Analytische Zahlentheorie - Skript
Analytische Zahlentheorie - Skript
Analytische Zahlentheorie - Skript
Inhaltsverzeichnis
1 Einführung 1
2 Arithmetische Funktionen 3
3 Dirichlet-Reihen 5
5 Der Primzahlsatz 14
8 Die Gammafunktion 26
1 Einführung
Die analytische Zahlentheorie befasst sich in erster Linie mit der Vertei-
lung von Primzahlen und anderen arithmetischen Dichtefragen. Die bis heute
stärksten Methoden kommen aus der Funktionentheorie. In diesem Zusam-
menhang ist die Riemannsche Vermutung (siehe Abschnitt 9) von großer
1
Bedeutung; diese Vermutung ist wohl die wichtigste offene Frage in der Ma-
thematik1 .
Die Menge der Primzahlen bezeichnen wir mit P. Meist bezeichnet
Q ei p eine
Primzahl. Die Primfaktorzerlegung von n schreiben wir als n = pi .
Das vielleicht früheste Resultat der analytischen Zahlentheorie ist
Für reelles x sei π(x) die Anzahl der Primzahlen ≤ x. Obiger Beweis liefert
eine sehr schwache untere Abschätzung von π(x). Eine bessere Abschätzung
(und erneuten Beweis für Euklids Satz) liefert das folgende elegante Argu-
ment von Erdös.
log n
Satz 1.2. Es gilt π(n) ≥ log 4
für alle n ∈ N.
Unsere ersten Ziele in der Vorlesung sind der Beweis des Primzahlsatzes
(Abschnitt 5)
π(n)
lim =1
n→∞ n/ log n
2
2. Der folgende Beweis von Euler für die Unendlichkeit der Primzahlmen-
ge ist wesentlich konzeptioneller, und kann als Startpunkt und Motiva-
tion für die folgenden zwei Abschnitte gesehen werden. Fülle die Details
in folgendem Argument aus:
Y 1 Y 1 1 1
1 = (1 + + 2 + 3 + . . . )
p≤n
1− p p≤n
p p p
1 1 1 1
≥1+ + + + ··· +
2 3 4 n
> log n
2 Arithmetische Funktionen
Sei A die Menge der Funktionen N → C. Die Funktion f ∈ A heißt multi-
plikativ, wenn f (mn) = f (m)f (n) für alle teilerfremde m, n gilt, und es ein
n ∈ N gibt mit f (n) 6= 0. Gilt f (mn) = f (m)f (n) sogar für alle m, n ∈ N,
so heißt f vollständig multiplikativ.
Ist d ein Teiler von n, so schreiben wir d|n.
Neben der gewöhnlichen Addition auf A definieren wir ein Produkt ?, die
Faltung durch X n
(f ? g)(n) := f (d)g( ).
d
d|n
3
Lemma 2.1. Sind f, g ∈ A multiplikativ, dann auch f ? g.
Beweis. Übung.
Satz 2.2. (A, +, ?) ist ein kommutativer Ring mit Einselement η, mit η(1) =
1 und η(n) = 0 für n > 1. Ferner gilt: f ∈ A ist eine Einheit genau dann,
wenn f (1) 6= 0.
Beweis. Der einfache Nachweis der Ringaxiome sei als Übung überlassen.
Sei f eine Einheit, es gibt also g ∈ A mit f ? g = η. Es folgt 1 = η(1) =
f (1)g(1), also f (1) 6= 0.
Sei nun f ∈ A mit f (1) 6= 0. Setze g(1) = 1/f (1), und für n > 1 definiere
g(n) rekursiv durch
X n
0 = η(n) = (f ? g)(n) = f (1)g(n) + f (d)g( ).
d
1<d|n
Satz 2.3. Sei f ∈ A multiplikativ. Dann gilt f (1) = 1, und f −1 ist ebenfalls
multiplikativ.
Beweis. µ ist multiplikativ nach Satz 2.3, daher gilt µ(1) = 1, und wir müssen
nur den Fall n = pe betrachten.
Es gilt 0 = ( ? µ)(p)
P = µ(1) + P µ(p), also µ(p) P= −1. Sei nun e ≥ 2.
Aus 0 = ( ? µ)(pe ) = d|pe µ(d) = ei=0 µ(pi ) = ei=2 µ(pi ) folgt induktiv
µ(pe ) = 0.
4
Als Folge des bisherigen notieren wir die klassische Möbiussche Umkehr-
formel.
Aufgaben. 1. Vervollständige die Beweise von Lemma 2.1 und Satz 2.2.
2. Gilt Lemma 2.1 auch dann, wenn multiplikativ durch vollstandig mul-
tiplikativ ersetzt wird?
3. Sei id(n) = n für alle n ∈ N. Welche Interpretation haben ? und ?id?
Gib einen direkten Beweis für die Multiplikativität dieser Funktionen.
3 Dirichlet-Reihen
Die Produkte im folgenden Satz heißen Euler-Produkte.
5
P∞ f (n)
Satz 3.1. Sei f ∈ A multiplikativ, und n=1 ns absolut konvergent für
s ∈ C. Dann gilt
∞ ∞
X f (n) Y X f (pk )
= .
n=1
ns p∈P k=0
p sk
P P
Beweis. Sei F = ∞ f (n)
n=1 ns . Sei > 0, und N ∈ N mit
f (n)
n>N | ns | < . Setze
P = {p ∈ P|p ≤ N }, und sei M die Menge der natürlichen Zahlen die nur
Primfaktoren aus P enthalten. Es gilt
∞ ∞
YX f (pk ) X f (n)
= .
p∈P k=0
psk n∈M
ns
Hier sieht man schön, wie die harmlos aussehende linke Seite mit den
Primzahlen verbunden wird.
P∞ µ(n)
2. Wieder sei s > 1. Setze F (s) = n=1 ns . Aus ? µ = η folgt
ζ(s)F (s) = 1, also
∞
1 X µ(n) Y 1
= s
= (1 − s ).
ζ(s) n=1 n p∈P
p
6
Bemerkung. Vertauschung von Summation und Grenzübergang läßt sich
vielfach nur mit großem Aufwand rechtfertigen. Die Argumente sind meist
sehr trickreich und kompliziert, und keineswegs langweilige Routine, wie man
das von der Analysis oft kennt. Diese Vertauschungen sind oft äquivalent zu
tiefen zahlentheoretischen Aussagen, und sind deshalb ein Hauptthema der
analytischen Zahlentheorie. Man kann zum Beispiel elementar ohne großen
AufwandP∞zeigen, dass der Primzahlsatz folgt, sobald man die Konvergenz der
µ(n)
Reihe n=1 n kennt. Auch sehen wir in Kürze ohne großen Aufwand, dass
1
lims→1 ζ(s) = 0 gilt. Aber daraus folgt nicht ohne weiteres die Konvergenz
der Reihe.
Für s ∈ C bezeichnen R(s) und I(s) den Realteil bzw. Imaginärteil von
s.
P
Satz 3.2. Sei a ∈ A, s0 ∈ C, und ∞ a(n)
n=1 ns0 konvergiere (nicht notwendig
P∞ a(n)
absolut). Dann ist für alle δ > 0 die Reihe n=1 ns gleichmäßig konvergent
P
in Gδ := {s ∈ C| |arg(s − s0 )| ≤ π2 − δ}. Insbesondere ist F (s) = ∞ a(n)
n=1 ns
holomorph in R(s) > R(s0 ).
I(s)
δ
s
s0
δ R(s)
Beweis. Setzt man an = a0n ns0 , so sieht man, dass man s0 = 0 annehmen darf.
Der Beweis benutzt die wichtige Technik der partiellen Summation. Dieses
diskrete Analogon der partiellen Integration wird uns noch oft begegnen.
7
Seien M, N ∈ N mit M ≤ N . Für z ∈ R setze
X
A(z) = a(n).
M ≤n≤z
Dann gilt
X a(n) X 1
s
= (A(n) − A(n − 1)) s
M ≤n≤N
n M ≤n≤N
n
N N −1
X A(n) X A(n)
= s
−
n=M
n n=M −1
(n + 1)s
N −1
X 1 1 A(N ) A(M − 1)
= A(n)( s
− s
)+ − .
n=M
n (n + 1) Ns | M
s
{z }
=0
Schreibe2 s = σ + it mit σ, t ∈ R.
Es gilt
Z n+1
1 1
| s− | = |s z −s−1 dz|
n (n + 1)s n
Z n+1
≤ |s| z −σ−1 dz
n
|s| 1 1
= ( σ− ).
