Psychiatrie

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Springer-Lehrbuch

F. Schneider
S. Weber-Papen

Psychiatrie,
Psychosomatik und
Psychotherapie
… in 5 Tagen

Unter Mitarbeit von Ingo Vernaleken

123
Prof. Dr. med. Dr. rer. soc. Frank Schneider
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Universitätsklinikum Aachen
RWTH Aachen
Pauwelsstr. 30
52074 Aachen
[email protected]
www.psychiatrie.ukaachen.de

Dipl.-Psych. cand. med. Sabrina Weber-Papen


Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Universitätsklinikum Aachen
RWTH Aachen
Pauwelsstr. 30
52074 Aachen

ISBN 978-3-540-89049-2 Springer Medizin Verlag Heidelberg

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gebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen.

Planung: Renate Scheddin, Heidelberg


Projektmanagement: Axel Treiber, Heidelberg
Lektorat: Ursula Illig, Stockdorf
Layout und Umschlaggestaltung: deblik Berlin
Umschlagmotiv: © Yuri Arcurs - Fotolia.com
Satz: Fotosatz-Service Köhler GmbH – Reinhold Schöberl, Würzburg

SPIN 12559343

Gedruckt auf säurefreiem Papier 15/2117 – 5 4 3 2 1 0


V

Vorwort
Das vorliegende Werk wurde speziell für Medizinstudentinnen und -studenten zur schnellen Prüfungs-
vorbereitung auf das so genannte »Hammerexamen« geschrieben: für das schnelle und kurzfristige Wieder-
holen examensrelevanter Fakten.

Der formale Aufbau entspricht einem 5-tägigen Repetitorium, in dem der kompakt, aber dennoch umfas-
send dargestellte Lernstoff maximal innerhalb einer Woche erarbeitet werden kann. Inhaltlich orientiert sich
das Buch am Gegenstandskatalog und an den prüfungsrelevanten Themen aller Hammerexamina der letz-
ten Jahre. Besonderen Wert haben wir darauf gelegt, dass bisherige und potenzielle Fragen des IMPP nach
dem Durcharbeiten des vorliegenden Buches korrekt beantwortet werden können.

Natürlich soll das Buch nicht nur eine schnelle und zielgerichtete Prüfungsvorbereitung ermöglichen, son-
dern eignet sich auch als vorlesungs-, kurs- und praktikumsbegleitende Lektüre – zum raschen Nachschla-
gen wesentlicher Sachverhalte ohne unnötigen Ballast. Optimalerweise sollte man während des Studiums
ein ausführlicheres Psychiatrie-Lehrbuch studiert haben. Aber auch ohne eine solche Lektüre, soll dieses
Buch dazu verhelfen, dass unsere Leser sicher durch das »Hammerexamen« kommen.

Unser besonderer Dank gilt zwei Mitarbeitern der Aachener Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie: dem
Juniorprofessor Dr. med. Ingo Vernaleken, der mit großer Sorgfalt und Fachkenntnis die Manuskripterstel-
lung begleitet hat und der Ärztin und PJ-Mentorin der Klinik, Annegret Drangmeister, die uns durch ihre
kritische Durchsicht der Kapitel unterstützend zur Seite stand. Den Aachener Medizinstudenten, die frühere
Fassungen des Manuskriptes gelesen und gelernt haben, danken wir für die vielen kritischen Hinweise auf
Ballast und Unnötiges, wodurch dieses Kompendium so kurz und verständlich wie möglich gehalten werden
konnte. Auch den verantwortlichen Mitarbeitern des Springer Verlages, Renate Scheddin und Axel Treiber,
sowie der Lektorin Ursula Illig, möchten wir ganz herzlich für die konstruktive Zusammenarbeit danken.
Sie alle halfen uns, Sachverhalte noch kürzer und noch prägnanter zu beschreiben.

Wir wünschen allen Lesern viel Erfolg bei den schriftlichen und mündlichen Prüfungen des »Hammer-
examens«! Über eine Rückmeldung, ob das vorliegende Werk auch Ihnen eine wertvolle Hilfe war, wären
wir unseren Lesern nach ihrem Examen sehr dankbar.

Aachen, im Herbst 2009


F. Schneider, S. Weber-Papen
VII

Inhaltsverzeichnis
1 Gesundheitsstörungen 4.9 Allgemeine Psychopharmakotherapie
und Psychopathologie . . . . . . . . . . . 1 im Alter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77
1.1 Aufmerksamkeits- und Konzentrations- 4.10 Psychopharmakainduzierte Notfälle . . . . 78
störungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
1.2 Bewusstseins- und Orientierungs- 5 Psychotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . 81
störungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 5.1 Psychotherapeutische Ansätze . . . . . . . 82
1.3 Formale Denkstörungen . . . . . . . . . . . 6 5.2 Verhaltenstherapie . . . . . . . . . . . . . . . 83
1.4 Ich-Störungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 5.3 Psychoanalytische Therapieverfahren . . . 89
1.5 Mnestische Störungen . . . . . . . . . . . . 9 5.4 Gesprächspsychotherapie . . . . . . . . . . 93
1.6 Neuropsychologische Symptome . . . . . 11 5.5 Systemische Paar- und Familientherapie . 93
1.7 Probleme im Sozialverhalten . . . . . . . . 12 5.6 Entspannungsverfahren . . . . . . . . . . . . 94
1.8 Selbst- und Fremdgefährdung . . . . . . . 13 5.7 Biofeedback . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94
1.9 Störungen der Affektivität . . . . . . . . . . 14 5.8 Psychoedukation . . . . . . . . . . . . . . . . 95
1.10 Störungen der Krankheitsbewältigung . . 18 5.9 Schulenübergreifende Psychotherapie . . 95
1.11 Störungen von Antrieb
und Psychomotorik . . . . . . . . . . . . . . 19 6 Weitere Therapieformen . . . . . . . . . . 97
1.12 Vegetative Störungen . . . . . . . . . . . . . 21 6.1 Elektrokrampftherapie . . . . . . . . . . . . 98
1.13 Wahn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 6.2 Lichttherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
1.14 Wahrnehmungsstörungen . . . . . . . . . . 25 6.3 Schlafentzugstherapie . . . . . . . . . . . . . 100
1.15 Zwänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 6.4 Physiotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . 100
6.5 Soziotherapie, Versorgung, Rehabilitation 100
2 Psychiatrische Diagnostik . . . . . . . . . 29
2.1 Anamnese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 7 Schizophrenie . . . . . . . . . . . . . . . . . 103
2.2 Psychopathologischer Befund . . . . . . . . 31
2.3 Körperliche Untersuchung . . . . . . . . . . 32 8 Affektive Störungen . . . . . . . . . . . . . 115
2.4 Testpsychologische Diagnostik . . . . . . . 35
2.5 Klassifikation psychischer Erkrankungen . 39 9 Angststörungen . . . . . . . . . . . . . . . . 129

3 Forensische Psychiatrie . . . . . . . . . . 41 10 Zwangsstörungen . . . . . . . . . . . . . . 137


3.1 Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
3.2 Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 11 Anpassungs- und Belastungs-
3.3 Unterbringungsrecht . . . . . . . . . . . . . 46 störungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
3.4 Sozialrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49
3.5 Fahreignung und Fahrtüchtigkeit . . . . . . 50 12 Dissoziative Störungen
(Konversionsstörungen) . . . . . . . . . . 147
4 Psychopharmakotherapie . . . . . . . . . 53
4.1 Antidepressiva . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 13 Somatoforme Störungen . . . . . . . . . 153
4.2 Phasenprophylaktika
(Stimmungsstabilisierer) . . . . . . . . . . . 62 14 Essstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
4.3 Antipsychotika . . . . . . . . . . . . . . . . . 66
4.4 Benzodiazepine . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 15 Schlafstörungen . . . . . . . . . . . . . . . 165
4.5 Nichtbenzodiazepin-Hypnotika . . . . . . . 74
4.6 Nichtbenzodiazepin-Anxiolytika . . . . . . 75 16 Sexualstörungen . . . . . . . . . . . . . . . 171
4.7 Antidementiva (Nootropika) . . . . . . . . . 75
4.8 Stimulanzien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 17 Persönlichkeitsstörungen . . . . . . . . . 177
VIII Inhaltsverzeichnis

18 Abnorme Gewohnheiten und Störungen 24 Entwicklungsstörungen . . . . . . . . . . 233


der Impulskontrolle . . . . . . . . . . . . . 187 24.1 Umschriebene Entwicklungsstörungen . . 234
24.2 Tiefgreifende Entwicklungsstörungen,
19 Missbrauch und Abhängigkeit . . . . . 191 Autismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236
24.3 Enuresis und Enkopresis . . . . . . . . . . . 239
20 Psychische Faktoren bei somatischen
Erkrankungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 25 Intelligenzminderung . . . . . . . . . . . 241
20.1 Psychische Komorbiditäten
bei körperlichen Erkrankungen . . . . . . . 214 26 Demenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245
20.2 Psychosomatische Aspekte bei
ausgewählten organischen Erkrankungen 214 27 Delir und weitere organische
20.3 Psychotherapeutische Maßnahmen . . . . 217 psychische Erkrankungen . . . . . . . . . 255
27.1 Delirante Syndrome . . . . . . . . . . . . . . 256
21 Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts- 27.2 Organisches amnestisches Syndrom
störung (ADHS) . . . . . . . . . . . . . . . . 219 (nicht durch Alkohol oder psychotrope
Substanzen bedingt) . . . . . . . . . . . . . . 259
22 Ticstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 27.3 Organische Persönlichkeitsstörung . . . . 260
27.4 Andere psychische Erkrankungen
23 Emotionale und soziale Verhaltens- aufgrund einer zerebralen Schädigung
störungen mit Beginn in Kindheit oder Funktionsstörung oder einer
und Jugend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 körperlichen Krankheit . . . . . . . . . . . . 260
23.1 Störungen des Sozialverhaltens . . . . . . . 228
23.2 Emotionale Störungen des Kindesalters . . 229 28 Suizidalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263
23.3 Elektiver/selektiver Mutismus . . . . . . . . 231
23.4 Bindungsstörungen . . . . . . . . . . . . . . 231 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267
1
Tag 1 – Symptome, Diagnostik, Forensik

1 Gesundheitsstörungen
und Psychopathologie
1.1 Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen – 4

1.2 Bewusstseins- und Orientierungsstörungen – 4


1.2.1 Bewusstseinsstörungen – 5
1.2.2 Orientierungsstörungen – 5
1.2.3 Verwirrtheit – 6

1.3 Formale Denkstörungen – 6


1.3.1 Eingeengtes Denken – 6
1.3.2 Gedenkenabreißen/gesperrtes Denken – 6
1.3.3 Ideenflüchtiges Denken, Gedankendrängen – 6
1.3.4 Kontaminationen – 7
1.3.5 Perseverationen – 7
1.3.6 Umständliches Denken – 7
1.3.7 Verlangsamtes Denken, Denkhemmung – 7
1.3.8 Vorbeireden – 8
1.3.9 Zerfahrenes/inkohärentes Denken – 8

1.4 Ich-Störungen – 8
1.4.1 Entfremdungserlebnisse – 8
1.4.2 Psychotische Ich-Störungen – 9

1.5 Mnestische Störungen –9


1.5.1 Amnesie – 9
1.5.2 Gedächtnisstörungen – 10
1.5.3 Konfabulationen – 10
1.5.4 Merkfähigkeitsstörungen – 10
1.5.5 Paramnesien – 10
1.5.6 Zeitgitterstörungen – 11

1.6 Neuropsychologische Symptome – 11

1.7 Probleme im Sozialverhalten – 12


1.7.1 Bindungs- und Beziehungsstörungen – 12
1.7.2 Dissoziales Verhalten – 12
1.7.3 Schulschwierigkeiten – 12
1.7.4 Sozialer Rückzug – 12
1.7.5 Soziale Umtriebigkeit – 13

1.8 Selbst- und Fremdgefährdung – 13


1.8.1 Aggressivität – 13
1.8.2 Selbstbeschädigung – 13
1.8.3 Suizidalität – 13

1.9 Störungen der Affektivität – 14


1.9.1 Affektinkontinenz – 14
1.9.2 Affektlabilität – 14
1.9.3 Affektstarrheit – 14
1.9.4 Affektstauung – 14
1.9.5 Affektverarmung – 15
1.9.6 Ambivalenz – 15
1.9.7 Anhedonie – 15
1.9.8 Ängste – 15
1.9.9 Depressivität/Deprimiertheit – 16
1.9.10 Dysphorie – 16
1.9.11 Euphorie – 16
1.9.12 Gereiztheit – 16
1.9.13 Gesteigerte Selbstwertgefühle – 17
1.9.14 Hoffnungslosigkeit – 17
1.9.15 Innere Unruhe – 17
1.9.16 Insuffizienzgefühle – 17
1.9.17 Klagsamkeit – 17
1.9.18 Läppischer Affekt – 17
1.9.19 Parathymie – 18
1.9.20 Psychische Verstimmung – 18
1.9.21 Ratlosigkeit – 18
1.9.22 Schuldgefühle – 18
1.9.23 Verarmungsgefühle – 18

1.10 Störungen der Krankheitsbewältigung – 18

1.11 Störungen von Antrieb und Psychomotorik – 19


1.11.1 Antriebsstörungen – 19
1.11.2 Ermüdungssyndrom (Burnout-Syndrom) – 19
1.11.3 Interessenverarmung – 20
1.11.4 Katatonie – 20
1.11.5 Motorische Unruhe – 21
1
1.11.6 Theatralismus – 21
1.11.7 Verlangsamtes bzw. herabgesetztes Reaktionsvermögen – 21

1.12 Vegetative Störungen – 21


1.12.1 Appetitstörungen – 21
1.12.2 Schlafstörungen – 21
1.12.3 Sexuelle Störungen – 22
1.12.4 Vegetative Störungen – 22
1.12.5 Zirkadiane Besonderheiten/Tagesschwankungen – 22

1.13 Wahn – 22
1.13.1 Formale Wahnmerkmale – 23
1.13.2 Inhaltliche Wahnmerkmale – 23

1.14 Wahrnehmungsstörungen – 25
1.14.1 Halluzinationen – 25
1.14.2 Illusionen – 26
1.14.3 Körperschemastörung – 26
1.14.4 Wahrnehmungsanomalien, einfache Wahrnehmungs-
veränderungen – 26

1.15 Zwänge – 27
4 Kapitel 1 · Gesundheitsstörungen und Psychopathologie

Eigene Notizen 1.1 Aufmerksamkeits- und Konzentrations-


1 störungen

Definition
Aufmerksamkeitsstörung: Störung der Fähigkeit, das Bewusstsein –
aktiv oder passiv – einer bestimmten Tätigkeit, einem bestimmten men-
talen oder physischen Gegenstand oder Sachverhalt zuzuwenden.
Konzentrationsstörung: eingeschränkte Fähigkeit, die Aufmerksamkeit
ausdauernd einem bestimmten Gegenstand/Sachverhalt oder einer
bestimmten Tätigkeit zuzuwenden; Maß für die Intensität der Aufmerk-
samkeit.

4 Unspezifische Störungen; Vorkommen bei nahezu allen psychischen


Erkrankungen, insbesondere bei Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivi-
täts-Störung (ADHS), affektiven Erkrankungen, Schizophrenien, Be-
lastungsstörungen, organischen psychischen Erkrankungen (v. a. De-
menzen)
4 Verschiedene Aufmerksamkeitskomponenten
4 Alertness: Reaktionsbereitschaft, ungerichtete Aufmerksamkeit
4 Gerichtete Aufmerksamkeit: selektive bzw. fokussierte Aufmerksam-
keit auf relevante Reize bei gleichzeitiger Unterdrückung irrelevanter
Störreize, flexibler Wechsel des Aufmerksamkeitsfokus
4 Daueraufmerksamkeit: langandauernde Aufmerksamkeitszuwendung
bei hoher Frequenz relevanter Reize
4 Vigilanz: Aufmerksamkeitserhaltung unter monotonen Reizbedin-
gungen (niedrige Frequenz relevanter Reize)
4 Geteilte Aufmerksamkeit: Aufmerksamkeitsausrichtung auf 2 oder
mehr Reize gleichzeitig

1.2 Bewusstseins- und Orientierungsstörungen

Definition
Bewusstsein: alle Zustände, die von einem Individuum erlebt werden.
Bewusstseinsstörungen: Bewusstseinsverminderungen (quantitative
Bewusstseinsstörungen) oder Bewusstseinsveränderungen (qualitative
Bewusstseinsstörungen).
Orientierungsstörungen: mangelnde Orientierung über zeitliche,
räumliche, situative und/oder persönliche Gegebenheiten.
1.2 · Bewusstseins- und Orientierungsstörungen
5 1
1.2.1 Bewusstseinsstörungen Eigene Notizen

4 Quantitative Bewusstseinsstörungen: Störungen der Vigilanz (Wach-


heit)
5 Abstufungen
J Benommen (verlangsamt)
J Somnolent (schläfrig-benommen, leicht weckbar)
J Soporös (nur durch starke Reize erweckbar)
J Komatös (bewusstlos, nicht weckbar)
5 Meist bei akuten organischen Störungen
4 Qualitative Bewusstseinsstörungen
5 Bewusstseinstrübung
J Verlust des Erlebniszusammenhangs
J Beeinträchtigte Fähigkeit, bestimmte Aspekte der eigenen Person
und der Umwelt zu verstehen, sie sinnvoll miteinander zu verbin-
den, sich entsprechend mitzuteilen und sinnvoll zu handeln
J Häufig im Delir, aber auch bei Intoxikationen
5 Bewusstseinseinengung: Einengung des bewussten Erlebens durch
Fokussierung auf bestimmte Bereiche
J Häufig in affektiven Ausnahmezuständen
5 Bewusstseinsverschiebung
J Veränderungen im Wacherleben mit dem Gefühl, das Erleben sei
»erweitert«, z. B. mit Gefühlen der Intensitäts- oder Helligkeits-
steigerung
J Häufig im Drogenrausch
5 Dämmerzustand
J Nur geringgradige Bewusstseinstrübung, erhebliche Bewusst-
seinseinengung
J Nach außen häufig noch halbwegs organisiert wirkend aber ver-
mindert steuerungsfähig
J Nachfolgende Amnesie
5 Dissoziation
J Ein oder mehrere Bereiche werden vom Bewusstsein abge-
spalten
J Leitsymptom dissoziativer Störungen/Konversionsstörungen
J Auftreten dissoziativer Phänomene aber auch bei somatoformen
Störungen, Angststörungen, Belastungsstörungen, Bordeline-
Persönlichkeitsstörung, Schizophrenien, affektiven Störungen

1.2.2 Orientierungsstörungen

4 Verlust der Orientierung häufig in der Reihenfolge Zeit (Z) – Ort (O)
– Situation (S) – eigene Person (P)
4 Insbesondere im Rahmen organischer psychischer Erkrankungen (De-
lir, Demenz, amnestisches Syndrom), bei starkem Affekterleben, akuten
Intoxikationen sowie akuten psychotischen Störungen
6 Kapitel 1 · Gesundheitsstörungen und Psychopathologie

Eigene Notizen 1.2.3 Verwirrtheit


1
4 Zustand beeinträchtigter Orientierung, verminderter Auffassungs-
fähigkeit, inkohärenten Denkens sowie gestörter Konzentration und
gestörten Gedächtnisses
4 Im Alter und beim Delir häufig

1.3 Formale Denkstörungen

Definition
Störungen des Denkablaufs, zeigen sich in sprachlichen Äußerungen
des Betroffenen.

4 Differenzierung formaler und inhaltlicher Denkstörungen


> Formale Denkstörungen = Störungen des Denkablaufs
Inhaltliche Denkstörungen (wahnhafte und nicht-wahnhafte) =
abnorme Denkinhalte und z. T. Beeinträchtigung der Realitäts-
kontrolle; z. B. Wahn, Zwangsphänomene, Hypochondrie, Phobie,
überwertige Ideen (überwertige Ideen = lebensbestimmende
Leitgedanken, gefühlsmäßig stark besetzt, korrigierbar)

1.3.1 Eingeengtes Denken

4 Verhaftetsein an ein oder wenige Themen, Fixierung auf wenige Ziel-


vorstellungen oder Denkinhalte (inhaltliche Perseveration)
4 Sonderform: grübelndes Denken (unablässiges Beschäftigtsein mit
meist unangenehmen Themen, die häufig mit der aktuellen Lebens-
situation in Beziehung stehen)
4 Häufig bei depressiven Störungen

1.3.2 Gedenkenabreißen/gesperrtes Denken

4 Plötzlicher Abbruch eines sonst flüssigen Gedankengangs, was vom Pa-


tienten erlebt (Gedankenabreißen) oder von Außenstehenden beobach-
tet wird (gesperrtes Denken)
4 Gedankenabreißen häufig bei Schizophrenie (subjektiv wahrgenom-
mene Sperrung wird als von außen gemacht empfunden)

1.3.3 Ideenflüchtiges Denken, Gedankendrängen

4 Ideenflüchtiges Denken = assoziativ gelockertes Denken


4 Subjektiv oft als Gedankendrängen empfunden (Patient fühlt sich dem
Druck vieler verschiedener Gedanken/Einfälle ausgeliefert)
1.3 · Formale Denkstörungen
7 1

4 Im Gegensatz zur Zerfahrenheit (»roter Faden« nicht mehr nachvoll- Eigene Notizen
ziehbar) ist der Gedankengang noch nachvollziehbar (»roter Faden«
noch nachvollziehbar)
> Ideenflucht ist typisch für die Manie.

1.3.4 Kontaminationen

4 Vermischung nicht zusammengehöriger Sachverhalte


4 Spezielle Form: Wortneubildung (Neologismus), Vermischung mehre-
rer Wörter zu einem neuen
4 Häufig bei Schizophrenien und frühkindlichem Autismus

1.3.5 Perseverationen

4 Beharrliches Wiederholen bzw. Haftenbleiben an zuvor verwendeten


Worten/Floskeln oder zuvor gemachten Angaben, die im aktuellen
Kontext keinen Sinn mehr ergeben (z. B. Patient nach seinem Geburts-
datum gefragt, wiederholt bei allen nachfolgenden Fragen zu zeitlichen
Daten das Geburtsdatum)
4 Verbigeration: sinnloses Wiederholen von Worten; verbale Persevera-
tion als Form der Sprachstereotypie
4 Oft bei organischen psychischen Erkrankungen, seltener bei Depres-
sionen und Schizophrenien

1.3.6 Umständliches Denken

4 Weitschweifigkeit; keine Trennung von Unwesentlichem und Wesent-


lichem, inhaltlicher Zusammenhang bleibt aber erhalten
4 Häufig bei organischen psychischen Erkrankungen (v. a. Demenzen)

1.3.7 Verlangsamtes Denken, Denkhemmung

4 Verlangsamtes Denken = schleppender, mühsamer und verzögerter


Gedankengang (wird vom Untersucher beobachtet, führt oft zu zähflüs-
sigem, trägen Gesprächsverlauf)
4 Subjektiv vom Patienten oft als Denkhemmung (gebremst, verlang-
samt oder blockiert, wie gegen einen Widerstand) erlebt
4 Häufig bei Depressionen, Schizophrenien, Minderbegabung, organi-
schen psychischen Erkrankungen
> Verlangsamtes Denken ist nicht gleich Denkhemmung. Denkhem-
mung muss subjektiv empfunden werden. Nur Denkhemmung ist
typisch für Depressionen.
8 Kapitel 1 · Gesundheitsstörungen und Psychopathologie

Eigene Notizen 1.3.8 Vorbeireden


1
4 (Unabsichtliches) Nicht-Eingehen auf Fragen, obwohl diese verstanden
wurden
4 Vorkommen v. a. bei Schizophrenien
4 Abzugrenzen von Auffassungsstörungen: eingeschränkte Fähigkeit,
Wahrnehmungserlebnisse
5 in ihrer Bedeutung zu begreifen
5 sinnvoll zu verknüpfen
5 in den Erfahrungsbereich einzubauen
→ Beeinträchtigte gedankliche Verarbeitung einer Wahrnehmung

1.3.9 Zerfahrenes/inkohärentes Denken

4 Sprunghafter, dissoziierter Gedankengang (»roter Faden« nicht mehr


nachvollziehbar); Gedanken stehen beziehungslos nebeneinander (für
Außenstehende) bis hin zum unverständlichen Faseln und Wortsalat
5 Paragrammatismus: Zerstörung des grammatikalischen Satzbaus
5 Schizophasie: »Wortsalat«; sinnleeres Wort- und Silbengemisch
4 Traditionell: Verwendung des Begriffes »Inkohärenz« eher bei orga-
nischen Psychosyndromen, »Zerfahrenheit« bei Schizophrenien
> Denkzerfahrenheit ist typisch für Schizophrenien.

1.4 Ich-Störungen

Definition
Veränderungen des Ich-Erlebens (Ich-Erleben = Erleben des eigenen
Seins in den Ausdrucksformen von Denken, Fühlen und Handeln und als
Urheber derselben).

1.4.1 Entfremdungserlebnisse

4 Störungen des Einheitserlebens; nicht durch Ich-fremde Instanzen be-


einflusste Ich-Störungen
4 Derealisation: die Umwelt erscheint fremd, unwirklich oder verändert
(alles wird z. B. wie hinter einer Glaswand oder als weit weg wahrge-
nommen), das Zeitgefühl verändert sich (z. B. eine Minute wird wie eine
Stunde wahrgenommen)
4 Depersonalisation: der eigene Körper wird als fremd, unwirklich oder
verändert empfunden (z. B. Gefühl, das Bein gehöre nicht zur eigenen
Person)
4 Vorkommen im normalpsychologischen Bereich (z. B. bei Übermü-
dung), verschiedenen psychischen Erkrankungen wie Panikattacken,
1.5 · Mnestische Störungen
9 1

dissoziativen Störungen, Belastungsstörungen, Schizophrenien, De- Eigene Notizen


pressionen und Borderline-Persönlichkeitsstörung sowie bei Halluzino-
genintoxikation

1.4.2 Psychotische Ich-Störungen

4 Als von außen gemacht empfundene, fremdbeeinflusste Ich-Wahrneh-


mung; die Grenzen zwischen Ich und Umwelt werden durchlässig
4 Gedankenausbreitung: Gefühl, dass Gedanken nicht mehr Eigentum
sind, Andere daran teilhaben können; Gefühl, dass die Gedanken laut
werden und von Anderen mitgehört werden (Gedankenlautwerden)
4 Gedankenentzug: Gefühl, die eigenen Gedanken werden entzogen,
weggenommen
4 Gedankeneingebung: Gedanken werden als von außen eingegeben,
gemacht, gesteuert empfunden
4 Andere Fremdbeeinflussungserlebnisse
5 Leibliche Beeinflussung: Körperempfindungen werden als von
außen gemacht erlebt (z. B. Gefühl, der eigene Herzschlag werde
durch Andere gesteuert)
5 Willensbeeinflussung: Wollen und Handlungen werden als von
außen gesteuert empfunden (z. B. Gefühl, eine Marionette zu sein,
die von außen gesteuert wird)
4 Charakteristisch für Schizophrenien (Symptome 1. Ranges nach
K. Schneider)

1.5 Mnestische Störungen

Definition
Störungen von Behalten und Abrufen von Erinnerungen, Wissen und
Fertigkeiten.

1.5.1 Amnesie

4 Inhaltlich oder zeitlich begrenzte Gedächtnislücke


4 Anterograde Amnesie: betrifft Geschehnisse nach einem schädigenden
Ereignis
4 Retrograde Amnesie: betrifft Geschehnisse vor einem schädigenden
Ereignis
4 Kongrade Amnesie: Nicht-Erinnern an kurze Ereignisse ohne rückwir-
kende oder fortwirkende Gedächtnislücke
4 Vorwiegend nach akuten Traumatisierungen des Gehirns, aber auch
psychogen (psychogene Amnesie)
10 Kapitel 1 · Gesundheitsstörungen und Psychopathologie

Eigene Notizen 1.5.2 Gedächtnisstörungen


1
4 Beeinträchtigte oder aufgehobene Fähigkeit, Informationen längerfris-
tig zu speichern bzw. Erlerntes aus dem Gedächtnis abzurufen
4 Zumeist Leitsymptome von Hirnfunktionsstörungen unterschiedlichen
Ursprungs, Vorkommen häufig im Rahmen von Demenzen, schweren
depressiven Störungen (pseudodemenzielles Symptom) und Schizo-
phrenien
4 Manche Theorien differenzieren zwischen Ultrakurzzeit- (Sekunden),
Kurzzeit- (Minuten) und Langzeitgedächtnis (stabil)
4 Unterteilung des Langzeitgedächtnis in deklaratives Gedächtnis (Ge-
dächtnisinhalte, an die man sich bewusst erinnern kann) und nicht-
deklaratives Gedächtnis (Gedächtnisinhalte, die man i. d. R. nicht be-
wusst abruft und nur schwer zu verbalisieren sind)
5 Deklaratives (explizites) Gedächtnis: episodisches Gedächtnis
(Speicherung persönlich erlebter Ereignisse), semantisches Ge-
dächtnis (Speicherung von Faktenwissen)
5 Nicht-deklaratives (implizites) Gedächtnis: prozedurales Gedächt-
nis (»Fähigkeits-/Fertigkeitsgedächtnis«, automatisiertes Wissen)

1.5.3 Konfabulationen

4 Ausfüllen von Erinnerungslücken mit spontan wechselnden Einfällen,


die für tatsächlich Erlebtes gehalten werden (charakteristischerweise
werden bei mehrmaligem Nachfragen immer andere Inhalte für die
gleiche Erinnerungslücke angeboten)
4 Insbesondere beim amnestischen Syndrom (Korsakow-Syndrom) sowie
beim Delir

1.5.4 Merkfähigkeitsstörungen

4 Beeinträchtigte Fähigkeit, sich neue Informationen über einen Zeitraum


von ca. 10 min zu merken
4 Häufig bei organischen psychischen Erkrankungen wie Demenz, Delir,
amnestisches Syndrom

1.5.5 Paramnesien

4 Trugerinnerungen; Erinnerungsverfälschungen oder -täuschungen


5 Falsches Wiedererkennen (schon einmal gesehen »Déjà vu« oder
erlebt »Déjà vécu«) oder Fremdheit gegenüber eigentlich Ver-
trautem (noch nie gesehen »Jamais vu«) – gleichzeitig aber das
Wissen, dass es sich um eine Täuschung handelt; Vorkommen im
normalpsychologischen Bereich (z. B. bei Erschöpfungszuständen),
bei beginnenden Schizophrenien, Manien, Epilepsien und anderen
organischen Störungen
1.6 · Neuropsychologische Symptome
11 1

5 Ekmnesie: Störung des Zeiterlebens bzw. der zeitlichen Einord- Eigene Notizen
nung, wobei die Vergangenheit als Gegenwart erlebt wird (z. B. bei
Demenzen und in affektiven Ausnahmezuständen)
5 Hypermnesie: gesteigerte Erinnerungsfähigkeit (z. B. unter Dro-
geneinfluss, aber auch bei schweren schizophrenen Psychosen)
5 Flashbacks: für Sekunden bis Minuten anhaltende, intensiv erlebte
»szenische Nachhallerinnerungen«
J Vorkommen als wiederkehrendes Rauscherlebnis (Echorausch)
nach Drogenerlebnissen (Halluzinogenen) ohne erneute Drogen-
einnahme oder als Wiedererleben traumatischer Erlebnisse bei
posttraumatischen Belastungsstörungen
J Können durch Schlüsselreize ausgelöst werden
5 Intrusionen: sich aufdrängende Erinnerungen an ein traumati-
sches Erlebnis; charakteristisch bei posttraumatischen Belastungs-
störungen

1.5.6 Zeitgitterstörungen

4 Störung der zeitlichen Einordnung von biographischen Daten/Ereig-


nissen
4 Vorkommen z. B. bei Delir, Demenz, amnestischem Syndrom, akuten
psychotischen Störungen

1.6 Neuropsychologische Symptome

Definition
Störungen komplexer neuropsychischer Funktionen, die auf zerebrale
Funktionsstörungen hindeuten.

4 Agnosie: Störung des Erkennens trotz erhaltener Funktionen entspre-


chender Sinnesorgane
4 Akalkulie: Unfähigkeit zum Umgang mit Zahlen
4 Alexie: Unvermögen, Geschriebenes zu erfassen/zu verstehen
4 Aphasie: Sprachstörung
4 Apraxie: Störung der Ausführung willkürlicher, zielgerichteter und ge-
ordneter Bewegungen, meist aufgrund einer Läsion in der parietalen
Region der sprachdominanten Hemisphäre
4 Neglect: durch eine einseitige Hirnläsion hervorgerufene Störung der
Aufmerksamkeit; Schwierigkeiten bei der Wahrnehmung von Reizen
auf der kontraläsionalen Seite
12 Kapitel 1 · Gesundheitsstörungen und Psychopathologie

Eigene Notizen 1.7 Probleme im Sozialverhalten


1
Definition
Gestörte Interaktion mit Anderen im sozialen Umfeld.

1.7.1 Bindungs- und Beziehungsstörungen

4 Eingeschränkte oder aufgehobene Fähigkeit Kontakt aufzunehmen,


sich auf Beziehungen einzulassen, anderen zu vertauen oder Distanz-
losigkeit
4 Vorkommen bei einer Vielzahl kinder- und jugendpsychiatrischer Er-
krankungen (z. B. tiefgreifende Entwicklungsstörungen, Störungen des
Sozialverhaltens) sowie psychischer Erkrankungen des Erwachsenen-
alters (v. a. Psychosen, Persönlichkeitsstörungen)

1.7.2 Dissoziales Verhalten

4 Verhaltensweisen, die soziale Regeln, Normen und Erwartungen ver-


letzen
4 Unfähigkeit, sich in die Gesellschaft einzuordnen
4 Häufig verbunden mit mangelndem Schuldbewusstsein und Einfüh-
lungsvermögen sowie Unfähigkeit, durch negative Konsequenzen zu
lernen
4 Charakteristikum der dissozialen Persönlichkeitsstörung und bei Stö-
rungen des Sozialverhaltens

1.7.3 Schulschwierigkeiten

4 Scheitern an schulischen Leistungserwartungen, Verhaltensauffällig-


keiten in der Schule
4 Häufig aufgrund von Lernstörungen in Form von Lernbehinderung,
umschriebenen Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten, Schul-
angst oder ADHS oder aufgrund von Beziehungsstörungen zwischen
Kind und Bezugspersonen

1.7.4 Sozialer Rückzug

4 Verminderung der Sozialkontakte, Lösen zwischenmenschlicher Bezie-


hungen
4 Oft bei Depressionen, Schizophrenien, Angststörungen, Zwangsstörun-
gen, Belastungs- oder Anpassungsstörungen, Demenzen
1.8 · Selbst- und Fremdgefährdung
13 1
1.7.5 Soziale Umtriebigkeit Eigene Notizen

4 Auffällige Ausweitung der Sozialkontakte, Zunahme sozialer Aktivi-


täten
4 Typisch für Manien

1.8 Selbst- und Fremdgefährdung

Definition
Selbstverletzendes bis suizidales bzw. hochgradig fremdaggressives
Verhalten, das Anlass zur notfallmäßigen Unterbringung in einer psy-
chiatrisch-psychotherapeutischen Klinik sein kann.

1.8.1 Aggressivität

4 Feindseliges und angriffslustiges Verhalten


4 Vermehrtes Auftreten aggressiver Impulse und Phantasien sowie er-
höhte Bereitschaft zur Ausführung aggressiven Verhaltens (Tätlich-
keiten oder verbale Aggressionen), mit dem Ziel, Lebewesen oder Dinge
zu zerstören oder zu schädigen
4 Autoaggression: gegen sich selbst gerichtete Aggression
4 Vorkommen v. a. bei dissozialer oder emotional-instabiler Persönlich-
keitsstörung, depressiver Episode mit Autoaggression, Intelligenzmin-
derung, akuter Medikamenten-/Alkohol-/Rauschmittelintoxikation
(Enthemmung)

1.8.2 Selbstbeschädigung

4 Selbstverletzendes Verhalten ohne Suizidabsichten


4 Häufig bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung und bei Intelligenz-
minderung

1.8.3 Suizidalität

4 Psychischer Zustand, in dem Gedanken, Pläne und Verhaltensweisen


auf die Herbeiführung des eigenen Todes gerichtet sind
4 Suizid: absichtliche Selbstschädigung mit tödlichem Ausgang
4 Suizidversuch: absichtliche Selbstschädigung mit dem Ziel des töd-
lichen Ausganges
4 Erweiterter Suizid: Einbeziehung weiterer Personen in den Suizid ohne
deren Mitentscheidung oder Wissen
4 Abstufung: Lebensüberdruss, Todeswunsch, konkretisierte Suizidge-
danken mit/ohne Suizidhandlung
14 Kapitel 1 · Gesundheitsstörungen und Psychopathologie

Eigene Notizen > Psychische Erkrankungen (insbesondere Depressionen, Sucht-


1 erkrankungen, Schizophrenien, Persönlichkeitsstörungen und
Angststörungen) sind der Hauptrisikofaktor für Suizidalität.
Fragen nach Suizidalität dürfen daher in keiner psychiatrischen
Exploration fehlen!

1.9 Störungen der Affektivität

Definition
Störungen der Affekte (kurzdauernde »Gefühlswallungen«) und Stim-
mungen (längerdauernder Gefühlszustand) sowie der Intensität, An-
sprechbarkeit und Dauer affektiver Zustände.

1.9.1 Affektinkontinenz

4 Beeinträchtigte Steuerungsfähigkeit und Kontrollierbarkeit der Gefühle;


schnelles Anspringen von Affekten, schon geringe Anlässe können zu
plötzlichen und heftigen Gefühlsäußerungen (z. B. Weinen) führen
4 Häufig bei hirnorganischen Erkrankungen, aber auch bei Schizophre-
nien und affektiven Erkrankungen

1.9.2 Affektlabilität

4 Verstärkte Affektmodulation; rasche Stimmungsschwankungen, oft in


unterschiedliche Richtungen
4 Sehr unspezifischer Befund, bei vielen psychischen Erkrankungen vor-
handen

1.9.3 Affektstarrheit

4 Beeinträchtigte oder aufgehobene affektive Modulations- und Schwin-


gungsfähigkeit; situationsunabhängiges Verharren in bestimmten, glei-
chen Affekten
4 Vorkommen v. a. bei organischen psychischen Erkrankungen, Schizo-
phrenien und Depressionen

1.9.4 Affektstauung

4 Subjektives Gefühl innerer Anspannung und Unruhe mit plötzlichen


Entladungen (»Affektsturm«)
4 Insbesondere bei Schizophrenien oder Depressionen
1.9 · Störungen der Affektivität
15 1
1.9.5 Affektverarmung Eigene Notizen

4 Verminderung der Anzahl (des Spektrums) gezeigter Affekte, gleich


bleibend inadäquater Affekt
4 Vorkommen insbesondere bei organischen psychischen Erkrankungen,
Depressionen und (v. a. chronischen) Schizophrenien
> Affektverarmung bei schizophrenen Patienten (als sog. Negativ-/
Minussymptomatik, ungleich Depression!) bezeichnet man als
Affektverflachung.
4 Gefühl der Gefühllosigkeit: Leiden unter dem Mangel oder dem Verlust
der affektiven Ansprechbarkeit, subjektiv erlebte Gefühlsleere (nicht
nur für Freude, sondern auch für Trauer); häufig bei Depressionen

1.9.6 Ambivalenz

4 Nebeneinander sich widersprechender Gefühle, Vorstellungen, Inten-


tionen und Impulse
4 Charakteristikum der Schizophrenie

1.9.7 Anhedonie

4 Aufgehobene oder verminderte Fähigkeit zum Empfinden von Freude,


Lust oder Vergnügen
4 Häufig bei Depressionen und Belastungsstörungen

1.9.8 Ängste

4 Angst
5 Menschliches Grundgefühl
5 Besorgnis und unlustbetonte Erregung in als bedrohlich empfun-
denen Situationen
5 Äußert sich im Erleben, Verhalten und in körperlichen Symp-
tomen
5 Pathologische Angst als unspezifisches Symptom vieler psychischer
Erkrankungen, Leitsymptom der Angststörungen
4 Phobie: Angst vor einem umschriebenen Objekt oder einer umschrie-
benen Situation, die meist Vermeidungsreaktionen zur Folge hat
4 Panikattacken: plötzliche, anfallsartig auftretende Angstzustände,
i. d. R. mit körperlicher Symptomatik (z. B. Herzklopfen, Schweißaus-
brüche, Schwindel, Atemnot)
5 Wiederkehrende Panikattacken bei der Panikstörung
4 Hypochondrische Befürchtung
5 Ängstlich getönte Beziehung zum eigenen Körper mit offensichtlich
unbegründeter Befürchtung, körperlich krank zu sein oder zu werden
16 Kapitel 1 · Gesundheitsstörungen und Psychopathologie

Eigene Notizen 5 Normale Körpervorgänge bekommen oft eine übermäßige Bedeu-


1 tung
5 Vorkommen insbesondere bei somatoformen Störungen (v. a. hypo-
chondrische Störung)
4 Misstrauen: Wahrnehmungen werden ängstlich-unsicher auf die eige-
ne Person bezogen; Befürchtung, dass jemand der eigenen Person scha-
den möchte
5 Wenn unbegründet/pathologisch: häufig bei paranoider Persön-
lichkeitsstörung oder Schizophrenien

1.9.9 Depressivität/Deprimiertheit

4 Niedergedrückte Stimmungslage mit Freudlosigkeit, Lustlosigkeit,


Hoffnungslosigkeit, Interesselosigkeit
4 Unspezifisches Symptom bei den meisten psychischen Erkrankungen;
Leitsymptom depressiver Störungen
4 Oft kombiniert mit Antriebsstörung
4 Sonderform: vitale Traurigkeit mit Störung der Vitalgefühle (Kraft-
losigkeit, Schlappheit, Müdigkeit, herabgesetzte körperliche Frische und
Lebendigkeit)
> Die Störung der Vitalgefühle und vegetative Symptome stehen
bei einer sog. larvierten (= versteckten/maskierten) Depression
im Vordergrund, nicht unbedingt die depressive Verstimmung.

1.9.10 Dysphorie

4 Mürrische, missmutige Stimmung, häufig mit Gereiztheit


4 Unspezifisches Symptom, z. B. bei Schizophrenien, Manien, organi-
schen psychischen Erkrankungen oder bei bestimmten Persönlichkeits-
störungen (z. B. paranoide Persönlichkeitsstörung)

1.9.11 Euphorie

4 Gehobene Stimmungslage, Zustand übersteigerten Wohlbefindens


(»über dem Strich«)
4 Kennzeichen der Manie

1.9.12 Gereiztheit

4 Gesteigerte Bereitschaft, verärgert oder aggressiv zu reagieren


4 Häufig bei Manien
1.9 · Störungen der Affektivität
17 1
1.9.13 Gesteigerte Selbstwertgefühle Eigene Notizen

4 Gefühl, besonders viel wert, besonders befähigt, anderen überlegen zu


sein
4 Insbesondere bei Manien

1.9.14 Hoffnungslosigkeit

4 Pessimistische Grundstimmung, fehlende Zukunftsperspektive


4 Unspezifisches Symptom bei vielen psychischen Erkrankungen, insbe-
sondere bei depressiven Störungen

1.9.15 Innere Unruhe

4 Gefühl innerer Aufregung, Anspannung, Nervosität; Zustand seelischer


Bewegtheit, Gefühl des »Getriebenseins«
4 Häufig bei organischen psychischen Erkrankungen, affektiven Erkran-
kungen (agitierte Depression, Manie), Angststörungen, Belastungsstö-
rungen, ADHS im Erwachsenenalter, Rauschmittelintoxikationen oder
als Nebenwirkung von Antipsychotika (Akathisie: Sitzunruhe)

1.9.16 Insuffizienzgefühle

4 Gefühl, nichts wert zu sein, unfähig zu sein


4 Häufig bei depressiven Störungen und ängstlicher (vermeidender) Per-
sönlichkeitsstörung

1.9.17 Klagsamkeit

4 »Jammerig«, »Wehklagen«; Schmerz, Kummer, Ängstlichkeit werden


ausdrucksstark in Worten, Mimik und Gestik vorgetragen
4 Insbesondere bei depressiven Störungen, somatoformen und artifiziel-
len Störungen

1.9.18 Läppischer Affekt

4 Alberne Heiterkeit, der Situation und dem Status der Person nicht an-
gemessen
4 Vorkommen v. a. bei hebephrener Schizophrenie, aber auch bei Manien
oder nach Cannabiskonsum
18 Kapitel 1 · Gesundheitsstörungen und Psychopathologie

Eigene Notizen 1.9.19 Parathymie


1
4 Inadäquater Affekt; Erlebnisinhalt und Gefühlsausdruck stimmen nicht
überein (z. B. Patient, der lachend vom Tod der Mutter berichtet)
4 Charakteristikum der Schizophrenie

1.9.20 Psychische Verstimmung

4 Abweichung der Stimmung von der gewohnten Stimmungslage


4 Grundformen: Manie (heitere Verstimmung), Depression (traurige Ver-
stimmung)

1.9.21 Ratlosigkeit

4 Stimmungsmäßiges Nicht-Zurechtfinden, Nichtbegreifen der Situation,


der Umgebung oder Zukunft
4 Mehr eine quälende Empfindung als eine kognitive Störung
4 Vorkommen z. B. bei Wahn, bei Benommenheit (charakteristisch beim
Aufwachen aus einer Bewusstlosigkeit), bei hochgradig mnestischen
Störungen (z. B. ausgeprägten demenziellen Zuständen)

1.9.22 Schuldgefühle

4 Selbstvorwürfe, Gefühl, für eine Tat, für Gedanken oder Wünsche ver-
antwortlich zu sein, die nach Ansicht des Betroffenen vor einer welt-
lichen oder religiösen Instanz, anderen Personen oder sich selbst gegen-
über verwerflich sind
4 Häufig bei depressiven Störungen

1.9.23 Verarmungsgefühle

4 Furcht, dass finanzielle Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts


fehlen
4 Häufig bei depressiven Störungen

1.10 Störungen der Krankheitsbewältigung

Definition
Störungen bei der Auseinandersetzung des Betroffenen mit seiner Er-
krankung und bei der Bewältigung krankheitsbedingter Anforderungen.
1.11 · Störungen von Antrieb und Psychomotorik
19 1

4 Mangel an Krankheitsgefühl: Patient fühlt sich nicht krank, obwohl er Eigene Notizen
aktuell krank ist; Einschätzung von Therapeut und Patient gehen über
den Schweregrad auseinander
4 Mangel an Krankheitseinsicht: Patient erkennt die pathologischen
Symptome nicht als krankheitsbedingt an
4 Non-Compliance: Nichteinhalten ärztlicher Ratschläge bzw. die Nicht-
erfüllung oder Ablehnung therapeutisch notwendiger Maßnahmen

1.11 Störungen von Antrieb und Psychomotorik

Definition
Störungen, welche die Energie, Initiative und Aktivität betreffen (An-
trieb) sowie die durch die psychischen Vorgänge beeinflusste Gesamt-
heit des Bewegungsablaufs (Psychomotorik).

1.11.1 Antriebsstörungen

4 Antriebsarmut/-minderung: Mangel an Initiative, Energie, Interesse,


Lust und Aktivität (primär fehlendes Interesse und gestörte Intentiona-
lität, gewollte Handlungen werden aber durchgeführt)
5 Häufig bei depressiven Störungen, aber auch bei Schizophrenien,
Belastungs- oder Anpassungsstörungen und organischen psychi-
schen Erkrankungen
4 Antriebshemmung: subjektiv als gebremst empfundene Energie, Ini-
tiative, Aktivität und Motorik
5 Charakteristikum depressiver Störungen
4 Antriebssteigerung: Zunahme von Aktivität, Energie und Initiative im
Rahmen zielgerichteter Tätigkeiten
5 Äußert sich in der Sprache als Logorrhö: übermäßiger Rededrang
mit verständlichem oder unverständlichem Redefluss
5 Häufig in manischen Episoden, aber auch bei Schizophrenien oder
organischen psychischen Erkrankungen

1.11.2 Ermüdungssyndrom (Burnout-Syndrom)

4 Syndrom aus verschiedenen psychischen und körperlichen Symp-


tomen
5 Gesteigerte Ermüdbarkeit
5 Merk- und Konzentrationsstörungen
5 Reizbarkeit
5 Niedergeschlagenheit
5 Diverse körperliche Störungen wie Schlafstörungen, Schwindel,
Schmerzzustände
4 Vorkommen insbesondere bei depressiven Störungen, somatoformen
Störungen und Neurasthenie (chronisches Ermüdungssyndrom)
20 Kapitel 1 · Gesundheitsstörungen und Psychopathologie

Eigene Notizen 1.11.3 Interessenverarmung


1
4 Im Vergleich zu früher verminderte Anzahl von (Freizeit-)Interessen
bzw. an Dingen, denen gerne Aufmerksamkeit geschenkt wird
4 Meist Ausdruck eines verminderten Antriebs und einer depressiven
Störung

1.11.4 Katatonie

4 Psychomotorisches Syndrom mit Bewegungsstörungen und Erregungs-


zuständen bei wachem Bewusstsein; manchmal assoziiert mit vegeta-
tiver Dysregulation und Fieber (perniziöse Katatonie: Notfall!)
4 Hypokinesen
5 Stupor: motorische Bewegungslosigkeit
5 Mutismus: Wortkargheit bis hin zum Nichtsprechen bei intakten
Sprechorganen
5 Katalepsie: starres Verharren in einer einmal eingenommenen Kör-
perhaltung, häufig mit Flexibilitas cerea (wächserner Widerstand
bei passiver Bewegung)
5 Negativismus: Ausführen von zum Verlangten oder Erwarteten ge-
genteiligen Bewegungen (aktiver Negativismus) bzw. Nichtausfüh-
ren von Verlangtem oder Erwartetem (passiver Negativismus)
5 Haltungsstereotypien: Verharren in bestimmten Haltungen über
lange Zeit, im Gegensatz zur Katalepsie Beibehaltung auch bei
äußeren Versuchen der Veränderung
4 Hyperkinesen
5 Katatone (psychomotorische) Erregung: starke motorische Un-
ruhe bis hin zum ungeordneten Erregungssturm (Raptus)
5 Bewegungs- und Sprachstereotypien: repetitive Bewegungsabläufe
bzw. leeres und zielloses Wiederholen von Sätzen/Wörtern/Silben
5 Befehlsautomatismen: automatenhaftes Befolgen von Anwei-
sungen
5 Echolalie: automatisches, zwanghaftes Nachsprechen von Ge-
hörtem ohne inhaltlichen und situativen Bezug
5 Echopraxie: automatisches, zwanghaftes Nachahmen vorgezeigter
Bewegungen
5 Manierismen: sonderbare, verschrobene, bizarre Abwandlungen
alltäglicher Bewegungen (z. B. Grimassieren)
5 Parakinesen: disharmonische Willkürbewegungen (Bewegungs-
abläufe wirken steif und eckig)
4 Vorkommen v. a. bei katatoner Schizophrenie, aber auch bei schweren
Depressionen oder Manien (depressiver oder manischer Stupor), schizo-
affektiven Störungen, dissoziativen Störungen (dissoziativer Stupor),
somatischen Grunderkrankungen
1.12 · Vegetative Störungen
21 1
1.11.5 Motorische Unruhe Eigene Notizen

4 Gesteigerte und ungerichtete motorische Aktivität


4 Vorkommen z. B. als Nebenwirkungen einer Antipsychotikatherapie
(Akathisie), bei akuter Intoxikation mit Stimulanzien, als Entzugssymp-
tom, bei Manien, Schizophrenien, im Delir (z. B. häufig nestelnde Be-
wegungen der Hände), bei ADHS (Hyperaktivität)

1.11.6 Theatralismus

4 Patienten erwecken den Eindruck, als würden sie sich selber darstellen
(darstellerisches Ausdrucksverhalten)
4 Insbesondere bei histrionischer Persönlichkeitsstörung

1.11.7 Verlangsamtes bzw. herabgesetztes


Reaktionsvermögen

4 Motorische Verlangsamung: unangemessen viel Zeit wird für die Aus-


führung von Bewegungen gebraucht
4 Intellektuelle Verlangsamung: verzögerte Informationsverarbeitung,
verlangsamte Auffassung mit verlängerter Reaktionszeit
4 Vorkommen z. B. bei Depressionen, Demenzen, Intoxikationen

1.12 Vegetative Störungen

Definition
Durch Beteiligung des vegetativen Systems bestehende Symptome.

1.12.1 Appetitstörungen

4 Reduzierter (Hypophagie) oder vermehrter (Hyperphagie) Appetit


4 Häufig bei affektiven Erkrankungen (z. B. verminderter Appetit bei
depressiven Störungen)

1.12.2 Schlafstörungen

4 Einschlafstörungen, Durchschlafstörungen, Früherwachen, Tages-


schläfrigkeit
4 Vorkommen als primäre Schlafstörungen (eigenständige Diagnosen)
oder sekundär als eines von mehreren Symptomen einer körperlichen
oder psychischen Erkrankung
22 Kapitel 1 · Gesundheitsstörungen und Psychopathologie

Eigene Notizen 5 Zum Beispiel bei affektiven Störungen (morgendliches Früherwa-


1 chen bei Depressionen, mangelndes Schlafbedürfnis bei Manien),
Belastungs- oder Anpassungsstörungen (z. B. in Form von Albträu-
men, Insomnie), Schizophrenien (häufig in Form von Störungen
des Schlaf-Wach-Rhythmus) oder Delir (Störungen des Schlaf-
Wach-Rhythmus)

1.12.3 Sexuelle Störungen

4 Verminderte oder gesteigerte sexuelle Appetenz, Beeinträchtigung ge-


nitaler Reaktionen, Orgasmusstörungen (Störungen der Geschlechts-
identität und der Sexualpräferenz sind weitere Sexualstörungen)
4 Als primäre Störung oder sekundär als Symptom einer anderen Erkran-
kung, z. B. gesteigerte Libido oder sexuelle Taktlosigkeit bei Manien,
Libido- und Potenzverlust bei Essstörungen

1.12.4 Vegetative Symptome

4 Psychovegetative gastrointestinale, kardiorespiratorische, urogenitale


Symptome, Haut- und Schmerzsymptome
4 Häufig bei Angststörungen, somatoformen Störungen, Belastungsreak-
tionen, depressiven Störungen (sog. larvierte, somatisierte Depression)
und organischen psychischen Erkrankungen

1.12.5 Zirkadiane Besonderheiten/Tagesschwankungen

4 Schwankungen der Symptome, der Befindlichkeit und des Verhaltens


während einer 24-h-Periode
4 Charakteristikum depressiver Störungen (z. B. Morgentief), aber per se
unspezifisch und auch bei Gesunden vorkommend
> Vegetative Störungen können Frühsymptome psychischer Erkran-
kungen sein.

1.13 Wahn

Definition
Störungen des Urteilens. Objektiv falsche Überzeugung, an der festge-
halten wird, obwohl sie im Widerspruch steht zur Erfahrung und zur
Überzeugung gesunder Mitmenschen.

4 Wahnkriterien: Unmöglichkeit des Inhalts, subjektive Gewissheit, Un-


korrigierbarkeit
1.13 · Wahn
23 1

4 Wird den inhaltlichen Denkstörungen zugeordnet Eigene Notizen


4 Wahnphänomene v. a. bei Schizophrenien und anderen wahnhaften
Störungen, bei psychotischen affektiven Störungen und organischen
Psychosen

1.13.1 Formale Wahnmerkmale

4 Wahnwahrnehmung: wahnhafte Fehlinterpretation (meist im Sinne


der Eigenbeziehung) einer an sich realen Sinneswahrnehmung (z. B.
Patient deutet rote Ampel als Warnung des Geheimdienstes, nicht wei-
terzugehen, sondern umzukehren); zweigliedrig:
1. Objektiv richtige Wahrnehmung (rote Ampel)
2. Wahnhafte Bedeutungszuweisung (Warnung des Geheimdienstes,
nicht weiterzugehen)
4 Wahneinfall: plötzliches Auftreten wahnhafter Vorstellungen oder
Überzeugungen
5 Im Gegensatz zur Wahnwahrnehmung eingliedrig (Wahnidee ohne
wahnhaft verarbeitete Wahrnehmung)
4 Wahngedanke: durch gedankliche Ausarbeitung von Wahneinfällen
oder Wahnwahrnehmungen entstandene und festgehaltene wahnhafte
Überzeugungen
4 Systematisierter Wahn: Ausgestaltung von Wahngedanken zu einem
komplexen Wahngebäude durch logische oder paralogische Verknüp-
fung
4 Wahndynamik: affektive Beteiligung am Wahn, d. h. Ausmaß der Af-
fekte, die im Zusammenhang mit dem Wahn auftreten (zu erschließen
z. B. daraus, wie der Wahn vorgetragen wird)
4 Wahnstimmung: eigentümliche emotionale Gestimmtheit, unbe-
stimmtes Gefühl des Unheimlichen/Bedrohlichen (»es liegt etwas in der
Luft«, »es ist etwas im Gange«) oder des Verändertseins (des Betrof-
fenen selbst oder seiner Umgebung); geht oft dem Wahn voraus
4 Wahnerinnerung: nachträgliche wahnhafte Umdeutung eines Ereig-
nisses aus der Vergangenheit (»psychotische Rückdatierung«, z. B. »Vor
10 Jahren bin ich von dem französischen Geheimdienst schon einmal
verfolgt worden«); wird häufig auch den Paramnesien zugeordnet
4 Symbiotischer Wahn (Folie à deux): induzierter Wahn bei nahen, pri-
mär gesunden Bezugspersonen von Wahnkranken (sehr selten); bildet
sich nach Trennung vom primär Erkrankten meist zurück

1.13.2 Inhaltliche Wahnmerkmale

4 Thematische Ausgestaltung des Wahns


5 Abhängig von soziokulturellen Einflüssen, der individuellen Le-
benswelt
4 Stimmen Inhalt und Stimmung überein: synthymer Wahn; bei Nicht-
übereinstimmung: parathymer (stimmungsinkongruenter) Wahn
24 Kapitel 1 · Gesundheitsstörungen und Psychopathologie

Eigene Notizen 4 Beziehungswahn: Menschen, Dinge und Abläufe der Umwelt werden
1 wahnhaft auf sich selbst bezogen (z. B. Fernsehsendungen, die der Pa-
tient auf sich bezieht)
5 Häufigste inhaltliche Wahnform, häufig bei Schizophrenien
5 Beispiel: Liebeswahn: wahnhafte Überzeugung, von einer be-
stimmten Person geliebt zu werden; häufiger im Rahmen wahn-
hafter Störungen bei Frauen (bei Schizophrenien, Manie mit psy-
chotischen Symptomen)
4 Beeinträchtigungs- und Verfolgungswahn: wahnhafte Überzeugung,
das Ziel von Feindseligkeiten, Beeinträchtigungen und Verfolgung zu
sein; Sonderform: Vergiftungswahn
5 Häufig bei Schizophrenien
4 Eifersuchtswahn: wahnhafte Überzeugung, vom Partner betrogen zu
werden
5 Insbesondere bei Schizophrenien oder als alkoholischer Eifersuchts-
wahn
4 Größenwahn: wahnhafte Selbstüberschätzung und Selbstüberhöhung
bis hin zur Identifizierung mit berühmten Persönlichkeiten (z. B. Über-
zeugung, Jesus Christus zu sein)
5 Häufig bei paranoider Schizophrenie und bei Manie mit psycho-
tischen Symptomen
4 Hypochondrischer Wahn: wahnhafte Überzeugung, an einer schweren
Krankheit mit Siechtum und Tod zu leiden (trotz gegenteiliger Be-
funde)
5 Häufig bei wahnhafter Depression
4 Schuld- oder Versündigungswahn: wahnhafte Überzeugung, gegen
Gott, die Gebote, Gesetze oder sonst eine sittliche Instanz verstoßen zu
haben; Überzeugung, nichts geleistet, nichts geschafft, alles versäumt zu
haben
5 Häufig bei wahnhafter Depression
4 Nihilistischer Wahn: Verneinung der eigenen Existenz oder Umwelt
5 Häufig bei wahnhafter Depression
5 Sonderform Cotard-Syndrom (»nihilistischer Todeswahn«):
Wahnhafte Überzeugung, Körperteile seien abgestorben bis hin zur
eigenen Todesüberzeugung
4 Verarmungswahn: wahnhafte Überzeugung, finanziell verarmt zu sein,
nicht genug Mittel zum Lebensunterhalt zu haben
5 Häufig bei wahnhafter Depression
> Wahninhalte depressiver Patienten entsprechen meist der Affekt-
lage (oft Verarmungs-, Schuld- oder Versündigungs-, hypochondri-
scher oder nihilistischer Wahn). Wahninhalte schizophrener Patien-
ten sind häufig bizarrer, magisch-mystischer Art.
1.14 · Wahrnehmungsstörungen
25 1
1.14 Wahrnehmungsstörungen Eigene Notizen

Definition
Sinnestäuschungen; vermeintliche Wahrnehmung von etwas nicht oder
so nicht Vorhandenem.

1.14.1 Halluzinationen

> Wahrnehmungserlebnisse ohne entsprechende externe Reizquelle


(i. e. S. bei Fehlen einer Realitätsprüfung; Pseudohalluzinationen
sind entsprechende Wahrnehmungsstörungen mit erhaltener
Realitätsprüfung).

4 Akustische Halluzinationen: Hören von Geräuschen, ohne dass solche


vorhanden sind (Akoasmen) oder Stimmenhören (kommentierende,
imperative oder dialogisierende Stimmen), ohne dass tatsächlich je-
mand spricht
5 Stimmenhören ist typisch für Schizophrenien
4 Optische Halluzinationen: ungeformte elementare visuelle Wahr-
nehmungen (Photopsien, z. B. Wahrnehmung von Lichtblitzen), ein-
zelne Gestalten (z. B. »weiße Mäuse«) oder szenische Halluzinationen
(oneiroide Halluzinationen: szenische, traumähnliche Halluzinationen,
bei denen der Betroffene aktiv im Mittelpunkt steht)
5 Weniger typisch für Schizophrenien, sondern eher für organische
Psychosen (häufig im Alkoholentzugsdelir, bei drogeninduzierten
Psychosen, Läsionen des Okzipitallappens)
4 Olfaktorische/gustatorische Halluzinationen: Wahrnehmung meist
unangenehmer oder ungewöhnlicher Gerüche bzw. Geschmacksemp-
findungen
5 Häufig bei Tumoren in der Area olfactoria oder in der Aura epilep-
tischer Anfälle, aber auch bei Schizophrenien oder depressiven Stö-
rungen vorkommend
4 Hypnagoge Halluzinationen: optische und akustische Sinnestäu-
schungen in der Einschlafphase, nicht notwendigerweise pathologisch,
auch bei Narkolepsie
4 Taktile/haptische Halluzinationen: beziehen sich auf Hautempfin-
dungen; Tast- oder Berührungshalluzinationen
5 Vor allem bei älteren Personen mit organischen Psychosen
4 Dermatozoenwahn: chronisch taktile Halluzinose (fraglich, ob Hal-
luzinose oder Wahn); Missempfindungen auf der Haut (ohne Reiz von
außen) werden auf kleine krabbelnde Tierchen auf oder unter der Haut
zurückgeführt
5 Vor allem bei organischen Psychosen, seltener bei Schizophrenien
4 Zönästhetische Halluzinationen (Leibhalluzinationen) i. e. S.: Miss-
empfindungen oder Schmerzen in Organen/im Körper, die als von
außen gemacht erlebt werden (z. B. Gefühl des Bestrahlt- oder Elektri-
26 Kapitel 1 · Gesundheitsstörungen und Psychopathologie

Eigene Notizen siertwerdens); Sonderform: kinästhetische Halluzinationen (Bewe-


1 gungshalluzinationen: Gefühl, bewegt zu werden)
5 Vor allem bei Schizophrenien
4 Zönästhesien: verschiedenste, zum Teil bizarre Störungen des Leib-
empfindens (z. B. Gefühl, der Körper schrumpft, Taubheits- oder Stei-
figkeitsempfindungen, Schmerzsensationen, kinästhetische, thermische
oder Elektrisierungssensationen); fließende Übergänge zu taktilen
Halluzinationen
5 Vor allem bei Schizophrenien
> Abgrenzung Zönästhesien und zönästhetische Halluzinationen:
Bei Zönästhesien fehlt der Charakter des von außen Gemachten
(im Gegensatz zu zönästhetischen Halluzinationen).

