Das Doppelte Lottchen
Das Doppelte Lottchen
Das Doppelte Lottchen
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GEGENWARTSLITERATUR A
ERICH KÄSTNER
DAS DOPPELTE
LOTTCHEN
IER
zu
GEKÜ R ZT U N D V EREIN FA CH T
FÜR SC H U L E U N D SEL B ST ST U D IU M
h tis 4
Dieses Werk folgt der
reformierten Rechtschreibung
und Zeichensetzung
Easy Readers
W EITERE W ERKE
die Locken
der Gong
5
»Ich komm ja schon!«, schreit Luise. »Ein
alter Mann ist doch kein Schnellzug.«
Zwölf Uhr, auf den Punkt, wird zu Mittag
gegessen. Und dann wird neugierig auf den
5 Nachmittag gewartet. Warum? Am Nachmit
hupen, ein hörbares Zeichen, z.B. ein Ton von einem Auto
erstaunt, verwundert
anstarren, mit großen Augen auf etwas sehen
6
7
Warum denn?
Luise und das neue Mädchen sehen einan
der zum Verwechseln ähnlich! Nur, die eine
hat lange Locken und die andere Zöpfe.
8
»Diesmal nichts«, sagt Fräulein Ulrike. »Es
ist bloß ... «
Sie öffnet die Tür und ruft: »Kommt herein,
ihr beiden!« Nun treten die zwei Mädchen ins
Zimmer. Weit voneinander bleiben sie stehen. 5
Während Frau Muthesius erstaunt auf die
Kinder schaut, sagt Fräulein Ulrike: »Die Neue
heißt Lotte Körner und kommt aus München.
Sie haben einander bis zum heutigen Tag noch
nie gesehen. Merkwürdig, nicht?« jo
schauen, sehen
rennen, schnell laufen
flüstern, leise sprechen
9
Warum denn?
Luise und das neue Mädchen sehen einan
der zum Verwechseln ähnlich! Nur, die eine
hat lange Locken und die andere Zöpfe.
8
Lottes Koffer ist noch nicht ausgepackt. Sie
fängt an, ihre Sachen in den Schrank zu legen.
Durch das offene Fenster hört sie Kinderla-
chen.
5 Sie hält eine Fotografie von einer jungen
Frau in der Hand, schaut das Bild liebevoll an
und legt es dann in den Schrank. Dabei fällt
ihr Blick auf einen Spiegel. Ernst sieht sie sich
an. Dann wirft sie plötzlich die Zöpfe weit
io nach hinten und hält das Haar so, dass es Lui'
se Palfys ähnlich wird.
Als irgendwo eine Tür schlägt, lässt Lotte
schnell die Hände sinken.
der Spiegel
ernst, nachdenklich
irgendwo, eine unbestimmte Stelle
10
Die Kinder strömen lärmend in den Saal.
Bald klappern die Löffel.
11
Lottes Koffer ist noch nicht ausgepackt. Sie
fängt an, ihre Sachen in den Schrank zu legen.
Durch das offene Fenster hört sie Kinderla-
chen.
5 Sie hält eine Fotografie von einer jungen
Frau in der Hand, schaut das Bild liebevoll an
und legt es dann in den Schrank. Dabei fällt
ihr Blick auf einen Spiegel. Ernst sieht sie sich
an. Dann wirft sie plötzlich die Zöpfe weit
10 nach hinten und hält das Haar so, dass es Lui
se Palfys ähnlich wird.
Als irgendwo eine Tür schlägt, lässt Lotte
schnell die Hände sinken.
ernst, nachdenklich
irgendwo, eine unbestimmte Stelle
10
Die Kinder strömen lärmend in den Saal.
Bald klappern die Löffel.
11
Tisch hinüber, an dem die zwei Mädchen sit
zen. Dann sagt sie: »Lotte Körner bekommt
das Bett neben Luise Palfy! Sie müssen sich
akzeptieren.«
5 Es ist Nacht. Und alle Kinder schlafen. Bis
auf zwei. Diese zwei tun, als schliefen sie fest,
liegen aber mit offenen Augen. Plötzlich spitzt
Luise die Ohren. Sie hört leises Weinen.