σ n (n + 1)σ
Sei nun > 0 beliebig. Wähle M (), so dass |A(z)| < für alle M () < M ≤ z
gilt.
Aus den bisherigen Abschätzungen folgt
N −1
X a(n) X |s| 1 1
| s
|≤ ( σ− σ
)+ σ
M ≤n≤N
n n=M
σ n (n + 1) N
|s| 1 1
= ( σ − σ) + σ.
σ M N N
2
Die etwas merkwürdige Mischung aus lateinischen und griechischen Buchstaben für
die Komponenten einer komplexen Zahl ist traditionell in der analytischen Zahlentheorie,
wir folgen auch hier dieser Notation.
8
σ 1 1
Wegen |s|
= sin δ und 0 ≤ Mσ
− , 1
Nσ Nσ
≤ 1 gilt weiter
Xa(n) 1 1
| s
|≤ ( σ − σ) + σ
M ≤n≤N
n sin δ M N N
≤ +
sin δ
1
= (1 + ).
sin δ
Hieraus folgt die Behauptung.
P
Korollar 3.3. In Satz 3.2 gilt lims→s0 F (s) = ∞ a(n)
n=1 ns0 .
s∈Gδ
Beweis. Wegen gleichmäßiger Konvergenz in Gδ vertauschen Summation und
Grenzwertbildung.
Bemerkung. Nach Satz 3.2 existiert genau ein α ∈ R ∪ {±∞}, so dass
P a(n)
die Reihe ns
für R(s) > α konvergiert, und für R(s) < α divergiert.
Man nennt α deshalb die Konvergenzabszisse. Vorsicht: Für R(s) > α muss
im allgemeinen keine absolute Konvergenz vorliegen. Obwohl die Konver-
genzabszisse dem Konvergenzradius von Potenzreihen entspricht, ist hier die
Situation also komplizierter.
Wenn der Summationsbereich für P eine Dirichlet-Reihe von 1 bis ∞ ist,
dann schreiben wir ab jetzt häufig ohne Angabe der Summationsgrenzen.
Die folgende Aussage ist eine Art Identitätssatz für Dirichlet-Reihen.
P an P bn
Satz 3.4. Seien F (s) = ns
und G(s) = ns
für R(s) > α konvergent.
Es gelte F (σ) = G(σ) für alle hinreichend großen σ. Dann gilt an = bn für
alle n ∈ N.
P an −bn
Beweis. Wir dürfen bn = 0 annehmen (betrachte ns
). Sei also F (σ) = 0
für alle hinreichend großen
P σ. Sei m minimal mit am 6= 0. Wir erhalten
0 = F (σ)mσ = am + n>m an ( m n
)σ . Von dieser letzten Summe zeigen wir,
dass Psie für σ → ∞ gegen 0 konvergiert. Sei β > α. Wegen der Konvergenz
an
von nβ
gibt es C ∈ R mit |an | ≤ nβ für alle n ∈ N. Für σ > β + 1 liefert
ein Vergleich mit Riemann-Summen
∞
X m X 1
| a n ( )σ | ≤ C · m σ
n>m
n n=m+1
nσ−β
Z ∞
≤ C · mσ z β−σ dz
m
β+1
m
=C· ,
σ−β−1
und der letzte Teil konvergiert offensichtlich für σ → ∞ gegen 0.
9
Ist s0 ∈ C und h(s) meromorph in C, so ist der Konvergenzkreis um
s0 gerade so groß, dass er die erste Singularität von h trifft. Eine analoge
Aussage gilt für Dirichlet-Reihen nicht. Ein in vielen Fällen wichtiger Ersatz
ist aber die Folgende Aussage von Landau.
P an
Satz 3.5. Sei ns
eine Dirichlet-Reihe mit Konvergenzabszisse α. Ferner
sei 0 ≤ an ∈ R für
Palle n ∈ N. Dann lässt sich die für R(s) > α holomorphe
an
Funktion f (s) = ns
nicht holomorph nach α fortsetzen.
Aufgaben. 1. Sei λ(n) die Anzahl der Primteiler von n, mit Vielfachheit
P λ(n)
gezählt. Zeige ζ(2s)
ζ(s)
= ns
.
10
4 Erste Eigenschaften der Riemannschen Ze-
tafunktion
Wir erinnern daran, dass die Riemannsche Zetafunktion durch
∞
X 1
ζ(s) =
n=1
ns
definiert ist. Die folgende Aussage zeigt, dass ζ(s) eine in R(s) > 1 holomor-
phe Funktion ist.
P∞ 1
Lemma 4.1. Die Reihe n=1 ns konvergiert absolut und lokal gleichmäßig
für σ = R(s) > 1.
Beweis. Die Behauptung folgt sofort aus einem Vergleich mit Riemann-Summen:
∞ ∞ Z ∞
X 1 X 1 dz 1 1
| s| = σ
≤ σ
= · σ−1
n=M +1
n n=M +1
n M z σ−1 M
1 X µ(n) X 1
| |=| | ≤ = ζ(σ)
ζ(s) ns nσ
folgt
1
|ζ(s)| ≥ .
ζ(σ)
Beide Seiten der Ungleichung hängen stetig von s ab, daher gilt diese Un-
gleichung ohne die Einschränkung ζ(s) 6= 0. Die Behauptung folgt.
1
Satz 4.3. ζ(s) − s−1
hat eine holomorphe Fortsetzung nach R(s) > 0.
11
Beweis. Durch partielle Summation erhalten wir für R(s) > 1 eine Integ-
raldarstellung von ζ(s):
∞
X 1
ζ(s) =
n=1
ns
∞
X n − (n − 1)
=
n=1
ns
∞
X 1 1
= n(s
− )
n=1
n (n + 1)s
∞ Z n+1
X s
= n s+1
dz
n=1 n z
∞ Z n+1
X [z]
=s dz
n=1 n
z s+1
Z ∞
[z]
=s dz
1 z s+1
R∞ z s
Vergleich mit der asymptotisch sehr ähnlichen Funktion s 1 z s+1 dz = s−1
R ∞ R ∞
s
liefert ζ(s) − s−1 = s 1 [z]−z
z s+1
dz. Aber |z − [z]| ≤ 1, also 1 | [z]−z
z s+1
|dz ≤
R ∞ dz 1
R ∞ z−[z]
1 z σ+1
= σ . Daher konvergiert 1 z s+1 dz gleichmäßig in jedem Kompak-
tum in R(s) > 0, ist also holomorph. Die Behauptung folgt.
Oben sahen wir recht einfach ζ(s) 6= 0 für R(s) > 1. Diese Aussage
dehnen wir nun aus auf R(s) = 1. Der Beweis beruht auf einem genialen
Trick von Hadamard, versehen mit Vereinfachungen durch Mertens und de
la Vallée Poussin. Der ursprüngliche Beweis von de la Vallée Poussin umfasste
etwa 25 Seiten!
Im Beweis verwenden wir eine einfache Aussage über die von Mangoldt
Funktion Λ(n).
Lemma 4.4. Für n ∈ N definiere Λ(n) durch Λ(n) = log p, wenn n eine
Potenz von p ∈ P ist, und Λ(n) = 0 sonst. Dann gilt für R(s) > 1
∞
ζ 0 (s) X Λ(n)
− = .
ζ(s) n=1
ns
P
Beweis. Aus der Definition folgt sofort log n = d|n Λ(d), also log = ?
P ∞ log n P ∞ Λ(n)
Λ. Aus −ζ 0 (s) = 0
n=1 ns folgt −ζ (s) = ζ(s) n=1 ns . (Beachte, dass
die angegebenen Reihen in R(s) > 1 absolut und in jedem Kompaktum
gleichmäßig konvergieren.)
12
Satz 4.5. ζ(s) 6= 0 für R(s) ≥ 1.
Beweis. Für R(s) > 1 kennen wir die Aussage schon, es sei also R(s) = 1.
0 (s)
Setze F (s) = − ζζ(s) . Wir wissen, dass F (s) meromorph für R(s) > 0 ist.
Sei r die Ordnung von ζ(s) in s0 , d.h. ζ(s) = (s − s0 )r h(s), mit h(s0 ) 6= 0 und
0 (s) 0
h holomorph in einer Umgebung von s0 . Aus (s − s0 ) ζζ(s) = rh(s)+(s−s
h(s)
0 )h (s)
folgt
lim F (s0 + ) = −r.