1.14.2 Illusionen

4 Etwas Reales/wirklich Vorhandenes wird verkannt bzw. als etwas ande-


res wahrgenommen/fehlgedeutet (z. B. Sträucher werden im Dunkeln
als Personen verkannt)
4 Begünstigende Faktoren: Erwartungshaltung durch starke Affekte (z. B.
Angst), Übermüdung, Fieber, Unschärfe/mangelnde Kontrastierung
des Objektes
4 Auftreten auch im normalpsychologischen Bereich, daher nicht per se
pathologisch; bei Schizophrenien gelegentlich Illusionen im akustischen
Bereich, bei organischen Psychosen eher im optischen Bereich
4 Abgrenzung zu Pareidolien (tatsächlich vorhandene Gegenstände wer-
den zu neuen Erscheinungen umgeformt bzw. es wird Nichtvorhande-
nes hineingesehen, z. B. Gesichter in Wolken)
5 Pareidolien werden i. d. R. nicht vom Affekt beeinflusst, Gegenstand
und Phantasiegebilde bestehen nebeneinander und können durch
den Betrachter auseinandergehalten werden
5 Kommen v. a. bei starker Übermüdung vor

1.14.3 Körperschemastörung/Leibgefühlsstörung

4 Krankhaft verzerrte Wahrnehmung des eigenen Körpers


4 Vorkommen bei Schizophrenien, Intoxikationen mit Halluzinogenen,
Essstörungen (Gefühl, zu dick zu sein – trotz Untergewicht)

1.14.4 Wahrnehmungsanomalien, einfache Wahr-


nehmungsveränderungen

4 Reale Wahrnehmungen erscheinen verändert


5 Veränderte Intensitätswahrnehmung (z. B. erscheinen Sinnesein-
drücke blasser oder verschleiert), beispielsweise bei Depressionen
1.15 · Zwänge
27 1

(häufig Intensitätsminderungen), Manie oder unter Drogeneinfluss Eigene Notizen


(Intensitätssteigerung)
5 Veränderte Größenwahrnehmung (Mikropsie: Gegenstände er-
scheinen verkleinert; Makropsie: Gegenstände erscheinen vergrö-
ßert); häufig bei Hysterien vorkommend
5 Veränderte Gestaltwahrnehmung (Meta-, Dysmorphopsien: Ge-
genstände erscheinen verzerrt, formverändert)

1.15 Zwänge

Definition
Gedanken, Impulse oder Handlungen, die sich immer wieder aufdrän-
gen, gegen die gleichzeitig ein innerer Widerstand besteht und die als
weitgehend unsinnig erlebt werden, sich aber nicht oder nur schwer un-
terbinden lassen, da bei Unterdrückung dieser Phänomene Angst auf-
tritt.

4 Zwangsdenken/-gedanken: nicht-wahnhafte inhaltliche Denkstörung;


sich immer wieder aufdrängende Gedanken, die als unsinnig empfun-
den werden, aber nicht unterdrückt werden können
> Zwangsgedanken werden als eigene Gedanken interpretiert und
nicht als fremdartig oder eingegeben (im Gegensatz zu psycho-
tischen Ich-Störungen) und sie werden als weitgehend unsinnig
erlebt (Abgrenzung zum Wahn).
4 Zwangsimpulse: immer wieder sich aufdrängender Drang, bestimmte
Handlungen auszuführen, die abgelehnt werden (i. d. R. kommt es aber
nicht zur Handlung)
4 Zwangshandlungen: immer wieder gegen einen inneren Widerstand
ausgeführte Handlungen, die als unsinnig oder übertrieben erlebt wer-
den, bei deren Unterlassung aber Angst auftritt
4 Zwangszeremoniell/-ritual: komplette Handlung/Zeremonie inner-
halb einer Zwangshandlung; Handlungsschritte müssen in einer be-
stimmten Reihenfolge durchgeführt werden
4 Leitsymptom der Zwangsstörungen, Vorkommen aber auch bei Schizo-
phrenien (bizarre Zwänge), Depressionen (z. B. als Zwangsgrübeln)
oder organischen psychischen Erkrankungen
2
Tag 1 – Symptome, Diagnostik, Forensik

2 Psychiatrische Diagnostik
2.1 Anamnese – 30
2.1.1 Aktuelle Krankheitsanamnese – 30
2.1.2 Vegetative Anamnese – 30
2.1.3 Sucht- und Medikamentenanamnese – 30
2.1.4 Gynäkologische Anamnese – 30
2.1.5 Psychosexuelle Anamnese – 30
2.1.6 Soziale Anamnese (Biografie und Lebenssituation) – 31
2.1.7 Frühere Erkrankungen – 31
2.1.8 Familienanamnese – 31

2.2 Psychopathologischer Befund – 31

2.3 Körperliche Untersuchung – 32


2.3.1 Allgemeinkörperliche Untersuchung – 32
2.3.2 Neurologische Untersuchung – 33
2.3.3 Labordiagnostik – 33
2.3.4 Apparative Diagnostik – 34

2.4 Testpsychologische Diagnostik – 35


2.4.1 Leistungsdiagnostik – 36
2.4.2 Persönlichkeitsdiagnostik – 38

2.5 Klassifikation psychischer Erkrankungen – 39


30 Kapitel 2 · Psychiatrische Diagnostik

Eigene Notizen 2.1 Anamnese

> Beginn der Anamneseerhebung mit einer Eigenanamnese. Die


2 Fremdanamnese ergänzt diese z. B. bei der diagnostischen Ein-
ordnung und bei behandlungsbeeinflussenden Themen.

2.1.1 Aktuelle Krankheitsanamnese

4 Aktuelle Erkrankung: aktueller Konsultationsgrund/-modus, Sympto-


matik, Beginn, Verlauf, Auslösesituationen, verstärkende Situationen,
bisherige Behandlung, somatische Begleitsymptome
> Immer Suizidalität abklären!
( ! Cave Nicht im Sinne reiner Absicherungsfragen, sondern
neben der aktiven Exploration immer selbst einschätzen!)

2.1.2 Vegetative Anamnese

4 Körperliches Grundgefühl (z. B. Wohlbefinden, Mattigkeit), Schlaf,


Appetit, Gewichtsveränderungen, Durst, Miktion, Stuhlgang, sexuelle
Lust und Potenz

2.1.3 Sucht- und Medikamentenanamnese

4 Frequenz und Menge des Konsums von Alkohol, Nikotin, Medikamen-


ten oder illegalen Drogen; nicht-stoffgebundene Süchte (z. B. Internet,
Spielsucht, Pyromanie)
4 Einnahme von Psychopharmaka oder anderen Medikamenten (Dosie-
rung, regelmäßige Einnahme oder nach Bedarf)
4 Ansprechen auf Vormedikation
4 Medikamentenunverträglichkeiten

2.1.4 Gynäkologische Anamnese

4 Menarche, Menopause, Menstruation (Frequenz, Regelmäßigkeit, Dauer,


Stärke, Beschwerden), Partus, Abortus, gynäkologische Operationen

2.1.5 Psychosexuelle Anamnese

4 Pubertätsbeginn, besondere Ängste, Belastungen oder Verhaltensände-


rungen während der Pubertät, Angaben zur Sexualaufklärung, erster
Geschlechtsverkehr, sexuelle Erlebnisfähigkeit (früher bzw. aktuell),
Sexualkontakte, sexuelle Funktionsstörungen, spezielle sexuelle Präfe-
2.2 · Psychopathologischer Befund
31 2

renzen und Phantasien, sexuelle Orientierung, sexuelle Missbrauchs- Eigene Notizen


erlebnisse, Inzesterlebnisse

2.1.6 Soziale Anamnese


(Biografie und Lebenssituation)

4 Soziale Herkunft
4 Frühkindliche Entwicklung, Primordialsymptome (Nägelkauen, Bett-
nässen, verlängertes Daumenlutschen, Ängste, Stottern), Besonder-
heiten der Entwicklung in Pubertät und Adoleszenz
4 Schule und Beruf: Schulbildung und -leistung, Berufsausbildung
4 Aktuelle berufliche und wirtschaftliche Situation
4 Partnerschaften, Ehe, Kinder
4 Soziale Kontakte außerhalb der Familie/Freizeit
5 Soziale Integration, außerfamiliäre soziale Beziehungen, Partner-
beziehungen/-konflikte
5 Lebensgewohnheiten
5 Soziale und kulturelle Interessen, Freizeitgestaltung/Hobbies

2.1.7 Frühere Erkrankungen

4 Psychische Erkrankungen: Art, Beginn, Dauer, Behandlung, Verlauf


(episodenhaft, phasisch, chronisch, progredient)
4 Körperliche Erkrankungen (insbesondere Kopfverletzungen, Erkran-
kungen des ZNS, Stoffwechselerkrankungen): Art, Beginn, Dauer, Be-
handlung, Verlauf
4 Allergien

2.1.8 Familienanamnese

4 Erkrankungen in der Familie (insbesondere familiäre Belastung im Hin-


blick auf psychische Erkrankungen, auch versuchte oder vollendete
Suizide), Todesursachen bereits verstorbener Angehöriger
4 Stellung in der Geschwisterreihe, Einstellungen sowie Beziehungs-
muster und -probleme in der Herkunftsfamilie
> Bei allen psychischen Erkrankungen sind ergänzende fremd-
anamnestische Angaben für eine Beurteilung notwendig.

2.2 Psychopathologischer Befund

4 Befunderhebung durch die psychiatrische Untersuchung


4 Aktuelles Querschnittsbild der psychischen Verfassung (Erleben und
Verhalten) des Patienten
32 Kapitel 2 · Psychiatrische Diagnostik

Eigene Notizen 4 Grundlage der Beurteilung sind Selbstaussagen des Patienten sowie
Beobachtungen durch den Untersucher, aber auch nachvollziehbare
fremdanamnestische Angaben
2 4 Unterstützendes, standardisiertes System zur Erfassung der Psycho-
pathologie: AMDP-System (Arbeitsgemeinschaft für Dokumentation
und Methodik in der Psychiatrie)
4 Zu erhebende psychopathologische Merkmalsbereiche (7 Kap. 1)
5 Äußeres Erscheinungsbild (Kleidung, Körperpflege)
5 Gestik und Mimik
5 Verhalten in der Untersuchungssituation (Kooperation, Kontaktver-
halten, Tendenz zu Aggravation, Simulation oder Dissimulation)
5 Sprechverhalten bzw. Sprache (Klang, Modulation, Sprechstörun-
gen wie Stammeln und Stottern, Sprachverständnis und Ausdrucks-
vermögen)
5 Bewusstseinsstörungen (quantitativ und qualitativ)
5 Orientierungsstörungen (zeitlich, örtlich, situativ, zur eigenen Person)
5 Aufmerksamkeits- und Gedächtnisstörungen
5 Formale Denkstörungen (z. B. gehemmt, verlangsamt, eingeengt,
weitschweifig)
5 Inhaltliche Denkstörungen (Wahn sowie nicht-wahnhafte Phäno-
mene wie Befürchtungen und Zwänge)
5 Sinnestäuschungen (Illusionen, Halluzinationen)
5 Ich-Störungen (Entfremdungserlebnisse: Derealisation, Deperso-
nalisation; Fremdbeeinflussungserlebnisse: Gedankenentzug, -aus-
breitung, -eingebung)
5 Störungen der Affektivität
5 Antriebs- und psychomotorische Störungen
5 Zirkadiane Besonderheiten
5 Sonstige Merkmale: Aggressivität, Selbstverletzung, Suizidalität,
Krankheitseinsicht, -gefühl, Behandlungseinsicht, sozialer Rückzug
oder soziale Umtriebigkeit
5 Einschätzung des allgemeinen Intelligenzniveaus (ergänzend: An-
wendung von standardisierten Intelligenztests 7 Kap. 2.4.1)
> Der psychopathologische Befund muss immer vollständig erhoben
werden, d. h. alle Merkmalsbereiche müssen beurteilt werden!

2.3 Körperliche Untersuchung


> Eine körperliche Untersuchung (allgemeinkörperlich und neuro-
logisch) gehört zu jeder psychiatrischen Diagnostik.

2.3.1 Allgemeinkörperliche Untersuchung

4 Allgemein- und Ernährungszustand, Größe, Gewicht, Bauchumfang


4 Beurteilung von Haut, Hautfarbe und Schleimhäuten; Narben, Häma-
tome, Tätowierungen, Piercings
2.3 · Körperliche Untersuchung
33 2

4 Untersuchung von Kopf und Hals, Meningismus, Lymphknoten, Schild- Eigene Notizen
drüse
4 Inspektion, Palpation, Perkussion des Thorax, Auskultation von Lunge
und Herz, periphere Pulse, Blutdruck
4 Untersuchung von Abdomen, Wirbelsäule und Extremitäten

2.3.2 Neurologische Untersuchung

4 Hirnnervenstatus
4 Reflexstatus
5 Eigenreflexe und physiologische Fremdreflexe
5 Pathologische Fremdreflexe (Pyramidenbahnzeichen): Babinski-,
Gordon-, Oppenheim-, Chaddock-Reflex
5 Kloni (Patellarklonus, Fußklonus)
4 Nervendehnungszeichen: Lasègue, umgekehrter Lasègue, Kernig, Brud-
zinski, Lhermitte
4 Motorik und Kraft: Muskeltrophik, Tonus, Armvorhalteversuch, Bein-
vorhalteversuch, Feinmotorik, Kraftprüfung
4 Koordination: Finger-Nase-Versuch, Finger-Finger-Versuch, Knie-
Hacken-Versuch, Bárány-Zeigeversuch, Diadochokinese, Romberg-
Versuch, Unterberger-Tretversuch, Gangprüfung, Schriftprobe
4 Sensibilität: Berührungsempfindung, Schmerzempfindung, Spitz-
Stumpf-Diskrimination, Graphästhesie, Temperaturempfindung, Lage-
sinn, Vibrationsempfindung

2.3.3 Labordiagnostik

4 Labordiagnostik zum Ausschluss organischer Erkrankungen, die psy-


chische Symptome auslösen können, z. B. Erhebung der Schilddrüsen-
parameter zum Ausschluss von Hypo-/Hyperthyreose (7 Kap. 20)
4 Routinelabor/Basisparameter: Blutbild, Blutkörperchensenkungsge-
schwindigkeit, Elektrolyte, Kreatinin, Harnstoff, GOT, GPT, γ-GT, Glu-
kose, TSH, Urinstatus (inkl. Eiweiß und Sediment)
4 Kontrolle von Medikamentenspiegeln im Blut zur Therapieüber-
wachung (besonders wichtig bei Psychopharmaka mit enger thera-
peutischer Breite, z. B. Lithium, wegen erhöhter Intoxikationsge-
fahr)
4 Drogenscreening in Blut und Urin, Blutalkohol, CDT als Langzeitpara-
meter des Alkoholkonsums (bis zu 4 Wochen)
4 Ggf. Liquordiagnostik (bei Verdacht auf entzündlichen oder tumorösen
Prozess im ZNS bzw. Verdacht auf hirnorganische psychische Erkran-
kungen) nach Ausschluss von erhöhtem Hirndruck und Gerinnungs-
störungen
4 Bei Erstmanifestation einer schweren psychischen Erkrankung (z. B.
Schizophrenie, affektive Störung) höherer diagnostischer Aufwand nö-
tig: Serologie für Borrelien, Treponemen, evtl. weitere neurotrope Keime
34 Kapitel 2 · Psychiatrische Diagnostik

Eigene Notizen (je nach Anamnese), Vaskulitis-Diagnostik, Schilddrüsen-Antikörper


(Ausschluss Hashimoto-Thyreoiditis); ggf. Vitaminstatus

2
2.3.4 Apparative Diagnostik

Elektroenzephalographie (EEG)
4 Messung der summierten elektrischen Aktivität der Hirnrinde durch
Aufzeichnung von Spannungsschwankungen an der Kopfoberfläche
5 Alpha-Wellen: 8–13/s (Vorkommen v. a. im entspannten Wachzu-
stand bei geschlossenen Augen)
5 Beta-Wellen: 14–30/s (v. a. im aufmerksamen Wachzustand)
5 Theta-Wellen: 4–7/s (typischerweise in leichten Schlafphasen)
5 Delta-Wellen: 0,5–3/s (charakteristisch für die Tiefschlafphasen)
4 Unspezifisches Screening für hirnorganische Störungen (v. a. Epilep-
sien); Anwendung auch in der Schlafmedizin; Medikationseffekte
4 Grundsätzlich suspekt
5 Allgemeinveränderungen (Grundrhythmusverlangsamungen oder
-beschleunigungen)
5 Herdbefunde (kortikale Funktionsstörung über einer umschrie-
benen Hirnregion, z. B. fokale Kurvenverlangsamung)
5 Abnorme Potenzialschwankungen (z. B. spezifisch epileptogene Po-
tenziale iktal und interiktal bei Epilepsien)

Kraniale Computertomographie (cCT)


4 Strukturell bildgebendes Verfahren: Röntgenschichtaufnahmen des
Schädels
4 Screeningverfahren bei gravierenden psychischen Erkrankungen
4 Primäre Domäne im Rahmen der Notfalldiagnostik zum raschen Aus-
schluss von Atrophien, Blutungen, Abszessen, evtl. Tumoren, demar-
kierten Hirninfarkten

Kraniale Magnetresonanztomographie (cMRT)


4 Strukturell bildgebendes Verfahren (gilt immer mehr als bildgebendes
Mittel der Wahl bei psychiatrischen Patienten): Nutzung von Magnet-
feldern zur Erzeugung kranieller Schnittbilder
4 Einsatz v. a. bei Erstmanifestation einer psychischen Erkrankung, zur
Ausschlussdiagnostik sowie bei besonderem Verdacht auf organische
Hirnerkrankungen (zerebrovaskuläre Läsionen, Atrophien, entzünd-
liche Erkrankungen, demyelinisierende oder tumoröse Prozesse)
4 Vorteile gegenüber cCT: bessere Auflösung, fehlende Strahlenbelastung,
höhere Sensitivität für viele Befunde
4 Nachteile gegenüber cCT: kosten- und zeitintensiv, Probleme bei ferro-
magnetischen Implantaten, mögliche Panikanfälle sehr ängstlicher Pa-
tienten aufgrund enger Abmessungen und hoher Lautstärkepegel der
Geräte
2.4 · Testpsychologische Diagnostik
35 2
Single-Photon-Emissions-Computertomographie (SPECT) Eigene Notizen
und Positronen-Emissions-Tomographie (PET)
4 Nuklearmedizinische Verfahren, bei denen radioaktiv markierte Subs-
tanzen injiziert werden
4 Indikationen: Nachweis regionaler zerebraler Metabolismusstörungen
(FDG-PET) bzw. Blutflussveränderungen (HMPAO-SPECT)
4 Insbesondere zur Diagnostik ischämischer Hirnerkrankungen, Abklä-
rung demenzieller Prozesse, aber z. B. auch zur Diagnostik neurolo-
gischer Erkrankungen des Dopamin-Systems (M. Parkinson, Multisys-
tematrophie)

2.4 Testpsychologische Diagnostik

4 Einsatz standardisierter testpsychologischer Messverfahren zur Bestim-


mung von individuellen Merkmalen und Leistungen und deren Ausprä-
gung im interindividuellen Vergleich
4 Unterteilung in:
5 Leistungstests: Intelligenztests, allgemeine Leistungstests, spezielle
Funktionsprüfungs- und Eignungstests, Entwicklungstests, Schul-
tests
5 Psychometrische Persönlichkeitstests: Persönlichkeitsstruktur-
tests (standardisierte Erfassung der Persönlichkeitsstruktur), Ein-
stellungs- und Interessentests sowie klinische Verfahren (standardi-
sierte Abschätzung und Quantifizierung psychopathologischer
Symptomatik)
5 Persönlichkeits-Entfaltungsverfahren: projektive Tests
4 Gütekriterien psychometrischer Tests
5 Validität: Güte der Messung des Merkmals, das der Test erfassen
soll
5 Reliabilität: Zuverlässigkeit, d. h. Genauigkeit mit der das Verfahren
ein Merkmal erfasst (z. B. Übereinstimmung der Ergebnisse bei
Testwiederholungen als Retest-Reliabilität oder Paralleltest-Reliabi-
lität)
5 Objektivität: Unabhängigkeit des Testergebnisses vom Untersucher
und Auswerter

> Testpsychologische Befunde reichen grundsätzlich nicht zur


Diagnosestellung, sondern ergänzen den psychopathologischen
Befund, die Anamnese und weitere Befunde.

4 Testpsychologische Befunde müssen zu einem Gesamtbild integriert


werden durch
5 die Verhaltensbeobachtung während der Testung
5 den klinischen Eindruck
5 Ergebnisse einer Exploration
5 weitere Informationen (z. B. Krankengeschichte, fremdanamnesti-
sche Angaben)
36 Kapitel 2 · Psychiatrische Diagnostik

Eigene Notizen 4 Vor allem bei der Durchführung von Leistungstests ist die Verhaltens-
beobachtung bedeutsam, um
5 Erkenntnisse über die Leistungseinstellung (Leistungsmotivation
2 und Anstrengung) zu gewinnen
5 Widersprüche und Kontraste innerhalb der Gesamtleistung aufzu-
klären
5 Simulations- und Verfälschungstendenzen aufzudecken
5 Beziehungen zu Alltagsleistungen herstellen zu können

2.4.1 Leistungsdiagnostik

4 Leistungstests = psychometrische Tests zur Quantifizierung des allge-


meinen oder speziellen Leistungsniveaus einer Person
4 Zur Abgrenzung von Minderbegabung, Abklärung störungsspezifischer
Leistungseinbußen, Verlaufsbeurteilung (durch mehrmalige Testung)
> Psychische Erkrankungen gehen häufig mit kognitiven Beeinträch-
tigungen einher.

Intelligenztests
Definition
Intelligenz = Das, was der jeweilige Intelligenztest misst. Daher bei
Intelligenzmessungen immer das verwendete Verfahren mit angeben.

4 IQ-Werte haben – je nach Testverfahren – meist einen Mittelwert von


100 und eine Standardabweichung von 15 (etwa 68% der Bevölkerung
weisen IQ-Werte zwischen 85 und 115 auf)
4 Häufig verwendeter Intelligenztest: Wechsler-Intelligenz-Test für Er-
wachsene (WIE), eine Weiterentwicklung des Hamburg-Wechsler-
Intelligenz-Tests für Erwachsene (HAWIE)
5 Multidimensionaler Intelligenztest bestehend aus verschiedenen
Subtests zur Erfassung globaler Intelligenz, Verbal- und Handlungs-
intelligenz sowie weiterer intellektueller Teilbereiche
5 Stark sprach- und kulturabhängig
5 Version für Kinder: Hamburg-Wechsler-Intelligenztest für Kinder
(HAWIK)
4 Sprachfreie Intelligenztests
5 Zum Beispiel Grundintelligenztest Skala 2, revidierte Fassung (CFT-
20-R) oder Standard Progressive Matrices (SPM): messen die Fähig-
keit zu folgerichtigem Denken anhand figuraler Aufgaben im Mul-
tiple-Choice-Format
4 Zur Abschätzung eines früheren, prämorbiden Leistungsniveaus (zur
Frage, ob es sich um eine erworbene, krankheitsbedingte kognitive Stö-
rung handelt)
5 Einsatz weitgehend altersstabiler und relativ »störungsresistenter«
Testverfahren, z. B. Mehrfachwahl-Wortschatz-Test (MWT): Wort-
2.4 · Testpsychologische Diagnostik
37 2

schatz-Test im Multiple-Choice-Format zur Erfassung kristalliner Eigene Notizen


(auf Lernen und Erfahrung beruhender) Intelligenzkomponenten
5 Berücksichtigung anamnestischer Informationen (schulischer und
beruflicher Werdegang)
> Unterscheidung kristalliner und fluider Intelligenzkomponenten
4 Fluide/flüssige Intelligenzkomponenten: Anpassungsfähigkeit, Flexi-
bilität, Schlussfolgern, Problemlösung und Verarbeitungsgeschwindig-
keit; unterliegen dem Altersabbau
4 Kristalline Intelligenzkomponenten: über Lernen und Erfahrung ge-
wonnene Kenntnisse und Fertigkeiten (»Lebenswissen/Lebensweis-
heit«); gelten als weitgehend altersstabil und relativ störungsresistent

Spezielle Leistungstests
4 Beurteilung von Konzentration und Aufmerksamkeit
5 Zum Beispiel d2-Test (Aufmerksamkeitsbelastungstest; Durch-
streichtest zur Messung selektiver Aufmerksamkeit)
4 Beurteilung exekutiver Funktionen wie kognitive Flexibiltät, Planen,
Entscheiden, Problemlösen, logisches Schlussfolgern, Inhibitions-
prozesse (= kognitive Prozesse, die der Unterdrückung einer Handlung/
Handlungstendenz dienen), Arbeitsgedächtnisleistungen (= kurzfris-
tige Manipulation/Bearbeitung von Informationen im Gedächtnis)

Definition
Exekutive Funktionen = höhere mentale Funktionen, die es erlauben,
selbstständig und zielstrebig zu handeln durch Kontrolle, Steuerung
und Koordination verschiedener kognitiver Subprozesse; Beeinträchti-
gungen von Exekutivfunktionen werden häufig auf frontale zerebrale
Dysfunktionen zurückgeführt.

5 Wisconsin-Card-Sorting-Test (WCST; beinhaltet Kategorisierungs-


aufgaben, erfasst kognitive Flexibilität, schlussfolgerndes Denken,
Regellernen)
5 Turm von London oder Turm von Hanoi (erfassen Planungs- und
Problemlösefähigkeit)
5 Farbe-Wort-Interferenz-Test/STROOP-Test (misst Inhibitionspro-
zesse sowie selektive Aufmerksamkeit)
4 Messung von Gedächtnisleistungen
5 Zum Beispiel Benton-Test: prüft kurz- bis mittelfristiges Gedächtnis
für komplexe figurale Informationen (Proband soll aus dem Ge-
dächtnis geometrische Figuren nachzeichnen); wurde zur Diagnos-
tik hirnorganischer Störungen konstruiert
4 Spezielle Demenzdiagnostik
5 Zum Beispiel Mini-Mental-Status-Test (MMST): erfasst u. a. Orien-
tierung, Merk- und Erinnerungsfähigkeit, Aufmerksamkeit, Rechen-
fähigkeit, Sprache und Nachzeichnen (häufig als Bedside-Test ver-
wendet)
38 Kapitel 2 · Psychiatrische Diagnostik

Eigene Notizen 4 Beurteilung von Visuomotorik (Auge-Hand-Koordination) und Infor-


mationsverarbeitungsgeschwindigkeit
5 Zum Beispiel Zahlenverbindungstests (Papier- und Bleistift-Test:
2 Zahlen so schnell wie möglich in aufsteigender Reihenfolge verbin-
den bzw. bei erschwerten Anforderungen Zahlen im Wechsel zu
Buchstaben verbinden)
4 Darüber hinaus existieren neuropsychologische Verfahren z. B. zur Prü-
fung von Sprache, Wahrnehmung, Motorik sowie Instrumente zur Ab-
schätzung von Verfälschungstendenzen (z. B. Simulation)

2.4.2 Persönlichkeitsdiagnostik

4 Selbstbeurteilungsfragebögen: Proband schätzt sich selbst ein; Pro-


blem: mögliche Verfälschungstendenzen wie Simulation oder Dissimu-
lation fallen stärker ins Gewicht (können aber zum Teil durch Kontroll-
skalen abgeschätzt werden)
4 Fremdbeurteilungsfragebögen: Einschätzung des Probanden durch
eine andere Person, die den Fragebogen ausfüllt (i. d. R. geschulte Beurtei-
ler wie Ärzte, Psychologen, Pflegepersonal oder auch Bezugspersonen)

Psychometrische Persönlichkeitstests
4 Persönlichkeitsstrukturtests: erfassen Merkmale im Bereich »norma-
ler«, gesunder Persönlichkeit; Beispiele:
5 Freiburger Persönlichkeitsinventar (FPI): Selbstbeurteilungsverfah-
ren zur Erfassung von 10 weitgehend unabhängigen Persönlich-
keitsmerkmalen aus dem »normalpsychologischen« Bereich
5 NEO-Fünf-Faktoren-Inventar (NEO-FFI): Selbstbeurteilungsinven-
tar, welches 5 Persönlichkeitsdimensionen erfassen soll (Neurotizis-
mus, Extraversion, Offenheit, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit)
4 Einstellungs- und Interessentests
4 Klinische Verfahren: erfassen meist ein oder mehrere klinische Merk-
male
5 Zum Beispiel Minnesota Multiphasic Personality Inventory (MMPI;
Inventar zur Persönlichkeitsdiagnostik bzw. Erfassung psychischer
Auffälligkeiten)
5 ! Cave Allein auf Grundlage eines Persönlichkeitstests darf keine
Diagnose einer Persönlichkeitsstörung gestellt werden!

Persönlichkeitsentfaltungsverfahren
4 Projektive Verfahren: beruhen auf der Vorgabe von uneindeutigem
Reizmaterial, das beim Probanden ein breites Reaktionsspektrum aus-
lösen kann; Ziel: unbewusste, nicht verbalisierbare Aspekte der Persön-
lichkeit sollen erfassbar gemacht werden
5 Zum Beispiel Rorschach-Test (inhaltlich-assoziative Interpreta-
tion von Klecksbildern), thematischer Apperzeptionstest (zu Bil-
dern, die mehrdeutige Situationen zeigen, sind Geschichten zu er-
zählen)
2.5 · Klassifikation psychischer Erkrankungen
39 2

5 Ergebnisse sind stark vom Untersucher abhängig; projektive Tests Eigene Notizen
genügen nicht den testtheoretischen Gütekriterien, Aussagewert
solcher Verfahren ist gering

2.5 Klassifikation psychischer Erkrankungen

4 Zwei weltweit anerkannte Klassifikationssysteme


5 ICD-10 (Internationale Klassifikation der Krankheiten, derzeit in
der 10. Auflage) der WHO; international verbindliches System
5 DSM-IV (Diagnostisches Statistisches Manual psychischer Stö-
rungen, derzeit in der 4. Auflage) der American Psychiatric Asso-
ciation (APA); nationales amerikanisches System mit internationa-
ler Verbreitung; Einsatz v. a. in der Forschung
4 Kennzeichen dieser Klassifikationssysteme
5 Rein deskriptive (nicht ätiologische) Klassifikation der Störungen
5 Operationalisierte Diagnostik: Vorgabe von Symptom-, Zeit-, Ver-
laufs-, Ausschlusskriterien und Diagnosealgorithmen
5 Operationalisierung erfolgt prototypisch (häufig Mindestanzahl ge-
forderter Symptome angegeben)
5 Multiaxiale Klassifikation: Klassifikation auf mehreren Achsen; bei
ICD-10
J Achse I = Klinische Diagnosen
J Achse II = Soziale Funktionseinschränkungen
J Achse III = Abnorme psychosoziale Situationen
5 Komorbiditätsprinzip: Möglichkeit, gemeinsam auftretende unter-
schiedliche Erkrankungen getrennt zu diagnostizieren und zu ko-
dieren
4 F-Hauptkategorien der ICD-10 (Psychische und Verhaltensstörungen)
5 F0 Organische, einschließlich symptomatischer psychischer Stö-
rungen
5 F1 Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Subs-
tanzen
5 F2 Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen
5 F3 Affektive Störungen
5 F4 Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen
5 F5 Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen und Fak-
toren
5 F6 Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen
5 F7 Intelligenzstörung
5 F8 Entwicklungsstörungen
5 F9 Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kind-
heit und Jugend
3
Tag 1 – Symptome, Diagnostik, Forensik

3 Forensische Psychiatrie
3.1 Zivilrecht – 42
3.1.1 Betreuungsrecht – 42
3.1.2 Einwilligungsfähigkeit – 43
3.1.3 Geschäftsunfähigkeit – 44

3.2 Strafrecht – 45
3.2.1 Schuldfähigkeit – 45

3.3 Unterbringungsrecht – 46
3.3.1 Unterbringung nach Länderrecht (PsychKG, UBG) – 46
3.3.2 Zivilrechtliche/betreuungsrechtliche Unterbringung (§ 1906 BGB) – 47
3.3.3 Freiheitsentziehende Maßregeln der Besserung und Sicherung – 48

3.4 Sozialrecht – 49
3.4.1 Erwerbsminderung – 49
3.4.2 Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) – 50

3.5 Fahreignung und Fahrtüchtigkeit – 50


42 Kapitel 3 · Forensische Psychiatrie

Eigene Notizen 3.1 Zivilrecht

3.1.1 Betreuungsrecht

4 Betrifft volljährige Patienten, die über eine längere Zeit ihre Angelegen-
3 heiten aufgrund einer psychischen Erkrankung (oder körperlichen oder
geistigen Behinderung) ganz oder teilweise nicht mehr selbst besorgen
können
4 Löst frühere Rechtsvorschriften zu Entmündigung, Vormundschaft
und Pflegschaft ab
4 Betreuerbestellung auf Antrag des Betroffenen selbst (unabhängig von
seiner Geschäftsfähigkeit) oder »von Amts wegen«, d. h. vom Betreu-
ungsgericht (Dritte, z. B. behandelnde Ärzte, können bei dem zuständi-
gen Amtsgericht eine Betreuung anregen)
5 !Cave Bei allein körperlicher Behinderung ist die Einrichtung
einer Betreuung nur auf Antrag des Betroffenen möglich.
4 Einrichtung einer Betreuung gegen den Willen des Betroffenen nur,
wenn dieser krankheitsbedingt zu freier Willensbestimmung nicht
mehr in der Lage ist
4 Betreuerbestellung nur für Aufgabenbereiche, in denen eine Betreuung
notwendig ist (anderen, privaten oder öffentlichen Hilfen gegenüber
nachrangig)
4 Typische Aufgabenbereiche
5 Aufenthaltsbestimmung
5 Gesundheitsfürsorge
5 Vermögenssorge
5 Wohnungsangelegenheiten
5 Vertretung gegenüber Behörden
> Höchstpersönliche Willenserklärungen (z. B. Testamentserrichtung,
Eheschließung) sind grundsätzlich von der Betreuung ausgeschlos-
sen, dies können die Betroffenen weiter selbst bestimmen. Der
Betreuer hat die Wünsche des Betreuten zu berücksichtigen und
immer in dessem Sinne zu handeln.

4 Zur Beurteilung der Erforderlichkeit der Betreuerbestellung holt das


Betreuungsgericht ein psychiatrisches Gutachten ein
4 Geschäftsfähigkeit wird durch Anordnung einer Betreuung nicht be-
rührt; Ausnahme Einwilligungsvorbehalt
5 Spezielle Anordnung des Betreuungsgericht bei erheblicher Ge-
fährdung des Betreuten oder dessen Vermögen (nicht bei Gefahr für
Dritte)
5 Rechtshandlungen des Betreuten werden bei Einwilligungsvorbe-
halt erst mit Einwilligung des Betreuers wirksam
4 Eilbetreuung: bei drohender Gefahr ist über eine einstweilige Anord-
nung des Gerichts die umgehende Einrichtung einer Betreuung möglich
5 Voraussetzung: Vorliegen eines ärztlichen (möglichst: psychiatrisch-
psychotherapeutischen) Zeugnisses über den Zustand des Betrof-
fenen
3.1 · Zivilrecht
43 3

> Bei gefährlichen ärztlichen Eingriffen, Unterbringung auf einer Eigene Notizen
geschlossenen Station oder vergleichbaren Einrichtung oder bei
unterbringungsähnlichen Maßnahmen wie Fixierungen ist neben
der Zustimmung des Betreuers zusätzlich die Genehmigung des
Betreuungsgericht notwendig!

3.1.2 Einwilligungsfähigkeit

Definition
Fähigkeit, rechtswirksam in eine ärztliche Maßnahme einzuwilligen, was
voraussetzt, dass der Betroffene Art, Bedeutung und Tragweite der ärzt-
lichen Maßnahme versteht und nach dieser Einsicht entscheiden kann.

4 Rechtswirksame Zustimmung des Patienten in eine ärztliche diagnosti-


sche oder therapeutische Maßnahme setzt dessen Einwilligungsfähig-
keit voraus
> Jeder ärztliche Eingriff ohne informiertes Einverständnis des
Patienten stellt grundsätzlich eine Körperverletzung dar.

4 Bei Einwilligungsunfähigkeit des Patienten


5 Vor einer ärztlichen Maßnahme hat der Arzt die Zustimmung eines
Bevollmächtigten bzw. eines gesetzlichen Betreuers mit den Aufga-
benbereichen »Gesundheitsfürsorge« oder »Einwilligung in ärzt-
liche Heilmaßnahmen« einzuholen
5 ! Cave Familienangehörige, Ehegatten oder Lebenspartner haben
kein gesetzliches Vertretungsrecht, für den Patienten in ärztliche
Maßnahmen einzuwilligen – es sei denn, dieser hat ihnen noch im
Zustand der Geschäftsfähigkeit eine entsprechende Vollmacht er-
teilt (sog. Vorsorgevollmacht).
5 Bestehen keine Vollmacht oder noch keine Betreuung: Einrichtung
einer Betreuung anregen
> Vom (noch) einwilligungsfähigen Patienten schriftlich fixierte Vor-
entscheidungen über bestimmte ärztliche Maßnahmen für den Fall
seiner Einwilligungsunfähigkeit (sog. Patientenverfügung) sind für
Ärzte, Bevollmächtige und Betreuer grundsätzlich verbindlich.
4 Keine pauschale Feststellung der Einwilligungsfähigkeit, sondern im-
mer bezogen auf den Einzelfall: je schwerwiegender und folgenreicher
ein Eingriff, desto strengere Maßstäbe sind anzulegen
4 Gefährliche ärztliche Eingriffe bei einwilligungsunfähigen Patienten:
zusätzlich zur Zustimmung des Betreuers/Bevollmächtigten ist eine be-
treuungsgerichtliche Genehmigung erforderlich

> Notfälle: Bei einwilligungsunfähigen Patienten, akuter und nicht


anders abwendbarer Gefahr für Leben und Gesundheit des Patien-
6
44 Kapitel 3 · Forensische Psychiatrie

Eigene Notizen ten, d. h. wenn keine Zeit bleibt, die Entscheidung des Betreuers/
Bevollmächtigten/Gerichts abzuwarten, kann der Arzt auch ohne
Einwilligung die aus seiner Sicht notwendigen und dem mutmaß-
lichen Willen des Patienten entsprechenden Maßnahmen lege artis
durchführen (rechtfertigender Notstand).
3
3.1.3 Geschäftsunfähigkeit

4 Dem erwachsenen Menschen (ab Vollendung des 18. Lebensjahres) ist


zunächst Geschäftsfähigkeit zu unterstellen
4 Geschäftsunfähigkeit muss mit an Sicherheit grenzender Wahrschein-
lichkeit »bewiesen« werden, Zweifel reichen nicht aus
4 Geschäftsunfähig ist, wer
5 nicht das 7. Lebensjahr vollendet hat (Minderjährige über 7 Jahre
sind beschränkt geschäftsfähig: Eingehen rechtlicher Verpflich-
tungen ist nur mit Zustimmung des gesetzlichen Vertreters mög-
lich)
5 sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zu-
stand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, sofern nicht
der Zustand seiner Natur nach ein vorübergehender ist (d. h. nicht
kurzfristige, nur länger andauernde schwere psychische Erkran-
kungen können zur Geschäftsunfähigkeit führen)
4 Willenserklärungen eines Geschäftsunfähigen sind nichtig (ebenso wie
Willenserklärungen, die im Zustand der Bewusstseinstrübung oder nur
vorübergehenden psychischen Störung abgegeben werden wie z. B. er-
hebliche Intoxikation oder Delir)
4 Häufige Gründe für Geschäftsunfähigkeit: Manien, Schizophrenien,
hirnorganische Störungen wie Demenzen, schwere intellektuelle Min-
derbegabungen
> Allein die Diagnose einer psychischen Erkrankung reicht für die
Annahme von Geschäftsunfähigkeit nicht aus. Die Beeinträchti-
gungen aufgrund der Erkrankung müssen so schwer sein, dass
der Patient die Bedeutung der von ihm abgegebenen Willenser-
klärungen nicht mehr erkennen oder nicht nach dieser Einsicht
handeln kann.
4 Partielle Geschäftsunfähigkeit: Auswirkung einer psychischen Er-
krankung nur auf einen bestimmten Lebensbereich (z. B. bei abgegrenz-
tem Wahn) → Geschäftsunfähigkeit nur für diesen Bereich
4 Testierfähigkeit (Fähigkeit, eine letztwillige Verfügung rechtswirksam
errichten, ändern oder aufheben zu können) und Ehefähigkeit (Mög-
lichkeit, eine Ehe einzugehen): Sonderformen der Geschäftsfähigkeit
(jeder Geschäftsfähige ist auch testier- und ehefähig)
5 Testier- sowie Eheunfähigkeit müssen mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit positiv erwiesen sein (bloße Zweifel reichen
nicht)
3.2 · Strafrecht
45 3
3.2 Strafrecht Eigene Notizen

3.2.1 Schuldfähigkeit

4 Schwere psychische Erkrankungen können die Schuldfähigkeit erheb-


lich beeinträchtigen (§ 21 StGB) oder aufheben (§ 20 StGB)

Definition
§ 20 StGB. Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen: Ohne
Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften see-
lischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder
wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartig-
keit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Ein-
sicht zu handeln.
§ 21 StGB. Verminderte Schuldfähigkeit: Ist die Fähigkeit des Täters,
das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln,
aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei der Begehung der Tat er-
heblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

4 Zweistufiges Vorgehen zur Beurteilung verminderter oder aufgeho-


bener Schuldfähigkeit:
1. Beurteilung, ob zur Tatzeit eine schwere psychische Erkrankung
vorlag, die sich einem der 4 Eingangsmerkmale des § 20 StGB
(Strafgesetzbuch) zuordnen lässt:
J Krankhafte seelische Störung (Störungen, bei denen – nach
früherer Sichtweise – eine organische Ursache bekannt ist oder
vermutet wird): hirnorganische psychische Erkrankungen (z. B.
Demenzen), Intoxikationen/akuter Rausch durch psychotrope
Substanzen oder Entzugssyndrome, schizophrene Störungen,
affektive Störungen
J Tiefgreifende Bewusstseinsstörung: Bewusstseinsverände-
rungen, die bei Gesunden auftreten können und die die psychi-
sche Funktionsfähigkeit massiv einengen wie hochgradige affek-
tive Erregungszustände (bei sog. »Affektdelikten«) oder extreme
Übermüdung
J So genannter Schwachsinn: Intelligenzminderungen, die nicht
auf nachweisbaren organischen Grundlagen beruhen
J So genannte schwere andere seelische Abartigkeit: (noch) nicht
biologisch definierbare »Restkategorie« mit Persönlichkeitsstö-
rungen, sexuellen Verhaltensabweichungen, Abhängigkeiten von
psychotropen Substanzen (wobei diese eigentlich den krank-
haften seelischen Störungen zuzuordnen wären, da organische
Ursachen inzwischen erwiesen sind), nicht-stoffgebundenen
Süchten bzw. Impulskontrollstörungen, schweren Angst- und
Zwangserkrankungen
46 Kapitel 3 · Forensische Psychiatrie

Eigene Notizen > Die 4 Eingangsmerkmale sind rein juristische Termini, die sich
nicht mit der psychiatrischen Nomenklatur decken.
Die verwendeten Begriffe sind historisch zu verstehen und im
medizinischen Sinne teilweise obsolet (z. B. »Abartigkeit«).

3 2. Wenn (1.) zutreffend: Beurteilung, ob die Fähigkeit, das Unrecht der


Tat einzusehen (Einsichtsfähigkeit) oder nach dieser Einsicht zu
handeln (Steuerungsfähigkeit) durch die psychische Erkrankung
aufgehoben oder erheblich vermindert war
J Berücksichtigung äußerer (z. B. Erscheinungsbild des Täters) und
innerer (z. B. Vorgehensweise) Kennzeichen des Tatgeschehens
J Bewertung von Schweregrad und Akuität der Erkrankung und
der Symptome zum Tatzeitpunkt
J Beurteilung des Schweregrades orientiert sich am klinischen Bild
(Psychopathologie) der »krankhaften seelischen Störung« und
der durch sie bewirkten Minderung oder Aufhebung von Ein-
sichts- und Steuerungsfähigkeit
> Beurteilungsmaßstab der Schuldunfähigkeit: die in einer akuten
Psychose begangene und psychotisch motivierte Tat.

3.3 Unterbringungsrecht

4 Artikel 2 Grundgesetz (GG): Handlungsfreiheit, Freiheit der Person


4 Beschneidung dieser Rechte nur durch richterlichen Beschluss möglich
4 3 Formen der richterlich angeordneten Unterbringung bei psychisch
Kranken
5 Unterbringung nach Länderrecht: Gesetz für psychisch Kranke
(PsychKG)/Unterbringungsgesetze der Länder (UBG)
5 Unterbringung nach Betreuungsrecht (Zivilrecht)
5 Maßregelvollzug bei psychisch kranken Straftätern
> In jedem Fall bedarf es eines richterlichen Beschlusses über die
Anordnung der Unterbringung.

3.3.1 Unterbringung nach Länderrecht (PsychKG, UBG)

4 Gesetzliche Bestimmungen variieren in den unterschiedlichen Bundes-


ländern
4 Unterbringung kann sowohl zum Schutz und Wohl des Patienten als
auch zum Schutz der Allgemeinheit bzw. »bedeutsamer Rechtsgüter
anderer« erfolgen
4 Voraussetzungen
5 Konkrete, unmittelbare Selbst- und/oder Fremdgefährdung, die
auf eine psychische Erkrankung zurückzuführen ist
3.3 · Unterbringungsrecht
47 3

> Allein fehlende Krankheits- und/oder Behandlungseinsicht recht- Eigene Notizen


fertigen keine Unterbringung!
5 Nichtabwendbarkeit der Gefährdung durch andere, weniger ein-
schneidende Maßnahmen (Unterbringung immer ultima ratio!)
5 Eingriff in die persönliche Freiheit darf nicht außer Verhältnis ste-
hen zur Schutzwürdigkeit der vom Patienten gefährdeten Rechts-
güter anderer
4 In den meisten Bundesländern hat der Untergebrachte eine Duldungs-
pflicht hinsichtlich einer Behandlung, die der Wiederherstellung seiner
Gesundheit dient, sofern sie nicht mit einer Gefahr für sein Leben oder
seine Gesundheit verbunden ist oder zu einer gravierenden Persönlich-
keitsveränderung führt
4 Häufige Diagnosen bei Einweisung: schizophrene oder manische Störun-
gen, Substanzabhängigkeiten und organische psychische Erkrankungen
4 3 Stufen des Unterbringungsverfahrens
5 Einleitung der Unterbringung durch die örtliche Verwaltungsbe-
hörde (variiert je nach Bundesland, i. d. R. Ordnungsamt, Polizei,
Gesundheitsamt) unter Beifügung eines ärztlichen Zeugnisses beim
Amtsgericht
5 Psychiatrischer Sachverständiger nimmt zu den Voraussetzungen
der Unterbringung Stellung (psychiatrisches Gutachten)
5 Richter entscheidet nach persönlicher Anhörung des Betroffenen
über die Unterbringung (persönliche Anhörung kann dann unter-
bleiben – (extrem selten) –, wenn dadurch eine Verschlechterung
des psychischen Zustandes des Patienten befürchtet wird)
Sofortige/vorläufige Unterbringung nach PsychKG/UBG
Voraussetzungen
4 Vorliegen eines ärztlichen Zeugnisses
4 Unverzügliche Meldung an das Amtsgericht
4 Anordnung einer vorläufigen Unterbringung von begrenzter Dauer
durch den Amtsrichter
5 nach Anhörung des Betroffenen und Stellungnahme eines psychia-
trischen Sachverständigen
5 meist innerhalb von 24 h nach Einweisung (Zeitangabe variiert nach
Bundesländern)

3.3.2 Zivilrechtliche/betreuungsrechtliche
Unterbringung (§ 1906 BGB)

4 Ausschließlich zum Schutz und Wohl des Patienten (zur Abwendung


von Eigengefährdung und Sicherstellung einer medizinisch notwen-
digen Behandlung; nicht zum Schutz Dritter)
4 Voraussetzungen
5 Gefahr der Selbsttötung oder »erheblichen gesundheitlichen Schä-
digung aufgrund einer psychischen Erkrankung oder geistigen oder
seelischen Behinderung« oder
48 Kapitel 3 · Forensische Psychiatrie

Eigene Notizen 5 die Unterbringung ist zur Durchführung einer notwendigen Unter-
suchung, Heilbehandlung oder eines notwendigen ärztlichen Ein-
griffs erforderlich, und der Patient kann aufgrund seiner Erkran-
kung die Notwendigkeit der Unterbringung nicht erkennen oder
nicht nach dieser Einsicht handeln
3 5 Betreuer mit dem Aufgabenkreis »Aufenthaltsbestimmung« ist be-
stellt (oder es gibt einen entsprechenden Bevollmächtigten), der die
Unterbringung beantragt (ansonsten: Einrichtung einer Eilbe-
treuung oder das Betreuungsgericht selbst kann im Rahmen einer
»einstweiligen Maßregel« die Unterbringung verfügen)
5 Genehmigung der Unterbringung durch das Betreuungsgericht
(kann unverzüglich nachgeholt werden, wenn mit dem Aufschub
der Unterbringung eine Gefahr für Gesundheit und Leben des Be-
troffenen droht)
4 Unterbringungsähnliche Maßnahmen (Fixierungen, Bettgitter, sedie-
rende und primär auf die Ruhigstellung des Patienten ausgerichtete
Medikamente) sind unter denselben Voraussetzungen zulässig wie die
Unterbringung
5 Richterlich genehmigungspflichtig, wenn sie über einen längeren
Zeitraum oder regelmäßig erfolgen
> Die Freiräume des Patienten und die Flexibilität der Behandlung
sind bei der zivilrechtlichen im Vergleich zur landesrechtlichen
Unterbringung größer. Der zeitliche Aufwand für die Einrichtung
einer Betreuung ist jedoch höher.

3.3.3 Freiheitsentziehende Maßregeln der Besserung


und Sicherung

4 Bei psychisch kranken Straftätern


4 Zur Behandlung und Wiedereingliederung des Täters und zum Schutz
der Allgemeinheit
4 Anordnung von Maßregeln nach dem Verhältnismäßigkeitengrund-
satz: sie sind nur zulässig, wenn das Interesse der Allgemeinheit im
konkreten Fall schwerer wiegt als die Freiheitsbeschränkung für den
Betroffenen und weniger einschneidende Maßnahmen nicht ausreichen
4 Unterbringung gem. § 63 StGB: Unterbringung in einem psychia-
trischen Krankenhaus (zunächst unbefristet, Dauer auf bestehende
Gefährlichkeit begrenzt); Voraussetzungen
5 Vorliegen von Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) oder verminderter
Schuldfähigkeit (§ 21 StGB)
5 Fortbestehende Gefährlichkeit aufgrund der psychischen Erkran-
kung (negative Kriminalprognose)
4 Für suchtkranke Rechtsbrecher Unterbringung gem. § 64 StGB: Unter-
bringung in einer Entziehungsanstalt, d. h. einer psychiatrisch-psy-
chotherapeutischen, auf Suchtmedizin spezialisierten Klinik (i. d. R.
maximal 2 Jahre); Voraussetzungen:
3.4 · Sozialrecht
49 3

5 Hang, alkoholische oder andere berauschende Mittel im Übermaß Eigene Notizen


zu sich zu nehmen
5 Straftat geht auf diesen Hang zurück oder wurde im Rausch be-
gangen
5 Fortbestehende Gefahr für weitere rechtswidrige Taten infolge des
Hanges
5 Behandlungsfähigkeit
4 Ist eine Maßregel nach § 63 oder § 64 StGB wahrscheinlich, kann – aus-
schließlich zum Schutz der Gemeinschaft – eine einstweilige Unter-
bringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gem. § 126a StPO
(Strafprozessordnung) erfolgen
4 Unterbringung gem. § 66 StGB: Sicherungsverwahrung (unbefristet)
5 Zum Schutz der Allgemeinheit vor gefährlichen »Hangtätern« (Tä-
tern mit gegebenem Hang zu erheblichen vorsätzlichen Straftaten
und fortbestehender Gefährlichkeit)
5 Kann zusätzlich zu einer Freiheitsstrafe angeordnet werden
5 Kommt bei Schuldfähigen und vermindert Schuldfähigen in Be-
tracht
5 Eine psychische Erkrankung ist für die Sicherungsverwahrung nicht
Voraussetzung
5 Wird i. d. R. mit Fällung des Urteils verhängt, kann aber auch nach-
träglich angeordnet werden

3.4 Sozialrecht

3.4.1 Erwerbsminderung

4 Begriff in der gesetzlichen Rentenversicherung


4 Teilweise Erwerbsminderung: aufgrund Krankheit oder Behinderung auf
nicht absehbare Zeit außerstande, mindestens 6 h täglich erwerbstätig
zu sein
4 Volle Erwerbsminderung: wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht
absehbare Zeit außerstande, mindestens 3 h täglich erwerbstätig zu
sein
4 Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung bei Vorliegen einer psy-
chischen Erkrankung, die die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit in erheb-
lichem Maße in einer vom Betroffenen selbst nicht zu überwindenden
Weise hemmt
4 Zugrunde gelegt werden alle denkbaren Tätigkeiten auf dem allgemeinen
Arbeitsmarkt – unabhängig von Ausbildung und vorherigem Beruf
4 Besonders relevante psychische Erkrankungen, wobei eine Erwerbs-
minderung durch die genannten Erkrankungen keineswegs zwangsläu-
fig ist
5 Depressive Störungen
5 Schizophrene Störungen
5 Suchterkrankungen
5 Dissoziative Störungen (Konversionsstörungen)
50 Kapitel 3 · Forensische Psychiatrie

Eigene Notizen 5 Somatoforme Störungen, Schmerzstörungen


5 Angst- und Zwangsstörungen
4 Zu achten ist insbesondere auf die Gefahr von Simulation und Aggra-
vation

3 Definition
Simulation: bewusstes Vortäuschen nicht vorhandener somatischer
oder psychischer Krankheitssymptome bzw. ihre absichtliche Herbeifüh-
rung.
Aggravation: bewusst übertriebenes Betonen vorhandener Krankheits-
symptome.

3.4.2 Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE)

4 Begriff in der gesetzlichen Unfallversicherung und im sozialen Ent-


schädigungsrecht
4 Ausdruck des Ausmaßes der verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf
dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens, das sich aus den unfall- oder
schädigungsbedingten körperlichen und psychischen Beeinträchti-
gungen des Leistungsvermögens ergibt
4 Angabe in Prozentsätzen, die grundsätzlich durch 10 teilbar sein sollten
und in »Vomhundertsätzen« angegeben werden

3.5 Fahreignung und Fahrtüchtigkeit

4 Mögliche Aufhebung von Fahreignung und Fahrtüchtigkeit durch psy-


chische Erkrankungen, zentral wirksame Arzneimittel oder Konsum
anderer psychotroper Substanzen

Definition
Fahrtüchtigkeit: Fähigkeit zum Führen eines Fahrzeugs zu einem kon-
kreten Zeitpunkt.

4 Fahruntüchtigkeit muss auf den Konsum berauschender Mittel und/


oder auf sog. körperliche oder geistige Mängel zurückzuführen sein
4 Beurteilung von Fahrtüchtigkeit meist im Rahmen von Verkehrs-
delikten

Definition
Fahreignung: generelle, nicht auf eine bestimmte Situation bezogene
Fähigkeit einer Person zum Führen von Fahrzeugen.
3.5 · Fahreignung und Fahrtüchtigkeit
51 3

4 Voraussetzungen der Fahreignung: Erfüllung der erforderlichen kogni- Eigene Notizen


tiv-emotionalen Anforderungen, kein wiederholter oder erheblicher
Verstoß gegen das Straßenverkehrsrecht oder das Strafgesetz
4 Nicht geeignet zum Führen eines Fahrzeugs sind Personen mit
5 Schweren demenziellen Erkrankungen
5 Akuten psychischen Erkrankungen mit Realitätsverkennung
5 Persönlichkeitsstörungen oder -akzentuierungen mit hoher Impul-
sivität (insbesondere schwere dissoziale oder emotional instabile
Persönlichkeitsstörung)
5 Schweren Intelligenzminderungen (bei einem Intelligenzquotienten
von unter 70 ist die Fahreignung zu überprüfen)
5 Missbräuchlichem Konsum psychotroper Substanzen
4
Tag 2 – Therapie

4 Psychopharmakotherapie
4.1 Antidepressiva – 56
4.1.1 Tri-/tetrazyklische Antidepressiva – 57
4.1.2 Monoaminoxidase-Inhibitoren (MAO-Hemmer) – 58
4.1.3 Selektive Serotonin-Rückaufnahme-Inhibitoren (SSRI) – 59
4.1.4 Selektive Noradrenalin-Rückaufnahme-Inhibitoren (SNRI) – 60
4.1.5 Selektive Serotonin- und Noradrenalin-Rückaufnahme-Inhibitoren
(SSNRI) – 60
4.1.6 Alpha-2-Antagonisten – 61
4.1.7 Noradrenalin-Dopamin-Rückaufnahme-Inhibitoren (NDRI) – 61
4.1.8 Johanniskraut-Extrakte (Phytopharmaka) – 61
4.1.9 Wirksamkeit der Antidepressiva – 62
4.1.10 Kontraindikationen für Antidepressiva – 62

4.2 Phasenprophylaktika (Stimmungsstabilisierer) – 62


4.2.1 Lithium – 63
4.2.2 Carbamazepin – 64
4.2.3 Valproinsäure (Valproat) – 65
4.2.4 Lamotrigin – 66

4.3 Antipsychotika – 66
4.3.1 Konventionelle Antipsychotika – 67
4.3.2 Atypische Antipsychotika – 68
4.3.3 Nebenwirkungen der Antipsychotika – 69
4.3.4 Kontraindikationen für Antipsychotika – 72
4.3.5 Depot-Antipsychotika – 72

4.4 Benzodiazepine – 73

4.5 Nichtbenzodiazepin-Hypnotika – 74

4.6 Nichtbenzodiazepin-Anxiolytika – 75

4.7 Antidementiva (Nootropika) – 75


4.7.1 Acetylcholinesterase-Hemmer – 75
4.7.2 Glutamatmodulatoren – 75
4.8 Stimulanzien – 76
4.8.1 Methylphenidat – 76
4.8.2 Modafinil – 77

4.9 Allgemeine Psychopharmakotherapie im Alter – 77

4.10 Psychopharmakainduzierte Notfälle – 78


4.10.1 Malignes neuroleptisches Syndrom – 78
4.10.2 Akute Dystonien/Frühdyskinesien – 78
4.10.3 Zentrales Serotoninsyndrom – 79
4.10.4 Zentrales anticholinerges Syndrom – 79
4 · Psychopharmakotherapie
55 4

Definition Eigene Notizen


Psychopharmaka = ZNS-wirksame Substanzen, die primär zur Behand-
lung psychischer Erkrankungen und Symptome eingesetzt werden.

4 Einteilung der Psychopharmaka hinsichtlich des hauptsächlichen Wirk-


samkeitsspektrums in
5 Antidepressiva
5 Antipsychotika (früher: Neuroleptika)
5 Anxiolytika (angst- und spannungslösende Substanzen; wichtigste
Gruppe: Benzodiazepine)
5 Hypnotika (schlaffördernde, -induzierende Substanzen; v. a. Benzo-
diazepinhypnotika und Nicht-Benzodiazepinhypnotika)
5 Antidementiva
5 Phasenprophylaktika
5 Stimulanzien
4 Rückführung spezifischer klinischer Wirkungen auf ein umschriebenes
molekulares Wirkprinzip nur selten möglich
4 Rückführbarkeit der Nebenwirkungen auf die Beeinflussung spezi-
fischer Neurotransmitter dagegen gut möglich
5 Blockade cholinerger M1-Rezeptoren → Mundtrockenheit, Miktions-
störungen, Obstipation, Sehstörungen (Akkomodationsstörungen),
Steigerung des Augeninnendrucks, Sinustachykardie, (Prä-)Delir,
Gedächtnisstörungen
5 Blockade histaminerger H1-Rezeptoren → Müdigkeit, Sedierung,
Gewichtszunahme, Verschlechterung der Kognition
5 Blockade adrenerger α1-Rezeptoren → orthostatische Hypotonie,
Schwindel, reflektorische Tachykardien, Sedierung, verstärktes
Schwitzen
5 Blockade dopaminerger D2-Rezeptoren → Extrapyramidalmoto-
rische Störungen, Prolaktinanstieg, sexuelle Appetenzstörungen
5 Blockade serotonerger 5HT2-Rezeptoren → Sedierung, Gewichtszu-
nahme (5HT2C)
5 Agonistische Wirkung an Serotonin-Rezeptoren → Gewichtsreduk-
tion, Übelkeit, Diarrhö, Tremor, Unruhe, Agitiertheit, Angst, De-
pressiogenität, Insomnie, Kopfschmerzen, Schwindel, Dysphorie,
verstärktes Schwitzen, (häufig persistierende) sexuelle Funktions-
störungen
5 Agonistische Wirkungen an Noradrenalin-Rezeptoren → Tremor,
Unruhe, Tachykardie, Kopfschmerzen, Miktionsstörungen, ver-
stärktes Schwitzen, Mundtrockenheit
5 Agonistische Wirkung an dopaminergen D2-Rezeptoren → Übel-
keit
5 Agonistische Wirkung an GABAA-Rezeptoren → Sedierung, Muskel-
schwäche
4 Wechselwirkungen
5 Verstoffwechselung der meisten Psychopharmaka über Cytochrom-
P450-Subsysteme (Phase-I-Enzyme des Arzneimittelmetabolis-
56 Kapitel 4 · Psychopharmakotherapie

Eigene Notizen mus) → mögliche pharmakokinetische Interaktionen mit Substan-


zen, die als Enzyminduktoren und -inhibitoren über die Cytochrom-
oxidase P450 wirken
5 Aber auch Interaktionen in Bezug auf den Phase-II-Metabolismus
können entscheidend sein (z. B. bei Lamotrigin)
> Bei 5–10% der kaukasischen Bevölkerung fehlt eine CYP450-Unter-
art (Isoenzym 2D6) aufgrund einer Genvariante → verlangsamte
4 Elimination (»low metaboliser«) der über dieses Enzym verstoff-
wechselten Arzneimittel → sehr hoher Plasmaspiegel schon bei
üblichen Dosierungen.
Umgekehrt kommt es bei CYP450-Insoenzym-Duplizierung zu
einer abnorm hohen Metabolisierungsrate (»high metaboliser«).

4.1 Antidepressiva

4 Substanzen, die stimmungsaufhellend und/oder in unterschiedlichem


Maße antriebssteigernd oder psychomotorisch dämpfend sowie anxio-
lytisch wirken
4 Keine Abhängigkeits- oder Toleranzentwicklung
4 Einteilung
5 Tri- und tetrazyklische Antidepressiva (TZA)
5 Irreversible und reversible Monoaminoxidase-Hemmer (MAO-
Hemmer)
5 Selektive Serotonin-Rückaufnahme-Inhibitoren (SSRI)
5 Selektive Noradrenalin-Rückaufnahme-Inhibitoren (SNRI)
5 Selektive Serotonin- und Noradrenalin-Rückaufnahme-Inhibitoren
(SSNRI)
5 Noradrenalin-Dopamin-Rückaufnahmeinhibitoren (NDRI)
5 α2-Antagonisten (noradrenerge und spezifisch serotonerge Anti-
depressiva = NaSSA)
5 Phytotherapeutika (v. a. Johanniskrautextrakt)
4 Hauptindikation: depressive Erkrankungen
4 Zusatzindikationen für viele andere psychische Erkrankungen (→ breites
Indikationsgebiet), z. B.
5 Angststörungen (v. a. SSRI, MAO-Hemmer)
5 Zwangsstörungen (v. a. SSRI)
5 Posttraumatische Belastungsstörung (v. a. SSRI)
5 Bulimische Essstörungen (einige SSRI)
5 Chronische Schmerzsyndrome (v. a. das TZA Amitriptylin)
5 Schlafstörungen (v. a. sedierende TZA wie Amitriptylin, Doxepin,
Trimipramin)
5 Entzugssyndrome (v. a. das TZA Doxepin)
5 ADHS (der SNRI Atomoxetin)
4.1 · Antidepressiva
57 4

> Zu beachten: bei allen Antidepressiva Wirklatenz (Wirkungsein- Eigene Notizen


tritt nach 2–4 Wochen); sedierende oder antriebssteigernde Wir-
kungen sowie anxiogene und depressiogene Nebenwirkungen
treten allerdings sofort ein. → Insbesondere zu Therapiebeginn
können Patienten trotz der Antidepressiva stark suizidgefährdet
sein, z. B. bei wiederhergestelltem Antrieb aber noch tief depres-
siver Stimmung (Suizidgefährdung aber grundsätzlich in jedem
Stadium der Erkrankung!).