Lotte presst die Hände auf den Mund. Was
10 hatte die Mutter ihr gesagt: »Ich freue mich
so, dass du ein paar Wochen mit vielen fröhli
chen Kindern zusammen bist. Du bist zu ernst
für dein Alter, Lottchen.« Und nun liegt sie
hier in der Fremde, neben einem bösen Mäd-
15 chen, das sie hasst, weil sie ihm ähnlich sieht.
Lotte schluchzt vor sich hin.
Plötzlich streichelt eine kleine fremde Hand
über ihr Haar. Lottchen wird still vor Schreck.
Luises Hand streichelt weiter.
20 Der Mond schaut durchs große Fenster und
wundert sich. Da liegen zwei Mädchen neben
einander und die eine, die eben noch weinte,
streckt langsam ihre Hand nach der Hand der
anderen.
25 »Na gut«, denkt der alte Mond. »Da kann
ich ja beruhigt untergehen!« Und das tut er
denn auch.
schluchzen, heftig weinen
streicheln, die Hand liebevoll über etwas hin und her bewegen
12
Zweites Kapitel
14
gen, dauert es keine Minute, da jubeln sie alle.
»Was ist denn das?« Frau Muthesius steht
auf. Als sie aber die zwei Zopfmädchen sieht,
fragt sie belustigt: »Also, welche von euch ist
nun Luise Palfy und welche Lotte Körner?« 5
»Das sagen wir nicht!«, erklärt die eine Lot
te, und wieder wird hell gelacht. »Ja, um alles
in der Welt!«, ruft Frau Muthesius. »Was sol
len wir denn nun machen?« »Vielleicht«, sagt
die zweite Lotte vergnügt, »vielleicht merkt es 10
doch jemand?«
Trude blickt langsam von der einen Lotte zur
anderen und schüttelt den Kopf. Dann aber
huscht ein Lächeln über ihr Gesicht. Sie zieht
die eine Lotte tüchtig am Zopf. Im nächsten 15
Augenblick klatscht eine Ohrfeige. Und, mit der
Hand an der Backe, ruft Trude begeistert: »Das
da war Luise!«
huschen, leichte und schnelle Bewegung, die man fast nicht bemerkt
klatschen, hier: wenn man den Schlag hört
die Ohrfeige, Schlag mit der Hand ins Gesicht
15
sagt er zu seiner Frau: »Weißt du, ich schicke
ein paar davon an eine Illustrierte oder ein
Magazin. Sie interessieren sich für so was!«
Vor dem Geschäft bindet Luise ihre Zöpfe
5 auf, schüttelt die Locken und lädt Lotte zu
16
Luise beugt sich vor und flüstert: »Ich
auch!« Lotte bewegt sich nicht. Mit großen
Augen schauen sich die beiden Kinder an.
Dann fragt Luise aufgeregt: »Und ... und wo
bist du geboren?« Lotte antwortet leise: »In
Linz an der Donau!« Luise fährt sich mit der
Zunge über die trockenen Lippen. »Ich auch!«
Es ist ganz still. Langsam sagt Lotte: »Ich
habe ein Foto von ... von meiner Mutti im
Schrank.« Luise springt auf.
Im Kinderheim, im Schrank, unter der
Wäsche, holt Lotte eine Fotografie hervor.
Luise schaut ängstlich auf das Bild. Dann
presst sie es wild an sich und flüstert: »Meine
Mutti!« Lotte legt den Arm um Luises Hals.
»Unsere Mutti!«
Drittes Kapitel
16
grünen Sees bei Seebühl. Denn sie haben die
Wahrheit nicht erzählt. Sie wollen ihr
Geheimnis für sich behalten.
18
noch gemocht, nicht?«
»Bestimmt!«, sagt Lotte. »Aber dann haben
sie sich sicher gezankt. Und sind voneinander
fort. Und haben uns genauso geteilt wie Mut
tis Vornamen!«
»Eigentlich hätten sie uns fragen müssen,
ob sie uns halbieren dürfen!«
»Damals konnten wir ja noch gar nicht
reden!«
Die beiden Schwestern lächeln hilflos.
