Risikosituationen einbezogen
Mitarbeitende…
• kommunizieren Grenzverletzungen und Unsicherheiten zeitnah
• respektieren und achten die individuellen Grenzen der Bewohnenden in Bezug auf
Nähe und Distanz
• respektieren und achten ihre eigenen Grenzen in Bezug auf Nähe und Distanz
• werten ihr Handeln und ihre Wahrnehmung in Risikosituationen anhand verbaler und
nonverbaler Signale aus und beziehen Bewohnende mit ein (Evaluation)
Tabelle 11: Ziele des Zielgruppenkonzepts, eigene Darstellung

51
2.5 Phase V: Einführung
In dieser Phase geht es nach Gächter darum, das Erarbeitete eines Projekts aus der
Ausführungsphase in die Stamm -und Linienorganisation zu integrieren (vgl. Gächter 2019,
S.105). Vor den Überlegungen zur Implementierung des Verhaltenskodexes wird auf den C-
Teil nach Schilling eingegangen, indem Überlegungen zur Auswertung und
Selbstevaluation der im Konzept enthaltenen Zielen formuliert werden (vgl. Schilling 2016,
S.236ff).

2.5.1 C-Teil: Überlegungen zur Auswertung/Selbstevaluation


Nach Schilling besteht eine reflexive Pädagogik darin, dass bereits bei der Planung eine
spätere Evaluation berücksichtigt wird. In den zuvor formulierten Zielen ist diese
Überlegung in den ersten beiden Punkten der Erziehungszielen und im letzten Punkt der
Lernziele enthalten. Nach Schilling ist zwischen einer verbalen und nonverbalen
Auswertung in Form von Feedback und Beobachtung zu unterscheiden. Die Auswertung
findet sowohl bei Mitarbeitenden als auch bei Bewohnenden auf der nonverbalen und
verbalen Ebene statt (vgl. Schilling 2016, S. 236ff)

Organisatorische Überlegungen:
• Der Rahmen der Auswertung wird den aktuellen Möglichkeiten und den
Bedürfnissen der Beteiligten entsprechend gestaltet. Es wird ein Austausch in
grösseren Runden bevorzugt.
• Alle Mitarbeitenden und Bewohnenden entscheiden selbst, ob sie auf die
Evaluationsfragen eingehen möchten
• Bei Beiträgen wird aktiv zugehört und das Gesagte respektvoll aufgenommen.

Auswertung Ebene Bewohnende zum Lernziel:


Mitarbeitende «werten ihr Handeln und ihre Wahrnehmung in Risikosituationen anhand
verbaler und nonverbaler Signale aus und beziehen Bewohnende mit ein»

Nonverbale Auswertung:
1. Konnte ich die physische, psychische und sexuelle Integrität meines Gegenübers wahren?
Handlungskriterien:
• Bin ich meinem Gegenüber auf Augenhöhe begegnet?
• Habe ich das Einverständnis meines Gegenübers vorangehend eingeholt?
• Habe ich Unterstützung punktuell angeboten?

52
2. Kenne ich mögliche Grenzen meines Gegenübers?
Handlungskriterien:
• Körperliche Grenzen?
• Emotionale Grenzen?
• Grenzen der Privatsphäre?

Verbale Auswertung:
Bewohnende teilen zum Umgang mit Nähe und Distanz mit:
…ob sie über Handlungen von Mitarbeitenden informiert sind?
…ob sie den Grund für Handlungen kennen?
…ob sie bei der Gestaltung von Situationen einbezogen werden?
…ob sie Bedürfnisse wahrnehmen und äussern können?
…ob sie Unsicherheiten äussern können?
…was Mitarbeitende unbedingt wissen müssen?

Didaktischer Kommentar:
Fünf Fragen sind bewusst geschlossen formuliert, damit sie von allen Bewohnenden verbal
beantwortet werden können. Die letzte Frage ist offen formuliert und sollen einen möglichen
Entwicklungsbedarf aufzeigen.

Vermittlungsvariablen:
Methode: Quartalsweise findet eine Blitz-Auswertung durch die interne Präventions- und
Meldestelle statt, welche dokumentiert wird. Die Erkenntnisse werden halbjährlich allen
Beteiligten kommuniziert. Jährlich wird innerhalb der einzelnen Wohngruppen eine
umfassende Auswertung vorgenommen und dokumentiert. Sie dient als Grundlage für
allfällige Anpassungen des Verhaltenskodex entsprechend den Bedürfnissen der
Bewohnenden.

Auswertung Ebene Mitarbeitende zum Lernziel:


Mitarbeitende «werten ihr Handeln und ihre Wahrnehmung in Risikosituationen anhand
verbaler und nonverbaler Signale aus und beziehen Bewohnende mit ein»
und zu den Entwicklungszielen:
«Mitarbeitende reflektieren ihre Rolle und Haltung in Risikosituationen»
«Mitarbeitende kommunizieren Unsicherheiten zeitnah im geeigneten Rahmen»

Nonverbale Auswertung:

53
Auswertung anhand von Beobachtungen zu den im Verhaltenskodex enthaltenen
Reflexionsfragen bezüglich der eigenen Haltung und des eigenen Handelns zum Umgang
mit Nähe und Distanz in Risikosituationen. Die Handlungskriterien beziehen sich auf die
Richtlinien aus dem Verhaltenskodex. Die Reflexionsfragen beziehen sich auf

1. die eigene Rolle und Haltung in Risikosituationen


2. die Wahrnehmung von individuellen Bedürfnissen und Grenzen
3. den Auftrag in Risikosituationen

Verbale Auswertung:
Mitarbeitende teilen zum Umgang mit Nähe und Distanz mit:
…wie sie die Arbeit mit dem Verhaltenskodex bewerten?
…ob der Verhaltenskodex klar und verständlich formuliert ist?
…ob der Verhaltenskodex ihnen Sicherheit im Umgang mit Nähe und Distanz gibt?
…wie sie Handlungen in Risikosituationen gegenüber Bewohnenden kommunizieren?
…wie sie bei der Gestaltung von Unterstützungshandlungen Bewohnende einbeziehen?
…wie sie Bedürfnisse bei sich und bei Bewohnenden wahrnehmen?
…wo sie Unsicherheiten zeitnah äussern können?
…wie sie Grenzen bei sich und Bewohnenden wahrnehmen?
…ob und wie sich ihre Haltung in Risikosituationen verändert hat?
…was sie unbedingt mitteilen möchten?

Didaktischer Kommentar:
Die Fragen für Mitarbeitende sind grösstenteils bewusst offen und so gestellt, dass die
Reflexion angeregt wird und in einem Austausch Erkenntnisse zur gegenseitigen
Weiterentwicklung geteilt werden können.

Vermittlungsvariablen:
Methoden: Die Evaluation wird zwei Monate nach der Implementierung des
Verhaltenskodex durchgeführt. Im Anschluss findet halbjährlich ein Austausch über die
Erkenntnisse der regelmässig individuellen durchgeführten Auswertungen aller
Mitarbeitenden statt. Der Verhaltenskodex wird zudem jährlich auf Optimierungsbedarf
überprüft und allfällige Änderungen werden unter Einbezug aller Betroffenen
vorgenommen. Die Verantwortung für den halbjährlichen Austausch und die jährliche
Überprüfung liegt bei der internen Präventions- und Meldestelle.

54
2.5.2 Implementierung
Die Einführung des Verhaltenskodex findet nach Absprache innerhalb des Kernteams und
mit der Leitungsebene gemeinsam mit Bewohnenden und Mitarbeitenden statt. Methodisch
richtet sich die Einführung nach den Schritten von Gächter zur Einführung im
Projektmanagement. Es sind dies die Schritte Vorbereiten, Vermitteln, Verarbeiten, Üben
(vgl. Gächter 2019, S. 111). Die Verantwortung zur Vorbereitung und Durchführung der
Einführung liegt beim Kernteam.

•Termine und Rahmen festlegen Wer: KT, IL/AL


•Einführung/Ablauf strukturieren Wer: KT
•Bespiele auswählen Wer: KT, BW
Vorbereiten •Materialien vorbereiten Wer: KT

•Ausgangslage schildern Wer: KT, IL


•Begriffe und Ziele des Verhaltenskodex klären Wer: KT, MA, BW
•Fragen klären Wer: alle
•Beispiele vormachen Wer: KT
Vermitteln •Anprechpersonen und Meldewege klären Wer: KT

•Beispiele in Kleingruppen üben Wer: alle


•Erfahrungsaustausch Wer: alle
•Fragen klären Wer: KT, MA, BW
Verarbeiten •Ausblick und Evaluation Wer: alle

•Arbeit mit Verhaltenskodex üben Wer: MA, BW


•Austausch in Wohngruppensitzungen/mit KT Wer: MA, BW, KT
• Auffälligkeiten, Herausforderungen sammeln Wer: KT
Üben

Tabelle 12: Vorgehen Einführung, eigene Darstellung in Anlehnung an Gächter (vgl.


Gächter 2019, S.111)

55
2.6 Phase VI: Abschluss
Nach Gächter wird ein Projekt in der Abschlussphase ausgewertet und abgeschossen. Im
Kernteam wird die nachhaltige Arbeit mit dem Verhaltenskodex überprüft und allfällige
Lücken geschlossen. Ebenfalls werden im Kernteam Erfahrungen aus der
Konzepterarbeitung aufgearbeitet und dokumentiert (vgl. Gächter 2019, S. 117).

2.6.1 Evaluation
Die Evaluation bezieht sich auf die Ziele, welche im Hauptteil in Bezug auf den
Erarbeitungsprozess formuliert wurden (Kap. 2.2.3). Eine verbale und nonverbale
Zwischenevaluation auf der Ebene der Bewohnenden und Mitarbeitenden wurde laufend
während ihrer Partizipationsbeiträge in der Ausführungsphase gesammelt. Ebenso wird eine
Zwischenevaluation bezüglich der Kooperation des Kernteams mit Fachpersonen anderer
Institutionen vorgenommen (Anhang 5.6). Die abschliessende Evaluation wird nach der
Einführung vorgenommen und dokumentiert. Auf der Ebene der Bewohnenden wird diese
Evaluation mit geschlossenen Fragen durchgeführt. Auf der Ebene der Mitarbeitenden wird
die Evaluation mittels der Methode der Skalierung visualisiert. Die Evaluation und der
Erfahrungsgewinn auf der Ebene der Leitung sowie innerhalb des Kernteams findet
mündlich nach der Einführung statt und wird vom Kernteam dokumentiert.

Evaluation Ebene Bewohnende:


Die Zwischenevaluation wurde am Ende der Gespräche mit den Bewohnenden während der
Ausführungsphase nonverbal und verbal durchgeführt anhand der Evaluationsfrage:
• Wie war für dich das Gespräch zum Umgang mit Nähe und Distanz?

Und der Beobachtung zu:


• Teilnahme? Aktiv oder eher passiv?
• Rahmen? Passend oder eher unpassend?
• Mimik, Gestik?

Fragen für die Abschlussevaluation:


• Hat dir die Einführung mit den Beispielen gefallen?
• Würdest du bei einer solchen Arbeit noch einmal mithelfen?

56
Evaluation Ebene Mitarbeitende:
Die verbale und nonverbale Zwischenevaluation wurde bei Abgabe der Fragebogen
während der Ausführungsphase durchgeführt und laufend durch die Konzeptleitung
verschriftlicht.

Fragen für Abschlussevaluation mittels Skalierung:


Skalierung von 1= gar nicht bis 10 = voll und ganz

• Lässt der Verhaltenskodex genug Handlungsspielraum für einen differenzierten und


individuellen Umgang mit Nähe und Distanz?
• Hast du deine Erfahrung und Überlegungen einbringen können?
• Sind deine Bedürfnisse bezüglich des Umgangs mit Nähe und Distanz in
Risikosituationen im Verhaltenskodex berücksichtigt?
• Haben die Beispiele in der Einführung zum Verständnis beigetragen?