4.1.1 Tri-/tetrazyklische Antidepressiva

4 Präparate: z. B. Amitriptylin, Clomipramin, Desipramin, Doxepin,


Imipramin, Maprotilen, Mianserin, Trimipramin, Nortriptylin
4 Gemeinsame Einteilung aufgrund gemeinsamer Tri-oder Tetrazyklus-
Struktur mit zentralem siebengliedrigem Ring (im Gegensatz zu den
Antipsychotika mit sechsgliedrigem Ring)
4 In der Summe hohe antidepressive Wirksamkeit, wenn im richtigen
Plasmaspiegel
4 Historische Einteilung nach Kielholz in
5 Eher sedierende Antidepressiva vom Amitriptylin-Typ: neben
Amitriptylin z. B. Doxepin, Trimipramin, Mianserin
5 Eher antriebssteigernde Antidepressiva vom Desipramin-Typ: ne-
ben Desipramin z. B. Nortriptylin
5 Antidepressiva vom Imipramin-Typ (nehmen eine Mittelstellung
ein)
4 Hauptwirkmechanismus über Rückaufnahmehemmung von Serotonin
und/oder Noradrenalin aus dem synaptischen Spalt
4 Zusätzlich gleichzeitige Wirkungen an diversen anderen Rezeptoren
(α1-, H1-, M1-Rezeptorantagonismus) → nicht-selektive Wirkung
4 Aufgrund der Nonselektivität großes Nebenwirkungsspektrum (mehr
Nebenwirkungen als andere Antidepressiva, mehr nebenwirkungsbezo-
gene Therapieabbrüche → nicht Mittel der 1. Wahl bei der Behandlung
depressiver Störungen)
5 Viele Nebenwirkungen zu Therapiebeginn (Eindosierungseffekte)
→ einschleichend dosieren!
5 Seltener Nebenwirkungen bei abruptem Therapieabbruch (Ab-
setzphänomene): v. a. Übelkeit, Erbrechen, Schwindel, innere
Unruhe, Schlafstörungen, Niedergeschlagenheit, grippeähnliche
Symptome
4 Allgemeine Nebenwirkungen der TZA
5 Vor allem anticholinerge Nebenwirkungen durch Blockade mus-
karinischer Acetylcholinrezeptoren (z. B. Mundtrockenheit, Obsti-
pation, Miktionsstörungen, Tachykardie)
5 ! Cave Gefahr anticholinerger Delirien, v. a. bei älteren Patienten
und zerebraler Vorschädigung → möglichst keine Kombination mit
anderen anticholinergen Substanzen sowie kein Einsatz bei de-
menten oder älteren Patienten!
58 Kapitel 4 · Psychopharmakotherapie

Eigene Notizen 5 Antihistaminerge Nebenwirkungen durch Blockade von Histamin-


(H1)-Rezeptoren (v. a. Sedierung, Gewichtszunahme)
5 Antiadrenerge Nebenwirkungen durch Blockade adrenerger α1-Re-
zeptoren (z. B. orthostatische Hypotonie, verstärktes Schwitzen,
Palpitationen)
5 Noradrenerge Nebenwirkungen durch Wiederaufnahmehemmung
von Noradrenalin (Tremor, Unruhe, Tachykardie, Kopfschmerzen,
Miktionsstörungen, verstärktes Schwitzen, Mundtrockenheit)
4 5 Serotonerge Nebenwirkungen durch Wiederaufnahmehemmung
von Serotonin (z. B. Übelkeit, Erbrechen, Unruhe, Schlafstörungen,
sexuelle Funktionsstörungen)
5 ! Cave Aufgrund der serotonergen Wirkung Gefahr des Sero-
toninsyndroms (7 Kap. 4.10.3) bei Kombination mit anderen sero-
toninagonistischen Substanzen!
5 Weitere Nebenwirkungen: Verlangsamung der kardialen Erregungs-
leitung (Verlängerung von PR- und QT-Intervallen), allergische Exan-
theme, selten Krampfanfälle durch Senkung der Krampfschwelle
5 ! Cave bei Überdosierung (auch in suizidaler Absicht) Kardio-
toxizität!
! Therapeutisches Drug-Monitoring (Plasmaspiegelbestimmungen)
zur Optimierung der Wirkungs- und Nebenwirkungs-Beziehungen
und regelmäßige Kontrolluntersuchungen wie EKG, EEG, Puls-
und Blutdruckmessung sowie Bestimmung laborchemischer Para-
meter sind durchzuführen.

4.1.2 Monoaminoxidase-Inhibitoren (MAO-Hemmer)

4 Hemmung der Monoaminoxidase → höhere Aminkonzentration im


Zytosol
4 2 Isoenzyme der MAO
5 MAO-A: Hauptsubstrate sind Adrenalin, Noradrenalin, Serotonin;
zusätzlich Dopamin, Tryptamin
5 MAO-B: Hauptsubstrate sind Phenethylamin, Tyramine, Benzyl-
amin; zusätzlich Dopamin, Tryptamin
4 Präparate
5 Tranylcypromin: nicht-selektiver (inhibiert MAO-A und MAO-B)
und irreversibel bindender MAO-Hemmer (Hemmung klingt erst
nach 7–10 Tagen ab)
5 Moclobemid: selektiver (inhibiert nur MAO-A) und reversibel bin-
dender MAO-Hemmer (beendet seine Wirkung nach 12–24 h)
4 Relativ starke antriebssteigernde Wirkung
4 Gute Wirksamkeit bei Depressionen, insbesondere atypischen Depres-
sionen
4 Häufige Nebenwirkungen von Tranylcypromin (meist als Eindosierungs-
effekte)
5 Innere Unruhe, Bewegungsdrang, Schlaflosigkeit
5 Orthostatische Hypotonie (→ Sturzgefahr)
4.1 · Antidepressiva
59 4

5 Übelkeit Eigene Notizen


5 Kopfschmerzen
5 Schwindel
5 Verstärktes Schwitzen
5 Palpitationen
5 Tremor
5 Gefahr des Serotoninsyndroms, wenn kombiniert mit serotonergen
Substanzen (s. unten)
4 Bei Einnahme von Tranylcypromin tyraminarme Diät notwendig (we-
gen Gefahr hypertensiver Krisen und zerebraler Blutungen; Tyramin =
indirektes Sympathomimetikum): Verzicht auf:
5 Viele Käsesorten (»Käseeffekt«)
5 Rotwein und viele andere alkoholische Getränke
5 Bitterschokolade u. v. m.
> Irreversibler MAO-Hemmer Tranylcypromin ist nur »Reserve-Anti-
depressivum« bei Therapieresistenz.
4 Günstigeres Nebenwirkungsprofil von Moclobemid
5 Häufigste Nebenwirkungen: Übelkeit, Unruhe
5 Spezifische tyraminarme Diät i. d. R. nicht notwendig
4 Bei Kombination von MAO-Hemmern mit proserotonergen Substanzen
(z. B. SSRI, Clomipramin) Gefahr des Serotoninsyndroms (7 Kap.
4.10.3) (gilt v. a. für Tranylcypromin)
5 Kombination vermeiden, insbesondere auch mit Tryptophan-Prä-
paraten (nicht verschreibungspflichtig)
5 Bei Umstellung eines MAO-Hemmers auf eine andere prosero-
tonerge Substanz (SSRI, TZA) und umgekehrt sind Sicherheits-/
Karenzabstände zu beachten
5 Absetzen des irreversiblen MAO-Hemmers mindestens 2 Wochen
vor Therapiebeginn mit einem anderen überwiegenden oder selek-
tiven Serotoninrückaufnahmehemmer

4.1.3 Selektive Serotonin-Rückaufnahme-Inhibitoren


(SSRI)

4 Präparate: z. B. Citalopram, Escitalopram, Fluoxetin, Fluvoxamin, Pa-


roxetin, Sertralin
4 Wirkmechanismus: selektive Blockade des Serotonintransporters
4 Eher antriebssteigernde Wirkung
4 Breites Indikationsgebiet: depressive Störungen, Angst- und Zwangs-
störungen, Bulimie (Fluoxetin), posttraumatische Belastungsstörung
4 Relativ günstiges Nebenwirkungsprofil
5 Viele Nebenwirkungen meist nur vorübergehend und zu Therapie-
beginn (v. a. Übelkeit und Erbrechen sowie innere Unruhe)
5 Selten Absetzphänomene: Übelkeit, Erbrechen, Schwindel, innere
Unruhe, Schlafstörungen, Niedergeschlagenheit, grippeähnliche
Symptome
60 Kapitel 4 · Psychopharmakotherapie

Eigene Notizen 5 Keine nennenswerten anticholinergen, sedierenden und kardialen


Nebenwirkungen durch Begleitwirkungen an anderen Rezeptoren
4 Wesentliche Nebenwirkungen der SSRI
5 Übelkeit, Erbrechen
5 Darmmotilitätsstörungen
5 Unruhe
5 Angst, depressiogene Effekte
5 Schlafstörungen
4 5 Kopfschmerzen
5 Sexuelle Funktionsstörungen
5 Selten Serotoninsyndrom (7 Kap. 4.10.3) bei Kombination mit ande-
ren serotoninagonistischen Substanzen
5 ! Cave Kombination mit Monoaminoxidasehemmern, anderen
Serotonin-Rückaufnahme-Hemmern, L-Tryptophan und Triptanen
(Migränemittel) vermeiden!
5 Bei Patienten <25 Jahren wird ein erhöhtes Risiko für Suizidalität
nicht ausgeschlossen (kontroverse Datenlage)

4.1.4 Selektive Noradrenalin-Rückaufnahme-Inhibitoren


(SNRI)

4 Präparate
5 Reboxetin zur Behandlung depressiver Störungen
5 Atomoxetin, zugelassen zur Behandlung der ADHS im Kindes- und
Jugendalter
4 Wirkmechanismus: selektive Blockierung präsynaptischer Noradre-
nalintransporter
4 Vor allem adrenerge Nebenwirkungen, insbesondere
5 Miktionsstörungen, Harnverhalt
5 Mundtrockenheit
5 Obstipation
5 Verstärktes Schwitzen
5 Tachykardie
5 Innere Unruhe mit Schlaflosigkeit

4.1.5 Selektive Serotonin- und Noradrenalin-


Rückaufnahme-Inhibitoren (SSNRI)

4 Präparate: Duloxetin, Venlafaxin


4 Duale Serotonin- und Noradrenalin-Rückaufnahme-Hemmer
4 Venlafaxin: in niedriger Dosierung v. a. Serotoninrückaufnahmehem-
mung, erst in höherer Dosierung zusätzliche Noradrenalinrückaufnah-
mehemmung (→Indikationsgebiet: depressive Störung, Panikstörung,
generalisierte Angststörung, soziale Phobie)
4 Duloxetin: sowohl in niedriger als auch hoher Dosierung Serotonin-
und Noradrenalinrückaufnahmehemmung
4.1 · Antidepressiva
61 4

4 Relativ günstiges Nebenwirkungsprofil Eigene Notizen


5 Häufigste Nebenwirkung: Übelkeit (v. a. bei Eindosierung)
5 Gefahr des Serotoninsyndroms bei Kombination mit proserotoner-
gen Substanzen (7 Kap. 4.10.3)
4 Seltener Absetzphänomene: Übelkeit, Erbrechen, Schwindel, innere
Unruhe, Schlafstörungen, Niedergeschlagenheit, grippeähnliche Symp-
tome

4.1.6 Alpha-2-Antagonisten

4 Präparat: Mirtazapin
4 Noradrenerges und spezifisch serotonerges Antidepressivum (NaSSA)
5 Zentral wirksamer präsynaptischer α2- (schwächer auch α1-) Anta-
gonist → indirekte Verstärkung der Freisetzung von Noradrenalin
und Serotonin
5 Zusätzliche antagonistische Effekte auf postsynaptische 5HT2- und
5HT3-Rezeptoren → relativ höhere Stimulierung von 5HT1-Rezep-
toren → Verminderung unerwünschter serotonerger Nebenwir-
kungen
4 Außerdem sedierende Wirkung über Blockade von H1-Rezeptoren
4 Relativ gut verträglich; wesentliche Nebenwirkungen:
5 Müdigkeit, Sedierung (häufig erwünscht)
5 Teilweise erhebliche Gewichtszunahme

4.1.7 Noradrenalin-Dopamin-Rückaufnahme-Inhibitoren
(NDRI)

4 Präparat: Bupropion
4 Kombinierter Noradrenalin- und Dopamin-Rückaufnahmehemmer
4 Häufige Nebenwirkungen
5 Mundtrockenheit
5 Schlaflosigkeit
5 Kopfschmerzen
5 Gastrointestinale Störungen
5 Appetitlosigkeit ( ! Cave kein Einsatz bei Patienten mit Anorexia
oder Bulimia nervosa!)
5 Kann dosisabhängig die Krampfschwelle senken ( ! Cave Kein
Einsatz bei Patienten mit zerebralem Krampfleiden!)
4 Zugelassen auch zur Raucherentwöhnung

4.1.8 Johanniskraut-Extrakte (Phytopharmaka)

4 Wirkstoff Hyperforin: indirekt rückaufnahmehemmender Effekt für


Serotonin, Noradrenalin, Dopamin, GABA, L-Glutamat durch Modu-
lation von Na-Kanälen
62 Kapitel 4 · Psychopharmakotherapie

Eigene Notizen > Viele Wechselwirkungen durch CYP3A4-induzierende Wirkung


(Wirkungsverminderung u. a. von oralen Antikoagulanzien,
Kontrazeptiva, Antikonvulsiva).
Wichtige Nebenwirkung: mögliche Photosensibilisierung.
Wegen fehlender Wirksamkeit bei schweren Depressionen und
vielen Wechselwirkungen nicht Mittel 1. Wahl bei der Behandlung
depressiver Störungen.

4
4.1.9 Wirksamkeit der Antidepressiva

4 Nicht bei jedem Patienten wirken Antidepressiva entsprechend der In-


dikation, es gibt zahlreiche Non-Responder (wie auch bei jeder Psycho-
therapie!)
4 Grundsätzlich sollte immer eine Pharmakotherapie mit einer Psycho-
therapie verbunden sein; bei leichten und mittelschweren Depressionen
kann auch eine alleinige Psychotherapie indiziert sein

4.1.10 Kontraindikationen für Antidepressiva

4 Überempfindlichkeiten gegen den Wirkstoff oder weitere Bestandteile


4 Akute Intoxikationen mit Alkohol, Analgetika, Schlafmitteln und ande-
ren Psychopharmaka
4 Akute Manien
4 Schwere Leber- und Nierenerkrankungen
4 Weitere Kontraindikationen speziell für TZA
5 Kardiale Reizleitungsstörungen
5 Zerebrale Krampfanfälle
5 Engwinkelglaukom
5 Ileusrisiko
5 Prostatahypertrophie, Harnverhalt
5 Akute Delirien
5 Demenz
5 Hohes Lebensalter
4 Weitere Kontraindikationen speziell für MAO-Hemmer
5 Phäochromozytom
5 Entgleiste Schilddrüsenerkrankungen (Thyreotoxikose)

4.2 Phasenprophylaktika (Stimmungsstabilisierer)

4 Substanzen primär zur Stimmungsstabilisierung und Prophylaxe de-


pressiver und/oder manischer Stimmungsschwankungen im Rahmen
affektiver und schizoaffektiver Störungen
5 Lithiumsalze
5 Antikonvulsiva: Valproinsäure, Carbamazepin, Lamotrigin
5 Atypische Antipsychotika: Olanzapin, Aripiprazol
4 Keine Abhängigkeitsentwicklung von Phasenprophylaktika
4.2 · Phasenprophylaktika (Stimmungsstabilisierer)
63 4
4.2.1 Lithium Eigene Notizen

4 Alkalimetall, kommt in verschiedenen Salzen zur Anwendung


4 Wirkungsmechanismen nicht vollständig geklärt (u. a. Wirkung auf
second-messenger-Systeme, z. B. Inositol-reduzierender Effekt)
4 Einsatz als Phasenprophylaktikum bei bipolarer Störung oder zur Be-
handlung einer akuten manischen Episode
5 Notwendige Plasmakonzentrationen für den Einsatz als Phasenpro-
phylaktikum: 0,6–0,8 mmol/l
5 Notwendige Plasmakonzentrationen zur Behandlung der akuten
Manie: 0,9–1,1 mmol/l
J Antimanische Wirkung meist nach 1-bis 2-wöchiger Wirklatenz
> Überdosierungsphänomene schon ab 1,5 mmol/l oder früher.
Ab 2,5 mmol/l schwere Intoxikationen.
4 Einsatz von Lithium auch zur Behandlung depressiver Episoden im Rah-
men einer Augmentationstherapie (antisuizidaler Effekt von Lithium),
aber auch als Monotherapie bei bipolaren Depressionen
4 Sediert nur wenig, verursacht wenige vegetative Nebenwirkungen
4 Wichtige Nebenwirkungen
5 Feinschlägiger Tremor
5 Kognitive Störungen
5 Muskelschwäche
5 Polyurie, Polydipsie
5 Nierenfunktionsstörungen
5 Gewichtszunahme, Ödeme
5 Diarrhö, Übelkeit, Völlegefühl, Appetitverlust
5 Euthyreote Struma, TSH-Anstieg, Hypothyreose
5 Leukozytose
5 Sehr selten Arrhythmie
4 Regelmäßig sind laborchemische Kontrolluntersuchungen (v. a. der
Schilddrüsen- und Nierenfunktion), EKG- und EEG-Kontrollen vor
und während Lithiumtherapie durchzuführen
4 Schmale therapeutische Breite → es kann schnell zur Intoxikation kom-
men! → unbedingt therapeutisches Drug-monitoring
5 Bei Blutentnahme zur Serumspiegelkontrolle muss ein bestimmter
zeitlicher Abstand zum letzten Lithiumeinnahmezeitpunkt einge-
halten werden (ca. 12 h nach letzter Einnahme)
4 Intoxikationssymptome
5 Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö
5 Bei hoher Konzentration grobschlägiger Tremor
5 Dysarthrie (verwaschene Sprache), Ataxie
5 Schwindel
5 Schläfrigkeit, Vigilanzminderung
5 Psychomotorische Verlangsamung
5 Später: Rigor, Faszikulation, Reflexsteigerungen, zerebrale Krampf-
anfälle, Bewusstseinsminderung bis hin zum Koma, Schock, Herz-
Kreislauf-Versagen
64 Kapitel 4 · Psychopharmakotherapie

Eigene Notizen 4 Bei Intoxikationsverdacht: Lithium sofort absetzen ( ! Cave Nach


plötzlichem Absetzen kann es zur Provokation einer manischen oder
depressiven Phase kommen.)
4 Ursachen für Lithiumintoxikation
5 Überdosierung (Dosierfehler, Suizidversuche)
5 Starkes Schwitzen, Flüssigkeitsverluste (Diarrhö)
5 Salzarme Diät
5 Einnahme von Natriuretika
4 5 Nierenfunktionsstörung
5 Anästhesiebehandlungen (wegen möglicher Veränderungen des
Wasser-/Elektrolythaushalts)
5 Einnahme von Antiphlogistika und ACE-Hemmern (dadurch Ver-
minderung der renalen Lithium-Clearance)
> Gute Nierenfunktion sowie ausreichende Salz- und Flüssigkeitszu-
fuhr sind Voraussetzungen für eine Behandlung mit Lithium.
4 Kontraindikationen
5 Schwere Störungen des Wasser- und Elektrolythaushalts, schwere
Nierenfunktionsstörungen
5 Schwere Herz-Kreislauf-Erkrankungen
5 M. Addison (Nebennierenrindeninsuffizienz)
5 M. Parkinson
5 Myeloische Leukämie
5 Hypothyreose
5 Myasthenia gravis (krankhafte belastungsabängige Muskelschwäche)
5 Zerebrale Krampfbereitschaft
5 Elektrokrampftherapie
5 Psoriasis (Lithium als Auslöser eines Psoriasis-Schubes)
4 Teratogene Wirkung von Lithiumionen (v. a. bezüglich kardiovasku-
lärer Fehlbildungen)

4.2.2 Carbamazepin

4 Wirkungsmechanismen nicht vollständig geklärt (u. a. Blockierung


spannungsabhängiger Natriumkanäle)
4 Indikationen: Rezidivprophylaxe bei bipolarer Störung (wenn Lithium
nicht wirkt oder kontraindiziert ist), Anfallsprophylaxe bei stationär
behandeltem Alkoholentzugssyndrom; nachgewiesene antimanische
Wirkung
4 Insgesamt relativ hohe Rate an Nebenwirkungen, Komplikationen und
Wechselwirkungen, insbesondere
5 Sedierung, Somnolenz
5 Schwindel
5 Ataxie
5 Allergische Hautreaktionen
5 Funktionelle Erhöhung der Leberenzyme
5 Appetitlosigkeit
4.2 · Phasenprophylaktika (Stimmungsstabilisierer)
65 4

5 Mundtrockenheit Eigene Notizen


5 Übelkeit
5 Hyponatriämien (Vorsicht mit Natriuretika und SSRI)
5 Blutbildveränderungen (sehr selten aplastische Anämie, Agranulo-
zytose)
5 Erhöhtes Thromboserisiko
5 Bei Risikopatienten: arrhythmogenes Potenzial; AV-Blockierungen
5 Erhöhtes Risiko eines Serotoninsyndroms in Kombination mit
SSRI
5 Hohe Teratogenität
> Relativ hohes Wechselwirkungspotenzial wegen CYP3A4-indu-
zierender Wirkung.
4 Absolute Kontraindikationen
5 Bekannte Überempfindlichkeit gegenüber TZA (insbesondere
Imipramin wegen struktureller Ähnlichkeit)
5 AV-Block
5 Aktuelle oder vorangegangene relevante Knochenmarksschädi-
gung
5 Akute intermittierende Porphyrie
5 Therapie mit irreversiblem MAO-Hemmer (zeitliche Fristen be-
achten)

4.2.3 Valproinsäure (Valproat)

4 Wirkung auf verschiedene Neurotransmitter und second-messenger-


Systeme
4 Antiepileptische, antimanische, dosisabhängig sedierende Wirkungen
4 Gutes Ansprechen auch eher dysphorischer Syndrome
4 Rezidivprophylaxe zur Vermeidung manischer Episoden und bei Ra-
pid-cycling-Verläufen
4 Insgesamt relativ gut verträglich, dosisabhängige Nebenwirkungen
5 Asymptomatische Transaminasenerhöhungen (gelegentlich
schwerere Leberfunktionsausfälle)
5 Hyperammonämie
5 Schwindel
5 Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö
5 Appetit- und Gewichtsveränderungen (in beide Richtungen mög-
lich)
5 Haarausfall
5 Zentralnervöse Nebenwirkungen, v. a. Schläfrigkeit, Tremor, Paräs-
thesien
5 Blutbildveränderungen: reversible Leuko- und Thrombopenien
(sehr selten Panzytopenien)
5 ! Cave Kritisch Kombination mit Thrombozytenaggregations-
hemmern (Gerinnungshemmer können in ihrer Wirkung erheblich
verstärkt werden!)
66 Kapitel 4 · Psychopharmakotherapie

Eigene Notizen 5 Kutane Nebenwirkungen wie Arzneimittelexantheme (insgesamt


selten, aber häufiger als bei vielen anderen Psychopharmaka)
4 Kontraindikationen
5 Schwere Lebererkrankungen in eigener oder Familienanamnese
5 Hepathische Porphyrie
5 Blutgerinnungsstörungen
4 Hohe Teratogenität

4 4.2.4 Lamotrigin

4 Wirkmechanismen nicht vollständig geklärt


4 Phasenprophylaxe depressiver Episoden bei bipolarer affektiver Störung
4 Nebenwirkungen
5 ! Cave Kutane Nebenwirkungen, v. a. in den ersten 8 Wochen
(meist makulopapulöses Exanthem, sehr selten Stevens-Johnson-
Syndrom und Lyell-Syndrom) → sehr langsame Eindosierung!
5 Schwindel
5 Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö
5 Müdigkeit, Schlafstörungen
5 Kopf- und Gelenkschmerzen
5 Tremor, Ataxie, Nystagmus, Doppelbilder, Verschwommensehen
4 Relative Kontraindikationen
5 Gleichzeitige Valproinsäure-Behandlung (kann Glukuronidierung
von Lamotrigin hemmen und Plasmaspiegel rasch ansteigen lassen)
5 Nierenfunktionsstörung
5 Parkinson-Erkrankung
4 Teratogenes Potenzial

4.3 Antipsychotika

4 Psychotrope Substanzen, die psychotische Symptome wie z. B. Wahn,


Halluzinationen, Ich-Störungen in entsprechender Dosierung vermin-
dern können
4 Alter Begriff »Neuroleptikum« betonte eine (in dieser Form nicht exis-
tente, sondern präparate- und wirkstoffabhängige) Zwangsläufigkeit
extrapyramidalmotorischer Nebenwirkungen (EPMS)
4 Hauptwirkmechanismus: D2-Rezeptorantagonismus
5 Dopamin: wichtig für Kognition und Erinnerung, Emotion, Appe-
tenz, Sexualität, Endokrinologie, Extrapyramidalmotorik
5 Beeinflussung dopaminerger Neuronensysteme des ZNS durch
Antipsychotika
J Mesolimbisches-mesokortikales System → antipsychotischer Ef-
fekt
J Nigrostriatales System → extrapyramidalmotorische Nebenwir-
kungen
J Tuberoinfundibuläres System → neuroendokrinologische Neben-
wirkungen (v. a. Prolaktinerhöhung)
4.3 · Antipsychotika
67 4

J Hypothalamus, Medulla oblongata → Hypothermie, orthosta- Eigene Notizen


tische Hypotonie
J Area postrema (Chemorezeptortriggerzone) → antiemetische
Wirkung
4 Keine Abhängigkeitsentwicklung
4 Breites Indikationsspektrum
5 Psychotische Symptome im Rahmen von Erkrankungen aus dem
schizophrenen Formenkreis (Hauptindikation)
5 Manische Syndrome
5 Wahnhafte Depressionen
5 Aggressivität, Erregungszustände
5 Schlafstörungen
5 Delir/Verwirrtheit
5 Angststörungen
5 Ticstörungen
4 Unterteilung in konventionelle und atypische Antipsychotika
5 Konventionelle Antipsychotika: hohes Risiko für extrapyramidal-
motorische Nebenwirkungen
5 Atypische Antipsychotika: im Vergleich zu konventionellen Anti-
psychotika weniger extrapyramidalmotorische Störungen bei ver-
gleichbarer antipsychotischer Wirksamkeit und zusätzlicher posi-
tiver Wirkung auf die Negativsymptomatik (7 Kap. 7) bzw. Kog-
nition

4.3.1 Konventionelle Antipsychotika

4 Hauptwirkmechanismus: Blockade D2-artiger Dopaminrezeptoren


4 Durch die Modulation von D2- sowie H1- und α1-antagonistischen Af-
finitäten können primär antipsychotische oder aber mehr sedierende
Substanzen konzipiert werden (antihistaminerge und antiadrenerge
Wirkkomponente → sedierende Eigenschaften)
4 Einteilung nach chemischer Struktur in
5 Phenothiazine
J Dreifach-Ringstruktur mit unterschiedlichen Substituenten
J Unselektive D2-Antagonisten (außer Promethazin)
J Wichtiger Vertreter dieser Gruppe: Chlorpromazin (erstes einge-
setztes Antipsychotikum)
J Hohes anticholinerges Potenzial (z. B. Thioridazin)
J Bandbreite vom Sedativum bis zum hochpotenten Antipsycho-
tikum
5 Thioxanthene
J Ähnliche Dreifach-Ringstruktur wie Phenothiazine
5 Butyrophenone
J Wichtige Vertreter dieser Gruppe: Haloperidol (hochaffine Subs-
tanz), Melperon (niederaffine Substanz), Benperidol (höchst-
affine D2-antagonistische Substanz in Deutschland)
J Geringere anticholinerge Effekte
68 Kapitel 4 · Psychopharmakotherapie

Eigene Notizen 5 Diphenylbutylpiperidine


J Hohe Affinität am D2-Rezeptor bei geringerer Wirkung auf sons-
tige Rezeptorsysteme
J Vertreter dieser Gruppe: Pimozid, Fluspirilen
4 Einteilung entsprechend dem Wirkprofil nach »neuroleptischer Po-
tenz« (= Affinität zum D2-Rezeptor und antipsychotische Wirksamkeit
bezogen auf die Dosis; je höher die neuroleptische Potenz desto höher
die D2-Rezeptor-Affinität)
4 5 Hochpotente Antipsychotika: z. B. Haloperidol, Benperidol,
Bromperidol, Flupentixol, Fluphenazin, Fluspirilen, Perphenazin,
Pimozid
J In niedriger bis mittlerer Dosierung gute antipsychotische Wirk-
samkeit ohne erhebliche Sedierung
J Einsatz v. a. zur Behandlung produktiver psychotischer Symp-
tome
5 Mittelpotente Antipsychotika: Perazin, Zuclopenthixol
J Sowohl antipsychotische als auch sedierende Wirkung
J Einsatz bei stark angespannten psychotischen und/oder ma-
nischen Patienten
5 Niederpotente Antipsychotika: z. B. Chlorpromazin (wird zur Be-
urteilung neuroleptischer Potenz als Referenzwert herangezogen →
»Chlorpromazin-Äquivalenzdosis«; neuroleptische Potenz von
Chlorpramazin = 1), Chlorprothixen, Levomepromazin, Thiorida-
zin, Melperon, Pipamperon
J Sedierende Wirkung (→ Schlafförderung, Beruhigung, Verminde-
rung aggressiver Erregungszustände); bei klinisch üblichen Do-
sen kaum antipsychotische Wirkung
> Faustregel: Je höher die neuroleptische Potenz, desto höher die
antipsychotische Wirkung und desto niedriger die Sedierung.

4.3.2 Atypische Antipsychotika

4 Zeigen antipsychotische Wirksamkeit bei geringerer oder abwesender


EPMS-Neigung
4 Unterschiedliche postulierte Mechanismen:
5 5HT2A-Rezeptor-Antagonismus
5 Geringe D2-Rezeptor-Affinität
5 Präferenziell mesolimbische Wirkung
5 Partieller Agonismus
5 Evtl. anticholinerge Wirkkomponente
4 Vertreter dieser Gruppe: Amisulprid, Aripiprazol, Clozapin, Olanzapin,
Paliperidon, Quetiapin, Risperidon, Sertindol, Ziprasidon, Zotepin
4 Prototypisches »Atypikum«: Clozapin
5 Verursacht praktisch keine extrapyramidalmotorischen Nebenwir-
kungen
5 Hohe Ansprechrate
4.3 · Antipsychotika
69 4

5 Leider aber auch: Eigene Notizen


J Agranulozytose als wichtigste Nebenwirkung (regelmäßige Blut-
bildkontrollen notwendig!)
J Starke Sedierung
J Gewichtszunahme, metabolisches Syndrom
J Kardiomyopathien, Pankreatitiden
J Deutliche anticholinerge Wirkkomponente, sehr niedrige D2-Re-
zeptoraffinität

4.3.3 Nebenwirkungen der Antipsychotika


Extrapyramidalmotorische Störungen (EPMS)
4 Typisch für konventionelle Antipsychotika
4 EPMS durch Blockierung D2-dopaminerger Rezeptoren der nigrostria-
talen Bahn
4 Akute Dystonien/Frühdyskinesien (7 Kap. 4.10.2; Behandlung durch
akute Verabreichung von Anticholinergika)
4 Medikamentös induziertes Parkinsonoid
5 Trias aus Tremor, Rigor, Akinese
5 In der Regel symmetrisches Auftreten
5 Auftreten bei konventionellen Antipsychotika und einigen Atypika,
meist in der 1.–10. Behandlungswoche, bevorzugt bei Frauen
5 Wahrscheinlichkeit des Auftretens unter Antipsychotikatherapie:
ca. 15–30%
5 Behandlungsempfehlung: Umstellung des Antipsychotikums, Dosis-
reduktion oder Behandlung mit Anticholinergika
4 Akathisie/Tasikinesie
5 Beginn liegt i. d. R. innerhalb der ersten 7 Wochen der Antipsycho-
tikabehandlung (v. a. bei konventionellen Antipsychotika, selten bei
Atypika)
5 Wahrscheinlichkeit des Auftretens unter Antipsychotikatherapie:
ca. 20–25%
5 Sitz- und Stehunruhe
J Unfähigkeit, ruhig zu sitzen, nicht kontrollierbarer Bewegungs-
drang
J Oft Laufneigung und Trippelsymptomatik
5 Differenzialdiagnose: Restless-legs-Syndrom
5 Behandlungsempfehlung
J Umstellung des Antipsychotikums auf ein Präparat mit weniger
antidopaminerger Affinität oder Dosisreduktion
J β-Blocker, Benzodiazepine (kurzzeitig!), Anticholinergika oder
Kombination
4 Tardive Dyskinesien (Spätdyskinesien)
5 Auftreten nach langjährigem Antipsychotikakonsum (meist bei
konventionellen hochpotenten Antipsychotika)
5 Wahrscheinlichkeit des Auftretens unter Antipsychotikatherapie:
ca. 15–20% (3–5%/Jahr bei konventionellen Antipsychotika; 0,5%/
Jahr bei atypischen Antipsychotika)
70 Kapitel 4 · Psychopharmakotherapie

Eigene Notizen 5 Risikofaktoren


J Hohes Lebensalter
J Weibliches Geschlecht
J Zerebrale Vorschädigung
J Diabetes mellitus
J Affektive Störung
J Ständige Anticholinergikaeinnahme
5 Häufig orofaziale Dyskinesien (Saug-, Schmatz-, Zungenbewe-
4 gungen)
5 An den Extremitäten: leichte rollende Handbewegungen bis hin zu
starken athetotisch anmutenden Symptomen
5 Ausmaß der Symptomatik wird durch Absetzen oder Dosisreduk-
tion des Antipsychotikums sowie bei emotionaler Anspannung eher
verstärkt
5 Nichtauftreten der Symptomatik im Schlaf
5 Symptome sind weitgehend irreversibel
J Behandlung kaum möglich; Umstellversuch auf Clozapin
J Prophylaxe: möglichst niedrige Antipsychotika-Dosierung und
Verordnung von atypischen Antipsychotika

Sedierung
4 Sedierende Wirkung v. a. durch H1- und α1-Antagonismus
4 Bei nieder- und mittelpotenten konventionellen Antipsychotika ge-
wünschter Effekt; bei einigen Atypika (Clozapin, Quetiapin, Olanzapin)
ebenfalls vorhanden
4 Stehen sedierende Effekte im Vordergrund: Klassifizierung bzw. Einsatz
auch als Hypnotikum

Herzrhythmusstörungen
4 Durch direkte Wirkungen auf Natrium- und Kaliumkanäle des kardi-
alen Reizleitungssystems
5 QTc-Zeit-Verlängerungen (v. a. für Sertindol, Thioridazin und
Ziprasidon beschrieben)
5 Selten auch Torsades-de-pointes-Syndrom und plötzlicher Herztod
(Risiko substanz- und dosisabhängig um das 2- bis 3-fache erhöht,
höchstes Risiko für Thioridazin)
4 Arrhythmogenes Potenzial auch durch anticholinerge Effekte
> Wichtig sind EKG-Kontrollen bei Antipsychotikabehandlung.

Weitere Herz-Kreislauf-Risiken
4 Orthostatische Dysregulationen mit reflektorischer Tachykardie v. a. bei
Substanzen mit α1-antagonistischen Effekten (Thioridazin, Olanzapin,
Clozapin)
4 Selten antipsychotikainduzierte Myokarditiden und Kardiomyopathien
(v. a. bei Clozapin)
4 Erhöhtes Risiko für koronare Herzkrankheit (u. a. via metabolischem
Syndrom)
4.3 · Antipsychotika
71 4
Stoffwechselstörungen Eigene Notizen
4 Gewichtszunahme, v. a. bei Clozapin, Olanzapin
4 Erhöhtes Risiko für metabolische Störungen (Adipositas, Diabetes mel-
litus, Lipidstörungen)
> Regelmäßige Kontrolle von Gewicht und Bauchumfang!

Endokrine Störungen, sexuelle Funktionsstörungen


4 Selten Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion (SIADH)
4 Hyperprolaktinämie (v. a. bei Sulpirid, Amisulprid) und infolge-
dessen
5 Galaktorrhö
5 Amenorrhö
5 Sexuelle Erregungs- und Appetenzstörungen
5 Osteoporose
5 Verstärkung von Hypertonie
5 Brustvergrößerungen

Anticholinerge (M1-antagonistische) Nebenwirkungen


4 Mundtrockenheit
4 Obstipation
4 Augeninnendruckerhöhungen, Akkomodationsstörungen
4 Harnverhalt
4 Tachykardie, Arrhythmieneigung
4 Delirauslösung
4 Auftreten v. a. bei nieder- und mittelpotenten Thioxanthenen, Pheno-
thiazinen sowie Olanzapin und Clozapin

Leberfunktionsstörungen
4 Transaminasenerhöhungen und Erhöhungen der alkalischen Phospha-
tase (v. a. bei Clozapin, Phenothiazinen und Thioxanthenen)

Blutbildveränderungen
4 Antipsychotika-induzierte Störung der Leukopoese → Leukopenie,
Agranulozytose (selten)
4 Treten meist innerhalb der ersten 18 Behandlungswochen nach Eindo-
sierung auf
> Agranulozytosen v. a. unter Clozapin auftretend.

Zentralnervöse Komplikationen
4 Auslösung von deliranten Syndromen (v. a. bei zerebraler Vorschädi-
gung), insbesondere durch anticholinerge Effekte
4 Viele Antipsychotika senken die Krampfschwelle

Weitere Nebenwirkungen
4 Für die meisten Antipsychotika sind allergische, dermatologische und
ophthalmologische Nebenwirkungen beschrieben
72 Kapitel 4 · Psychopharmakotherapie

Eigene Notizen 4 Gravierende Nebenwirkung: malignes neuroleptisches Syndrom


(7 Kap. 4.10.1)
> Aufgrund des Nebenwirkungsprofils sind regelmäßige Kontroll-
untersuchungen (Blutbild, elektrophysiologische, allgemeine kör-
perliche Untersuchung) notwendig.

4 4.3.4 Kontraindikationen für Antipsychotika

4 Absolute Kontraindikation: Überempfindlichkeiten gegen den Wirk-


stoff oder weitere Bestandteile
4 Relative Kontraindikationen
5 Akute Intoxikationen mit Alkohol, Analgetika, Schlafmitteln und
anderen Psychopharmaka
5 Schwere Bewusstseinsstörungen
5 Störungen des hämatopoetischen Systems (gilt v. a. für Clozapin)
5 Bei Antipsychotika mit anticholinerger Begleitkomponente
J Pylorusstenose, paralytischer Ileus
J Engwinkelglaukom
J Prostatahyperplasie, Störungen der Harnentleerung
J Myasthenia gravis (krankhafte belastungsabängige Muskel-
schwäche)
J Demenz
J Herzrhythmusstörungen
5 Bei Antipsychotika mit Erhöhung des Prolaktinspiegels:
J Prolaktinabhängige Tumoren
5 Bei Antipsychotika mit hohem Risiko für extrapyramidalmoto-
rische Störungen:
J M. Parkinson und andere Stammganglienerkrankungen
5 Bei Antipsychotika mit kardiovaskulären Nebenwirkungen:
J Kardiale Vorschädigung

4.3.5 Depot-Antipsychotika

4 Einige Antipsychotika liegen auch in Depotform vor: Flupentixol, Flu-


phenazin, Fluspirilen, Haloperidol, Olanzapin, Perphenazin, Risperi-
don, Zuclopentixol (Risperidon und Olanzapin sind derzeit die einzigen
Atypika in Depotform)
5 Patient erhält in regelmäßigen Abständen (Tage bis Wochen) i.m.
Injektionen
5 Vorteil: fördert Compliance
5 Nachteil: schwierigere Dosisanpassung
4.4 · Benzodiazepine
73 4
4.4 Benzodiazepine Eigene Notizen

4 Wirken hauptsächlich am GABAA-Benzodiazepinrezeptorkomplex →


Erhöhung der GABA-Affinität → verstärken die inhibierende Funktion
GABAerger Neurone
> GABA ist der wichtigste hemmende Neurotransmitter im ZNS.

4 Wirkungen
5 Sedierung
5 Schlafinduktion
5 Anxiolyse
5 Muskelrelaxation (→ Sturzgefahr, v. a. bei Älteren)
5 Antiepileptischer Effekt
4 Indikationsgebiete
5 Schlaflosigkeit
5 Akute Erregungszustände (wenn nicht intoxikationsbedingt)
5 Angsterkrankungen
5 Somatoforme Störungen
5 Depressive und manische Erkrankungen
5 Schizophrene Erkrankungen
5 Stupor
5 Alkohol- und Benzodiazepinentzugssyndrome
5 Delir
5 Zerebrale Krampfanfälle
4 Einteilung anhand der Wirksamkeitsdauer (Eliminationshalbwertszeit
t1/2) in 3 Gruppen
5 Lang wirksame Benzodiazepine: z. B. Diazepam (t1/2 20–40 h)
5 Mittellang wirksame Benzodiazepine: z. B. Lorazepam (t1/2 8–24 h),
Oxazepam (t1/2 4–15 h)
5 Kurz wirksame Benzodiazepine: z. B. Triazolam (t1/2 1,5–5 h)
4 Abbau der meisten Benzodiazepine (ausgenommen Lorazepam, Oxa-
zepam, Temazepam) durch CYP3A4 (und CYP2C19) → verlängerte
Eliminationshalbwertszeit durch CYP3A4-Inhibitoren
4 Bei älteren Patienten (→ verlangsamter Metabolismus), gestörter Leber-
funktion, Kombination mit CYP3A4-Inhibitoren und lang wirksamen
Benzodiazepinen → starke Kumulationsneigung
4 Nebenwirkungen
5 Hohes Abhängigkeits- und Toleranz-Risiko (häufig Niedrigdosis-
abhängigkeit, 7 Kap. 19), gilt v. a. für Präparate mit kurzer Halb-
wertszeit
> Keine Eignung als Dauermedikation (Einnahme nicht länger als
4–6 Wochen) wegen Missbrauchs- und Abhängigkeitsrisiko. Keine
ambulante Verschreibung bei bekannter Abhängigkeitsanam-
nese. Größte Zurückhaltung bei chronischen Erkrankungen, die
eine langfristige Therapie erforderlich machen.
5 Sedierung (kann erwünscht oder unerwünscht sein), evtl. hang-
over mit Tagesmüdigkeit, eingeschränktem Reaktionsvermögen
74 Kapitel 4 · Psychopharmakotherapie

Eigene Notizen und Konzentrationsstörungen (unter Benzodiazepintherapie meist


keine Fahrtüchtigkeit!)
5 Gelegentlich anterograde Amnesie (bei rasch anflutenden Benzo-
diazepinen)
5 Bei Überdosierung oder in Kombination mit weiteren sedierenden
Arzneimitteln: Dysarthrie (verwaschene Sprache), Schwindel, Dop-
pelbilder, Ataxie
5 Bei schweren Intoxikationen, besonders in Verbindung mit Alkohol
4 oder Opiaten: Gefahr der Atemdepression
5 Selten paradoxe Benzodiazepinwirkung mit Schlaflosigkeit, Agi-
tiertheit, Aggressivität bis hin zum Delir (v. a. bei älteren Patienten
und Kindern)
5 Nach langem Konsum: chronische Antriebsminderung, depres-
sive Verstimmung, kognitive Störungen, Libidoverlust, Muskel-
schwäche
> Kein abruptes Absetzen der Benzodiazepine bei hoher Dosierung
und/oder längerem Gebrauch zur Vermeidung von Entzugsphäno-
menen (7 Kap. 19) und Rebound-Phänomenen (kompensatori-
sche Gegenregulationsmechanismen nach dem Absetzen der
Substanz, die zum Wiederauftreten der ursprünglichen Indika-
tionssymptome – in stärkerer Form als zuvor – führen).

4 Wichtige Kontraindikationen
5 Akute Intoxikationen mit zentral dämpfenden Substanzen
5 Chronische Ateminsuffizienz (z. B. Schlafapnoesyndrom, obstruk-
tive Atemwegserkrankungen)
5 Myasthenia gravis (aufgrund der muskelrelaxierenden Wirkung der
Benzodiazepine)
5 Akutes Engwinkelglaukom
5 Stoffgebundene Abhängigkeitserkrankungen (außer Alkohol- und
Benzodiazepinentzugssyndrome)

4.5 Nichtbenzodiazepin-Hypnotika

4 Benzodiazepin-ähnliche Hypnotika: Zolpidem, Zaleplon, Zopiclon


(»Z-Substanzen«)
4 Wirken an Benzodiazepinbindungsstelle und führen zur Effizienzstei-
gerung der GABA-Wirkung am Chloridkanal
4 Hypnotische Wirkung
4 Können grundsätzlich die gleichen Nebenwirkungen verursachen wie
Benzodiazepine, aber relativ geringe Gewöhnungseffekte (dennoch
keine Dauerbehandlung empfohlen!), kurze Halbwertszeiten
4.7 · Antidementiva (Nootropika)
75 4
4.6 Nichtbenzodiazepin-Anxiolytika Eigene Notizen

4 Präparat: Buspiron
4 Wirkmechanismus: partieller Agonist an serotonergen 5HT1A-Rezep-
toren
4 Keine Toleranz- und Abhängigkeitsentwicklung
4 Keine sedierenden und muskelrelaxierenden Wirkungen
4 Nachgewiesene Wirksamkeit für die generalisierte Angststörung
4 Insgesamt relativ günstiges Nebenwirkungsprofil
5 Übelkeit
5 Schwindel
5 Kopfschmerz
5 Gelegentlich Agitiertheit und Schlafstörungen
4 ! Cave Kein sofortiger Wirkeintritt wie bei Benzodiazepinen!

4.7 Antidementiva (Nootropika)

4 Substanzen zur Verbesserung von Aufmerksamkeit, Konzentration, Ge-


dächtnis und Lernen bei demenziellen Erkrankungen

4.7.1 Acetylcholinesterase-Hemmer

4 Präparate: Donepezil, Galantamin, Rivastigmin


4 Hemmung der Acetylcholinesterase mit Erhöhung von Acetylcholin im
synaptischen Spalt
4 Einsatz bei demenziellen Syndromen (zugelassen für leichte bis mittel-
schwere Alzheimer-Demenz)
4 Donepezil
5 Reversibler Acetylcholinesterase-Inhibitor
4 Galantamin
5 Reversibler Acetylcholinesterase-Inhibitor und zusätzliche alloste-
rische Modulation nikotinerger Rezeptoren
4 Rivastigmin
5 Irreversibler Acetylcholinesterase-Inhibitor
4 Vor allem cholinerge Nebenwirkungen, insbesondere
5 Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö
5 Appetitlosigkeit
5 Müdigkeit, Schlafstörungen
5 Muskelkrämpfe
5 Bradykardie

4.7.2 Glutamatmodulatoren

4 Präparate: z. B. Memantin
4 Spannungsabhängige, nichtkompetitive Antagonisten an NMDA-Re-
zeptoren → Erniedrigung der Glutamatkonzentration
76 Kapitel 4 · Psychopharmakotherapie

Eigene Notizen 4 Zulassung zur Therapie mittelschwerer bis schwerer Alzheimer-De-


menz
4 Insgesamt günstigeres Nebenwirkungsprofil als Acetylcholinesterase-
Hemmer
5 Am häufigsten: Übelkeit, Obstipation, Schwindel, Kopfschmerzen,
Blutdruckerhöhungen; gelegentlich Halluzinationen, Verwirrtheit

4 4.8 Stimulanzien

4 Substanzen, die durch Konzentrationserhöhung von Katecholaminen


im ZNS das Leistungsvermögen und die Aktivität erhöhen sollen
4 Zentrale und periphere sympathomimetische Wirkungen
5 Zentral: Euphorie, gesteigerte Leistungsfähigkeit, Appetitminde-
rung, Schlafstörungen, Kopfschmerzen
5 Peripher: Vasokonstriktion, Hypertonie, Tachykardie bis hin zu
Rhythmusstörungen
> Psychostimulanzien sind in Deutschland BtM-verschreibungs-
pflichtig.

4.8.1 Methylphenidat

4 Ähnlicher Mechanismus wie Kokain, aber viel geringeres Abhängig-


keitsrisiko bei langsamerer Pharmakokinetik
4 Reversible Blockade des Dopamintransporters (und geringer des Nor-
adrenalintransporters)
4 Indikationen: ADHS, Narkolepsie
4 Nebenwirkungen
5 Potenzielles Risiko einer Abhängigkeitserkrankung
5 Häufig sympathomimetische Nebenwirkungen: v. a. Appetitminde-
rung, Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit, Hypertonie, Tachykardie,
verstärktes Schwitzen, Hyperthermie
5 Gelegentlich Haarausfall und andere dermatologische Komplika-
tionen
5 Zentralnervöse Komplikationen: Tics, Dyskinesien (selten), psy-
chotische Symptome (selten), Krampfanfälle (selten)
4 Wichtige Kontraindikationen
5 Bekannte Missbrauchs- oder Abhängigkeitserkrankungen
5 Anorexia nervosa
5 Psychosen
5 Ticstörungen
5 Angst- und Spannungszustände
5 Relevante Herz-Kreislauf-Erkrankungen
5 Zerebrale Krampfleiden
4.9 · Allgemeine Psychopharmakotherapie im Alter
77 4
4.8.2 Modafinil Eigene Notizen

4 Mäßige Dopamin- und Noradrenalin-Transporter-blockierende Wir-


kung
4 Gesteigerte Glutamatausschüttung, reduzierte GABA-Ausschüttung im
Hypothalamus
4 Geringes Abhängigkeitsrisiko
4 Indikationen: Therapie der Narkolepsie, des Schlafapnoesyndroms, des
Schichtarbeitersyndroms
4 Nebenwirkungen
5 Sympathomimetische Nebenwirkungen (aber seltener als bei Me-
thylphenidat; am häufigsten Kopfschmerzen)
5 Zentralnervöse Komplikationen ähnlich wie bei Methylphenidat
(Tics, Hyperkinesien, zerebrale Krampfanfälle, Psychose-Induktion)
5 Dermatologische Komplikationen (Erythema multiforme/Stevens-
Johnson-Syndrom)
4 Wichtige Kontraindikationen
5 Stoffgebundene Abhängigkeitserkrankungen
5 Psychosen
5 Schwere Angst- und Spannungszustände
5 Relevante Herz-Kreislauf-Erkrankungen
5 Schwere Leber- und Nierenerkrankungen
5 Behandlung mit Substanzen, die Prazosin (α1-Rezeptorantagonist)
enthalten

4.9 Allgemeine Psychopharmakotherapie im Alter

4 Physiologische Alterungsprozesse (z. B. verminderte Köpermasse bei


relativ erhöhtem Fettgewebe, arteriosklerotische Prozesse) und Multi-
morbidität beeinflussen Wirkung und Verträglichkeit der Psychophar-
maka
4 Zudem besteht im Alter sehr häufig erhöhtes Risiko für Interaktionen
aufgrund von Polypharmakotherapie
4 Bei geriatrischen Patienten finden sich
5 Erhöhte Empfindlichkeit für EPMS bzw. Spätdyskinesien bei D2-
antagonistischen Substanzen
5 Erhöhte Disposition für serotonerge Nebenwirkungen
5 Erhöhte Empfindlichkeit für anticholinerge Symptome (→ erhöhtes
Risiko für die Entwicklung deliranter Zustandsbilder)
> Bei der Behandlung geriatrischer Patienten ist daher stets die
Dosisanpassung zu beachten. In der Regel sind geringere Dosie-
rungen und v. a. eine langsame Aufdosierung unter gründlicher
Überwachung relevanter Parameter (Nieren-, Leber-, Herzfunk-
tion) notwendig.
78 Kapitel 4 · Psychopharmakotherapie

Eigene Notizen 4.10 Psychopharmakainduzierte Notfälle

4.10.1 Malignes neuroleptisches Syndrom

4 Seltene, aber lebensbedrohliche Nebenwirkung einer Antipsychotika-


therapie
4 Vor allem durch konventionelle Antipsychotika (aber auch für Atypika,
z. B. Clozapin, beschrieben)
4 4 Wahrscheinlichkeit des Auftretens unter Antipsychotikatherapie: ca.
0,02–0,5%
4 Auftreten i. d. R. innerhalb von 2 Wochen nach Behandlungsbeginn
4 Letalität: bis zu 20%
4 Symptome
5 Hohes Fieber
5 Rigor, Akinese, Stupor; gelegentlich Tremor
5 Bewusstseinstrübung
5 Vegetative Funktionsstörungen wie Tachykardie, instabiler Hyper-
tonus, starkes Schwitzen, Tachy- bzw. Dyspnoe
5 Im Labor: Myoglobinämie bzw. -urie, erhöhte Kreatinkinase, meist
Erhöhung der Transaminasen und alkalischen Phosphatase, oft er-
niedrigter Serumeisenspiegel, Leukozytose und Elektrolytstörungen
4 Notfalltherapie
> Potenziell lebensbedrohliche Erkrankung: intensivmedizinische
Überwachung unabdingbar.
5 Sofortiges Absetzen der Antipsychotika, Kühlung, (parenteraler)
Elektrolyt- und Flüssigkeitsausgleich
5 Weiterbehandlung mit dem Muskelrelaxans Dantrolen (alternativ
Bromocriptin; Notfall-EKT wenn keine Besserung)
5 Sehr schwierige Differenzialdiagnose zur perniziösen Katatonie
(problematisch, da komplementäres Vorgehen erforderlich)

4.10.2 Akute Dystonien/Frühdyskinesien

4 Extrapyramidalmotorische Bewegungsstörungen (Nebenwirkung anti-


dopaminerg wirkender Medikamente)
4 Symptomatik
5 Muskelkrämpfe: Zungen-Schlund-Krämpfe, Schluckstörungen,
Verkrampfungen der Kaumuskulatur, Blickkrämpfe (okulogyre Kri-
sen); ! Cave Schlundkrämpfe können zum Bolustod führen!
5 Haltungsanomalien: z. B. unnatürlich wirkende Verdrehungen des
Kopfes (Torticollis oder Retrocollis)
4 Auftreten v. a. unter Behandlung mit konventionellen Antipsychotika
oder atypischen Antipsychotika mit mittelstarker D2-antagonistischer
Affinität wie Risperidon in höheren Dosierungen zu Beginn der Be-
handlung (meist innerhalb der ersten Woche) oder rascher Dosissteige-
rung
4.10 · Psychopharmakainduzierte Notfälle
79 4

5 Wahrscheinlichkeit des Auftretens unter Antipsychotikatherapie: Eigene Notizen


ca. 2–25%
4 Auch seltene Nebenwirkung von Antiemetika wie Metoclopramid
(Verzicht auf Metoclopramid bei mit Antipsychotika vorbehandelten
Patienten!)
4 Besonders gefährdet: junge und männliche Patienten
4 Notfalltherapie: Anticholinergika wie Biperiden i.v.

4.10.3 Zentrales Serotoninsyndrom

4 Symptomatik
5 Trias aus Fieber, neuromuskulären Symptomen (Myoklonien, Tre-
mor, Hyperreflexie, Hyperrigidität) und psychischen Auffälligkeiten
(Verwirrtheit, Desorientiertheit, Bewusstseins- und Aufmerksam-
keitsstörungen, z. T. Erregungszustände)
5 Häufig auch gastrointestinale Beschwerden, Flush-Symptomatik
5 Vital bedrohliche Komplikationen: Herzrhythmusstörungen, epi-
leptische Anfälle, Koma, Multiorganversagen, Verbrauchskoagu-
lopathie
4 Ursache: serotonerge Überaktivität, meist aufgrund einer kontraindi-
zierten Kombinationstherapie oder zu hoher Dosen serotonerg wir-
kender Substanzen (SSRI, TZA, Venlafaxin, MAO-Hemmer, Trypto-
phan u. a.)
4 Auftreten der Symptome meist innerhalb von 24 h nach Substanzein-
nahme
4 Notfalltherapie
> Potenziell lebensbedrohliche Erkrankung: stationäre Überwachung.
5 Sofortiges Absetzen der Medikation (in 90% der Fälle ausreichend)
und ggf. symptomatische Therapie mit Kühlung und Volumensubs-
titution
5 Bei Persistenz (selten): Cyproheptadin (Serotonin- und Histamin-
Antagonist); bei Komplikationen intensivmedizinische Therapie

4.10.4 Zentrales anticholinerges Syndrom

4 Symptome
5 Zentrale Symptomatik
J Agitierte Verlaufsform: delirante Symptomatik, Verwirrtheit,
Desorientiertheit, Unruhe, Halluzinationen (v. a. optische), evtl.
Krampfanfälle
J Sedative Verlaufsform: Somnolenz bis hin zum Koma
5 Periphere Symptomatik: trockene Haut und Schleimhäute infolge
verminderter Schweiß-, Schleim- und Speicheldrüsensekretion,
Hyperthermie, Mydriasis, Harnverhalt, Obstipation, Tachykardie,
Gesichtsröte als Ausdruck einer Vasodilatation
80 Kapitel 4 · Psychopharmakotherapie

Eigene Notizen 4 Häufige Ursache


5 Überdosierung bzw. Intoxikation mit anticholinerg wirksamen
Pharmaka (z. B. TZA, Clozapin)
4 Notfalltherapie
> Potenziell lebensbedrohliches Syndrom: stationäre Überwachung.
5 Sofortiges Absetzen der anticholinergen Substanz
5 Bei Erregungszuständen: ggf. Benzodiazepine und/oder Antipsy-
4 chotika
5 Bei Persistieren/schwerer Ausprägung: Gabe von Physostigmin
5
Tag 2 – Therapie

5 Psychotherapie
5.1 Psychotherapeutische Ansätze – 82

5.2 Verhaltenstherapie – 83
5.2.1 Grundprinzipien der Verhaltenstherapie – 83
5.2.2 Traditionelle lerntheoretische Modelle – 83
5.2.3 Kognitive Verhaltenstherapie – 84
5.2.4 Verhaltenstherapeutische Diagnostik – 85
5.2.5 7-Phasen-Modell des verhaltenstherapeutischen Prozesses – 85
5.2.6 Expositionsverfahren/Konfrontationsverfahren – 86
5.2.7 Operante Verfahren – 86
5.2.8 Kognitive Verfahren – 87
5.2.9 Aufbau von Kompetenzen – 88

5.3 Psychoanalytische Therapieverfahren – 89


5.3.1 Grundlagen der Tiefenpsychologie – 89
5.3.2 Therapie – 91

5.4 Gesprächspsychotherapie – 93

5.5 Systemische Paar- und Familientherapie – 93

5.6 Entspannungsverfahren – 94

5.7 Biofeedback – 94

5.8 Psychoedukation – 95

5.9 Schulenübergreifende Psychotherapie – 95


82 Kapitel 5 · Psychotherapie

Eigene Notizen 4 Wirksamkeit von Psychotherapie gilt für viele psychische Erkrankungen
als erwiesen
4 Faktoren, die auf das Behandlungsergebnis Einfluss nehmen können
5 Therapiemethode
5 Patienten- und Therapeutenmerkmale
5 Therapeutische Beziehung
5 Externe bzw. soziokulturelle Kontextfaktoren

5.1 Psychotherapeutische Ansätze


5
4 Verschiedene Psychotherapieverfahren, z. B.
5 Kognitiv-behaviorale Verfahren (klassische Verhaltenstherapie,
kognitive Verhaltenstherapie)
5 Analytisch, »aufdeckende« Verfahren (z. B. tiefenpsychologische
Therapien)
5 Humanistische, erlebnisorientierte Verfahren (z. B. klientenzent-
rierte Gesprächspsychotherapie, Gestalttherapie, Psychodrama)
5 Interpersonelle und systemische Verfahren (interpersonelle Thera-
pie, Paar- und Familientherapie)
5 Spezielle Verfahren wie Entspannungsverfahren (z. B. Progressive
Muskelrelaxation, Autogenes Training) oder suggestive Verfahren
(z. B. Hypnose)

Wichtige psychotherapeutische Ansätze im Vergleich

Verhaltens- Klassische Humanistische


therapie Psychoanalyse Gesprächspsycho-
therapie

Grundlagen, Orientierung an Versuch der ätiologi- Fokussierung auf


Methodik empirischer Psy- schen Orientierung, die selbstheilenden
chologie, u. a. An- Bewusstmachung Kräfte im Menschen;
wendung lerntheo- und Bearbeitung von Entwicklung des
retischer Modelle, unbewussten, ver- Selbst/»Persönlich-
gegenwartsbezo- drängten Konflikten, keitswachstum«
gen »aufdeckend«,
vergangenheits-
orientiert

Therapeut Haltung des Thera- Haltung des Thera- Haltung des Thera-
peuten: strukturie- peuten: neutral-in- peuten: »non-direk-
rend; different; tiv«, wertschätzend,
Therapeut als Be- Therapeut als »Pro- empathisch, kon-
rater und Planer jektionsfläche« für gruent;
das Seelenleben des Therapeut als Be-
Patienten gleiter auf dem Weg
zur Selbstexploration
und Selbstverwirk-
lichung
5.2 · Verhaltenstherapie
83 5

> Die Entwicklung der Psychotherapie geht dahin, die verschie- Eigene Notizen
denen Psychotherapieformen indikationsbezogen und auf den
individuellen Patienten abgestimmt kombiniert einzusetzen und
den alten Schulenstreit (v. a. zwischen psychoanalytischen Ver-
fahren und Verhaltenstherapie) zu überwinden → allgemeine Psy-
chotherapie und störungsspezifische Psychotherapie.

5.2 Verhaltenstherapie

4 Lerntheoretisch begründete Psychotherapie


4 Ziel: Aufbau erwünschter und Abbau unerwünschter Verhaltensweisen

5.2.1 Grundprinzipien der Verhaltenstherapie

4 Orientierung an experimenteller Psychologie, die sich mit dem sicht-


baren/beobachtbaren Verhalten als Reaktion auf Umweltreize beschäftigt,
und an der wissenschaftlichen Überprüfung theoretischer Konzepte
4 Gegenwarts- und problembezogen sowie ziel- und handlungsorien-
tiert
4 Setzt an prädisponierenden, auslösenden und aufrechterhaltenden Prob-
lembedingungen an
4 Nicht auf Therapiesitzungen begrenzt; Patient muss aktiv neue Verhal-
tensweisen/Problemlösestrategien erproben und einüben (Übungen
mit Therapeut außerhalb der Therapieräume/in der Realität, Hausauf-
gaben)
4 Transparenz (Patient wird umfassend aufgeklärt, psychoedukative Ele-
mente)
4 Soll »Hilfe zur Selbsthilfe« sein

5.2.2 Traditionelle lerntheoretische Modelle

4 Klassische Verhaltenstherapie: Orientierung an Konditionierungs-


modellen
4 Klassische Konditionierung
5 Erlernen einer Assoziation zwischen einem neutralen Reiz und
einem biologisch bedeutsamen (unbedingter Reiz), der bereits eine
Reflexreaktion auslöst (unbedingte Reaktion)
5 Ergebnis räumlich-zeitlicher Kopplungen des neutralen Reizes mit
dem unbedingten Reiz: der ehemals neutrale Reiz löst ebenfalls die
Reaktion aus (nun: bedingter Reiz und bedingte Reaktion)
5 Solche Mechanismen spielen z. B. eine Rolle bei der Entwicklung
von Phobien und posttraumatischen Störungen
4 Operante Konditionierung
5 Art der Konsequenzen auf ein Verhalten beeinflusst dessen Auftre-
tenswahrscheinlichkeit
84 Kapitel 5 · Psychotherapie

Eigene Notizen 5 Verstärkung von Vermeidungsverhalten ist von besonderer Rele-


vanz für die Erklärung und Aufrechterhaltung vieler psychischer
Erkrankungen, z. B. Angst- und Zwangserkrankungen
> Wichtige therapeutische Techniken, die aus klassischer und
operanter Konditionierung abgeleitet wurden: z. B. Expositions-
verfahren/Reizkonfrontationsverfahren, operante Verfahren
(z. B. Token-Programme).