Dann gehen sie in den Garten.
Viertes Kapitel
20
und ziehen Girlanden von Baum zu Baum. Nur
die Zwillinge sind nicht dabei, denn sie haben
keine Zeit! Sie sitzen weit weg im Gras mit
Bleistiften und Heften und schreiben.
Lotte diktiert: »Am liebsten mag Mutti 5
Nudelsuppe mit Rindfleisch. Das Rindfleisch
kaufst du beim Fleischer Huber.«
Luise hebt den Kopf. »Fleischer Huber, in
der Max'EmanueLStraße.«
Lotte nickt. »Das Kochbuch liegt im 10
Schrank, unten links. Und in dem Buch sind
die Rezepte.« Luise notiert: »Kochbuch,
Küchenschrank . . . » Dann blickt sie auf und
sagt: »Vor dem Kochen habe ich Angst. Wenn
es nun schief geht?« 15
»Du musst mir gleich schreiben, wenn etwas
nicht klappt!« antwortet Lotte. »Ich gehe
21
jeden Tag aufs Postamt und frage, ob etwas
angekommen ist!« »Ich auch«, meint Luise.
»Schreib nur recht oft!«
Dann beugen sich beide wieder über ihre
5 Hefte und hören einander die Namen der
tauschen, wechseln
22
Zöpfen, und brav, als Lotte zur Mutter nach
München! Und Lotte fährt, mit offenem Haar
und so lustig, wie sie es nur kann, zum Vater
nach Wien!
23
Fünftes Kapitel
24
Fünftes Kapitel
24
Frau Luiselotte Palfy ist im Verlag, wo sie
arbeitet, verspätet worden. Endlich hat sie ein
Taxi. Sie läuft auf den Bahnsteig. Leer!
Nein! Ganz, ganz hinten sitzt ein Kind auf
einem Koffer. Die junge Frau rast dorthin. 5
Das Mädchen, das auf dem Koffer hockt,
springt ihr an den Hals. Diese junge
glückstrahlende, diese wirkliche Frau ist ja die
Mutter!
»Mutti!« 10
»Endlich, endlich habe ich dich wieder«,
flüstert die junge Frau unter Tränen.
Der Kindermund küsst leidenschaftlich ihr
weiches Gesicht, ihre zärtlichen Augen, ihre
Lippen, ihr Haar, ihr Hütchen. Ja, das Hüt- 15
chen auch!
25
dincks »Hänsel und Gretel«! Resi bringt dich
ins Theater und holt dich auch wieder ab.«
»Oh!« Lotte strahlt. »Kann ich dich von
meinem Platz aus sehen?« »Natürlich.«
5 »Und schaust du auch zu mir hin?« »Na
sicher!«
»Und darf ich winken?« »Ich werde sogar
zurückwinken, Luise!«
Dann läutet das Telefon.
w Am anderen Ende redet eine Frauenstimme.
Der Vater antwortet kurz. Aber als er dann den
Hörer auflegt, muss er doch weg. Er muss noch
ein paar Stunden allein sein, ja, und kompo
nieren. Denn er ist ja nicht nur Kapellmeister,
15 sondern auch Komponist. Und komponieren
kann er nun einmal nicht zu Hause. Nein,
dafür hat er sein Atelier in der Ringstraße.
Also, »Auf Wiedersehen!«
»Und ich darf dir in der Oper zuwinken,
20 Vati?«
»Natürlich, Kind. Warum denn nicht?«
Kuss auf die ernste Kinderstirn! Hut auf den
Kopf! Die Tür schlägt zu.
Das kleine Mädchen geht langsam zum
25 Fenster und denkt über das Leben nach. Die
Mutter darf nicht, der Vater kann nicht zu
Hause arbeiten.
26
Man hat es schwer mit den Eltern!