Evaluation Ebene Kernteam und Leitung:


Anhand der Fünf-Finger-Methode zum Erarbeitungsprozess und zur Einführung
• Was war gut?
• Was könnte besser sein?
• Was war nicht gut?
• Das nehme ich mit?
• Das kam zu kurz?

Zusammenfassung der Zwischenevaluation:


Die Bewohnenden konnten entsprechend ihren Ressourcen und Bedürfnissen an der
Konzepterarbeitung teilnehmen. Vier Bewohnende aus allen drei Wohngruppen haben ihre
Bedürfnisse und Überlegungen bezüglich Nähe und Distanz in einem Gespräch mit einer
Vertrauensperson mitteilen können. Alle Mitarbeitenden aus dem Betreuungs- und
Beschäftigungsbereich haben die Möglichkeit zur Partizipation anhand eines Fragebogens
erhalten. 12 der 14 ausgeteilten Fragebogen gingen ausgefüllt bei der Konzeptleitung ein.
Die Erarbeitung der Antworten hat Mitarbeitende zur Reflexion hinsichtlich der
professionellen Gestaltung von Nähe und Distanz angeregt. Die Konzeptleitung konnte mit
zwei Fachpersonen aus anderen Institutionen einen längerfristigen Austausch initiieren. Mit
einer der Fachpersonen konnte die Konzeptleitung einen schriftlichen und mündlichen
Austausch zur Arbeit mit einem Verhaltenskodex führen.

57
Der Verhaltenskodex wurde auf der Grundlage der Beiträge der Mitarbeitenden und
Bewohnenden verschriftlicht.

2.6.2 Abschluss
Für den Abschluss der Konzepterarbeitung wird der Verhaltenskodex ins Betriebshandbuch
aufgenommen sowie in den Präventionsunterlagen in den einzelnen Wohngruppen abgelegt.
Zudem wird das Vorgehen zur Einführung von neuen Mitarbeitenden durch die interne
Präventions- und Meldestelle angepasst. Ebenfalls wird die externe Fachstelle Prävention
über die Erstellung des Verhaltenskodex informiert.

58
3. Schlussteil

Abschliessend führe ich im Schlussteil dieser Arbeit eine Reflexion der Konzeptarbeit auf
inhaltlicher sowie methodischer Ebene durch und leite daraus Konsequenzen ab.

3.1 Reflexion zur Planung der Konzeptarbeit


Methodisches Vorgehen und Erkenntnisse
Bei der Planung der Konzeptarbeit habe ich regelmässig auf die Methode der Visualisierung
in Form von Mind-Maps, Auslegungen mit Papier oder Klebezetteln und tabellarischen
Verlaufsplänen zurückgegriffen. Dadurch konnte ich Gedanken, Ideen und Aufgaben
sammeln, strukturieren und die zentralen Themen, Inhalte und Schritte zur schnellen
Wiedererkennung hervorheben. Dies gab mir Sicherheit und Orientierung und verschaffte
mir zugleich durch den Wechsel auf die Metaebene, während der Erarbeitung der
Visualisierungen, Distanz zum aktuellen Arbeitsprozess. Die Planung der gemeinsamen
Arbeiten mit dem Kernteam und der Leitungsebene habe ich nach vorangehender Absprache
entsprechend unserem gewohnten Vorgehen mündlich durchgeführt und anschliessend für
mich dokumentiert.
Die visuelle Strukturierung des gesamten Aufbaus der Dokumentation verhalf mir, innerhalb
kurzer Zeit zu erkennen, wo im Arbeitsprozess ich mich befinde, was ich schon erledigt habe
und was noch vor mir steht. Dies vermittelte mir stets ein Gefühl der Sicherheit und
Zuversicht.
Bezüglich der Zeitplanung hatte die zeitnahe parallele Arbeit auf beiden Ebenen der
Konzeptarbeit, also der schriftlichen Dokumentation und der Erarbeitung in der Praxis, für
mich durch den tabellarisch erstellen Arbeits- und Schreibplan eine gewisse Verbindlichkeit.
Bereits hier, wie auch bei weiteren Zeitplanungen, habe ich darauf geachtet, genügend Zeit
und Varianten für Unvorhergesehenes einzuplanen. Dadurch konnte ich flexibel mit den
während des Arbeitsprozesses eingetretenen Abweichungen (frühere Abwesenheit der
Vertrauensperson aus dem Kernteam oder pandemie-bedingten zusätzlichen Arbeiten)
umgehen, ohne ein Gefühl von Druck wahrzunehmen. Den Verhaltenskodex konnte ich so,
wie ich es mir einleitend zum Ziel gesetzt hatte, zur Implementierung bereitstellen.

Folgende Konsequenzen ziehe ich aus diesen Erkenntnissen für ein weiteres Projekt:
• Ich werde die Methode der Visualisierung zur Orientierung und Strukturierung von
Arbeitsprozessen verwenden.

59
• Bei der Zeitplanung werde ich Puffer und Varianten einplanen, um flexibel auf
Unerwartetes reagieren zu können.
• Ich werde die Methoden zur Planung von Projekten oder Projektphasen auf die
Bedürfnisse und Ressourcen der beteiligten Personen abstimmen.

Inhaltliches Vorgehen und Erkenntnisse


Die Orientierung am methodischen Vorgehen des Projektmanagements nach Gächter liess
mich die Kriterien der Einmaligkeit, Neuartigkeit, Komplexität und der Zielgerichtetheit
eines Projekts deutlich erkennen. Dazu trug beispielsweise die Stakeholder-Analyse, die
Analyse der Vorgaben und Rahmenbedingungen, der Aufgaben- und Ressourcenplan sowie
die Planung der Einführung bei.
Bei der Planung der einzelnen Kooperationen war es mir wichtig, die
Partizipationsmöglichkeit insbesondre der Mitarbeitenden und Bewohnenden methodisch
dahingehend zu präzisieren (Fragebogen und Einzelgespräche), dass sie den
Rahmenbedingungen und Vorgaben (Schutz- und Hygienemassnahmen) optimal
entsprechen. Dadurch konnte ich einen Risiko-Faktor verringern, was mir Zuversicht
vermittelte, die Partizipation von Mitarbeitenden und Bewohnenden auf möglichst breiter
Basis, trotz der sich verändernden Rahmenbedingungen, sichern zu können und mein Ziel
der partizipativen Erarbeitung des Verhaltenskodex verfolgen zu können.
Bei der Auswahl der Fachliteratur und der handlungsleitenden Konzepte stützte ich mich
auf bereits gewonnene Erkenntnisse aus der internen Präventionsarbeit und Inhalten davon,
welche ich zu vertiefen wünschte, was von der Leitungsebene und dem Kernteam zur
allgemeinen Wissenserweiterung unterstützt wurde. Die Beschränkung der Fachliteratur
stellte sich aufgrund der unterschiedlichen Perspektiven, mit welcher die Themenstellung in
der Literatur behandelt wird, als Herausforderung dar.

Folgende Konsequenzen ziehe ich aus diesen Erkenntnissen für ein weiteres Projekt:
• Ich werde zur Planung auf das methodische Vorgehen nach Gächter zurückgreifen,
um die Tragweite eines Projekts innerhalb und ausserhalb einer Institution erfassen
zu können
• Die Partizipationsmöglichkeiten auf der Ebene der Zielgruppe werde ich durch
geeignete Methoden erweitern, um Personen mit eingeschränkten
Kommunikationsmöglichkeiten optimaler berücksichtigen zu können
• Ich werde die Auswahl zur theoretischen und fachlichen Kontextualisierung eines
Projekts im Austausch mit weiteren Fachpersonen durchführen

60
3.2 Reflexion zur Durchführung der Konzeptarbeit
Methodisches Vorgehen und Erkenntnisse
Den Verhaltenskodex konnte ich, entsprechend meiner persönlichen Zielsetzung,
partizipativ erarbeiten. Bei der Planung der Gespräche mit den Bewohnenden achtete ich
darauf, verschiedene Gesprächsführungstechniken präsent zu haben, um flexibel auf die
Bedürfnisse und Ressourcen der Bewohnenden eingehen zu können. Ebenfalls bereitete ich
Material zur Visualisierung der Themenstellung aus der UN-BRK in leichter Sprache vor
und druckte den Fragebogen in gut leserlicher Schrift. Die Gespräche verlangten von mir
Spontaneität, insbesondere im Finden des Zeitpunkts des Gesprächseinstiegs bei drei
Bewohnenden, um keinen Druck auszulösen. Ebenfalls nutzte ich Beispiele, welche ich als
solche benannte und möglichst personenungebunden schilderte und die Technik des aktiven
Zuhörens, insbesondere der Methode des Spiegelns, Verbalisierens und Nachfragens.
Bei der Erarbeitung des Fragebogens für die Mitarbeitenden stützte ich mich auf konkrete
Situationen aus dem Betreuungsalltag zu Nähe und Distanz auf der körperlichen und
emotionalen Ebene. Die Fragen zielten auf das Erfassen von individuellen Reaktionen,
Vorgehen und Schwerpunkten. Dadurch sollte es allen Mitarbeitenden möglich sein, die für
sie zutreffenden Antworten zu formulieren.
Den Kontakt zu Fachpersonen aus anderen Institutionen stellte ich nach der pandemie-
bedingten Absage des externen Fachaustausches über Mail zu Personen her, welche ich aus
einer gemeinsamen Weiterbildung entfernt kenne. Dadurch konnten sich die Fachpersonen
bei Interesse intern absprechen, allfällige Auflagen bezüglich des Datenschutzes klären und
auf einen möglichen Austausch vorbereiten.
Bei der Verschriftlichung des Verhaltenskodex achtete ich darauf, bei der Formulierung der
Grundhaltung in Risikosituationen und den handlungsleitenden Richtlinien möglichst nahe
am Wortlaut der erhaltenen Antworten von Mitarbeitenden und Bewohnenden zu bleiben.
Dies war für mich als Zeichen der Wertschätzung ihrer Beiträge wichtig, allerdings auch
eine Herausforderung, einerseits aufgrund eigener sprachlicher Vorlieben, andererseits
aufgrund der angestrebten Kürze des Verhaltenskodex.
Die zentralen Inhalte aus den Besprechungen im Kernteam und mit der Leitungsebene hielt
ich schriftlich in Form von Protokollen fest, welche für alle Beteiligten zugänglich waren
und Orientierung schuf.
Bei der Zwischenevaluation konnte ich anhand der Methode der Beobachtung die
Beurteilung der Partizipation der Bewohnenden vornehmen und die Zielsetzung des
Erarbeitungsprozesses nonverbal evaluieren. Bei der Zwischenevaluation auf der Ebene der

61
Mitarbeitenden fokussierte ich auf die spontanen Rückmeldungen, um einen möglichst
authentischen Eindruck darüber zu erhalten, was die Arbeit mit dem Fragebogen bei den
Mitarbeitenden auslöste.

Folgende Konsequenzen ziehe ich aus diesen Erkenntnissen für ein weiteres Projekt:
• Die Gespräche mit der Zielgruppe werde ich erneut so planen, dass ich durch eine
flexible Methodenwahl mit Authentizität, Sicherheit und Lockerheit auf den
Gesprächsverlauf positiv Einfluss nehmen kann.
• Ich werde anstelle der Partizipationsmöglichkeit allein mittels Fragebogen zusätzlich
auf einen mündlichen Austausch setzen.
• Zur Evaluation die Methode der geschlossenen Frage durch eine Beobachtung
ergänzen.