→0
lim F (1 + ) = 1
&0
lim F (1 + ± iα) = −µ
&0
Wegen
2 2 X
X 4 X 4 Λ(n)
F (1 + + irα) = 1++irα
r=−2
2+r r=−2
2 + r n∈N n
X Λ(n) iα iα
= 1+
(n 2 + n− 2 )4
n∈N
n
≥0
13
Die folgende Rechnung zeigt sogar holomorphe
√ Fortsetzbarkeit von F (s) −
Φ(s) nach R(s) > 12 . Dabei ist C = 2/(2 − 2), und wir verwenden p2σ1−pσ ≤
C
p2σ
für p ∈ P und σ > 1/2.
X log p X log p
| | ≤
p∈P
(pr )s p∈P
(pr )σ
2≤r∈N 2≤r∈N
X log p
=
p∈P
p2σ − pσ
X log p
≤C
p∈P
p2σ
X log n
≤C
n∈N
n2σ
0
= −ζ (2σ)
2. Zeige, dass ϕ multiplikativ ist, und gib eine Formel für ϕ(pm ), p ∈ P,
m ∈ N an.
3. Sei G eine endliche zyklische Gruppe der Ordnung n. Für g ∈ G sei |g|
die Ordnung von g. Sei a(n) die durchschnittliche Ordnung der Elemen-
P
te von G, d.h. a(n) = n1 g∈G |g|. Zeige3 ϕ(n) ≤ a(n) ≤ ζ(2)ζ(3)
ζ(6)
ϕ(n).
m m
Hinweis: a(n)/ϕ(n) multiplikativ ist. Berechne a(p )/ϕ(p ).
5 Der Primzahlsatz
f (x)
Definition 5.1. Für Funktionen f, g schreiben wir f ∼ g, wenn limx→∞ g(x)
=
1 gilt.
3
Dieses Resultat erscheint in einer gemeinsamen Arbeit von von zur Gathen, Knopf-
macher, Luca, Lucht und Shparlinski.
14
Der Primzahlsatz π(n) ∼ logn n wurde bereits um 1800 von verschiedenen
Mathematikern (Gauß, Legendre, . . . ) vermutet. Erst 1896 konnten Hada-
mard [Had96] und de la Vallée Poussin [dlVP96] diese Vermutung beweisen.
Eine bahnbrechende Vorarbeit ist Riemanns kurze Arbeit [Rie] von 1858. In
der Folge wurde der analytische Beweis vereinfacht (Landau, Wiener, . . . ).
1980 fand D. J. Newman [New80] einen besonders einfachen Beweis. Dieser
wurde später von Korevaar [Kor82] und Zagier [Zag97] noch etwas verein-
facht. Wir werden weitgehend Zagiers Darstellung folgen.
Lange Zeit suchte man elementare Beweise des Primzahlsatzes, d.h. sol-
che, die keine Funktionentheorie verwenden. Bereits 1852 bewies Tcheby-
chev durch Betrachtung der Primfaktorzerlegung von n! (siehe Aufgabe 4
in Abschnitt 1) und raffinierten elementaren Argumenten die Existenz von
0 < c1 < c2 (mit expliziten Beispielen), so dass c1 logn n < π(n) < c2 logn n gilt.
Ferner zeigte er: Falls der Grenzwert limn→∞ n/π(n)
log n
existiert, dann ist er 1.
Erst knapp 100 Jahre später gelangen 1949 Erdös und Selberg elementare
Beweise. Trotz späterer Vereinfachungen sind die sogenannten elementaren
Beweise auch heute noch sehr technisch und undurchsichtig.
Die wesentliche Neuerung durch Newman ist der einfache Beweis des fol-
genden Satzes von Ingham 1935.
Satz 5.2. Sei f (t) (t ≥ 0) eine beschränkte und lokal
R ∞ integrierbare Funkti-
on. Ferner sei die Laplace-Transformierte g(z) = 0 fR (t)e−zt dt (R(z) > 0)
∞
Rholomorph nach R(z) ≥ 0 fortsetzbar. Dann existiert 0 f (t)dt, und es gilt
∞
0
f (t)dt = g(0).
RT
Beweis. Für T > 0 ist gT (z) := 0 f (t)e−zt dt offensichtlich holomorph in C.
Wir wollen limT →∞ gT (0) = g(0) zeigen.
Sei R > 0 beliebig, und δ > 0 (in Abhängigkeit von R) so gewählt, dass
g(z) auf G := {z ∈ C| |z| ≤ R, R(z) ≥ −δ} holomorph ist. Sei C der Rand
von G. Die Cauchysche Integralformel liefert4
Z
1 z 2 dz
g(0) − gT (0) = (g(z) − gT (z))ezT (1 + 2 ) . (1)
2πi C R z
Wir schätzen den Integranden auf verschiedenen Teilen von C ab. Sei C+ =
{z ∈ C| R(z) > 0}. Wähle B mit |f (t)| < B für alle t ≥ 0. Auf C+ gilt
Z ∞ Z ∞
−zt e−R(z)T
|g(z) − gT (z)| = | f (t)e dt| ≤ B |e−zt |dt = B ·
T T R(z)
4
Der Faktor ezT im Integrand ist durch die folgenden Rechnungen nahegelegt. Der
2
Trick in Newmans Beweis ist das Hinzufügen des Faktors 1 + Rz 2 , welcher dort Nullstellen
hat, wo der Integrand ohne diesen Faktor groß werden würde, siehe Aufgabe 3 unten.
15
I(s)
−δ R
R(s)
0
C−
C− C+
und
z2 1 2R(z)
|ezT (1 + 2
) | = eR(z)T · .
R z R2
2B
Daher ist der Integrand in Gleichung (1) auf C+ betragsmäßig durch R2
beschränkt. Somit gilt
Z
1 z 2 dz 1 2B B
| (g(z) − gT (z))ezT (1 + 2 ) | ≤ · 2 · Rπ = .
2πi C+ R z 2π R R
Nun wenden wirRuns dem anderen Teil C− = {z ∈ C| R(z) < 0} zu. Zunächst
2
betrachten wir C− (gT (z))ezT (1 + Rz 2 ) dz
z
. Wegen der Holomorphie von gT (z)
in C können wir C− durch den Halbkreis C−0 = {z ∈ C| |z| = R, R(z) < 0}
ersetzen. Wie oben folgt für z ∈ C−0
Z T Z T
−zt e−R(z)T
|gT (z)| = | f (t)e dt| ≤ B |e−zt |dt = B ·
0 −∞ |R(z)|
und
z2 1 2|R(z)|
|ezT (1 + 2
) | = eR(z)T · ,
R z R2
also Z
1 z 2 dz B
| (gT (z))ezT (1 + 2 ) | ≤ .
2πi C− R z R
1
R 2 z2 1
Nun betrachte 2πi C−
(g(z))ezT (1 + Rz 2 ) dz
z
. Beachte, dass g(z)(1 + )
R2 z
un-
zT
abhängig von T ist, und limT →∞ e = 0 gilt. Es folgt
2B
lim sup|g(0) − gT (0)| ≤ .
T →∞ R
16
Aber R war beliebig gewählt, die Behauptung folgt.
Ersetzt man im Satz f (t) durch h(et ), und macht die Variablentransfor-
mation et = x, so erhält man folgendes
Korollar 5.3. Sei h(x) (xR ≥ 1) eine beschränkte und lokal integrierbare
∞
Funktion. Ferner sei g(z) = R1 h(x) xdx
z+1 (R(z) > 0) R holomorph nach R(z) ≥
∞ ∞
0 fortsetzbar. Dann existiert 1 h(x) dx
x
, und es gilt 1
h(x) dx
x
= g(0).
Die Primzahlzählfunktion π(n) lässt sich nicht direkt mit Dirichlet-Reihen
in Verbindung bringen. Als Brücke dient uns die für x ∈ R definierte Funktion
X
θ(x) = log p.
p≤x
θ(N ) ≤ θ(2m )
= θ(2m ) − θ(20 )
= (θ(2m ) − θ(2m−1 )) + · · · + (θ(2) − θ(1))
1
≤ (2m + 2m−1 + · · · + 21 )
log 2
2
= (2m − 1)
log 2
4 m−1
≤ 2
log 2
4
< N.
log 2
17
Der Schlüssel zum Primzahlsatz ist die folgende Anwendung von obigem
Konvergenzsatz.
R∞
Lemma 5.5. Das Integral 1 θ(x)−x
x2
dx konvergiert.
Nach Satz 4.6 ist Φ(z+1) − z1 holomorph in R(z) ≥ 0, Korollar 5.3 liefert daher
R z+1
∞
die Existenz von 1 θ(x)−xx2
dx.
Beweis. Man nehme an, es gibt λ > 1 mit θ(u) ≥ λu für beliebig große u.