Aber wie kam es eigentlich zu der Scheidung
zwischen ihnen? Also, der Herr Kapellmeister
Ludwig Palfy ist ein Künstler, und Künstler
sind seltsame Menschen. Zwar ist er ganz nett 5
gekleidet, beinahe elegant, aber sein Innenle-
ben! Das ist kompliziert! Wenn er einen musi-
kalischen Einfall hat, muss er ihn auf der Stel
le notieren. Und um zu komponieren muss er
allein sein. Deshalb lief er auch aus der eigenen 10
Wohnung fort, als er noch verheiratet war,
damals, als er ganz jung war, verliebt, glücklich
und verrückt zur gleichen Zeit.
Weil die kleinen Zwillinge Tag und Nacht
krähten, und er sein erstes Konzert dirigieren 15
sollte, da ließ er einfach den Flügel abholen
und in ein Atelier in der Ringstraße bringen.
Und weil er damals sehr viele Einfälle hatte,
kam er nur noch selten zu seiner jungen Frau
und den brüllenden Zwillingen. 20
Luiselotte Palfy, geborene Körner, keine
zwanzig Jahre alt, fand das nicht gut. Und erst
recht nicht, als ihr zu Ohren kam, dass der
Herr Kapellmeister in seinem Atelier nicht
nur Noten notierte, sondern auch mit 25
Opernsängerinnen Gesangsrollen studierte.
die Scheidung, wenn Mann und Frau sich trennen und die Ehe auflösen
krähen, wie ein Vogel schreien
selten, nicht oft
27
Sie reichte die Scheidung ein.
Sechstes Kapitel
28
gegangen. Und beim Fleischer Huber an der
Ecke kauft sie Suppenfleisch.
Luise kocht. Sie hat eine Schürze von Mutti
umgebunden und rennt hin und her zwischen
dem Herd mit den Töpfen und dem Tisch, wo 5
das Kochbuch aufgeschlagen liegt. Jeden
Augenblick schaut sie in die Töpfe. Wenn
kochendes Wasser zischend überläuft, zuckt sie
zusammen. Wie viel Salz soll in die Suppe? Ein
halber Esslöffel! Wie viel Selleriesalz? »Eine 10
Prise!« Wie viel um alles in der Welt ist eine
Prise?
Das Mädchen steigt auf Stühle, schaut in
alle Schränke, starrt auf die Uhr an der Wand,
springt vom Stuhl herunter, nimmt eine Gabel, 15
verbrennt sich die Finger, sticht mit der Gabel
in dem Rindfleisch herum, nein, es ist noch
nicht weich!
Nanu, was liegt denn da friedlich neben dem
Kochbuch? Das Suppengrün! Ach, das muss 20
doch gewaschen und in die Suppe getan wer
den! Und in einer halben Stunde kommt Mut
ti! Und zwanzig Minuten vorher muss man die
29
die Gabel
der Topf
30
Nudeln in kochendes Wasser werfen. Und wie
es in der Küche aussieht! Und ... Und ... !
Luise sinkt auf dem Küchenstuhl zusammen.
A ch Lottchen! Es ist nicht leicht, deine
5 Schwester zu sein.
30
Als Frau Körner müde vom Verlag heim-
kehrt, findet sie keine fröhliche Tochter vor,
sondern ein weinendes, unglückliches Mäd
chen.
»Ach, Mutti! Ich glaube, ich kann nicht 5
mehr kochen!«
»Aber Lottchen, Kochen vergisst man doch
nicht!«, ruft die Mutter erstaunt. Doch zum
Wundern ist wenig Zeit. Als sie endlich im
Wohnzimmer unter der Lampe sitzen und 10
Nudelsuppe löffeln, meint die Mutter tröstend:
»Es schmeckt doch eigentlich sehr gut,
nicht?«
»Ja?« Luise lächelt beruhigt, und nun
schmeckt es ihr selber mit einem Male so gut 15
wie noch nie im Leben!
»Die nächsten Tage koche ich selber«, sagt
die Mutter. »Und wenn du dabei schön auf
passt, kannst du es bald wie vor den Ferien.«
Nach dem Essen waschen sie beide ab. Und 20
Luise erzählt, wie schön es im Ferienheim war.