Inhaltliches Vorgehen und Erkenntnisse


Die Antworten, welche die Bewohnenden auf die Fragen zum Umgang mit Nähe und
Distanz und zu ihren Bedürfnissen in konkreten Situationen äusserten, zeigten mir, dass die
Erarbeitung eines solchen Instrumentes zwingend unter Einbezug der Zielgruppe zu
erstellen ist, da diese als Experten ihrer Bedürfnisse und ihrer Lebenswelt sich klar zur
Themenstellung äussern können. Die vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten des Umgangs
mit Nähe und Distanz in Risikosituationen konnte ich aus den zahlreichen Beiträgen der
Mitarbeitenden erkennen. Dies deckt sich mit meiner Annahme, dass der Verhaltenskodex
Handlungsspielraum ermöglichen sollte, damit eine transparente Gestaltung von Nähe und
Distanz in Risikosituationen individuell im Rahmen der handlungsleitenden Richtlinien
gestaltet werden kann. Ebenso zeigte sich mir anhand der Beiträge der Mitarbeitenden und
an den Rückmeldungen zur Arbeit mit dem Fragbogen, dass durch die Konzeptarbeit das
Ziel der Grundlage für eine Sensibilisierung der Mitarbeitenden für das Wahrnehmen von
Risikosituationen und dem bewussten Umgang mit Nähe und Distanz erreicht werden
konnte.
Aus dem Austausch mit zwei Fachpersonen aus anderen Institutionen nehme ich, dass das
Bewusstsein für die Dringlichkeit der transparenten Gestaltung von Nähe und Distanz in
mehreren Institutionen zwar vorhanden ist, die konkrete Ausformulierung von
handlungsleitenden Richtlinien zu spezifischen Risikosituationen jedoch noch fehlt oder erst
im Erarbeitungsprozess ist. Den zukünftigen Austausch zur Präventionsarbeit wurde von
zwei Fachpersonen aus anderen Institutionen begrüsst und konnte somit, wie von mir
angestrebt, durch die Konzeptarbeit initiiert werden.

62
Die Verschriftlichung des Verhaltenskodex verdeutlichte mir, dass im Umgang mit Nähe
und Distanz eine adressaten- und situationsgerechte Kommunikation die Grundlage zum
Schutze der Bewohnenden vor Integritätsverletzungen bildet. Zudem erkenne ich, dass im
Umgang mit Nähe und Distanz immer zu überprüfen ist, ob und in welcher Form
Mitarbeitende auf die Bedürfnisse der Bewohnenden eingehen können und wie mit
unterschiedlichen Erwartungen und Ansprüchen konstruktiv umgegangen werden kann.
Durch die Erarbeitung des Verhaltenskodex nach dem Vorgehen nach Schilling war es mir
möglich, die zu einer defizitorientierten Perspektive verleitende Themenstellung
ressourcenorientiert zu bearbeiten und negative Formulierungen in Form von «No Go’s»
mehrheitlich zu vermeiden.

Folgende Konsequenzen ziehe ich aus diesen Erkenntnissen für ein weiteres Projekt:
• Ich werde die Zielgruppe bei Projektarbeiten partizipativ einbeziehen und ihnen
zutrauen, ihre Meinung zur Themenstellung zu äussern.
• Ich werde durch konkrete Fragestellungen die Auseinandersetzung mit der
Themenstellung für alle beteiligten Personen ermöglichen, um eine möglichst breite
Perspektive auf eine Themenstellung zu erhalten.
• Bei komplexen Themenstellungen werde ich auf Erfahrungen anderer Fachpersonen
zurückgreifen und mit Mut und Risikobereitschaft Neues und Unbekanntes
bearbeiten.
• Ich werde bei Konzepterarbeitungen darauf achten, dass sie der Kultur einer
Institution gerecht werden und an bereits vorhandenen Erkenntnissen sowie an den
gegebenen Voraussetzungen anknüpfen.
• Für eine Konzepterarbeitung werde ich mich an dem Vorgehen nach Schilling
orientieren, um eine ressourcenorientierte Bearbeitung zu ermöglichen.

63
4. Quellenverzeichnis

4.1. Literatur- und Internetverzeichnis

4.1.1 Literaturverzeichnis
Curaviva (2016): Professionelles Handeln im Spannungsfeld von Nähe und Distanz.
Eigenverlag Curaviva
Dörr, Margret / Müller, Bernhard (2019): Einleitung. Nähe und Distanz als Strukturen der
Professionalität pädagogischer Arbeit, in: Dörr, Margret (Hrsg.): Nähe und
Distanz. Ein Spannungsfeld pädagogischer Professionalität. Weinheim Basel,
Beltz Juventa, 4., aktualisierte und erweiterte Auflage, 14-39.
Fröhlich-Gildoff, Klaus / Rönnau-Böse, Maike (2019): Resilienz. München, Ernst Reinhard
Verlag, 5., aktualisierte Auflage
Gächter, Hans Peter (2019): Projektmanagement konkret. Nachschlagen Verstehen
Umsetzen. Bern, hep Verlag AG, 4., überarbeitete Auflage

Grawe, Klaus (2000): Psychologische Therapie. Göttingen/Bern/Toronto/Seattle, Hogrefe,


2., korrigierte Auflage

Herringer, Norbert (2020): Empowerment in der Sozialen Arbeit. Eine Einführung.


Stuttgart, Kohlhammer 6., erweiterte und aktualisierte Auflage
Hochuli Freund, Ursula /Stotz, Walter (2017): Kooperative Prozessgestaltung in der
Sozialen Arbeit. Ein methodenintegratives Lehrbuch. Stuttgart, Kohlhammer, 4.,
aktualisierte Auflage

Isenhardt, Anna/Mayer Klaus/Baier, Dirk (2019): Sozialarbeitende als Opfer von Gewalt.
Ergebnisse einer Studierendenbefragung. ZHAW Forschungsbericht. Zürich
Limita (2017): Leitartikel. Risikosituationen transparent gestalten. Zürich, Eigenverlag
Limita
Ritscher, Wolf (2017): Systemische Modelle für die Soziale Arbeit. Ein integratives
Lehrbuch für Theorie und Praxis. Heidelberg, Carl-Auer, 5. Auflage

Sappok, Tanja/Zepperitz, Sabine (2019): Das Alter der Gefühle. Über die Bedeutung der
emotionalen Entwicklung bei geistiger Behinderung. Bern, Hogrefe, 2.,
überarbeitete Auflage

64
Schröttle, Monika (2013): Gewalt gegen Frauen mit Behinderung – Ausmass, Ursache,
Prävention. Fachtagung «Gewalt im behinderten Alltag», Hochschule Luzern
Strassburger, Gaby/ Rieger, Judith (2019): Partizipation kompakt – Komplexe
Zusammenhänge auf den Punkt gebracht, in: Strassburger, Gaby/ Rieger, Judith
(Hrsg.): Partizipation kompakt. Für Studium, Lehre und Praxis sozialer Berufe.
Weinheim Basel, Beltz Juventa, 2., überarbeitete Auflage, 230-240.

4.1.2 Internetverzeichnis
Schweizerische Eidgenossenschaft (2020): Übereinkommen vom 13. Dezember 2006 über
die Rechte von Menschen mit Behinderung.
https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2014/245/de, 05.02.2021

Verbandsübergreifende Arbeitsgruppe Prävention (2016): Charta zur Prävention von


sexueller Ausbeutung, Missbrauch und anderen Grenzverletzungen. https://www.charta-
praevention.ch/userfiles/downloads/Charta_Praevention_D_A4.pdf, 05.02.2021

4.2 Abbildungs-, Tabellen- und Abkürzungsverzeichnis

4.2.1 Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Organigramm Projektorganisation, eigene Darstellung in Anlehnung an
Gächter (vgl. Gächter 2019, S. 47)
Abbildung 2: Zeitplan mit Meilensteinen, eigene Darstellung in Anlehnung an Gächter (vgl.
Gächter 2019, S. 50ff)
Abbildung 3: Objektorientierter Aufgaben- und Ressourcenplan, eigene Darstellung in
Anlehnung an Gächter (vgl. Gächter 2019, S.75ff )
Abbildung 4: Ablauforientierter Aufgaben- und Ressourcenplan, eigene Darstellung in
Anlehnung an Gächter (vgl. Gächter 2019, S.75ff )

4.2.2 Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Stakeholder-Analyse, eigene Darstellung in Anlehnung an Gächter (vgl. Gächter
2019, S. 23)
Tabelle 2: Vorgaben, eigene Darstellung in Anlehnung an Gächter (vgl. Gächter 2019, S.
34)
Tabelle 3: Rahmenbedingungen, eigene Darstellung in Anlehnung an Gächter (vgl. Gächter
2019, S. 35)

65
Tabelle 4: Zielsetzung Bewohnende, eigene Darstellung in Anlehnung an Gächter (vgl.
Gächter 2019, S. 36-40)
Tabelle 5: Zielsetzung Institution und Mitarbeitende, eigene Darstellung in Anlehnung an
Gächter (vgl. Gächter 2019, S. 36-40)
Tabelle 6: Ablauforientierter Strukturplan, eigene Darstellung in Anlehnung an Gächter
(vgl. Gächter 2019, S. 43)
Tabelle 7: Objektorientierter Strukturplan, eigene Darstellung in Anlehnung an Gächter
(vgl. Gächter 2019, S. 43)
Tabelle 8: Meilensteine, eigene Darstellung in Anlehnung an Gächter (vgl. Gächter 2019, S.
53)
Tabelle 9: Risiko-Analyse, eigene Darstellung in Anlehnung an Gächter (vgl. Gächter 2019,
S. 63)
Tabelle 10: Individuelle Voraussetzungen der Zielgruppe, eigene Darstellung
Tabelle 11: Ziele des Zielgruppenkonzepts, eigene Darstellung
Tabelle 12: Vorgehen Einführung, eigene Darstellung in Anlehnung an Gächter (vgl.
Gächter 2019, S.111)
Tabelle 12: Risikoanalyse, eigene Darstellung
Tabelle 13: Zwischenevaluation Bewohnende, eigene Darstellung

4.2.3 Abkürzungsverzeichnis
BW=Bewohnende
FL=Agogische Fachleitung
IL=Institutionsleitung
KL=Konzeptleitung
KT=Kernteam
MA=Mitarbeitende
TS=Titia Schutter
UN-BRK=UN-Behindertenrechtskonvention

66
5. Anhang

5.1 Konzeptantrag
Konzeptantrag: Verhaltenskodex Nähe und Distanz

Konzepterarbeitung zum Umgang mit Nähe und Distanz in Risikosituationen

Gerne stelle ich mit diesem Schreiben der Institutionsleitung den Antrag zur
Konzepterarbeitung zum Umgang mit Nähe und Distanz in Risikosituationen in Form eines
Verhaltenskodex Nähe und Distanz.

Ausgangslage:
Aufgrund struktureller und personeller Ressourcen gehören Risikosituationen für
Grenzverletzungen zur täglichen Arbeit in der Institution. Die externe Fachstelle empfiehlt
zur Prävention von Gewalt und Grenzverletzungen als Ergänzung zu den bereits
vorhandenen Konzepten in diesem Bereich einen Verhaltenskodex Nähe und Distanz.

Ziele:
Mit der Konzeptarbeit wird der institutionsinterne Verhaltenskodex Nähe-Distanz
partizipativ erarbeitet und als Präventionsinstrument zur Implementierung bereitgestellt.
Dadurch wird die Grundlage für eine Kultur der Transparenz und Besprechbarkeit von
Risikosituationen im Bereich Nähe und Distanz geschaffen. Zudem soll der
Verhaltenskodex unter Einbezug von externen Fachpersonen erarbeitet und eine
längerfristige Vernetzung der internen Präventions- und Meldestelle initiiert werden.