Aus der Monotonie von θ(u) folgt für diese u
Z λu Z λu Z λ
θ(x) − x λu − x λ−y
dx ≥ dx = dy > 0,
u x2 u x2 1 y2
18
unabhängig von u. Dies widerspricht Lemma 5.5. Sei nun λ < 1 mit θ(u) ≤ λu
für beliebig große u. Eine ähnliche Rechnung liefert den Widerspruch
Z u Z u
θ(x) − x λ−y
2
dx ≤ dy < 0.
λu x λu y2
Beweis. Aus X X
θ(x) = log p ≤ log x = π(x) · log x
p≤x p≤x
π(x) θ(x)
lim sup = lim sup = 1.
x→∞ x/ log x x→∞ x
π(x)
Es bleibt lim inf x→∞ x/ log x
= 1 zu zeigen. Wir nehmen an, dass das nicht gilt.
Dann gibt es > 0 und eine unendliche Teilmenge M ⊆ N mit x/π(x)
log x
≥ 1+
für x ∈ M . Wähle δ > 0 mit 1+ρ := (1−δ)(1+) > 1. Wegen π(x ) ≤ x1−δ
1−δ
gilt für x ∈ M :
X
θ(x) ≥ log p
x1−δ <p≤x
19
6 Charaktere abelscher Gruppen
Charaktere werden im nächsten Abschnitt das Hilfsmittel sein, Elemente aus
arithmetischen Progressionen herauszufiltern. Mit dieser Technik werden wir
den Primzahlsatz von Dirichlet beweisen, der besagt, dass in jeder arith-
metischen Folge a + nb, n ∈ N mit teilerfremden a, b ∈ N unendlich viele
Primzahlen liegen.
Sei G eine endliche abelsche Gruppe. Wir erinnern an den Satz (siehe
zum Beispiel ???), dass G das direkte Produkt zyklischer Gruppen ist. Das
heißt es gibt Elemente g1 , g2 , . . . , gr ∈ G und u1 , u2 , . . . , ur ∈ N, so dass jedes
Element g ∈ G eine eindeutige Darstellung g = g1e1 g2e2 . . . grer mit 1 ≤ ei ≤ ui
hat.
Mit C? bezeichnen wir die multiplikative Gruppe C \ {0}.
(b) Die Menge Ĝ ist eine Gruppe, mit der Multiplikation (χ1 χ2 )(g) =
χ1 (g)χ2 (g).
Beweis. Seien gi , ui wie oben, und χ ∈ Ĝ. Der Charakter χ ist durch seine
Werte auf den gi festgelegt. Wegen 1 = χ(1) = χ(giui ) = χ(gi )ui ist χ(gi ) eine
ui te Einheitswurzel, nimmt also einen von ui möglichen Werten an. Es folgt
|Ĝ| ≤ u1 u2 . . . ur = |G|.
Umgekehrt sei ζi für i = 1, 2, . . . , r eine ui te Einheitswurzel. Offenbar
gibt es u1 u2 . . . ur = |G| Möglichkeiten für die Wahl eines solchen Tupels
ζ1 , ζ2 , . . . , ζr . Man definiert eine Abbildung χ : G → C? durch χ(g1e1 g2e2 . . . grer ) =
ζ1e1 ζ2e2 . . . ζrer . Eine einfache Rechnung zeigt χ ∈ Ĝ.
P
Lemma 6.2. (a) Sei 1 6= χ ∈ Ĝ. Dann gilt g∈G χ(g) = 0.
P
(b) Sei 1 6= g ∈ G. Dann gilt χ∈Ĝ χ(g) = 0.
20
also (χ(h) − 1)S = 0, und schließlich S = 0.
(b) Sei nun 1 6= g ∈ G. Mittels obiger expliziter Beschreibung der Ele-
mente in Ĝ zeigt man leicht, dass es ein ψ ∈ Ĝ gibt mit ψ(g) 6= 1. Mit χ
durchläuft auch ψχ die Menge Ĝ. Wie oben folgt
X X X
S= χ(g) = (ψχ)(g) = ψ(g) χ(g) = ψ(g)S,
χ∈Ĝ χ∈Ĝ χ∈Ĝ
also S = 0, da ψ(g) − 1 6= 0.
Beweis. Es gilt χψ̄ = 1 genau dann wenn χ = ψ, Behauptung (a) folgt dann
sofort aus obigem Lemma. Genauso folgt (b), denn χ(g)χ̄(h) = χ(g)χ(h−1 ) =
χ(gh−1 ).
Für a, b ∈ Z mit a, b nicht beide 0 bezeichnen wir mit (a, b) ∈ N den
größten gemeinsamen Teiler von a und b.
21
(i) χ(n) = 0 genau dann wenn (n, N ) 6= 1.
(ii) χ ist vollständig multiplikativ.
(iii) Aus N | a − b folgt χ(a) = χ(b).
Beispiele. (a) Der Hauptcharakter χ0 entsteht aus χ0 = 1 von oben, also
χ(n) = 1 oder 0, je nachdem ob (n, N ) = 1 oder 6= 1.
(b) Sei p ∈ P. Das Legendresymbol χ(n) = np definiert einen Dirichlet-
Charakter modulo p.
Die Behauptung folgt nun aus den bekannten Eigenschaften von ζ(s).
22
Lemma 7.3. Sei χ ein Dirichlet-Charakter, der kein Hauptcharakter ist.
Dann hat L(s, χ) eine holomorphe Fortsetzung nach <(s) > 0.
Das Integral konvergiert gleichmäßig auf Kompakta in <(s) > 0, die Behaup-
tung folgt.
Beim Beweis des Primzahlsatzes war die Aussage wesentlich, dass die Ze-
tafunktion keine Nullstellen in <(s) ≥ 1 hat. Eine ähnliche Situation tritt
beim Beweis des Dirichletschen Primzahlsatzes auf. Hier benötigen wir die
Aussage L(1, χ) 6= 0. Diese Aussage ist weniger trivial als man vielleicht
auf den ersten Blick vermuten würde. Der Beweis behandelt nicht eine ein-
zelne Dirichlet-Reihe, sondern verwendet den Trick, dass man ein Produkt
von Dirichlet-Reihen zu verschiedenen Charakteren betrachtet, über das man
leichter etwas beweisen kann. Als Vorbereitung dient das folgende
Lemma 7.4. Sei N ∈ N und F (s) das Produkt der Dirichlet-Reihen L(s, χ),
wo χ die Dirichlet-Charaktere modulo N durchläuft. Dann gilt F (s) ≥ 1 für
alle s ≥ 1.
23
Die Behauptung folgt aus einer Umsortierung absolut konvergenter Reihen
∞
XXX 1 χ(p) v
log F (s) = ( )
χ p v=1
v ps
∞
XX 1 X
= vs
χ(pv )
p v=1
vp χ
≥ 0,
P
da für n ∈ N stets χ χ(n) ≥ 0 gilt. (Die Summe verschwindet außer für
n ≡ 1 (mod N ), in diesem Fall ist sie ϕ(N ).)
Satz 7.5. Sei χ ein Dirichlet-Charakter, der kein Hauptcharakter ist. Dann
gilt L(1, χ) 6= 0.
Daher gilt stets a(pr ) ≥ 1, außer wenn χ(p) = −1 und r ungerade ist.
In diesem Fall ist a(pr ) = 0. Aus der Multplikativität von a(n) folgt nun
a(n) ≥ 0 und a(n2 ) ≥ 1 für alle n ∈ N.
Wir können also den Satz ??? von Landau anwenden. Die Dirichlet-Reihe
von G(s) konvergiert zum Beispiel für s = 21 . Aber
X a(n) X a(n2 ) X 1
√ ≥ ≥ = ∞,
n
n n
n n
n
ein Widerspruch.
24
Nun können wir das Ziel dieses Abschnitts beweisen.
X 1
= ∞.
p∈P
p
p≡a (mod N )
X 1 X 1 1 X
= χ(pr )χ̄(a)
p∈P,r∈N
rprs p∈P,r∈N rprs ϕ(N ) χ
pr ≡a (mod N )
1 X X χ(p)r
= χ̄(a)
ϕ(N ) χ p∈P,r∈N
rprs
1 X X 1
= χ̄(a) log
ϕ(N ) χ p∈P 1 − χ(p)
ps
1 X
= χ̄(a) log L(s, χ)
ϕ(N ) χ
1 X
= (log L(s, χ0 ) + χ̄(a) log L(s, χ)).