Von dem Mädchen, das ihr zum Verwechseln
ähnlich war, erzählt sie aber kein Wort!
I trösten, beruhigen
31
das Opernglas der Frack
die Loge, teure Plätze im Theater, in einem kleinen Raum für sich
32
das Opernglas der Frack
| die Loge, teure Plätze im Theater, in einem kleinen Raum für sich
32
Dame kommt herein, setzt sich und lächelt
Lotte zu. Die junge Dame holt ein Opernglas
hervor. Und ein Programm. Und eine Puder
dose. Und Konfekt!
Als die Ouvertüre zu Ende ist, klatscht das
Publikum laut Beifall. Der Kapellmeister Palfy
verbeugt sich. Und dann sieht er zur Loge hin
auf.
Lotte winkt schüchtern mit der Hand. Vati
lächelt noch zärtlicher als vorhin. Da merkt
Lotte, dass nicht nur sie mit der Hand winkt,
sondern auch die Dame neben ihr. Die Dame
winkt Vati zu?
Ja, wieso hat Luise nichts von der fremden
Frau erzählt? Kennt Vati sie noch nicht lange?
Aber wie darf sie ihm dann so zärtlich zuwin
ken?
Dann hebt sich der Vorhang, und auf der
Bühne werden Hänsel und Gretel von ihren
Eltern in den Wald geschickt. Die wollen ihre
Kinder loswerden. Dabei haben sie die Kinder
doch lieb!
Wie können sie dann so böse sein? Oder
sind sie gar nicht böse? Ist nur das, was sie tun,
böse? Sie sind traurig darüber.
Warum machen sie es dann?
| berichten, erzählen
34
die Summe in ein Heft.
Sogar dem Vater ist aufgefallen, dass der
Haushalt früher mehr gekostet hat, dass jetzt
sehr oft Blumen auf dem Tisch stehen und dass
es in der Rotenburgstraße jetzt richtig gemütlich 5
ist.
Dass er jetzt öfter und länger zu Hause sitzt, ist
auch Fräulein Irene Gerlach, der Dame aus der
Oper, aufgefallen. Sie weiß, was sie will. Sie will
Herrn Palfy heiraten. Er ist berühmt. Er gefällt 10
ihr. Sie gefällt ihm. Nur weiß er noch nichts von
seinem kommenden Glück. Aber sie wird es
ihm vorsichtig beibringen, so dass er glaubt, es
sei seine Idee mit der Heirat. Ein Problem gibt
es aber noch: das Kind. Aber damit wird Irene 15
Gerlach wohl auch fertigwerden.
35
nichts kann man sehen. Ein Atelier müsste
man haben!«
»Warum mieten Sie sich denn keines, Herr
Gabele?« »Weil es keine zu mieten gibt! Ate-
5 liers sind selten!« Nach einer Pause sagt Lot
Meinung hat.«
Lotte nickt. »Ich werde ihn gleich fragen!«
36
sich zuerst, denn er kann es für den Tod nicht
leiden, wenn man ihn bei der Arbeit stört.
Aber dann gefällt es ihm doch, mit ihr zusam
men zu sitzen und zu plaudern.
Es klingelt. 5
37
»Er hat zu wenig L ic h t... von oben. Nicht so
wie hier.«
»Dann soll er sich ein Atelier mit Oberlicht
mieten«, bemerkt der Kapellmeister und
5 merkt nicht, dass er genau dorthin steuert,
das Biest, sagt man, wenn man sich über eine Person ärgert
der Flur, der Raum, der Wohnungstür und Zimmer verbindet
38
hinaus. Er küsst die duftende Frauenhand.
»Auf heute Abend also«, sagt er.
»Vielleicht hast du keine Zeit?«
»Wieso Liebling?«
»Vielleicht ziehst du gerade um!« 5
Er lacht.
»Lache nicht zu früh!« Ärgerlich steigt die
Dame die Treppe hinab.
39
sein Haar und sagt spitz: »Dann werde ich
morgen mein bestes Kleid anziehen, Liebling,
um bei deiner Tochter um deine Hand anhal-
ten.« Wieder sitzt ein Pfeil in seinem Herzen.