Fachliche Begründung:
Menschen mit kognitiven, körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen gehören
aufgrund ihrer Vulnerabilität zu einer besonderen Risikogruppe für Grenzverletzungen und
Gewalterfahrungen im physischen, psychischen und sexualisierten Bereich. Gleichzeitig
sind Professionelle im Bereich Erwachsene mit kognitiver, körperlicher und psychischer
Beeinträchtigung häufiger mit Grenzverletzungen und Gewalterfahrungen ausgehend von

67
der Klientel konfrontiert als in anderen Bereichen. Dadurch können sowohl bei
Bewohnenden als auch bei Mitarbeitenden Unsicherheiten, Überforderungen und
Irritationen entstehen. Zudem stellen Risikosituationen für potenzielle Täterinnen und Täter
Möglichkeiten zur Ausübung von Gewaltanwendungen dar, welche es durch die
Forderungen der Charta Prävention zu verhindern gilt. Ebenfalls wird der Verhaltenskodex
durch die Rechte für Menschen mit einer Behinderung aus der UN-BRK gestützt.

Verantwortlichkeiten und Kooperationen:


Der Verhaltenskodex wird eigenständig unter Einbezug von Bewohnenden, Mitarbeitenden
und externen Fachpersonen (Intervisionsgruppe) von mir im Rahmen meiner Diplomarbeit
erarbeitet. Die Konzeptleitung liegt somit bei mir und wird im Rahmen meiner
Verantwortlichkeit für die interne Präventions- und Meldestelle erarbeitet.

Kosten und Einhaltung des Personen- und Datenschutzes:

Die Erarbeitung des Verhaltenskodex Nähe und Distanz wird für die Institution keine
zusätzlichen Kosten verursachen. Der Personen- und Datenschutz wird in der Diplomarbeit
eingehalten. Personendaten werden anonymisiert verwendet und der Name der Institution
wird nicht genannt.

Konzeptantrag durch die Institutionsleitung

angenommen abgelehnt zur Überarbeitung zurückgewiesen

Ort, Datum:

Unterschrift Institutionsleitung: Unterschrift Konzeptleitung:

68
5.2 Erfassung IST- und SOLL-Zustand
Erarbeitet in Kooperation mit dem Kernteam und der Leitungsebene unter Berücksichtigung
von Empfehlungen externer Fachstellen

Situationserfassung:
• Grenzverletzungen im Graubereich (unabsichtlich ausgeübt) gehen von
Mitarbeitenden und Bewohnenden aus.
• Grenzverletzungen werden von Bewohnenden, welche sich regelmässig mit der UN-
BRK auseinandersetzen, differenzierter wahrgenommen.
• Gegenüber vertrauten Personen können Bewohnende Grenzverletzungen teilweise
verbal äussern. Nonverbal sind Grenzverletzungen bei differenziertem Verständnis
der Situation und der betroffenen Person wahrnehmbar oder zu vermuten.
• Risikosituationen sind unterschiedlich ausgeprägt in den einzelnen Wohngruppen.
• Bewohnende mit eingeschränkten verbalen Kommunikationsfähigkeiten haben ein
besonderes Risiko für das Erfahren von Grenzverletzungen.
• Bewohnende mit eingeschränkten verbalen Kommunikationsfähigkeiten initiieren
Körperkontakt als Unterstützung ihrer Kommunikation.
• Mitarbeitende haben zum Umgang mit herausfordernden Verhaltensweisen
regelmässig Fragen und erkennen Unsicherheiten bezüglich der eigenen Haltung.
• Mitarbeitende erkennen die Bedeutung der Wahrnehmung und Achtung ihrer
eigenen Grenzen im Umgang mit herausfordernden Verhaltensweisen.
• Bewusstsein bei Mitarbeitenden für Grenzverletzungen der Privatsphäre teilweise
vorhanden.
• Unterschiedliche Vorstellungen über Rolle und Auftrag in Risikosituationen bei
Mitarbeitenden.
• Bewusstsein für Bedeutung des partizipativen Auftrags, dem Erkennen und
Einbeziehen von Ressourcen der Bewohnenden unterschiedlich vorhanden.
• Offener Austausch zwischen Mitarbeitenden findet statt, wird von Leitungsebene
gefördert.
• Zusammenarbeit auf Augenhöhe und auf einer vertrauten Grundlage ist möglich.

69
Risikoanalyse:
Risikosituation Begründung Mögliche Massnahmen,
(hypothetisch) Reflexionsfragen
Pflegesituationen Grosse (intime) Nähe mit Wann, wie und wozu führe
Körperkontakt ich eine Handlung
Eingeschränkte (stellvertretend) durch?
Kommunikationsfähigkeiten
Fehlende Körperscham und
Kontrolle durch Dritte
Nachtdienst, Privatsphäre Fehlende Kontrolle durch Was ist mein Auftrag, in
Dritte, welcher Rolle bin ich? Wer
Gute-Nacht-Rituale, hat welches Bedürfnis?
Wecken von Bewohnenden Nachtruhe definieren
(Prophylaxe)
Zweier-Settings Fehlende Kontrolle durch Rahmen überprüfen,
Dritte, transparente
Räume ohne Sichtkontakt Kommunikation über Rolle
von aussen, und Auftrag auch
Aufbau von grosser Nähe gegenüber Bewohnenden
und/oder Abhängigkeiten
Einzeldienste, Fehlende Kontrolle durch Transparente
Lange Arbeitszeiten, Dritte, Kommunikation,
belastende Situationen physische und psychische Informations-Bringschuld
Belastung Erkenne ich meine eigenen
Grenzen?
Herausfordernde Wiederkehrende Wie ist der einheitliche
Verhaltensweisen von Grenzverletzungen Umgang damit? Was hilft
Bewohnenden ausgehend von mir kurzfristig, Ruhe zu
Bewohnenden, bewahren?
Starkes Bindungsbedürfnis
und Bedürfnis nach
körperlicher Nähe
Kommunikation über/mit Fehlender sachlicher Klärung Sach- und
Bewohnende(n) Kommunikationsstil, Beziehungsebene. Was
Abkürzungen von Namen muss/kann ich wie
kommunizieren?
Benutzung öffentlicher Schutz vor und von Wo und wie ist Benutzung
Sanitäranlagen Drittpersonen möglich? Ist vorangehende
Absprache mit
Bewohnenden nötig?
Fehlende Kenntnisse über Negativer Einfluss auf Partizipativer Auftrag
Ressourcen und Selbstwertgefühl berücksichtigen,
Bedürfnisse von Flexibilität der Arbeits-
Bewohnenden Methoden
Begleitung von Erhöhte Vulnerabilität der Auftrags- und
Bewohnenden in betroffenen Person, Rollenklärung, wer hat
schwierigen Lebensphasen Aufbau grosser Nähe welches Bedürfnis?
und/oder Abhängigkeit
Tabelle 12: Risikoanalyse, eigene Darstellung

70
Diagnose:

Die zahlreichen Risikosituationen können nicht vollständig beseitigt werden, jedoch


gegenüber Bewohnenden und Mitarbeitenden durch eine gemeinsame Auseinandersetzung
zu Nähe und Distanz transparent gestaltet werden, womit Bewohnende vor
Grenzverletzungen vermehrt geschützt werden können. Die gemeinsame
Auseinandersetzung mit der eigenen Haltung und Rolle in Risikosituationen kann zur
Sensibilisierung von Mitarbeitenden hinsichtlich möglicher Grenzverletzung und deren
Erkennen beitragen. Bewohnende können durch eine partizipative Gestaltung von Nähe und
Distanz in Risikosituationen dazu ermächtigt werden, ihre Bedürfnisse und Grenzen
wahrzunehmen und zu signalisieren.
Sowohl Mitarbeitende als auch Bewohnende verfügen über Erfahrungen mit
Grenzverletzungen. Der Einbezug ihrer Erfahrungen, Bedürfnisse und Überlegungen
können als Ressource bei der Erarbeitung des Verhaltenskodex genutzt werden. Damit
können individuelle Bedürfnisse von Bewohnenden und Mitarbeitenden in dem
Verhaltenskodex berücksichtigt werden, wodurch er an Akzeptanz von Seiten aller
Beteiligten gewinnt.

Ziele (Erarbeitung Verhaltenskodex):


• Mitarbeitende und Bewohnende erhalten Möglichkeit zur Partizipation bei der
Erarbeitung des Verhaltenskodex (Einbezug mittels Fragebogen und Gesprächen)
• Erfahrungen, Bedürfnisse und Überlegungen von Mitarbeitenden werden
berücksichtigt
• Individuelle Bedürfnisse und Ressourcen der Bewohnenden werden bei den
Partizipationsmöglichkeiten berücksichtigt
• Austausch mit Fachpersonen anderer Institutionen und längerfristige
Zusammenarbeit wird initiiert
• Verhaltenskodex wird der Institutionsleitung und agogischen Leitung zur
Überprüfung und Freigabe vorgelegt

SOLL-Zustand:
Ebene Mitarbeitende
• Regemässige Reflexion der eigenen Wahrnehmung bezüglich Haltung und Rolle in
Risikosituationen

71
• Sensibilisierung für das Wahrnehmen eigener Grenzen und der Grenzen von
Bewohnenden
• Sensibilisierung für individuelle Ressourcen und Bedürfnisse der Bewohnenden
• Sicherheit im Umgang mit Nähe und Distanz bei herausfordernden
Betreuungssituationen
Ebene Bewohnende
• Unterstützungsangebote zur Wahrnehmung und Signalisation von Bedürfnissen und
Grenzverletzungen
• Ressourcen- und bedürfnisorientierte Begleit- und Betreuungsangebote in
Risikosituationen
• Sicherheit im Umgang mit Grenzverletzungen im Graubereich

72
5.3 Fragebogen Institutionen
Der Fragebogen diente der Erfassung von Erfahrungen von Fachpersonen anderer
Institutionen in der Arbeit mit einem Verhaltenskodex Nähe und Distanz oder einem
ähnlichen Instrument mittels E-Mail und/oder Telefonkontakt. Der Kontakt wurde von der
Konzeptleitung initiiert. Die Antworten einer Fachperson wurden von der Konzeptleitung
schriftlich zusammengetragen.

Fragen zum Umgang mit Nähe und Distanz in Risikosituationen


1. Wie gelingt es in eurer Institution, Risikosituationen für Grenzverletzungen im Bereich
Nähe-Distanz transparent zu gestalten und vorzubeugen?
• Durch regelmässige Schulungen von Mitarbeitenden
• Durch ein Aggressions- und Deeskalationstraining
• Mitarbeitende müssen eine Selbstverpflichtung unterschreiben
• Anregen zur Reflexion, gezielte Nachsorge

2. Mit welchen Herausforderungen seid ihr dabei konfrontiert?


• Personal, welches nicht in der Betreuung oder Beschäftigung arbeitet, fühlt sich
eingeschränkt
• Einführung in Zusammenhang mit «Me too-Thematik» für männliche Mitarbeitende
schockierend. Unsicherheit darüber, was «noch» erlaubt ist.

3. Was braucht es zur Sensibilisierung von Mitarbeitenden für Grenzverletzungen gegenüber


Jugendlichen/Klientel im Bereich Nähe-Distanz?
• Differenzierte und umfassende Einführung neuer Mitarbeitenden in die Thematik
• Regelmässiger Austausch mit und unter Mitarbeitenden
• Getrennte Ansprechpersonen für Mitarbeitende und Klientel
• Bezugspersonen, welche als Ansprechpersonen für Mitarbeitende dienen

4. Was gibt Mitarbeitenden und Jugendlichen/Klientel Sicherheit im Umgang mit Nähe und
Distanz? Woran orientieren sie sich?
• Punkte aus der Selbstverpflichtung
• Kenntnisse über Ansprechpersonen und Meldewege

73
5. Wie gelingt es, dass der Umgang mit Nähe und Distanz individuell, entsprechend den
Bedürfnissen und Ressourcen der Jugendlichen/Klientel gestaltet werden kann? Welchen
Handlungsspielraum gibt es?
• Proaktive Kommunikation, von internen Fachstellen ausgehend, darüber, was
Standards nicht sein sollen. Arbeit sollte nicht komplizierter, umständlicher oder
unauthentisch werden, sondern einen gewissen Handlungsspielraum lassen.
• Handlungsspielraum liegt in der Verantwortung der Mitarbeitenden.