ϕ(N ) χ6=χ 0
25
P 1
p∈P,r∈N rpr
= ∞. Aber die Teilreihe mit r ≥ 2 konvergiert wegen
pr ≡a (mod N )
X 1 XX 1
≤
p∈P,r≥2
rpr p∈P r≥2
rpr
pr ≡a (mod N )
XX 1
≤
p∈P r≥2
2pr
1X 1
=
2 p∈P
p(p − 1)
1X 1
≤
2 n≥2 n(n − 1)
1X 1 1
= ( − )
2 n≥2 n − 1 n
1
= .
2
Daher divergiert die zu r = 1 gehörige Teilfolge, die Behauptung folgt.
8 Die Gammafunktion
Die Gammafunktion Γ ist nach der Logarithmus- und Exponentialfunkti-
on die wohl nächsteinfache und -wichtige transzendente Funktion der Funk-
tionentheorie. Da sie im Zusammenhang mit der Riemannschen Zetafunkti-
on eine wichtige Rolle spielt, wollen wir nicht auf die Literatur verweisen,
sondern Wielandts eleganten und schnellen Zugang zu den wesentlichen Ei-
genschaften darstellen.
Historisch entwickelte sich die Gammafunktion aus dem Versuch, die Fa-
kultätsfunktion n! zu einer reellen oder komplexen Funktion mit guten Ei-
genschaften fortzusetzen.
Der folgende Satz enthält die Definition der Gammafunktion Γ.
R∞
Satz 8.1. Das Gammaintegral Γ(z) = 0 tz−1 e−t dt konvergiert in <(z) > 0
absolut, und stellt dort eine holomorphe Funktion dar.
Beweis. Für t ≥ 1 gibt es eine Konstante C > 1 mit |tz−1 e−t | ≤ C · e−t/2 , und
für t ≤ 1 gilt |tz−1 e−tR| ≤ t<(z)−1 . Daraus folgt schnell, dass die Folge holo-
n
morpher Funktionen 1/n tz−1 e−t dt lokal gleichmäßig gegen Γ(z) konvergiert.
Daher ist auch Γ(z) holomorph.
26
Satz 8.2. Γ läßt sich holomorph nach C\S, S := {0, −1, −2, . . . }, fortsetzen,
und genügt der Funktionalgleichung Γ(z + 1) = zΓ(z). Ferner gilt: Γ(n + 1) =
n! für alle n ∈ N0 , und Γ(z) hat einen Pol erster Ordnung in −n ∈ S mit
n
Residuum (−1) n!
.
R∞
Beweis. Γ(1) = 0 e−t dt = 1. Integration von dtd (−tz e−t ) = tz e−t + ztz−1 e−t
von 0 bis ∞ liefert Γ(z + 1) = zΓ(z). Hieraus folgt durch mehrfache Anwen-
dung für n ∈ N0
Γ(z + n + 1)
Γ(z) = .
z(z + 1) . . . (z + n)
Dies zeigt die holomorphe Fortsetzbarkeit nach C \ S. Ferner hat Γ in S Pole
der Ordnung ≤ 1. Wir berechnen das Residuum in −n ∈ S:
Γ(1) (−1)n
lim (z + n)Γ(z) = = .
z→−n (−n)(−n + 1) . . . (−1) n!
Bemerkung. Sei 0 < a < b. Aus |Γ(z)| ≤ Γ(R(z)) für R(z) > 0 folgt, dass
Γ(z) im Parallelstreifen {z ∈ C| a ≤ R(z) < b} beschränkt ist.
Die Funktionalgleichung, zusammen mit einer Beschränktheit in einem
Parallelstreifen, liefert eine Art Umkehrung.
Beweis. Wie für Γ(z) zeigt man: f (z) ist nach C \ S holomorph fortsetzbar,
und f (z + 1) = zf (z) für alle z ∈ C \ S. Ferner hat f in −n ∈ S einen Pol
n
der Ordnung ≤ 1 mit Residuum (−1) n!
f (1). Daher hat h(z) = f (z) − f (1)Γ(z)
nur hebbare Singularitäten, also ist h(z) eine ganze Funktion. Offensichtlich
ist h(z) in {z ∈ C|1 ≤ R(z) < 2} beschränkt. Setze H(z) = h(z)h(1 − z).
Wegen H(z + 1) = h(z + 1)h(−z) = zh(z)h(−z) = −h(z)(−zh(−z)) =
−h(z)h(−z + 1) = −H(z) ist die ganze Funktion H(z) auf C beschränkt.
Nach Liouville ist H(z) eine Konstante. Wir berechnen H(1) = h(0)h(1) =
h(0)(f (1) − f (1)Γ(1)) = 0, also h(z)h(1 − z) = 0 für alle z ∈ C. Aber die
Nullstellen ganzer Funktionen 6= 0 liegen diskret in C, daher ist h(z) = 0 für
alle z ∈ C, und die Behauptung folgt.
27
P∞ z −n z
Lemma 8.4. Die Reihe n=1 ((1 + n )e − 1) konvergiert absolut und kom-
pakt auf C.
−w
Beweis. Die Funktion (1+w)e w2
−1
ist holomorph auf C, also insbesondere ste-
−w −1
tig. Für alle r > 0 gibt es daher eine Konstante C, so dass | (1+w)ew2 z
|≤C
z
gilt für alle |w| ≤ r. Für |z| ≤ r und n ∈ N gilt daher |(1 + n )e − 1| ≤
n
2 2 P r2
C |z|
n2
≤ C nr 2 . Aber ∞n=1 C n2 konvergiert, und die Behauptung folgt.
Hieraus folgt aus einfachen Aussagen über die Holomorphie von Produk-
ten (siehe etwa ???)
Q z
Korollar 8.5. H(z) = ∞ z −n
n=1 (1 + n )e ist eine ganze Funktion, mit H(z) =
0 genau dann wenn −z ∈ N.
Lemma 8.6. Der Grenzwert γ = limn→∞ (1+ 12 + 13 +· · ·+ n1 −log n) existiert,
und heisst Eulersche Konstante.
Beweis. Übung.
Qn z
Lemma 8.7. Setze Gn (z) = ze−z log n ν=1 (1+ ν ). Dann gilt limn→∞ Gn (z) =
zeγz H(z).
1 1 1 Qn z
Beweis. Folgt aus Gn (z) = zez(1+ 2 + 3 +···+ n −log n) ν=1 (1 + νz )e− ν .
Korollar 8.8. G(z) = limn→∞ Gn (z) ist ganz, und hat Nullstellen erster
Ordnung in z ∈ S = {0, −1, −2, . . . }, und sonst keine weiteren Nullstellen.
Aus dem folgenden Satz folgt insbesondere, dass Γ(z) keine Nullstellen in
C hat; eine Eigenschaft, die nicht direkt aus der Integraldefinition zu folgen
scheint.
1 n−z
Satz 8.9 (Gauß). Für alle z ∈ C gilt Γ(z)
= G(z) = limn→∞ n!
z(z +
1) . . . (z + n).
1
Beweis. Es ist nur G(z) = Γ(z) zu zeigen. G(z) hat keine Nullstellen für
1
R(z) > 0, daher ist G(z) holomorph für R(z) > 0. Für R(z) > 0 und ν ∈ N0
gilt |n−z | = n−R(z) und |z + ν| ≥ R(z) + ν, also |Gn (z)| ≥ Gn (R(z)). Für
1 1 1
n → ∞ folgt | G(z) | ≤ | G(R(z)) |. Insbesondere ist G(z) beschränkt im Streifen
{z ∈ C|1 ≤ R(z) < 2}. Weiter zeigt eine einfache Rechnung zGn (z + 1) =
z+n+1 1 1
n
Gn (z). Für n → ∞ folgt daraus G(z+1) = z G(z) . Wielandts Satz ???
Qn 1+ν
liefert G(z) = G(1) Γ(z). Ferner ist Gn (1) = n ν=1 ν = n+1
1 1 1
n
, also G(1) = 1,
und die Behauptung folgt.
Eine weitere wichtige Identität ist
28
Satz 8.10 (Euler). Für alle z ∈ C \ Z gilt
π
Γ(z)Γ(1 − z) = .
sin πz
Beweis. Die meromorphe Funktion f (z) = Γ(z)Γ(1 − z) hat Pole erster Ord-
nung in n ∈ Z, mit Residuum (−1)n . Dasselbe gilt für die Funktion sinππz .