5 Und diesmal ist der Pfeil vergiftet.
40
ger allein sein. Ich will wieder heiraten!«
»Nein!«, sagt das Kind laut. Es klingt wie ein
Schrei. »Bitte, nein, Vati, bitte, nein, bitte,
nein!«
»Du kennst Fräulein Gerlach ja schon. Sie 5
hat dich sehr gem. Und sie wird dir eine gute
Mutter sein!« Lotte schüttelt den Kopf und
bewegt dazu lautlos die Lippen. Der Vater
blickt rasch weg und sagt: »Also, Luise, ich
weiß, dass ich mich auf dich verlassen kann. 10
Du bist der vernünftigste kleine Kerl, den es
gibt!« Er schaut auf die Uhr.
»So, jetzt muss ich gehen!«
41
Nachdem Resi ihr den Weg erklärt hat,
zieht Lotte den Mantel an und sagt: »Ich gehe
jetzt weg.«
42
du und ich - wenn wir erst einige Zeit zusam'
men gewohnt haben - werden die besten
Freundinnen sein! Wir wollen uns beide viel
Mühe geben, ja? Meine Hand darauf!«
5 Lotte weicht zurück und sagt ernst: »Sie
dürfen Vati nicht heiraten!«
»Und warum nicht?«
»Weil Sie es nicht dürfen!«
»Du willst mir verbieten, die Frau deines
io Vaters zu werden?«
»Ja!«
»Das ist wirklich zu viel!« Die junge Dame
ist böse, und ihre Stimme ist scharf: »Ich muss
dich bitten, jetzt nach Hause zu gehen!«
15 A n der Tür dreht sich Lotte noch einmal
um und sagt: »Lassen Sie uns so, wie wir sind!
Bitte, bitte!«
Dann ist Fräulein Gerlach allein. Das Kind
muss in ein Internat! So schnell wie möglich!
20 Hier kann nur noch eine strenge Hand helfen!
44
Resi das verstörte Mädchen ins Kinderzimmer,
zieht ihm die Kleider aus und legt es ins Bett.
»Nichts dem Vati erzählen!« Lottes Zähne
klappern.
Resi rennt zum Telefon und ruft den Arzt. 5
Dann rast sie wieder ins Schlafzimmer. Das
Kind schlägt um sich und redet durcheinander.
Was soll man machen? Umschläge? Aber was
für welche? Kalte? Heiße? Nasse? Trockene?
Resi ruft auch in der Staatsoper an. 10
verstört, unklar
der Umschlag, Lappen mit kaltem oder warmem Wasser befeuchtet
die Masern, Kinderkrankheit
seelisch, nicht körperlich
45
sagt eine Frauenstimme. »Aber wieso erzählt
sie dir das?« Er antwortet nicht, sondern fragt
weiter: »Und was wollte sie?«
Fräulein Gerlach lacht ärgerlich. »Das lass
5 dir doch von ihr erzählen!«
46
Neuntes Kapitel
47
Neuntes Kapitel
47
Aber warum hat Lottchen nichts davon
erzählt? Mein Gott, wie sie einander gleichen!
Meine beiden, beiden Lieblinge!
Was soll nun geschehen? Ich werde mit
5 Lottchen reden! Aber ist es denn überhaupt
Lottchen?
| riechen, duften
48
Gerlach gibt, wie Lotte ängstlich geschrieben
hat, hat sie nicht erzählt. »Ich denke darüber
nach, was jetzt werden soll,« sagt die Mutter.
»Lotte hat sicher großes Heimweh nach dir.
Und du doch auch nach ihr, nicht wahr, Mut- 5
ti?«
Die Mutter nickt.
»Und ich ja auch ... nach Lotte und . . . »
ti?«
Die Mutter nickt.
»Und ich ja auch ... nach Lotte und . . . »
Zehntes Kapitel
50
»Was fehlt denn dem Kind?«, fragt sie
besorgt.