6. Was gehört deiner Meinung nach zwingend in eine Verhaltenskodex Nähe-Distanz?


• Unterschrift der Mitarbeitenden

74
5.4 Fragebogen Mitarbeitende
Erstellt in Kooperation mit der Institutonsleitung und der agogischen Leitung (Variante aus
ablauforientiertem Konzeptstrukturplan).
Der Fragebogen wurde an alle Mitarbeitenden aus dem Betreuungs- und
Beschäftigungsbereich verteilt, insgesamt 14. Der Fragebogen wurde von 12 Mitarbeitenden
bearbeitet. Die Antworten wurden von der Konzeptleitung stichwortartig
zusammengetragen und sortiert. Die Anzahl Nennungen durch verschiedene Mitarbeitende
sind in Klammer angegeben.

Fragebogen zum Umgang mit Nähe und Distanz in Betreuungssituationen

Körperliche Nähe und Distanz:


1. Worauf achte ich, wenn ich während des Pikettdienstes ein/e Bewohner/in wecke?
• Anklopfen (8) und freundlich guten Morgen wünschen/Namen sagen (3)
• Auf Ruhe, damit Mitbewohnende nicht gestört werden (5)
• Licht überprüfen (4)
• Zeit lassen, Zimmer wieder verlassen, rücksichtsvoll (3)
• Angemessene Kleidung (3)
• Ruhige und normale Sprache (2)
• Grund des Weckens kommunizieren (2)
• Information im Voraus
• Initialberührung an Schulter
• begleite die Person
• Bei einem Problem, den Grund nachts so schnell als möglich finden und lösen
Räumliche Distanz lassen
• Individuelle Gestaltung entsprechend den Bedürfnissen der Bewohnenden

2. Wie reagiere ich, wenn mich ein/e Bewohner/in (unabhängig von Corona) umarmen
möchte?
• Erklären, dass ich das nicht möchte (7)
• Alternative anbieten (4)
• Sanft und elegant abwehren, physische Distanz schaffen (4)
• Abhängig von der Person und ihrer Intention (3), der Art der Umarmung (2)

75
• Abhängig von dem, was der Wunsch nach einer Umarmung bei mir auslöst (3)
• Mit Humor aber ohne zu verletzen

3. Wie reagiere ich, wenn mich ein/e Bewohner/in küssen möchte?


• Freundlich, aber bestimmt zurückweisen/ausweichen (10)
• Respektvoll auf Grenzen hinweisen (3)
• Das würde ich nicht erlauben. Diese Nähe geht über die Grenze für mich (2)
• Erklären, dass ich nicht der richtige Partner/die richtige Partnerin dafür bin
• Paradoxe Intervention in Form einer Frage zur Auflösung der Situation/Intention
• Erklären, dass es für mich nicht angenehm ist (zu intim)
• Unbedingt signalisieren, dass das nicht toleriert wird
• Dokumentieren
• Probieren, das Bedürfnis dahinter zu erkennen

4. Worauf achte ich, wenn ein/e Bewohner/in die Zimmertüre schliessen möchte, während
ich mit ihm/ihr im Zimmer bin?
• Erklären, dass es für mich besser wäre, die Türe einen Spalt offen zu lassen, oder
allenfalls Verlassen des Zimmers (6)
• Grundsätzlich offen, situativ und abhängig von der Person sind Ausnahmen möglich
z.B. Vermeiden von Störungen (4)
• Möchte ich grundsätzlich nicht (4)
• Ich akzeptiere, dass er/sie dieses Bedürfnis hat und störe nicht. Wenn ich in das
Zimmer muss, warte ich auf eine passende Zeit und auf die Erlaubnis (3)
• Klären, was der Grund ist, weshalb ich im Zimmer bin/die Türe geschlossen werden
sollte (2)
• In heiklen Situationen jemanden hinzuziehen
• Andere Mitarbeitende darüber informieren
• Je nach Situation auf den Schlüssel achten
• Kreativ darauf hinweisen, weshalb die Türe offengelassen werden kann

5. Wie gehe ich vor, wenn ich eine Hautkontrolle bei einem Bewohner, einer Bewohnerin
im Intimbereich durchführen muss?

76
• Bewohner/in klar und deutlich informieren (9), Grund der Kontrolle gut erklären (6)
• Einverständnis der betroffenen Person einholen (4)
• Während Kontrolle sagen, was ich mache (4), fragen, ob alles gut ist (3)
• Nur die nötigsten Kleider freimachen (4), Handschuhe (4)
• An privatem Ort z.B. Zimmer, Badezimmer (3), Türe nicht ganz schliessen (2)
• Klare Berührungen und physische Distanz halten (2)
• Versuchen, empathisch zu sein, um mögliche Grenzüberschreitungen zu erkennen
• Möglichst ohne Berührung oder nur nach Einverständnis der betroffenen Person
• Während Kontrolle lachen oder über etwas anderes sprechen
• An Bezugsperson delegieren
• Auftrag, Absprache vorangehend klären
• Bewusste Gestaltung des Endes, mit wertschätzender Haltung

6. Worauf achte ich, wenn ich ein/e Bewohner/in beim Toilettengang begleite/unterstütze?
• Zurückhaltend Unterstützung anbieten, Toilette nur betreten, wenn wirklich nötig (9)
• Privatsphäre beachten, Türe nicht offenlassen, sicher bis auf einen Spalt breit
schliessen (9)
• Sicherheit der Bewohnenden (2)
• Hygiene, Massnahmen bei Inkontinenz z.B. Hände waschen, Kleider holen (2)
• Unterstützungen ankündigen ev. auch nonverbal (2)
• Individuelle Ressourcen beachten (2)
• Auftrag und Aufgabe kommunizieren (2)
• Immer anklopfen und Antwort abwarten

7. Worauf achte ich, wenn ich ein/e Bewohner/in beim Toilettengang in der Öffentlichkeit
begleite/unterstütze?
• Schauen, dass ich bei nicht abgeschlossener Türe den Schutz vor Drittpersonen
beachte (6)
• Kommunizieren, dass ich vor der Türe warte, falls Unterstützung nötig ist (4)
• Personen, die Assistenz brauchen, möglichst auf dem Rollstuhl-WC begleiten (3)
• Wie innerhalb der Institution (3)
• Frauen auf Frauentoiletten, Männer auf Männertoiletten (2)

77
• WC-Türen schliessen, damit sich niemand exponiert (2)
• Auf korrektes Anziehen der Kleidung achten (2)
• Wenn nötig vermittelnde Kommunikation gegenüber Drittpersonen (2)
• Zusätzlich auf Schamgefühl achten
• So wie ich es Privat auch machen würde
• Nötige Diskretion wahren
• Grenzen des Gegenübers respektieren
• Vorher und Nachher Sauberkeit der Toilette kontrollieren

8. Worauf achte ich, wenn ich für ein/e Bewohner/in Pflegehandlungen und/oder die
Intimpflege stellvertretend übernehme/durchführe?
• Fachlich und professionell arbeiten, jeden Schritt kurz, klar und deutlich
kommunizieren (10)
• Informationen bei Mitarbeitenden oder aus Dokumentationen einholen (4)
• Handschuhe tragen, schafft Distanz/Neutralität (3)
• Um Erlaubnis fragen (2)
• Klare Berührungen und physische Distanz halten (2), nicht frontal
• Der Person erklären, weshalb ich diese Aufgabe übernehme
• Anfang und Ende der Pflegehandlung klar kommunizieren
• Bei fehlenden Fachkenntnissen und Überforderung delegieren
• Keine Anwesenheit von anderen Bewohnenden
• Respektvoll und liebevoll, so wie ich auch gerne gepflegt werden würde

Emotionale Nähe und Distanz:


1. Wie reagiere ich, wenn ein/e Bewohner/in äussert, in mich verliebt zu sein?
• Kommuniziere, dass ich schon verheiratet bin oder eine gut formulierte, empathische
und kongruente Antwort geben (4)
• Ev. mit Humor wenn angepasst (3)
• Rücksichtsvoll auf Grenzen hinweisen (2), Distanz suchen/wahren (4)
• Äusserung ernst nehmen! Der Person gegenüber sachlich distanziert bleiben (3)

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• Prüfen, ob ein Verhalten von mir möglicherweise missverstanden wurde oder was
der Grund sein könnte (2)
• Klar und sachlich sagen, dass das nicht geht
• Genau hinhören, offen über das Thema Liebe sprechen
• Mit Mitarbeitenden darüber sprechen, eventuell als Thema für Sitzung
• Bezugsperson/Leitung informieren, klärendes Gespräch, ev. mit Drittperson

2. Wie reagiere ich, wenn ein/e Bewohner/in mir Geschenke macht oder machen will?
• Abhängig von der Grösse, erklären, dass ich grössere Geschenke zukünftig nicht
möchte/ annehmen kann/ darf, Verwendung grösserer Geschenke für Allgemeinheit
(6)
• Ich freue mich und bedanke mich für das Geschenk oder das Ansinnen (4)
• Erklären, dass ein Geschenk nicht nötig ist, so dass es für das Gegenüber verständlich
und nicht verletzend ist (3)
• Beachten, dass es zwanghaft werden könnte (3), probieren Bedürfnisse dahinter zu
verstehen (2)
• Situationsabhängig, Geschenk sollte Nähe/Distanz nicht beeinflussen

3. Wie begleite ich ein/e Bewohner/in in einer schwierigen Lebensphase, z.B. Tod/Trauer?
• Da sein, zuhören, nicht zu einem Gespräch zwingen (7)
• Raum und Zeit geben, um darüber zu sprechen (4), Gefühle und Emotionen
akzeptieren (3)
• Empathisch (4)
• Die jeweils eigenen Bilder/Vorstellungen des Gegenübers unterstützen (3),
Besondere Bedürfnisse erfragen/erspüren (2)
• Zuversicht und Halt vermitteln (3)
• Ev. Rituale wie Kerzen, Sprüche, Grabbesuch (2)
• Aufmerksam (2), mit Respekt, mit Echtheit
• Dem Entwicklungsstand entsprechend

4. Worauf achte ich, wenn ich über ein/e Bewohner/in spreche oder schreibe?
• Respektvoll (6), wohlwollend (2), objektive, sachliche Beschreibung (5)

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• Keine herabwürdigenden Formulierungen, nicht wertend, blossstellend (5),
respektvoll
• Datenschutz beachten z.B. Verwenden von Initialen/Namen (5)
• Nur Beobachtungen äussern oder schreiben (2), Interpretationen kennzeichnen und
mit Akzeptanz, Wertschätzung und Positivität
• So über die Person sprechen, als wenn sie dabei wäre, überlegen, ob ich möchte, dass
so über mich gesprochen wird
• Wähle einen geeigneten Ort, um zu sprechen

5. Wie gehe ich vor, wenn mich eine Situation emotional belastet oder nicht mehr loslässt?
• Offen darüber sprechen, mit Fachpersonen/Mitarbeitenden oder Leitungspersonen
aus der Institution (8)
• Suche das Gespräch mit vertrauten Personen innerhalb und ausserhalb der Institution
(4)
• Kollegiale Beratung und Suchen nach Lösungen, damit sich die Situation nicht
wiederholt
• 1. Aufschreiben, weglegen, am nächsten Tag wieder anschauen, falls nötig 2.
Besprechen mit Vertrauensperson, oder dann 3. an IL wenden
• Hilfe holen, ev. Situation abgeben, Ev. professionelle Hilfe ausserhalb der Institution
aufsuchen
• Akzeptanz, dass es für mich schwierig ist