Daher ist h(z) = f (z) − sinππz holomorph nach C fortsetzbar. Der Paral-
lelstreifen B = {z ∈ C|1 ≤ R(z) ≤ 2} wird durch z 7→ 3 − z bijektiv
auf sich abgebildet. Daher sind Γ(z) und Γ(3 − z) beschränkt auf B. Sei
Γ(3−z)
Q = {z ∈ B| − 1 ≤ I(z) ≤ 1}. Wegen Γ(1 − z) = (2−z)(1−z) ist dann Γ(1 − z)
π
auf B \ Q beschränkt. Man zeigt leicht, dass auch sin πz auf B \ Q beschränkt
ist, also ist h(z) auf B \ Q beschränkt. Die ganze Funktion h ist auch auf
dem Kompaktum Q beschränkt, daher ist h(z) auf B und schließlich wegen
h(z + 1) = −h(z) in ganz C beschränkt. Nach Liouville ist h(z) eine Kon-
stante. Aus h( 12 ) = −h(− 12 ) folgt h(z) = 0 für alle z ∈ C, was zu zeigen
war.
Als Folge erhalten wir die klassische Produktdarstellung der Sinusfunkti-
on.
29
Titchmarsh ???. Wir folgen einem der Beweise aus Riemanns kurzer Arbeit
???. Die Methode ist vielleicht nicht die schnellste. Allerdings liefert sie eine
Integraldarstellung der Zetafunktion, die sowohl vom theoretischen als auch
vom praktischen Standpunkt aus sehr wichtig ist. Diese Integraldarstellung
basiert auf Eigenschaften einer Thetafunktion θ(z), die im wesentlichen eine
Modulform ist ??? (mehr dazu). Wir entwickeln die benötigten Eigenschaften
ad hoc.
P
Lemma 9.1. Sei ε > 0. Dann konvergiert die Reihe θ(z) = ∞ n=−∞ e
−πzn2
gleichmäßig und absolut in R(z) ≥ ε. Insbesondere ist θ(z) eine in R(z) > 0
holomorphe Funktion, die Thetafunktion.
2
und R(z) ≥ ε gilt |e−πzn | ≤ e−πnε , die Behauptung folgt
P∞n ≥ 1−πnε
Beweis. Für
e−πmε
dann aus n=m e = 1−e −πε .
Für große x > 0 konvergiert die Thetareihe sehr schnell. Ist hingegen
x nahe bei 0, dann sind erst mal viele Summanden nahe bei 1, bevor gute
Konvergenz einsetzt. Die folgende Transformationsformel erlaubt es, den Fall
kleiner x auf den Fall großer x zurückzuführen. Der Beweis benutzt die klassi-
sche Technik des Residuensatzes zur Berechnung von Reihen. Andere Beweise
benutzen z.B. die Poissonsche Summenformel, siehe etwa Brüdern???.
Beweis (Landsberg 1893). Sei x > 0 fixiert. Wir wählen N ∈ N, und betrach-
ten den positiv orientierten Rand ∂R des Rechtecks mit den Eckpunkten
±(N + 12 ) ± i. Die obere und untere Kante seien L+ und L− , die linke und
−πxt2
rechte Kante seien M+ und M− . Die Funktion f (t) = ee2πit−1 ist holomorph
1 −πxn2
in C \ Z, und hat Pole in n ∈ Z mit Residuum 2πi e . Der Residuensatz
liefert
XN Z
−πxn2
e = f (t)dt.
n=−N ∂R
30
1
P∞
Sei t ∈ L+ . Dann gilt |e2πit | < 1, also e2πit −1
=− n=0 e2πint . Daher gilt
Z Z 2
e−πxt
f (t)dt = 2πit−1
dt
L+ L+ e
Z X ∞
2
=− e−πxt +2πint dt
L+ n=0
∞ Z
X 2 +2πint
=− e−πxt dt
n=0 L+
∞
X Z
2
− πn ni 2
=− e x e−πx(t− x ) dt,
n=0 L+
Mittels der Substitution u =√πxw 2 berechnen wir das Integral, und beachten,
dass nach Satz 8.10 Γ( 21 ) = π gilt:
Z ∞ Z ∞ Z ∞ 1
−πxw 2 −πxw 2 e−u u− 2 1 1 1
e dt = 2 e dt = 2 √ du = √ Γ( ) = √ .
−∞ 0 0 2 πx πx 2 x
Hieraus folgt
Z ∞
1 X − πn2
lim f (t)dt = √ e x .
N →∞ L+ x n=0
31
Ähnlich verfahren wir mit L− , und erhalten
Z −∞
1 X − πn2
lim f (t)dt = √ e x ,
N →∞ L− x n=−1
Wir wissen bereits, dass die Zetafunktion ζ(s) im Streifen 0 < R(s) < 1
holomorph ist. Die folgende Aussage ist die Funktionalgleichung der Zeta-
funktion, und wird uns unter anderem die holomorphe Fortsetzbarkeit von
ζ(s) nach C \ {1} liefern.
s
Lemma 9.3. Für 0 < R(s) < 1 setze ξ(s) = s(s − 1)π − 2 Γ( 2s )ζ(s). Dann hat
ξ(s) eine holomorphe Fortsetzung nach C, und es gilt ξ(s) = ξ(1 − s).
R∞ s
Beweis. In Γ( 2s ) = 0 e−t t 2 −1 dt setze t = πn2 x. Dies ergibt
Z ∞
s s 2 s
Γ( ) = π 2 ns e−πxn x 2 −1 dx.
2 0
P∞ −πxn2 √
mit
√ ω(x) = n=1 e = θ(x)−1
2
. Aus Satz 9.2 folgt ω( x1 ) = − 21 + 12 x +
xω(x). Dies verwenden wir in der folgenden Rechnung:
Z 1 Z ∞
− 2s s s
−1 s
π Γ( )ζ(s) = ω(x)x 2 dx + ω(x)x 2 −1 dx
2
Z0 ∞ 1
Z ∞
1 1− s dy s
= ω( )y 2
2
+ ω(x)x 2 −1 dx
y y
Z1 ∞ 1
Z ∞
1 1 1 1
− s2 −1 s
= (− + y + y ω(y))y
2 2 dy + ω(x)x 2 −1 dx
1 2 2 1
Z ∞
1 1 s 1 s
=− − + ω(x)(x− 2 − 2 + x 2 −1 )dx.
s 1−s 1
32
Es gilt also
Z ∞
s 1 s
ξ(s) = 1 + s(s − 1) ω(x)(x− 2 − 2 + x 2 −1 )dx.
1
P∞ −πxn e−πx e−πx
Wegen ω(x) ≤ n=1 e = 1−e −πx ≤ 1−e−π für x ≥ 1 konvergiert das
Integral gleichmäßig auf allen kompakten Teilmengen von C, und stellt daher
eine ganze Funktion dar. Insbesondere hat ξ(s) eine holomorphe Fortsetzung
nach C, und es gilt ξ(s) = ξ(1 − s), da die Darstellung von ξ(s) invariant
unter der Ersetzung von s mit 1 − s ist.
Satz 9.4. ζ(s) lässt sich holomorph nach C \ {1} fortsetzen, hat eine einfa-
che “triviale Nullstellen” in −2, −4, −6, . . . . Die restlichen Nullstellen liegen
im Parallelstreifen 0 < R(s) < 1, und liegen darin symmetrisch zur Achse
R(s) = 12 .
Beweis. Wir benutzen, dass Γ( 2s ) keine Nullstellen hat, aber Pole erster Ord-
nung in 0, −2, −4, . . . besitzt. Da ζ(s) nach ??? keine Nullstellen für R(s) ≥ 1
besitzt, gilt das gleiche auch für ξ(s), wobei wir noch verwenden, dass ζ(s)
einen Pol in 1 besitzt. Wegen ξ(s) = ξ(1 − s) hat daher ξ(s) keine Nullstellen
in R(s) ≤ 0. Für R(s) ≤ 0 hat ζ(s) genau dort eine Nullstelle, wo sΓ( 2s )
einen Pol hat, mit Polordnung gleich der Nullstellenordnung von ζ(s), also
in −2, −4, −6, . . . . Die Aussage über die restlichen Nullstellen folgt nun aus
ξ(s) = ξ(1 − s) und der folgenden Überlegung: ξ(x) ist reellwertig für x > 1,
daher hat die Potenzreihenentwicklung von ξ(s) um x = 2 reelle Koeffizien-
ten, und somit gilt ξ(s̄) = ξ(s).
Im folgenden wollen wir noch einige einfache Aussagen über die nicht tri-
vialen Nullstellen von ζ(s) beweisen. Hierzu braucht man obere Abschätzun-
gen von ζ(σ + it) bei festem σ für große t. Üblicherweise gewinnt man sie
mittels obiger Funktionalgleichung und der Sterlingformel für die Gamma-
funktion. Da wir die Stirlingformel hier nicht bewiesen haben, und auch deren
Anwendung etwas technisch ist, gehen wir hier anders vor.