5 5.2.3 Kognitive Verhaltenstherapie

4 Seit den 60er- und 70er-Jahren auch Einbeziehung von mehr intrapsy-
chischen, nicht direkt beobachtbaren Prozessen im Individuum
4 Erweiterung der traditionellen Verhaltenstherapie um Ansätze, die
menschliche Informationsverarbeitungsprozesse zur Erklärung des Ver-
haltens miteinbeziehen sowie sozialpsychologischer Lerntheorien (»kog-
nitive Revolution«/»kognitive Wende«), kognitiv-behaviorale Therapie
4 Lernen am Modell (sozial-kognitive Lerntheorie von A. Bandura)
5 Lernen durch Beobachtung Anderer (auch Beobachtungslernen,
Imitationslernen, Modelllernen)
5 Ermöglicht den Aufbau neuer Verhaltensweisen, die noch nicht im
Verhaltensrepertoire vorhanden sind und die Modifizierung kom-
plexer Verhaltens- und Reaktionsweisen, aber auch den Erwerb von
Normen, Wertvorstellungen und Einstellungen
5 Entscheidend hierbei sind Prozesse wie Motivation, Aufmerksam-
keit, selektive Speicherung im Gedächtnis und motorische Repro-
duzierbarkeit
5 Im therapeutischen Kontext können Therapeut, aber auch andere
Mitpatienten in Gruppentherapien als Modell dienen
> Lernen am Modell ist ein wichtiges Element beim sozialen Kompe-
tenztraining sowie bei Rollenspiel-Übungen.
4 Kognitive Modelle
5 Erklären Verhalten als Resultat überdauernder Vorstellungen,
Wahrnehmungen oder Denkmuster
5 Versuchen, dysfunktionale Wahrnehmungs- und Denkprozesse zu
verändern, z. B. mittels
J Analyse automatischer Gedanken
J Reattribuierung (Ersetzen dysfunktionaler Kognitionen durch
angemessenere Kognitionen)
J Selbstinstruktionen
5 Beispiele kognitiver Techniken: Selbstinstruktionsverfahren, ratio-
nal-emotive Therapie (nach A. Ellis), kognitive Therapie (nach
A.T. Beck)
5.2 · Verhaltenstherapie
85 5
5.2.4 Verhaltenstherapeutische Diagnostik Eigene Notizen

4 Verhaltenstherapeutische Diagnostik umfasst (neben klassifikatorischer


Störungsdiagnostik nach ICD-10)
5 Erhebung der Lerngeschichte
5 Individuelle Problem- und Verhaltensanalyse auf Symptomebene,
i. d. R. nach dem SORCK-Modell
5 Funktionsanalyse (Funktion des Symptomverhaltens für den Pa-
tienten selbst sowie die Interaktion mit seiner Umwelt)

SORCK-Modell
4 Annahme: Verhalten entwickelt sich aus dem Einwirken situativer/so-
zialer Reize (Stimuli: S), die unter bestimmten individuellen Bedin-
gungen (Organismus: O) zu bestimmten Reaktionen (Reaktion: R) füh-
ren; in Abhängigkeit von Kontigenzverhältnis (C) und Konsequenz (K)
formt sich entsprechendes Verhalten
5 S: Stimulus (Reize, Situationen)
5 O: Organismus (biologisch-somatische Faktoren, Kognitionen)
5 R: Reaktionen (emotional, kognitiv, motorisch, physiologisch)
5 C: Kontingenz (contingency; Zusammenhänge zwischen Reaktion
und Konsequenz, Verstärkungsplan)
5 K: Konsequenzen (kurzfristig und langfristig)
4 Herausarbeitung der für Reizeinwirkung, Verstärkung und Konditio-
nierung verantwortlichen Bedingungen und damit einhergenden Kog-
nitionen

5.2.5 7-Phasen-Modell des verhaltenstherapeutischen


Prozesses

4 Einteilung der verhaltenstherapeutischen Vorgehensweise in ver-


schiedene Therapiephasen (diese sind nicht immer klar voneinander
zu trennen)
5 Schaffen günstiger Ausgangsbedingungen, Aufbau einer therapeu-
tischen Beziehung
5 Aufbau von Veränderungsmotivation
5 Verhaltensanalyse (Lerngeschichte, SORCK-Schema, Funktions-
analyse)
5 Zielanalyse
5 Durchführung spezieller therapeutischer Techniken
5 Evaluation und Bewertung der Therapiefortschritte
5 Erfolgsoptimierung/Generalisierung
86 Kapitel 5 · Psychotherapie

Eigene Notizen 5.2.6 Expositionsverfahren/Konfrontationsverfahren

4 Patient setzt sich Situationen aus, die für ihn stark angstbesetzt sind und
soll diese bis zum Rückgang der Angst »ertragen«, um die Erfahrung zu
machen, dass die Angst wieder verschwindet und die gefürchteten Kon-
sequenzen ausbleiben
4 Konfrontationsverfahren werden v. a. angewandt bei Angst- und
Zwangserkrankungen
4 Durchführung in massierter oder graduierter Form und in vivo (Reiz-
konfrontation in der Realität) oder in sensu (Reizkonfrontation in der
5 Vorstellung)

Expositionsverfahren

Konfrontationsart In vivo In sensu

Massiert Flooding Implosion

Graduiert Habituationstraining Systematische Desensibilisierung

4 Systematische Desensibilisierung
5 Basiert auf dem Prinzip der reziproken Hemmung (Angst kann
durch Entspannung antagonisiert werden → Gegenkonditionie-
rung)
5 Vorbereitend Erarbeitung einer Angsthierarchie und Einübung
einer Entspannungstechnik (z. B. Progressive Muskelrelaxation)
5 Schrittweise Heranführung des Patienten an angstauslösende Ob-
jekte oder Situationen im tiefentspannten Zustand, zunächst in der
Vorstellung (in sensu), evtl. später auch in der Realität (in vivo);
angefangen wird mit dem am wenigsten aversiven Reiz
4 Flooding (Reizüberflutung): Reizkonfrontation in der Realität direkt
in höchster Intensität
4 Implosion: Konfrontation mit Angststimuli nur in der Vorstellung, je-
doch in voller Intensität und z. T. ins Unrealistische übersteigert
4 Habituationstraining: abgestufte Reizkonfrontation in der Realität, im
Sinne einer Annäherungshierarchie

5.2.7 Operante Verfahren

4 Kontrolle von Verhalten durch Veränderung von Konsequenzen


4 Erhöhung der Auftretenswahrscheinlichkeit von Verhalten
5 Positive Verstärkung: Zuführung von angenehmen Konsequenzen
J Mit Token-Programmen (»Wertmarken-Verstärkungs-Program-
men«) lässt sich Verhalten durch kontingente Verstärkung des
Zielverhaltens mit generalisierten Verstärkern (Token) systema-
tisch aufbauen
5 Negative Verstärkung: Wegnahme von unangenehmen Konse-
quenzen → z. B. Lernen von Vermeidungsverhalten
5.2 · Verhaltenstherapie
87 5

4 Abnahme der Auftretenswahrscheinlichkeit von Verhalten Eigene Notizen


5 Direkte Bestrafung: Zuführung von unangenehmen Konsequenzen
5 Indirekte Bestrafung: Wegnahme von angenehmen Konsequenzen
(z. B. »time-out« = Entzug aller potenziellen Verstärker)
4 Verschiedene Verstärkungspläne (intermittierend oder kontinuierlich;
intermittierend verstärktes Verhalten ist besonders »löschungsresis-
tent«)

5.2.8 Kognitive Verfahren

Kognitive Therapie (nach A.T. Beck)


4 Wurde ursprünglich entwickelt zur Therapie von Depressionen
5 Oft charakteristisches Denkmuster (»kognitive Triade«) depres-
siver Patienten: negative Sicht ihrer Selbst, der Umwelt und der
Zukunft
4 Annahmen
5 Psychische Erkrankungen als Ausdruck verzerrter Gedanken und
Schlussfolgerungen (dysfunktionale Annahmen)
5 Dysfunktionale Annahmen basieren auf Denkschemata (stabile kog-
nitive Muster), welche aufgrund früherer wiederholter Erfahrungen
entstanden sind (die Schemata können längere Zeit inaktiv sein und
durch belastende Ereignisse reaktiviert werden)
4 Vorgehen
5 Identifikation und Bewusstmachen der fehlerhaften Denkstereo-
typien (automatischen Gedanken)
5 In-Frage-stellen dieser Denkstereotypien (Realitätsgehalt wird ge-
prüft; Argumente für und gegen die Fehlinterpretation werden zu-
sammengetragen)
5 Ersetzen durch alternative Denkmuster (kognitive Umstrukturie-
rung)
4 Beispiele möglicher »Denkfehler«
5 Willkürliche Schlussfolgerungen: Ziehen willkürlicher Schluss-
folgerungen ohne sichtbaren Beweis oder sogar trotz Gegenbe-
weis
5 Übergeneralisierung: aufgrund eines einzelnen Ereignisses wird
eine allgemeine Regel aufgestellt, die unterschiedslos auf ähnliche
und unähnliche Situationen angewendet wird
5 Dichotomes Denken (»Schwarz-Weiß-Malen«): Denken in Alles-
oder Nichts-Kategorien
5 Personalisierung: Ereignisse werden ohne klaren Grund auf sich
selbst bezogen
5 Katastrophisieren: Überbewertung des Eintreffens oder der Bedeu-
tung von negativen Ereignissen
5 Selektive Abstraktion: wenige Einzelinformationen werden verwen-
det und überbetont, um eine Situation zu interpretieren
88 Kapitel 5 · Psychotherapie

Eigene Notizen Rational-Emotive Therapie (nach A. Ellis)


4 Emotionen als Ergebnis von Denkvorgängen
4 Emotionale Störungen als Resultat irrationaler Überzeugungen bzw.
Denkmuster (nicht die Dinge selbst beunruhigen uns, sondern die Mei-
nungen, die wir darüber haben); Verdeutlichung anhand des ABC-
Schemas
4 ABC-Schema: A → B → C
5 A (= activating event): das auslösende Ereignis (z. B. ein Misser-
folg)
5 B (= irrational belief): die Gedanken zum Ereignis, die Bewertung
5 5 C (= consequence): Gefühle und Verhalten, die als Reaktion/Kon-
sequenz auf die Gedanken folgen
4 Vorgehen in der Therapie: Identifikation und Herausarbeitung irratio-
naler Überzeugungen im Dialog mit dem Patienten (»Sokratischer
Dialog«) und Veränderung dieser Gedankenmuster

Methoden der Selbstverbalisation (nach D. Meichenbaum)


4 Annahmen
5 An sich selbst gerichtete Instruktionen haben eine verhaltens-
steuernde Wirkung
5 Unangemessene »innere Monologe« führen zur Nichtbewältigung
belastender Situationen und unangenehmen Emotionen
4 Vorgehen: Erarbeiten und Einüben individueller, angemessener Formu-
lierungen
5 Selbstinstruktionstraining: Einüben, in problematischen Situationen
einen positiven und konstruktiven inneren Monolog (= Selbst-
instruktion) zu führen
5 Stressimpfungstraining
J Annahme, dass Stress wesentlich durch kognitive Faktoren ver-
mittelt wird
J Zur Bewältigung von Stresssituationen – ähnlich wie beim Selbst-
instruktionstraining – Einüben von der Situation vorausgehenden,
begleitenden und nachfolgenden Selbstverbalisationen

5.2.9 Aufbau von Kompetenzen

4 Aufbau von Kompetenzen in defizitären Bereichen

Training sozialer Kompetenzen


4 Ziel: Erwerb sozialer Kompetenz, die es ermöglicht, zufrieden stellende
Kompromisse zwischen Selbstverwirklichung und sozialer Anpassung
zu erzielen
4 Vorgehen: Erarbeitung eines Erklärungsmodells, Rollenspiele und ak-
tive Verhaltensübungen, Modifikation interner Regulationsprozesse
durch kognitive Techniken, operante Verstärkung durch Rückmel-
dungen, Modelllernen (von Therapeuten, Gruppenteilnehmern)
4 Häufig Defizite in den Bereichen Recht, Kontakt, Beziehung
5.3 · Psychoanalytische Therapieverfahren
89 5

4 Eingeübt werden: Eigene Notizen


5 Berechtigte Forderungen zu stellen und durchzusetzen
5 Aber auch Fehler einzugestehen und sich zu entschuldigen
5 Kontakt aufzunehmen, fortzuführen und zu beenden
5 Angemessene Reaktionen auf Kontaktangebote und Komplimente
5 Gefühle, Wünsche und Bedürfnisse kundzutun und auch »Nein« zu
sagen

Problemlösetraining (nach J. D’Zurilla und M.R. Goldfried)


4 Ziel: Erwerb adäquater Strategien und Handlungsmöglichkeiten zur
effektiveren und selbstständigen Problembewältigung
4 Erlernen von Problemlösungsschritten
1. Beschreibung des Problems und Zieldefinition
2. Entwicklung von Lösungsmöglichkeiten
3. Bewertung der Lösungsmöglichkeiten
4. Treffen einer Entscheidung
5. Planung und Umsetzung der Lösungsstrategie sowie deren Bewertung

5.3 Psychoanalytische Therapieverfahren

4 Klassische Psychoanalyse als erstes eigenständiges psychotherapeu-


tisches Verfahren; begründet auf entwicklungspsychologischen psycho-
dynamischen Theorien von S. Freud
4 Ätiologisch orientiert, d. h. primäre Therapieausrichtung auf Ursachen-
klärung und -ergründung
4 Annahme, dass Erleben und Verhalten auf einem Zusammenspiel be-
wusster und unbewusster seelischer Prozesse beruht
4 Krankhafte Symptome = Ausdruck ungelöster, unbewusster Konflikte
aus der Kindheit oder von Entwicklungsdefiziten (Störungen der Bewäl-
tigung phasenspezifischer Entwicklungsaufgaben)
4 Ziel: Aufdeckung und Bearbeitung der unbewussten Konflikte und Aus-
gleich von Entwicklungsdefiziten → Nachreifung bzw. Normalisierung
der Persönlichkeitsstruktur
4 Beschäftigt sich demzufolge insbesondere mit den sog. neurotischen,
d. h. auf disponierenden Vorerfahrungen beruhenden Störungen

5.3.1 Grundlagen der Tiefenpsychologie

4 Topographisches Modell
5 Unterscheidung von Bewusstsein, Vorbewusstsein und Unterbe-
wusstsein (Unterbewusstsein = Sitz der Triebe; wird nur unter be-
stimmten Umständen bewusst, z. B. beim »Sich-versprechen«, in
Träumen)
4 Instanzen-/Strukturmodell
5 Es: unbewusste Triebe und Impulse; handelt nach dem »Lustprin-
zip« (sofortige Bedürfnisbefriedigung)
90 Kapitel 5 · Psychotherapie

Eigene Notizen 5 Über-Ich: moralische Instanz (»Gewissen«), verinnerlichte Nor-


men, Werte und Ideale
5 Ich: Instanz, die zwischen Es, Über-Ich und Realität vermittelt;
agiert nach dem »Realitätsprinzip« (Anpassung an die Realität; stellt
vernünftige Entscheidungen über lustbetonte Wünsche); setzt Ab-
wehrmechanismen zur Angstbewältigung ein
4 Abwehrmechanismen
5 Dienen dazu, unerträgliche, angstbesetzte oder unangenehme Kon-
fliktkonstellationen vom Bewusstsein fernzuhalten bzw. durch
Symptombildung dem Bewusstsein in erträglicher Form zu präsen-
5 tieren
5 Prozess findet nicht nur bei psychischen Erkrankungen statt, son-
dern auch bei psychisch Gesunden
> Abwehrmechanismen sind nicht grundsätzlich als pathologisch
zu bewerten.
5 Wichtige Abwehrmechanismen
J Verdrängung: Fernhalten Angst erzeugender Inhalte/Konflikte
vom Bewusstsein
J Verleugnung: nicht mehr Wahrnehmen von bestimmten unange-
nehmen Gegebenheiten der Realität
J Isolierung: Abtrennung emotionaler Regungen von angstbesetz-
ten Inhalten
J Konversion: der verdrängte Trieb drückt sich in Form körper-
licher Symptomatik aus
J Verschiebung: Verschiebung eines Impulses oder einer Emotion
von einem Objekt zu einem anderen, das weniger gefährlich und
das akzeptierbar ist
J Reaktionsbildung: Umwandlung eines nicht akzeptierten Trieb-
impulses in sein Gegenteil (Wendung ins Gegenteil)
J Projektion: Übertragung eigener Probleme und abgelehnter Im-
pulse auf Andere, die dann bei den Anderen kritisiert werden
J Regression: Rückkehr zu einem früheren Funktionsniveau
J Identifikation und Introjektion: Identifikation mit einer anderen
Person ermöglicht stellvertretendes Erreichen von Triebbefriedi-
gung und Übernahme von Normen und Werten in die eigene
Persönlichkeit (Introjektion)
J Rationalisierung: rationale Begründungen für ansonsten (subjek-
tiv) nicht akzeptierte Handlungen
J Intellektualisierung: emotionale Konflikte werden durch ver-
nunftbetonte abstrakte Denkmodelle entaktualisiert bzw. kont-
rolliert
J Sublimation: Befriedigung nicht erfüllter Bedürfnisse durch so-
zial akzeptierte Ersatzhandlungen (das ursprüngliche Ziel des
Triebwunsches wird aufgegeben)
5.3 · Psychoanalytische Therapieverfahren
91 5

> Abwehrmechanismen führen zur Unterdrückung von Triebimpul- Eigene Notizen


sen oder zu Ersatzbildungen. Diese können eine befriedigende
Lösung darstellen (z. B. bei Sublimation) oder auch nicht, so dass
Angst zurück bleibt und viel psychische Energie aufgewendet
werden muss für den ständigen Aufwand der Abwehr und Angst-
reduktion und wenig Energie übrig bleibt für ein produktives
Leben.

4 Phasen-/Entwicklungsmodell (psychosexuelle Entwicklung nach


S. Freud): Störungen, Fixierung oder Regression in einer oder auf eine
Phase bei zu viel oder zu wenig Lustgewinn in einer Phase → führt allge-
mein zu Ich-Schwäche, basaler Störung des Selbstgefühls, unzureichend
integrierten Vorstellungen von sich selbst und seinen Objekten
5 Oraler Charakter bei Fixierung oder Regression auf orale Phase
(1. Lebensjahr): Fixierung auf orale Befriedigungsformen (Essen,
Rauchen, Trinken), fordernd, gierig, passiv-abhängig, unselbst-
ständig, selbstbezogen, empfindlich; assoziierte psychische Erkran-
kungen: Sucht, Depression, Schizophrenie
5 Analer Charakter bei Fixierung oder Regression auf anale Phase
(2.–3. Lebensjahr): zwanghaft, geizig, übertrieben reinlich, pedan-
tisch; assoziierte psychische Erkrankung: Zwänge
5 Phallischer Charakter bei Fixierung oder Regression auf ödipale/
phallische Phase (4.–5. Lebensjahr): übertriebenes Erfolgsstreben,
Geltungsbedürfnis, Rücksichtslosigkeit, Aggressivität, Konkurrenz-
denken, (sexuelle) Ängstlichkeit; assoziierte psychische Erkran-
kungen: Phobien, Hysterien

5.3.2 Therapie

4 Voraussetzungen zur erfolgreichen Durchführung der Therapie: Verän-


derungsbereitschaft des Patienten aufgrund eines subjektiven Leidens-
drucks, ein gewisses Maß an Introspektionsfähigkeit, Reflektions- und
Ausdrucksvermögen
4 Erforschung des Unbewussten durch freie Assoziation (»Grundregel«
in der klassischen Psychoanalyse) und Deutung des manifesten Erle-
bens und Verhaltens
4 Setting bei klassischer Psychoanalyse
5 Patient liegt auf Couch, soll liegend frei assoziieren
5 Therapeut sitzt außerhalb des Blickfeldes am Kopfende
4 Gleichschwebende Aufmerksamkeit beim Therapeuten: zurückhal-
tende, neutrale Einstellung gegenüber allen Äußerungen des Patienten
4 Regression: gefördert durch die liegende Position des Patienten taucht
der Patient in sein inneres Erleben ein und geht zurück in einen früheren,
kindlichen Lebensabschnitt
4 Übertragung: nicht verarbeitete Konflikte werden in der Beziehung
zum Therapeuten reaktualisiert → Entwicklung einer therapeutischen
Übertragungsbeziehung
92 Kapitel 5 · Psychotherapie

Eigene Notizen 4 Regression und Übertragung sind erwünscht, damit Konflikte erkannt
und gedeutet werden können; Patient kann frühere Konflikte erneut
durchleben und mit Hilfe des Therapeuten adäquat lösen
4 Widerstände: Übertragungen und Regressionen erwecken Ängste, die
innere Widerstände als Abwehrprozesse auslösen
5 Widerstände richten sich v. a. gegen das Bewusstwerden unange-
nehmer Inhalte
5 Widerstandsphänomene: z. B. Patient vermeidet unangenehme
Themen oder Affekte, kann sich nicht erinnern, versäumt Therapie-
stunden
5 4 Analyse von Übertragungen und Widerständen als Manifestationen des
Unbewussten
4 Gegenübertragung: Empfindungen, die der Patient beim Therapeuten
auslöst bzw. spezifische Reaktionen des Therapeuten auf eine ihm entge-
gengebrachte Übertragung (Therapeut muss sich dieser bewusst sein
und sie zu deuten wissen; liefern wertvolle diagnostische Erkenntnisse)
4 Abstinenzregel: Therapeut bleibt neutral, vermeidet Ratschläge oder
Handlungen, Kontakt mit Patienten bleibt auf Therapiesitzungen be-
schränkt → soll bewirken, dass Übertragungen und Gegenübertra-
gungen sich ungestört entwickeln können
4 Wichtigste therapeutische Intervention ist die Deutung: Therapeut deckt
die im Unterbewusstsein verborgenen Konflikte auf, indem er Inhalte der
freien Assoziation, das unmittelbare Verhalten gegenüber dem Thera-
peuten, Träume, Kindheitserinnerungen und Versprecher deutet
4 Langzeittherapie (klassische Psychoanalyse: mehrmals pro Woche über
Jahre)
4 Psychodynamische Therapien als Modifikationen der klassischen Psy-
choanalyse: Unterscheiden sich z. B. durch Verminderung der Thera-
piestundenfrequenz, Begrenzung der Behandlungsdauer, Therapie im
Sitzen statt im Liegen
5 Zum Beispiel Fokaltherapie als tiefenpsychologisch orientierte
Kurztherapie: Ausrichtung auf einen Hauptkonflikt/-fokus
4 Weitere psychoanalytische Schulen: Individualpsychologie nach A. Ad-
ler, analytische Psychologie nach C.G. Jung, Existenzanalyse (Logothe-
rapie) nach V. Frankl (wichtige Intervention der Logotherapie: paradoxe
Intervention = Patient soll genau das anstreben, wovor er Angst hat bzw.
was er vermeiden will)
> Psychoanalytische Therapien zielen darauf ab, unbewusste Kon-
flikte aufzudecken, durch Deutung des Therapeuten aufzulösen,
dem Patienten so Einsicht in die Ursachen seines Leidens zu ge-
ben und dem Patienten eine Nachreifung der Persönlichkeit zu er-
möglichen.
S. Freud: »Wo Es ist, soll Ich werden« → verdrängte Triebkon-
flikte sollen aufgedeckt und die Triebe besser in das Ich integriert
und von diesem beherrscht werden.

4 Psychoanalytische Psychotherapie ist wenig evidenzbasiert, nur wenige


kontrollierte Studien zur Wirksamkeit liegen vor
5.5 · Systemische Paar- und Familientherapie
93 5
5.4 Gesprächspsychotherapie Eigene Notizen

4 Zählt zu den sog. humanistischen Therapieverfahren


4 Grundgedanken
5 Mensch strebt nach Selbstverwirklichung, Autonomie und Vervoll-
kommnung
5 Zusätzlich wirken Regeln, Kritik und Bewertungen aus der Umwelt
auf die Person ein, welche diese häufig als eigene Lebensgrundsätze
annimmt, auch wenn sie im Widerspruch stehen zu eigenen Bedürf-
nissen und Wünschen (=Inkongruenzen)
5 Inkongruenzen (Nicht-Übereinstimmungen) hemmen die Selbst-
entfaltung und können zu Ängsten, Zweifeln, Minderwertigkeitsge-
fühlen führen
4 Ziel der Therapie: Patienten befähigen, besser auf eigene Bedürfnisse
und Gefühle zuzugreifen und als Teil seiner Selbst anzunehmen durch
Schaffen einer Atmosphäre, in der sich der Patient bedingungslos ange-
nommen fühlt
4 Klassische Gesprächspsychotherapie (auch »klientenzentrierte« oder
»personenzentrierte Psychotherapie« genannt) geht zurück auf den
amerikanischen Psychologen C. Rogers
4 Im Mittelpunkt der Therapie steht die persönliche Entwicklung des Pa-
tienten, die ihrerseits Problemlösungen begünstigen soll
4 Wirkung beruht v. a. auf der besonderen Gestaltung der psychothera-
peutischen Beziehung; Patient soll eine vergleichbare Beziehung zu sich
selbst aufbauen können, wie sie ihm der Therapeut anbietet (→ Thera-
peut verhilft zu verbesserter Selbstwahrnehmung und -akzeptanz)
4 Therapeutische Basisvariablen
5 Empathie: einfühlendes Verstehen
5 Akzeptanz: unbedingte Wertschätzung
5 Kongruenz: Echtheit, Transparenz, authentische Kommunikation
> Charakteristika der therapeutischen Beziehung: bedingungslose
positive Wertschätzung, Empathie und Kongruenz.

4 Klassische Gesprächspsychotherapie ist nicht ziel- und störungsorien-


tiert, im Gegensatz zu neueren, modifizierten Formen wie die klärungs-
orientierte Psychotherapie, die Elemente der kognitiven Verhaltens-
therapie einbezieht

5.5 Systemische Paar- und Familientherapie

4 Betrachten eines Paares bzw. der Familie als System, das essenzielle Be-
deutung für die Entwicklung eines Individuums innerhalb dieses
Systems hat
4 Psychische Erkrankung eines Individuums wird als Manifestation einer
gestörten Interaktion innerhalb des gesamten Systems betrachtet, nicht
als individuelles Problem
94 Kapitel 5 · Psychotherapie

Eigene Notizen > Annahme: Probleme zeigen sich zwar beim Individuum, haben
dort aber nicht ihre primäre Ursache.
4 Systeme weisen eine Eigendynamik auf und organisieren sich selbst;
selbstorganisierte Systeme können von außen (vom Therapeuten) ange-
stoßen werden, um eine angemessenere, befriedigendere Organisa-
tionsform zu finden
4 Therapeut als »Gesprächsmoderator«
4 Ziel: Aufdecken und Verändern dysfunktionaler Denkmuster eines oder
mehrerer Systemmitglieder sowie von Beziehungsstörungen, indem
neue Denkmöglichkeiten v. a. durch das systemische Fragen (zirkuläre
5 Fragen: der Befragte soll die Perspektive eines Dritten einnehmen, z. B.
was glaubt Person A wie Person B sich fühlt) erzeugt werden

5.6 Entspannungsverfahren

4 Können als eigenständiges Therapieverfahren oder als Bestandteil an-


derer therapeutischer Techniken (z. B. systematische Desensibilisie-
rung) eingesetzt werden
4 Ziel: umfassende körperlich-seelische Entspannung
4 Häufig angewandte Entspannungsverfahren: Progressive Muskelrela-
xation, Autogenes Training
4 Autogenes Training: autosuggestive Methode zur Körperselbstbeein-
flussung (»konzentrative Selbstentspannung«): wiederholtes innerliches
Aufsagen bestimmter Formeln (z. B. »der Arm ist ganz schwer«)
5 Standardübungen (Unterstufe): Ruhetönung, Schwereübung,
Wärmeübung, Herzübung, Atmungsübung, Sonnengeflechtsübung,
Stirnkühleübung
4 Progressive Muskelrelaxation: Muskelentspannung durch schrittweise
muskuläre Anspannung und anschließende Entspannung der Musku-
latur
4 Oft beschriebene Effekte: Entspannung der Muskulatur, Harmonisie-
rung des vegetativen Nervensystems, gesteigerte Selbstkontrolle, emo-
tionale Ausgeglichenheit
4 Anwendung zum Abbau innerer oder körperlicher Anspannung, z. B.
bei Ängsten, Nervosität, Stress, Reizbarkeit, Schlafstörungen, chroni-
schen Schmerzen mit und ohne Muskelverspannungen
4 Kontraindikationen: v. a. massive Angst vor Kontrollverlust, Patienten
mit akuter Psychose

5.7 Biofeedback

4 Optische oder akustische Rückmeldung biologischer Signale über Kör-


perfunktionen, die sonst nicht oder schwer wahrnehmbar sind; werden
so der bewussten Wahrnehmung zugänglich gemacht, wodurch ein ge-
wisses Maß an willentlicher Steuerung und Kontrolle der jeweiligen
Körperfunktion erlernt werden kann
5.9 · Schulenübergreifendes Betrachten von Psychotherapie
95 5

4 Vorgehen: bestimmte Parameter wie Muskelspannung, Durchblutung, Eigene Notizen


Hautwiderstand werden gemessen und dem Patienten rückgemeldet
(z. B. EEG-Feedback, EMG-Feedback)
4 Seit kurzer Zeit wird versucht, die regionale Gehirndurchblutung durch
funktionelle Kernspintomografie willkürlich selbst zu beeinflussen
(Neurofeedback)
4 Aufgabe des Patienten: er soll versuchen, das rückgemeldete Signal in
die therapeutisch gewünschte Richtung zu verändern
4 Feedbacksignal als Verstärkung für die physiologische Funktionsände-
rung (basiert auf dem operanten Konditionierungsmodell)
4 Ziel: Ausbildung der Fähigkeit zur Selbstkontrolle entsprechender phy-
siologischer Vorgänge und Übertragung der erlernten Selbstkontrolle in
Alltagssituationen
4 Einsatz eher spezifisch bei einzelnen Störungsbildern, z. B. chronische
Schmerzsyndrome, psychosomatische Funktionsstörungen

5.8 Psychoedukation

4 Vermittlung von Informationen und Krankheitsmodellen – allein oder


als Teil von anderen Psychotherapien (psychoedukative Elemente sind
ein typisches Merkmal von Verhaltenstherapien)
4 Ist als alleinige Intervention nur dann ausreichend, wenn die Probleme
nach Behebung eines Informationsmangels beseitigt oder eigenständig
gelöst werden können
4 Psychoedukation findet auch Anwendung bei Angehörigen des Pa-
tienten

5.9 Schulenübergreifende Psychotherapie

4 Schulenübergreifende Theorie von K. Grawe konstatiert 4 allgemeine


Wirkfaktoren der Psychotherapie
5 Klärung: therapeutische Interventionen, die das Verständnis und
die Einsicht des Patienten in bestimmte Verhaltens- und Erlebens-
weisen fördern
5 Bewältigung: Vermittlung von Fertigkeiten zur besseren Problem-
bewältigung
5 Problemaktualisierung: Therapeut unterstützt den Patienten, Kon-
flikte in der Therapie (nach)zuerleben
5 Ressourcenaktivierung: Anknüpfung an vorhandene Ressourcen
des Patienten; Patient soll seine positiven Seiten und Stärken erle-
ben; therapeutische Beziehung als wichtige Ressource
4 Jede Therapieschule hat hinsichtlich dieser Wirkfaktoren ihre Schwer-
punkte (z. B. Psychoanalyse → v. a. Problemaktualisierung, Verhaltens-
therapie → Bewältigung)
6
Tag 2 – Therapie

6 Weitere Therapieformen
6.1 Elektrokrampftherapie – 98

6.2 Lichttherapie – 99

6.3 Schlafentzugstherapie – 100

6.4 Physiotherapie – 100

6.5 Soziotherapie, Versorgung, Rehabilitation – 100


6.5.1 Soziotherapie – 100
6.5.2 Psychiatrisch-psychotherapeutische Versorgung – 101
6.5.3 Rehabilitation – 102
98 Kapitel 6 · Weitere Therapieformen

Eigene Notizen Neben psychopharmakologischen und psychotherapeutischen Therapie-


ansätzen Etablierung weiterer Therapieformen:
4 Zum einen Therapieverfahren physikalisch interventioneller Natur
4 Zum anderen begleitende sozio-, ergo- und physiotherapeutische sowie
rehabilitative Verfahren

6.1 Elektrokrampftherapie

4 Erzeugung eines generalisierten Krampfanfalls durch kurze elektrische


Reizung des Gehirns
5 Applikation von Kurzpulsströmen über Elektroden am Kopf
5 In der Regel unilateral (über nicht-sprachdominater Hirnhälfte),
6 ggf. bei Nichtwirksamkeit bilaterale Reizung (dann aber mehr kog-
nitive Nebenwirkungen)
4 Wirkung durch neurochemische Veränderungen verschiedener Trans-
mittersysteme
4 Durchführung (nur nach angemessener Aufklärung und schriftlichem
Einverständnis des Patienten)
5 Unter Kurznarkose, Muskelrelaxation, Sauerstoffbeatmung und
Zahnschutz
5 Dauer der Krampfanfälle: mindestens 25–30 s (objektivierbar durch
parallel abgeleitetes EEG)
5 Als initiale Behandlungsserie i. d. R. 2-mal/Woche (bis zu 6 Wo-
chen)
5 Bei erheblicher Rezidivgefahr anschließende Erhaltungs-EKT über
1 Jahr mit 1 Konvulsion/Woche bis 1 Konvulsion/Monat
> Vor einer Elektrokrampftherapie/Elektrokonvulsionstherapie (EKT)
sollten Benzodiazepine und Antikonvulsiva abgesetzt werden (ver-
kürzen Krampfdauer) bzw. bestmöglich reduziert werden.
Vorsicht bei Clozapin, Tranylcypromin und Bupropion: können
Krampfdauer verlängern.
Gleichzeitige Lithiumbehandlung erhöht das Delirrisiko.
4 Indikationen: schwerst psychisch Kranke, bei denen andere Therapie-
methoden erfolglos waren oder bei denen wegen der Schwere der Er-
krankung eine schnelle Verbesserung notwendig ist
5 Therapie der Wahl bei besonders schwerer
J Wahnhafter Depression, depressivem Stupor, schizoaffektiver
Psychose mit depressiver Verstimmung
J Depression mit hoher Suizidalität oder lebensbedrohlicher Nah-
rungsverweigerung
J Akuter, lebensbedrohlicher (perniziöser) Katatonie
5 Weitere Indikationen
J Therapieresistente Depressionen
J Therapieresistente Manien
J Therapieresistente, akut exazerbierte schizophrene Psychosen
J Therapieresistente, nicht lebensbedrohliche Katatonien
6.2 · Lichttherapie
99 6

5 Seltene Indikationen Eigene Notizen


J Malignes neuroleptisches Syndrom
J Therapieresistente schizoaffektive Störungen
4 Risiken entsprechen im Wesentlichen denen der Narkose (Kurznarkose)
4 Während der Elektrokrampfbehandlung können akut hohe Blutdruck-
spitzen sowie kurzzeitige Asystolien auftreten (siehe Kontraindika-
tionen)
4 Nebenwirkungen (fast immer passager)
5 Kopfschmerzen (häufigste Nebenwirkung der EKT)
5 Kognitiv-amnestische Störungen (bei unilateraler Stimulation deut-
lich geringer als bei bilateraler)
4 Kontraindikationen
5 Absolut: erhöhter intrakranieller Druck, frischer Herz- oder Hirn-
infarkt (innerhalb der letzten 3 Monate), schwerer arterieller Hyper-
tonus, ausgeprägte kardiopulmonale Funktionseinschränkungen
(nicht narkosefähig), akuter Glaukomanfall, intrazerebrale Raum-
forderung mit Begleitödem
5 Relativ: zerebrales Aneurysma, zerebrales Angiom
5 Schwangerschaft, höheres Lebensalter und Herzschrittmacher stel-
len keine Kontraindikationen dar

6.2 Lichttherapie

4 Wirksamkeit insbesondere bei der saisonalen affektiven Störung (SAD)


(besonders Herbst/Winter) belegt
4 Durchführung
5 Beleuchtung mit hellem, breitspektralem Licht (ohne UV-Licht) für
30 min bis 2 h täglich (je nach Beleuchtungsstärke), über 2–4 Wochen
5 Beleuchtungsstärke zwischen 2500 und 10.000 Lux
5 Bevorzugt morgens
5 Augen sollten dabei die meiste Zeit über geöffnet sein
5 Alternative zu künstlichem Licht: täglicher einstündiger Morgen-
spaziergang (über mindestens 2 Wochen)
4 Zur Unterstützung von Pharmako- und Psychotherapie, in Kombina-
tion guter Wirkungserfolg
4 Angenommener Wirkmechanismus: Einflussnahme des durch das
Auge aufgenommen Lichtes auf die zirkadiane Rhythmik
4 Nebenwirkungen: gelegentlich Augenbrennen (aber keine Hinweise für
die Verursachung von Augen- oder Retinaschäden), Kopfschmerzen
und Gereiztheit; Vorsicht bei gleichzeitiger Pharmakotherapie mit pho-
tosensibilisierenden Substanzen, z. B. Johanniskraut-Extrakten
100 Kapitel 6 · Weitere Therapieformen

Eigene Notizen 6.3 Schlafentzugstherapie

4 Ergänzendes Therapieverfahren bei depressiven Erkrankungen (auch


Wachtherapie genannt)
4 Vollständiger (komplette Nacht), partieller (2. Nachthälfte) oder selek-
tiver (REM-Schlaf-Phasen) Schlafentzug
> Am Tag nach dem Schlafentzug dürfen Patienten tagsüber nicht
schlafen.
Sollte nicht angewendet werden bei Epilepsie (Erniedrigung
der Krampfschwelle) und wahnhafter Depression (mögliche Ver-
schlechterung der wahnhaften Symptomatik).
4 Wirkungsmechanismus nicht abschließend geklärt, wahrscheinlich Re-
6 synchronisation der gestörten zirkadianen Rhythmik und Normalisie-
rung des gestörten Schlafmusters (Durchschlafstörungen mit morgend-
lichem Früherwachen)
4 Bei ca. der Hälfte der Patienten kommt es zu (meist nur 1 bis 2 Tage
anhaltenden) Stimmungsverbesserungen
4 Zur Stabilisierung der Stimmungsverbesserung kann eine Schlafpha-
senvorverlagerung an den Schlafentzug anschließen
5 Erste Schlafphase von 17 bis 24 Uhr, Verlagerung der Schlafphase
um jeweils eine Stunde an den nachfolgenden Tagen, bis nach einer
Woche der normale Schlafrhythmus erreicht ist (23 bis 6 Uhr)

6.4 Physiotherapie

4 In der Regel Bestandteil des Gesamtbehandlungskonzepts, besonders


bei stationärer Behandlung
4 Hierzu gehören Krankengymnastik, Massagen, medizinische Bäder,
Schwimmen, Bewegungstherapie
4 Prinzip: über den Körper auf die Psyche einwirken
5 Reduktion von Spannungen und Ängsten
5 Aktivierung, Antriebssteigerung
5 Verbesserung der Beziehung zum eigenen Körper und der Wahr-
nehmung der eigenen Persönlichkeit; Stärkung von Selbstvertrauen
4 Häufig als Gruppentherapie (fördert Kontaktfähigkeit und Sozialver-
halten)

6.5 Soziotherapie, Versorgung, Rehabilitation


6.5.1 Soziotherapie

4 Therapeutische Behandlungsform, die mit der Übernahme von Eigen-


verantwortung verbunden ist
4 Einerseits wird versucht, durch Motivation und Training die Kompe-
tenzen des Patienten zu erhöhen, andererseits Einwirkung auf das Um-
feld, um Stressoren und Konflikte abzubauen
6.5 · Soziotherapie, Versorgung, Rehabilitation
101 6

4 Motivierungsarbeit und strukturierte Trainingsmaßnahmen sollen hel- Eigene Notizen


fen, psychosoziale Defizite abzubauen und krankheitsbedingte Schwie-
rigkeiten im Alltag zu mildern oder zu bewältigen (ohne den Patienten
dabei zu überfordern)
4 Findet überwiegend im sozialen Umfeld des Patienten statt
4 Betrifft primär die Lebensbereiche Arbeit, Wohnen und Kontakte
4 Verschiedene Behandlungsansätze, z. B.
5 Beratung und Betreuung durch einen Sozialdienst
5 Ergotherapie
5 Berufliche oder gesellschaftliche Reintegration
5 Kreativ-künstlerische Angebote
5 Ambulante Pflege
5 Tagesstrukturierende Maßnahmen
Ergotherapie
4 Oberbegriff für Maßnahmen im Rahmen von Beschäftigungs- und Ar-
beitstherapie
4 Allgemeines Ziel: Entwicklung, Verbesserung oder Erhalt von eigen-
ständiger Lebensführung und Grundarbeitsfähigkeit
5 Beschäftigungstherapie
J In der Regel als Gruppentherapie
J Vor allem künstlerisch-kreative Handarbeiten, aber auch Maß-
nahmen zur Stärkung kognitiver Leistungsfähigkeit (Bürotrai-
ning, Konzentrationstraining) oder Üben von Haushaltsführung
(Einkaufen, Kochen, Ordnung halten)
J Förderung von Antrieb, Ausdauer, kognitiven und kommunika-
tiven Fähigkeiten, Stärkung von Selbstvertrauen
5 Arbeitstherapie
J Beispielsweise Arbeiten in Werkstätten oder Gärtnereien
J Zur Vorbereitung auf das Berufsleben, berufsfördernde Maßnah-
men oder auf eine Werkstatt für Behinderte
J Förderung von Ausdauer, Konzentrationsfähigkeit, Sorgfalt,
Pünktlichkeit, Flexibilität
Künstlerische/kreative Soziotherapien
4 Tanz- und Bewegungstherapie, Musiktherapie, Mal-/Gestaltungs-
therapie
4 Steigerung von Selbstvertrauen, Kreativität, Abbau von Isolation

6.5.2 Psychiatrisch-psychotherapeutische Versorgung

4 Vollstationäre, akut-psychiatrische Versorgung (vollstationäre Lang-


zeiteinrichtungen sind mittlerweile äußerst rar)
4 Teilstationäre Versorgung
5 Zwischenglied zwischen vollstationärer und ambulanter Therapie
5 Tagesklinik: halbstationäre Therapieform, die Patienten an meist
5 Tagen der Woche für eine begrenzte Zeit wahrnehmen (ca. 8 h
täglich)
102 Kapitel 6 · Weitere Therapieformen

Eigene Notizen 5 Nachtklinik: Patienten schlafen nur nachts in der Einrichtung und
gehen tagsüber einer regelmäßigen Beschäftigung nach
4 Ambulante Versorgung durch niedergelassene Fachärzte, Institutsam-
bulanzen, Tageszentren, sozialpsychiatrischen Dienst

6.5.3 Rehabilitation

4 Maßnahmen und Leistungen, die der Wiedereingliederung des Pa-


tienten in die Gesellschaft dienen
4 Unterscheidung medizinischer, beruflicher (sog. Leistungen zur Teil-
habe am Arbeitsleben) und sozialer Rehabilitation (sog. Leistungen zur
Teilhabe in der Gemeinschaft)
6 4 Medizinische Rehabilitation
5 Maßnahmen, die auf die Erhaltung oder Besserung des Gesund-
heitszustands abzielen
5 Erfordert v. a. die Durchführung medizinischer Leistungen
5 Wird ambulant oder stationär erbracht
4 Berufliche Rehabilitation/Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben
5 Ziel: Erhalt, Verbesserung oder Wiederherstellung der Erwerbs-
fähigkeit
5 In betrieblichen (z. B. betriebliches Eingliederungsmanagment)
oder außerbetrieblichen Einrichtungen (z. B. Berufsbildungs- und
Berufsförderungswerke)
5 Scheint die Wiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt aus
medizinischen Gründen unwahrscheinlich, kann die Teilhabe am
Arbeitsleben in einer Werkstatt für behinderte Menschen, einer
Rehabilitationseinrichtung für psychisch Kranke (RPK) oder in
heilpädagogischen Zentren angestrebt werden
4 Soziale Rehabilitation/Leistungen zur Teilhabe in der Gemein-
schaft
5 Ziel: Integration des Patienten in die Gesellschaft unter Berücksich-
tigung seiner Fähigkeiten, Neigungen und Defizite
5 Maßnahmen im Wohn- und Freizeitbereich (z. B. betreutes Wohnen)
7
Tag 3 – Spezielle Krankheitsbilder I

7 Schizophrenie
104 Kapitel 7 · Schizophrenie

Eigene Notizen Definition


Schizophrenie: tiefgreifende Störung von Denken, Fühlen, Erleben und
Verhalten; dabei sind insbesondere Wahrnehmung, Ich-Erleben (Ich-Um-
welt-Abgrenzung) und inhaltliches Denken einerseits sowie andererseits
Affektivität/Emotionalität, Sozialverhalten, Antrieb und Psychomotorik
betroffen.
Psychose: übergeordneter Begriff, alle Krankheitsbilder mit einer Verän-
derung des eigenen Erlebens und des Realitätsbezugs, nicht identisch
mit der Diagnose Schizophrenie (diese gehört aber u. a. zu den psycho-
tischen Erkrankungen).

4 E. Kraepelin beschrieb das Krankheitsbild als »Dementia praecox«


(»vorzeitige Demenz«), die sich in der 2. und 3. Lebensdekade manifes-
tiert und progredient zu »demenziellem Abbau« führt → Betonung kog-
7 nitiver Störungen und des Krankheitsverlaufs
4 Einführung des Begriffs »Schizophrenie« erstmals von E. Bleuler, als
»Spaltung« verschiedenster psychischer Funktionen ( !Cave Begriff
bezeichnet nicht eine »gespaltene Persönlichkeit«!)

Ätiologie
4 Multifaktorielle Genese
5 Genetische Einflüsse (genetische Disposition ca. 50%)
5 Prä- und perinatale Einflüsse und Komplikationen oder frühkind-
liche Hirnschädigung
5 Psychosoziale Einflüsse
5 Drogenkonsum
4 Äthiopathogenetisches Modell: Vulnerabilitäts-Stress-Coping-Mo-
dell
5 Auf Basis subklinischer Vulnerabilität (Disposition) für die Krank-
heitsmanifestation können Stressoren (Auslöser) bei nicht ausrei-
chenden Bewältigungsmöglichkeiten (Coping) zur manifesten Er-
krankung führen
5 Berücksichtigung neurobiologischer, psychologischer und sozialer
Faktoren
5 Vulnerabilitätsfaktoren: genetische und nicht-genetische Einflüsse
(z. B. Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen, Virusinfek-
tion, Drogenkonsum der Mutter, schizotype Persönlichkeitsmerk-
male, verminderte kognitive Informationsverarbeitungsgeschwin-
digkeit); Grundlagen der Vulnerabilität wahrscheinlich strukturelle
und funktionelle zerebrale Veränderungen
J Erweiterung der Ventrikelräume
J Hirnsubstanzminderung, besonders in fronto-temporalen Regio-
nen; verminderte zerebrale Asymmetrie
J Vor allem dopaminerge Funktionsstörungen (aber auch Stö-
rungen anderer Transmitter)
J Funktionelle Dysregulation, v. a. im limbischen System
7 · Schizophrenie
105 7

5 Stressoren: Drogenkonsum (z. B. Cannabis), überstimulierende Eigene Notizen


soziale Umgebung (z. B. Stadtleben, Migration), stressreiche kri-
tische Lebensereignisse, möglicherweise auch kritikbetontes oder
emotional überengagiertes Familienklima (»high expressed emo-
tions«)
5 Protektive Faktoren: psychosoziale Unterstützung, adäquate Prob-
lemlösungsstrategien
4 Findet neurochemisch seinen Ausdruck v. a. in einer Überaktivität des
mesolimbischen dopaminergen Systems

Epidemiologie
4 Lebenszeitprävalenz der Schizophrenie weltweit: ca. 1%
4 Lebenszeitrisiko für Angehörige schizophren Erkrankter: Geschwister
ca. 10% (monozygote Zwillinge bis ca. 50%), Kinder ca. 10–30% (bei 2
betroffenen Elternteilen bis ca. 50%)
4 Prävalenzraten der Schizophrenie variieren weltweit zwischen ca. 2 und
4 Betroffene pro 1000 Einwohner
4 Morbiditätsrisiko höher
5 In städtischen Gebieten
5 Bei Migrationshintergrund
5 Bei Personen, die während der Wintermonate geboren wurden
5 Bei Alleinstehenden
5 Bei niedrigem sozioökonomischem Status (Diskussion, ob dies auf
soziale Mitverursachung oder sozialen Abstieg der Betroffenen –
»social drift« – rückführbar ist)
4 Erkrankungsbeginn meist zwischen 15. und 35. Lebensjahr; Unter-
schied zwischen den Geschlechtern: Männer erkranken bis zu 5 Jahre
früher als Frauen (aber kein Geschlechtsunterschied hinsichtlich Er-
krankungshäufigkeit)
4 Hohe Mortalität und Suizidalität (ca. 10% der Ersterkrankten unterneh-
men innerhalb eines Jahres nach Krankheitsmanifestation einen Suizid-
versuch)
4 Fremdaggressivität überschätzt (wenn diese auftritt, sind häufig Ange-
hörige betroffen)
4 Hohe Komorbidität mit Suchterkrankungen (höchste Komorbidität),
Depressionen sowie mit somatischen Erkrankungen (v. a. kardiovasku-
läre, respiratorische oder Infektionskrankheiten)

Klinik
> Störungen von Konzentration und Aufmerksamkeit, inhaltliche
und formale Denkstörungen, Störungen der Ich-Funktion, der
Wahrnehmung, des Antriebs und der Psychomotorik sowie der
Affektivität (Bewusstsein und Orientierung sind i. d. R. nicht be-
troffen).
106 Kapitel 7 · Schizophrenie

Eigene Notizen Einteilung der Symptome nach verschiedenen Gesichtspunkten


4 Historische Einteilung der Symptome nach E. Bleuler in Grund- und
akzessorische Symptome
5 Grundsymptome (charakteristisch für Schizophrenie, »4 A’s«)
J Störungen der Assoziation (formale Denkstörungen wie Denk-
zerfahrenheit, Vorbeireden, Begriffszerfall, Symboldenken, Ge-
dankensperrung)
J Störungen der Affektivität (z. B. Parathymie, Affektverflachung)
J Autismus (Zurückgezogenheit in die innere Gedankenwelt)
J Ambivalenz im Fühlen, Handeln und Wollen (Antriebsstörungen)
5 Akzessorische Symptome (gehäuftes Vorkommen auch bei ande-
ren Psychosen)
J Halluzinationen
J Wahn
J Katatone Störungen
7 J Funktionelle Gedächtnisstörungen
J Eigenheiten von Schrift und Sprache
4 Erst- und Zweitrangsymptome der Schizophrenie nach K. Schneider:
5 Symptome 1. Ranges
J Wahnwahrnehmung
J Dialogische, kommentierende, imperative Stimmen
J Gedankenlautwerden, -eingebung, -entzug, -ausbreitung
J Andere Beeinflussungserlebnisse mit dem Charakter des Ge-
machten (z. B. leibliche Beeinflussungserlebnisse)
5 Symptome 2. Ranges
J Wahneinfall
J Sonstige akustische und andere Halluzinationen (z. B. optisch,
olfaktorisch)
J Affektveränderungen
J Ratlosigkeit
4 Einteilung in Positiv- und Negativsymptomatik
5 Positiv-/Plus-/Produktivsymptomatik: Krankheitswertige Er-
scheinungen, die in Bezug auf die verschiedenen Entitäten der psy-
chischen Funktionen den Charakter der Neubildung haben
J Inhaltliche Denkstörungen wie z. B. Wahnwahrnehmung
J Ich-Demarkation (Verschmelzung der Ich-Umwelt-Grenze, z. B.
Gedankeneingebung)
J Wahrnehmungsstörungen wie z. B. Halluzinationen
J Sind häufig phasenhaft und zeigen einen weniger stabilen Verlauf
als die Negativsymptomatik
5 Negativ-/Minus-/Defizitsymptomatik: Symptome, die als »Weg-
fall« oder Minderung früher vorhandener Funktionen erscheinen
wie kognitive Dysfunktionen (Störungen von Aufmerksamkeit,
Konzentration, Gedächtnis), Störungen von Antrieb, Psychomoto-
rik und Affektivität; bei manchen überdauernd
J Typische Negativsymptome (nicht zu verwechseln mit den
4 »A’s« bzw. Grundsymptomen nach E. Bleuler!): Alogie (Denkstö-
rung mit Sprachverarmung), Anhedonie (Verlust der Fähigkeit,
7 · Schizophrenie
107 7

Freude oder Vergnügen zu empfinden), Affektverflachung, Apa- Eigene Notizen


thie (Mangel an Energie, Antrieb), Asozialität (sozialer Rückzug,
Mangel an Kontaktfähigkeit), Aufmerksamkeitsstörungen
4 Kognitive Symptomatik wird z. T. der Negativ-Symptomatik zugeordnet
(zeitlich gut mit dieser korrelierend)
5 Typische Störung der Sprachproduktion
5 Störung der (geteilten) Aufmerksamkeit
5 (Arbeits-)Gedächtnisstörung
5 Störungen der Handlungsplanung und -organisation
4 Symptomklassifikationen nach E. Bleuler und insbesondere nach
K. Schneider fanden Eingang in die modernen Klassifikationssysteme
(ICD-10, DSM-IV)
4 Leitsymptome der Schizophrenie (nach ICD-10)
1. Gedankenlautwerden, -eingebung, -entzug, -ausbreitung
2. Kontroll- oder Beeinflussungs-/Beeinträchtigungswahn; Gefühl des
Gemachten bzgl. Körperbewegung, Gedanken, Tätigkeiten oder
Empfindungen; Wahnwahrnehmungen
3. Kommentierende oder dialogische Stimmen
4. Anhaltender, kulturell unangemessener oder völlig unrealistischer
Wahn (bizarrer Wahn)
5. Anhaltende Halluzinationen jeder Sinnesmodalität
6. Gedankenabreißen oder -einschiebungen in den Gedankenfluss
7. Katatone Symptome wie Erregung, Haltungsstereotypien, Negativis-
mus oder Stupor
8. Negative Symptome wie auffällige Apathie, Sprachverarmung, ver-
flachter oder inadäquater Affekt
5 Erforderlich sind mindestens ein eindeutiges Symptom aus der
Gruppe 1–4 oder mindestens 2 Symptome aus der Gruppe 5–8
5 Charakteristische Symptomatik muss mindestens über 1 Monat vor-
handen sein
5 Schizophrenie sollte nicht diagnostiziert werden bei eindeutiger
Hirnerkrankung, während Intoxikation oder Entzug

Unterformen der Schizophrenie


4 Paranoide Schizophrenie
5 Häufigste Unterform (ca. 65%)
5 Im Vordergrund stehen Wahnvorstellungen (z. B. Verfolgungs-, Be-
ziehungs-, Eifersuchts-, Sendungswahn oder zönästhetischer Wahn)
und Halluzinationen (v. a. akustische)
4 Hebephrene oder desorganisierte Schizophrenie
5 Primär Affekt- (oft unpassender, alberner, läppischer Affekt, Affekt-
verflachung, Manierismen), Antriebs- (antriebs- und ziellos, desor-
ganisiert, rastlos-enthemmt oder distanzlos) und formale Denkstö-
rungen (z. B. ungeordnetes Denken, weitschweifige und zerfahrene
oder bizarre Sprache)
5 Wahnvorstellungen und Halluzinationen nur flüchtig
5 Meist früher Krankheitsbeginn zwischen 15. und 25. Lebensjahr
5 Eher ungünstige Verlaufsprognose
108 Kapitel 7 · Schizophrenie

Eigene Notizen 4 Katatone Schizophrenie


5 Charakteristisch sind typische katatone Symptome (s. unten), wobei
es häufig zu einem Wechsel zwischen Erregung und Stupor kommt;
die Psychomotorik ist dabei stark betroffen
J Stupor (Zustand motorischer Starre und Kommunikationsun-
fähigkeit) und/oder Mutismus (eingeschränkte/aufgehobene ver-
bale Kommunikationsfähigkeit)
J Erregung (anscheinend sinnlose motorische Aktivität, nicht
durch äußere Reize beeinflusst)
J Haltungsstereotypien (Verharren in bestimmten unsinnigen und
bizarren Haltungen über längere Zeit)
J Negativismus (Regelmäßiges Ausführen von zum Verlangten
oder Erwarteten gegenteiligen Bewegungen oder Nichtausführen
von Verlangtem oder Erwartetem)
J Rigidität (Beibehaltung einer starren Haltung bei Versuchen, von
7 außen bewegt zu werden)
J Flexibilitas cerea (»wächserne Biegsamkeit«; Verharren der Glied-
maßen in Haltungen, die von außen beigebracht wurden)
J Andere Symptome wie Befehlsautomatismen (automatische Be-
folgung von Anweisungen) und verbale Perseveration
5 ! Cave Perniziöse Katatonie: extremer Stupor mit Hyperthermie
und vegetativer Dysregulation (potenziell lebensbedrohlich)
> Perniziöse Katatonie: sehr seltene, gelegentlich letal verlaufende
Form der Katatonie mit hohem Fieber, Exsikkose und autonomer
Entgleisung (v. a. Tachykardien). Erfordert neben Benzodiazepam-
gabe (Lorazepam) und ggf. Haloperidol Kühlung, Volumensubsti-
tution, ggf. intensivmedizinische Behandlung, ggf. Elektrokrampf-
therapie. Differenzialdiagnose: malignes neuroleptisches Syndrom
(7 Kap. 4.10.1).
4 Undifferenzierte (atypische) Schizophrenie
5 Diagnose nur bei Nichtzutreffen anderer Unterformen oder Vor-
handensein von Merkmalen verschiedener Unterformen
4 Schizophrenes Residuum
5 Chronisches Bild ausgeprägter Negativsymptomatik für mindestens
12 Monate nach mindestens einer früheren akuten psychotischen
Episode
4 Schizophrenia simplex
5 Blander Verlauf mit zunehmender Negativsymptomatik, Ver-
schlechterung der Leistungsfähigkeit und sozialer Desintegration;
spezifische Symptome (Wahnvorstellungen, Halluzinationen) feh-
len, keine vorhergehende psychotische Episode
4 Postschizophrene Depression
5 Depressive Episode im Anschluss an eine akute Schizophrenie, wo-
bei die schizophrene Symptomatik zwar zurücktritt, aber einige
schizophrene Symptome (positiv oder negativ, Letzteres häufiger)
noch vorhanden sind
5 ! Cave Erhöhtes Suizidrisiko!
7 · Schizophrenie
109 7
Verlauf Eigene Notizen
4 Meist dem Vollbild der Erkrankung vorausgehende vieljährige Prodro-
malphase mit uncharakteristischen Störungen v. a. von Kognition, Af-
fekt und sozialem Verhalten (z. B. depressive Symptome, Schlafstörun-
gen, sozialer Rückzug, Interessenverringerung, Konzentrationsstörun-
gen, Ausbildung ungewöhnlicher Ideen)
5 Prodromalsymptomatik ähnelt in Vielem der Negativsymptomatik
der manifesten Schizophrenie
4 Häufig einerseits episodisch auftretende, akute psychotische Zustände,
andererseits chronische Beeinträchtigungen v. a. mit persistierenden
negativen Symptomen
5 Verschiedene Verlaufsformen, z. B. kontinuierlich, episodisch-re-
mittierend, episodisch mit stabilem Residuum, episodisch mit zu-
nehmendem Residuum
4 Nach akuter Krankheitsphase individuell unterschiedlicher Verlauf (oft
mit Erwerbsunfähigkeit und mangelnder sozialer Integration)
5 Grobe »Drittelregel« zum Langzeitverlauf: 1/3 vollständige Remis-
sion, 1/3 mit Rückfällen und leichten Residuen, 1/3 mit beträcht-
licher bis schwerer Residualsymptomatik
J Drittelregel ist allerdings in Anbetracht des Alters dieser Beo-
bachtung und der zwischenzeitlichen diagnostischen Modifika-
tionen vorsichtig zu interpretieren
4 Indikatoren für einen ungünstigen Krankheitsverlauf
5 Sehr frühes Erkrankungsalter
5 Langandauernde Prodromalphase bzw. schleichender chronischer
Krankheitsbeginn mit schwerer Negativsymptomatik
5 Fortgesetzter Drogenkonsum
5 Geringe prämorbide Sozialanpassung
5 Geringe prämorbide Intelligenz, kognitive Defizite
5 Männliches Geschlecht (früherer Beginn als bei Frauen)
5 Geburtskomplikationen
5 Psychische Erkrankungen in der Familie
5 Belastendes familiäres Klima
5 Psychosozialer Stress
5 Fehlende stabile Partnerschaft
5 Ethnischer Minderheitenstatus

> Je akuter der Beginn und je deutlicher situative Auslöser, desto


günstiger die Prognose.

Schizophrenie im Kindes- und Jugendalter


4 Nur etwa 1% aller Schizophrenien treten vor dem 10. Lebensjahr auf,
ca. 4% vor dem 15. Lebensjahr
4 Im Vergleich zur adulten Schizophrenie
5 Oft sehr unspezifische Symptomatik
5 Wenig produktive Symptomatik wie Wahn oder Halluzinationen
110 Kapitel 7 · Schizophrenie

Eigene Notizen 5 Häufig affektive Schwankungen, bizarres Verhalten, Stereotypien, psy-


chomotorische Unruhe und Minussymptomatik wie Lust- und An-
triebslosigkeit, kognitive und sprachliche Defizite (auch Mutismus)
4 Im Jugendalter nähert sich die Symptomatik der adulten Form an

Diagnostik
4 Differenzialdiagnostische Abklärung
5 Schizotype Störung (7 Kap. 17): Störung mit exzentrischem Verhal-
ten und Auffälligkeiten des Denkens und der Stimmung, die schizo-
phren wirken, aber Fehlen hinreichender charakteristischer schizo-
phrener (Produktiv-)Symptome; chronischer Verlauf, gelegentlich
Entwicklung einer Schizophrenie
J Konzeptuell unklarer Begriff; wird z. T. im Sinne einer Prodro-
malsymptomatik oder einer leichter verlaufenden Krankheits-
ausprägung gesehen, z. T. aber auch den Persönlichkeitsstörungen
7 zugerechnet
5 Paranoide Persönlichkeitsstörung (7 Kap.17)
5 Anhaltende wahnhafte Störungen: Wahnentwicklung als wesent-
liches psychopathologisches Symptom; flüchtige Halluzinatio-
nen, sonstige Symptome der Schizophrenie fehlen; manchmal
depressive Symptome; chronische Verlaufstendenz (Dauer min-
destens 3 Monate)
J Wahnthemen sind – im Gegensatz zur Schizophrenie – nicht so
bizarr (nicht so ungewöhnlich und unverständlich)
J In der Regel stabiler monothematischer Wahn
J Typische Wahnthemen: Verfolgungswahn, Eifersuchtswahn, Lie-
beswahn, hypochondrischer Wahn, dysmorphophober Wahn,
querulatorischer Wahn, Größenwahn
J Oft vorausgehendes längerdauerndes Stadium mit überwertigen
Ideen und einzelnen Wahnideen
J Erkrankungsbeginn meist im mittleren bis späten Erwachsenen-
alter; soziales Funktionsniveau i. d. R. weniger beeinträchtigt als
bei Schizophrenie
J Häufig schlechteres Therapieansprechen
5 Induzierte wahnhafte Störung (»folie à deux«): Wahnbildung, bei
der eine Person in sehr engem Kontakt mit einem Erkrankten des-
sen Wahnvorstellungen übernimmt und sogar weiter ausbaut
5 Akute vorübergehende psychotische Störungen
J Akute polymorphe psychotische Störung: Psychose mit plötzlichem
Beginn (innerhalb von 2 Wochen) und rascher Rückbildung; rasch
wechselndes und unterschiedliches Erscheinungsbild (polymorph)
J Akute schizophrenieforme psychotische Störung: akuter Beginn
(innerhalb von 2 Wochen), Kriterien für Schizophrenie erfüllt,
aber Dauer der Symptome weniger als 1 Monat
5 Schizoaffektive Störung: gleichzeitiges Vorkommen (d. h. in dersel-
ben Krankheitsphase) eindeutig schizophrener und eindeutig affek-
tiver Symptome; schizoaffektive Episoden können mehr manisch,
mehr depressiv oder gemischt (manisch sowie depressiv) sein
7 · Schizophrenie
111 7

J Episoden- bzw. phasenförmiger Verlauf mit längeren symptom- Eigene Notizen


freien Intervallen
J Erkrankungsbeginn meist im frühen Erwachsenenalter
J Hohes Suizidrisiko: 10–20%
> Für die Diagnose einer schizoaffektiven Störung müssen – im Ver-
lauf betrachtet – in der Mehrzahl der Episoden die Kriterien der
schizoaffektiven Störung erfüllt sein. Rein schizophrene oder rein
affektive Episoden dürfen im Verhältnis dazu nur sehr selten vor-
liegen.
5 Affektive Störung mit psychotischen Symptomen (7 Kap. 8)
4 Ausschluss substanzinduzierter oder organisch bedingter psycho-
tischer Störungen (sog. »sekundäre« oder »symptomatische« Schizo-
phrenien), v. a. infolge von:
5 Schädel-Hirn-Traumata
5 Tumoren (besonders im Frontal- oder Temporallappen)
5 Degenerativen zerebralen Erkrankungen
5 Zerebrovaskulären Erkrankungen
5 Infektiösen zerebralen Erkrankungen (z. B. Neurosyphilis, AIDS,
Herpes-Enzephalitis)
5 Epilepsien (v. a. Temporallappenepilepsien)
5 Hashimoto-Enzephalitis oder anderen Automimmunerkrankungen
(z. B. Lupus erythematodes disseminatus)
5 Endokrinopathien (insbesondere Hypo-/Hyperthyreoidismus)
5 Metabolischen Störungen (z. B. M. Wilson, Porphyrie)
5 Vitamin-B12-Mangel
5 Intoxikationen (z. B. Schwermetallvergiftung)
5 Drogeninduzierten Psychosen
4 Zur differenzialdiagnostischen Abklärung organisch bedingter oder
substanzinduzierter psychotischer Störungen und zur Erfassung soma-
tischer Begleiterkrankungen
5 Allgemeinkörperliche und neurologische Untersuchung
5 Laborchemische Diagnostik von Blut und Urin
J Blutbild und Differenzialblutbild, Bestimmung von CRP, TSH,
Leber- und Nierenwerten
J Drogen-Screening
J Bei entsprechendem Verdacht Lues-Serologie oder HIV-Test
5 Orientierende strukturelle Bildgebung mittels cCT/cMRT
5 Ggf. EEG, EKG, Röntgen-Thorax, Liquordiagnostik
> Hinter stuporös-katatonen Zuständen können sich z. T. lebens-
bedrohliche Krankheitsbilder verbergen. Daher sorgfältige all-
gemeinkörperliche und neurologische Untersuchung mit Medi-
kamentenscreening, laborchemischer Untersuchung, ggf. EEG,
Drogenscreening, Liquordiagnostik und cCT/cMRT.
4 Ggf. testpsychologische Erfassung kognitiver Störungen (häufig Stö-
rungen von Exekutivfunktionen, Gedächtnis und Aufmerksamkeit),
v. a. zur Verlaufsbeurteilung und für die Rehabilitation bedeutsam
112 Kapitel 7 · Schizophrenie

Eigene Notizen Therapie


4 Gesamtbehandlungskonzept unter Einschluss von Pharmakotherapie
sowie psycho- und soziotherapeutischen Interventionen

Pharmakotherapie
4 Wirkt primär auf die Produktiv-Symptomatik
4 Behandlung mit Antipsychotika: alle Antipsychotika sind D2-Antago-
nisten oder Partialagonisten
4 Mittel der Wahl: atypische Antipsychotika außer Clozapin (z. B. Ami-
sulprid, Aripiprazol, Olanzapin, Paliperidon, Quetiapin, Risperidon,
Sertindol, Ziprasidon)
5 Vor allem empfohlen für längerfristige Behandlungen, möglicher-
weise auch wirksam in Bezug auf Negativsymptomatik und kogni-
tive Beeinträchtigungen
5 ! Cave Atypikum Clozapin sollte erst bei Therapieresistenz ver-
7 schiedener anderer Antipsychotika oder sehr ausgeprägter Negativ-
symptomatik eingesetzt werden wegen Gefahr der Agranulozytose
(in ca. 1% der Fälle) und sonstiger Nebenwirkungen; keine Kombi-
nation von Clozapin mit Benzodiazepinen wegen Gefahr kardiovas-
kulärer Synkopen und/oder des Herzstillstands!
> Bevorzugung atypischer Antipsychotika gegenüber klassischen
Antipsychotika aufgrund vergleichbarer Wirkung auf Positiv-
symptomatik, überlegener Wirksamkeit auf Negativsymptomatik
und geringerer Rate extrapyramidalmotorischer Nebenwirkungen.