Sonstiges:
1. Was gibt mir Sicherheit im Umgang mit Nähe und Distanz, woran orientiere ich mich?
• Eigene Gefühle während der Situation und Reflexion danach (4)
• Bewusstsein für eigene Grenzen (3), Erfahrung (2)
• Offener Austausch (2), Klare Standards (2)
• Perspektivenwechsel und Fragen stellen, wie wäre der Umgang mit Nachbarn,
Mitschülern? Ist der Umgang respektvoll, wie nehme ich diese Menschen wahr?
• Gemeinsame Reflexion mit allen Beteiligten, (An)erkennen der Individualität aller
Beteiligten
• Besprechen mit Mitarbeitenden, die Situation miterlebt haben

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• Unterschied Arbeit und Privat
• Versuche meinem Gegenüber auf Augenhöhe zu begegnen, suche immer wieder das
Gespräch, um auf die Grenzen des Gegenübers aufmerksam zu werden
• Verantwortungsbewusst mit den Grenzen der Bewohnenden umgehen
• Vertrauensvolles Umfeld, ausgeglichen handeln, ehrlich zu sich selbst sein
• Möglichkeit abschalten zu können
• Überprüfen, ob auffälliges Verhalten von Bewohnenden mir gegenüber grösser ist
als gegenüber anderen Mitarbeitenden

2. Wo und mit wem (in welchem Rahmen) kann ich über Unsicherheiten oder
Auffälligkeiten in Bezug auf Nähe und Distanz sprechen?
• Institutionsleitung oder agogische Leitung (3), Gespräch mit vorgesetzter Person (2)
• Im Zweiergespräch mit Mitarbeitenden, Berufsbildnerin (3), mit Fach- oder
Bezugsperson innerhalb der Institution (2)
• Mit vertrauter Person innerhalb oder ausserhalb der Institution (2)
• In der Berufsfachschule
• Im entsprechenden Gefäss (Sitzungen, Meldestelle)
• Diskretion wahren und Rahmen entsprechend wählen, Sachverhalt objektiv
schildern
• Ev. Supervision

3. Was gehört meiner Meinung nach zwingend in einen Verhaltenskodex Nähe-Distanz?


• Respektieren der Grenzen des Gegenübers (4)
• Sich nicht über Grenzen hinwegsetzen, auch wenn es manchmal nicht einfach ist,
diese zu erkennen, allenfalls entsprechend handeln (2)
• Verhaltensregeln, präsent sein, Fragen, Aufrichtigkeit (2)
• Achtsamkeit, Vertrauen, Toleranz, Wertschätzung, Transparenz, offene
Kommunikation mit allen Beteiligten (2)
• Umgang mit Ethik, Normen, allgemeine gesellschaftliche Regeln
• Haltung der Mitarbeitenden, immer genügend Professionalität wahren, Schutz aller
Beteiligten
• Zum Nachdenken anregen, mit Fragen stellen, «wie wäre es wenn…?»
• Körperliche Nähe/Distanz Frage 1, 3-8, Emotionale Nähe/Distanz Frage 1-4

81
• Menschen sollten sich auf Augenhöhe begegnen (unabhängig von einer
Beeinträchtigung) und unabhängig von der Verantwortung, welche Professionelle
gegenüber ihrer Klientel haben («Gleichwürdig»)
• Privatsphäre, Intimsphäre (inkl. Schlaf) so gut als möglich schützen
• Sollte auf Institution zugeschnitten sein (Klientel, Mitarbeitende, Kulturkreis),
allgemein verständlich
• Körperkontakt nur wenn von Bewohnenden ausgehend, wenn von ihnen gewünscht
und für Mitarbeitende in Ordnung
• Genaue Angabe der Zuständigkeiten (Meldestelle, Institutionsleitung, agogische
Fachleitung)

82
5.5 Fragebogen Bewohnende
Erstellt durch die Konzeptleitung auf der Grundlage des Fragebogens für Mitarbeitende.
Der Fragebogen diente als Orientierung in den Gesprächen mit den Bewohnenden. Die
Gespräche wurden von der Konzeptleitung mit vier Bewohnenden aus allen drei
Wohngruppen geführt. Die Kommunikationsform und der Gesprächsverlauf wurde den
Ressourcen und Bedürfnissen der Bewohnenden angepasst. Die Antworten wurden von der
Konzeptleitung stichwortartig zusammengetragen. Die Anzahl Nennungen durch
verschiedene Bewohnende sind in Klammer angegeben.

Fragebogen zum Umgang mit Nähe und Distanz in Betreuungssituationen

Körperliche Nähe und Distanz:


1. Was sollten Mitarbeitende beachten, wenn sie dich in der Nacht wecken müssten?
• Anklopfen (2)
• Türe nicht öffnen, nur sprechen
• Bettdecke schütteln
• Auf ihre Kleidung achten

Wie wäre/ist es für dich, wenn dich jemand weckt?


• Nicht gut, lieber nicht wecken
• Je nachdem warum

2. Wie sollten Mitarbeitende reagieren, wenn du sie umarmen möchtest?


• Normal, anständig und höflich Umarmung ablehnen (2)
• Kommt drauf an wer, freundlich ja oder nein sagen

Und wenn sie dich umarmen möchten?


• Lieber nicht, ich sage «nein»
• Ich gebe die Hand zum Hallo sagen

3. Wie sollten Mitarbeitende reagieren, wenn du sie küssen möchtest?


• Freundlich sagen, das geht nicht (2)

Und wenn Mitarbeitende dich küssen möchten?


• Gehe ich weg
• Zum Geburtstag vielleicht, kommt drauf an wer
• Dann sage ich «nein»
• Das wäre kompliziert

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4. Worauf sollten Mitarbeitende schauen, wenn du die Zimmertüre schliessen möchtest,
wenn ihr zusammen in einem Zimmer seid?
• Sie sollen fragen, weshalb ich das möchte (2)
• Sagen, dass die Türe offenbleibt oder rausgehen (2)

Und wenn Mitarbeitende die Türe schliessen möchten?


• Frage ich «weshalb?» (2)
• Kann ich rausgehen
• Sage ich, «kann man gar nicht»

5. Wann und wie sollten Mitarbeitende bei dir die Haut im Intimbereich kontrollieren?
• Zeitpunkt beachten
• Kommunizieren, weshalb und dass es eine Ausnahme ist (2)
• Mich nicht berühren, so viel als möglich selber machen lassen (3)
• Bezugsperson informieren

6. Worauf sollten Mitarbeitende schauen, wenn sie dich beim Toilettengang unterstützen
müssen?
• Dass ich danach richtig angezogen bin
• Sagen, weshalb ich Hilfe brauche
• Türe schliessen (2)
• Türe offen lassen in der Nacht

7. Worauf sollten Mitarbeitende schauen, wenn sie dich beim Toilettengang in der
Öffentlichkeit begleiten/unterstützen?
• Türe schliessen (3)
• Dass ich mich nicht einschliesse
• Dass ich Ruhe habe (2)
• Sagen, wo wir uns wieder treffen
• Vorher klar kommunizieren, auf was ich in der Öffentlichkeit schauen muss
• Dass ich danach richtig angezogen bin

8. Worauf sollten Mitarbeitende schauen, wenn sie für dich beim Pflegen etwas bestimmtes
machen müssen? Z.B. Haare oder Intimbereich waschen?
• Ob es gut so ist für mich
• Schauen, was ich selbst kann
• Sagen, was, wie und warum es gemacht wird (2)
• Wo und wie sie mich berühren

84
Emotionale Nähe und Distanz:
1. Wie sollten Mitarbeitende reagieren, wenn du ihr/ihm sagst, dass du in sie/er verliebt bist?
• Auf den Unterschied zwischen Privat und Beruf hinweisen
• Freundlich sagen, ob das passt oder nicht

2. Wie sollten Mitarbeitende reagieren, wenn du ihnen ein Geschenk machst oder machen
möchtest?
• Sagen, dass etwas Kleines kein Problem ist, grosse Sachen aber nicht gehen
• Freundlich danken
Und wie reagiert du, wenn du ein Geschenk von einem/einer Mitarbeiter/in bekommst?
• Ich möchte wissen was und weshalb?
• Ich sage, dass ich aus diesem Alter heraus bin, ich brauche nichts

3. Wie sollten dich Mitarbeitende begleiten, wenn du traurig bist?


• Gespräche (2)
• Mit guten Ohren
• Gut, gütig, mit Geduld und Verständnis

Und was brauchst du von Mitarbeitenden, wenn jemand stirbt, den du kennst?
• Positives und Schönes erzählen
• Ehrlich zu mir sein
• Ich lese die Todesanzeige

4. Worauf sollten Mitarbeitende schauen, wenn sie über dich sprechen oder schreiben?
• Mich darüber informieren (2)
• Dass es mich betrifft
• Sachlich, das Gute sehen

5. Mit wem kann ich sprechen, wenn mich eine Situation beschäftigt und wenn es mir nicht
gut geht?
• Mit meiner Bezugsperson (2)
• Meldestelle (Zettel in Briefkasten)

Und wie merken Mitarbeitende das?


• Ich gehe ins Zimmer und warte
• Ich reagiere, komme nicht zum Essen

85
Sonstiges:
1. Wie weisst du, wie nahe du jemandem kommen darfst/kannst?
• Ich spitze meine Ohren
• Ich frage nach (2)
• Ich frage bei wem geht was und warum, was ist der Unterschied
• Ich gebe die Hand, mehr mag ich nicht

2. Wo und mit wem kann ich sprechen, wenn ich unsicher bin, ob eine Situation (für mich)
gut oder schlecht ist/war?
• Mit meiner Bezugsperson (3)
• Meldestelle (Zettel in Briefkasten)

3. Was sollten Mitarbeitende zum Thema unbedingt beachten?


• Gut zuhören

Was muss in einen Verhaltenskodex Nähe-Distanz?


• Alle gut behandeln (UN-BRK)
• Ich brauche zwischendurch Ruhe

86
5.6 Zwischenevaluation
Die Zwischenevaluation bezieht sich auf den kooperativen und partizipativen
Erarbeitungsprozess des Verhaltenskodex in der Ausführungsphase (Prozessziele) und
wurde durch die Konzeptleitung erfasst.

Ebene Bewohnende:
Feinziel 1:
Bewohnende aus allen drei Wohngruppen können sich im November und Dezember 2020
zum IST und SOLL-Zustand im Umgang mit Nähe und Distanz mit den internen
Vertrauenspersonen austauschen und ihre Bedürfnisse und Ressourcen im Umgang mit
Nähe und Distanz mitteilen.
• Austausch mit Bewohnenden aus allen drei Wohngruppen hat stattgefunden
• Bedürfnisse und Ressourcen im Umgang mit Nähe und Distanz wurden mitgeteilt
und protokolliert

Feinziel 2:
Aus allen drei Wohngruppen hat sich mindestens ein/e Bewohner/in verbal oder nonverbal
im Gespräch im November und Dezember mit der Vertrauensperson positiv zur
Evaluationsfrage «Wie war für dich das Gespräch zum Umgang mit Nähe und Distanz?»
geäussert.