33
Lemma 9.6. Sei m ∈ N. Dann gibt es ein Polynom Pm (z) vom Grad ≤
m−1, und eine Funktion fm : R → R mit folgenden Eigenschaften: (a) fm (x)
R1
ist periodisch mit Periode 1, (b) 0 fm (x)dx = 0, (c) f1 (x) = 12 + [x] − x, (d)
für m ≥ 2 ist fm (x) stetig, und
Z ∞
1 fm (x)
ζ(s) = + Pm (s) + s(s + 1) . . . (s + m − 1) dx
s−1 1 xs+m
??? folgt die Behauptung für m = 1 mit P1 (X) = 21 . Der allgemeine Fall
folgt durch vollständige Induktion. Die Behauptung gelte für m. Sei fm+1 (x)
eine Stammfunktion von fm (x). Wegen (a) und (b) für fm (x) folgt die Be-
dingung (a) für fm+1 (x). Durch Addition einer geeigneten Konstanten bleibt
(a) erhalten, und (b) lässt sich erfüllen. Nach Konstruktion ist (d) erfüllt.
Die behauptete Identität folgt dann mittels partieller Integration, da
Z ∞ ∞ Z ∞
fm (x) fm+1 (x) fm+1 (x)
s+m
dx = s+m
+ (s + m) dx
1 x x 1 1 xs+m+1
Z ∞
fm+1 (x)
= −fm+1 (1) + (s + m) dx.
1 xs+m+1
Dabei beachte man, dass das Integral im angegebenen Bereich konvergiert,
da der Zähler wegen Stetigkeit und Periodizität beschränkt ist.
Eine direkte Folgerung ist
|ζ(s)| ≤ C|s|n+1
Beweis. Wir verwenden den Satz mit m = n + 1. Sei |fm (x)| ≤ K für alle x.
Die Behauptung folgt dann aus
Z ∞ Z ∞
fm (x) K K
| s+m
dx| ≤ 1+δ
dx = .
1 x 1 x δ
Aufgaben. 1. Zeige, dass ζ(x) für 0 < x < 1 keine Nullstellen hat. (Hin-
weis: Zeige und benutze (1 − 21−x )ζ(x) = 1 − 21x + 31x − . . . für x > 0.)
34
10 Das große Sieb der Zahlentheorie
Als Motivation betrachten wir das Sieb des Erathostenes zur Anzahlbestim-
mung der Primzahlen bis√ zu einer Größe N . Dabei setzen wir voraus, dass die
Primzahlen
√ bereits bis N √ bekannt sind. Sei A die Menge der Primzahlen a
mit N < a ≤ N . Für p ≤ N ist kein a ∈ A durch p teilbar, also enthält A
höchstens p−1 modulo p verschiedene Elemente. Mit Siebmethoden versucht
man nun diese Information zu benutzen um die Mächtigkeit von A nach oben
abzuschätzen. Eine sehr starke Methode ist das große Sieb.
Definition. Sei A ⊆ Z und p ∈ P. Die Anzahl der modulo p verschiedenen
Restklassen der Elemente in A bezeichnen wir mit p(A).
√
In obigem Beispiel gilt also p(A) ≤ p − 1 für alle p ≤ N .
Satz 10.1. Sei ∅ 6= A ⊂ Z eine endliche Menge und Q ≥ 1. Für p ∈ P sei
v(p) ≤ p mit p(A) ≤ v(p).
Setze
X Y p − v(p)
L(Q) = .
q≤Q
v(p)
p|q
q quadratfrei
35
und daraus folgt die Behauptung für x = 12 , da der Faktor vor f 0 (t) stets
zwischen 0 und 21 liegt.
Durch Variablentransformation erhalten wir daraus
Korollar 10.3. Sei x ∈ R, δ > 0, und f : [x − 2δ , x + 2δ ] → C stetig differen-
zierbar. Dann gilt
Z x+ δ2
1 1
|f (x)| ≤ ( |f (t)| + |f 0 (t)|)dt.
x− δ2 δ 2
Aus Gründen der Vollständigkeit beweisen wir noch schnell die wohlbe-
kannte Ungleichung von Cauchy-Schwarz.
Lemma 10.4. (a) Seien f, g : [0, 1] → C stetig. Dann gilt
Z 1 2 Z 1 Z 1
2
|f (t)g(t)|dt ≤ |f (t)| dt |g(t)|2 dt.
0 0 0
R 1 dürfen f (t) ≥
Beweis. Wir
2
0, g(t) ≥ 0 für alle t ∈ [0, 1] annehmen. Für alle
z ∈ R ist 0 (f (t) − zg(t)) dt ≥ 0, also
Z 1 Z 1 Z 1
2 2 2
f (t) dt + z g(t) dt ≥ 2z f (t)g(t)dt.
0 0 0
36
für n, m ∈ Z gilt die im folgenden wichtige Beziehung
MX+N Z 1
2
|cn | = |S(t)|2 dt.
n=M +1 0
Definition. Für α ∈ R sei ||α|| der Abstand von α zur nächsten ganzen
Zahl.
Satz 10.5. Sei δ > 0, und α1 , α2 , . . . , αr ∈ R gegeben mit ||αu − αv || ≥ δ für
alle 1 ≤ u < v ≤ r. Dann gilt
r M +N
X
2 1 X
|S(αj )| ≤ (πN + ) |cn |2 .
j=1
δ n=M +1
Wegen |S(t)| = |T (t)| sehen wir, dass wir zum Beweis M beliebig wählen
dürfen.
Zunächst sehen wir, dass man δ ≤ 21 annehmen darf. Denn falls δ > 21 ,
dann gilt r = 1 wegen ||α|| ≤ 12 für alle α ∈ R. Aber für r = 1 folgt die
Behauptung aus der Cauchy-Schwarzschen Ungleichung:
M
X +N M
X +N M
X +N
|S(α1 )|2 ≤ |cn |2 |e2πiα1 n | = N |cn |2 .
n=M +1 n=M +1 n=M +1
j=1
δ 0 0 δ n=M +1 0
37
Die Cauchy-Schwarzsche Ungleichung liefert
Z 1 2 Z 1 Z 1 M
X +N Z 1
0 2 0 2 2
|S(t)S (t)|dt ≤ |S(t) |dt |S (t) |dt = |cn | |S 0 (t)2 |dt.
0 0 0 n=M +1 0
PM +N
Wegen S 0 (t) = n=M +1 2πincn e2πitn gilt
Z 1 M
X +N
|S 0 (t)2 |dt = 4π 2 n2 |cn |2 .
0 n=M +1
j
Beweis. Sei {α1 , α2 , . . . , αr } die Menge der gekürzten Brüche q
mit 1 ≤ j ≤
j j0
q ≤ Q. Seien q
6= q0
zwei solche Brüche. Wegen
j j0 jq 0 − j 0 q 1 1
|| − 0 || = || 0
|| ≥ 0 ≥ 2
q q qq qq Q
1
folgt die Behauptung mit δ = Q2
.
Wir beginnen nun mit der Betrachtung modulo Primzahlen. Sei ∅ 6=
⊂
P Z eine
A endliche Teilmenge, und für n ∈ A sei cn ∈ C. Setze S(t) =
2πitn
n∈A cn e . Sei p(A) ≤ v(p) ≤ p beliebig. Definiere die multiplikative
Funktion g durch
(Q
p−v(p)
p|q v(p) falls q quadratfrei
g(q) =
0 sonst.
38
Satz 10.7. Mit den Bezeicnungen von oben gilt für alle q ∈ Q
q
X j X
|S( )|2 ≥ g(q)| c n |2 .
j=1
q n
(j,q)=1
P
Beweis. Wegen n cn = S(0) ist
q
2
X j
g(q)|S(0)| ≤ |S( )|2 (2)
j=1
q
(j,q)=1
P
zu zeigen. Für β ∈ R setze c̃n = cn e2πiβn und S̃(t) = n c̃n e
2πitn
= S(t + β).
Ungleichung (2) für S̃ statt S schreibt sich dann als
q
2
X j
g(q)|S(β)| ≤ |S( + β)|2 . (3)
j=1
q
(j,q)=1
Gilt also (2) für festes q und alle S, dann gilt auch (3) für alle S und alle
β ∈ R.
Seien q, q 0 ∈ N mit (q, q 0 ) = 1, und (2) gelte für q und q 0 . Wir zeigen, dass
(2) dann auch für qq 0 gilt.