»Nervenfieber«, antwortet er. »Das Schlimm
ste ist überstanden, sagt der Arzt.«
»Ein tüchtiger Arzt?« 5
»Lottchens?«
Er winkt lächelnd ab. » Luise kommt auch
mit!«
4* 51
»Luise? Da liegt sie doch!«
Er schüttelt den Kopf. »Nein, das ist der
Zwilling.«
»Zwilling?«
5 »Sorgen Sie dafür, dass wir zu essen haben.«
Der Vater betrachtet das schlafende Kind.
Das ist nun also die andere kleine Tochter!
Sein Lottchen!
Welche Tapferkeit und Willenskraft. Vom
io Vater hat es diesen Mut wohl nicht. Von
wem? Von der Mutter?
Wieder läutet das Telefon. Resi steckt den
Kopf ins Zimmer. »Fräulein Gerlach!« Herr
Palfy schüttelt, ohne sich umzudrehen, den
15 Kopf.
52
ist es still. Luise schläft. Lotte schläft.
Frau Körner und der Kapellmeister haben
bis vor wenigen Minuten im Nebenzimmer
gesessen. Sie haben vieles besprochen. Dann
ist er aufgestanden und hat gesagt: »So! Nun 5
gend um.
»Kommst du morgen zum Frühstück?«
»Ich komme!«
53
neu?«, fragt sie.
»Ich konnte nicht mit dir sprechen. Das
Kind war schwer krank. Außerdem ist meine
Frau jetzt da!«
5 »Wer?«
»Meine gechiedene Frau. Sie kam heute
morgen mit dem anderen Kind.«
»Mit dem anderen Kind?«, fragt die junge
Dame.
io »Ja, es sind Zwillinge.« Er erzählt ihr, was er
erst seit gestern weiß.
Die Dame lacht böse. »Die Situation ist
pikant, nicht wahr? In der einen Wohnung
sitzt eine Frau, mit der du nicht mehr, und in
15 der anderen eine, mit der du noch nicht ver-
heiratet bist!«
Er wird ärgerlich. »Es gibt noch viel mehr
Wohnungen, wo Frauen sitzen, mit denen ich
noch nicht verheiratet bin!«
20 »Oh!« Sie steht auf.
»Entschuldige, Irene, ich bin nervös!«
»Entschuldige, Ludwig, ich auch!« Bums!
Die Tür ist zu, und Fräulein Gerlach ist gegan
gen.
25 Einige Zeit starrt Flerr Palfy auf die Tür.
Dann geht er zum Flügel und setzt sich.
Eine Zeitlang spielt er vom Blatt. Dann
moduliert er. Von c-moll nach Es-Dur. Und
54
langsam, ganz langsam erklingt eine neue
Melodie. Eine Melodie, so einfach, als ob zwei
kleine Mädchen mit ihren hellen, reinen Kin-
derstimmen sie singen würden. A u f einer
Sommerwiese, an einem See, in dem sich der 5
Elftes Kapitel
55
eigentlich nichts schenken?«
Lottchen holt tief Atem und sagt: »Weil wir
uns etwas wünschen, was man nicht kaufen
kann!«
5 »Was wünscht ihr euch denn?«, fragt Mutti.
Nun holt Luise tief Luft. Dann erklärt sie:
»Lotte und ich wünschen uns von euch zum
Geburtstag, dass wir von nun an immer zusam-
menbleiben dürfen!« Endlich ist es heraus!
10 Die Eltern schweigen.
Lotte sagt ganz leise: »Dann braucht ihr uns
auch niemals im Leben wieder etwas zu schen
ken! Zu keinem Geburtstag. Und zu keinem
Weihnachtsfest mehr!«
15 »Ihr könnt es wenigtens versuchen!« Luise
hat Tränen in den Augen.
Der Vater steht auf. »Ist es dir recht, Luise-
lotte, wenn wir nebenan ein paar Worte mit
einander sprechen?«
20 »Ja, Ludwig«, antwortet seine geschiedene
Frau.
Und nun gehen die zwei ins Nebenzimmer.
»Daumen halten!«, flüstert Luise aufgeregt.