4 Bekannte klassische hochpotente Antipsychotika: Benperidol, Flupen-


tixol, Fluphenazin, Haloperidol, Perphenazin oder Pimozid (sind i. d. R.
keine Mittel der 1. Wahl)
4 Bei mangelnder Wirksamkeit und gesicherter Compliance
5 Umstellung oder Erhöhung der antipsychotischen Medikation über
den empfohlenen Wirkungsbereich hinaus (frühestens nach 2–4
Wochen)
5 Clozapin-Behandlung
5 Augmentationsbehandlung: Kombinationsbehandlung von Anti-
psychotika mit anderen Substanzen, insbesondere bei Komorbidi-
tät, v. a. mit Lithium oder anderen Phasenprophylaktika (z. B. Val-
proinsäure, Lamotrigin, Carbamazepin), aber auch mit Antidepres-
siva
5 Elektrokrampftherapie
4 Dauer antipsychotischer Pharmakotherapie
5 Allgemeine Empfehlung einer Langzeittherapie zur Symptomsup-
pression und Verhinderung von Rezidiven
J Bei Erstmanifestation mindestens 12 Monate
J Nach einem Rezidiv: über 2–5 Jahre
J Nach mehreren Rezidiven: mindestens 5 Jahre, ggf. lebenslang
7 · Schizophrenie
113 7

4 Depot-Antipsychotika als Alternative zur oralen Applikationsform; Eigene Notizen


Indikation für Depot-Antipsychotika,
5 wenn die Einnahme oraler antipsychotischer Medikation nicht
sichergestellt werden kann
5 in der Langzeittherapie

> Eine ambulante Depot-Antipsychotika-Verabreichung gegen den


Patientenwillen ist auch bei betreuten Patienten in keiner Weise
legitimiert.

4 Bei krankhafter Erregung, Angst, innerer Unruhe, katatoner Sympto-


matik: zeitlich befristete Kombination der Antipsychotika mit einem
Benzodiazepin (z. B. Lorazepam)
4 Bei Erregungszuständen oder aber auch Insomnie ist der Einsatz von
nieder- oder mittelpotenten Antipsychotika sinnvoll (z. B. Melperon,
Prothipendyl, Perazin)
4 Bei depressiven Symptomen, bei residualer Negativsymptomatik,
Zwangs- und Angstsymptomen: Antidepressiva (SSRI, TZA) begleitend
zur antipsychotischen Therapie
4 Schizoaffektive Störung
5 Akutbehandlung
J Bei schizodepressiver Symptomatik: Kombination aus atypischem
Antipsychotikum und Antidepressivum
J Bei schizomanischer Symptomatik: Kombination aus atypischem
Antipsychotikum und Lithium
5 Phasenprophylaxe: richtet sich primär nach dominierender Symp-
tomatik; häufig Behandlung mit einer Kombination aus Stimmungs-
stabilisierer und Antipsychotikum

Psycho- und Soziotherapie


4 Psychoedukative Maßnahmen (auch bei Angehörigen): Vermittlung
eines Krankheitskonzepts, Sensibilisierung für Frühwarnzeichen, Infor-
mationen über Wirkungen und Nebenwirkungen der Medikamente
4 Aufbau eines individuellen Krisennetzes, Familieninterventionen
4 Kognitiv-verhaltenstherapeutische Elemente: Training sozialer Fertig-
keiten; Training und Aufbau von Strategien zur Kompensation kogni-
tiver Defizite, aber auch Aufbau von Fertigkeiten zur Bewältigung the-
rapieresistenter Produktiv-Symptomatik
4 Ergotherapeutische Maßnahmen zur Bewältigung von Alltagsaufgaben
und beruflichen Anforderungen
4 Körperbezogene Therapien (Physiotherapie, Sport, Tanz) zur Förde-
rung des positiven Körpererlebens, künstlerische Therapieformen zur
Förderung von Kreativität, Selbstvertrauen und Eigeninitiative
4 Soziotherapeutische Maßnahmen zur Förderung sozialer und beruf-
licher Wiedereingliederung
8
Tag 3 – Spezielle Krankheitsbilder I

8 Affektive Störungen
116 Kapitel 8 · Affektive Störungen

Eigene Notizen Definition


Affektive Störungen: Gruppe psychischer Erkrankungen, bei der primär
Stimmung, Antrieb und Vegetativum betroffen sind. Können in zwei syn-
dromatischen Polen auftreten:
Depression: affektives Syndrom, charakterisiert durch niedergedrückte
Stimmung, Antriebsminderung, Interessenlosigkeit, reversible kognitive
Störungen (Denkverlangsamung, Aufmerksamkeits- und Konzentrations-
störungen etc.) sowie häufig körperlich-vegetative Störungen.
Manie: »Gegenpol« der Depression; Erkrankungsbild mit situations-
unangemessener gehobener Stimmungslage, Antriebssteigerung,
Rededrang (Logorrhö), Ideenflucht und häufig Größenideen.
Bipolare affektive Störung: in der Anamnese sowohl depressive als
auch (hypo-)manische Episoden.

Einteilung
4 ICD-10: Abgrenzung episodenhafter affektiver Störungen (manische
8 oder depressive Episode) von chronisch anhaltenden Störungen (Dys-
thymia/Zyklothymia); daneben Klassifizierung der Episoden im Rah-
men einer unipolaren oder bipolaren affektiven Störung
5 Depressive Episode
J Leicht/mittel/schwer
J Jeweils mit oder ohne psychotische Symptome
J Jeweils mit oder ohne somatische Symptome
5 Manische Episode
J Manie (jeweils mit oder ohne psychotische Symptome)
J Hypomanie
5 Rezidivierende depressive Störung (unipolar)
5 Bipolare affektive Störung (Depression und (Hypo-)Manie)
5 Anhaltende affektive Störungen (Zyklothymia, Dysthymia)
> Rezidivierende manische Episoden (mindestens 2 manische Epi-
soden) werden nach der ICD-10 auch als bipolare affektive Störung
klassifiziert.

Ätiologie
4 Gesicherte multifaktorielle Genese aus biologischen und psychosozi-
alen Faktoren
4 Genetische Disposition (insbesondere bei bipolarer affektiver Störung)
5 Erkrankungsrisiko der Kinder bei einem erkrankten Elternteil
für unipolare Depression ca. 10%, für bipolare affektive Störung
ca. 20%
5 Konkordanzrate für eineiige Zwillinge bei bipolarem Verlauf ca.
80%, bei unipolarem ca. 50%
4 Neurobiologische Hypothesen oder Befunde (diese können aber entwe-
der die Entstehung affektiver Erkrankungen nicht vollständig erklären,
sind experimentell teilweise nicht reliabel nachweisbar oder zeigen
keine Erkrankungsspezifität!)
8 · Affektive Störungen
117 8

5 Neurochemische Modelle Eigene Notizen


J Supersensitivität noradrenerger β-Rezeptoren (→ Antidepressiva
können Verminderung der Sensitivität der β-Rezeptoren indu-
zieren)
J Monoamin-Mangel-Hypothese der Depression: Verminderung
von Serotonin und Noradrenalin (sowie Dopamin) im synap-
tischen Spalt (→ Antidepressiva führen zur Wiederaufnahme-
hemmung insbesondere von Noradrenalin und Serotonin)
J Cholinerg-aminerge Imbalance-Hypothese: relatives Überwiegen
des cholinergen Systems während Depression und Überwiegen
des noradrenergen Systems während Manie
→ Insgesamt Dysbalance verschiedener Neurotransmitter
J Störungen intrazellulärer Signaltransduktionsmechanismen
(stimmungsstabilisierende Medikamente wie Lithium wirken
modulierend auf Second-Messenger-Systeme ein)
5 Neuroendokrinologische Befunde bei Depression
J Regulationsstörung der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennie-
renrinden-Achse: erhöhte Basalrate von ACTH und Kortisol;
verminderte Supprimierbarkeit von Kortisol (pathologischer
Dexamethason-Suppressionstest) → möglicherweise schädigende
Wirkung auf Hirnentwicklung sowie -funktion
J Regulationsstörung der Schilddrüsenachse (relativ häufig latente
Hypothyreosen bei Depressiven, verminderte TSH-Sekretion
nach TRH-Stimulation)
5 Hirnmorphologische Auffälligkeiten bei Depression
J Leichte fronto-temporo-limbische Volumenreduktionen
5 Chronobiologische Faktoren bei Depression
J Tagesschwankungen: morgens depressiver als abends (morgens
Kortisol auch höher!)
J Durchschlafstörungen mit morgendlichem Früherwachen, mehr
oberflächliche und weniger Tiefschlafphasen, verkürzte REM-
Latenz und erhöhte REM-Dichte
→ Zirkadiane Rhythmusstörung
J Zum Teil saisonale Rhythmik mit Häufung im Herbst/Winter
(Lichtmangel?) → saisonale Depression
4 Kognitive Ansätze der Depression
5 »Erlernte Hilflosigkeit« (durch lang andauernde, als unkontrollier-
bar und unvorhersagbar empfundene Belastungen) → depressiver
Attributionsstil: internal, stabil und global
5 Kognitive Triade: negative Wahrnehmung der eigenen Person, der
Umwelt und der Zukunft
5 Negative Denkschemata führen zu Denkfehlern, z. B. Übergenera-
lisierungen, selektive Abstraktionen (»Tunnelblick«), negative
Sichtweise durch »schwarze Brille«
5 Interpersonelle Theorie: Depression als Folge mangelnder sozialer
Fähigkeiten oder mangelnder sozialer Unterstützung; mangelnde
soziale Kontakte führen zu Verstärker-Verlust
118 Kapitel 8 · Affektive Störungen

Eigene Notizen 4 Persönlichkeitsfaktoren bei Depression


5 Zum Beispiel »Typus melancholicus«: ausgeprägte Ordentlichkeit,
Pedanterie, Rigidität, Aufopferungsbereitschaft, hohes Anspruchs-
niveau an sich selbst
5 Neurotizismus, Introvertiertheit
4 Psychosoziale Faktoren als mögliche Auslöser einer affektiven Störung:
stressreiche kritische Lebensereignisse (z. B. Verlusterlebnisse, Überfor-
derung, Kränkungen, Wochenbett)
5 Höheres Risiko für die Entwicklung einer Depression haben ver-
witwete, geschiedene, sozial isolierte und arbeitslose Personen sowie
Personen in einkommensschwachen Schichten
4 Psychoanalytische Erklärungsversuche der Depression
5 Unvollständige Trauerarbeit als Reaktion auf den Verlust eines ge-
liebten Objekts, nach innen gerichtete Aggressionsgefühle gegen das
verlorene Liebesobjekt
5 Störung in der oralen Entwicklungsphase, Ich-Schwäche (besondere
Verletzlichkeit gegenüber Frustrations- und Enttäuschungserlebnisse
8 bei gleichzeitiger Abhängigkeit von ständiger Zufuhr von Liebe)
4 Ätiologie der Manie und bipolaren Störung noch wenig untersucht
5 Genetische Disposition spielt eine große Rolle
5 Neurochemisch bei Manien erhöhte Konzentrationen von Noradre-
nalin und Dopamin und erniedrigte Konzentration von Serotonin
5 Manische Phase als Abwehr eines schwächeren Zustands (»Über-
spielung« eines geringen Selbstwertgefühls)
4 Somatogene oder substanzinduzierte affektive Störungen (7 Abschn.
Diagnostik)

Epidemiologie
4 Ca. 65% affektiver Störungen sind unipolare Depressionen (= nur de-
pressive Phasen), ca. 30% verlaufen bipolar, d. h. (hypo-)manische und
depressive Phasen; unipolare Manien sind selten (nur ca. 5% aller affek-
tiven Störungen)
4 Meistens phasenhafter, rezidivierender Verlauf (zeitlich umschriebene
Krankheitsepisoden mit gesunden Intervallen dazwischen)

Depression
4 Lebenszeitprävalenz ca. 17%
4 Punktprävalenz für unipolare Depression in Deutschland ca. 6%
4 Häufigkeitsgipfel der Erstmanifestation im 3. Lebensjahrzehnt; im
höheren Lebensalter häufigste psychische Erkrankung
4 Frauen etwa doppelt so häufig betroffen
4 Suizidalität hoch
5 Etwa ein Drittel depressiv Erkrankter unternehmen einen Suizid-
versuch
5 Suizidmortalität liegt je nach Patientenkollektiv und Erhebungs-
methodik bei bis zu 15%
> Immer Suizidalität erfragen und bei depressivem Syndrom jeder-
zeit damit rechnen!
8 · Affektive Störungen
119 8

4 Häufig Komorbidität mit Angststörungen, Substanzmissbrauch oder Eigene Notizen


-abhängigkeit, Persönlichkeitsstörungen, Ess- und Zwangsstörungen
sowie somatoformen Störungen

Bipolare affektive Störung


4 Lebenszeitprävalenz: ca. 2%
4 Beginnt i. d. R. früher als unipolare Erkrankungen, oft um das 18. Le-
bensjahr
4 Frauen und Männer gleich häufig betroffen
4 Suizidhäufigkeit sehr hoch
4 Häufig Komorbidität mit Substanzmissbrauch oder -abhängigkeit
4 Manische Phasen machen bei bipolaren Verläufen ca. 10–20% der Er-
krankungsepisoden aus

Anhaltende affektive Störungen


4 Dysthymia (anhaltende leichtere depressive Störung): Lebenszeitpräva-
lenz bis zu ca. 4%, v. a. Frauen betroffen; Erkrankungsbeginn liegt in der
Hälfte der Fälle vor dem 25. Lebensjahr
4 Zyklothymia (chronifiziertes Erkrankungsbild mit leichteren depres-
siven und hypomanen Phasen): Lebenszeitprävalenz bis zu 1%; kein
Geschlechtsunterschied

Klinik
Depression
4 Störungen der Affektivität
5 Leitsymptom: depressive Verstimmung
5 Insuffizienzgefühle
5 Schuldgefühle
5 Hoffnungslosigkeit
5 Anhedonie
5 Verlust emotionaler Schwingungsfähigkeit
5 Gefühl »innerer Leere«, Gefühl der Gefühllosigkeit
5 Diffuse Ängste oder Zukunftsängste
5 Suizidgedanken/Suizidalität
4 Störungen des Antriebs und der Psychomotorik
5 Geminderte/gehemmte Antriebslage bis hin zum depressiven Stu-
por (bei agitierter Depression gesteigerte Psychomotorik)
5 Interessenverlust
5 Entscheidungsunfähigkeit
4 Störungen des Denkens
5 Denkhemmung
5 Eingeengtes, grübelndes Denken
5 Konzentrations- und Gedächtnisstörungen (→ »depressive Pseudo-
demenz«)
4 Psychotische Symptome: mögliches Auftreten synthymer (= stim-
mungskongruenter) – selten aber auch stimmungsinkongruenter –
Wahnideen und/oder Halluzinationen
120 Kapitel 8 · Affektive Störungen

Eigene Notizen 4 Körperlich-vegetative Störungen (Vitalstörungen)


5 Schlafstörungen (Ein- und Durchschlafstörungen)
5 Körperliche Missempfindungen, Schmerzempfindungen
5 Schwindel
5 Übelkeit
5 Obstipation
5 Appetit- und Gewichtsverlust
5 Libidoverlust
4 Hauptsymptome (nach ICD-10)
5 Depressive/gedrückte Grundstimmung (tiefe Traurigkeit)
5 Interessen-/Freudlosigkeit (Anhedonie)
5 Antriebsminderung/Energieverlust/Müdigkeit
4 Zusatzsymptome (nach ICD-10)
5 Verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit
5 Reduziertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen, Gefühle von
Wertlosigkeit
5 Schuldgefühle
8 5 Negative und pessimistische Zukunftsperspektive
5 Suizidalität
5 Schlafstörungen
5 Appetit-/Gewichtsverlust (aber bei atypischer und saisonaler De-
pression Appetit eher gesteigert): Minderung des Ausgangsgewichts
um mindestens 5% pro Monat
4 Bei mindestens 2 Hauptsymptomen + 2 Zusatzsymptomen über min-
destens 2 Wochen (nach ICD-10): Vorliegen einer behandlungsbedürf-
tigen depressiven Episode
4 Einstufung des Schweregrads (nach ICD-10) abhängig von der Anzahl
der Haupt- und Zusatzsymptome
5 Leichte depressive Episode: 2 Hauptsymptome + 2 Zusatzsymp-
tome
5 Mittelgradige depressive Episode: 2 Hauptsymptome + 3–4 Zusatz-
symptome
5 Schwere depressive Episode: 3 Hauptsymptome + mindestens 4 Zu-
satzsymptome

> Die Einteilung des Schweregrads der Depression wird nicht über
die Tiefe der Niedergestimmtheit, sondern über die Anzahl be-
troffener Symptom-Cluster definiert.

4 Zusätzliches somatisches Syndrom wenn mindestens 4 der folgenden


Symptome vorliegen (nach ICD-10)
5 Interessenverlust oder Verlust der Freude an normalerweise ange-
nehmen Tätigkeiten
5 Mangelnde Fähigkeit, auf eine freundliche Umgebung emotional zu
reagieren
5 Morgendliches Früherwachen (2 oder mehr Stunden vor der ge-
wohnten Zeit)
5 Morgentief
8 · Affektive Störungen
121 8

5 Psychomotorische Unruhe oder Gehemmtheit Eigene Notizen


5 Deutlicher Appetitverlust
5 Gewichtsverlust
5 Deutlicher Libidoverlust
4 Schwere depressive Episoden gehen typischerweise mit einem soma-
tischen Syndrom einher
4 Depressive Episode mit somatischem Syndrom = melancholischer
Subtyp
4 Relevante Begriffe (z. T. veraltet, aber klinisch in Gebrauch)
5 Larvierte Depression: somatisierte Depression; diffuse und mul-
tiple körperliche Beschwerden und Missempfindungen stehen im
Vordergrund
5 Gehemmte Depression: Reduktion von Antrieb und Psychomoto-
rik, im Extremfall depressiver Stupor
5 Ängstlich-agitierte Depression: ängstliche Getriebenheit, innere
und/oder motorische Unruhe, unproduktiv-hektisch
5 Psychotische/wahnhafte Depression: Auftreten von Wahnideen;
Inhalt charakteristischerweise synthym, d. h. zur Stimmung pas-
send (Verarmungswahn, Schuld-, Versündigungswahn, nihilis-
tischer oder hypochondrischer Wahn)
5 Erschöpfungsdepression: nach Dauerbelastung, v. a. Erschöp-
fungssymptome
5 Spätdepression/Involutionsdepression/Altersdepression: erstma-
liges Auftreten im höheren Lebensalter
5 Schwangerschaftsdepression: Depression während der Schwan-
gerschaft
5 Wochenbettdepression
J Auftreten meist in den ersten 1–2 Wochen nach Entbindung,
wahrscheinlich versursacht durch postnatale hormonelle Umstel-
lungen; häufiger als Schwangerschaftsdepression; hohe Rezidiv-
gefahr bei der nächsten Geburt
J Abzugrenzen sind: »Wochenbett-Blues« (»Heultage« ca. um den
2./3. Tag nach Entbindung, bei ca. 50% der Frauen; Auftreten
nur kurz und dann nur supportiv behandlungsbedürftig) sowie
postnatale Psychose (meist Depression mit begleitenden psy-
chotischen Symptomen, aber auch schizophrene Psychose mög-
lich)
5 Atypische Depression: atypisch, weil affektive Reagibilität und
Schwingungsfähigkeit erhalten, Appetit und Schlafbedürfnis ge-
steigert, »bleiernes« Schweregefühl in den Extremitäten, gestei-
gerte Empfindlichkeit gegenüber vermeintlicher Kritik oder Ab-
lehnung
5 Saisonale Depression: saisonales Auftretensmuster (Auftreten
meist im Herbst/Winter, vollständige Remission im Frühjahr/Som-
mer) über mindestens 2 Jahre; Annahme eines serotonergen Defi-
zits; atypische Symptomatik: Appetit gesteigert (v. a. Heißhunger auf
Kohlenhydrate), erhöhtes Schlafbedürfnis und längere Schlafperio-
den, Kälteempfindlichkeit
122 Kapitel 8 · Affektive Störungen

Eigene Notizen 4 Im Anschluss an eine depressive Phase bei ca. 10% hypomane Nach-
schwankung, möglicherweise auch Umkippen in eine manische Phase
(kann u. U. durch antidepressive Therapie bedingt sein)

Depressive Störungen im Kindesalter


4 Prävalenz <1% bei Vorschulkindern, ca. 2% im Kindesalter, bis zu 5%
im Jugendalter
4 Leitsymptome wie bei Erwachsenen (traurige, niedergeschlagene Stim-
mung, Interessen- und Antriebslosigkeit, sozialer Rückzug)
4 Bei Kindern stehen aber häufig somatische Beschwerden (Bauch- und
Kopfschmerzen, Appetit- und Schlafstörungen) im Vordergrund; domi-
nieren können auch ständige Gereiztheit und Agitiertheit
4 Psychotische/wahnhafte Symptome sind im Kindes- und Jugendalter
sehr selten
> Auf akute Suizidalität ist dringend zu achten. Suizide sind bei
Jugendlichen eine der häufigsten Todesursachen.

8
Manie
4 Hauptsymptom: Euphorisch gehobene oder gereizte Stimmung
4 Zusätzlich müssen mindestens 3 der folgenden Symptome für mindes-
tens 1 Woche vorliegen mit resultierenden Beeinträchtigungen sozialer
und beruflicher Funktionen (nach ICD-10)
5 Gesteigerte Aktivität (hoher Tätigkeitendrang, evtl. Kaufrausch mit
unüberlegten Geldausgaben, Abschließen von Verträgen ( ! Cave
Akute manische Episode bedingt i. d. R. Geschäftsunfähigkeit!)
5 Gesteigerte Gesprächigkeit, starker Rededrang (Logorrhö)
5 Ideenflucht (assoziativ gelockertes Denken), subjektives Gedanken-
rasen
5 Verlust sozialer Hemmungen, Distanzlosigkeit (reicht von Auf-
dringlichkeit bis zur Promiskuität)
5 Vermindertes Schlafbedürfnis
5 Größenwahn oder überhöhte Selbsteinschätzung
5 Ablenkbarkeit, andauernder Wechsel von Aktivitäten
5 Tollkühnes oder rücksichtsloses Verhalten
5 Gesteigerte Libido oder sexuelle Taktlosigkeit
4 Mit oder ohne psychotische Symptome
4 Keine Krankheitseinsicht in manischer Phase
4 Keine Tagesschwankungen wie bei Depression
4 Hypomanie: Leichte Ausprägung der Manie
4 Unipolare Manie (d. h. monophasisch) relativ selten; Auftreten ma-
nischer Phasen meistens im Rahmen einer bipolaren Störung
4 Durch unerwartet einschießende, nur kurze depressive Verstimmungen
sind auch manische Patienten suizidgefährdet
4 Komorbid besteht häufig vermehrter Alkoholkonsum und Drogenmiss-
brauch
8 · Affektive Störungen
123 8
Bipolare affektive Störungen Eigene Notizen
4 Anamnestisch liegen sowohl depressive als auch (hypo-)manische Epi-
soden vor (nicht notwendigerweise abwechselnd: gemischte Episode =
die meiste Zeit während einer Krankheitsepisode kommen sowohl
(hypo-)manische als auch depressive Symptome vor)
→ Vorkommen von mindestens 2 affektiven Episoden, davon mindes-
tens 1 (hypo-)manische Episode
4 Zwischen den Krankheitsepisoden liegen i. d. R. symptomfreie Inter-
valle
4 Untergruppen bipolarer Störungen (nach DSM-IV)
5 Bipolar Typ I: Depression und Manie wechseln
5 Bipolar Typ II: Depression und Hypomanie wechseln
4 Rapid cycling: sehr hochfrequente Verläufe: mehr als 4 depressive und/
oder (hypo-)manische Episoden pro Jahr

Anhaltende affektive Störungen


4 Dysthyme Störung: leichter ausgeprägte chronifizierte Störung; lang-
anhaltende negative Verstimmung (die meiste Zeit des Tages, mehr als
die Hälfte aller Tage, mindestens 2 Jahre lang); Kriterien einer depres-
siven Episode werden nicht erreicht
5 Evtl. im Verlauf oder zusätzliche Entwicklung einer depressiven Epi-
sode → »double depression« (= Überlagerung der dysthymen
Symptomatik von einer depressiven Episode)
4 Zyklothyme Störung: chronifiziertes Krankheitsbild (über mindestens
2 Jahre) mit leichten depressiven und hypomanen Stimmungsschwan-
kungen ohne dabei die Kriterien einer depressiven oder manischen Epi-
sode zu erreichen

Diagnostik
4 Differenzialdiagnostischer Ausschluss
5 Somatogener oder substanzinduzierter Depression
J Endokrinologisch-metabolisch, z. B. Hypo-/Hyperthyreose,
Hypogonadismus, M. Cushing, M. Addison, Hypo-/Hyperpara-
thyreodismus, Akromegalie, Phäochromozytom, Urämie, Leber-
insuffizienz, Hypoglykämie, Diabetes mellitus, Porphyrie
J Infektionen, z. B. Meningitis
J Neoplasien (Hirntumor oder -metastasen)
J Kollagenosen, z. B. systemischer Lupus erythematodes
J Zerebrale Erkrankungen, z. B. M. Alzheimer, M. Parkinson, mul-
tiple Sklerose, Epilepsie
J Medikamente und andere Substanzen, z. B. Antihypertensiva
(v. a. β-Blocker, Clonidin), Steroide, Antibiotika, orale Kontrazep-
tiva, Antiarrhythmika, Benzodiazepine, Alkohol, Opioide
4 ! Cave Depressive Störung auch bei primär körperlichen Be-
schwerden in Betracht ziehen: Depressive klagen häufig über soma-
tische Beschwerden.
5 Somatogener oder substanzinduzierter Manie (z. B. durch Hyper-
thyreose, multiple Sklerose, Epilepsie, zerebrale Neoplasien, Anti-
124 Kapitel 8 · Affektive Störungen

Eigene Notizen depressiva, L-Dopa, Steroide, Sympathomimetika, Alkohol, Hallu-


zinogene)
5 Unterscheidung reversibler depressiver Pseudodemenz (Depression
mit ausgeprägten kognitiven Störungen) und beginnender Demenz
J Depressive Pseudodemenz: Betroffene klagen meist stärker über
Gedächtnisstörungen; Hauptlast der Symptome liegt jedoch im
affektiven, nicht kognitiven Bereich; Abklingen depressiver und
kognitiver Symptome mit der Antidepressiva-Therapie
5 Beim Vorkommen psychotischer Symptome: Ausschluss einer
schizoaffektiven oder schizophrenen Psychose oder postschizo-
phrenen Depression (7 Kap. 7)
5 Abgrenzung von Anpassungsstörungen mit depressiver Symptoma-
tik (7 Kap. 11) sowie von normalen Trauerreaktionen: reaktiv,
vorübergehend, einmalig; i. d. R. keine Anzeichen andauernder
schwerer Selbstzweifel oder starker Schuldgefühle; Schwingungsfä-
higkeit i. d. R. erhalten (Ansprechbarkeit für positive Ereignisse)
4 Diagnostisches Vorgehen
8 5 Anamneseerhebung
5 Komplette allgemeinkörperliche und neurologische Untersuchung
5 Laborchemische Untersuchung: Blutbild und Differenzialblutbild
(Ausschluss Infekte, Neoplasien etc.), Bestimmung der Leber- und
Nierenwerte (metabolische/endokrinologische Ursachenabklä-
rung), TSH-Bestimmung (Schilddrüsenfunktionsabklärung), ggf.
CRP-Bestimmung (infektiöse Erkrankungen?), bei entsprechendem
Verdacht Lues-Serologie, HIV-Test, Drogen-Screening, gonadaler
Hormonstatus, Liquordiagnostik
5 Orientierende strukturelle Bildgebung (cCT, cMRT; Hirnatrophien,
raumfordernde Prozesse?)
5 EEG (Epilepsien?)
5 EKG, Röntgen-Thorax (kardiovaskuläre oder pulmonale Erkran-
kungen?)
5 Ggf. testpsychologische Zusatzuntersuchung mit störungsspezi-
fischen Fragebögen, z. B. Beck-Depressions-Inventar (BDI)
> Immer Suizidalität abklären!

Therapie
Unipolare Depression
4 In der Regel Kombination aus Psychopharmako- und Psychotherapie
(alleinige psychotherapeutische Behandlung ist möglich bei leichter bis
mittelgradiger Symptomatik und fehlender Selbstgefährdung, Kontra-
indikationen gegen antidepressive Pharmakotherapie, Ablehnung me-
dikamentöser Therapie durch den Patienten)
Psychopharmakotherapie
4 Psychopharmakologische Behandlung leichter Depressionen nicht
zwingend empfohlen
4 Bei mittelschweren und insbesondere akuten schweren depressiven Epi-
soden notwendiger Einsatz eines Antidepressivums
8 · Affektive Störungen
125 8

4 3 Phasen: Akutbehandlung, Erhaltungstherapie (4–9 Monate), ggf. Re- Eigene Notizen


zidivprophylaxe (Jahre bis lebenslang; Indikation: mindestens 2 depres-
sive Episoden innerhalb von 5 Jahren)
4 Psychopharmakotherapie mit Antidepressiva
5 Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), z. B. Paroxe-
tin, Citalopram
5 Selektive Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer
(SSNRI): Venlafaxin und Duloxetin
5 Selektiver Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI):
Reboxetin
5 Noradrenerges und spezifisch serotonerges Antidepressivum
(NaSSA): Mirtazapin
5 Noradrenalin- und Dopamin-Wiederaufnahmehemmer (NDRI):
Bupropion
5 Tri- und tetrazyklische Antidepressiva (TZA), z. B. Amitriptylin
5 MAO-Hemmer, z. B. reversibler MAO-Hemmer Moclobemid (Ein-
satz bei agitierten Depressionen kontraindiziert)
5 Neuere Antidepressiva: z. B. kombinierter Melatonin- und 5HT2C-
Antagonist Agomelatin
5 Phytopharmakon Johanniskraut (hochdosiert, ! Cave auch Neben-
und Wechselwirkungen!): bei leichtgradiger Depression
4 Wirklatenz von Antidepressiva: 2–3 Wochen (häufig in dieser Phase
zusätzliche Gabe von Benzodiazepinen oder niedrigpotenten Antipsy-
chotika notwendig)
4 Bei Nichtansprechen auf ausreichend dosiertes Psychopharmakon und
gesicherter Compliance
5 Nach 3–4 Wochen Umstellung auf ein anderes Antidepressivum
einer anderen Wirkstoffgruppe
5 Spiegelkontrolle des eingesetzten Antidepressivums
5 Augmentation (Kombinationsbehandlung) in erster Linie mit Lithi-
um, als 2. Wahl auch mit Schilddrüsenhormonen, Sexualhormonen
(z. B. Testosteron) oder Antikonvulsiva (z. B. Lamotrigin)
4 Nach Abklingen der depressiven Symptomatik: wegen hoher Rückfall-
gefahr antidepressive Erhaltungstherapie über 4–9 Monate in gleicher
Dosierung wie bei Akuttherapie
4 Zur Rezidivprophylaxe (bei Patienten mit 2 oder mehr depressiven
Episoden zeitlich relativ nah hintereinander auftretend): Antidepressiva
in abgeschwächter Dosierung über Jahre (ggf. lebenslang)
4 Psychotische/wahnhafte Depression: Kombination von Antidepressiva
und Antipsychotika

Nichtmedikamentöse Maßnahmen
4 Supportive Psychotherapie (verständnisvolles, stützendes ärztliches
Gespräch)
4 Kognitiv-behaviorale Therapie
5 Modifikation von Denkschemata
5 Schrittweiser Aufbau von Aktivitäten nach dem Verstärker-Prinzip
126 Kapitel 8 · Affektive Störungen

Eigene Notizen 5 Förderung von Selbstsicherheit und sozialer Kompetenz: soziales


Kompetenz-Training
4 Interpersonelle Psychotherapie
5 Kurzzeittherapie, spezifisch für depressive Störungen entwickelt
5 Grundannahme, dass Depressionen maßgeblich auf der Grundlage
zwischenmenschlicher Konflikte entstehen sowie in ihrem Verlauf
davon beeinflusst werden
5 Therapieziel: Bewältigung interpersoneller Konflikte und psycho-
sozialer Stressoren
4 Psychoedukation
4 Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy (CBASP)
5 Ursprünglich speziell zur Behandlung chronischer Depressionen
entwickelte Therapie
5 Grundannahme: depressive Patienten weisen in ihrer kognitiv-emo-
tionalen Entwicklung einen Rückstand auf, verursacht durch wie-
derholt negative Lebenserfahrungen in vulnerablen Phasen der
Entwicklung
8 5 Therapie kombiniert kognitive, behaviorale und interpersonelle
Therapieelemente
4 Psychoanalytische Therapieverfahren i. d. R. nur ratsam bei Patienten
mit guter Introspektionsfähigkeit, Kindheitsgeschichte mit Verlusten
oder Missbrauchserfahrungen
5 Psychodynamische Kurzzeittherapien v. a. bei umschriebenen Kri-
sen als Auslöser der affektiven Störung
4 Soziotherapeutische Maßnahmen, z. B. Ergotherapie (Tagesstruktu-
rierung, Training von Konzentration, Aufmerksamkeit und Aus-
dauer)
4 Entspannungsverfahren
4 Andere Therapieformen
5 Schlafentzugsbehandlung (stimmungsaufhellender Effekt dauert
häufig nur kurz an; Schlafphasenvorverlagerung als Versuch, den
Effekt längerfristig zu halten)
5 Elektrokrampftherapie: v. a. bei wahnhaften, psychotischen Depres-
sionen, depressivem Stupor, hochgradiger Suizidalität oder thera-
pieresistenter Depression
5 Lichttherapie bei saisonalen Depressionen (vermindert Melato-
ninsekretion und führt dadurch zur Synchronisation endogener
Rhythmen)
5 Bewegungs-/Sport-/Physiotherapie: körperliche Aktivierung, kann
positive Auswirkungen auf die Stimmung haben

Manie
Akuttherapie
4 Pharmakotherapie
5 Lithium (Lithium-Monotherapie reicht wegen verzögertem Wir-
kungseintritt – ca. 1 Woche – und fehlender Sedierung für Akut-
therapie alleine nicht aus)
5 Antikonvulsiva: Valproinsäure, Carbamazepin
8 · Affektive Störungen
127 8

5 Atypische Antipsychotika: Olanzapin, Quetiapin, Risperidon, Eigene Notizen


Ziprasidon, Aripiprazol
4 Bei schweren Manien, insbesondere mit psychotischen Symptomen:
Kombinationstherapie mit atypischem Antipsychotikum und Valproin-
säure oder Lithium
> Die Akuttherapie einer einzelnen manischen Episode und der ma-
nischen Phase im Rahmen einer bipolaren Störung sind identisch.
4 Begrenzung des Aktionsradius und sozialer Stimuli, Reizabschirmung
4 Lenken der gesteigerten Aktivität in Bahnen, in denen sie keinen
Schaden anrichtet, z. B. Bewegungstherapie, künstlerisch-kreative
Therapien
4 Anstreben eines geregelten Tag-Nacht-Rhythmus
4 Bei therapieresistenten manischen Syndromen kann eine Elektro-
krampftherapie erwogen werden

Bipolare affektive Störungen


4 Akuttherapie der Manie s. oben
4 Akuttherapie bipolarer Depressionen
5 Bei leichter depressiver Episode: Verhaltenstherapie und Stim-
mungsstabilisierer wie Lithium, Antikonvulsiva (Lamotrigin) bzw.
atypisches Antipsychotikum (Olanzapin oder Quetiapin) (Verzicht
auf Antidepressiva, um Risiko, eine Manie oder ein rapid cycling zu
induzieren, gering zu halten)
5 Bei mittelschweren und schweren depressiven Episoden: Antide-
pressivum notwendig (SSRI, keine TZA!); längerfristige Gabe eines
Antidepressivums sollte nur unter dem Schutz eines Stimmungssta-
bilisierers erfolgen
4 Phasenprophylaxe bipolarer Störungen mit Lithium, Antikonvulsiva
(Carbamazepin, Valproinsäure oder Lamotrigin; Lamotrigin v. a. zum
Schutz vor depressiven Phasen) oder atypischen Antipsychotika (Olan-
zapin, Quetiapin)

> Schon nach einer ersten manischen Episode sollte eine langfristi-
ge Phasenprophylaxe erwogen werden (Rückfallrisiko mit ca. 95%
sehr hoch!).

4 Unterstützend zur Pharmakotherapie psycho- und soziotherapeutische


Maßnahmen (z. B. Psychoedukation, Sensitivierung für Frühwarnzei-
chen einer erneuten Episode, Förderung von Problemlösestrategien)

Anhaltende affektive Störungen


4 Dysthymia
5 Gesicherte Wirksamkeit von Antidepressiva (wegen relativ guter
Verträglichkeit SSRI Mittel 1. Wahl)
5 Kognitive Verhaltenstherapie und interpersonelle Psychotherapie
bzw. CBASP empfehlenswert, Kombination aus Pharmako- und
Psychotherapie sinnvoll (v. a. bei sog. »double depression«)
128 Kapitel 8 · Affektive Störungen

Eigene Notizen 5 Wegen Chronizität relativ lange Behandlungsdauer notwendig (gilt


für Pharmako- und Psychotherapie)
4 Zyklothymia
5 Hinweise auf positive Effekte einer Pharmakotherapie mit Lithium,
Carbamazepin oder Valproinsäure
5 Bei depressiven Phasen Kombination eines Antidepressivums mit
Lithium oder einem Antikonvulsivum (keine Monotherapie mit
Antidepressiva wegen Gefahr des Umkippens in eine (hypo-)ma-
nische Episode)
5 Zudem sind insbesondere soziotherapeutische und psychoeduka-
tive Behandlungsansätze sinnvoll

8
9

Tag 3 – Spezielle Krankheitsbilder I

9 Angststörungen
130 Kapitel 9 · Angststörungen

Eigene Notizen Definition


Angst mit Krankheitswert: Auftreten ohne erkennbaren Grund oder in-
folge inadäquater Reize; die Angst ist unverhältnismäßig; Beeinträchti-
gung üblicher sozialer Aktivitäten.

Ätiologie
4 Komplexe, multifaktorielle Ätiologie (im Sinne eines Vulnerabilitäts-
Stress-Modells)
4 Genetische Disposition im Sinne erhöhter Vulnerabilität für Angstan-
fälligkeit
4 Individuelle Umweltfaktoren (z. B. Erziehung, traumatische Erfahrun-
gen, unsichere Bindungserfahrungen → ängstliche Grundpersönlichkeit)
4 Neurobiologische Faktoren: Fehlfunktion oder Überempfindlichkeit
des sog. Angstnetzwerks (zentrales Regulationsorgan: Amygdala) → Stö-
rung des Neurotransmitterhaushalts (eine wichtige Rolle spielen sero-
tonerges, noradrenerges, adenosinerges und GABA-System)
4 Lerntheoretische Modelle
5 Modelllernen (z. B. Ängste der Eltern)
5 Zwei-Faktoren-Theorie (klassische und operante Konditionierung)
9 zur Erklärung phobischer Angststörungen
J Entstehung: Kopplung eines angsterzeugenden Stimulus mit
einem zunächst neutralen Reiz (klassische Konditionierung)
J Aufrechterhaltung der Angststörung: Angst-/Spannungsabbau
durch Vermeidung des konditionierten Stimulus führt zur Ver-
stärkung des Vermeidungsverhaltens (operante Konditionie-
rung)
> Nicht alle Reize tauchen mit gleicher Wahrscheinlichkeit als phobi-
sche Objekte auf: bestimmte Reiz-Reaktionsverbindungen werden
leichter gelernt, weil sie biologisch vorbereitet sind (Preparedness-
Theorie).
4 Kognitive Modelle: dysfunktionale Wahrnehmungs- und Bewertungs-
muster, Fehlinterpretation eigener Körperempfindungen als gefährlich,
Unterschätzung eigener Handlungsmöglichkeiten in vermeintlich ge-
fährlichen/angstauslösenden Situationen
4 Psychoanalytische Modelle
5 Angsterregende Gegenstände haben Symbolcharakter
5 Phobie als Verschiebung bei einem unbewussten Konflikt: nicht ver-
meidbarer, bedrohlicher innerer Konflikt wird unbewusst transfor-
miert in eine ausweichbare äußere Bedrohung
5 Strukturmodell: massive Ich-strukturelle Schwäche, geringe Frustra-
tionstoleranz, d. h. starke Angst schon bei minimalen Belastungen
4 Organische Erkrankungen (v. a. das ZNS oder Herz-Kreislauf-System
betreffend), Medikamente und andere Substanzen (Nikotin, Alkohol)
können Einfluss auf Entstehung, Aufrechterhaltung und Verlauf einer
Angstsymptomatik nehmen
9 · Angststörungen
131 9
Epidemiologie Eigene Notizen
4 Gehören zu den häufigsten psychischen Erkrankungen
4 Lebenszeitprävalenz insgesamt ca. 15%, Punktprävalenz der Angst-
störungen insgesamt ca. 7%
4 12-Monats-Prävalenz einzelner Störungen in Deutschland
5 Phobische Störungen ca. 8%
5 Generalisierte Angststörung: ca. 1,5%
5 Panikstörung mit oder ohne Agoraphobie: ca. 4%
4 Frauen zu Männer = 2:1 (nur bei sozialer Phobie sind Männer häufiger
betroffen)
4 Erstmanifestationsalter
5 Spezifische Phobien: v. a. Kindheit
5 Soziale Phobie: v. a. Pubertät
5 Panikstörung und Agoraphobie: v. a. ab 20. Lebensjahr
5 Generalisierte Angststörung: 2 Erkrankungsgipfel (Adoleszenz und
40. Lebensjahr)
4 Verlauf der Angststörungen eher chronisch
4 Hohe Komorbidität mit depressiven Störungen sowie Alkohol- und
Medikamentenmissbrauch und der Angststörungen untereinander

Klinik
Agoraphobie
4 Im engen Wortsinn: »Platzangst«
4 Klinisch weiterreichende furchtinduzierende Situationen: deutliche und
anhaltende Furcht vor mindestens 2 der folgenden Situationen
5 Menschenmengen
5 Öffentlichen Plätzen
5 Allein Reisen
5 Reisen mit weiter Entfernung von zu Hause
4 Vermeidung der phobischen Situation
4 Psychische oder vegetative Symptome als primäre Manifestation der
Angst
4 Agoraphobie tritt häufig gemeinsam mit Panikattacken auf (Agora-
phobie mit Panikstörung)

Soziale Phobie
4 Auf bestimmte soziale Situationen beschränkte, intensive Angst
5 In relativ kleinen Gruppen (häufig in Gegenwart von fremden Men-
schen, Autoritätspersonen oder Menschen des anderen Geschlechts
besonders stark ausgeprägt)
5 In sozialphobischen Reizsituationen (Leistungs- und Interaktions-
situationen): z. B. beim Essen vor anderen Menschen, Sprechen in
der Öffentlichkeit, Zeigen von Leistungen in der Öffentlichkeit, Re-
klamationen in Geschäften, Betreten eines Raumes in dem bereits
andere Menschen sitzen
4 Auftreten körperlicher Symptome (Erröten, Zittern, Übelkeit, Harn-
drang)
4 Meist verbunden mit niedrigem Selbstwertgefühl
132 Kapitel 9 · Angststörungen

Eigene Notizen 4 Furcht vor Kritik/Abwertung oder negativer/peinlicher Bewertung des


eigenen Verhaltens
4 Starke gedankliche Beschäftigung mit den eigenen Ängsten
4 Vermeidung der phobischen Situation → kann zu sozialem Rückzug und
Isolation führen
> Auch bei Agoraphobie Vermeidung von u. a. sozialen Situationen.
Bei Agoraphobie jedoch eher zur Vermeidung von Hilflosigkeit
und Ausgeliefertsein, bei sozialer Phobie aus Furcht vor Blamage
bzw. Abwertung.

Spezifische Phobien
4 Angst ist auf ein bestimmtes Objekt oder eine umschriebene Situation
beschränkt
4 Ausgeprägte Angstreaktion und vegetative Begleitsymptomatik bei
Kontakt mit dem phobischen Stimulus
4 Vermeidung der phobischen Situation
4 Häufige Phobien: Spinnenphobie, Schlangenphobie, Klaustrophobie
(Angst vor Aufenthalt in geschlossenen Räumen), Akrophobie (Höhen-
angst), Aviophobie (Flugangst), Blut-Spritzen-Verletzungs-Phobie
9
Panikstörung
4 Wiederholte Panikattacken, die nicht auf eine spezielle Situation oder
ein spezifisches Objekt bezogen sind und spontan auftreten
4 Panikattacke
5 Einzelepisode intensiver Angst oder Unbehagen
5 Plötzlicher Beginn ohne Anlass
5 Dauer: meist 10–30 min; Beschwerden erreichen nach wenigen
Minuten einen Höhepunkt
5 Körperliche Symptome: Schweißausbrüche, Palpitationen, Herz-
rasen, thorakale Schmerzen, Beklemmungsgefühle, Zittern, Hitze-
wallungen, Atemnot, Schwindel, Benommenheit, Übelkeit
5 Häufig auch Furcht zu sterben, verrückt zu werden, Furcht vor Kon-
trollverlust, Ohnmachtsgefühle, Depersonalisations- oder Dereali-
sationserleben
4 Angstfreie Zeiträume zwischen den Attacken, jedoch oft auch Erwar-
tungsangst (»Angst vor der Angst«), infolgedessen sich eine Agora-
phobie entwickeln kann

Generalisierte Angststörung
4 Andauernde (an den meisten Tagen der Woche, mindestens mehrere
Wochen lang), generalisierte Angst, nicht an bestimmte Situationen
oder Objekte gebunden (»frei flottierend«)
4 Ängste entsprechen eher Befürchtungen, Sorgen (z. B. um die Gesund-
heit, die Zukunft, den Beruf)
4 Begleitende Symptome: Unruhe, Angespanntsein, Spannungskopf-
schmerz, Schwitzen, Schwindel, vegetative Übererregbarkeit, häufig
auch Schlafstörungen
9 · Angststörungen
133 9
Diagnostik Eigene Notizen
4 Ausführliche Eigen- und Fremdanamnese
5 Gezielte Exploration von angstauslösenden Situationen, Kognitio-
nen, (körperlichen) Begleitsymptomen, Vermeidungsverhalten, re-
sultierenden Beeinträchtigungen
5 Sucht- und Medikamentenanamnese: häufig Angstsymptomatik bei
(missbräuchlichem) Konsum von
J Amphetaminen
J Cannabinoiden
J LSD
J Ecstasy
J Benzodiazepinen
J Alkohol
J Opiaten
J Koffein
J Nikotin
J Appetitzüglern
J Schilddrüsenhormonen
J Bronchodilatatoren
J Natriumglutamat
4 Zum Ausschluss organischer Ursachen körperliche Untersuchung,
Labor, 24-h-EKG, EEG, ggf. cCT oder cMRT; evtl. muss eine Konsiliar-
untersuchung veranlasst werden
5 Wichtige somatische Differenzialdiagnosen
J Kardiovaskuläre Erkrankungen (z. B. Herzrhythmusstörungen,
koronare Herzkrankheit, Angina pectoris, Myokardinfarkt)
J Neurologische Störungen (z. B. Multiple Sklerose, zerebrale An-
fallsleiden, M. Parkinson, Chorea Huntington, M. Wilson, de-
menzielle Erkrankungen)
J Schwindel, synkopale Ereignisse
J Endokrinologisch-metabolische Erkrankungen (z. B. Hypoglyk-
ämie, Hypo-/Hyperthyreose, Phäochromozytom)
J Elektrolytstörungen (z. B. Hypokaliämie, Hypokalziämie)
J Karzinoid
J Lungenerkrankungen (z. B. Asthma, COPD)
4 Ausschluss anderer psychischer Erkrankungen
5 Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis (Ängste sind
i. d. R. bizarr und beziehen sich auf Themen wie Verfolgung und
Fremdbeeinflussung)
5 Depressive Störungen (gehen fast immer mit Ängsten einher)
5 Essstörungen (Angst – trotz objektivem Unter- oder Normalgewicht
– zu dick zu sein)
5 Somatoforme Störungen (Ängste beziehen sich auf körperliche Er-
krankungen oder Befürchtungen, an einer körperlichen Erkrankung
oder einem vermeintlichen Makel zu leiden)
5 Anpassungs- und Belastungsstörungen (gehen mit ängstlicher
Symptomatik einher)
134 Kapitel 9 · Angststörungen

Eigene Notizen 5 Persönlichkeitsstörungen


5 Organische psychische Erkrankungen
4 Ggf. Zusatzdiagnostik mittels störungsspezifischer Screeningfrage-
bögen

Therapie
4 Psychoedukation
5 Teufelskreismodell der Angst: sich selbst aufrecht erhaltender Kreis-
lauf von körperlichen Vorgängen, deren Wahrnehmung und Bewer-
tung und erneuten körperlichen Veränderungen (physiologische
Erregung)
5 Vulnerabilitäts-Stress-Modell: Erkrankungen entstehen auf dem
Boden einer Disposition (Vulnerabilität) und zusätzlicher akuter
oder chronischer Belastungen (Stressoren)
4 Reizkonfrontationsverfahren (7 Abschn. 5.2.6): systematische Desensi-
bilisierung, Flooding, graduierte Exposition (Habituationstraining)
4 Kognitive Therapie: Reattribuierung körperlicher Missempfindungen,
Erarbeitung alternativer Bewertungsmöglichkeiten, Bearbeitung dys-
funktionaler kognitiver Grundannahmen
4 Bearbeitung krankheitsaufrechterhaltender Faktoren: Training von
9 Problemlösefertigkeiten, Training sozialer Kompetenz
4 Entspannungsverfahren (Progressive Muskelrelaxation, Autogenes
Training)
4 Psychodynamische Therapie in Einzelfällen hilfreich
4 Psychopharmakotherapie als begleitende oder unterstützende Therapie
(v. a. indiziert bei begleitender Komorbidität einer depressiven Stö-
rung)
5 Antidepressiva sind Mittel der Wahl, in der Reihenfolge:
J Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), z. B. Citalo-
pram, Escitalopram, Paroxetin
J Selektive Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehem-
mer (SSNRI): Venlafaxin
J Trizyklische Antidepressiva (TZA): Clomipramin
J Wirkungseintritt: nach 2–4 Wochen; zur Rückfallvermeidung Be-
handlung über mindestens 6–12 Monate
5 Benzodiazepine sind schnell wirksam (innerhalb Minuten), haben
aber ein hohes Abhängigkeitspotenzial; indiziert ausschließlich als
Akutbehandlung sowie zur Überbrückung des Zeitraums bis zum
Wirkungseintritt des Antidepressivums; Benzodiazepine bei
Angsterkrankungen möglichst vermeiden und durch andere Subs-
tanzen kompensieren (z. B. sedierende Antipsychotika in niedriger
Dosierung)
5 Buspiron (Nichtbenzodiazepin-Anxiolytikum) bei generalisierter
Angststörung wirksam
5 Pregabalin (Antikonvulsivum) bei generalisierter Angststörung
5 Moclobemid (MAO-Hemmer) insbesondere bei sozialer Phobie
9 · Angststörungen
135 9

> Oft ist eine kombinierte Behandlung aus Psychotherapie und Eigene Notizen
Psychopharmakotherapie wirksamer als eine Monotherapie.
Ausnahme: gleichzeitige Einnahme von Benzodiazepinen
kann einen negativen Effekt auf die Wirkung der Psychotherapie
haben (hindert den Patienten durch Abschirmung von der Angst
daran, zu lernen, die Symptome aushalten und kontrollieren zu
können).
10
Tag 3 – Spezielle Krankheitsbilder I

10 Zwangsstörungen
138 Kapitel 10 · Zwangsstörungen

Eigene Notizen Definition


Sich immer wieder aufdrängende und als unsinnig oder uneffektiv erkann-
te Gedanken, Impulse oder Handlungen, die nicht unterdrückt werden
können. Beim Versuch, Zwänge zu unterdrücken, tritt massive Angst auf.

Ätiologie
4 Genetische Disposition
4 Neurobiologische Faktoren, v. a.
5 Dysregulation serotonerger und dopaminerger Neurotransmission
5 Auffälligkeiten in orbitofrontalem Kortex (neuronale Überaktivität,
»Enthemmung« von Frontalhirnfunktionen), Basalganglien (insbe-
sondere Ncl. caudatus als Filterstelle orbitofronto-thalamischer Ver-
bindungen) und Thalamus
→ gestörter neuronaler Regelkreis zwischen Frontalhirn, Basalgan-
glien und limbischem System
4 Lerntheoretische Ansätze: Konditionierungsprozesse, 2-Faktoren-Mo-
dell (klassische und operante Konditionierung sind an Entstehung und
Aufrechterhaltung der Zwangshandlungen beteiligt)
4 Kognitives Modell: infolge unangemessener Bewertung aufdringlicher
Gedanken werden diese als bedeutsam und bedrohlich erlebt und füh-
ren zu Unbehagen und Angst; kurzfristige Bewältigung bzw. »Neutrali-
10 sation« durch verhaltensbezogene oder kognitive Rituale
4 Psychoanalytische Ansätze
5 Fixierung auf »anale Phase« durch forcierte Sauberkeitserziehung
(»analer« Charakter: u. a. Zwanghaftigkeit; anale Trias: Sparsamkeit,
Ordnungsliebe, Eigensinn)
5 Zwangssymptomatik als Kompromiss zwischen Erfüllung des Trieb-
impulses und der Triebabwehr

Epidemiologie
4 Lebenszeitprävalenz ca. 2%
4 12-Monats-Prävalenz in Deutschland ca. 1%
4 Erkrankungsbeginn meist in Adoleszenz oder frühem Erwachsenen-
alter
4 Beide Geschlechter gleich häufig betroffen

Klinik
4 Zwangssymptome wenigstens 2 Wochen lang an den meisten Tagen
4 Wiederholen sich ständig und werden als unangenehm empfunden
(Ausführung einer Zwangshandlung ist jedoch meist von einer vorüber-
gehenden Spannungs- und Angstreduktion begleitet)
4 Sind als eigene Gedanken oder Impulse für den Patienten erkennbar
(nicht von anderen Personen oder Einflüssen eingegeben)
4 Versuch, Widerstand zu leisten (wenn auch erfolglos)
4 Oft magisch-mystische Vorstellungen (z. B. Vorstellung, wenn eine be-
stimmte Zwangshandlung nicht ausgeführt wird, passiert etwas
Schlimmes)
10 · Zwangsstörungen
139 10

4 Sehr zeitraubend, Beeinträchtigungen alltäglicher und beruflicher Tä- Eigene Notizen


tigkeiten
4 Meist chronischer Verlauf
4 Sehr hohe Komorbiditätsraten mit anderen psychischen Erkrankungen,
v. a. mit Depression, Angststörungen, Tourette-Syndrom, ADHS, Per-
sönlichkeitsstörungen

Zwangsgedanken
4 Gedanken, die sich immer wieder aufdrängen, als weitgehend unsinnig
erlebt werden, aber nicht unterdrückt werden können (z. B. Gedanke,
Jemanden beim Vorbeifahren verletzt zu haben, ohne es zu merken)
> Im Gegensatz zu Erkrankungen aus dem schizophrenen Formen-
kreis werden die Gedanken als eigene Gedanken interpretiert und
nicht als fremdartig oder eingegeben.
4 Typische Inhalte: sexuelle, aggressive oder religiöse Inhalte, Gesundheit,
Schmutz/Kontamination, Ordnung, Symmetrie, Kontrolle

Zwangsimpulse
4 Wiederkehrende, sich aufdrängende Impulse zu bestimmten, oft
aggressiven Verhaltensweisen (z. B. Angst, seinem Kind impulsiv etwas
anzutun)
4 Große Angst, die Handlungen auch tatsächlich auszuführen
> Aggressive Zwangsimpulse werden so gut wie nie in die Tat umgesetzt.

Zwangshandlungen
4 Sich immer wieder aufdrängende Handlungsmuster als Reaktion auf
Zwangsgedanken
4 Ausführung führt zur Spannungsreduktion
4 Typische Inhalte: Kontroll- oder Waschzwang (die beiden häufigsten
Zwänge), Ordnungszwang, Zählzwang

Diagnostik
4 Anamneseerhebung
5 Medikamenten-/Suchtanamnese: dopaminerge Substanzen (z. B. L-
Dopa, Amphetamine) können Zwangsphänomene verursachen (=
substanzinduzierte Zwänge)
4 Allgemeinkörperliche und neurologische Diagnostik, evtl. einschließ-
lich EEG (Ausschluss Anfallsleiden) und cCT/cMRT (Ausschluss pa-
thologischer zerebraler Prozesse); wichtige neurologische Differenzial-
diagnosen
5 Chorea Sydenham
5 Bilaterale Nekrosen des Ncl. pallidus
5 Schädel-Hirn-Traumata
5 Raumfordernde Prozesse
4 Ggf. Zusatzdiagnostik mittels störungsspezifischer Screeninginstru-
mente
140 Kapitel 10 · Zwangsstörungen

Eigene Notizen 4 Wichtige abzugrenzende psychiatrische Differenzialdiagnosen


5 Zwanghafte/Anankastische Persönlichkeitsstörung (Patienten mit
anankastischer Persönlichkeitsstörung bewerten ihre Verhaltens-
weisen als richtig bzw. gerechtfertigt und nicht als unsinnig)
5 Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis (Patienten mit
Wahn sind von der Richtigkeit ihrer Gedankeninhalte überzeugt,
Patienten mit Zwängen haben Einsicht in die Unsinnigkeit ihrer
Zwangsgedanken und -handlungen)
5 Tourette-Syndrom (Ticstörung)
5 Depression (z. B. depressives Zwangsgrübeln)
> Viele psychische Erkrankungen gehen mit zwangsähnlichen Phä-
nomenen einher (sog. Zwangsspektrumstörungen), z. B. Ticstö-
rungen, Essstörungen, Impulskontrollstörungen wie Trichotillo-
manie sowie somatoforme Störungen wie Hypochondrie und Kör-
perdysmorphophobie.

Therapie
4 Exposition mit Reaktionsverhinderung
5 Patient wird in zwangsauslösenden Situationen daran gehindert,
Zwangshandlungen auszuführen und erfährt dadurch auch ohne
Ausübung der Zwangshandlung nach einer gewissen Zeit einen
10 Angst-/Spannungsabfall
5 Anwendung des Expositionsprinzips auch auf gefürchtete Zwangs-
gedanken, die aufgrund eines Anstiegs von Angst und Spannung
nicht zu Ende gedacht werden: Patient wird angehalten, die Gedan-
ken so lange zu denken, bis automatisch ein Angstabfall eintritt
4 Kognitive Techniken
5 Kognitive Umstrukturierung, z. B. Entkatastrophisierung und Rea-
litätskontrolle (Patient soll z. B. die Wahrscheinlichkeit, sich an einer
Türklinke mit HIV zu infizieren, auf einer Skala von 0 bis 100 rea-
listisch einschätzen)
5 Bei Zwangsgedanken: Gedankenstopp (sich aufdrängende, uner-
wünschte Gedanken werden durch autosuggestives »Stopp« abge-
brochen)
4 Behandlung mit Antidepressiva (im Vergleich zur Depressionsbehand-
lung in höherer Dosierung)
5 Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI): Mittel der
1. Wahl (z. B. Escitalopram, Fluoxetin, Fluvoxamin, Paroxetin)
5 Trizyklische Antidepressiva (TZA): Clomipramin (Mittel der
2. Wahl)
4 Bei Therapieresistenz: Augmentationstherapie (Kombinationstherapie
aus Antidepressivum und einer anderen Substanz, die für sich alleine
keine oder kaum antidepressive Eigenschaften zeigt, zur Wirksamkeits-
steigerung des Antidepressivums)
5 Augmentation mit atypischem Antipsychotikum
11
Tag 3 – Spezielle Krankheitsbilder I

11 Anpassungs- und Belastungs-


störungen
142 Kapitel 11 · Anpassungs- und Belastungsstörungen

Eigene Notizen Definition


Reaktionen auf schwere traumatische Ereignisse (akute Belastungsreak-
tion, posttraumatische Belastungsstörung) bzw. gestörter Anpassungs-
prozess nach einschneidenden oder belastenden Lebensveränderungen
(Anpassungsstörungen).