Antworten der Bewohnenden zur Beobachtung während des Gesprächs zu:


Evaluationsfrage: •Teilnahme? Aktiv oder eher passiv?
•Rahmen? Passend oder eher unpassend?
•Mimik, Gestik?
«Interessant, das betrifft mich» •Aktiv, liest Fragen selbst und diktiert die
Antworten
•passend, Gespräch findet auf Wunsch des
Bewohners in zwei Blöcken statt (1 Tag
Pause dazwischen)
•Lacht viel, wippt hin und her, klatscht in die
Hände?
«Gut» •Aktiv, überlegt zwischendurch, gibt klare
Antworten
•passend, ruhiger Rahmen
•lächelt immer wieder, sitzt entspannt, schaut
mich aufmerksam an
«Ja, ich weiss um was es geht», «ich helfe •Aktiv, kommt von sich aus auf mich zu, liest
mit» die Fragen und Antworten selbst
•passend, ruhiger Rahmen

87
•Kratzt sich am Kopf, schaut je nach Frage
ernst, lacht immer wieder und schüttelt den
Kopf
«Gut», «ein schwieriges Thema» •Aktiv, überlegt konzentriert, gibt klare
Antworten
•passend, ev. etwas unruhig
•Lächelt immer wieder oder lacht laut, nickt
zwischendurch mit dem Kopf, wippt mit dem
Oberkörper, Streckt die Arme in die Luft und
klatscht
Tabelle 13: Zwischenevaluation Bewohnende, eigene Darstellung

Ebene Mitarbeitende und Institution:


Feinziel 1:
Das Kernteam hat bis Ende Februar 2021 einen Erfahrungsaustausch mit mindestens zwei
weiteren Institutionen zum Umgang mit Nähe und Distanz initiiert und den Verhaltenskodex
in schriftlicher Form der Institutionsleitung zur Freigabe und Verankerung in der Institution
vorgelegt.
• Mit Fachpersonen aus zwei anderen Institutionen ist ein längerfristiger
Erfahrungsaustausch zum Umgang mit Nähe und Distanz initiiert
• Mit einer Fachperson aus einer anderen Institution fand ein Austausch schriftlich
und telefonisch statt
• Ein mündlicher Austausch im Rahmen des Erfahrungsaustausches der externen
Präventionsstelle konnte pandemie-bedingt nicht stattfinden (Termin abgesagt)
• Der Verhaltenskodex ist der Institutionsleitung zur Freigabe vorgelegt

Feinziel 2:
Alle Mitarbeitenden aus dem Betreuungs- und Beschäftigungsbereich haben bis Ende
Dezember 2020 einen Fragebogen zum Umgang mit Nähe und Distanz in Risikosituationen
erhalten und mindestens 10 davon sind beantwortet beim Kernteam eingegangen.
• Bis Ende Dezember 2020 haben alle Mitarbeitenden aus dem Betreuungs- und
Beschäftigungsbereich einen Fragebogen erhalten
• 12 Fragebögen sind beantwortet beim Kernteam eingegangen

Spontane Rückmeldungen der Mitarbeitenden zur Arbeit mit dem Fragebogen:


(Anzahl der Nennungen durch unterschiedliche Mitarbeitende in Klammer)

88
• Knifflige Fragen, hat gutgetan, sich richtig damit auseinander zu setzen
• Ich habe gemerkt, dass ich vieles aus dem Bauch heraus mache (3)
• Frage mich, wie man es richtig machen würde (2)
• Ein einheitliches Handeln ist wohl fast unmöglich. Umgang hängt stark von den
Personen ab
• Wir machen es wohl anders als andere Institutionen
• Ich möchte mir richtig Zeit nehmen fürs Beantworten der Fragen
• Hat Zeit gebraucht. Eigentlich ist es klar, aber das Formulieren war schwierig (2)
• Da helfe ich gerne mit. Fülle ich sicher aus (5)
• Ganz alltägliche Situationen und trotzdem schwierig zu beantworten

89
5.7 Verhaltenskodex Nähe und Distanz

Verhaltenskodex zum Umgang mit Nähe und Distanz in Risikosituationen

1. Einleitung
Mitarbeitende sind dazu verpflichtet, die physische, psychische und sexuelle Integrität der
von ihnen begleiteten Menschen zu schützen. Der Verhaltenskodex Nähe und Distanz dient
als handlungsleitendes Konzept zum Schutze der Bewohnenden vor Grenzverletzungen im
Bereich Nähe und Distanz. Der Verhaltenskodex fokussiert auf Grenzverletzungen im
Graubereich, sogenanntem korrigierbarem Fehlverhalten, welches meist unabsichtlich
ausgeübt wird, auf zwei Ebenen stattfinden kann und in bestimmten Situationen
(Risikosituationen) besonders oft vorkommt. Die zwei Ebenen von Grenzverletzungen im
Bereich Nähe und Distanz sind:
• die körperliche Ebene im Spannungsfeld zwischen Selbstbehauptung und
Abhängigkeit
• die Beziehungsebene im Spannungsfeld zwischen Selbstbehauptung und
Abhängigkeit
In Risikosituationen ist die Möglichkeit zur Ausübung und zum Erfahren von
Grenzverletzungen auf diesen zwei Ebenen besonders hoch, da sie sich dazu eignen
• Abhängigkeiten herzustellen und zu fördern
• Nähe in besonderer Intensität herbeizuführen und zu pflegen
• und sich der Kontrolle durch Drittpersonen zu entziehen (vgl. Limita 2017 3;
Dörr/Müller 2019, S. 15f).

Fachlicher Bezug:
Der Verhaltenskodex Nähe und Distanz kommt den Forderungen der Charta Prävention zur
Prävention von sexueller Ausbeutung, Missbrauch und anderen Grenzverletzungen von
Menschen mit besonderem Unterstützungsbedarf nach. Er bezieht sich zudem auf die UN-
Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) und trägt zu deren Umsetzung innerhalb der
Institution bei.
Als handlungsleitendes Konzept liegt dem Verhaltenskodex die Ermächtigung der
Bewohnenden zur Selbstkompetenz in der Wahrnehmung von Grenzen und dem Umgang
mit Grenzverletzungen zugrunde. Durch die «Stärken-Perspektive» des Empowerment-
Ansatzes orientiert sich die Arbeit mit dem Verhaltenskodex an den Ressourcen, über die
jedes Individuum verfügt und die zum Schutze vor Grenzverletzungen zu nutzen und zu

90
stärken sind. Zudem bezieht sich der Verhaltenskodex auf den partizipativen Ansatz,
wonach die Bewohnenden bei der transparenten Gestaltung von Nähe und Distanz in
Risikosituationen einbezogen werden und bei Entscheidungen mitbestimmen können.
Mitarbeitende benötigen dazu die Fähigkeit, die Perspektive der Bewohnenden einnehmen
zu können, die Stärken der Bewohnenden zu spiegeln, sowie die Eigenständigkeit der
Bewohnenden fördern zu können (vgl. Strassburger/Rieger 2019, S. 234ff; Herringer 2020,
S. 74ff).
Bei der transparenten Gestaltung von Nähe und Distanz orientieren sich Mitarbeitende an
den Grundbedürfnissen eines Menschen, auf die jeder Mensch individuell einzuwirken
versucht. Nach Grawe sind die vier Grundbedürfnisse eines Menschen das Bedürfnis nach
Orientierung und Kontrolle, das Bedürfnis nach Lustgewinn und Unlustvermeidung, das
Bedürfnis nach Bindung sowie das Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung (Vgl. Grawe 2000,
S.383f).

2. Ziele einer transparenten Gestaltung von Nähe und Distanz in Risikosituationen


Bewohnende…
• erhalten Angebote zur Wahrnehmung und Benennung individueller Bedürfnisse
• erhalten Sicherheit im Umgang mit Nähe und Distanz durch eine transparente und
kongruente Kommunikation
• erhalten individuell gestaltete Unterstützungsangebote, die auf ihren Ressourcen und
Bedürfnissen beruhen
• werden kooperativ bei der Gestaltung von Unterstützungshandlungen in
Risikosituationen einbezogen

Mitarbeitende…

• kommunizieren Grenzverletzungen und Unsicherheiten zeitnah


• respektieren und achten die individuellen Grenzen der Bewohnenden in Bezug auf
Nähe und Distanz
• respektieren und achten ihre eigenen Grenzen in Bezug auf Nähe und Distanz
• werten ihr Handeln und ihre Wahrnehmung in Risikosituationen anhand verbaler
und nonverbaler Signale aus und beziehen Bewohnende mit ein

91
3. Umsetzungsprozess
Die transparente Gestaltung von Nähe und Distanz in Risikosituationen zum Schutze vor
Integritätsverletzungen liegt in der Verantwortung der Mitarbeitenden. Sie kann erreicht
werden, indem die individuellen Bedürfnisse und Ressourcen der Bewohnenden
wahrgenommen, individuelle Grenzen respektiert und Risikosituationen als solche
wahrgenommen werden. Dazu eignet sich auf der Ebene der Mitarbeitenden die
regelmässige Reflexion der eigenen Rolle und Haltung in Risikosituationen und der
partizipative Einbezug der Bewohnenden durch eine transparente und adressatengerechte
Kommunikation.
Die eigene Haltung und das eigene Handeln in Risikosituationen wird von Mitarbeitenden,
anhand der verbindlichen Grundhaltung und handlungsleitender Richtlinien zum konkreten
Umgang mit Nähe und Distanz in Risikosituationen, regelmässig reflektiert sowie
transparent und besprechbar gemacht. Allfällige Grenzverletzungen, abweichende
Verhaltensweisen, Unsicherheiten, Fragen oder Auffälligkeiten sind entsprechend der
vorgegebenen Kommunikationswege in den handlungsleitenden Richtlinien transparent zu
machen. Diese beinhalten die Kommunikation zwischen Mitarbeitenden und Bewohnenden
(Bewohnende), zwischen Mitarbeitenden, welche über Erfahrung in der jeweiligen Situation
verfügen (Mitarbeitende), zwischen Mitarbeitenden und Bezugspersonen (Bezugspersonen)
und zwischen Mitarbeitenden und der Leitungsebene (Leitung) sowie im Rahmen der
Meldestelle und Sitzungen. Dem Schutz aller Beteiligten wird dabei Rechnung getragen.

Eine professionelle Grundhaltung in Risikosituationen


von Mitarbeitenden…
• achtet und respektiert die eigenen Grenzen und die Grenzen des Gegenübers
• ist ressourcen- und bedürfnisorientiert
• ist reflektiert, wertschätzend, empathisch und ehrlich
• ist auf Augenhöhe mit dem Gegenüber
• beruht auf einer Hol- und Bringschuld

Handlungsleitende Richtlinien in Risikosituationen


Unterstützung bei Pflegehandlungen…
• gestalte ich so, dass der grösstmögliche Schutz der Intimsphäre und der
Selbständigkeit der Bewohnenden gewahrt und gefördert wird

92
• führe ich nur nach dem Einverständnis des Gegenübers durch und kommuniziere
einzelne Handlungen vor der Ausführung verbal und nonverbal, während der
Ausführung verbal und frage regelmässig nach der Befindlichkeit
• mit Körperkontakt kündige ich an und führe diesen mit klaren, eindeutigen
Berührungen und unter Einhalten grösstmöglicher physischer und emotionaler
Distanz durch
• mit Hautkontrollen im Intimbereich führe ich nach vorangehender Absprache und
dokumentiertem Auftrag durch und bespreche den Grund, das Vorgehen und den
Rahmen vorangehend mit der betroffenen Person. Dabei verzichte ich, wann immer
möglich, auf Berührungen im Intimbereich
• führe ich unter Einhalten der nötigen Hygiene- und Sicherheitsstandards aus
Reflexionsfragen: Was ist mein Auftrag? Wer hat welches Bedürfnis? Habe ich die
Kompetenzen dazu?
Kommunikationsweg: Bewohner/in, Bezugsperson, Sitzung, Meldestelle

Bei Körperkontakt…
• achte ich darauf, dass er von Bewohnenden ausgeht, der Körperkontakt für mich und
das Gegenüber stimmt und ich Assistenz mit Körperkontakt vorangehend
kommuniziert habe
• mit küssen weise ich diesen freundlich aber bestimmt verbal und nonverbal zurück
• kommuniziere ich die eigenen Grenzen, das eigene Empfinden und das allfällige
Bedürfnis nach physischer Distanz verbal und nonverbal
• biete ich Alternativen an und reagiere situationsabhängig je nach Intention und Art
des Körperkontakts verbal und nonverbal
• löse ich die Situation, wenn nötig durch eine paradoxe Intervention (z.B. irritierende
Fragen)
Reflexionsfragen: Welchen Auftrag habe ich? Habe ich Klärungs- oder Meldebedarf? Was
ist das Bedürfnis der Person? Wie könnte dieses Bedürfnis alternativ erfüllt werden? Was
löst der Körperkontakt bei mir aus?
Kommunikationsweg: Bewohner/in, Mitarbeitende, Bezugsperson, Sitzung, Meldestelle

Bei der Benutzung öffentlicher Sanitäranlagen…


• achte ich auf den Schutz vor und von Drittpersonen und berücksichtige individuelle
Bedürfnisse.

