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Karl Otmar Freiherr von Aretin (* 2. Juli 1923 in München; † 26.

März 2014 ebenda)


war ein deutscher Historiker.

Aretin lehrte von 1964 bis 1988 als ordentlicher Professor für Zeitgeschichte an
der TH Darmstadt. Von 1968 bis 1994 war er Direktor der Abteilung für
Universalgeschichte im Mainzer Institut für Europäische Geschichte. Zu seinen
Verdiensten gehörte die Öffnung des Instituts für Nachwuchswissenschaftler aus dem
damaligen Ostblock. Aretin legte eine monumentale vierbändige Darstellung zur
Geschichte des Alten Reiches von 1648 bis 1806 vor. Für die Erforschung der
Geschichte Reichsitaliens leistete er Pionierarbeit. Er zählt zu den bedeutendsten
deutschen Frühneuzeithistorikern nach dem Zweiten Weltkrieg.

Inhaltsverzeichnis
1 Leben
1.1 Herkunft und Familie
1.2 Akademische Laufbahn
2 Wirken
2.1 Zeitgeschichte
2.2 Frühneuzeitforschung
2.2.1 Geschichte des Heiligen Römischen Reiches
2.2.2 Reichsitalien
2.3 Bayerische Geschichte des 18. und 19. Jahrhunderts
3 Schriften (Auswahl)
4 Literatur
5 Weblinks
6 Anmerkungen
Leben
Herkunft und Familie
Der 1923 geborene Historiker entstammte dem bayerischen Adelsgeschlecht Aretin. Das
Geschlecht führt sich auf Johann Baptist Bagdasar von Siounik zurück. Er wurde 1706
oder 1710 in Konstantinopel als Sohn des armenischen Kleinkönigs Bagdasar von
Siounik und seiner Frau Gogza, geborene Fürstin von Charabagh, geboren. 1711 wurde
er von Kurfürstin Theresia Kunigunde von Bayern adoptiert und 1769 unter dem Namen
Aretin von Kurfürst Maximilian III. in den Freiherrenstand erhoben.[1]

Karl Otmar von Aretin war der dritte von vier Söhnen Erwein von Aretins, eines
Redakteurs der Tageszeitung Münchner Neueste Nachrichten, und der Maria Gräfin Anna
von Belcredi (1888–1968) sowie ein Ururgroßneffe des bekannten bayerischen
Historikers und Bibliothekars Johann Christoph Freiherr von Aretin. Seine Brüder
waren der Bundestags- und Landtagsabgeordnete Anton von Aretin und der Jesuit
Richard Freiherr von Aretin; ein weiterer Bruder fiel im Zweiten Weltkrieg. Die
Fernsehansagerin Annette von Aretin war seine Cousine. Karls Vater gehörte zu einem
Kreis konservativ, monarchisch orientierter Gegner des Nationalsozialismus.[2] Er
wurde im März 1933 verhaftet und für 14 Monate im KZ Dachau inhaftiert.
Anschließend lebte er in der Verbannung auf dem Gut seiner Schwester Elisabeth
Gräfin von Bissingen in Hohenstein in Württemberg und wurde von der Gestapo
überwacht. Sein Vater schrieb in dieser Zeit eine vielbändige Geschichte der Grafen
von Arco, die auf Aretin nachhaltigen Eindruck hinterließ. Noch vor dem Abitur
wollte auch er Historiker werden. Nach Aretins autobiographischer Skizze führte er
seinen Weg zur Geschichte auf das Schicksal seines Vaters zurück.[3] Aretin lernte
durch seinen Vater im Jahr 1943 persönlich Claus Schenk Graf von Stauffenberg in
München kennen, der wenig später zu den zentralen Persönlichkeiten des
militärischen Widerstandes gegen den Nationalsozialismus wurde.[4]

Seit 1960 war Aretin mit Ruth Uta von Tresckow, einer Tochter des
Wehrmachtsgenerals und Widerstandskämpfers des Attentates vom 20. Juli 1944,
Henning von Tresckow, verheiratet. Aus der Ehe gingen die 1962 geborene
Historikerin Felicitas von Aretin[5] und ein 1967 zur Welt gekommenes Zwillingspaar
hervor. Der Widerstand gegen Adolf Hitler wurde wegen seines Vaters und der
Herkunft seiner Frau zu einem wichtigen Thema in Aretins Arbeiten.

