ZVPG 3 1 13-21
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Barbara Duda
Uniwersytet Jagielloński w Krakowie
Abstract
Each natural language is constantly developing as long as it is used. But the development
clearly shows that not everything from the language disappears completely. Many words
cease to be independent and start existing as elements of compounds, as prefixes or suf-
fixes without their independent meaning. The lost vocabulary, however, leaves traces
in the language. Where can we find them? They can be found in compounds, proper
nouns, names of professions, job, places etc. as well as fixed idioms.
Key words: changes in the language, changes in the vocabulary, loses of the language,
fossil of the language, recovery of the lost words
Jede natürliche Sprache, solange sie gebraucht wird, entwickelt sich ständig.
Aber die Entwicklung hindert nicht daran, dass manches als Versteinerung
fortdauert.
Die sprachlichen Innovationen treten auf allen Sprachebenen auf, aber
sie sind am offensichtlichsten im Bereich des Wortschatzes, da der Wort-
schatz mit dem Leben der Menschen, die sich seiner bedienen, aufs engste
verbunden ist. Die Wörter passen sich immer den Bedürfnissen der Sprach-
gemeinschaft an. Da sich die Bedürfnisse der Menschen ändern, muss sich
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auch notwendigerweise der Wortschatz ändern (vgl. Polenz 1991: 38; Clé-
ment 1996: 25).
Der deutsche Wortschatz der Gegenwart ist das Ergebnis eines langen
historischen Prozesses. Der Wortschatz, den das Deutsche aus dem Indo-
europäischen und Germanischen ererbt hat, ist im Laufe der Entwicklung
der deutschen Sprache mannigfaltigen Veränderungen unterlegen, bis er
schließlich den heutigen Stand erreicht hat.
Mit den Arten des Wortschatzwandels hat sich eingehend Horst Muns-
ke befasst. Er unterscheidet 3 Hauptarten des Wortschatzwandels: Verän-
derung der Zahl von Lexemen, Veränderung der morphologischen Gestalt
von Lexemen, Veränderung der Bedeutung von Lexemen (Munske 1985: 37
angegeben nach Polenz 1991: 39).
Die Sprachteilhaber können bei Bedarf (aus Bequemlichkeit, aus Zeitnot, zur Ma-
terialersparnis usw.) viel vom expliziten Ausdruck einsparen, da sie damit rechnen
können, dass die Rezipienten das Nichtausgedrückte aus den nichtsprachlichen
Kommununikationshandlungen (Gestik, Mimik), aus der Situation, aus dem ge-
meinsamen Vorwissen usw. ergänzen können (Polenz 1991: 29).
Deshalb scheint es, dass die morphologische Kürzung häufiger als mor-
phologische Dehnung vorkommt. „Kurze Wortformen werden eher ange-
nommen und finden sich schneller Verbreitung als längere Äquivalente. Sie
sind im Sprachgebrauch ökonomischer“ (Heusinger 2004: 42). Der Ge-
brauch von Kurzwörtern statt langer Zusammensetzungen kann ein Beweis
dafür sein, vgl. Beispiele aus der sozialen Varietät der deutschen Studenten:
Uni < Universität, Prof <Professor, Bib <Bibliothek, Assi <Asssistent, Hiwi <
wissenschaftliche Hilkfskraft (Polenz 1991: 64). Es kommt auch vor, dass bei
Ableitungen die Suffixe ausgelassen oder mehrgliedrige Zusammensetzun-
gen zweigliedrig werden: Beweggrund < Bewegungsgrund, Bindemittel < Bin-
dungsmittel, Schnittsverdienst < Durchschnittsverdienst.
Was die morphologische Substitution anbelangt, ist sie öfters festzustellen.
Die Veränderungen auf der lautlichen Ebene führen dazu, dass sich die
Gestalt der Morpheme verändert. Die älteren Morpheme werden durch
neue ersetzt, z. B. das mhd. lîb durch das neue Leib infolge der Diphthongie-
rung des langen î.
Meineid
Es ist eine gemeingermanische Zusammensetzung. Der erste Teil geht auf
das noch im Mhd. selbständig vorkommende Adj. mein ‚falsch, frevelhaft‘
zurück.
Geizkragen
Das Wort lässt die alte Bdtg. des Wortes Kragen erkennen. Es bezeichnete
nämlich ‚Hals von Tier und Mensch, Nacken‘. Infolge der Bedeutungsbil-
dung (metonymische Übetragung) entwickelte das Wort die heutige Be-
deutung. Die ursprüngliche Bedeutung steckt ebenfalls in manchen festen
Wortverbindungen mit dem Bestandteil Kragen wie: j-m den Kragen umdre-
hen (ugs.), Kopf und Kragen riskieren/wagen/aufs Spiel setzen/verlieren.