93
• begleite ich Bewohnende mit Assistenzbedarf wenn möglich auf dafür vorgesehene
Anlagen (Rollstuhl-WC), ansonsten auf geschlechterentsprechende Anlagen
• kommuniziere ich Bewohnenden, wo ich warte und wenn nötig, was bei der
Benutzung öffentlicher Sanitäranlagen zu beachten ist
Reflexionsfragen: Was muss ich beachten, damit sich niemand exponiert? In welcher Rolle
bin ich?
Kommunikationsweg: Bewohner/in, Mitarbeitende, Bezugsperson

Die Privatsphäre und Intimsphäre…


• achte und respektiere ich, indem ich ein Zimmer nur nach Anklopfen betrete und
Handlungen in Zimmern von Bewohnenden nur nach deren Einverständnis
durchführe. Allenfalls informiere ich Bewohnende nachträglich
• respektiere ich, indem ich ein Zimmer verlasse, wenn Bewohnende die Türe
schliessen möchten. Ausnahmen prüfe ich situativ und abhängig von der Person,
allenfalls gehe ich mit der Person in ein Zimmer mit Sichtkontakt von aussen
• achte ich, indem ich das Bedürfnis nach Ruhe und Erholung respektiere und nachts
Bewohnende nicht störe oder wecke. Bei Ausnahmen in speziellen Situationen
bespreche ich vorangehend mit den betroffenen Personen wer, wann und wie wecken
kommt
• respektiere ich, indem ich Bewohnende morgens entsprechend ihren Bedürfnissen
wecke und dabei angemessene Kleidung trage
Reflexionsfragen: Was ist der Grund, weshalb ich im Zimmer bin? In welcher Rolle bin ich?
Was ist das Bedürfnis der Person?
Kommunikationsweg: Bewohner/in, Mitarbeitende, Bezugsperson

Bei grosser emotionaler Nähe…


• nehme ich jegliche Äusserungen ernst, thematisiere ich die Themen offen und
sachlich und halte die nötige physische Distanz ein
• kommuniziere ich die eigenen Grenzen und den Unterschied zwischen Privat und
Beruf nachvollziehbar und anhand von Beispielen
• achte ich besonders darauf, wenn ich ein Geschenk angeboten bekomme. Etwas
Kleines, das geteilt wird, nehme ich dankend an. Bei einem grösseren Geschenk
lehne ich dieses dankend ab und kommuniziere, dass ich dies nicht annehmen
darf/kann

94
Reflexionsfragen: Gibt es Anzeichen, dass ein Verhalten von mir missverstanden wurde?
Gibt es Anzeichen, für ein Zwangsverhalten? Welches Bedürfnis liegt dem Verhalten
zugrunde?
Kommunikationsweg: Bewohner/in, Bezugsperson, Meldestelle, Leitungsebene

Bei der Begleitung in schwierigen Lebensphasen…


• biete ich Bewohnenden Zeit und Raum für Gespräche an und akzeptiere Gefühle,
Emotionen und individuelle Bedürfnisse
• greife ich auf Rituale zurück und begleite die Situation mit Empathie,
Aufmerksamkeit und Respekt
• achte ich darauf, der Person gegenüber ehrlich zu sein und ihr Zuversicht und Halt
zu geben
Reflexionsfragen: In welcher Rolle bin ich? Was ist mein Auftrag? Wer hat welches
Bedürfnis?
Kommunikationsweg: Bewohner/in, Bezugsperson, Leitungsebene

Bei belastenden Situationen oder Konflikten…


• mache ich meine Befindlichkeit in dem für mich passenden Rahmen transparent und
nehme meine Grenzen bewusst wahr
• achte ich darauf, dass von Bewohnenden ausgehende wiederkehrende
Grenzverletzungen, (für mich) nicht zur Normalität werden
• achte ich besonders auf nonverbale und verbale Signale der Bewohnenden,
verbalisiere meine Wahrnehmungen und frage nach ihrer Befindlichkeit
• suche ich gemeinsam mit allen Beteiligten nach Lösungen, damit sich die Situation
verändern kann
Reflexionsfragen: Wie kann ich Distanz gewinnen? In welcher Rolle bin ich? Was ist mein
Auftrag? Wie lange ist die Situation für mich schon belastend? Habe ich meine Grenzen und
die des Gegenübers erkannt? Welche Möglichkeiten hatte ich, präventiv zu handeln?
Kommunikation: Mitarbeitende, Bezugsperson, Bewohner/in, Meldestelle, Leitungsebene

In der Kommunikation mit und über Bewohnende…


• achte ich darauf, dass ich respektvoll, wohlwollend, objektiv und sachlich schreibe
oder spreche. Interpretationen kennzeichne ich als solche
• gebe ich Bewohnenden auf ihren Wunsch hin jederzeit Auskunft darüber, was, wann,
wo, wie und mit wem ich über sie gesprochen oder geschrieben habe

95
• beziehe ich betroffene anwesende Bewohnende in die Kommunikation mit ein
• berücksichtige ich die Einhaltung des Daten- und Personenschutzes, indem ich Ort
und Rahmen der Kommunikation beachte
• verwende ich keine entwürdigenden, blossstellenden Formulierungen oder negative
Wertungen
Reflexionsfragen: Wie möchte ich, dass über mich gesprochen/geschrieben wird? Kann ich
das Geschriebene der betroffenen Person auch direkt sagen?
Kommunikationsweg: Bewohner/in, Mitarbeitende, Meldestelle

4. Evaluation:
Die Evaluation der Arbeit mit dem Verhaltenskodex auf der Ebene der Bewohnenden wird
in verbaler und nonverbaler Form von Feedback und Beobachtungen durch Mitarbeitende
und Vertrauenspersonen vorgenommen. Die Mitarbeitenden evaluieren und reflektieren den
Umgang mit Nähe und Distanz in Risikosituationen selbständig. Es findet halbjährlich ein
Austausch über die Erkenntnisse der regelmässig individuell durchgeführten Auswertungen
und den Auswertungen auf der Ebene der Bewohnenden statt.

Evaluation nonverbale Ebene Bewohnende:


1. Konnte ich die physische, psychische und sexuelle Integrität meines Gegenübers wahren?
Handlungskriterien:
• Bin ich meinem Gegenüber auf Augenhöhe begegnet?
• Habe ich das Einverständnis meines Gegenübers vorangehend eingeholt?
• Habe ich Unterstützung punktuell angeboten?
2. Kenne ich mögliche Grenzen meines Gegenübers?
Handlungskriterien:
• Körperliche Grenzen?
• Emotionale Grenzen?
• Grenzen der Privatsphäre?

Evaluation verbale Ebene Bewohnende:


Bewohnende teilen zum Umgang mit Nähe und Distanz in Risikosituationen mit:
…ob sie über Handlungen von Mitarbeitenden informiert sind?
…ob sie den Grund für Handlungen kennen?
…ob sie bei der Gestaltung von Situationen einbezogen werden?
…ob sie Bedürfnisse wahrnehmen und äussern können?

96
…ob sie Unsicherheiten äussern können?
…was Mitarbeitende unbedingt wissen müssen?

5. Qualitätssicherung:
Der Verhaltenskodex wird jährlich auf Optimierungsbedarf überprüft und mindestens alle
zwei Jahre aktualisiert. Die Verantwortung für die Evaluation und die Aktualisierung liegt
bei der internen Präventions- und Meldestelle.
Mitarbeitende werden von der internen Präventions- und Meldestelle in die Arbeit mit dem
Verhaltenskodex eingeführt. Mit der Unterschrift zur Kenntnisnahme des Präventions- und
Gewaltkonzepts ist die Arbeit mit dem Verhaltenskodex für Mitarbeitende verbindlich.

6. Literaturverzeichnis:
Dörr, Margret / Müller, Bernhard (2019): Einleitung. Nähe und Distanz als Strukturen der
Professionalität pädagogischer Arbeit, in: Dörr, Margret (Hrsg.): Nähe und
Distanz. Ein Spannungsfeld pädagogischer Professionalität. Weinheim Basel,
Beltz Juventa, 4., aktualisierte und erweiterte Auflage, 14-39.
Grawe, Klaus (2000): Psychologische Therapie. Göttingen/Bern/Toronto/Seattle, Hogrefe,
2., korrigierte Auflage
Herringer, Norbert (2020): Empowerment in der Sozialen Arbeit. Eine Einführung.
Stuttgart, Kohlhammer 6., erweiterte und aktualisierte Auflage
Limita (2017): Leitartikel. Risikosituationen transparent gestalten. Zürich, Eigenverlag
Limita
Strassburger, Gaby/ Rieger, Judith (2019): Partizipation kompakt – Komplexe
Zusammenhänge auf den Punkt gebracht, in: Strassburger, Gaby/ Rieger, Judith
(Hrsg.): Partizipation kompakt. Für Studium, Lehre und Praxis sozialer Berufe.
Weinheim Basel, Beltz Juventa, 2., überarbeitete Auflage, 230-240.

Internetquellen:
Schweizerische Eidgenossenschaft (2020): Übereinkommen vom 13. Dezember 2006 über
die Rechte von Menschen mit Behinderung.
https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/2014/245/de, 05.02.2021

Verbandsübergreifende Arbeitsgruppe Prävention (2016): Charta zur Prävention von


sexueller Ausbeutung, Missbrauch und anderen Grenzverletzungen. https://www.charta-
praevention.ch/userfiles/downloads/Charta_Praevention_D_A4.pdf, 05.02.2021

97
5.8 Deklaration Urheberschaft

Deklaration bezüglich
Urheberschaft / Daten-/Personenschutz / Umfang /
Veröffentlichung

Name: Schutter Vorname: Titia Klasse: OA19.2

Titel der Arbeit: Verhaltenskodex Nähe und Distanz. Konzeptarbeit zum Umgang mit Nähe
und Distanz in Risikosituationen

Erklärung zur Urheberschaft


Ich habe die Inhalte dieser Arbeit selbstständig verfasst. Ich habe dabei das geistige
Eigentum anderer Autor*innen geachtet und alle verwendeten Quellen und Hilfsmittel
vermerkt.

Erklärung zum Umgang mit dem Daten-/Personenschutz


Bei allen Informationen von oder über Personen und Sachverhalte aus meinem
Tätigkeitsfeld und bei der Verwendung von Dokumenten habe ich grösste Sorgfalt
bezüglich des Daten-/Personenschutzes walten lassen.
Wo nötig habe ich die Erlaubnis zur Verwendung der Informationen eingeholt.

Erklärung zum Umfang der Arbeit


Die Arbeit enthält 106.726 Zeichen ohne Leerzeichen.
Titel, Inhaltsverzeichnis, Literaturverzeichnis und weitere Verzeichnisse sowie der Anhang
sind nicht mitgerechnet.

Erklärung zu einer allfälligen Veröffentlichung der Arbeit


Ich bin damit einverstanden, dass die PPD in der Bibliothek der Agogis nach Bewilligung
durch die Lehrgangsleitung als pdf eingesehen werden kann.

☒ ja

☐ nein

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Ich bestätige, dass obige Erklärungen von mir wahrheitsgetreu und nach bestem Wissen
und Gewissen ausgefüllt und umgesetzt worden sind.

Ort: Köniz Datum:04.03.2021 Unterschrift: ______ ___________

Diese Erklärung muss – unterschrieben – in jede Kopie oder Datei der Arbeit als letzte
Seite integriert werden.
Falls diese Erklärung unwahre Angaben enthält, trifft die HF Agogis disziplinarische
Massnahmen. Ein bereits erteiltes Diplom kann nachträglich aberkannt werden.

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