Vier Daumen werden von vier Händen
25 umklammert und gedrückt. Lotte bewegt ton
los die Lippen.
»Betest du?«, fragt Luise. Lotte nickt. Da
| der Atem, die Luft, die man durch Mund und N ase zieht
56
fängt auch Luise an, die Lippen zu bewegen.
57
»Vater und Mutter wollen sie haben, unsere
Kinder! Ist das unbescheiden?«, fragt die Frau.
»Nein! Aber es gibt auch bescheidene Wün
sche, die nicht zu erfüllen sind.«
5 »Warum nicht?«
Überrascht wendet er sich um. »Das fragst
du mich? Nach allem, was war?«
Sie schaut ihn ernst an und nickt. Dann sagt
sie:
10 »Ja! Nach allem, was gewesen ist!«
Luise steht an der Tür und presst ein Auge
ans Schlüsselloch. »Oh, oh, oh! Vati gibt
Mutti einen Kuss!«
Lottchen schiebt die Schwester weg und
i5 starrt nun durch das Schlüsselbch.
»Nun?«, fragt Luise. »Noch immer?«
»Nein«, flüstert Lotte und richtet sich strah
lend hoch. »Nun gibt Mutti Vati einen Kuss!«
Da fallen sich die Zwillinge glücklich in die
20 Arme.
das Schlüsselloch
58
Zwölftes Kapitel
59
Alle starren ihn an. Schon am Hochzeitstag
will er wieder ins Atelier in der Ringstraße?
Nur die Resi lacht lautlos in sich hinein.
Herr Palfy geht zu Herr Gabeles Woh-
5 nungstür und schließt in aller Ruhe auf. Lott-
chen rennt zu ihm. A n der Tür ist ein neues
60
der Strauß
60
Schild angebracht, und auf dem neuen Schild
steht »Palfy«!
»Oh, Vati!«, ruft sie überglücklich.
»Geht mit Resi in die Küche und helft ihr.
Ich zeig Mutti meine Wohnung. Und wenn 5
das Essen soweit ist, klingelt ihr!« Er nimmt
seine Frau an der Hand.
»Was für eine schöne Überraschung!«, meint
sie.
»Es war schon lange Lottchens Wunsch, 10
bevor es auch meiner wurde«, sagt er und
führt sie ins Arbeitszimmer. »Im dritten Stock
links werden wir zu viert glücklich sein, und
im dritten Stock rechts ich allein, aber mit
euch Wand an Wand.« 15
61
spielt seiner Frau das Duett in Es-Dur vor, das
bis in die Küche der Nachbarwohnung dringt.
Die drei dort sind so leise wie möglich, um
sich auch keinen Ton entgehen zu lassen.
Als das Lied ausklingt, fragt Lottchen vor
sichtig: »Wie ist das eigentlich, Resi? Nun, wo
Vati und Mutti wieder mit uns zusammen
sind, können Luise und ich doch noch
Geschwister bekommen?«
»Ja, sicher!«, erklärt Resi. »Wollt ihr denn
welche haben?«
»Natürlich«, meint Luise.
»Buben oder Mädchen«, fragt Resi.
»Buben und Mädchen!«, sagt Lottchen.
Luise aber ruft: »Und lauter Zwillinge!«
63
10. Was geschieht, als plötzlich die Fotos
auftauchen?
SPRA C H Ü BU N G EN
64
B. Bilde das Präteritum:
65
M a n ................. es schwer mit den Eltern.
R e s i................ein anderer Mensch geworden.
I c h ................. in Sorge, sagt die Mutter.
Im Oktober................ die Mädchen Geburtstag.
Vati und M u tti................. wieder zusammen.
66
N11< Zentral- und Landesbibliothek Berlin
39799021
109
EASY READERS
w e r d e n in vie r Reihen
herausgegeben:
EB
basiert auf einem Wortschatz
von 600 Wörtern (A2)
H REa ö ISB N 9 7 8 -8 7 -2 3 -9 0 6 3 9 -7
9788723906397
C, Jp
* 7 ZO v 9 788 723 906397