Sei 1 ≤ j ≤ q, (j, q) = 1, 1 ≤ j 0 ≤ q 0 , (j 0 , q 0 ) = 1. Man rechnet sofort nach,
dass die Zahlen jq 0 +j 0 q für verschiedene Paare (j, j 0 ) inkongruent modulo qq 0
sind. Ferner gilt (jq 0 +j 0 q, qq 0 ) = 1. Wegen ϕ(q)ϕ(q 0 ) = ϕ(qq 0 ) durchlaufen die
Zahlen jq 0 + j 0 q modulo qq 0 genau die zu qq 0 teilerfremdem c mit 1 ≤ c ≤ qq 0 .
Zusammen mit (3) mit β = qj und wegen S(t) = S(t + 1) folgt
qq 0 q q 0
X c 2 X X j j0
|S( 0 )| = |S( + 0 )|2
qq q q
c=1 j=1 j 0 =1
(c,qq 0 )=1 (j,q)=1 (j 0 ,q 0 )=1
q
0
X j
≥ g(q ) |S( )|2
j=1
q
(j,q)=1
≥ g(q 0 )g(q)|S(0)|2
= g(qq 0 )|S(0)|2 .
Daher müssen wir (2) nur noch für Primpotenzen nachweisen. Wegen g(q) = 0
2πi
für nicht quadratfreie q sei also q = p eine Primzahl. Sei ζ = e p . Wegen
p−1
(
X p p teilt u
ζ ju =
j=0
0 sonst
39
P
und S( pj ) = n cn ζ
jn
gilt
p−1 p−1
X j 2 XX X
|S( )| = ( cm ζ jm )( c̄m ζ −jn )
j=0
p j=0 m n
p−1
X X
= cm c̄n ζ j(m−n)
m,n j=0
X
=p cm c̄n
m,n
p|m−n
p−1
X X
=p cm c̄n
k=0 m,n
p|m−k
p|n−k
p−1
X X X
=p cm c̄m
k=0 m n
p|m−k p|n−k
p−1
X
=p |Ck |2 mit
k=0
X
Ck = cn .
n
p|n−k
Höchstens v(p) der Terme Ck sind von 0 verschieden, denn ist Ck 6= 0, dann
gibt es ein n ∈ A mit p|n−k. Die Cauchy-Schwarzsche Ungleichung, summiert
über die höchstens v(p) Indizes k mit Ck 6= 0, liefert
X X X
|Ck |2 · v(p) = |Ck |2 · 12
k k k
X
≥ ( |Ck | · 1)2
k
X
≥| C k |2
k
X
=| c n |2 ,
n
40
also
p−1 p−1
X j 2 X j 2 X
|S( )| = |S( )| − | c n |2
j=1
p j=0
p n
p X X
≥ | c n |2 − | c n |2
v(p) n n
p − v(p) X 2
= | cn | ,
v(p) n
Damit folgt nun sofort der Beweis von Satz 10.1. Sei A ⊂ Z gegeben mit
N = max A −P min A + 1. Dann gilt A ⊆ [M + 1, M + N ] mit M = min(A) + 1.
Setze S(t) = n∈A e2πitn . Satz 10.7 liefert für q ≤ Q
q
2
X j
g(q)|A| ≤ |S( )|2 .
j=1
q
(j,q)=1
41
v(p) = p − 1 für p ≤ Q, da kein a ∈ A durch p ≤ Q teilbar ist. In diesem Fall
ist also
X Y 1
L(Q) ≥ .
q≤Q
p−1
p|q
q quadratfrei
Q
Beweis. Für quadratfreie q gilt q = p|q p. Es folgt
X Y 1 X 1Y 1
= 1
q≤Q
p−1 q≤Q
q 1− p
p|q p|q
q quadratfrei q quadratfrei
X 1Y 1 1
= (1 + + 2 + . . . )
q≤Q
q p p
p|q
q quadratfrei
X 1 X 1
= ,
q≤Q
q u
u∈M (q)
q quadratfrei
42
√
Beweis. Setze Q = N . Sei A die Menge der Primzahlen in [M + 1, M + N ].
Wir betrachten zuerst den Fall M ≥ Q. Dann ist A disjunkt zur Menge der
Primzahlen ≤ Q, es gilt also p(A) ≤ p − 1 für alle p ≤ Q. Obiges Lemma,
zusammen mit Satz 10.1, liefert daher
πN + Q2 πN + Q2 N N
|A| ≤ ≤ = (2π + 2) ≤ (2π + 3) .
L(Q) log Q log N log N
√
Sei nun M < Q = N . Die Überlegung von gerade gezeigt
N
π(M + N ) − π(Q) ≤ (2π + 2) .
log N
N
|A| ≤ π(M + N ) = π(M + N ) − π(Q) + π(Q) ≤ (2π + 2) + Q.
log N
√ √ N
Man verifiziert schnell N ≥ log N für N > 1, also Q = N ≤ log N
, und
die Behauptung folgt.
X Y 2 − δ2,p (logQ)2
L(Q) = ≥ .
q≤Q
p − 2 + δ2,p 4
p|q
q quadratfrei
Beweis. Sei λ0 (n) die Anzahl der ungeraden Primfaktoren (mit Vielfachheit)
0 0
von n ist. Natürlich gilt 2λ (p) = 2 − δ2,p . Ferner ist die Funktion 2λ (n)
43
vollständig multiplikativ. Analog wie oben erhalten wir
0
X Y 2λ (p)
L(Q) =
q≤Q
p − 2λ0 (p)
p|q
q quadratfrei
0
X 2λ (q) Y 1
= 0
q≤Q
q 1 − 2λ (p)
p|q p
q quadratfrei
0 ∞ 0 k
X 2λ (q) Y X 2λ (p )
=
q≤Q
q k=1
pk
p|q
q quadratfrei
X X 2λ0 (qu)
= .
q≤Q
qu
u∈M (q)
q quadratfrei
Schreibt man wieder jedes n ≤ Q in der Form n = qu wie oben, so sehen wir
X 2λ0 (n)
L(Q) ≥ .
n≤Q
n
Q
Sei n = 2α pαi i die Primfaktorzerlegung von n mit pi ungerade. Sei τ 0 (n)
die Anzahl der ungeraden Teiler von n. Für α ∈ N gilt 1 + α ≤ 2α , also
Y Y 0
τ 0 (n) = (1 + αi ) ≤ 2αi = 2λ (n) .
Daher gilt
X τ 0 (n)
L(Q) ≥ .
n≤Q
n
In der folgenden Rechnung verwenden wir die Trivialität, dass τ 0 (n) gleich
44
der Anzahl aller Paare a, b ∈ N mit (2a − 1)b = n ist. Wir erhalten
X τ 0 (n)
L(Q) ≥
n≤Q
n
X X 1
=
n≤Q a,b
(2a − 1)b
(2a−1)b=n
X 1
=
a,b
(2a − 1)b
(2a−1)b≤Q
X 1 X
=
2a − 1
a≤ Q+1
2
Q
b≤ 2a−1
X 1 Q
≥ log
2a − 1 2a − 1
a≤ Q+1
2
Z Q+1
2 log Q − log(2t − 1)
≥ dt
1 2t − 1
Q+1
log(2t − 1) · (2 log Q − log(2t − 1)) 2
=
4 1
(log Q)2
=
4
45
P
Es ist nicht schwer zu sehen, dass p∈P 1p = ∞, siehe Aufgabe ???. Mit
einer Siebmethode, die verschieden vom großen Sieb ist, konnte 19?? bereits
Brun eine obere Abschätzung für π2 (N ) beweisen. Als Folge erhielt er, dass
die Summe über die Kehrwerte der Primzahlzwillinge konvergiert. Dies folgt
sofort aus folgendem
N Z N
X 1 dt 1 1
≤ = − ,
n=3
n(log n)2 2 t(log t) 2 log 2 log N
46
Index
L(Q), 35
[x], 3
Γ(z), 26
Λ(n), 12
P, 2
A, 3
I(s), 7
R(s), 7
χ, 20
γ, 28
µ(n), 4
π(x), 2
π2 (x), 45
?, 3
θ(x), 17
θ(z), 30
ϕ(n), 14
|, 3
ξ, 32
ζ(s), 6
f ∼ g, 14
p(A), 35
47
Literatur
[dlVP96] C.-J. de la Vallée Poussin, Recherches analytiques sur la théorie
des nombres premiers, Ann. Soc. Sci. Bruxelles (1896), 20, 183–
256, 281–397.
[Rie] B. Riemann, Über die Anzahl der Primzahlen unter einer gegebenen
Größe, Monatsber. Preuss. Akad. Wiss., November 1859, 671-680
().
48