Ätiologie
4 Prädisponierend: erhöhte Vulnerabilität, unzureichende Bewältigungs-
strategien, unzureichendes soziales Unterstützungssystem
4 Vorliegen eines spezifischen, umschriebenen Auslösers
5 Akute Belastungsreaktion: Erleben einer außergewöhnlichen psy-
chischen und/oder physischen Belastung
5 Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS, PTSD)
J Erleben eines kurz- oder lang-andauernden Ereignisses von außer-
gewöhnlicher Bedrohung oder katastrophalen Ausmaßes, das bei
nahezu jedem tiefgreifende Verzweiflung auslösen würde
J Verbunden mit subjektiv erlebtem Verlust von Kontrolle über das
Geschehen
5 Anpassungsstörung: einschneidende Lebensveränderungen oder
belastende Lebensereignisse von weniger katastrophalem Ausmaß
wie bei den Belastungsstörungen (z. B. Scheidung, Trauerfall, schwe-
re körperliche Erkrankung)
> Kennzeichen der Anpassungs- und Belastungsstörungen: ätiolo-
11 gische Rückführbarkeit auf ein Trauma/belastendes Ereignis, ohne
das die Störung nicht aufgetreten wäre.
4 Neurobiologische Faktoren und Befunde bei posttraumatischer Belas-
tungsstörung
5 Tendenz zu überschießenden vegetativen Reaktionen im Rahmen
einer Stressbelastung → erhöhte Aktivierung des Katecholaminsys-
tems → Inhibition orbitofrontaler Hirnregionen → Desinhibition der
Amygdalaaktivität (Hyperaktivierung der Amygdala)
5 Im Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-System ver-
stärkte Suppression der Kortisol-Ausschüttung nach Dexametha-
son-Gabe → Hypokortisolismus → gestörte autoregulatorische Inhi-
bition stressbedingter Katecholaminfreisetzung
5 Volumenminderung im Hippokampus (→ Einbußen im deklara-
tiven/expliziten Gedächtnis)
5 Annahme, dass die Angstwahrnehmung (unbewertet, fragmentiert
und mit hoher vegetativer Erregung) direkt über den Thalamus an
die Amygdala geht, ohne modulierenden Einfluss kortikaler und
hippokampaler Strukturen (»hot circle«)

Epidemiologie
Anpassungsstörungen
4 In der Allgemeinbevölkerung relativ selten (<1%), in klinischen Stich-
proben häufiger vorkommend: Prävalenzraten bei ambulant und sta-
tionär behandelten psychisch Kranken bis zu 20%
11 · Anpassungs- und Belastungsstörungen
143 11
Belastungsreaktionen Eigene Notizen
4 Lebenszeitprävalenz der PTBS ca. 8%, Punktprävalenz in der deutschen
Bevölkerung bis ca. 3%
4 Frauen sind etwa doppelt so häufig von einer PTBS betroffen wie
Männer
4 Insgesamt entwickeln ca. 15% aller Betroffenen nach einem Trauma
eine PTBS
5 Erkrankungshäufigkeit der Belastungstörungen ist jedoch abhängig
von der Traumaart
J Circa 50% der Opfer nach einer Vergewaltigung, ca. 7% der Be-
troffenen nach schweren Unfällen entwickeln eine PTBS
J Naturkatastrophen verursachen eine geringere PTBS-Prävalenz
als durch Menschen absichtlich herbeigeführte Traumatisie-
rungen

Klinik
Anpassungsstörungen
4 Vor allem depressive und ängstliche Symptomatik: gemischtes Bild von
depressiver Stimmung, Angst, übergroßer Besorgnis, Sorge, mit der ge-
genwärtigen Situation nicht zurechtzukommen mit Möglichkeit des
Übergangs in eine andere Störungsform bzw. der komorbiden Störung
(Komorbidität v. a. mit affektiven Störungen, Substanzmissbrauch/-ab-
hängigkeit, Persönlichkeitsstörungen)
4 Bei Jugendlichen oft auch Störungen des Sozialverhaltens
4 Eventuell auch Entwicklung somatoformer oder dissoziativer Symp-
tome
4 Beeinträchtigungen sozialer Funktionen und Leistungen
4 Auftreten innerhalb eines Monats (gemäß ICD-10) nach Einsetzen
eines belastenden Ereignisses oder einer einschneidenden Lebensverän-
derung
4 Persistenz nicht länger als 6 Monate nach Beendigung der Belastungssi-
tuation (bzw. 2 Jahre bei einer sog. längeren depressiven Reaktion im
Rahmen einer Anpassungsstörung)
4 Kriterien einer depressiven Episode dürfen nicht erfüllt sein
4 Gefahr der Chronifizierung bei Anhalten der Ereignisse
4 Gefahr suizidaler Handlungen (häufig raptusartig und unter Alkohol-
einfluss)
4 Anpassungsstörung als Risikofaktor für die Entwicklung einer depres-
siven Störung

Akute Belastungsreaktion
4 Entwickelt sich nach einem Trauma bei einem psychisch nicht manifest
erkrankten Menschen
4 Beginn mit »Betäubung«, nachfolgend meist depressive Stimmung,
Angst, Ärger, Verzweiflung, Überaktivität oder Rückzug, ohne längeres
Vorherrschen eines Symptoms
4 Evtl. dissoziative Phänomene (in Form von Wahrnehmungsverände-
rungen, Amnesie für das traumatische Ereignis, emotionaler Losgelöst-
144 Kapitel 11 · Anpassungs- und Belastungsstörungen

Eigene Notizen heit, emotionaler Taubheit) als Bewältigungsmechanismus, um mit dem


Trauma umzugehen
4 Häufig vegetative Symptomatik (Tachykardie, Schwitzen, Hypertonie)
4 Vorübergehende Störung: Auftreten unmittelbar nach dem trauma-
tischen Ereignis (innerhalb von Minuten bis maximal 1 h), geht inner-
halb kurzer Zeit zurück (Persistenz Stunden bis maximal 8 h nach
Beendigung der Situation oder bis zu 48 h bei andauernden Belas-
tungen)
4 Manchmal Übergang in eine posttraumatische Belastungsstörung, dis-
soziative, hypochondrische oder depressive Störung

Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)


4 Wiederholtes Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen
(Flashbacks, Nachhallerinnerungen), Träumen oder Albträumen
4 Anhaltendes Gefühl von »Betäubtsein« und emotionaler Stumpfheit,
Gleichgültigkeit gegenüber anderen Personen, Teilnahmslosigkeit, An-
hedonie, Vermeiden von Situationen/Reizen, die an das Trauma erin-
nern können
4 Vegetative Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, übermäßiger
Schreckhaftigkeit und Schlaflosigkeit
4 Häufig Angst und Depression sowie Suizidgedanken (Suizidrisiko er-
höht!)
4 Evtl. Drogen- oder Alkoholmissbrauch als Bewältigungsstrategie
4 Verzögerte Reaktion, d. h. Einsetzen der Symptomatik Wochen bis ma-
11 ximal 6 Monate nach dem Trauma, Dauer länger als 1 Monat
4 Meist zunehmende Besserung der Symptomatik mit zeitlichem Abstand
zum Trauma
4 Kann evtl. in eine andauernde Persönlichkeitsänderung nach Ex-
trembelastung übergehen:
5 Feindselige oder misstrauische Einstellung gegenüber der Umwelt,
sozialer Rückzug, Gefühl innerer Leere oder Hoffnungslosigkeit,
anhaltende Nervosität und Anspannung wie bei ständigem Be-
drohtsein, Entfremdungsgefühl
5 Mindestens zweijährige Persistenz der Symptomatik

Diagnostik
4 Bei der Anamneseerhebung v. a. zeitlichen Zusammenhang zu einem
traumatischen oder belastenden Ereignis und Krankheitsverlauf (Be-
ginn, Dauer) explorieren
4 Körperliche Untersuchung zum Ausschluss einer organischen Erkran-
kung (v. a. bei traumatischen Erfahrungen mit körperlichen Auswir-
kungen); wichtige somatische Differenzialdiagnosen
5 Endokrine Störungen (z. B. Diabetes mellitus, Schilddrüsenerkran-
kungen)
5 Neurologische Störungen (z. B. Anfallsleiden, zerebrovaskuläre Er-
krankungen)
5 Kardiovaskuläre Erkrankungen
5 Intoxikationen
11 · Anpassungs- und Belastungsstörungen
145 11

4 Zu beachtende psychiatrische Differenzialdiagnosen: v. a. Eigene Notizen


5 Angststörungen
5 Depressive Störungen
5 Persönlichkeitsstörungen
4 Ggf. Zusatzdiagnostik mittels störungsspezifischer Screeninginstru-
mente

Therapie
4 Grundsätzlich: Stärkung des Selbstwertgefühls und Ausbildung von
Problemlösefertigkeiten

Anpassungsstörungen
4 Stützende Gespräche
4 Bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit berufsrehabilitative Maß-
nahmen
4 Pharmakologische Intervention mit Antidepressiva: v. a. selektive Sero-
tonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), aber auch trizyklische Anti-
depressiva (TZA) und MAO-Hemmer

Akute Belastungsreaktion
4 Krisenintervention: Suizidalität abklären (bei akuter Suizidalität statio-
näre Aufnahme), beruhigendes Zureden und stützende Gespräche, Or-
ganisation sozialer Unterstützung
4 Konkrete Hilfestellung bei faktischen Problemen des Patienten
4 Höchstmaß an Sicherheit vermitteln
4 Beratung nahestehender Personen
4 Gegebenenfalls kurzfristige Gabe von Benzodiazepinen

Posttraumatische Belastungsstörung
4 Initial Stabilisierung: Schaffen einer sicheren Umgebung ohne weitere
Traumaeinwirkungen, Organisation sozialer Unterstützung
4 Psychoedukation
4 Einüben von Entspannungsverfahren
4 Evtl. Einbindung in Selbsthilfegruppen
4 Soziotherapie und bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit berufsre-
habilitative Maßnahmen
4 Spezifische psychotherapeutische Interventionen
5 Traumaverarbeitung durch behutsame, schrittweise Exposition mit
traumatischen Inhalten zur Integration in die eigene Biografie als
Erfahrung, das Trauma überlebt zu haben
5 Kognitive Umstrukturierung
5 Weitere spezifische Verfahren: z. B. Hypnotherapie (psychothera-
peutische Anwendung der Hypnose), EMDR (Eye-Movement De-
sensitization and Reprocessing Therapie: Annahme, dass trauma-
tische Erinnerungen mit Unterstützung sakkadischer Augenbewe-
gungen einem entlastenden Veränderungsprozess unterliegen;
Therapiemethode umstritten)
146 Kapitel 11 · Anpassungs- und Belastungsstörungen

Eigene Notizen > »Debriefing« (in Gruppen durchgeführte Rekapitulation der


Traumasituation) nach akutem Trauma führt eher zu höheren
PTBS-Raten.

4 Psychopharmakologische Intervention
5 Mittel der Wahl: SSRI
5 Bei Nichtansprechen Umstellung auf TZA (2. Wahl) oder MAO-
Hemmer (3. Wahl)

11
12
Tag 3 – Spezielle Krankheitsbilder I

12 Dissoziative Störungen
(Konversionsstörungen)
148 Kapitel 12 · Dissoziative Störungen (Konversionsstörungen)

Eigene Notizen Definition


Störungen der integrativen Funktionen des Bewusstseins und Identitäts-
bewusstseins, der Erinnerung, der sensorischen Wahrnehmung und der
Kontrolle von Körperbewegungen ohne somatisch diagnostizierbares
Korrelat.

Begriffsbestimmung: nach aktueller psychiatrischer Klassifikation (ICD-10)


Zusammenfassung der nach älteren Vorstellungen getrennt beschriebenen
Konversionsstörungen und dissoziativen Störungen i. e. S.:
4 Konversionsstörung: pseudoneurologische Defizite
4 Dissoziative Störung i. e. S.: vorrangig psychogene Symptome (Trance,
Fugue etc.)

Ätiologie
4 Primär neurologische Ursachen sind per definitionem ausgeschlossen
4 Beginn ist häufig mit einem traumatisierenden Ereignis, unerträglichen
Konflikten oder gestörten Beziehungen verbunden
5 Auslöser können akute Situationen (Missbrauch, Gewalterfahrung
etc.) als auch chronisch sein (z. B. ungelöste Partnerschaftssympto-
matik)
4 Nach psychoanalytischen Vorstellungen: Abwehr und Umwandlung
verdrängter psychischer Konflikte
5 »Übersetzung« in körperliche Symptome (Konversion) oder
5 Abspaltung von der Realität (Dissoziation)
4 Aufrechterhaltung und Symptomverstärkung durch primären Krank-
heitsgewinn (z. B. Verringerung innerer Anspannung durch Umgehen
12 des Konflikts) und sekundären Krankheitsgewinn (z. B. Zuwendung,
Entlastung von Pflichten)
4 Anamnestisch finden sich häufig neurologische und andere körper-
liche Erkrankungen, die in die Symptomausgestaltungen mit ein-
fließen
4 Neurobiologische Faktoren: häufige Stresserfahrungen können in Dys-
funktionen der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrindenachse
und Störungen im Regelkreis Thalamus–Amygdala–Hippokampus–
präfrontaler Kortex resultieren

Epidemiologie
4 Keine zuverlässigen Prävalenzangaben, stark kulturabhängig
4 Circa 3-mal häufiger bei Frauen als bei Männern
4 Erkrankungsbeginn meist zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr

Klinik
> Es liegen keine die Symptome hinreichend erklärenden körper-
lichen Erkrankungen vor.
Die Symptome bei Konversionsstörungen entsprechen den
Vorstellungen des Patienten über die funktionellen Zusammen-
6
12 · Dissoziative Störungen (Konversionsstörungen)
149 12

hänge im Körper und weniger den wahren anatomischen oder Eigene Notizen
physiologischen Gegebenheiten.
Es handelt sich nicht um Simulation, denn die Symptombil-
dung erfolgt nicht absichtlich bzw. nicht bewusst!

4 Häufig plötzlicher Beginn und Spontanremission; aber auch chronische


und rezidivierende Verläufe möglich
4 Hoher Anteil komorbider psychischer Erkrankungen, insbesondere
5 Persönlichkeitsstörungen (v. a. Borderline-Störung und histrio-
nische Persönlichkeitsstörung)
5 Angsterkrankungen
5 Somatoforme Störungen
5 Affektive Erkrankungen

Unterformen
Dissoziative Amnesie
4 Amnesie für wichtige persönliche Informationen, traumatische Ereig-
nisse oder Probleme
4 Häufig sind nur einzelne Gedächtnisinhalte betroffen (selektive und
systematisierte Amnesie)
4 Hinsichtlich des Zeitraums für die Amnesie kann dieser zeitlich einge-
grenzt sein (häufiger), aber auch bis hin zur seltenen kontinuierlichen
Amnesie reichen
4 Integrales Symptom dissoziativer Fugue und multipler Persönlichkeits-
störung

Dissoziative Fugue
4 Plötzliches Verlassen der eigenen Umgebung und Annahme einer neu-
en Identität, ohne dass den Betroffenen dies bewusst ist oder Verwir-
rung über die eigene Identität
4 Betroffene verhalten sich dabei oft unauffällig
4 Häufig dissoziative Amnesie für den Zeitraum der Fugue
4 Zeitdauer kann von Stunden bis zu Jahren (selten) reichen

Dissoziativer Stupor
4 Verringerung oder Fehlen willkürlicher Bewegung und normaler Reak-
tionen auf externe Reize, Sprachverarmung im Sinne eines Mutismus

Trance- und Besessenheitszustände


4 Passagere qualitative Bewusstseinsveränderung
4 Einschränkung und Einengung der Bewusstseinsbreite
4 Häufig stereotypes Verhalten, vom Patienten nicht mehr als kontrollier-
bar empfunden
4 Bei Besessenheitszuständen: Überzeugung, von einem Geist o. ä. beses-
sen bzw. beherrscht zu sein und somit einen Teil des persönlichen Iden-
titätsgefühls zu verlieren
150 Kapitel 12 · Dissoziative Störungen (Konversionsstörungen)

Eigene Notizen Dissoziative Bewegungsstörungen


4 Teilweiser oder kompletter Verlust der Bewegungsfähigkeit (Läh-
mungen), Tremor, Gangstörung, Standunfähigkeit, Störungen der Be-
wegungskoordination (Ataxie); meist sind die Beine betroffen
4 Keine Bewusstseins- oder mnestische Störung
4 Evtl. »belle indifférence«: geringer Leidensdruck trotz intensiv ge-
schilderter Beschwerden

Dissoziative Krampfanfälle
4 Plötzliche krampfartige Bewegungen ohne Bewusstseinsverlust
4 Im Gegensatz zu epileptischen Anfällen meist fehlend: Hinstürzen mit
Verletzungen, Zungenbiss, Urin-/Stuhlabgang, epilepsietypische EEG-
Potenziale, Prolaktinerhöhung
4 ! Cave Auftreten auch im Rahmen von sicheren Epilepsie-Erkran-
kungen möglich!

Dissoziative Sensibilitäts- und Empfindungsstörungen


4 Erhöhte oder herabgesetzte Sensibilität, Ausfälle sensorischer Modali-
täten (z. B. Verlust der Sehschärfe), Missempfindungen (häufig Kribbel-
gefühle)
4 Keine Störung von Bewusstsein oder Mnestik

Ganser-Syndrom
4 Demonstrativ wirkendes Vorbeiantworten auf einfachste Fragen oder
Vorbeihandeln
4 »Pseudodemenz«; Betroffene erwecken den Eindruck einer akuten In-
telligenzeinbuße
12 4 Auftreten meist in »gewinnbringenden« Situationen
4 Häufig schwierige differenzialdiagnostische Abklärung, ob bewusst-
seinsnahe oder dissoziative Störung

Multiple Persönlichkeitsstörung (dissoziative Identitätsstörung)


4 Existenz von 2 oder mehr unterschiedlichen Persönlichkeiten oder Per-
sönlichkeitszuständen innerhalb eines Individuums, die wechselnd
dominieren und i. d. R. nichts voneinander wissen
4 Wechsel der Persönlichkeiten wird häufig durch belastende Ereignisse
hervorgerufen
4 Umstrittene Diagnose, wahrscheinlich nicht existent, sondern falsche
differenzialdiagnostische Einordnungen

Arc de cercle
4 Starke Dorsalflexion des Körpers
4 Zu Freud’s Zeiten oft beschriebene Störung im Rahmen einer früher
sog. Hysterie, heute kaum noch beobachtbar

Diagnostik
4 Exploration möglicher Traumata, Belastungen, Konflikte, die in zeit-
lichem Zusammenhang mit dem Auftreten der Symptomatik stehen
12 · Dissoziative Störungen (Konversionsstörungen)
151 12

4 Körperliche Untersuchung zum Ausschluss organischer (insbesondere Eigene Notizen


neurologischer) Ursachen
5 Hilfreich zur Abgrenzung eines dissoziativen Krampfanfalls gegen
einen »echten« epileptischen Anfall: Prolaktin im Serum messen,
24-h-EEG mit paralleler Videoaufzeichnung
5 Bei Sensibilitätsstörungen, Paresen: elektrophysiologische Unter-
suchungen
4 Differenzialdiagnostische Abgrenzung von:
5 Simulation (bewusste Symptombildung)
5 Artifiziellen Störungen (wie bei Simulation bewusste Symptombil-
dung, zugrundeliegendes Motiv aber unbewusst)
5 Somatoformen Störungen (Schmerzstörungen oder durch das vege-
tative Nervensystem vermittelte Störungen)
4 Standardisierte Interviews und störungsspezifische Fragebögen können
hilfreich sein
> Charakteristika der dissoziativen bzw. Konversionsstörungen (im
Vergleich zur Somatisierungsstörung; 7 Kap. 13)
4 Nur Störungen der körperlichen Funktionen, die normaler-
weise unter willentlicher Kontrolle stehen oder Verlust der
sinnlichen Wahrnehmung
4 Akuter Beginn und obligate Auslösung durch psychosoziale
Belastungssituationen
4 Mono- bzw. Oligosymptomatik
4 Rezidivierender und fluktuierender Verlauf mit wechselnden
»pseudoneurologischen« Symptomen

Therapie
4 Symptome ernst nehmen, keine vorschnelle Konfrontation mit einem
Psychogenesemodell
4 Zunächst Symptomreduktion (z. B. durch Physiotherapie, Entspan-
nungsverfahren), Aufbau von Sicherheitserleben und Einübung von
zum Rückzug in dissoziative Zustände alternativen Verhaltensweisen
4 Psychoedukation, langsame Erarbeitung eines bio-psycho-sozialen
Krankheitskonzepts
4 Klärung aktuell belastender Lebensbedingungen, Erarbeitung des un-
bewussten Konflikts und Reintegration der abgespaltenen Erfah-
rungen
4 Integration körperbetonender Therapieformen bei Konversionsstörun-
gen
4 Ggf. ergänzend Psychopharmaka zur Behandlung komorbider Stö-
rungen, z. B. selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) bei
depressiven Symptomen
13
Tag 3 – Spezielle Krankheitsbilder I

13 Somatoforme Störungen
154 Kapitel 13 · Somatoforme Störungen

Eigene Notizen Definition


Wahrnehmung körperlicher Symptome unterschiedlicher Art in Verbin-
dung mit der Forderung nach weiterer medizinischer Diagnostik trotz
wiederholt unauffälliger organischer Untersuchungsergebnisse oder die
medizinisch unbegründete Befürchtung, an einer körperlichen Erkran-
kung oder einem vermeintlichen Makel zu leiden.

Ätiologie
4 Allgemein: Interaktion biologischer (insbesondere genetische Disposi-
tion) und psychosozialer Faktoren
4 Neurobiologische Faktoren: Hypofrontalität (reduzierter Metabolismus
im Frontalhirn), Hyperaktivität der Hypothalamus-Hypophysen-Ne-
bennierenrinden-Achse, immunologische Veränderungen, Störung im
serotonergen System
4 Biografische Belastungen, traumatische Erfahrungen (z. B. Verlust-
erfahrungen, schwere Erkrankungen oder Missbrauch in der Kind-
heit)
4 Lerntheoretische Ansätze: Modelllernen (viele Krankheitserfahrungen
bei Familienangehörigen), Verstärkung durch primären (inneren) und
sekundären (durch die Umwelt bedingt, z. B. Entlastung von Verpflich-
tungen, vermehrte Zuwendung) Krankheitsgewinn
4 Gestörte Wahrnehmung und Bewertung von Körperempfindungen
(»interozeptiver Wahrnehmungsstil«, Interpretation normaler Empfin-
dungen als pathologisch), dysfunktionale Kognitionen (»Katastrophen-
denken«)
5 Somatosensorische Verstärkung: selektive Aufmerksamkeit auf
Körpervorgänge, verstärkte Wahrnehmung von Körpermissemp-
findungen und »katastrophisierende« Fehlinterpretation
13 4 Auslöser/»Trigger«: z. B. Muskelverspannungen, Krankheit, physiolo-
gische Erregung, schlechter Schlaf
4 Psychoanalytische Ansätze: Abwehr unannehmbarer Triebimpulse,
diese werden ins Körperliche umgesetzt (Konversionsmodell)

Epidemiologie
4 12-Monats-Prävalenz somatoformer Störungen in der deutschen Allge-
meinbevölkerung ca. 10%
4 Häufiges Vorkommen insbesondere in Allgemeinarztpraxen
4 Beginn meist im frühen Erwachsenenalter
4 Häufiger Frauen betroffen (ca. doppelt so hohes Risiko)

Klinik
Allgemeine Charakteristika somatoformer Störungen
4 Wiederholte Präsentation körperlicher Symptome oder Krankheitsbe-
fürchtung ohne hinreichend erklärendes organisches Korrelat
4 Fixierung auf eine organische Ursache der Beschwerden
5 Hartnäckige Forderung nach weiteren medizinischen Untersu-
chungen
13 · Somatoforme Störungen
155 13

5 Keine adäquate Entlastung durch Negativbefunde Eigene Notizen


5 Weigerung anzuerkennen, dass keine organische Ursache zugrunde
liegt
4 Häufiger Arztwechsel (»doctor shopping«), umfangreiche Krankenakte
4 Inadäquate Beschwerdeschilderung: theatralisch, klagsam oder mit
»belle indifférence« (relativer Mangel an Betroffenheit gegenüber Art
und Bedeutung des Symptoms)
4 Deutliche Beeinträchtigungen in verschiedenen Lebensbereichen
4 Bei ca. der Hälfte der Patienten chronischer Verlauf
4 Häufig Medikamentenmissbrauch, oft Komorbidität mit Angststörun-
gen und Depression
> Symptome sind nicht absichtlich erzeugt (Abgrenzung zu artifi-
ziellen Störungen; 7 Kap. 17) und nicht willentlich kontrollierbar.
Problem: Vielleicht sind Symptome nur mit den gegenwärtig
zur Verfügung stehenden Mitteln nicht objektivierbar.
Ebenfalls häufig Interferenz mit tatsächlichen, das klinische
Bild nicht vollständig erklärenden körperlichen Beschwerden.

Somatoforme Störungen im Einzelnen


Somatisierungsstörung
4 Polysymptomatisches Bild mit vielfältigen und wechselnden körper-
lichen Symptomen ohne hinreichend erklärendes organisches Korrelat
4 Symptome können sich auf jedes Körperteil oder -system beziehen, sind
jedoch keine typischen vegetativen Symptome
5 Typisch sind Symptome aus mehreren der folgenden Organkom-
plexe: gastrointestinal, kardiovaskulär, sexuelle, menstruelle und
urogenitale Beschwerden sowie abnorme Hautempfindungen
4 Langjährige Anamnese (mindestens 2 Jahre anhaltende Symptomatik)

Undifferenzierte Somatisierungsstörung
4 Nicht alle Kriterien der Somatisierungsstörung sind erfüllt (unvollstän-
diges Bild)

Somatoforme autonome Funktionsstörung


4 Vegetative Symptome, die vom Patienten einem bestimmten vegetativ
innervierten Organsystem zugeordnet werden, z. B. kardiovaskulär (frü-
her: »Herzneurose«), gastrointestinal (»Reizdarm«, »nervöser Durch-
fall«), respiratorisches System (z. B. psychogene Hyperventilation)

Anhaltende somatoforme Schmerzstörung


4 Im Vordergrund stehen Schmerzen über einen Zeitraum von minde-
stens 6 Monate ohne hinreichende organische Erklärung

Hypochondrische Störung
4 Objektiv unbegründete, anhaltende Besorgnis, an einer schweren kör-
perlichen Erkrankung zu leiden (z. B. AIDS, Krebs) oder anhaltende,
übertriebene Beschäftigung mit einem subjektiven Schönheitsmakel
156 Kapitel 13 · Somatoforme Störungen

Eigene Notizen (z. B. zu große Nase), was zu erheblichem Leidensdruck führt (dysmor-
phophobe Störung)
4 Persistenz über mindestens 6 Monate
4 Angst steht im Vordergrund, nicht die körperlichen Beschwerden an sich
4 Differenzialdiagnostisch abzugrenzen sind:
5 Hypochondrische Befürchtung: Beschwerden halten weniger als
6 Monate an
5 Hypochondrischer Wahn: Patienten können sich auch kurzfristig
nicht von ihrer Überzeugung distanzieren

Verwandte Syndrome
Neurasthenie (»Chronisches Erschöpfungssyndrom«)
4 Anhaltende Klagen über gesteigerte Ermüdbarkeit nach geistiger oder
körperlicher Betätigung (auch nach geringsten Anstrengungen)
4 Begleitende unspezifische Symptome wie Kopfschmerzen, Schwindel,
erhöhte Reizbarkeit, Schlafstörungen
4 Auftreten manchmal nach einer körperlichen Erkrankung (z. B. Virus-
infektion)

Fibromyalgie
4 Kontrovers diskutierte Erkrankung (somatisch vs. psychisch) mit nicht
erklärbaren Muskel- und Muskelansatzschmerzen, verminderter
Schmerzschwelle, Schwellungsgefühlen
4 Symptome stammbetont
4 Daneben unspezifische Veränderungen im Hypothalamus-Hypophy-
sen-Nebennierenrinden-System, im Histokompatibilitätsantigen- und
Zytokin-System
4 Häufiges Vorkommen mit depressiven Syndromen, Angstsyndromen
und Müdigkeit
13
Multiple chemical sensitivity
(multiple Chemikalienunverträglichkeit)
4 Vielgestaltige körperliche Symptomatik, die auf Umweltgifte attribuiert
wird
4 Kontrovers diskutierte Erkrankung

Burn-out-Syndrom
4 Erschöpfung, Hoffnungslosigkeit, Hilflosigkeit, oft depressive Verstim-
mung, Angst oder aggressive Impulse, körperliche Symptome wie Kopf-
schmerzen, Schlafstörungen, Herzbeschwerden, sexuelle Störungen,
manchmal Zynismus, Gleichgültigkeit und Pessimismus
4 Betroffene sind oft in helfenden, beratenden oder pflegenden Funk-
tionen für andere Menschen tätig (z. B. Lehrer)
4 Begriff entspricht nicht der ICD-10, sondern einem populärwissen-
schaftlichen Verständnis von Depression, Angst und Belastung
13 · Somatoforme Störungen
157 13
Diagnostik Eigene Notizen
4 Detaillierte Anamnese von Belastungsfaktoren, Funktionalität der Be-
schwerden, sekundärem Krankheitsgewinn
4 Sorgfältige körperliche Untersuchung zum Ausschluss organischer Ur-
sachen (rasche und klare diagnostische Abklärung und Vermeidung
unnötiger Untersuchungen zur Verhinderung weiterer Chronifizierung
und somatischer Fixierung)
4 Differenzialdiagnostisch sind außerdem folgende komorbide oder allei-
ne zutreffende Diagnosen abzugrenzen
5 Affektive Störungen
5 Schizophrenien
5 Angst- oder Belastungsstörungen
5 Artifizielle Störungen (körperliche Symptome durch Manipulation;
es lässt sich ein objektiver Befund erheben)
5 Dissoziative und Konversionsstörungen (v. a. »pseudoneurolo-
gische« Störungen)
5 Persönlichkeitsstörungen
5 Simulation

Therapie
4 Vertrauensvolle Arzt-Patienten-Beziehung in besonderer Weise wich-
tig
4 Im Vordergrund stehen verhaltenstherapeutische Maßnahmen
4 Zeitkontingente (nicht symptomkontingente) ärztliche Kontakte
4 Behutsame Vermittlung eines rationalen Krankheitskonzepts (Psycho-
edukation, Verhaltensexperimente, Symptomtagebücher, Biofeedback
zur Verdeutlichung psychophysiologischer Zusammenhänge) ohne die
Beschwerden abzuwerten
> Beschwerden des Patienten ernst nehmen und anhören!
4 Einüben von Entspannungsverfahren
4 Sport- und Bewegungstherapie, um inadäquates Schonverhalten abzu-
bauen
4 Reduktion der Aufmerksamkeit für Körpervorgänge und Förderung des
Interesses an der Umwelt (Freizeitbeschäftigungen und Hobbies för-
dern)
4 Reattribuierung der körperlichen Symptome durch Entwicklung von
Alternativerklärungen, Identifikation dysfunktionaler Annahmen und
kognitive Umstrukturierung
4 Ggf. berufsrehabilitative Maßnahmen
4 Bei chronischer Schmerzstörung ggf. Gabe von trizyklischen Anti-
depressiva in niedriger Dosierung
4 Anxiolytikum Opipramol (Reduktion von Angst und Depression bei
Patienten mit somatoformer Störung)
14
Tag 4 – Spezielle Krankheitsbilder II

14 Essstörungen
160 Kapitel 14 · Essstörungen

Eigene Notizen Definitionen


Störungen des Ess- oder Gewichtskontrollverhaltens, »zwanghafte« Be-
schäftigung mit dem Thema »Essen«.
4 Anorexia nervosa (Magersucht): Absichtlich selbstverursachter
Gewichtsverlust und Aufrechterhalten eines zu niedrigen Körper-
gewichts aus Angst, trotz Untergewichts zu dick zu sein
4 Bulimia nervosa (Ess-Brech-Sucht): Heißhungerattacken mit nach-
folgenden gegensteuernden Maßnahmen (Erbrechen, Laxanzien-
abusus, Fasten usw.)
4 Binge-Eating-Störung (Fressattacken): Periodische Heißhunger-
attacken ohne anschließende gegensteuernde Maßnahmen

Ätiologie
4 Multifaktorielle Genese
4 Genetische und neurobiologische Faktoren (Störungen bei der Regula-
tion von Hunger und Sättigung: eine Rolle spielen Regulationszentren
im Hypothalamus, periphere Regulationsmechanismen wie Signale aus
dem Gastrointestinaltrakt, bestimmte Neuropeptide und Neurotrans-
mitter wie Serotonin und Leptin)
4 Soziokulturelle und psychosoziale Faktoren wie Schlank sein als Schön-
heitsideal, ungünstige Familienverhältnisse (überbehütender Erzie-
hungsstil, Rigidität, hoher Leistungsanspruch), Lernerfahrungen; dys-
funktionale Kognitionen, Körperschemastörung
4 Prämorbide Persönlichkeit: ängstlich, wenig selbstbewusst, leistungs-
orientiert
4 Auslöser z. B. belastende Lebenssituationen
4 Psychoanalytische Ansätze: Ablehnung der eigenen Geschlechtsrolle;
Autonomie-Abhängigkeits-Konflikte; Essstörung als Versuch der Ver-
zögerung des Ablösungsprozesses vom Elternhaus bzw. als Versuch,
Autonomie und Kontrolle ohne offene Trennung zu erzielen
14 Epidemiologie
4 Anorexia nervosa: v. a. junge Frauen (durchschnittlicher Erkrankungs-
beginn um das 16. Lebensjahr) aus Mittel- und Oberschicht; Frauen zu
Männer ~12:1; Lebenszeitprävalenz für Frauen ca. 1%
4 Bulimia nervosa: v. a. Frauen zwischen 20. und 30. Lebensjahr; Frauen
zu Männer ~20:1; Lebenszeitprävalenz für Frauen ca. 1,5%
4 Binge-Eating-Störung: häufigste Essstörung, Lebenszeitprävalenz ca. 3,5%
(Frauen) bzw. 2% (Männer); kein Altersgipfel; Frauen zu Männer ~1,5:1
4 Hohe Mortalitätsrate bei Anorexie (5–20%) durch extreme Unterernäh-
rung, Elektrolytstörungen (Herzrhythmusstörungen) oder Suizid

Klinik
4 Gemeinsame zentrale Charakteristika von Anorexia nervosa und Buli-
mia nervosa
5 Gestörte Körperwahrnehmung (Körperschemastörung)
5 Ausgeprägte Angst vor Gewichtszunahme (»Gewichtsphobie«)
14 · Essstörungen
161 14

5 Restriktives Essverhalten Eigene Notizen


5 Übermäßige Beschäftigung mit den Themen Gewicht, Nahrungs-
aufnahme und Körperfigur
4 Weitere Kennzeichen
5 Selbstwertprobleme, Identitäts- und Autonomieprobleme
5 Ausgeprägte Leistungsorientierung
5 Interaktions- und Kommunikationsprobleme
5 Deprimiertheit, Schuldgefühle, Ängste
4 Komorbidität von Essstörungen insbesondere mit Depression, Angst-
und Zwangsstörungen sowie – v. a. bei Bulimie und bulimischer Unter-
form der Anorexie – mit Substanzabhängigkeit/-missbrauch und Per-
sönlichkeitsstörungen
> Störungen des Ess- und Gewichtskontrollverhaltens dürfen nicht
durch sekundäre Störungen bedingt sein.

Anorexia nervosa
4 BMI ≤17,5 oder Körpergewicht mindestens 15% unterhalb des erwar-
teten Normalgewichts
4 Selbst herbeigeführter Gewichtsverlust
5 Restriktiver Typus: Fasten ohne Auftreten von Essanfällen
5 Bulimischer Typus: Auftreten von Essanfällen und gegensteuernden
Maßnahmen (selbstinduziertes Erbrechen, Missbrauch von Laxan-
zien oder Diuretika)
4 Körperschemastörung: verzerrte Wahrnehmung der eigenen Figur
und des eigenen Gewichts (Selbstwahrnehmung als »zu fett«), verbun-
den mit der Angst – trotz objektivem Untergewicht – zu dick zu sein
4 Endokrine Störung (Störung der Hypothalamus-Hypophysen-Gona-
den-Achse: Amenorrhö bei Frauen, Libidoverlust bei Männern)
4 Verzögerung der Pubertät (bei Beginn der Erkrankung vor der Pubertät)
4 »Living in a food world«: ausgeprägtes Interesse an allem, was mit Essen
zusammenhängt, Horten von Nahrung, Bekochen Dritter, ritualisiertes
Essverhalten
4 Häufig Hyperaktivität/Extremsport
4 Sozialer Rückzug, Isolation wegen Heimlichkeit und Scham (»splendid
isolation«)
4 Körperliche Schwäche, mangelnde Leistungsfähigkeit
4 Geringe bis keine Krankheitseinsicht

Organische Komplikationen
4 Durch wiederholtes Erbrechen sowie Laxanzien- und Diuretikamiss-
brauch Störungen des Elektrolyt- und des Säure-Basen-Haushalts
5 Hypokaliämie ( ! Cave Lebensbedrohliche Herzrhythmusstörun-
gen, irreversible Nierenschädigung!), Hyponatriämie, Hypochlor-
ämie, Hypozinkämie
5 Metabolische Azidose infolge Laxanzienmissbrauchs, metabolische
Alkalose als Folge des Erbrechens
5 Muskelschwäche, Tetanie, Krampfanfälle
162 Kapitel 14 · Essstörungen

Eigene Notizen 4 Durch eingeschränkte Nahrungsaufnahme: »Starvationssyndrom«,


»Sparschaltung« des Organismus
5 Bradykardie, Hypotonie
5 Hypothermie
5 Periphere Zyanose
5 Ödeme
5 Lanugo-Behaarung
5 Hypercholesterinämie
5 Brüchige Haare und Nägel, Haarausfall, trockene, zum Teil marmo-
rierte Haut
5 Magen-Darm-Passageverlangsamung
5 »Pseudohirnatrophie« (Erweiterung der Liquorräume, Verminde-
rung weißer und grauer Substanz ohne tatsächliches Absterben von
Nervenzellen; meist reversibel bei Gewichtsnormalisierung)
5 Gestörte Glukosetoleranz
5 Osteoporose, Minderwuchs, verzögerte Pubertätsentwicklung (bei
Beginn vor Pubertät)
4 Störungen der endokrinen Achsen
5 Störung der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrindenachse
(Kortisol ↑)
5 Störung der Hypothalamus-Hypophysen-Gonaden-Achse (LH,
FSH, Östradiol ↓)
5 Störung der Hypothalamus-Hypophysen-Schilddrüsen-Achse
(»Low-T3-Syndrom«: Pseudo-Schilddrüsen-Funktionsstörung mit
erniedrigtem fT3, normalem TSH)
5 Somatotropes Hormon (STH) ↑
5 Leptin ↓
> Neben den bei Gewichtsrestitution meist reversiblen Symptomen
stellen Osteoporose und Wachstumsstörungen ernstzunehmende
Langzeitfolgen dar, insbesondere bei Anorexie mit präpuber-
tärem Beginn.
14
Bulimia nervosa
4 Andauernde Beschäftigung mit dem Essen, Heißhungerattacken mit
Kontrollverlust
5 Essanfälle i. d. R. alleine im Geheimen, nicht in Gesellschaft; starke
Schamgefühle nach Essanfällen
4 Gegensteuernde Maßnahmen (z. B. Erbrechen, Laxanzienabusus, Fas-
ten im Intervall)
5 »Purging«-Typus: Essanfälle und selbstinduziertes Erbrechen oder
Missbrauch von Laxanzien oder Diuretika; »Non-Purging«-Typus:
Essanfälle mit Fasten und extremer sportlicher Betätigung
5 Sehr gefährlich: »Insulin-Purging«: absichtliches Unterdosieren von
Insulin bei Diabetikerinnen, zum Zweck der Gewichtsreduktion
4 »Gewichtsphobie«
4 Patienten sind häufig normal- bis übergewichtig
14 · Essstörungen
163 14
Organische Komplikationen Eigene Notizen
4 Durch wiederholtes selbstinduziertes Erbrechen (charakteristisch bei
Bulimie)
5 Schmerzlose Vergrößerung der Parotis (mumpsartiges Aussehen)
mit Erhöhung der Serumamylase
5 Petechien nach Erbrechen, Perforation des Ösophagus, Ösophagitis,
Heiserkeit, retrosternaler Schmerz
5 Mundwinkelrhagaden und Ulzera der Mundschleimhaut, ausge-
prägte Karies und Schmelzdefekte der Zähne durch rezidivierenden
Kontakt mit Magensäure
5 Narben am Handrücken (Russell’s sign) durch wiederholtes manu-
elles Auslösen des Würgereflexes
4 Durch wiederholtes Erbrechen sowie Laxanzien- und Diuretikamiss-
brauch Störungen des Elektrolythaushalts- und des Säure-Basen-Haus-
halts mit Komplikationen wie bei Anorexie

Binge-Eating-Störung (Psychogene Hyperphagie)


4 Fressanfälle (»Binge-Eating«) mit Gefühl des Kontrollverlustes über
das Essen während der Episode; daran meist gekoppelt:
5 Schnelles, ungezügeltes Essen
5 Essen bis zum unangenehmen Völlegefühl
5 Essen ohne Hungergefühl
5 Heimliches Essen
4 Leidensdruck nach dem »Fressanfall« (z. B. Scham, Ekel)
4 Keine gegensteuernden Maßnahmen
4 Patienten sind i. d. R. übergewichtig

Diagnostik
4 Anamneseerhebung (v. a. Essverhalten, Heißhungerattacken, Gewichts-
veränderungen, gewichtsreduzierende Maßnahmen, Menarche, Mens-
truationszyklus, Libido, Leistungsverhalten, Krankheitseinsicht)
4 Schätzen des eigenen Körpergewichts (Körperschemastörung)
4 Körperliche Untersuchung (v. a. Inspektion, Labor, EKG)
5 Typischerweise veränderte Laborparameter können z. B. sein: Blut-
bildveränderung (Anämie, Thrombo-/Leukozytopenie; charakte-
ristisch bei Anorexie), Elektrolytentgleisungen, Lipidstoffwechsel-
veränderung
> Body-Mass-Index (Quetelet-Index) = BMI (kg/m²) = Körpergewicht
(kg)/[Körpergröße (m)]²
4 Gewichtsklassifikation bei Erwachsenen (altersabhängige Einordnung)
5 BMI <16: Kritisches Untergewicht
5 BMI 16–18,4: Untergewicht
5 BMI 18,5–24,9: Normalgewicht
5 BMI 25–29,9: Übergewicht
5 BMI 30–34,9: Adipositas Grad I
5 BMI 35–39,9: Adipositas Grad II
5 BMI ≥40: Adipositas Grad III (Adipositas permagna)
164 Kapitel 14 · Essstörungen

Eigene Notizen 4 Ggf. testpsychologische Zusatzdiagnostik mittels störungsspezifischer


Fragebögen
4 Differenzialdiagnostisch abzugrenzen:
5 Somatische Erkrankungen: insbesondere endokrine Erkrankungen
(z. B. Diabetes mellitus), gastrointestinale Erkrankungen (z. B.
Sprue, Colitis), infektiöse Erkrankungen (z. B. Tuberkulose), malig-
ne Erkrankungen
5 Psychische Erkrankungen: depressive Erkrankungen mit Appetit-
verlust, psychotische Erkrankungen mit ernährungsbezogenem
Wahn, Angst- oder Zwangsstörungen mit ernährungsbezogenen
Ängsten oder Zwängen

Therapie
> Grundsätzlich umfassenden Gesamtbehandlungsplan mit den
Elementen Psychotherapie inklusive Psychoedukation und Ernäh-
rungsberatung, Soziotherapie und ggf. Pharmakotherapie auf-
stellen!
Anorexia nervosa
4 In akuten Fällen: Gewichtsnormalisierung mittels Magensonde oder
parenteral (zu schnelle Gewichtszunahme vermeiden! Durchschnitt-
liche wöchentliche Gewichtszunahme von 500–1000 g wird empfohlen)
und stützende Gespräche
4 Anschließend v. a. kognitive Verhaltenstherapie (Therapie erster Wahl),
i. d. R. stationär beginnend, mit ambulanter Nachsorge
5 Möglichst strukturierte Therapie mit schriftlich vereinbarten (rea-
listischen!) Zielen der Gewichtszunahme
5 Wenn Selbstregulation nicht möglich: Einsatz von Verstärkern
(kontingenter Vertrag)
4 Darüberhinaus polyvalente Therapiestrategie
5 Körperwahrnehmungstraining
5 Ernährungstraining
14 5 Kommunikationstraining (lernen, Bedürfnisse über Nahrungs-un-
abhängige Modi zu steuern)
5 Familientherapie und -beratung
4 Ggf. vorhandene anhaltende depressive Verstimmung auch psycho-
pharmakologisch behandeln (v. a. selektive Serotoninwiederaufnahme-
hemmer)

Bulimia nervosa
4 In der Regel ambulante Psychotherapie (v. a. kognitive Verhaltensthera-
pie), ähnliche Module wie o. g.
4 Ggf. selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (Fluoxetin)

Binge-Eating-Störung
4 In der Regel ambulante Psychotherapie (v. a. kognitive Verhaltensthera-
pie, s. o.)
4 Multimodales Gewichtsmanagement: Bewegungstraining, Ernährungs-
beratung, mäßige Reduktionsdiät, Psychoedukation
15
Tag 4 – Spezielle Krankheitsbilder II

15 Schlafstörungen
166 Kapitel 15 · Schlafstörungen

Eigene Notizen Definitionen


Insomnien: Schlaflosigkeit; subjektives Missverhältnis zwischen Schlaf-
bedürfnis und -vermögen.
Hypersomnien: übermäßige Schläfrigkeit; gesteigertes Schlafbedürfnis
am Tage bis hin zu Schlafanfällen.
Schlafbezogene Atmungsstörungen: im Schlaf autretende zentrale
oder obstruktive Verschlechterung der Atmungsfunktion.
Schlafbezogene Bewegungsstörungen: Störung des Schlafes oder des
Einschlafens durch Körperbewegungen oder Bewegungsdrang.
Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus: Desynchronizität zwischen
individuellem Schlaf-Wach-Rhythmus und dem der Umgebung.
Parasomnien: unerwünschte Ereignisse während der Nacht (Schlafwan-
deln, Albträume, nächtliches Aufschrecken).

Ätiologie
4 Lern-/Konditionierungsprozesse, dysfunktionale Schlafgewohnheiten
und falsches/fehlendes Wissen über Schlafhygiene, Fokussierung der
Aufmerksamkeit auf Schlaf, kognitive Faktoren (z. B. Grübeln)
4 Stress/Belastungen, Umweltfaktoren (z. B. Lärm, Temperatur), Pro-
bleme des zirkadianen Rhythmus durch Schichtarbeit oder Jet-Lag
4 Psychische oder somatische Erkrankungen, Nebenwirkungen von Psy-
chopharmaka und anderen Medikamenten (dann keine primäre Schlaf-
störung mehr)
4 Zentrale Störung der Schlafregulation oder der Bewegungssteuerung
4 Periphere Störung der Ventilation
4 Insomnie: Hyperarousalkonzept (gesteigertes physiologisches Aktivie-
rungsniveau)

Epidemiologie
4 Mindestens 10% chronische, behandlungsbedürftige Schlafstörungen
in der deutschen Allgemeinbevölkerung (v. a. Frauen und ältere Men-
schen betroffen)

15 Klinik
Nichtorganische Insomnie
4 Ein- oder Durchschlafstörungen oder schlechte Schlafqualität min-
destens 3-mal/Woche mindestens 1 Monat lang
4 Gedankliche Beschäftigung mit dem Schlaf, ständige Sorge, nicht
schlafen zu können
4 Deutlicher Leidensdruck mit Beeinträchtigung der Alltagsaktivitäten

Nichtorganische Hypersomnie
4 Trotz ausreichender Schlafdauer exzessive Tagesschläfrigkeit, Schlaf-
anfälle während des Tages oder verlängerter Übergang zum vollen
Wachzustand mindestens 1 Monat lang oder in wiederkehrenden Perio-
den kürzerer Dauer
15 · Schlafstörungen
167 15

4 Erschöpfung und Beeinträchtigung der Alltagsaktivitäten Eigene Notizen


4 Abzugrenzen ist die Tagesmüdigkeit von anderen Störungen des Nacht-
schlafs
5 Schlafbezogene Atmungsstörungen (v. a. Schlaf-Apnoe)
5 Schlafbezogene Bewegungsstörungen (z. B. Restless-Legs-Syn-
drom)
5 Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus
4 Weiterhin differenzialdiagnostisch abzugrenzen ist Narkolepsie
5 Andauerndes Müdigkeitsgefühl und Einschlafattacken, Kataplexie
(erregungsbedingt auftretender plötzlicher Verlust des Muskeltonus,
z. B. bei Lachen oder Ärger), Schlaflähmung/-paralyse (kurzfristige
Bewegungslosigkeit nach dem Aufwachen), hypnagoge Halluzinatio-
nen (vor dem Einschlafen auftretende Wahrnehmungsstörungen)
5 Therapie der Narkolepsie: v. a. Modafinil, Psychostimulanzien
oder Natriumoxybat ( ! Cave Missbrauchs- und Abhängigkeits-
potenzial!)

Schlafbezogene Atmungsstörungen
4 3 große Gruppen:
5 Obstruktive Schlafapnoesyndrome
J Häufigste Form schlafbezogener Atmungsstörungen
J Schlafbedingte Erschlaffung der Muskulatur der oberen Atem-
wege → Obstruktion der Atemwege und Minderventilation →
Schnarchen und Atemaussetzer → konsekutive Minderung der
Schlafqualität und Tagesmüdigkeit → Blutdruckerhöhung, er-
höhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen
J Therapie der Wahl: nasale CPAP-Beatmung (continuous positive
airway pressure)
5 Zentrales Schlafapnoesyndrom
J Apnoephasen sind primär durch zentrale (Hirnstamm-)Regula-
tionsstörungen bedingt
J Gehäuft bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen und zerebralen Er-
krankungen; physiologisch in geringem Umfang während der
REM-Schlaf-Phasen
J Folgen sind ähnlich wie bei obstruktiver Apnoe
5 Zentral-alveoläre Hypoventilationssyndrome
J Langanhaltende Belüftungsstörung der Lunge (z. B. muskulär,
Thorax-Deformierung, Adipositas)

Schlafbezogene Bewegungsstörungen
4 Syndrom der ruhelosen Beine (Restless-Legs-Syndrom = RLS)
5 Quälende Missempfidnungen, besonders an den unteren Extremi-
täten
5 In Ruhe Bewegungsdrang, der bei Bewegung nachlässt → Störung
des Einschlafens
5 Behandlung primär durch DOPA-Präparate oder Dopamin-Ago-
nisten
168 Kapitel 15 · Schlafstörungen

Eigene Notizen 4 Periodische Bewegung der Extremitäten im Schlaf (Periodic Limb


Movement in Sleep = PLMS)
5 Vom Patienten direkt nicht bemerkte stereotype Bewegungen, v. a.
der unteren Extremitäten → wenig erholsamer Schlaf und Tages-
müdigkeit
5 Häufig in Kombination mit Apnoe-Syndromen
5 Behandlung primär durch DOPA-Präparate oder Dopamin-Ago-
nisten

Nichtorganische Störung des Schlaf-Wach-Rhythmus


4 Desynchronisation zwischen individuellem Schlaf-Wach-Rhythmus
und dem von der Umgebung vorgegebenen, für mindestens 1 Monat
oder in wiederkehrenden Perioden kürzerer Dauer
4 Erschöpfung und Beeinträchtigung der Alltagsaktivitäten

Parasomnien
4 Primär bei Kindern und Jugendlichen
4 Schlafwandeln (Somnambulismus): Verlassen des Bettes und Umher-
gehen bei schwerer Erweckbarkeit und häufig fehlender Erinnerung an
das Geschehen; i. d. R. im ersten Nachtdrittel auftretend
4 Nächtliches Aufschrecken (Pavor nocturnus): Erwachen aus dem
Schlaf mit Panikschreien, häufig massiver Angst, fehlender oder frag-
mentarischer Erinnerung an Trauminhalte; i. d. R. während des ersten
Drittels des Nachtschlafes auftretend
4 Albträume: Aufwachen mit lebhafter Erinnerung an Angstträume;
i. d. R. in der zweiten Nachthälfte auftretend

Diagnostik
4 Schlafbezogene Exploration (ggf. Schlaftagebücher, Schlaffragebögen)
5 Schlafdauer, Ein- oder Durchschlafstörungen, morgendliches Früh-
erwachen, Tagesmüdigkeit, Schlafanfälle
5 Schlafgewohnheiten, Umgebungsbedingungen
5 Probleme des zirkadianen Rhythmus, z. B. durch Schichtarbeit oder
Jetlag
15 5 Tagesbefindlichkeit, Leistungsfähigkeit
5 Berufliche und private Lebenssituation (Konflikte, Belastungen)
4 Medikamentenanamnese, allgemeinmedizinische (somatische Erkran-
kungen?) und psychiatrische Anamnese (fast alle psychischen Erkran-
kungen gehen mit Schlafstörungen einher!)
4 Körperliche Untersuchung

> Schlafstörungen treten sehr häufig auch als Symptom einer


anderen psychischen oder somatischen Erkrankung (z. B. in-
folge von Schmerzen) auf sowie beim Konsum bestimmter
Substanzen.

4 Polysomnographie (EEG, EOG, EMG) zur Erfassung des Schlafprofils


(zeitliche Abfolge der Schlafstadien)
15 · Schlafstörungen
169 15

5 5 Schlafstadien: Non-REM-Stadien (Stadien 1 und 2: Leichtschlaf; Eigene Notizen


Stadien 3 und 4: Tiefschlaf) und REM-Schlaf (paroadoxer Schlaf;
REM = Rapid Eye Movement)
5 Stadium 1: Übergang vom Wach- zum Schlafzustand, EEG: ver-
mehrt Theta-Aktivität (im Wachzustand dominieren Alpha- und
Beta-Aktivität)
5 Stadium 2: Hauptanteil an Gesamtschlafdauer, EEG: vorwiegend
Theta-Aktivität mit Vertexzacken, Schlafspindeln und K-Kom-
plexen
5 Stadium 3: hohe Weckschwelle, EEG: Theta- und Delta-Aktivität,
gelegentlich Schlafspindeln
5 Stadium 4: hohe Weckschwelle, EEG: hochamplitudige Delta-Wellen
5 REM-Schlaf (paradoxer/aktiver Schlaf): schnelle Augenbewe-
gungen, im Vergleich zu den anderen Schlafstadien gesteigerte
Herzaktivität, Atemtätigkeit und Hirndurchblutung, jedoch hohe
Weckschwelle; Erektion von Penis bzw. Anschwellung der Klitoris,
lebhafte Träume, Muskelatonie, EEG: v. a. Theta-Aktivität; Anteil
und Dauer im Verlauf der Nacht zunehmend
5 Dauer eines Schlafzyklus (Non-REM- und REM-Phase): 90–100
min; insgesamt 4–6 Schlafzyklen pro Nacht
4 Aktometrie: Aufzeichnung der Ruhe-Aktivitäts-Periodik mit einem
Handgelenksaktographen zur Diagnostik und Differenzialdiagnostik
von Schlaf-Wach-Rhythmus-Störungen
4 Multipler-Schlaflatenz-Test im Schlaflabor (Messung von Tagesschläf-
rigkeit durch wiederholte 20-minütige Polysomnographie während des
Tages in Abständen von 2 h in einem abgedunkelten Raum; der Patient
darf und soll dabei einschlafen; Erfassung von Einschlaflatenz und
REM-Schlafphasen)

Therapie
4 Schlafstörungen sind bei angemessener Therapie grundsätzlich gut the-
rapierbar
4 ! Cave Bei ungenügender Behandlung Gefahr der Chronifizierung
und Entwicklung oder Begünstigung anderer Erkrankungen wie Hyper-
tonie, KHK, substanzbedingte Störungen und andere psychische Er-
krankungen!
4 Schlafhygienische Maßnahmen (regelmäßiger Tag-Nacht-Rhythmus,
kein Mittagsschlaf, Koffein- und Nikotinkarenz, keinen/wenig Alkohol,
leichte Abendmahlzeiten, regelmäßig Sport, kühles, gelüftetes und ver-
dunkeltes Schlafzimmer, kein TV oder Radio im Schlafzimmer, ent-
spannende Abendgestaltung)
4 Chronotherapie (allmähliche Verschiebung der Schlafphasen bis zum
Erreichen der adäquaten Schlafzeit) oder Lichttherapie zu bestimmten
Tageszeiten bei Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus
4 Entspannungsverfahren, kognitiv-verhaltenstherapeutische Techniken
(z. B. paradoxe Intervention, Umstrukturierung des dysfunktionalen
Schlafdialogs oder Gedankenstopp zur Durchbrechung nächtlicher
Grübelketten)
170 Kapitel 15 · Schlafstörungen

Eigene Notizen 4 Ggf. medikamentöse Begleittherapie (zeitlich begrenzt)


5 Pflanzliche Präparate nur bei leichten Schlafstörungen
5 Moderne Non-Benzodiazepinhypnotika, z. B. Zaleplon, Zolpidem,
Zopiclon; ! Cave Abhängigkeitsentwicklung!
5 Sedierende Antidepressiva, z. B. Mirtazapin, Trimipramin
5 Niederpotente Antipsychotika, z. B. Pipamperon, Melperon, in
schweren Fällen Prothipendyl
5 Ggf. Melatoningabe am Abend bei Störungen des Schlaf-Wach-
Rhythmus bzw. Jetlag-assoziierten Schlafproblemen

15
16
Tag 4 – Spezielle Krankheitsbilder II

16 Sexualstörungen
172 Kapitel 16 · Sexualstörungen

Eigene Notizen Definition


Sexuelle Funktionsstörungen oder Abweichungen von der gesell-
schaftlich allgemein akzeptierten sexuellen Norm.

4 Einteilung in sexuelle Funktionsstörungen, Störungen der Geschlechts-


identität und Störungen der Sexualpräferenz

Ätiologie
4 Sexuelle Funktionsstörungen
5 Mögliche somatische Ursachen: Nebenwirkung von Medikamenten
(z. B. β-Blocker, Pille, Antidepressiva), vaskuläre, neurologische,
endokrinologische Erkrankungen wie z. B. Diabetes mellitus (z. B.
bei Erektionsstörungen) oder lokale anatomische oder dermatolo-
gische Anomalien/Krankheiten (z. B. bei Dyspareunie)
5 Mögliche psychische Faktoren: (beruflicher, privater) Stress/Belas-
tungen, Partnerschaftskonflikte, Versagensängste, elterliche Erzie-
hung, psychosexuelle Traumatisierung
4 Störungen der Geschlechtsidentität: Ätiologie weitgehend unbekannt
4 Störungen der Sexualpräferenz
5 Multifaktoriell bedingt, neurobiologische Ursachen wahrscheinlich
(z. B. Störungen auf der Hypophysen-Gonaden-Achse; unspezi-
fische zerebrale Beeinträchtigungen, Erkrankungen wie Epilepsie
oder M. Parkinson können die Störungen begünstigen)
5 Diskutiert werden auch: Störungen der Frühsozialisation (unsichere
Bindung an die Mutter, traumatische Erfahrungen); lerntheoretisch:
Fehlkonditionierung (klassische Konditionierung der sexuellen Er-
regung auf unangemessene Quellen, ggf. Verstärkung durch ope-
rante Konditionierung)
5 Frustrationen in der aktuellen Lebenssituation (z. B. in Partner-
schaft oder Beruf) als mögliche Auslöser

Epidemiologie
4 Sexuelle Funktionsstörungen sind die häufigsten Sexualstörungen
5 Bei der Frau v. a. sexuelle Appetenzstörungen, aber auch Orgasmus-
störungen und Schmerzen beim Geschlechtsverkehr
16 5 Beim Mann v. a. Ejaculatio praecox und Erektionsstörungen

Klinik
Sexuelle Funktionsstörungen
4 Störung der Appetenz oder einer der sexuellen Phasen
5 Appetenzstörungen: Mangel oder Verlust von sexuellem Verlangen
(»Alibidinie«), sexuelle Aversion
5 Störungen der sexuellen Erregung: Erektionsstörungen, Lubrika-
tionsstörungen
5 Störungen der Plateauphase: Sexuelle Erregung kann nicht auf-
recht erhalten werden
5 Orgasmusstörungen: Anorgasmie, Ejaculatio praecox/retarda
16 · Sexualstörungen
173 16

5 Störungen der Entspannungsphase: z. B. postorgastische Traurig- Eigene Notizen


keit, Gereiztheit
4 Störungen mit sexuell bedingten Schmerzen
5 Dyspareunie (syn. Algopareunie): Schmerzen beim Geschlechts-
verkehr
5 Vaginismus: Spasmus der die Vagina umgebenden Beckenboden-
muskulatur, der den Geschlechtsverkehr behindert oder unmöglich
macht

Störungen der Geschlechtsidentität


4 Transsexualismus
5 Andauernder Wunsch (Konvention: mindestens 2 Jahre), als Ange-
höriger des anderen biologischen Geschlechts zu leben und aner-
kannt zu werden
5 Wunsch nach entsprechender Hormonbehandlung und operativer
Geschlechtsumwandlung
5 Häufiger ist Mann-zu-Frau-Transsexualismus als Frau-zu-Mann-
Transsexualismus
4 Transvestitismus (unter Beibehaltung beider Geschlechtsrollen)
5 Tragen gegengeschlechtlicher Kleidung (ohne sexuelle Erregung),
um vorübergehend die Rolle des anderen Geschlechts anzunehmen
(kein Wunsch nach langfristiger Geschlechtsumwandlung)
5 Vorkommen fast nur bei Männern

Störungen der Sexualpräferenz (Paraphilien)


4 Charakteristika: Fixierung der sexuellen Ausrichtung auf ungewöhnliche
Objekte/Aktivitäten mit suchtähnlichem Charakter (Kontrollverlust)
4 Gelten als behandlungsbedürftig, wenn den wiederholt auftretenden,
intensiven sexuellen Impulsen und Fantasien entsprechende Hand-
lungen folgen oder der Betroffene sich durch die Impulse und Fantasien
deutlich beeinträchtigt fühlt (persönlich, beruflich oder sozial)
4 Fetischismus: Gebrauch bestimmter gegenständlicher Objekte als Sti-
muli für die sexuelle Erregung und zur sexuellen Befriedigung (Fetisch
als wichtigste Quelle sexueller Erregung oder unerlässlich für diese)
4 Fetischistischer Transvestitismus: Tragen von Kleidung des anderen
Geschlechts hauptsächlich zur Erreichung sexueller Erregung
4 Exhibitionismus: Neigung, das Genitale vor Fremden (meist gegen-
geschlechtlichen) in der Öffentlichkeit zu entblößen
4 Voyeurismus: Drang, anderen Personen bei sexuellen oder intimen
Aktivitäten zuzuschauen
4 Pädophilie: sexuelles Interesse und Befriedigung an Kindern
4 Sadomasochismus: Bevorzugung sexueller Aktivitäten mit Zufügung
oder Erleben von Schmerzen oder Demütigungen (Sadismus: »Quäl-
sucht«; Masochismus: Lust am Leiden)
4 Frotteurismus: sexuelle Erregung und Befriedigung durch engen Kör-
perkontakt (Berühren oder Sich-Reiben an anderen Menschen)
4 Sodomie: sexuelle Handlungen an Tieren
4 Nekrophilie: sexuelles Interesse und Befriedigung an Leichen
174 Kapitel 16 · Sexualstörungen

Eigene Notizen Diagnostik


4 Ausführliche Sexualanamnese im Rahmen einer psychiatrischen Ana-
mnese, Analyse der Partnerschaft
4 Ausführliche somatische Anamnese mit Medikamentenanamnese zum
Ausschluss von Pharmakanebenwirkungen
4 Körperliche Untersuchung zum Ausschluss primär organischer Ur-
sachen

Therapie
Sexuelle Funktionsstörungen
4 Psychotherapeutische Komponenten: Aufklärung, Beratung, übende
Verfahren und Paartherapie
5 PLISSIT-Modell als Interventionsmodell mit verschieden intensiven
Intervention (je nach Schwere der Störung)
J Permission: Gesprächsangebot (Angelbot, sexuelle Themen zu
besprechen)
J Limited Information: Übermittlung gezielter Informationen über
entsprechende sexuelle Störungen
J Specific Suggestions: spezifische Ratschläge/Anweisungen zur
Problemlösung
J Intensive Therapy: gezielte, intensive Therapie
5 Masters-Johnson-Therapie: klassische Sexualtherapie (als Paar-
therapie) nach verhaltenstherapeutischen Regeln; beinhaltet Abbau
von Leistungsängsten, vorübergehendes Koitusverbot, Training
sexueller Sensibilität und Erlebnisfähigkeit
4 Medikamentöse/Interventionelle Therapie
5 Bei Erektionsstörungen des Mannes: Phosphodiesterasehemmer
wie Sildenafil, Tadalafil oder Vardenafil, Schwellkörper(auto)injek-
tionstherapie (SKIT und SKAT), Vakuumtherapie oder Schwellkör-
perimplantate
5 Bei Hormondefizit-Situationen: Hormonsubstitution
( ! Cave Karzinomrisiko erhöht!)
> Kein alleiniger Einsatz von somatischen Therapieverfahren bei
psychisch (mit-)bedingten Sexualstörungen!