Weihnachten
Zugrunde liegt das Adjektiv ahd. wîh mhd. wîch. Es war das gemeingerma-
nische Adjektiv mit der Bdtg. ‚heilig‘. Es konkurrierte mit dem ahd. Wort
heilag, das sich schließlich durchsetzte. Aber das mhd.Wort wîch lebt als
Versteinerung in Weihnahten fort, das sich aus der ursprünglichen Dativ-
form (mhd. ze (den) wichen nachten ‚in den heiligen Nächten‘) entwickelt
hat. Vgl. auch Fastnacht, Zwölfnächte‚ die Zeit vom 24. Dezember (Abend-
mahlsfeier) bis zum 6. Januar (Dreikönigstag). Es sind Zeugnisse des-
sen, dass die Germanen die Tage nach den Nächten gezählt haben (vgl.
Tschirch 1971: 31).
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Fronleichnamsfest
Der erste Teil bezieht sich auf das ahd. Wort frô ‚Herr, Gebieter, Machtha-
ber‘, das schon im Ahd. außer Gebrauch gekommen ist. Es ist nur in erstarr-
ten Resten im Nhd. noch vorhanden, im religiösen Bereich als Fronleichnam
‚Leib des Herrn‘ in der Benennung des kirchlichen Festes, im weltlichen
dagegen nur noch als Historismen, die sich auf die Feudalzeit beziehen wie
Frondienst, Fronarbeit, Fronvogt, Fronhof.
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Eine umfangreiche Zusammenstellung von substantivischen, adjektivischen, adverbialen
und verbalen unikalen Komponenten ist bei Fleischer,1982: 42–45 zu finden.
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Ein anderes Beispiel, das das oben Gesagte bestätigt, ist das Wort Ampel,
das in der Zusammensetzung Verkehrsampel in den neuesten Zeiten seine
Wiederbelebung erlebt hat.
Die Geschichte des aus dem Lateinischen entlehnten Wortes Ampel
(mhd. ampel, ahd. ampulla) ist folgende: bis ins 14. Jh. bezeichnete das Wort
ausschließlich das ‚Ewige Licht‘ über dem Altar in der Kirche. Erst später
wurden auch die Beleuchtungskörper in den Häusern so bezeichnet. Seit
dem 16. Jahrhundert wurde es durch das Lehnwort Lampe ersetzt.
Grosse zufolge erinnern neue Erfindungen an alte Dinge und deshalb
kommt es „mit dem Auftauchen der Sache zur Belebung und Erneuerung
der Bezeichnungen. Obwohl Unterschiede zwischen einst und jetzt beträcht-
lich sind, reichen die semantischen Gemeinsamkeiten zur Übernahme der Be-
nennung aus“ (Grosse 1985: 1536). Als Beispiele führt er an: Turnier (ur-
sprünglich ‚ritterliches Kampfspiel‘, heute z.B. Tennisturnier als ein „Kampf “
mit Ball und Schlägern), Visier (dies gab es ursprünglich am Helm des Rit-
ters, heute ist das Visier am Helm des Motorradfahres gemeint) (vgl. Gros-
se 1985: 1537).
Aus den oben angeführten Beispielen geht deutlich hervor, dass manche
Wörter nicht für immer verschwinden, sondern sie in späteren Zeiten wie-
der belebt werden können.
An dieser Stelle sind v.a. deutsche Dichter und Schriftsteller zu nennen,
die zur Wiederbelebung vieler alter Wörter beigetragen haben (Wieland,
Lessing, Klopstock, Bodmer, Tieck, Arnim, Freitag).
Das im vorliegenden Aufsatz besprochene Wortmaterial bestätigt ein-
deutig die Worte des Begründers der germanistischen Sprachwissenschaft,
die in der Vorrede zu seiner „Deutschen Grammatik“ stehen und mit denen
wir unsere Erwägungen über den Wortschatzwandel im Allgemeinen und
über den Wortuntergang im Besonderen abschließen möchten:
Ihr [d.h. der Sprache] Gang ist langsam, aber unaufhaltbar, wie der Natur. Stillste-
hen kann sie eigentlich niemals, noch weniger zurückschreiten. Doch hindert die
Richtung, welche das Ganze genommen hat, einzelne Theile, Wörter und Formen
nicht gleichsam am Wege hinten bleiben und noch eine Zeitlang fort zu währen. Die
Nachwelt schont solche Versteinerungen, die sie nicht mehr begreift, bis sie endlich
auch zerfallen. (GRIMM, zit. nach DEBUS, 1984: 13)
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Bemerkungen zum Wandel des deutschen Wortschatzes 21
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