Akademische Laufbahn
Aretin war Kriegsteilnehmer von 1942 bis 1945. Nach der Rückkehr aus dem Krieg
bestärkte ihn sein Vater in seiner Entscheidung, Geschichte zu studieren.[6] Im
Jahr 1946 nahm er an der Ludwig-Maximilians-Universität München sein Studium der
Geschichte und Kunstgeschichte auf. Er besuchte zunächst die Vorlesungen von Walter
Goetz. In Kunstgeschichte gehörte Hans Jantzen zu seinen akademischen Lehrern. In
den Lehrveranstaltungen und Vorlesungen zur serbischen Geschichte von Johann
Albrecht Freiherr von Reiswitz begegnete er Friedrich Hermann Schubert, Erich
Angermann und Eberhard Weis.[7] Im Sommersemester 1947 belegte er bei dem zunächst
noch als Gastprofessor lehrenden Franz Schnabel eine vierstündige Vorlesung zum
Thema Europa in der Neuzeit. Die Vorlesungen Schnabels hinterließen nachhaltigen
Eindruck auf ihn.[8] Zu dem Kreis junger Studenten um Schnabel gehörten neben
Aretin auch Friedrich Hermann Schubert, Heinrich Lutz und Eberhard Weis.[9] Im Jahr
1952 wurde er bei Schnabel mit einer Arbeit über Bayerns Politik auf dem Wiener
Kongress und in der Anfangsphase des Deutschen Bundes zum Dr. phil. promoviert.[10]
Kurz vor der Fertigstellung der Dissertation starb sein Vater.[11] Die Arbeit blieb
ungedruckt. Zu seinem Dissertationsthema kam er durch seinen Vorfahren Adam von
Aretin, der bayerischer Bundestagsgesandter war. Über ihn verfasste er 1953 auch
einen Artikel in der Neuen Deutschen Biographie (NDB).[12]

Auf Vorschlag Friedrich Hermann Schuberts bemühte sich Aretin um eine Stelle in dem
Reichstagsprojekt der Historischen Kommission. Mit Willy Andreas, dem
Abteilungsleiter der sogenannten Mittleren Reihe, konnte er eine Einigung erzielen.
Sein Betreuer der Doktorarbeit Franz Schnabel förderte jedoch nicht Aretins weitere
akademische Laufbahn. Eine Anstellung bei den Deutschen Reichstagsakten wurde von
Schnabel verhindert.[13] Nach Aretins autobiographischen Äußerungen soll Schnabel
ihn für völlig unfähig gehalten haben.[14] Von 1952 bis 1957 war er Mitglied der
Redaktion der NDB. Von 1953 bis 1958 war Aretin einer der ersten Stipendiaten des
Mainzer Instituts für Europäische Geschichte.[15] Die Jahre 1955/56 verbrachte er
zu einem Großteil mit Archivrecherchen in Wien.[16] Von 1958 bis 1964 war er
wissenschaftlicher Assistent am Max-Planck-Institut für Geschichte in Göttingen.
Aretin verfasste mehrere Artikel für die Süddeutsche Zeitung. Dadurch finanzierte
er sich Archivreisen für seine ursprünglich angestrebte Habilitationsschrift über
den Rheinbund.[17] 1962 habilitierte er sich bei Richard Nürnberger an der
Universität Göttingen mit einer Arbeit über die Endphase des Heiligen Römischen
Reiches.[18] Zuvor hatte der Frühneuzeitler Leo Just die Betreuung von Aretins
Habilitation abgelehnt. Just hielt das von Aretin präsentierte Konzept über die
letzten 30 Jahre des Reiches für abwegig.[19] Aretin blieb aber trotz erfolgreicher
Habilitation auch journalistisch tätig. Von 1959 bis 1965 war er
Deutschlandkorrespondent der Wiener Wochenzeitung Die Furche.[20]

Im Jahr 1963 erhielt Aretin einen Ruf an die Technische Hochschule Darmstadt (heute
Technische Universität Darmstadt) auf den Lehrstuhl für Zeitgeschichte. Bis zu
diesem Zeitpunkt hatte er keine eigenständige Monographie zur Zeitgeschichte
veröffentlicht.[21] Nach einem Gutachten von Karl Dietrich Erdmann hatten Aretins
bisherige Arbeiten in der Zeitgeschichte „weder ihrer Methode noch ihrem Ergebnis
nach wissenschaftliches Gewicht“.[22] Als Fürsprecher traten die Göttinger
Professoren Percy Ernst Schramm und Hermann Heimpel, der damalige Direktor des
Mainzer Instituts für europäische Geschichte Martin Göhring und Otto zu Stolberg-
Wernigerode von der NDB-Redaktion in Erscheinung. Nicht zuletzt wurde er vor allem
von Eugen Kogon empfohlen.[23]

Von 1964 bis zu seiner Emeritierung 1988 war Aretin ordentlicher Professor für
Zeitgeschichte an der TH Darmstadt. Dort übernahm Aretin nach Kristof Lukitsch die
Rolle als „ideologisches Gegengewicht“. Bis dahin waren alle Darmstädter Historiker
Anhänger des Nationalsozialismus oder zumindest davon ideologisch beeinflusst.[24]
Nach der These von Lutz Raphael beriefen Aretin und später Helmut Böhme Historiker
nach Darmstadt, die nicht nur Gemeinsamkeiten methodischer und konzeptioneller Art
aufwiesen, sondern als sozialliberal galten und eine gemeinsame
geschichtspolitische Grundposition teilten.[25]