16 Störungen der Geschlechtsidentität


4 Transsexualismus: psychotherapeutische Betreuung und schrittweise
Anpassung an das andere Geschlecht durch Alltagstest (möglichst rea-
listische Erprobung der gegengeschlechtlichen Rolle durch eine Vorna-
mensänderung), mehrmonatige Hormonbehandlung und operative
Geschlechtsumwandlung
4 Transvestitismus: psychotherapeutische Betreuung nur bei Leidens-
druck
16 · Sexualstörungen
175 16
Störungen der Sexualpräferenz (Paraphilien) Eigene Notizen
4 Psychotherapeutisch oft schwer zu behandeln; spezifische verhaltens-
therapeutische Interventionen, z. B.
5 Verdeckte Sensibilisierung: paraphile Phantasien/Gedanken wer-
den mit unangenehmen Ereignissen verbunden
5 Stimuluskontrollmethoden: Auslösereize des paraphilen Verhaltens
erkennen und vermeiden lernen
5 Selbstkontrollmethoden: lernen, alternative Verhaltensweisen zu
entwickeln, die mit der paraphilen Handlung unvereinbar sind
4 Ggf. medikamentöse Behandlung zur Impuls- und Appetenzkontrolle,
z. B.
5 Einsatz von Antiandrogenen wie Cyproteronacetat oder LHRH-
Analoga zur Minderung sexueller Appetenz
17
Tag 4 – Spezielle Krankheitsbilder II

17 Persönlichkeitsstörungen
178 Kapitel 17 · Persönlichkeitsstörungen

Eigene Notizen Definition


Deutliche Abweichungen – im Verhältnis zu den soziokulturellen Vor-
gaben und Erwartungen – im Wahrnehmen, Fühlen, Denken, Verhalten
sowie in den Beziehungen zu anderen
4 über mehrere Funktionsbereiche (z. B. Affektivität, Kognition,
Impulskontrolle, soziale Beziehungen),
4 die zu dauerhaften auffälligen Verhaltensmustern
4 in vielen persönlichen und sozialen Bereichen führen
4 sowie zu erheblichem subjektivem Leiden bei den Patienten
oder im sozialen Umfeld.

Ätiologie
4 Allgemein Annahme eines Zusammenspiels genetischer Faktoren, prä-,
peri- und postnatal erworbener hirnorganischer Normabweichungen
sowie psychosozialer Faktoren
4 Ergebnisse zur Heredität (Zwillingsstudien) legen eine Varianzauf-
klärung von 40–50% im Durchschnitt der Persönlichkeitsstörungen
nahe
4 Hirnorganische Auffälligkeiten, z. B. weisen Bildgebungsuntersu-
chungen bei impulsiven Personen mit dissozialer Persönlichkeitsstö-
rung oder Borderline-Störung auf hirnstrukturelle und -funktionelle
Auffälligkeiten präfrontaler, temporaler sowie subkortikal-limbischer
Areale hin
> Neurobiologische Disposition führt nicht zwangsläufig zu einem
entsprechenden abweichenden sozialen Verhalten, sondern kann
durch Umweltfaktoren und Erziehungsstile weitgehend kompen-
siert werden.
4 Psychosoziale Faktoren, z. B.
5 Dissoziale Persönlichkeitsstörung: problematische frühe Bezie-
hungserfahrungen wie fehlende emotionale Wärme durch Bezugs-
personen, inkonsistente oder fehlende Erziehungsmaßnahmen
5 Emotional-instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ:
schwere Störung des Bindungsverhaltens durch problematische
frühe Beziehungserfahrungen, schwere Traumatisierungen in der
Kindheit wie Misshandlungen oder Verlusterlebnisse
4 Dysfunktionale Kognitionen, z. B. Borderline-Störung: dichotomes
17 Denken (»Schwarz-Weiß-Denken«)
4 Psychoanalytische Konzepte
5 Störung der psychosexuellen Entwicklung, der Entwicklung der Ich-
Funktionen und der Objektbeziehungen
5 Persönlichkeitsstörungen als Charakterneurosen durch Erwerb
eines stabilen Musters von Abwehrmechanismen; z. B. vorherr-
schende Abwehrtypen bei der Borderline-Störung: Projektion
(Wahrnehmung innerer Impulse als von außen kommend), Agieren
(Ausdrücken unbewusster Wünsche/Konflikte durch Handlungen,
z. B. durch impulsive oder autodestruktive Verhaltensweisen)
17 · Persönlichkeitsstörungen
179 17
Epidemiologie Eigene Notizen
4 Prävalenz: bis ca. 10% der deutschen Allgemeinbevölkerung, ca. 50%
unter den psychiatrischen Patienten
4 In Städten und niedrigen sozialen Schichten höhere Prävalenzrate als in
ländlichen Gebieten und höheren sozialen Schichten
4 Am häufigsten: ängstlich (vermeidende) Persönlichkeitsstörung

Klinik
4 Allgemeine Symptome
5 Unflexibel, wenig angepasst
5 Starres Denken: Schwarz-Weiß-Denken, Gut oder Böse, Entweder-
Oder, Alles oder Nichts
5 Gestörte Gefühlsreaktionen
5 Probleme in zwischenmenschlichen Beziehungen
4 Meist große Einschränkungen beruflicher und sozialer Leistungs-
fähigkeit
4 Erhebliches subjektives Leiden beim Patienten oder im sozialen Umfeld
(obligat für die Diagnose!)
4 Einteilung in 3 Cluster
5 Cluster A (sonderbar, exzentrisch): paranoide, schizoide sowie
schizotypische (schizotype) Persönlichkeitsstörung
5 Cluster B (emotional, dramatisch, launisch): emotional instabile,
dissoziale, histrionische und narzisstische Persönlichkeitsstörung
5 Cluster C (ängstlich, furchtsam): ängstliche, anankastische und ab-
hängige Persönlichkeitsstörung
4 Beginn immer schon im Kindes- oder Jugendalter, Manifestation auf
Dauer im Erwachsenenalter
4 Häufige Komorbidität mit anderen psychischen Erkrankungen (affek-
tiven Störungen, Angst- und Zwangserkrankungen, Essstörungen,
Suchterkrankungen, somatoformen Störungen, posttraumatischer Be-
lastungsstörung, Sexualstörungen)

Kennzeichen spezifischer Persönlichkeitsstörungen


Paranoide Persönlichkeitsstörung
4 Ausgeprägtes Misstrauen, starke Neigung, Erlebtes zu verdrehen oder
misszudeuten
4 Übertriebene Empfindlichkeit gegenüber Kritik
4 Hang zu fortwährendem Groll, wegen der Weigerung, Beleidigungen,
Verletzungen oder Missachtungen zu verzeihen
4 Streitsüchtiges und situationsunangemessenes Beharren auf eigenen
Rechten
4 Ständige Selbstbezogenheit, v. a. in Verbindung mit starker Überheb-
lichkeit

Schizoide Persönlichkeitsstörung
4 Einzelgängerisches Verhalten
4 Soziale Kontaktschwäche und eingeschränkte Erlebnis- und Ausdrucks-
fähigkeit, Verschlossenheit, emotionale Kälte
180 Kapitel 17 · Persönlichkeitsstörungen

Eigene Notizen 4 Scheinbare Gleichgültigkeit gegenüber Lob oder Kritik


4 Wenige oder überhaupt keine Tätigkeiten bereiten Vergnügen; nur ge-
ringes Interesse an Sexualität
4 Mangelhaftes Gespür für geltende soziale Normen und Konventionen

Schizotypische Persönlichkeitsstörung (schizotype Störung)


4 Im ICD-10 den schizophrenen und wahnhaften Störungen zugeordnet
4 Kalt und unnahbar erscheinender Affekt
4 Seltsames, exzentrisches oder eigentümliches Verhalten und Erschei-
nung
4 Mangel an zwischenmenschlichen Beziehungen
4 Seltsame Glaubensinhalte, magisches Denken, Misstrauen oder para-
noide Ideen, Beziehungsideen
4 Gelegentlich Körpergefühlsstörungen und Depersonalisations- oder
Derealisationserleben oder andere ungewöhnliche Wahrnehmungser-
lebnisse bzw. quasipsychotische Episoden
4 Zwanghaftes Grübeln ohne inneren Widerstand, oft mit dysmorpho-
phoben (Entstellungsfurcht), sexuellen oder aggressiven Inhalten
4 Seltsame Denk- und Sprechweise (vage, umständlich, metaphorisch,
gekünstelt und oft stereotyp)

Dissoziale (antisoziale) Persönlichkeitsstörung


4 Mangel an Empathie, »Gefühlskälte«
4 Missachtung sozialer Regeln und Normen
4 Fehlendes Verantwortungsbewusstsein
4 Geringe Frustrationstoleranz; niedrige Schwelle für aggressives, auch
gewalttätiges Verhalten
4 Anhaltende Reizbarkeit
4 Unfähigkeit zum Erleben von Schuldbewusstsein oder zum Lernen aus
Erfahrung, besonders aus Bestrafung
4 Neigung, andere zu beschuldigen oder vordergründige Rationalisie-
rungen für das Verhalten anzubieten
4 Häufig oberflächlicher Charme
4 Unfähigkeit zur Aufrechterhaltung dauerhafter Beziehungen (jedoch
keine Schwierigkeit, sie einzugehen)
4 Häufig Komorbidität mit Substanzmissbrauch
4 Macht sich meist schon im Kindes- und Jugendalter bemerkbar durch
Missachtung von Regeln und Normen (z. B. Schuleschwänzen, Weglau-
17 fen, Stehlen, Lügen, Vandalismus)
> Die Diagnose ist erst bei Personen ab 18 Jahren zu stellen.
Vor dem 15. Lebensjahr ist eine Störung des Sozialverhaltens
diagnostisch bedeutsam.
4 Soziopathie (im englischen Sprachraum Psychopathie): zentraler Be-
griff der Forensischen Psychiatrie zur Beschreibung einer schweren
Form der dissozialen Persönlichkeitsstörung
5 Störungen im zwischenmenschlichen Bereich (z. B. manipulativ,
betrügerisch)
17 · Persönlichkeitsstörungen
181 17

5 Störungen im affektiven Bereich (z. B. Mangel an Empathie, Schuld, Eigene Notizen


Reue)
5 Antisoziales Verhalten und Impulsivität
> Die dissoziale Persönlichkeitsstörung kommt häufig unter Ge-
fängnisinsassen vor. Kriminalität ist jedoch keine notwendige
Voraussetzung für die Diagnose; es gibt auch sozial angepasste,
beruflich erfolgreiche Personen mit dissozialer Persönlichkeits-
störung.

Emotional instabile Persönlichkeitsstörung


4 Launenhaftigkeit
4 Ausagieren von Impulsen ohne Berücksichtigung ihrer Konsequenzen
4 Häufig Komorbiditäten mit anderen psychischen Erkrankungen
4 Impulsiver Typ: emotionale Instabilität und mangelnde Impulskon-
trolle, Ausbrüche von gewalttätigem und bedrohlichem Verhalten, v. a.
bei Kritik durch andere
4 Borderline-Typ: Instabilität hinsichtlich des eigenen Selbstbilds, zwi-
schenmenschlicher Beziehungen und der Stimmung
5 Gestörte Affektregulation mit sprunghaft wechselnden Emotionen,
aggressiven Durchbrüchen oder Suizidalität
5 Schwierigkeiten, Emotionen wahrzunehmen und zu benennen
5 Abrupter Wechsel in der Bewertung der Beziehungspartner (dicho-
tomes Denken)
5 Schneller Wechsel von Lebenszielen und Wertvorstellungen
5 Unfähigkeit, langfristige Ziele aufrecht zu erhalten beim Ausbleiben
kurzfristiger Erfolge
5 Instabile, aber intensive zwischenmenschliche Beziehungen
5 Massive Angst vor dem Verlassenwerden
5 Hohe Sensitivität für Vorzeichen eines Beziehungsendes und ag-
gressive, aktive Beendigung einer Beziehung bei drohendem Bezie-
hungsende
5 Dauerhaftes Gefühl innerer Leere und Sinnlosigkeit
5 Selbstabwertungen
5 Teilweise trance-ähnliche Bewusstseinsveränderungen, ggf. Hören
innerer Stimmen, ggf. Episoden mit Amnesie und Fugue (=plötz-
liches Weggehen von der gewohnten Umgebung, verbunden mit der
Unfähigkeit, sich an die frühere Identität zu erinnern)
5 Starke innere Spannung, der Betroffene meist nur durch Selbstver-
letzungen (»Ritzen«) begegnen können
5 Funktionen der impulsiven Verhaltensweisen: Spannungsabbau,
Ablenkung von unangenehmen Gedankeninhalten, Erzeugung
eines Gefühls von Kontrolle oder Überlegenheit
5 Oft Suchtentwicklung (häufig Polytoxikomanie)
182 Kapitel 17 · Persönlichkeitsstörungen

Eigene Notizen Histrionische Persönlichkeitsstörung


4 Theatralisches, dramatisierendes Verhalten, übertriebener Ausdruck
von Gefühlen
4 Oberflächliche und labile Affektivität
4 Übermäßiges Verlangen nach Aufmerksamkeit, Bedürfnis, im Mittel-
punkt zu stehen
4 Unangemessen verführerisch in Erscheinung und Verhalten
4 Sprunghaftigkeit, Ungenauigkeit und Unschärfe im Denken und der
Sprache (impressionistischer Denk-/Sprachstil)

Anankastische (zwanghafte) Persönlichkeitsstörung


4 Übermäßige Gewissenhaftigkeit, Zweifel und Vorsicht
4 Ständige Beschäftigung mit Details, Regeln, Ordnung, Plänen, Listen,
Organisation
4 Perfektionismus, der die Fertigstellung von Aufgaben behindert
4 Unverhältnismäßige Leistungsbezogenheit unter Vernachlässigung von
Vergnügen und zwischenmenschlichen Beziehungen
4 Rigidität und Eigensinn, fehlende Bereitschaft zur Kooperation
4 Extreme Sparsamkeit bis hin zu ausgeprägtem Geiz

Ängstliche (vermeidende) Persönlichkeitsstörung


4 Andauernde und umfassende Gefühle von Unsicherheit, Anspannung,
Besorgtheit und Minderwertigkeit
4 Überempfindlichkeit gegenüber Kritik und Zurückweisung
4 Eingehen persönlicher Kontakte nur, wenn die Sicherheit besteht, ge-
mocht zu werden
4 Vermeidung beruflicher oder sozialer Aktivitäten, die mit intensivem
zwischenmenschlichem Kontakt verbunden sind, aus Furcht vor Kritik,
Missbilligung oder Ablehnung

Abhängige (asthenische) Persönlichkeitsstörung


4 Unterwürfiges und anklammerndes Verhalten
4 Mangelnde Selbstständigkeit, Überlassung der Verantwortung für wich-
tige Bereiche des eigenen Lebens an andere
4 Ausgeprägte Ängste vorm Verlassenwerden und Alleinsein
4 Eingeschränkte Fähigkeit, Alltagsentscheidungen zu treffen ohne ein
hohes Maß an Ratschlägen und Bestätigung von anderen

Narzisstische Persönlichkeitsstörung
17 4 Großartigkeit und Einzigartigkeit in Phantasie und Verhalten bei gleich-
zeitig erhöhter Kränkbarkeit
4 Überschätzung der Wichtigkeit der eigenen Person (als Kompensation
eines brüchigen Selbstwertgefühls)
4 Verzweifeltes Bemühen um Anerkennung und Bewunderung; sehr
funktionales Verhältnis zu Bezugspersonen (Spannung zwischen Auf-
und Abwertung)
4 Mangel an Empathie, häufig überhebliche Verhaltensformen
17 · Persönlichkeitsstörungen
183 17
Sonstige Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen Eigene Notizen
Entwicklung körperlicher Symptome aus psychischen Gründen
4 Körperliche Beschwerden mit gesicherter somatischer Ursache halten
aufgrund des psychischen Zustands des Betroffenen länger an oder
werden übertrieben dargeboten (obsolete Begriffe: Renten-/Begehrens-
neurose, Unfallneurose)

Artifizielle Störungen
4 Wiederholtes Vortäuschen oder Erzeugen körperlicher oder psychischer
Symptome
4 Wiederholtes Drängen auf Untersuchungen und medizinische Behand-
lungen
4 Im Vordergrund steht häufig sekundärer Krankheitsgewinn
4 Z. B. Münchhausen-Syndrom: Vortäuschen körperlicher Symptome
durch absichtliche Selbstschädigung, mit phantastischer Ausgestaltung
der Biografie und »Krankenhauswandern«

> Münchhausen-Syndrom ist nicht gleichzusetzen mit Simulation.


Münchhausen-Syndrom beruht auf unbewussten Motiven
(unbewusster Wunsch nach Zuwendung und Anerkennung).
Simulation: Motivation für die Täuschung ist bewusst.

4 »Erweiterte« Form: Münchhausen-Stellvertretersyndrom (Münchhau-


sen-by-proxy-Syndrom): Vortäuschen einer Erkrankung bei einer an-
deren Person (z. B. Eltern bei ihren Kindern; oberflächlich demonstrie-
ren diese Eltern große Besorgnis und fordern oft wiederholt die Durch-
führung weiterer Untersuchungen ein)

Diagnostik
4 Ausschluss organischer und Suchterkrankungen (körperliche Untersu-
chung, Labordiagnostik einschließlich Drogenscreening, bildgebende
Verfahren)
4 Auffälligkeiten in der Kindheit? Situationsgebundenes oder -unabhän-
giges Verhalten? Bedeutsamer Leidensdruck beim Betroffenen oder des
sozialen Umfelds? (Eigen- und Fremdanamnese!)
4 Testpsychologische Persönlichkeitsdiagnostik
5 Strukturierte Interviews: z. B. Strukturiertes Klinisches Interview
für DSM-IV, Achse II (SKID-II) oder International Personality Dis-
order Examination (IPDE)
5 Fragebögen zur Selbsteinschätzung: z. B. Minnesota Multiphasic
Personality Inventory (MMPI), Freiburger Persönlichkeitsinventar
(FPI-R)
5 Störungsspezifische Instrumente: z. B. Borderline-Persönlichkeits-
Inventar (BPI), revidierte Psychopathie-Checkliste (PCL-R)
5 Kontinuierliche Übergänge von adaptiven Persönlichkeiten über
Persönlichkeitsakzentuierungen bis hin zu Persönlichkeitsstörun-
gen, nur unzureichende Abbildung der Persönlichkeit in Form
kategorialer Unterschiede
184 Kapitel 17 · Persönlichkeitsstörungen

Eigene Notizen 5 Dimensionale Diagnostik von Persönlichkeit


J Persönlichkeitsdimensionen (Big Five): Neurotizismus vs. emo-
tionale Stabilität, Extraversion vs. Introversion, Verträglichkeit vs.
Antagonismus (Aggressivität), Gewissenhaftigkeit vs. Desorgani-
siertheit, Offenheit für neue Erfahrungen vs. Konventionalität
J Erfassung anhand multidimensionaler Selbstbeurteilungsinstru-
mente, z. B. Eysenck-Persönlichkeitsinventar (EPI), NEO-Five-
Factor Inventory (NEO-FFI)
4 Diagnose nur nach Verlaufsbeobachtung: keine einmalige diagnostische
Erhebung

Therapie
4 Schwierig und langwierig aufgrund tief verwurzelter und seit früher
Jugend bestehender Verhaltensmuster und Ich-syntonem Erleben der
»störenden« Verhaltensmuster
4 Andauerndes Erkrankungsbild, aber spezifische Behandlungen können
durchaus erfolgreich sein
4 Wichtig: Schaffen einer vertrauensvollen, verlässlichen therapeutischen
Beziehung mit eindeutigen Vereinbarungen
4 Zentrales Element: Schließen eines Behandlungsvertrages mit festge-
legten Therapiebedingungen und anschließendem konsequentem Vor-
gehen
4 Psychotherapeutische Interventionen
5 Techniken zur Verbesserung der Eigenwahrnehmung (Gefühle und
Bedürfnisse) und sozialen Wahrnehmung
5 Maßnahmen zum Erlernen von Verantwortungsübernahme für das
eigene Verhalten
5 Training sozialer Kompetenzen und von Selbstsicherheit
5 Aufbau adäquater Verhaltensweisen mittels operanter Techniken
5 Kognitive Verhaltenstherapie
5 Evtl. Entspannungsverfahren als »Einstieg«, zur Erleichterung wei-
terer therapeutischer Interventionen
4 Störungsspezifische Therapiekonzepte, Beispiel Borderline-Persön-
lichkeitsstörung:
5 Dialektisch-behaviorale Therapie (DBT) nach M.M. Linehan
J Integriert Elemente aus der kognitiven Verhaltenstherapie, der
Gestalttherapie (humanistisches Therapieverfahren), der Hypno-
therapie und aus dem ZEN
17 J Kombination von Einzeltherapie, Fertigkeitentraining in der
Gruppe, Telefonkontakt im Notfall und Supervision
5 Schematherapie nach J.E.Young
J Entstand in Anlehnung an kognitive Therapieelemente, emo-
tionsfokussierte und psychodynamische Vorstellungen
J Annahme: Primär ursächlich für Persönlichkeitsstörungen sind
dem Bewusstsein schwer zugängliche Schemata, die infolge un-
günstiger Kindheitserlebnisse entstanden sind
17 · Persönlichkeitsstörungen
185 17

5 Übertragungsfokussierte Psychotherapie nach O. F. Kernberg Eigene Notizen


J Tiefenpsychologisch fundiertes Therapieverfahren
J Fokussiert auf Objektbeziehungen und Übertragung
4 Psychopharmakotherapie (untergeordnete Rolle)
5 Primär zur Behandlung der häufigen Komorbidität mit affektiven
und anderen psychischen Erkrankungen
5 ! Cave Vorsicht beim Einsatz von Benzodiazepinen → erhöhtes
Risiko für Benzodiazepinmissbrauch!
5 Einsatz von Psychopharmaka zur Reduktion der Symptomatik bei
J Emotionaler Instabilität, Impulsivität, Ängstlichkeit, depressiver
oder zwanghafter Symptomatik → z. B. selektive Serotonin-Wie-
deraufnahmehemmer (SSRI)
J Psychoseähnlichen Symptomen → z. B. atypische Antipsychotika
J Impulsivität → z. B. SSRI, Lithium, Valproinsäure, Carbamazepin
oder niedrigpotente Antipsychotika
4 Umso bessere Prognose, je eher die Betroffenen bereit sind, störende
Eigenschaften als Ich-dyston zu erleben
18
Tag 4 – Spezielle Krankheitsbilder II

18 Abnorme Gewohnheiten und


Störungen der Impulskontrolle
188 Kapitel 18 · Abnorme Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle

Eigene Notizen Definition


Charakteristika
4 Sich wiederholende unangepasste Handlungen ohne vernünftige
Motivation
4 Schädigung der Interessen des Betroffenen oder anderer Menschen
durch diese Handlungen
4 Spontan oder reizassoziiert auftretende Handlungsimpulse, die so
lange an Intensität zunehmen, bis sie nicht mehr kontrolliert wer-
den können

Ätiologie
4 Persönlichkeitsfaktoren wie z. B. Impulsivität oder sog. »sensation see-
king« (Reize suchen, um Langeweile zu vermeiden)
4 Lernprozesse
4 Neurobiologische Faktoren (verminderte Aktivität des serotonergen
sowie dopaminergen Systems, Funktionsstörung frontaler Hirnregio-
nen, verstärktes Ansprechen des Belohnungssystems)

Epidemiologie
4 Für viele dieser Störungen keine validen Angaben zur Epidemiologie
4 Pathologisches Spielen derzeit wahrscheinlich die häufigste Impuls-
kontrollstörung (ca. 2% der Allgemeinbevölkerung)
4 Beginn liegt meist in der Adoleszenz, ausgenommen Trichotillomanie,
die auch schon im Kindesalter auftreten kann
Klinik
4 Allgemeine Symptome
5 Fehlende Kontrolle über die Handlungsimpulse
5 Wachsende Anspannung und Erregung vor der Handlung, Erleich-
terung, Euphorie oder Lustempfinden während und häufig sofort
nach der Handlung
5 Wiederholtes Auftreten trotz negativer psychosozialer Folgen
5 Handlung hat keinen objektivierbaren Nutzen oder wird nicht des-
wegen durchgeführt
5 Meist Bewusstsein von der Sinnlosigkeit und Unrichtigkeit der
Handlungen sowie Erleben der Handlungen als wesensfremd
> Ähnlichkeiten bestehen v. a. zu Zwangserkrankungen; im Unter-
schied zu diesen erleben Betroffene mit Impulskontrollstörungen
aber i. d. R. angenehme Gefühle während der Handlung.

18 Spezifische Impulskontrollstörungen
4 Pathologisches Spielen: Unfähigkeit, dem Drang zum wiederholten
Glücksspiel zu widerstehen; Stimulierung wird gesucht, weniger der
Geldgewinn an sich
4 Pathologische Brandstiftung (Pyromanie): unwiderstehlicher Drang,
Feuer zu legen und großes Interesse an der Beobachtung von Bränden
sowie Faszination an allem, was mit Feuer und Bränden in Beziehung
18 · Abnorme Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle
189 18

steht; häufig Indifferenz gegenüber möglichen Personen- oder Sach- Eigene Notizen
schäden
4 Pathologisches Stehlen (Kleptomanie): wiederholter Drang, Dieb-
stähle zu begehen, ohne dass die gestohlenen Gegenstände dazu dienen,
sich oder andere daran zu bereichern; Bewusstsein über das Verboten-
sein der Taten, daher häufig Schuldgefühle oder depressive Verstim-
mungen nach der Tat
4 Trichotillomanie: Unvermögen, dem Drang zu widerstehen, sich Haare
auszureißen mit der Folge sichtbaren Haarverlusts; jede Körperregion
kann betroffen sein, am häufigsten betroffen sind Kopf und Augen-
region; gelegentlich werden anschließend Haarwurzeln untersucht oder
Haare verschluckt (Trichophagie)
4 Kaufsucht: unwiderstehlicher Drang, Gegenstände zu kaufen (diese
sind für sich genommen nützlich, von der Menge her aber übertrieben
und die Käufe damit sinnlos)
4 Pathologischer Internet-/Mobiltelefon-Gebrauch: unwiderstehliches
Verlangen nach Internet-/Mobiltelefonnutzung, exzessiver Internet-/
Mobiltelefon-Gebrauch über eine längere Zeitspanne als beabsichtigt
mit resultierenden psychosozialen Komplikationen
4 Störung mit intermittierend auftretender Reizbarkeit: wiederholte Epi-
soden, in denen aggressiven Impulsen nicht widerstanden werden kann
und die in Angriffen gegen Personen oder Sachbeschädigung enden

Diagnostik
4 Eigen- und Fremdanamnese
4 Ausschluss organischer Erkrankungen (körperliche Untersuchung, Labor-
diagnostik einschließlich Drogenscreening sowie bildgebende Verfahren)
4 Persönlichkeitsdiagnostik mittels psychometrischer Verfahren
(7 Kap. 2.3.5, 7 Kap. 17)
4 Differenzialdiagnostisch abzugrenzen sind v. a.
5 Suchterkrankungen
5 Zwangserkrankungen
5 Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS)

Therapie
4 Psycho- und Soziotherapie
5 Vor allem kognitiv-verhaltenstherapeutische Interventionen: Erler-
nen von Stimuluskontrolle, Expositionsverfahren, systematische De-
sensibilisierung, kognitive Umstrukturierung und Aufbau von Alter-
nativverhalten; Stressbewältigungstraining, soziales Kompetenz-
training, Training zur Verbesserung des Problemlöseverhaltens
5 Anschluss an eine Selbsthilfegruppe
5 Soziotherapeutische Maßnahmen (z. B. bei pathologischem Spielen
Einbeziehen und Zusammenarbeit mit Angehörigen und Institu-
tionen wie Banken, Spielstätten, Schuldnerberatung)
4 Psychopharmakotherapie: Unterstützend insbesondere (selektive) Sero-
tonin-Wiederaufnahmehemmer oder das trizyklische Antidepressivum
Clomipramin
19
Tag 4 – Spezielle Krankheitsbilder II

19 Missbrauch und Abhängigkeit


192 Kapitel 19 · Missbrauch und Abhängigkeit

Eigene Notizen Definition


Missbrauch/schädlicher Gebrauch: Konsum psychotroper Substanzen,
der bereits zu konkreten körperlichen oder psychischen Schäden beim
Konsumenten geführt hat. Kriterien für Abhängigkeit werden nicht er-
füllt.
Abhängigkeit: Dringendes Verlangen oder unbezwingbares Bedürfnis,
sich eine psychotrope Substanz fortgesetzt oder periodisch zuzuführen,
dabei kommt es meist zum Kontrollverlust bezüglich des Konsums sowie
zu einer stoffbezogenen Ausrichtung des Verhaltens mit Störungen im
normalen psychosozialen Gefüge. Bei etlichen Substanzen kann es über
psychische Faktoren hinaus zu einer körperlichen Abhängigkeit kommen.
4 Körperliche Abhängigkeit: Zwanghaftes Verlangen nach der Subs-
tanz mit Auftreten von Entzugssymptomatik nach Absetzen einer
Substanz und Tendenz zur Dosissteigerung aufgrund von Toleranz-
entwicklung (= Abnahme der Substanzwirkung bei wiederholtem
Konsum)

4 Im Rahmen von Suchterkrankungen können vorkommen (Auftreten


hängt von den Eigenschaften der Substanzen ab und variiert zum Teil
sehr stark zwischen den Substanzklassen)
5 Akute Intoxikation
5 Missbrauch/schädlicher Gebrauch
5 Abhängigkeit
5 Entzugssyndrom mit/ohne Delir
5 Psychotische oder andere psychische oder Verhaltensstörungen
5 Amnestisches Syndrom

Ätiologie
4 Multifaktorielle Genese
4 Interaktion von
5 Individuellen Faktoren
J Genetische Disposition: für alle Substanzgruppen, aber v. a. für
Alkoholabhängigkeit gut belegt (genetischer Faktor eher Subs-
tanzklassen-unabhängiger Risikofaktor für eine Abhängigkeitser-
krankung; es gibt aber auch Hinweise auf Substanz-spezifische
Effekte)
J Persönlichkeitsmerkmale/-struktur: Selbstwertproblematik, ab-
hängige oder ängstliche Strukturen sind abhängigkeitsfördernd,
aber auch geringe Frustrationstoleranz, dissoziale oder emotional
instabile Persönlichkeitsstörung als Prädiktor für Alkohol- und
sonstige Drogenabhängigkeit; Regression und Fixierung auf orale
Entwicklungsstufe (nach psychoanalytischer Auffassung)
19 J Lernerfahrungen; kritische, stressreiche Lebensereignisse
J Chronische Schmerzen, Schlafstörungen
5 Sozialen Faktoren (beeinflussen v. a. Erstkonsum): z. B. Verhalten
Gleichaltriger, gesetzliche Regelungen, kulturelle Einflüsse
19 · Missbrauch und Abhängigkeit
193 19

> Abhängigkeitserkrankungen treten in allen sozialen Schichten in Eigene Notizen


vergleichbarem Maße auf, allerdings gibt es für die Art der konsu-
mierten Substanzen schichtspezifische Häufungen!

5 Substanzspezifischen Faktoren: Verfügbarkeit, Kosten, Wirkung,


soziokultureller Status der Substanz
4 Wirkung von Suchtstoffen auf das mesolimbische Belohnungssystem
(zentrale Struktur: Ncl. accumbens) direkt oder indirekt v. a. über eine
Steigerung dopaminerger Aktivität im Belohnungssystem (aber auch
andere Transmitter beteiligt) → Lernen durch »Belohnung« → Ausbil-
dung eines »Suchtgedächtnisses«

Epidemiologie
4 Alkohol
5 Riskanten Konsum betreiben ca. 10 Mio. Menschen in Deutschland
(= Kriterien für Missbrauch oder Abhängigkeit nicht erfüllt, Subs-
tanz wird aber übermäßig konsumiert: tägl. Konsum von >30 g
reinen Alkohols bei Männern – entspricht ca. 0,75 l Bier oder 3/8 l
Wein – bzw. >20 g reinen Alkohols bei Frauen – entspricht ca. 0,5 l
Bier oder 1/4 l Wein)
5 Missbrauch ca. 3 Mio. Menschen in Deutschland
5 Abhängigkeit ca. 2 Mio. Menschen in Deutschland (entspricht
ca. 3% der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland; ca. 5% der
Männer und ca. 2% der Frauen)
4 Tabak/Nikotin
5 Nahezu 20 Mio. Raucher in Deutschland, wovon nach ICD-10 Kri-
terien 70–80% als abhängig einzuschätzen sind
4 Arzneimittel
5 Abhängigkeit ca. 1,4 Mio. Menschen in Deutschland, davon
ca. 1 Mio. benzodiazepinabhängig
4 Cannabis
5 Abhängigkeit ca. 240.000 Menschen in Deutschland
4 Sonstige illegale Drogen
5 Abhängigkeit ca. 175.000 Menschen in Deutschland
4 Polytoxikomanie (Mehrfachabhängigkeit, wobei die Substanzaufnahme
variabel verläuft) ca. 20% aller Abhängigkeiten

Klinik
4 Diagnostische Kriterien der Substanzabhängigkeit (nach ICD-10): In-
nerhalb eines Jahres müssen gleichzeitig mindestens 3 der folgenden
Kriterien erfüllt sein:
1. Körperliche Entzugssymptome bei Beendigung oder Reduktion des
Konsums (Symptome sind hierbei oft entgegengesetzt zur akuten
Substanzwirkung)
2. Toleranzentwicklung gegenüber den Substanzeffekten, so dass
zunehmend höhere Dosen konsumiert werden müssen, um er-
wünschten Effekt herbeizuführen
3. Starker Wunsch oder Art Zwang, die Substanz zu konsumieren
194 Kapitel 19 · Missbrauch und Abhängigkeit

Eigene Notizen 4. Verminderte Kontrolle über Beginn, Beendigung oder Menge des
Konsums
5. Einschränkung/Vernachlässigung wichtiger anderer Aktivitäten
6. Fortsetzung des Substanzkonsums trotz nachweislicher Schädigung
(z. B. drogeninduzierte Psychose, Hepatitis)

Kriterien 1 und 2 beschreiben Anzeichen körperlicher Abhängigkeit, die


anderen Kriterien Anzeichen psychischer Abhängigkeit

Abhängigkeit und Toleranz* bei verschiedenen Substanztypen

Substanz Körperliche Psychische Toleranz


Abhängigkeit Abhängigkeit

Alkohol, Barbiturate, +++ ++ ++


Benzodiazepine

Cannabis (+) ++ +

Kokain (+) +++ + (Tachyphylaxie)**

Halluzinogene 0 ++ +++
(LSD, Meskalin)

Opiat (Morphin) +++ +++ +++

Amphetamine (+) ++ +++ (Tachyphylaxie)**

* Toleranz: Abnahme der Substanzwirkung bei wiederholter Zufuhr. Häufig wird


dem Wirkungsverlust mit erhöhter Zufuhr begegnet.
** Tachyphylaxie: äußerst schnelle Toleranzentwicklung nach kurz aufeinander folgen-
dem Konsum aufgrund von Vesikel-Speicher-Entleerung

Diagnostik
4 Typische Laborveränderungen bei Alkoholabhängigkeit bzw. chro-
nischem Alkoholmissbrauch (laborchemisch keine Unterscheidung
zwischen Abhängigkeit und Missbrauch möglich)
5 Erhöhung von γ-GT, MCV, CDT (CDT hat die höchste Spezifität
von allen 3 Markern; diagnostisches Fenster: 2–4 Wochen)
5 Erhöhung der Lebertransaminasen (GOT, GPT) bei Leberschädi-
gung (wenig spezifisch)
4 Kurzzeitmarker des Alkoholkonsums (wenige Stunden oder Tage zu-
rückliegende Alkoholaufnahme): Ethylglukuronid (EtG) im Serum
oder Urin
4 Aktueller Alkoholkonsum
5 Bestimmung der Atemalkoholkonzentration (nicht forensisch ver-
wendbar)
5 Bestimmung der Blutalkoholkonzentration (BAK): Berechnung an-
19 hand der Widmark-Formel (v. a. für forensische Fragestellungen
relevant)
19 · Missbrauch und Abhängigkeit
195 19

Definition Eigene Notizen


Widmark-Formel
BAK (‰) = (Konsumierte Alkoholmenge [g] – 10 bis 20%
Resorptionsdefizit)/(Körpergewicht [kg] × Reduktionsfaktor [Männer 0,7,
Frauen 0,6])
Pro Stunde seit Trinkbeginn müssten noch 0,15‰ abgezogen werden
(stündliche Ethanolabbaurate).

4 Drogenscreening im Urin zum Nachweis eines aktuellen Drogenkon-


sums
4 Haarfollikelanalyse zum Nachweis eines längeren Drogenkonsums

Therapie
4 »Königsweg«: Erzielen dauerhafter Abstinenz
4 Alternativen: Substitution als ultima ratio im Sinne einer »harm
reduction«/»Schadensbegrenzung« (substitutionsbasierte Therapien
v. a. relevant bei Opioidabhängigkeit)
4 Allgemeine Prinzipien der Suchttherapie: 4 Therapiestufen
5 Kontaktphase: Ambulanz, Praxis, Beratungsstellen: Erkennen, Mo-
tivationsarbeit, Problembewusstsein und Veränderungsbereitschaft
schaffen
5 Entgiftungsphase: Körperliche Entgiftung, wegen möglicher Kom-
plikationen meist stationär
J In der Alkoholabhängigkeitsbehandlung hat sich zunehmend die
sog. »qualifizierte Entgiftung« etabliert: Entgiftung nach ein-
deutigen qualitativen Standards unter Einbeziehung motivations-
fördernder und psychotherapeutischer Therapieelemente, zusätz-
lich sozialpsychiatrische Intervention
5 Entwöhnungsphase: psychotherapeutische, sozialpsychiatrische
und rehabilitative Maßnahmen, insbesondere zur Behandlung der
psychischen Abhängigkeit, Festigung von Abstinenz; ambulant, teil-
stationär oder stationär
5 Nachsorgephase: Stabilisierungsphase, ambulant; Besuch von
Selbsthilfegruppen
4 Motivierende Gesprächsführung als grundlegender Interaktionsstil

Substanzgruppen
Alkohol (Ethanol)
4 Klinische Hinweiszeichen der Alkoholabhängigkeit (häufig unspezi-
fisch oder erst in Spätstadien)
5 Foetor ex ore (möglicherweise überdeckt z. B. durch Lutsch-
pastillen)
5 Rötung von Gesicht, Dekolleté, Handinnenflächen, Palmar-
erythem
5 Rhinophym, Rosacea
5 Dupuytren-Kontraktur
5 Atrophie der Muskulatur, v. a. der Waden
196 Kapitel 19 · Missbrauch und Abhängigkeit

Eigene Notizen 5 Sensibilitätsstörungen


5 Ataxie
5 Evtl. Stammfettsucht oder aber Kachexie
5 Bauchglatze
5 Zeichen eines portalen Hypertonus (Spider naevi, Caput medusae,
Hämmorrhiden)
5 Im Entzug klassische vegetative Entzugssymptomatik
4 Einteilung Alkoholkranker nach C. R. Cloninger
5 Typ I: später, allmählicher Krankheitsbeginn, geringere genetische
Belastung, gleiche Geschlechterverteilung, hohe »reward depen-
dence« (Belohnungsabhängigkeit), hohe »harm-avoidance« (Scha-
densvermeidung, geringe Risikobereitschaft), verhältnismäßig gute
soziale Einbindung, relativ gute Prognose
5 Typ II: früher, heftiger Beginn, ausgeprägte genetische Belastung,
häufig dissoziale oder emotional instabile Persönlichkeitsstörung,
hohes »sensation seeking« (verstärkte Suche nach neuen Stimuli),
überwiegend Männer, häufig Konsum weiterer Substanzen, un-
günstige Prognose
4 Typologie nach E.M. Jellinek (eher von historischer Bedeutung, wenig
reliabel)
5 Alpha-Typ: Konflikt-/Erleichterungstrinker; Fähigkeit zur Absti-
nenz, kein Kontrollverlust; psychische Abhängigkeit
5 Beta-Typ: Gelegenheits-, Wochenendtrinker; kein Kontrollverlust,
keine Abhängigkeit, Alkoholmissbrauch
5 Gamma-Typ: süchtiger Trinker; Kontrollverlust, aber zeitweilige
Fähigkeit zur Abstinenz; erst psychische, dann auch physische Ab-
hängigkeit; häufigster Typ
5 Delta-Typ: Gewohnheits-/Spiegeltrinker (konstant hoher Konsum,
meist nicht bis zum Rausch); kein Kontrollverlust, Abstinenzunfä-
higkeit, physische Abhängigkeit
5 Epsilon-Typ: Episodischer/»Quartalstrinker« mit Kontrollverlust,
aber Fähigkeit zur Abstinenz; psychische Abhängigkeit
4 Entwicklung der Alkoholabhängigkeit nach E.M. Jellinek
5 Präalkoholische Phase: häufiger Konsum mäßiger Alkoholmengen
zur Spannungsreduktion, leichte Erhöhung der Alkoholtoleranz
5 Prodromalphase: Erleichterungstrinken, weitere Toleranzerhöhung;
heimliches Trinken, Gedanken kreisen um Alkohol, Gedächtnis-
lücken für Ereignisse während des Alkoholkonsums (»Filmriss«)
5 Kritische Phase: Entwicklung einer starken psychischen Abhängig-
keit, Bagatellisierung des Konsums, Dissimulation, Ablehnung von
Hilfsangeboten, familiäre Konflikte aufgrund des Konsums, Inte-
resseneinengung, beginnende Wesensveränderung
5 Chronische Phase: immer häufigeres Auftreten von situations-
19 unabhängigen Rauschzuständen, körperliche Komplikationen,
Entzugssymptomatik (v. a. morgens), beginnende Alkoholintole-
ranz
19 · Missbrauch und Abhängigkeit
197 19
Alkoholassoziierte Störungen und Alkoholfolgeerkrankungen Eigene Notizen
4 Einfacher Rausch (akute Alkoholintoxikation)
5 Enthemmung, Rededrang, Euphorisierung, Selbstüberschätzung,
bei schwerer Ausprägung auch selbst- oder fremdgefährdendes
aggressives Verhalten, seltener Angst oder depressive Verstim-
mung
5 Konzentrations- und Merkfähigkeitsstörungen; häufig (partielle)
Amnesie für die Zeit des Rausches, Bewusstseins- und Orientie-
rungsstörungen; Reaktionszeitverlängerung
5 Zerebelläre Symptomatik mit Dysarthrie, Nystagmus, Diplopie,
Koordinationsstörungen/Ataxie, Schwindel
5 Hypothermie, Mydriasis, erweiterte Hautgefäße (Gesichtsröte),
Pulsbeschleunigung
5 Schweregradeinteilung (ohne Berücksichtigung von Toleranzent-
wicklung!)
J <1,5‰: leichter Rausch
J 1,5–2,5‰: mittelschwerer Rausch
J >2,5‰: schwerer Rausch
J Ab ca. 3–3,5‰: Lebensgefahr!
4 Zusammenhang zwischen BAK (‰) und Wirkung
5 0,2–0,3‰: Stimmungsaufhellung, Muskelentspannung
5 0,4–0,6‰: Entspannung, Wärme, verlängerte Reaktionszeit, beein-
trächtigte Feinmotorik
5 0,8–0,9‰: Gleichgewichts- und Koordinationsstörungen, Sprach-
und Wahrnehmungsstörungen, Euphorie
5 1,0–2,0‰: grobe Störung von körperlicher und mentaler Kontrolle
5 2,0–3,0‰: schwere Intoxikation; sehr geringe Kontrolle psychischer
und körperlicher Funktionen
5 4,0–5,0‰: Bewusstlosigkeit, tiefes Koma, Tod durch Atemdepression
4 ! Cave Symptome korrelieren interindividuell nicht hinreichend mit
der Blutalkoholkonzentration, denn Alkoholwirkung wird auch beein-
flusst durch individuelle Faktoren wie Geschlecht, Gewicht, Trinkge-
wohnheiten (Toleranzentwicklung), aufgenommene Nahrung.
> Zur Behandlung fremd- oder selbstgefährdender Erregungszu-
stände: Gabe von Haloperidol. Benzodiazepine sind bei Alkoholin-
toxikation kontraindiziert aufgrund synergistischer Effekte am
GABAA-Rezeptorkomplex.
Bei schwerer Ausprägung der akuten Alkoholintoxikation:
internistische Notfallsituation.

4 Pathologischer Rausch (umstrittener, zu vermeidender Begriff, wird


gelegentlich forensisch verwendet): Meist schwerer Rauschzustand/
Dämmerzustand
5 Ausgelöst durch bereits geringe Alkoholmengen (i. d. R. auf der
Grundlage einer hirnorganischen Vorschädigung und dadurch ver-
minderten Alkoholtoleranz)
5 Mit kompletter Amnesie für die Zeit des Rausches
5 Mit persönlichkeitsfremdem Verhalten (v. a. Aggressivität)
198 Kapitel 19 · Missbrauch und Abhängigkeit

Eigene Notizen 4 Alkoholentzugssyndrom


5 Auftreten i. d. R. 12–24 h nach Abstinenz oder Trinkmengenreduk-
tion, Dauer meist 3–7 Tage
5 Pathophysiologie
J Sympathoadrenerge Hyperaktivität durch Enthemmung des nor-
adrenergen Locus coeruleus
J Plötzlicher Wegfall inhibierender (GABAerger) Einflüsse und in-
folgedessen Überwiegen exzitatorischer Einflüsse (Glutamat)
(aufgrund von zerebralen Gegenregulationsmechanismen auf
progabaerge und anti-NMDA-Rezeptor-Wirkungen des Alko-
hols)
5 Symptome
J Vegetative Symptome, v. a. Schwitzen, Tremor, Bluthochdruck,
Tachykardie, Tachypnoe, Mundtrockenheit, Vigilanzerhöhung,
Schlafstörungen, Fieber, Gesichtsröte
J Gastrointestinale Symptome wie Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö
J Artikulationsstörungen, Koordinationsstörungen/Ataxie
J Konzentrations- und Gedächtnisstörungen
J Affektstörungen mit Angst, Gereiztheit, Agitiertheit, Depressivi-
tät, Schlafstörungen
> Akute Komplikationen: v. a. Delir und zerebrale Krampfanfälle.
5 Therapie
J Ziel: Verminderung vegetativer Entzugszeichen sowie Anfalls-
schutz und Delirprophylaxe
J Zur Verfügung stehende Substanzen: Clomethiazol (Mittel 1. Wahl),
Benzodiazepine, Carbamazepin häufig in Kombination mit Tia-
prid
J ! Cave Behandlung mit Clomethiazol oder Benzodiazepinen
bei BAK von >1‰ wegen Gefahr der Atemdepression nur unter
regelmäßiger Kontrolle von Vigilanz und Vitalparameter!

> Einsatz von Clomethiazol nur im stationären Setting, nicht im am-


bulanten Bereich, da es schon nach kurzfristiger Gabe zu schwerer
Abhängigkeitsentwicklung kommen kann.

J Clonidin (α2-Rezeptor-Agonist) als Komedikation (nicht als Mo-


notherapie zur Entzugsbehandlung) bei Tachykardie bzw. Hyper-
tonie im Alkoholentzug
4 Alkoholdelir (= Delirium tremens): stärkste Ausprägung des Alkohol-
entzugssyndroms
5 Klassische Symptomtrias zusätzlich zur Vegetativsymptomatik:
J Bewusstseinstrübung und Verwirrtheit/Desorientiertheit
19 J Halluzinationen (v. a. optische, wie bei anderen organischen Psy-
chosen auch)
J Ausgeprägter Tremor
5 Unruhe, Nesteln, vegetative Übererregtheit (z. B. Schwitzen, Tachy-
kardie, Erbrechen, Diarrhö)
19 · Missbrauch und Abhängigkeit
199 19

5 Schlaflosigkeit, Umkehr des Schlaf-Wach-Rhythmus Eigene Notizen


5 Kognitive Störungen, erhöhte Suggestibilität, Wahnvorstellungen
5 Ggf. retrospektiv Amnesie für die Zeit des Alkoholentzugsdelirs
5 Vorausgehen können Entzugskrämpfe
5 Dauer: unbehandelt ca. 3–7 Tage
5 Endet unbehandelt in 1/3 der Fälle letal
5 Therapie
J Clomethiazol (Mittel 1. Wahl), ggf. in Kombination mit einem
Antipsychotikum (z. B. Haloperidol) bei Vorliegen entsprechen-
der Zielsymptome (z. B. Halluzinationen oder psychomotorische
Erregung)
J Alternative: Kombination eines Benzodiazepins und eines Anti-
psychotikums
J Auf Flüssigkeitszufuhr und Antikoagulation achten
J Hochdosierte parenterale Vitamin-B1-Substitution wichtig
> Lebensbedrohlich, daher bei ausgeprägtem Alkoholentzugsdelir
intensivmedizinische Behandlung.

! Cave Glukosehaltige Infusionen können Vitamin-B1-Verbrauch


steigern und so zur Wernicke-Enzephalopathie führen.

4 Alkoholhalluzinose (= substanzinduzierte psychotische Störung)


5 Seltene Erkrankung; vorherrschend sind angstbetonte Halluzinatio-
nen (v. a. akustische), meist mit erheblichem Bedrohungscharakter,
Verfolgungswahn, auch unter fortgesetztem Alkoholkonsum auf-
tretend
5 Therapie mit antipsychotischen Substanzen, Alkoholabstinenz
(dann häufig gute Remissionstendenz)
> Abgrenzung Alkoholentzugsdelir und Alkoholhalluzinose:
insbesondereoptische (Delir) vs. akustische (Halluzinose) Sinnes-
täuschungen; fehlende bzw. deutlich geringere vegetative und
neurologische Störungen, keine Bewusstseins- und Orientierungs-
störungen und keine gesteigerte Suggestibilität bei Alkoholhallu-
zinose.
4 Alkoholischer Eifersuchtswahn
5 Sehr seltene Störung, meist bei Männern
5 Patienten sind unkorrigierbar von der Untreue ihres Partners über-
zeugt
5 Häufig fremdaggressives Verhalten
5 Mit Antipsychotika und psychotherapeutischen Maßnahmen
schwer zu beeinflussen
5 Bei Abstinenz nur langsame Rückbildung der Symptomatik
4 Wernicke-Enzephalopathie
5 Ursache: Thiamin (Vitamin-B1)-Mangel → punktförmige Hirnblu-
tungen sowie initiales Ödem und spätere Atrophie in Thalamus,
Hypothalamus, Corpora mamillaria, periaquäduktalem Grau, Bo-
den des IV. Ventrikels, Kleinhirnwurm
200 Kapitel 19 · Missbrauch und Abhängigkeit

Eigene Notizen 5 Charakteristische Symptomtrias


J Augenmuskellähmungen, Nystagmus
J Ataxie
J Bewusstseinsstörungen
5 Übergang in ein chronisches Korsakow-Syndrom möglich
5 Therapie: sofortige hochdosierte parenterale Thiaminsubstitution
5 Letalität ca. 10–20%
4 Korsakow-Syndrom (amnestisches Syndrom)
5 Entwickelt sich häufig im Anschluss an eine Wernicke-Enzephalo-
pathie
5 Typische Symptomtrias
J Mnestische Störungen
J Desorientiertheit
J Konfabulationen
5 Therapie
J Abstinenz (unter Nutzung psychosozialer Einrichtungen/
Dienste)
J Dauerhafte Vitamin-B1-Versorgung
J Kognitives Training
J Wenn überhaupt, nur langsame Verbesserung, meist palliative
Versorgung
4 Alkoholdemenz
5 Störung von Gedächtnis und höheren kognitiven Leistungen, Per-
sönlichkeitsveränderungen mit emotionaler Abstumpfung, Affekt-
labilität
5 Ausschlussdiagnose
5 Keine spezifische Therapie evaluiert; Abstinenz und Thiamin-
substitution
4 Alkoholinduzierte Polyneuropathie
5 Häufige Alkoholfolgererkrankung
5 Distal beinbetonte Sensibilitätsstörungen, brennende Schmerzen,
Paresen, Ataxie
5 Ursache: primärer Axonuntergang mit sekundärer Demyelinisierung
5 Therapie: Abstinenz, Thiamingabe, evtl. α-Liponsäure
4 Weitere neurologische Alkoholfolgeerkrankungen
5 Kleinhirnatrophie (in der Bildgebung bereits ein Frühzeichen)
5 Alkoholische Myopathie (akut oder chronisch)
5 Atrophie im Bereich des Corpus callosum bzw. der vorderen Kom-
missur (Marchiafava-Bignami-Syndrom, häufiger bei Weintrin-
kern) → schwere Residualzustände bis hin zum letalen Ausgang
5 Zentrale pontine Myelinolyse (durch zu raschen Ausgleich einer
Hyponatriämie)
5 Pachymeningeosis haemorrhagica interna (chronische bzw. rezidi-
19 vierende subdurale Blutung)
4 Internistische Alkoholfolgeerkrankungen, z. B. Ösophagitis, Gastritis,
Pankreatitis, alkoholische Hepatitis, Leberzirrhose
4 Alkoholembryopathie (fetales Alkoholsyndrom) infolge mütterlichen
Alkoholkonsums während der Schwangerschaft
19 · Missbrauch und Abhängigkeit
201 19

5 Typische Gesichtsfehlbildungen (z. B. abgeflachtes Mittelgesicht, Eigene Notizen


flache Nasenwurzel und Nase, Epikanthus, kurze Lidspalte, feh-
lendes Philtrum)
5 Minderwuchs
5 Zentralnervöse Entwicklungsstörungen bis hin zu Intelligenzmin-
derungen
4 Komorbiditäten der Alkoholabhängigkeit: häufig andere Substanz-
abhängigkeiten, depressive Störungen, Angststörungen, Persönlich-
keitsstörungen, v. a. dissoziale, emotional instabile aber auch abhängige
und ängstliche Persönlichkeitsstörung

Rückfallprophylaxe
4 Zur pharmakologischen Rückfallprophylaxe nach Entgiftung: Einsatz
von Anticravingsubstanzen wie Acamprosat (NMDA-Rezeptormodu-
lator) oder ggf. aversiv wirksames Disulfiram (greift in Abbauweg des
Alkohols ein)
4 Ambulante suchtspezifische Psychotherapien, Festigung der Abstinenz
durch Analyse von Rückfallsituationen, Rollenspiele zur Rückfallpro-
phylaxe, Verhaltensanalyse und kognitive Umstrukturierung, Stärkung
von Selbstvertrauen und Selbstsicherheitstrainings, soziales Kompe-
tenztraining, Kommunikationstraining
4 Ermutigung zum Besuch von Selbsthilfegruppen (z. B. Anonyme Alko-
holiker, Blaukreuzler, Guttempler)
> Bei alkoholabhängigen Patienten: Keine Verordnung von Benzo-
diazepinen etwa zur »Beruhigung« oder zur Behandlung von
Schlafstörungen → trägt häufig nur zur Chronifizierung der Sucht-
erkrankung bei.

Tabak (Nikotin)
4 Dosisabhängige Wirkung von Nikotin an nikotinergen Acetylcholin-
rezeptoren
5 In geringen Dosen als Agonist: cholinerg-katecholaminerge Akti-
vierung → anregende und antriebssteigernde Wirkung
5 In höheren Dosierungen als Antagonist: cholinerge Blockade und
β-Endorphinfreisetzung → entspannende/beruhigende Wirkung
4 Auftreten von psychischer und physischer Abhängigkeit mit Toleranz-
entwicklung
4 Charakteristische klinische Hinweiszeichen einer Tabakabhängigkeit
5 Vergröberte, vorgealterte Haut
5 Gelbverfärbung von Fingern der dominanten Hand
5 Foetor ex ore (evtl. durch Lutschpastillen überdeckt)
5 Entzugssymptome
5 Zusammentreffen typischer Folgeerkrankungen (z. B. COPD,
Angiopathien)
4 Erfassung der Stärke der Abhängigkeit mit dem Fagerström-Test für
Nikotinabhängigkeit
4 Nikotinintoxikation (bei versehentlicher oraler Aufnahme oder exzes-
siver Inhalation)
202 Kapitel 19 · Missbrauch und Abhängigkeit

Eigene Notizen 5 Symptome: Tachykardie, Hypertonie (in hohen Dosen auch Brady-
kardie und Hypotonie), periphere Vasokonstriktion, Kopfschmer-
zen, Schwindel, Übelkeit und Erbrechen, Diarrhö, Tremor, Schwä-
chegefühl in den Beinen
J Bei schweren Intoxikationen: tonisch-klonische Krämpfe, Schock,
Koma, Atemlähmungen, Herzrhythmusstörungen, Herzstillstand
5 Letale Dosis von Nikotin: ca. 50 mg (bei Erwachsenen)
4 Nikotinentzugssyndrom
5 Kann bereits nach kurzzeitiger (stundenweiser) Abstinenz auftre-
ten; dauert ca. 1–4 Wochen an
5 Symptome
J Starkes Verlangen nach Nikotin
J Konzentrationsstörungen
J Krankheitsgefühl oder Schwächegefühl, Müdigkeit
J Kopfschmerzen
J Vermehrtes Hungergefühl und Gewichtszunahme
J Unruhe, Nervosität, Ängstlichkeit, Erregtheit, Gereiztheit, depres-
sive Verstimmung
J Schlafstörungen
J Obstipation, Übelkeit, Erbrechen
4 Therapie/Tabakentwöhnung
5 Rauchstopp: auf den Tag festgelegter, sofortiger Stopp (»Punkt-
Schluss-Methode«) hat gegenüber schrittweiser Reduktion eine hö-
here Erfolgsquote
5 Medikamentöse Entwöhnungshilfen
J Substitutionsstrategien: Nikotinersatzpräparate (Nikotinpflaster,
-kaugummis, -nasensprays, Sublingualtabletten)
J Bupropion: dopaminerg/noradrenerges Antidepressivum
J Vareniclin: partieller Nikotinrezeptoragonist
5 Psychotherapeutische Maßnahmen (i. d. R. als Gruppentherapien):
Psychoedukation, Motivationsförderung, Identifikation von Ri-
sikosituationen, Problemlösetraining, Erlernen mentaler Strate-
gien mit denen die Aufmerksamkeit vom Rauchen wegverlagert
werden kann, operante Verstärkung, Entspannungstraining, Aku-
punktur

Sedativa und Hypnotika


4 Benzodiazepine, Barbiturate, neuere Hypnotika (Zaleplon, Zolpidem,
Zopiclon), Gammahydroxybutyrat (GHB), Butendiol: Wirkung v. a.
über GABAA-Rezeptor
4 Am häufigsten Missbrauch oder Abhängigkeit von Benzodiazepinen
4 »High-dose-Abhängigkeit« vs. »Low-dose-Abhängigkeit«:
5 »High-dose-Abhängigkeit«: Benzodiazepinabhängigkeit mit Tole-
19 ranz, Dosissteigerung und schweren Entzugssymptomen
5 »Low-dose-Abhängigkeit« oder auch »therapeutic-dose-Abhängig-
keit«: Abhängigkeit bei therapeutischer Dosierung über einen
längeren Zeitraum; auch hier kann es zu akuten Absetzeffekten
kommen
19 · Missbrauch und Abhängigkeit
203 19

4 Besonders gefährdet sind Personen mit chronischen Schmerzen, Schlaf- Eigene Notizen
störungen, Angsterkrankungen, Persönlichkeitsstörungen, anderen
Suchterkrankungen und Angehörige medizinischer Berufe
4 Akute Wirkungen der Benzodiazepine
5 Anxiolyse
5 Sedierung und Schlafinduktion
5 Verschlechterung von Kognition und Reaktionsfähigkeit
5 Muskelrelaxation
4 Benzodiazepinintoxikation
5 Symptome
J Somnolenz bis hin zum Koma
J Arterielle Hypotonie
J Atemdepression bis hin zum Atemstillstand
J Muskelhypotonie bis hin zu Stürzen bzw. Steh- und Geh-Unfähig-
keit
5 Therapie
J Akut: Sicherung der Vitalfunktionen und Giftelimination; evtl.
Antidot Flumazenil (kompetetiver Benzodiazepin-Antagonist)
4 Chronische Effekte bei fortgesetztem Benzodiazepinkonsum
5 Sekundäre Angst- und Schlafstörungen
5 Körperliche Schwäche, Antriebslosigkeit, eingeschränkte Mobilität
5 Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen
5 Affektive Indifferenz
4 Benzodiazepinentzugssyndrom (tritt häufig verzögert auf)
5 Schlaflosigkeit
5 Ängstlichkeit, dysphorische Stimmung
5 Innere Unruhe, Reizbarkeit
5 Delir
5 Krampfanfälle, Myoklonien, Tremor
5 Wahrnehmungsstörungen (Metallgeschmack, Lichtscheue, Hyper-
akusis, Gefühl elektrischer Schläge, Depersonalisationssymptome)
5 Konzentrationsstörungen
5 Kopf- und Muskelschmerzen
5 Vegetative Entzugssymptome wie beim Alkoholentzug sind eher
seltener (dann: Hyperhidrosis, Hypertonie, Tachykardie, Übelkeit,
Erbrechen, Diarrhö)

> Bei jedem ätiologisch unklaren Krampfanfall oder Delir muss die
Möglichkeit eines Benzodiazepin-Entzugssyndroms bedacht werden.

4 Therapie
5 Bei Benzodiazepinentzugssyndrom initial Substitution, am besten
mit der gleichen Substanz, mit der der Konsum durchgeführt wurde
5 Langsame, schrittweise Dosisreduktion (schwere zerebrale Krampf-
anfälle und Delire bei sofortigem Absetzen!), Verlauf i. d. R. über
bis zu 4–6 Wochen (die letzten mg sind die Schwierigsten!); Kumu-
lation bzw. lange Halbwertszeit von einigen Benzodiazepinen be-
achten
204 Kapitel 19 · Missbrauch und Abhängigkeit

Eigene Notizen 5 Unterstützende Gabe von Antikonvulsiva (z. B. Pregabalin, zur Ver-
hinderung schwerwiegender Entzugserscheinungen und Anfalls-
schutz) und Antidepressiva (v. a. bei Schlafstörungen und Ängst-
lichkeit)
5 Motivationsförderung, Stärkung von Selbstvertrauen, Problemlöse-
training, soziales Kompetenztraining, Erlernen von Entspannungs-
verfahren zur Reduktion innerer Unruhe und Nervosität, Teilnah-
me an Selbsthilfegruppen

Opiate/Opioide

> Besitzen ein relativ hohes Abhängigkeitspotenzial (psychisch und


somatisch).
4 Wirkung der Opiate/Opioide: euphorisierend (abhängig von Anflu-
tungsgeschwindigkeit), tranquilisierend, analgetisch, Dämpfung des
Atem- und Hustenzentrums, Obstipation, periphere parasympathomi-
metische Eigenschaften wie Miosis
4 Opioide mit hohem Abhängigkeitspotenzial entfalten ihre euphorisie-
rende Wirkung über Stimulation des μ-Rezeptors (z. B. Morphin, Hero-
in) → Stimulation des dopaminergen Belohnungssystems, Hemmung
noradrenerger Neurone im Locus coeruleus
4 Heroin (Diacetylmorphin) ist das am häufigsten konsumierte Opioid
(i. d. R. i.v. oder inhalativ); potenter und lipidlöslicher als Morphin (pas-
siert schneller die Blut-Hirn-Schranke)
4 Kennzeichen der Opioidabhängigkeit: bedeutsame Toleranzentwick-
lung und Entzugssymptomatik bei abruptem Absetzen
4 Klinische Zeichen einer Opioidabhängigkeit
5 Reduzierter Allgemein- und Ernährungszustand junger Patienten
5 Einstichstellen, Vernarbungen, Abszesse
5 Miosis
5 Obstipation
5 Häufige und nachdrückliche Forderung von Rezepten über opiat-
artige Analgetika
4 Schwere Opioidintoxikation: charakteristische Trias aus Koma,
Atemdepression, Miosis
> Häufig Tod durch Atemdepression, besonders bei Rückfall nach
Abstinenz mit Rückbildung der Toleranz.
4 Notfallmaßnahme: Opioidantagonist Naloxon i. v.
4 Opioidentzugssyndrom
5 Sehr unangenehm, jedoch nicht lebensbedrohlich
5 Beginn bei Heroinkonsum nach ca. 8 h, bei Methadon nach ca.24 h
5 Entzugszeichen
19 J Extremes Suchtverlangen
J Dysphorische Stimmung
J Rhinorrhö, Niesen, Tränenfluss
J Muskelschmerzen und -krämpfe in den Extremitäten
J Bauchkrämpfe, Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö
19 · Missbrauch und Abhängigkeit
205 19

J Mydriasis Eigene Notizen


J Gänsehaut (»cold turkey«)
J Fieber
J Gähnen
J Hypertonie, Tachykardie
J Unruhiger Schlaf
4 Therapie der Opiat-/Opioidabhängigkeit
5 Entgiftung i. d. R. vollstationär
J »Kalter« Entzug: Dosisreduktion/Ausschleichen ohne medika-
mentöse Unterstützung (aber keine Hinweise, dass Rückfallge-
fährdung geringer wäre als beim »warmen« Entzug)
J »Warmer« Entzug: opioidgestützter Entzug

> Medikamentöser, aber nicht opioidgestützter Entzug (»lau-


warmer« Entzug): Gabe von Doxepin (trizyklisches Antidepressi-
vum) oder Clonidin (α2-Rezeptor-Agonist) zur Sedierung und Be-
handlung der vegetativen Symptomatik.
Opioidgestützter Entzug (»warmer« Entzug): Ersetzen des illegal
konsumierten Opioids durch einen lang wirksamen Opiatago-
nisten wie Methadon (synthetisch, μ-Rezeptor-Agonist), Levome-
thadon oder den partiellen Opiatagonisten Buprenorphin zur
Aufhebung der Entzugssymptome und anschließendes schritt-
weises Ausschleichen über 2–4 Wochen.
5 Substitutionstherapie: ärztlich kontrollierte Vergabe des Substituts
(als Langzeittherapie)
J Substitututionspräparate sollen eine möglichst lange Halbwerts-
zeit bei geringen euphorisierenden Effekten haben
J Verfügbare Substitute (μ-Rezeptoragonisten des Endorphinsy-
stems): Methadon-Razemat, Levomethadon, Buprenorphin, Co-
dein/Dihydrocodein
J Zur Substitution notwendige Tagesdosis ist abhängig von Opiat-
toleranz und individellem, genetisch vermitteltem Ansprechen
auf Opiate → adäquate tägliche Dosis muss individuell ermittelt
werden (Orientierung an klinischen Kriterien und in Absprache
mit dem Patienten)
J Ziel ist Schadensbegrenzung (»harm reduction«): verminderte
Infektionsgefahr, evtl. bessere soziale Reintegration, verminderte
Intoxikationssituationen, reduzierte Kriminalitätsrate; höhere
Haltequote beim Therapeuten
J Substitutionsbehandlung nur durch Ärzte mit der Fachkunde
»Suchtmedizinische Grundversorgung« entsprechend den Wei-
terbildungsordnungen
J Zusätzlich psychotherapeutische Behandlung und obligate psy-
chosoziale Betreuung
J Unregelmäßige Kontrolle auf Beigebrauch
J Einhalten der sog. BUB-Richtlinien (Richtlinien über die Bewer-
tung ärztlicher Untersuchungs- und Behandlungsmethoden)
206 Kapitel 19 · Missbrauch und Abhängigkeit

Eigene Notizen 5 Großes Problem stellt die Frage nach sinnvollem Prozedere bei
nachgewiesenem Beigebrauch dar: Konzepte im Sinne der »harm
reduction« (außer Substitution) sind
J Fixer-Stuben
J Sicherung des Unterhalts/der Wohnungssituation
J Information, Diagnostik und Therapie von Folgekrankheiten
J Street-working
5 Entwöhnung und Nachsorge
J Zur medikamentösen Unterstützung der Entwöhnungsbehand-
lung nach erfolgter Opioidentgiftung: Naltrexon (μ-Opiat-Anta-
gonist)
5 Diagnostisch abzuklären und entsprechend zu therapieren sind
auch körperliche Begleiterkrankungen wie z. B. Hepatitis B und C,
HIV, Lues, Tuberkulose

Cannabinoide
4 Häufig Einstiegsdroge für andere Suchterkrankungen
4 In der Regel aus Hanfpflanzen hergestellte Produkte (Haschisch: Harz
der Blüten; Marijuana: getrocknete Blüten und Blätter)
4 Wichtigster Wirkstoff: Tetrahydrocannabinol (THC) mit CB1-Antago-
nismus
4 Dosisabhängige Wirkung: anregend bei geringeren Dosen, dämpfend
bei hohen Dosen
4 Charakteristische Wirkungen: Euphorie, Entspannung, Verzerrung von
Sinneseindrücken, verändertes Zeitgefühl; in höheren Dosierungen
auch Halluzinationen
4 Evtl. Auftreten sog. »Horrortrips« (starke Angstzustände mit Gefühl
der Bedrohung) bzw. »Flashback-Psychosen« (psychotische Episode
Tage oder Wochen nach Cannabiskonsum)
> Regelmäßiger Cannabiskonsum steigert das Risiko für die Entwick-
lung einer psychotischen Erkrankung.