Mit 26 Vorlesungen dominierte bei Aretin die Zeitgeschichte. Mit dem


Nationalsozialismus befassten sich 20 von 55 Seminaren. Der Erste Weltkrieg und die
Weimarer Republik wurden in zwölf Seminaren behandelt. Die Frühe Neuzeit war in 14
Seminaren Thema.[26] Im Jahr 1970 gründete er mit Helmut Böhme in Darmstadt das
Institut für Geschichte. Aretin hatte wesentlichen Anteil daran, dass das Institut
ein eigenständiges Forschungsprofil entwickelte. Die Geschichte des Alten Reiches
und die Zeitgeschichte, die Technik- und Stadtgeschichte wurden als Themenfelder
mit Darmstadt als Wissenschaftsstandort in Verbindung gebracht.[27]

Von 1968 bis 1994 war er in der Nachfolge von Martin Göhring nebenamtlich Direktor
des Instituts für Europäische Geschichte in Mainz, Abteilung für
Universalgeschichte.[28] Sein Gehalt bezog Aretin weiterhin von seiner Professur
für Zeitgeschichte in Darmstadt. Ihm wurde für seine Tätigkeit als Direktor
zunächst eine Aufwandsentschädigung von 250 DM gezahlt. Von Montag bis Donnerstag
kam er weiterhin seinen Lehrverpflichtungen in Darmstadt nach.[29] Als Mainzer
Direktor knüpfte er Kontakte nach Südost- und Osteuropa. Während seiner Amtszeit
nahm die Zahl der internationalen Konferenzen deutlich zu. Auch wurden die ersten
Drittmittel größeren Ausmaßes eingeworben.[30] Das Institut für Europäische
Geschichte unterstellte er thematisch jedoch keineswegs seinen eigenen
Forschungsschwerpunkten. Lediglich 21 Prozent der Stipendiaten vor 2000 waren
Frühneuzeitler.[31] Durch Aretins Tätigkeit als Direktor für das Institut für
Europäische Geschichte wurde das Darmstädter Institut in weitere
Kommunikationsnetzwerke in der Geschichtswissenschaft eingebunden. Durch diese
Verbindung konnte das Institut auch internationale Kontakte aufbauen.[32]

Eine Berufung 1970 nach Köln als Nachfolger von Theodor Schieder lehnte er ab.[33]
Als akademischer Lehrer betreute er zehn Dissertationen und fünf Habilitationen.
[34] Zum Nationalsozialismus betreute er fünf, zum Ersten Weltkrieg und
Zwischenkriegszeit zwei und zum Alten Reich drei Arbeiten.[35] Eine Schule im Sinne
eines Kreises von Schülern mit einem gemeinsamen Forschungsgebiet bildete sich
nicht heraus. Keiner seiner Darmstädter Doktoranden übernahm eine Position an einer
Universität.[36]

Von 1965 bis 2014 war Aretin Mitherausgeber der Neuen Politischen Literatur.[37]
Von 1972 bis 1980 war Aretin Schriftführer des Verbandes der Historiker
Deutschlands, von 1987 bis 1998 Hauptschriftleiter der Neuen Deutschen Biographie.
Der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften gehörte
er seit 1980 als ordentliches Mitglied an; 1982 begründete er gemeinsam mit
Eberhard Weis die Abteilung Quellen zu den Reformen in den Rheinbundstaaten. Das
Vorhaben konnte noch zu Lebzeiten der beiden Abteilungsleiter vollendet werden.[38]
Wenige Jahre vor seinem Tod regte er das Projekt einer historisch-kritischen
Edition der Wahlkapitulationen der deutschen Könige und römisch-deutschen Kaiser
an. Eine Edition war seit langer Zeit eine Forschungslücke. Die Dokumente sind
nicht nur in verfassungsgeschichtlicher Hinsicht, sondern auch unter sozial-,
kirchen- und wirtschaftsgeschichtlichen Aspekten von erheblicher Bedeutung.[39] Den
Verlauf der Edition begleitete er mit seinem Rat. Er verstarb während der
Abschlussarbeiten.[40]

Aretin war korrespondierendes Mitglied der Österreichischen Akademie der


Wissenschaften (1976) und der British Academy (1998)[41] sowie Ehrenmitglied der
Ungarischen Akademie der Wissenschaften (1986) sowie korrespondierendes Mitglied
der Royal Historical Society (1997).[42] Von der Adam-Mickiewicz-Universität Posen
wurde ihm 1984 als erstem Deutschen die Ehrendoktorwürde zum Dr. phil. h. c.
zuerkannt.[43] Er ist Namensgeber des 2013 an der TU Darmstadt eingerichteten Karl
Otmar Freiherr von Aretin-Preises für hervorragende Abschlussarbeiten.[44]

Aretin war noch bis ins hohe Alter wissenschaftlich produktiv. Er starb am 26. März
2014 in seinem 91. Lebensjahr in seiner Geburtsstadt München.

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