4 Klinische Hinweiszeichen auf Cannabisabhängigkeit


5 Amotivationales Syndrom: Interessenverlust, Antriebslosigkeit,
sozialer Rückzug, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, nach-
lassende Leistungsfähigkeit
4 Generell geringe Toxizität
4 Cannabisentzugszeichen bei abruptem Absetzen
5 Starkes Suchtmittelverlangen
5 Affektlabilität, Reizbarkeit, Ängstlichkeit
5 Psychomotorische Unruhe, Nervosität
5 Schlafstörungen, Albträume
19 5 Gesteigertes Schmerzempfinden
5 Vor allem nächtliche Schweißausbrüche
5 Appetitminderung
4 Therapie der Cannabisabhängigkeit: Verhaltenstherapie, v. a. mit Psycho-
edukation, Förderung der Abstinenzmotivation
19 · Missbrauch und Abhängigkeit
207 19
Partydrogen: Kokain, andere Stimulanzien, Halluzinogene Eigene Notizen
4 Werden oft ohne eindeutige Präferenz gegenseitig austauschbar kon-
sumiert
4 Stimulierende Wirkung
4 Kokain und Amphetamine
5 Aktivierung mesolimbischer und mesokortikaler dopaminerger
Neurone durch synaptische Rückaufnahmehemmung bzw. auch
MAO-Inhibition sowie Umkehr des Katecholamin-Transports
5 Wenige Minuten andauernde angenehme Gefühlslage (»rush«) mit
Euphorie, Wohlbefinden, höherem Grad an Wachheit, reduziertem
Ruhe- und Schlafbedürfnis (Missbrauch v. a. zur Leistungs- und
Antriebssteigerung)
5 Psychotische Symptomatik
4 Halluzinogene (z. B. LSD, Meskalin, MDMA=Ecstasy): halluzinogene
Wirkung v. a. über serotonerge Rezeptoren; PCP (Phencyclidin, auch
»Angel Dust« genannt) als NMDA-Rezeptor-Antagonist mit schizo-
phrenieartigen Positiv- wie auch Negativ-Symptomen
4 Kokain- und Amphetamintoxikation: biphasische Wirkung
5 Zunächst »euphorisches Stadium«: Euphorie, Aktivitätssteigerung,
überhöhte Selbsteinschätzung, Hypervigilanz, subjektiv erhöhte
Leistungsfähigkeit, Geselligkeit, Streitlust, Unruhe, Erregung, ent-
hemmtes Verhalten, vermindertes Schlafbedürfnis, vegetative Über-
erregtheit z. B. mit Schwitzen, Mydriasis, Hypertonie und Tachykar-
die, Tachypnoe
5 Anschließend rasch auftretendes »dysphorisches Stadium«: de-
pressive Verstimmung, Müdigkeit, Antriebslosigkeit → führt zu er-
neutem Konsum
5 Ggf. Auftreten psychotischer Symptome mit Halluzinationen und
Wahnvorstellungen
5 Komplikationen der Kokainintoxikation: zentralnervöse Übererre-
gung mit zerebralen Krampfanfällen, Fieber, Dyskinesien und Dys-
tonien, zerebraler Minderdurchblutung durch anhaltende Vaso-
konstriktion
5 Komplikationen der Amphetaminintoxikation: Arrhythmien, hyper-
tensive Krisen mit Hirnblutungen, zerebrale Krampfanfälle, Dys-
kinesien und Dystonien, Bewusstseinsstörungen bis hin zum Koma
4 Halluzinogenintoxikation
5 Massive Angst oder Depression; Angst, den Verstand zu verlieren
5 Beziehungs-/Wahnideen
5 Wahrnehmungsveränderungen: subjektive Verstärkung von Wahr-
nehmungseindrücken, Depersonalisation und Derealisation, Illu-
sionen, Halluzinationen, Synästhesien (Verschmelzung von Sinnes-
empfindungen)
5 Evtl. »Horrortrip« mit panischer paranoider Angst, intensiv erleb-
ter Depersonalisation und ausgeprägten Wahrnehmungsstörungen
5 Vegetative Symptome wie Mydriasis, Tachykardie, Schwitzen, Tre-
mor, Palpitationen, verschwommenes Sehen, Koordinationsstö-
rungen
208 Kapitel 19 · Missbrauch und Abhängigkeit

Eigene Notizen > Charakteristisch für Halluzinogene sind persistierende Wahrneh-


mungsstörungen (»flashbacks«/Echopsychosen: kurze, episo-
disch auftretende Nachhallzustände noch Tage nach dem letzten
Halluzinogenkonsum).

4 Lebensbedrohliche Komplikationen von Ecstasy (ähneln klinisch z. T.


dem malignen neuroleptischen Syndrom): treten v. a. bei jungen Er-
wachsenen auf, die sich z. B. durch gleichzeitiges langes Tanzen körper-
lich überanstrengen
5 Hohes Fieber
5 Koma
5 Disseminierte intravasale Koagulation
5 Rhabdomyolyse
5 Akutes Nierenversagen
5 Krampfanfälle
5 Herzrhythmusstörungen
5 Leberversagen
4 Therapie bei Partydrogenmissbrauch
> Drogeninduzierte Psychosen und verzögert auftretende Echopsy-
chosen verschlechtern sich eher bei Behandlung mit Antipsycho-
tika; besser wirksam sind Benzodiazepine.
5 Beim Entzug nur gering ausgeprägte Entzugssymptome (aufgrund
geringer körperlicher Abhängigkeit), vorherrschend sind psychische
Symptome wie Depressivität und Antriebsmangel; langsamer, aus-
schleichender Entzug i. d. R. nicht notwendig
5 Entzugskomplikation bei Kokain und Amphetaminen: Suizidalität
wegen Dysphorie bzw. Depressivität
5 Behandlung affektiver Entzugssyndrome i. d. R. symptomorientiert
mit Antidepressiva

Flüchtige Lösungsmittel (»Schnüffelstoffe«)


4 Inhalation von Lösungs- und Reinigungsmitteln → sehr rasche Wirkung
(oft innerhalb weniger Minuten)
4 Intoxikationszeichen/klinisch bedeutsame Symptome
5 Apathie
5 Aggressivität, Streitlust
5 Beeinträchtigung von Urteilsfähigkeit und der Erfüllung sozialer
Verpflichtungen
5 Nystagmus
5 Schwindel, unsicherer Gang, Koordinationsstörungen/Ataxie
5 Verwaschene Sprache
5 Tremor
19 5 Reflexabschwächung
5 Allgemeine Muskelschwäche
5 Psychomotorische Verlangsamung
5 Verschwommenes Sehen, Doppelbilder
5 Bei schwerer Intoxikation Stupor und Koma
19 · Missbrauch und Abhängigkeit
209 19

4 Keine eindeutigen Belege für ein mögliches Entzugssyndrom Eigene Notizen


4 Schädliche Folgen des Konsums
5 Lösungsmittelschnüffler-Ausschlag um Mund und Nase
5 Respiratorische Störungen (Husten, Rinorrhö)
5 Induktion von intoxikationsbedingten Delirien, psychotischen Stö-
rungen, demenziellen, affektiven und Angststörungen sowie kör-
perlichen Erkrankungen
5 »Plötzlicher Schnüfflertod« durch Hypoxie, Elektrolytverschie-
bungen, Herzrhythmusstörungen
> Chronischer Konsum kann zu Schädigungen des ZNS, Leber- und
Niereninsuffizienz, Knochenmarksdepression und Herzrhythmus-
störungen führen.
20
Tag 4 – Spezielle Krankheitsbilder II

20 Psychische Faktoren
bei somatischen Erkrankungen
20.1 Psychische Komorbiditäten bei körperlichen Erkrankungen – 214

20.2 Psychosomatische Aspekte bei ausgewählten organischen


Erkrankungen – 214
20.2.1 Diabetes mellitus – 214
20.2.2 Koronare Herzkrankheit – 215
20.2.3 Chronisch entzündliche Darmerkrankungen – 216
20.2.4 Maligne Neoplasien – 216
20.2.5 AIDS – 217

20.3 Psychotherapeutische Maßnahmen – 217


212 Kapitel 20 · Psychische Faktoren bei somatischen Erkrankungen

Eigene Notizen Definition


Psychosomatische Medizin beschäftigt sich mit den Wechselwirkungen
und Verflechtungen psychischer und körperlicher Prozesse und deren
Störungen. Diese Wechselwirkungen können bidirektional sein. Eine
solche wechselseitige Beeinflussung betrifft im Grunde alle psychi-
schen und somatischen Erkrankungen in mehr oder weniger gleichem
Maße.

4 Organische Störungen können psychische Beschwerden direkt durch


zerebrale strukturelle und funktionelle Einflussnahme auslösen oder
begünstigen; Beispiele:
5 Endokrinopathien, z. B.
J Hyperthyreose: Schlafstörungen, Unruhe, starke Angstzustände,
Affektlabilität, gelegentlich agitierte Depression, Psychosen
J Hypothyreose: kognitive Defizite (potenziell reversible Demen-
zen), depressive Zustandsbilder, Psychosen
J M. Cushing: Angst, depressive Verstimmung, kognitive Störungen
J M. Addison: Müdigkeit, depressive Verstimmung
J Hypo-/Hyperparathyreoidismus: depressive Verstimmung, An-
triebsarmut, Müdigkeit, kognitive Defizite
J Phäochromozytom: starke Angstzustände
5 Infektionskrankheiten, z. B. Lyme-Borreliose (kognitive Defizite,
depressive Verstimmung, Persönlichkeitsveränderungen), Neuro-
Lues
5 Ischämien, Blutungen, Traumata und Tumore des zentralen Ner-
vensystems sowie viele weitere neurologische und auch internisti-
sche Erkrankungen
4 Psychische Erkrankung als Folge einer chronischen oder stigmati-
sierenden körperlichen Erkrankung (sog. somatopsychische Erkran-
kungen), z. B. bei malignen, kardialen oder dermatologischen Erkran-
kungen
4 Psychische Faktoren können den Verlauf klar somatischer Erkran-
kungen modulieren, z. B. bei entzündlichen Darmerkrankungen (Coli-
tis ulcerosa, Morbus Crohn), Asthma bronchiale, atopischer Dermatitis;
vom Konzept der psychogenen Verursachung ist man abgerückt
4 Psychische Erkrankungen können eine somatische Erkrankung verur-
sachen oder mit somatischen Beschwerden einhergehen; Beispiele
5 Alkoholabhängigkeit: körperliche Folgeerkrankungen wie Leberzir-
rhose, Pankreatitis, Ösophagusvarizen, Magen-Darm-Ulzera, Poly-
neuropathie
5 Depression: erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer kardiovasku-
lären Erkrankung und eines Diabetes mellitus Typ 2
5 Psychische Erkrankungen, die mit körperlichen Auffälligkeiten ein-
hergehen, z. B. Essstörungen, Schlafstörungen, sexuelle Funktions-
störungen
20 4 Körperliche Beschwerden, Erkrankungsüberzeugungen oder Funk-
tionseinbußen ohne hinreichendes ursächliches organisches Korrelat:
20 · Psychische Faktoren bei somatischen Erkrankungen
213 20

somatoforme Störungen, dissoziative und Konversionsstörungen (sog. Eigene Notizen


»Ausdruckskrankheiten“)
4 Einfluss internistischer oder chirurgischer Interventionen auf den psy-
chischen Zustand
5 Zum Beispiel Angst bei Schrittmacher-/Defibrillator-Patienten
5 Beispiel Organtransplantation
J Angst und Depression häufig bei Wartelisten-Patienten
J Nach einer Transplantation oft Auftreten von deliranten Syndro-
men (v. a. nach Knochenmarktransplantation und Bestrahlung),
depressiven oder manischen Symptomen (z. B. durch Nebenwir-
kungen immunsuppressiver und antibakterieller/virustatischer
Begleitmedikation) und einer ständigen Angst vor Organabsto-
ßung
4 Bei allen psychischen und somatischen Erkrankungen sind in unter-
schiedlicher Ausprägung somato-psychische Wechselwirkungen zu fin-
den (→ multifaktorielles Geschehen, bio-psycho-soziales Erklärungs-
modell)
4 Bio-psycho-soziales Erklärungsmodell
5 Multifaktorielle Genese der Erkrankungen
5 Zusammenspiel
J Biologischer (z. B. genetische, endokrinologische, immunolo-
gische Faktoren, Störungen in Neurotransmittersystemen)
J Psychologischer (z. B. bestimmte Persönlichkeitsmerkmale wie
geringe Stresstoleranz, emotionale Labilität) und
J Sozialer Faktoren (z. B. soziale Stressfaktoren wie Partnerschafts-
konflikte oder Todesfälle; soziale Lernerfahrungen, soziale Inte-
gration, kultureller Hintergrund)
4 Beispiel für die Wirkung psychosozialer Faktoren auf körperliche Vor-
gänge:
5 Auswirkungen von Stress auf physiologische Vorgänge: autonomes
»arousal«, neuroendokrine Aktivität, immunologische Reaktionen,
z. B.:
Psychosoziale Belastungen/chronischer Stress → Aktivierung der
Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse → ver-
mehrte Kortisolausschüttung → Immunsuppression → vermehrte
pathogene und verminderte regenerative Prozesse im Körper
5 Außerdem Auswirkungen von Stress auf das Verhalten: z. B. Schlaf-
und Bewegungsmangel, Fehlernährung, Substanzabusus → begüns-
tigt Krankheitsentwicklung
> Ganzheitliche Betrachtung des Menschen muss neben den soma-
tischen auch die psychosozialen Aspekte einer Störung/Erkran-
kung und deren Wechselwirkungen berücksichtigen.
214 Kapitel 20 · Psychische Faktoren bei somatischen Erkrankungen

Eigene Notizen 20.1 Psychische Komorbiditäten bei körperlichen


Erkrankungen

4 Höhere Prävalenz psychischer Erkrankungen bei Personen mit chro-


nischen somatischen Erkrankungen und körperlich multimorbiden
Patienten als in der Allgemeinbevölkerung
5 12-Monats-Prävalenz für psychische Erkrankungen um das 1,5- bis
2-fache erhöht
5 Überwiegend affektive Erkrankungen, somatoforme Störungen,
Angststörungen und substanzbezogene Störungen
4 Bedeutsame Korrelation zwischen multiplen somatischen Krankheiten
und psychischen Erkrankungen v. a. im höheren Lebensalter
5 Vielfach erhöhtes Risiko für eine schwere psychische Erkrankung
im höheren Lebensalter (ab dem 60. Lebensjahr)
4 Frühzeitiges Erkennen psychischer Komorbiditäten besitzt besondere
Relevanz:
5 Psychische Erkrankungen gehen häufig mit ungünstigerem Ge-
sundheitsverhalten einher und können so die Prognose drastisch
verschlechtern (z. B. Depression bei koronarer Herzerkrankung)
5 Dauer unbehandelter psychischer Erkrankungen korreliert häufig
negativ mit dem Behandlungsergebnis
4 Als Reaktion der hohen Prävalenz behandlungsbedürftiger psychischer
Erkrankungen in ambulanter und stationärer medizinischer Versor-
gung Einführung des Kurses »Psychosomatische Grundversorgung«
als Weiterbildungsangebot für Ärzte aller Fachgebiete
4 Aufgaben der psychiatrischen bzw. psychosomatischen Grundversorgung
5 Frühe differenzialdiagnostische Abklärung psychischer und psycho-
somatischer Beschwerden
5 Psychoedukation mit adäquater Aufklärungstätigkeit, supportive
Gespräche, Entspannungsverfahren
5 Weitervermittlung in fachärztliche psychiatrisch-psychosomatisch-
psychotherapeutische Behandlung

20.2 Psychosomatische Aspekte bei ausgewählten


organischen Erkrankungen
20.2.1 Diabetes mellitus

4 Patienten mit Diabetes mellitus haben ein etwa doppelt so hohes Risiko
an einer Depression zu erkranken als Nicht-Diabetiker (Kausalzusam-
menhang noch nicht hinreichend geklärt)
4 Hypoglykämien können zu akuten psychischen Symptomen führen wie
Angst und Erregung, sehr schwere rezidivierende Hypoglykämien kön-
nen das Risiko für die Entwicklung einer Depression erhöhen
4 Assoziation von Depression und Diabetes mellitus ist bidirektional: De-
20 pression kann auch das Risiko für die Entwicklung eines Diabetes mel-
litus Typ 2 erhöhen
20.2 · Psychosomatische Aspekte bei ausgewählten organischen Erkrankungen
215 20

5 Depression → Hyperkortisolämie → ist assoziiert mit Insulin- Eigene Notizen


resistenz und metabolischem Syndrom
4 Depression ist prognostisch relevant, z. B. weniger häufige Blutzucker-
messungen und schlechtere Blutzuckereinstellungen bei depressiven
Patienten

20.2.2 Koronare Herzkrankheit

4 Psychosoziale Risikofaktoren für die Entwicklung einer koronaren


Herzkrankheit (KHK) und/oder eines Herzinfarkts
5 Chronischer Stress im Beruf
J Ungleichgewicht von Anforderungen und Kontrollierbarkeit
J Ungleichgewicht von Aufwand und Gratifikation
J Überhöhte Verausgabungsbereitschaft mit Unterschätzung der
Anforderung und Überschätzung der eigenen Kompetenzen mit
hohem Anerkennungsbedürfnis
J Fehlen guter Beziehungen am Arbeitsplatz
5 Gesundheitsschädliche Verhaltensweisen (z. B. Rauchen, Bewe-
gungsmangel)
5 Negative Bindungserfahrungen
5 Selbstwertproblematik
5 Soziale Isolation, mangelnde soziale Unterstützung
5 Chronische Konflikte in Partnerschaft und Familie
5 Chronisch negative Affekte (z. B. Depressivität, Feindseligkeit)
J Patienten mit Depression und bipolarer Störung haben ein er-
höhtes Risiko für die Entwicklung einer KHK
J Hohe Komorbidität von KHK und Panikstörungen; Panikattacken
sind verbunden mit erhöhtem Herzinfarktrisiko
J Risiko kardialer Komplikationen nach einem Herzinfarkt steigt
mit der Stärke der Angst vor einem erneuten Herzinfarkt
4 Bis zu 20% der Patienten erkranken im Anschluss an einen Herzinfarkt
an einer schweren Depression und haben – verglichen mit Herzinfarkt-
patienten ohne Depression – ein mehrfach erhöhtes kardiales Mortali-
tätsrisiko
> Depression ist ein Risikofaktor für die Manifestation einer KHK
(ca. 50% erhöhtes Risiko) sowie für eine erhöhte Mortalität bei
vorhandener KHK. Umgekehrt haben KHK-Patienten auch ein
erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Depression.
Depression →← KHK
4 Zusammenhang zwischen Stress, Depression und kardiovaskulären Er-
krankungen: Mögliche Folgen von chronischem Stress und Depression
5 Regulationsstörung der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-
rinden-Achse → Hyperkortisolämie → metabolisches Syndrom →
kardiovaskuläres Risiko ↑
5 Sympathovagale Dysbalance → gestörte Endothelfunktion, Arrhyth-
mien, Vasokonstriktion, Hypertonie → kardiovaskuläres Risiko ↑
216 Kapitel 20 · Psychische Faktoren bei somatischen Erkrankungen

Eigene Notizen 5 Verändertes Gesundheitsverhalten → z. B. geringe Aktivität/Bewe-


gungsmangel, ungesunde Ernährung → kardiovaskuläres Risiko ↑
> Für depressive Patienten mit KHK besteht immer eine antidepres-
sive Behandlungsindikation. Dies kann die kardiovaskuläre Morta-
lität verringern.

20.2.3 Chronisch entzündliche Darmerkrankungen

4 Chronisch entzündliche Darmerkrankungen (CED): Morbus Crohn


und Colitis ulcerosa
4 Pathogenese der Erkrankungen: entzündlicher Prozess, an dem Um-
welteinflüsse (z. B. Nahrungsmittel), immunologische und genetische
Faktoren beteiligt sind
4 CED gehen einher mit erhöhter Komorbidität psychischer Erkran-
kungen (v. a. depressive Störungen und generalisierte Angststörung →
sekundäre funktionelle gastrointestinale Symptome können sich ein-
stellen → fördern die Chronifizierung des Krankheitsverlaufs)
4 Psychosoziale stressreiche Belastungen können bei entsprechender Dis-
position den Krankheitsverlauf negativ beeinflussen; psychotherapeu-
tische Maßnahmen können dagegen günstig auf den Verlauf einwirken

20.2.4 Maligne Neoplasien

4 Psychosozialen Faktoren und bestimmten Bewältigungsstilen wird zu-


nehmend mehr eine wichtige Bedeutung für die Beeinflussung von Ver-
lauf und Bewältigung einer Tumorerkrankung zugeschrieben
5 Als günstig für den Krankheitsverlauf, das emotionale Befinden und
die Lebensqualität haben sich erwiesen:
J Aktive Auseinandersetzung mit der Erkrankung
J Sinnsuche und Spiritualität
J Soziale Unterstützung, gute zwischenmenschliche Beziehungen
J Vertrauen in die Ärzte
5 Als ungünstig haben sich erwiesen:
J Passive Hinnahme und Resignation
J Unterdrückung von Gefühlen
J Sozialer Rückzug und Isolation
J Hilflosigkeit und Hoffnungslosigkeit
J Depression
4 Maligne Erkrankungen wirken aber auch erheblich auf die seelische
Gesundheit der Patienten zurück
4 Wesentliche Belastungen, die mit der Diagnose einer malignen Erkran-
kung einhergehen:
5 Existenzielles Empfinden vitaler Bedrohung (deutlich ausgeprägter
20 als bei objektiv ebenfalls bedrohlichen Erkrankungen wie z. B. Herz-
insuffizienz)
20.3 · Psychotherapeutische Maßnahmen
217 20

5 Verletzung der körperlichen Unversehrtheit Eigene Notizen


5 Autonomieverlust
5 Verlust sozialer Aktivitäten
5 Bedrohung des Selbstwertgefühls und der sozialen Identität
4 Ca. 30–50% der Tumorpatienten entwickeln reaktive psychische Be-
schwerden (v. a. in den ersten Wochen nach Diagnosestellung); behand-
lungsbedürftige Störungen entwickeln ca. 20–30%; am häufigsten:
5 Anpassungs- und Belastungsstörungen
5 Depressionen
5 Angststörungen
4 Psychoedukative, psychotherapeutische (insbesondere kognitiv-verhal-
tenstherapeutische Verfahren) und psychosoziale Maßnahmen können
emotionales Befinden und die Lebensqualität deutlich positiv beein-
flussen
4 Auch Schmerzen, Übelkeit und Erbrechen infolge einer Chemotherapie
lassen sich durch kognitiv-verhaltenstherapeutische Verfahren positiv
beeinflussen
4 Schwerere Angststörungen und depressive Störungen oder psychotische
Dekompensation unter Kortison und Chemotherapie machen auch eine
entsprechende Psychopharmakotherapie notwendig

20.2.5 AIDS

4 HIV-Infektion geht einher mit erheblicher emotionaler Belastung und


psychosozialen Problemen (z. B. Stigmatisierung, soziale Isolation, Ar-
beitsplatzverlust, Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit und des
Lebens)
4 Reaktiv können sich Trauerreaktionen, Anpassungsstörungen bis hin zu
schweren depressiven Erkrankungen entwickeln
4 Sehr viel höhere Prävalenz schwer depressiver und anderer psychischer
Beschwerden sowie von Suizidalität bei an AIDS-Erkrankten im Ver-
gleich zur Allgemeinbevölkerung
4 Entwicklung einer depressiven Störung ist verbunden mit geringerer
Überlebensdauer
4 HI-Virus per se kann Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen bis hin
zu Demenzen (HIV-assoziierte Demenz) und delirante Syndrome
(HIV-assoziiertes Delir) verursachen

20.3 Psychotherapeutische Maßnahmen

4 Neben störungsspezifischen psychotherapeutischen, psychopharmako-


logischen und somatischen Behandlungsmaßnahmen
5 Förderung von aktiver Stress-/Problembewältigung und Verbesse-
rung der Bewältigung körperlicher Erkrankungen (z. B. durch all-
gemeines Stressbewältigungstraining, kognitive Umstrukturie-
rung)
218 Kapitel 20 · Psychische Faktoren bei somatischen Erkrankungen

Eigene Notizen 5 Aktivierung familiärer und sozialer Ressourcen


5 Direkte Einflussnahme auf körperliche Prozesse durch Entspan-
nungsverfahren, Biofeedback, Imaginationsverfahren
5 Direkte Einflussnahme auf konkretes Gesundheitsverhalten durch
Informationsvermittlung, Schulung, Vermittlung eines psycho-so-
matischen Erklärungsmodells und Förderung der aktiven Mitver-
antwortung
> Dem Patienten nie das Gefühl vermitteln, somatische Beschwer-
den nicht ernst zu nehmen oder zu psychiatrisieren → führt ggf.
zu erheblichem Compliance-Verlust.

20
21
Tag 5 – Spezielle Krankheitsbilder III

21 Aufmerksamkeitsdefizit-
Hyperaktivitätsstörung (ADHS)
220 Kapitel 21 · Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS)

Eigene Notizen Definition


21 Aufmerksamkeitsstörung, Überaktivität und Impulsivität.

4 Hyperkinetische Störung
4 »Zappelphilipp«-Phänomen

Ätiologie
4 Besonders relevant sind genetische und neurobiologische Faktoren (v. a.
dopaminerge, geringer auch serotonerge und noradrenerge Funktions-
störung, frontolimbische Hypoaktivität), Schwangerschafts- und Ge-
burtskomplikationen
4 Psychosoziale und familiäre Faktoren (z. B. negative Eltern-Kind-Inter-
aktionen, unvollständige Familien, hohe Wohndichte) werden als be-
deutsam für die Persistenz und den Schweregrad der Erkrankung ange-
sehen (keine primäre ätiologische Bedeutung)

Epidemiologie
4 Eine der häufigsten psychischen Erkrankungen im Schulalter, bei ca.
5–10% der 4- bis 10-Jährigen deutlich ausgeprägte Kernsymptome der
ADHS
4 Ca. 4-mal mehr Jungen betroffen
4 Beginn vor dem 6. Lebensjahr
4 Mindestens in 1/3 der Fälle Andauern der Erkrankung bis ins Erwach-
senenalter, Prävalenz der ADHS im Erwachsenenalter: ca. 1%; Ge-
schlechterverhältnis im Erwachsenenalter: Männer zu Frauen ca. 2:1
Klinik
4 Leitsymptome
5 Störung der Aufmerksamkeit und Konzentration: erhebliche Ab-
lenkbarkeit, geringe Ausdauer
5 Hyperaktivität: ausgeprägte motorische Unruhe mit Nicht-Sitzen-
Können (neigen zu Unfällen!), ständigem Reden und Lärmen und
ziellosen Aktivitäten
5 Impulsivität mit niedriger Frustrationstoleranz und häufigen Stim-
mungsschwankungen mit Wutausbrüchen
4 Diagnosekriterien hyperkinetischer Störungen (nach ICD-10)
1. Situationsübergreifendes Vorkommen der Kardinalsymptome Auf-
merksamkeitsstörung und Hyperaktivität
2. Begleitsymptome (für die Diagnose nicht notwendig, diese jedoch
stützend): impulsive Missachtung sozialer Regeln, Distanzlosigkeit
in sozialen Beziehungen, Unbekümmertheit in Gefahrensituationen
4 Einteilung der hyperkinetischen Störungen
5 Einfache Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung, wenn
allgemeine Kriterien der hyperkinetischen Störung (Aufmerksam-
keitsstörung, Hyperaktivität, Impulsivität) erfüllt sind
5 Hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens, wenn allgemeine
Kriterien der hyperkinetischen Störung erfüllt sind bei zusätzlichem
Vorliegen einer Störung des Sozialverhaltens
21 · Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS)
221 21

4 Oft negative Auswirkungen auf die Schulleistungen mit resultierenden Eigene Notizen
Konflikten in Elternhaus und Schule, niedrigem Selbstwertgefühl
4 Häufig bestehen entwicklungsneurologische Auffälligkeiten, kognitive
Beeinträchtigungen und komorbid Ticstörungen, umschriebene Ent-
wicklungsstörungen, Störungen des Sozialverhaltens sowie affektive
und Angststörungen
4 Erhöhtes Risiko für eine dissoziale Entwicklung sowie für Suchterkran-
kungen
4 ADHS im Erwachsenenalter: Persistenz der zentralen Symptome in
altersspezifischer Ausprägung: statt motorischer Unruhe eher innere
Unruhe, emotionale Instabilität und Desorganisiertheit
5 Keine eigenen ICD-10-Kriterien für das Erwachsenenalter, es gelten
die gleichen Kriterien wie im Kindesalter
5 Wender-Utah-Kriterien (spezifisch für Erwachsene entwickelt, zur
Unterstützung der Diagnosestellung)
1. Aufmerksamkeitsstörung
2. Motorische Hyperaktivität
3. Affektlabilität
4. Desorganisiertes Verhalten
5. Mangelnde Affektkontrolle
6. Impulsivität
7. Emotionale Überreagibilität
Punkte 1 und 2 sind für die Diagnose obligatorisch; zusätzlich müs-
sen noch mindestens 2 der anderen Kriterien erfüllt sein (Problem:
teilweise Überlappung der Kriterien)
> Voraussetzung für die Diagnose einer ADHS im Erwachsenenalter
ist das Vorliegen einer ADHS bereits im Kindesalter.

Diagnostik
4 Ausführliche Eigen- und Fremdanamnese inkl. Medikamentenanam-
nese zum Ausschluss medikamentöser Ursachen (z. B. Barbiturate, Anti-
histaminika, Sympathikomimetika, Theophyllin, Steroide, Antipsycho-
tika und andere Psychopharmaka) und Suchtanamnese (missbräuch-
licher Konsum psychotroper Substanzen?)
4 Körperliche Untersuchung (inkl. EEG und Laborstatus) zum Ausschluss
organischer Ursachen (altersabhängig), v. a.
5 Schilddrüsenerkrankungen
5 Epilepsie mit Absencen
5 Chorea
5 Schädel-Hirn-Traumata
5 Vigilanzstörungen bei Schlafstörungen wie Narkolepsie, Restless-
Legs-Syndrom, Schlafapnoe-Syndrom
4 Testpsychologische Verfahren, störungsspezifische Fragebögen
4 Differenzialdiagnostisch abzugrenzen sind insbesondere
5 Hirnorganische Störungen
5 Intelligenzminderungen
5 Störungen des Sozialverhaltens
222 Kapitel 21 · Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS)

Eigene Notizen 5 Ticstörungen


21 5 Vor allem im Erwachsenenalter affektive Störungen, Schizophre-
nien (v. a. Residual- bzw. Prodromalsymptome), Persönlichkeits-
störungen (v. a. emotional-instabile, dissoziale, ängstlich-vermei-
dende)

Therapie
4 Kombination von Psycho- und Pharmakotherapie
4 Verhaltenstherapeutischen Maßnahmen, z. B. Psychoedukation, Acht-
samkeitstraining, Verstärkerprogramme, Übungen zur Verhaltens-
kontrolle und Handlungsplanung, kognitive Therapien
4 Methoden zum Spannungsabbau (z. B. Entspannungsverfahren, Sport)
sowie Maßnahmen zur Strukturierung des Tagesablaufs und Organisa-
tionshilfen können hilfreich sein
4 Psychopharmakotherapie
5 Psychostimulanzien (zugelassen bei Kindern ab dem 6. Lebensjahr):
Methylphenidat und Amphetaminderivate (D,L-Amphetamin)
5 Selektiver Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI): Ato-
moxetin (Medikament der 2. Wahl)
5 Antidepressiva mit noradrenerger Wirkkomponente (z. B. Reboxe-
tin, Venlafaxin, Bupropion) als Medikamente der 3. Wahl zur Be-
handlung der ADHS im Erwachsenenalter
22
Tag 5 – Spezielle Krankheitsbilder III

22 Ticstörungen
224 Kapitel 22 · Ticstörungen

Eigene Notizen Definition


Unwillkürliche, schnell einschießende, stereotype muskuläre Aktionen
oder Lautäußerungen, die keinem offensichtlichen Zweck dienen.
22
Ätiologie
4 Genetische Disposition
4 Störung von Hemmungs-Enthemmungs-Abläufen verschiedener
Transmitter: v. a. Überaktivität des dopaminergen Systems im Bereich
der Basalganglien; daneben Störungen des serotonergen und noradre-
nergen Neurotransmittersystems
4 Störung der Basalganglien führt zur Dysfunktion im kortiko-striato-tha-
lamo-kortikalen Kreislauf (sensomotorisches Regulationssystem)
4 Stressabhängige Ausprägungen

Epidemiologie
4 Ticstörungen insgesamt bei ca. 7% der Bevölkerung
4 Gilles-de-la-Tourette-Syndrom bei ca. 1,5% der Bevölkerung
4 Ticstörungen sind ca. 10-mal häufiger bei Kindern/Jugendlichen als bei
Erwachsenen
4 Hauptmanifestationsalter um das 7. Lebensjahr
4 Häufiger bei Jungen (ca. 4:1)

Klinik
4 Erleben der Tics als unwillkürlich; willkürliche Unterdrückung ist je-
doch zeitweise möglich
4 Vermehrtes Auftreten unter emotionaler Beteiligung (z. B. bei Anspan-
nung, Angst, Ärger, Freude, Stress, Müdigkeit), Nachlassen unter Ablen-
kung, Entspannung, Konzentration auf eine Tätigkeit; Nichtauftreten
im Schlaf
4 Gelegentliches Wahrnehmen eines »sensomotorischen Vorgefühls«
(eine Art Drang, Kribbeln oder Spannungsgefühl, das dem Tic voraus-
geht und durch Ausführung des Tics vorübergehend gelöst wird)
4 Unterscheidung der Tics nach ihrer Qualität (motorisch, vokal) und
ihrer Komplexität (einfach, komplex)
4 Motorische Tics
5 Einfache: z. B. Blinzeln, Gesichts-, Hals-, Schulterzuckungen
5 Komplexe: z. B. Springen, Klatschen, Berühren, Echopraxie (zwang-
haftes Nachahmen und Wiederholen vorgezeigter Bewegungen),
Kopropaxie (unwillkürliche obszöne Gesten)
4 Vokale Tics
5 Einfache: z. B. Räuspern, Grunzen, Bellen, Husten
5 Komplexe: z. B. Wörter, Sätze, Kurzaussagen, Echolalie (zwanghaftes
Wiederholen von Worten oder Sätzen des Gesprächspartners), Pa-
lilalie (zwanghaftes Wiederholen eigener Worte oder Sätze), Kopro-
lalie (Ausstoßen fäkaler oder obszöner Worte)
4 Zu Beginn der Erkrankung treten häufig einfache motorische Tics im
Bereich des Gesichts auf
22 · Ticstörungen
225 22

4 Klassifikation der Ticstörungen Eigene Notizen


5 Vorübergehende Ticstörung: oft nur einfache motorische Tics;
Dauer maximal 1 Jahr
5 Chronische motorische oder vokale Ticstörung: einfache und/
oder komplexe motorische oder vokale Tics; länger als 1 Jahr
5 Kombinierte vokale und multiple motorische Tics (Gilles-de-la-
Tourette-Syndrom): einfache und/oder komplexe motorische und
vokale Tics; länger als 1 Jahr
4 Verlauf: bei chronischen Ticstörungen (einschließlich Tourette-Syn-
drom) bis in die Pubertät häufig Zunahme an Intensität und Häufigkeit
der Tics und anschließend vollständige oder teilweise Remission
4 Häufige Komorbidität mit anderen psychischen Erkrankungen des Kin-
des- und Jugendalters (ADHS, Zwangsstörungen, Störungen der Im-
pulskontrolle, autoaggressives Verhalten, depressive und Angststörun-
gen, Schlafstörungen, Autismus-Spektrum-Störungen)

Diagnostik
4 Eigen- und Fremdanamnese, Verhaltensbeobachtung
4 Allgemeinkörperliche und neurologische Untersuchung zum Aus-
schluss organischer Ursachen der Tics oder Tic-ähnlichen Phänomene,
z. B. (altersabhängig)
5 Chorea Huntington
5 Chorea minor Sydenham
5 Verschiedene Dystonieformen
5 Ballismus
5 Myoklonus
5 Epilepsien
5 Zerebrale Erkrankungen und Schädigungen wie Insult, Enzephali-
tis, Schädel-Hirn-Traumata, CO-Vergiftung, Lyme-Borreliose
4 Auftreten auch im Rahmen des Konsums bestimmter Substanzen mög-
lich (Medikamenten- und Suchtanamnese!)
5 Amphetamine
5 L-Dopa
5 Opiatmissbrauch
5 Spätdyskinesien im Rahmen einer Antipsychotikabehandlung
4 Differenzialdiagnostisch abzugrenzen sind auch stereotype Bewe-
gungsstörungen
5 Willkürliche, wiederholte, stereotype, oft rhythmische und nicht
funktionelle Bewegungen (»Jaktationen«) wie Körper- oder Kopf-
schaukeln, Haarezupfen, Fingerschnippen oder Händeschütteln
5 Selbstschädigendes Verhalten wie wiederholtes Kopfanschlagen,
Ins-Gesicht-schlagen, In-den-Augen-bohren und Beißen
5 Häufig bei intelligenzgeminderten, vernachlässigten oder autisti-
schen Kindern

Therapie
4 Aufklärung von Betroffenen und Bezugspersonen über das Erkran-
kungsbild
226 Kapitel 22 · Ticstörungen

Eigene Notizen 4 Verhaltenstherapeutische Techniken, z. B. Entspannungsverfahren,


Wahrnehmungstraining, bewusstes »Aus-tic-en«, Training motorisch
inkompatibler Reaktionen, Verstärkerprogramme
22 4 Psychopharmakotherapie (symptomatisch) mit D2-Rezeptor-blockie-
renden Antipsychotika wie Tiaprid, Risperidon, Pimozid oder Halo-
peridol
4 Bei extrem schwerer Ausprägung der Symptomatik ggf. stereotaktische
Tiefenhirnstimulation (nur im Erwachsenenalter)
23
Tag 5 – Spezielle Krankheitsbilder III

23 Emotionale und soziale


Verhaltensstörungen mit Beginn
in Kindheit und Jugend
23.1 Störungen des Sozialverhaltens – 228

23.2 Emotionale Störungen des Kindesalters – 229

23.3 Elektiver/selektiver Mutismus – 231

23.4 Bindungsstörungen – 231


228 Kapitel 23 · Emotionale und soziale Verhaltensstörungen mit Beginn in Kindheit und Jugend

Eigene Notizen 23.1 Störungen des Sozialverhaltens

Definition
Durchgängiges Muster erheblich abweichenden, dissozialen, aggressiven
oder aufsässigen Verhaltens.
23
4 Synonyme Begriffe: Dissozialität, antisoziales Verhalten in Kindheit und
Jugend

Ätiologie
4 Wechselwirkungen:
5 Genetische Disposition
5 Neurobiologische Faktoren, z. B. Zusammenhang zwischen aggressi-
vem Verhalten und hirnstrukturellen und -funktionellen Auffälligkei-
ten im präfrontalen Kortex und temporo-limbischen Strukturen; As-
soziation von Aggression und Dysfunktion des serotonergen Systems
5 Psychosoziale Faktoren, z. B. ungünstige Familienverhältnisse und
familiäre Kommunikationsmuster, Delinquenz der Eltern, aggres-
sive elterliche Verhaltensweisen, Misshandlung, niedriger sozioöko-
nomischer Status, negative Einflüsse der peer-group (Bezugsgruppe
der Gleichaltrigen)

Epidemiologie
4 Bis zu 8% aller Kinder und Jugendlichen weisen Störungen des Sozial-
verhaltens auf
4 Häufiger bei Jungen und in städtischen Gebieten

Klinik
4 Aggressives Verhalten gegen Personen, Tiere oder Gegenstände
4 Verminderte Frustrationstoleranz, häufig heftige Wutausbrüche, Im-
pulsivität, Streitlust
4 Häufig Lügen, Schuleschwänzen, Weglaufen, Tierquälerei, Übertretung
von Normen und Gesetzen und Verletzung der Rechte anderer Per-
sonen (z. B. Eigentumsdelikte, Brandstiftung), Drogenkriminalität
4 Dissoziales Verhalten in verschiedenen Lebenskontexten mit dem Ziel,
einen unmittelbaren Vorteil zu gewinnen
4 Unterscheidung einer Gruppe mit frühem Beginn (vor dem 10. Lebens-
jahr) und spätem Beginn (nach dem 10. Lebensjahr)
5 Bei frühem Beginn eher ungünstiger chronischer Verlauf hin zur
dissozialen Persönlichkeitsstörung
4 Auf den familiären Rahmen beschränkte Störung des Sozialverhaltens
5 Aggressives Verhalten fast nur im häuslichen Umfeld bzw. bei Fami-
lienmitgliedern
4 Störung des Sozialverhaltens mit fehlenden sozialen Bindungen
5 Andauerndes aggressives Verhalten, das zu Störungen in den Bezie-
hungen zu anderen Personen führt (insbesondere zur peer-group,
meist auch zu Erwachsenen)
23.2 · Emotionale Störungen des Kindesalters
229 23

4 Störung des Sozialverhaltens bei vorhandenen sozialen Bindungen Eigene Notizen


5 Aggressives Verhalten bei guter Integration in die (ebenfalls disso-
ziale) peer-group
4 Störung des Sozialverhaltens mit oppositionellem, aufsässigem Ver-
halten
5 Ungehorsames oder trotziges Verhalten ohne schweres aggressives
oder delinquentes Verhalten

Diagnostik
4 (Familien-)Anamnese und Fremdanamnese, Erhebung des sozialen
Umfeldes
4 Allgemeinkörperliche und neurologische Untersuchung (inkl. EEG)

Therapie
4 Konfliktbewältigungsstrategien, Problemlösetraining, Förderung der
Ich-Entwicklung, Verbesserung der Beziehungsfähigkeit, der sozialen
Wahrnehmung und Kognition
4 Einüben prosozialer Verhaltensweisen, z. B. in Rollenspielen
4 Ablösung von dissozialen Gruppen
4 Familientherapie
4 Jugendhilfemaßnahmen nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz
(KJHG) in Kooperation mit dem Jugendamt
4 In Einzelfällen (z. B. bei schwerem impulsivem, aggressivem Verhalten)
können atypische Antipsychotika wie Risperidon unterstützend einge-
setzt werden oder Lithium

23.2 Emotionale Störungen des Kindesalters

Definition
Störungsgruppe, die insbesondere Ängste und depressive Symptome
umfasst.

Ätiologie
4 Vor allem Lernerfahrungen durch Erziehungseinflüsse und Bindungs-
erfahrungen; wahrscheinlich auch genetische Disposition

Epidemiologie
4 Gehören zu den häufigsten psychischen Erkrankungen des Kindesalters

Klinik
4 Emotionale Störung mit Trennungsangst
5 Extrem starke Furcht vor Trennung von Bezugspersonen
5 Häufig psychosomatische Beschwerden bei bevorstehenden Tren-
nungen
5 Verweigerung des Besuches des Kindergartens oder der Schule
(Schul»phobie«)
230 Kapitel 23 · Emotionale und soziale Verhaltensstörungen mit Beginn in Kindheit und Jugend

Eigene Notizen > Insbesondere im Alter von 6–8 Lebensmonaten sind Trennungs-
ängste normal (sog. »Fremdeln«).

4 Phobische Störung des Kindesalters


5 Massive Ängste vor spezifischen Objekten oder Situationen mit cha-
23 rakteristischer Altersbindung der Symptomatik, z. B. im Vorschul-
alter Angst vor Dunkelheit, Gespenstern, Gewitter, manchen Tieren
> Phobisch sind die Ängste nur dann, wenn sie altersunangemessen
und exzessiv erlebt werden und das Befinden sowie soziale Funk-
tionen deutlich beeinträchtigen.
5 Vegetative Begleiterscheinungen der Angst
5 Vermeidungsverhalten
4 Emotionale Störung mit Geschwisterrivalität
5 Gestörte Anpassungsreaktion an das Geschwisterkind: extreme Ab-
lehnung, Eifersucht, Rivalität, z. T. Aggressivität gegenüber dem
Geschwisterkind
5 Konkurrenz um Aufmerksamkeit und Zuwendung der Eltern
5 Trotziges, oppositionelles Verhalten gegenüber den Eltern
> Ein gewisses Ausmaß emotionaler Störungen zeigt die Mehrzahl
junger Kinder nach der Geburt eines unmittelbar nachfolgenden
Geschwisterkindes. Die emotionale Störung mit Geschwisterriva-
lität ist nur zu diagnostizieren, wenn Ausmaß und Dauer der Stö-
rung übermäßig ausgeprägt sind und zu deutlichen Störungen
der sozialen Interaktion führen.

Diagnostik
4 (Familien-)Anamnese, Beobachtung der familiären Interaktion
4 Bei Schulverweigerung differenzialdiagnostische Abgrenzung von
Trennungsangst, Schulangst (Leistungs- und Sozialängste) und Schule-
schwänzen (keine Lust auf Schule)

Therapie
4 Elternberatung/-training, psychotherapeutische Maßnahmen wie z. B.
Reaktionsexposition und Angstmanagement, systematische Desensibi-
lisierung, soziales Kompetenztraining
4 Bei massiven Ängsten sowie bei chronischen Verlaufsformen ggf. unter-
stützend Pharmakotherapie (selektive Serotonin-Wiederaufnahme-
hemmer, ggf. in Krisensituationen kurzfristig Benzodiazepine)
23.4 · Bindungsstörungen
231 23
23.3 Elektiver/selektiver Mutismus Eigene Notizen

Definition
Störung mit starker Beeinträchtigung der sprachlichen Kommunikation.
Selektives Nichtsprechen gegenüber bestimmten Personen/Personen-
gruppen und/oder in bestimmten Situationen.

Ätiologie
4 Begünstigende Faktoren: sprachliche Entwicklungsverzögerung, ängst-
liche Persönlichkeitsstruktur und auffällige, disharmonische Familien-
verhältnisse

Epidemiologie
4 Seltene Erkrankung, häufiger bei Mädchen
4 Meist zwischen dem 4. und 8. Lebensjahr auftretend

Klinik
4 Nichtsprechen bei erhaltenem Sprechvermögen und Abschluss der
Sprachentwicklung
4 Auftreten nur in bestimmten Situationen oder gegenüber ausgewählten
Personen (oft normales Sprechen zu Hause oder mit engen Freunden)
4 In sozialen Situationen oft ängstlich und zurückhaltend, zu Hause eher
aufsässig und oppositionell

Diagnostik
4 Entwicklungsanamnese und test-/neuropsychologische Diagnostik

Therapie
4 Vor allem nonverbale psychotherapeutische Maßnahmen (Musik-, Bewe-
gungs-, Kunsttherapie), verhaltenstherapeutische Anwendung des Prin-
zips der operanten Konditionierung für bestimmtes Sprechverhalten
4 Ggf. Herausnahme aus einer belastenden familiären Situation
4 Ggf. unterstützende pharmakologische Behandlung komorbider Stö-
rungen (häufige Komorbidität mit Ängsten und depressiven Störungen)

23.4 Bindungsstörungen

Definition
Störungsbild mit abnormem Beziehungsmuster, einer Störung sozialer
Funktionen und mit emotionalen Auffälligkeiten, die insbesondere in
sozialen Interaktionen deutlich werden.

Ätiologie
4 Relevant sind v. a. biografische Faktoren wie verwahrlostes Milieu, De-
privation, Misshandlung oder Missbrauch in den ersten Lebensjahren
232 Kapitel 23 · Emotionale und soziale Verhaltensstörungen mit Beginn in Kindheit und Jugend

Eigene Notizen 4 Unsichere Bindung als Risikofaktor für die Entwicklung einer Bin-
dungsstörung
Epidemiologie
4 Unsicheres Bindungsverhalten in der frühen Kindheitsentwicklung ist
relativ häufig (unsicher-vermeidend, unsicher-ambivalent), keine zu-
23 verlässigen epidemiologische Daten zu den Bindungsstörungen
4 Bindungsstörungen sind häufiger bei Jungen als bei Mädchen
Klinik
4 2 Grundformen
5 Gehemmte Form mit Rückzug, Vermeidung, Hypervigilanz
5 Ungehemmte Form v. a. mit wahllosem, distanzlos-diffusem Kon-
taktverhalten
4 Reaktive Bindungsstörung des Kindes (gehemmter Typ)
5 Ambivalentes Beziehungsverhalten zu Betreuungspersonen (An-
näherung, Vermeidung, Widerstand, »frostige Wachsamkeit«/
beobachtende Übervorsichtigkeit)
5 Gehemmtes, ängstliches oder aggressives Verhalten gegenüber sich
selbst und anderen Personen, eingeschränkte soziale Interaktionen
mit Gleichaltrigen
5 Emotionale Auffälligkeiten (Mangel an emotionaler Ansprechbar-
keit, apathisch, unglücklich, furchtsam)
5 In einigen Fällen Wachstumsverzögerung
5 Beginn vor dem 5. Lebensjahr
4 Bindungsstörung des Kindes mit Enthemmung
5 Wahllose, unkritische Anklammerungstendenzen und Distanzlosig-
keit gegenüber Erwachsenen, aufmerksamkeitssuchendes Verhalten
5 Beziehungsstörung zu Gleichaltrigen: oberflächliche Kontakte,
Schwierigkeiten beim Aufbau enger, länger dauernder Beziehungen
5 Oft rasche Stimmungswechsel und Regelverletzungen (Diebstähle,
Lügen), aggressive Verhaltensweisen gegen sich selbst und andere
5 Beginn vor dem 5. Lebensjahr
5 Tendenz, trotz Änderungen der Milieubedingungen zu persistieren
Diagnostik
4 Entwicklungsanamnese, Verhaltensbeobachtung (Beobachtung des
Bindungsverhaltens, z. B. Video mit Trennung und Wiederannäherung
von Kind und Bezugsperson, Spielbeobachtung)
4 Somatische Abklärung mit entwicklungsneurologischer Untersuchung,
v. a. bei Minderwuchs
Therapie
4 Milieutherapeutische Maßnahmen (ggf. Einschaltung des Jugendamtes
und Herausnahme aus dem Milieu)
4 Spieltherapeutische Maßnahmen mit dem Ziel einer Verbesserung der
Beziehungsfähigkeit des Kindes
4 Familientherapie, -beratung
4 Ggf. unterstützende pharmakologische Behandlung komorbider Stö-
rungen (Ängste, depressive Störungen)
24
Tag 5 – Spezielle Krankheitsbilder III

24 Entwicklungsstörungen
24.1 Umschriebene Entwicklungsstörungen – 234

24.2 Tiefgreifende Entwicklungsstörungen, Autismus – 236

24.3 Enuresis und Enkopresis – 239


234 Kapitel 24 · Entwicklungsstörungen

Eigene Notizen 24.1 Umschriebene Entwicklungsstörungen

Definition
Teilleistungsstörungen: Fähigkeiten liegen in einzelnen Leistungsbe-
reichen unterhalb des Niveaus der sonstigen intellektuellen Kapazität.

4 Umschriebene Entwicklungsstörungen
5 des Sprechens und der Sprache: Sprachstörung (Störung von Sprach-
24 verständnis und/oder sprachlichem Ausdruck), Sprechstörung
(Störungen des Sprechablaufs/-flusses)
5 der schulischen Fertigkeiten: Lese- und Rechtschreibstörung (Le-
gasthenie), Rechenstörung (Dyskalkulie)
5 der motorischen Funktionen

Ätiologie
4 Vor allem genetische und hirnorganische Faktoren (Störungen zentral-
nervöser Reifungsprozesse)
4 Begünstigung durch psychosoziale Faktoren, v. a. fehlende Förderung

Epidemiologie
4 Ca. 7% der Kinder zeigen Teilleistungsschwächen im verbalen, ca. 5%
im nonverbalen Bereich
4 Insgesamt sind Jungen häufiger betroffen

Klinik
4 Beginn der Störung im Kleinkindalter/in der Kindheit
4 Stetiger Verlauf der Erkrankung (keine Remissionen/Rezidive)
4 Sprachstörungen
5 Artikulationsstörung (Stammeln, Dyslalie): Fehlen, Ersetzen oder
Entstellen einzelner Laute oder Lautverbindungen
5 Expressive Störung: Fähigkeit des Kindes, die expressiv gesprochene
Sprache zu gebrauchen (aktiver Wortschatz, Grammatik, Fähigkeit,
Inhalte sprachlich auszudrücken) liegt deutlich unterhalb des sei-
nem Intelligenzalter angemessenen Niveaus; Sprachverständnis
liegt i. d. R. im Normbereich
5 Rezeptive Störung: Sprachverständnis des Kindes liegt deutlich
unterhalb des seinem Intelligenzalter angemessenen Niveaus
4 Sprechstörungen: Störungen des Sprechablaufs/des Redeflusses
5 Stottern (Hemmung oder Unterbrechung des Sprechflusses) oder
Poltern (hohe fehlerhafte Sprechgeschwindigkeit, unrhythmisch
und ruckartig)
> Leichtes Stammeln, Stottern und Poltern sind im Vorschulalter
physiologisch.

4 Lese-Rechtschreibstörung (Legasthenie)
5 Lesestörung: z. B. Schwierigkeiten, das Alphabet aufzusagen, Buch-
staben zu benennen, Laute zu unterscheiden; Auslassen, Ersetzen,
Verdrehen oder Hinzufügen von Worten oder Wortteilen, sehr lang-
24.1 · Umschriebene Entwicklungsstörungen
235 24

sames Lesetempo; Inkonstanz der Lesefertigkeit; oft Defizite im Eigene Notizen


Leseverständnis
5 Rechtschreibstörung: z. B. Auslassen, Verdrehen oder Hinzufügen
von Buchstaben, Regelfehler (z. B. Fehler in der Groß- und Klein-
schreibung), »lautliches« Schreiben, Wortverstümmelungen; Fehler-
inkonstanz
4 Rechenstörung (Dyskalkulie): Schwächen in den Grundrechenarten,
Nicht-verstehen von Rechenoperationen, Defizite im sprachlichen Um-
gang mit Zahlen und beim Erwerb des arabischen Stellenwertsystems,
Schwierigkeiten beim Einordnen von Einer-, Zehner- und Hunderter-
potenzen
> Andauernde Misserfolgserlebnisse in der Schule wirken sich un-
günstig auf die Lernmotivation und Leistungsentwicklung aus
und können die Entwicklung sekundärer psychischer Erkrankun-
gen fördern.

4 Umschriebene Störungen motorischer Funktionen; Kinder wirken un-


geschickt und haben Schwierigkeiten z. B. beim Ankleiden, Schuhebin-
den, Malen und Basteln, Schwimmen, Radfahren (geraten dadurch
häufig bei Freizeitaktivitäten in eine Außenseiterposition)

Diagnostik
4 Intelligenz- und Entwicklungsdiagnostik (z. B. Hamburg-Wechsler-In-
telligenztest für Kinder), Lese- und Rechtschreibtests, Rechentests oder
Prüfung motorischer Fertigkeiten
4 Ausschluss neurologischer und sensorischer Störungen: Körperliche
Untersuchung inkl. EEG, Hör- und Sehprüfung, Sprachdiagnostik

Therapie
4 Elternberatung
4 Individuell angepasste Förder- und Therapiemaßnahmen
4 Sprach-/Sprechstörungen: Logopädische Behandlung
4 Störung schulischer Fertigkeiten: spezifisches Training des Lesens, der
Rechtschreibung oder des Rechnens; Piracetam (ein Nootropikum)
wirkt unspezifisch bei schwerer Legasthenie
4 Motorische Störungen: Ergotherapie, Mototherapie und Krankengym-
nastik
4 Bei sekundärer Ausbildung emotionaler Störungen (z. B. Ängste, De-
pressionen, Schulverweigerung) ggf. zusätzliche psychotherapeutische
Maßnahmen
236 Kapitel 24 · Entwicklungsstörungen

Eigene Notizen 24.2 Tiefgreifende Entwicklungsstörungen,


Autismus

Definition
Erhebliche Beeinträchtigungen mehrerer Entwicklungsbereiche
(Kommunikation, soziale Interaktion, Interessen, Aktivität).

24 Ätiologie
4 Genetische Einflüsse, Hirnfunktionsstörungen und biochemische Auf-
fälligkeiten (z. B. Störungen im Serotonin- und Dopaminstoffwechsel
sowie anderer Transmitter), Störungen der kognitiven und emotionalen
Informationsverarbeitung
> Für tiefgreifende Entwicklungsstörungen ist »falsche Erziehung«
sicher nicht ursächlich.

Klinik
4 Frühkindlicher Autismus/Kanner-Syndrom: vor dem 3. Lebensjahr
beginnende, tiefgreifende Störung von Sprache, Empathie, Kontakt, In-
teressen, Entwicklungsfähigkeit
5 Qualitative Beeinträchtigungen wechselseitiger sozialer Aktionen
(z. B. unangemessene Einschätzung und geringer Gebrauch sozialer
und emotionaler Signale, Vermeidung von Blickkontakt)
5 Qualitative Beeinträchtigung der Kommunikation; keine oder ver-
zögerte Sprachentwicklung; wenn Sprache vorhanden: stereotype
Wort- und Satzfolgen, Neologismen, Echolalie, pronominale Um-
kehr (Vertauschung von »Du« und »Ich«), Störung der Intonation
und des Sprachrhythmus
5 Affektiv indifferent und wenig schwingungsfähig
5 Beschränkte Interessen und stereotype Verhaltensmuster (stereoty-
per Spielzeuggebrauch, oft intensive Bindung an bestimmte Gegen-
stände, repetitives und oft ritualisiertes Verhalten mit panischer
Veränderungsangst)
> Stereotypien wie Augenbohren, Schlagen mit den Händen auf die
Ohren können als Selbststimulation von Sinnesbereichen inter-
pretiert werden.

5 Starke Selbstbezogenheit
5 Häufig Intelligenzminderung (in ca. 80% der Fälle) und neurolo-
gische Auffälligkeiten (z. B. zerebrale Krampfanfälle) sowie weitere
neuropsychologische und psychopathologische Symptome (Schlaf-
und Essstörungen, aggressives Verhalten, Selbstverletzungen, Hy-
peraktivität)
5 Kernsymptomatik (basale Kommunikationsstörung, häufig Stereo-
typien und Selbststimulation, eingeschränkte Interessen und beein-
trächtigte Fähigkeit zur Kontaktaufnahme) bleibt auch im Erwach-
senenalter erhalten
24.2 · Tiefgreifende Entwicklungsstörungen, Autismus
237 24

4 Asperger-Syndrom Eigene Notizen


5 Qualitative Beeinträchtigungen der sozialen Interaktion
5 Vorliegen von Spezialinteressen und -kenntnissen (z. B. Auswendig-
lernen von Telefonbüchern)
5 Stereotype Aktivitäten
5 Motorische Ungeschicklichkeit
5 Fehlen einer allgemeinen Entwicklungsverzögerung
5 Trotz guter Intelligenz häufig Probleme in der Schule durch Aufmerk-
samkeitsstörungen (sind permanent mit sich selbst beschäftigt)
5 Günstigere Sozialprognose als beim Kanner-Syndrom
5 Im Erwachsenenalter oft Abschwächung der Symptomatik
5 Im Langzeitverlauf sind gelegentlich Schizophrenien beobachtet
worden (konnte nicht für den frühkindlichen Autismus festgestellt
werden)
> Asperger-Syndrom: Diskrepanz zwischen häufig guten intellek-
tuellen Fähigkeiten und massiven Beeinträchtigungen im sozialen
Bereich.

Unterschiede zwischen Kanner- und Asperger-Syndrom

Kanner-Syndrom Asperger-Syndrom

Epidemiologie Jungen : Mädchen = 3–4:1 Auftreten fast nur bei


Prävalenz: bis ca. 0,2% Jungen (8–9:1)
Prävalenz: ca. 0,03%

Manifestation Vor dem 3. Lebensjahr In der Regel nach dem


3. Lebensjahr

Intelligenz Häufig unterdurchschnitt- Durchschnittlich/über-


lich durchschnittlich

Sprachentwicklung Gestört Normal, z. T. aber eigen-


tümliche, skurrile Sprache
(häufig geschraubt, affektiert)

Motorik Motorische Entwicklung Eingeschränkt (auffällige


oft nicht verzögert, aber motorische Ungeschicklich-
auffällig (stereotype und keit)
monotone Motorik)

Kontaktstörung Mitmenschen sind wie Mitmenschen wirken störend


»nicht existent«

4 Rett-Syndrom: vermutlich X-chromosomal gebundene neurodegene-


rative Erkrankung mit autistischen Zügen; es kommt zur »Rückentwick-
lung« oder zum Verlust bereits erworbener Fähigkeiten, klassischen
Bewegungsstereotypien und neurologischen Symptomen
5 Beginn der Erkrankung häufig zwischen 7. und 24. Lebensmonat
5 Fast nur bei Mädchen vorkommend
5 Stereotype »waschende« Handbewegungen
5 Sprachverarmung
5 Verlust feinmotorischer Fertigkeiten
238 Kapitel 24 · Entwicklungsstörungen

Eigene Notizen 5 Verlangsamtes Kopfwachstum, Mikrozephalie, Minderwuchs


5 Fortschreitend intellektueller Abbau
5 Ataktisch-spastische Störungen
5 Progrediente, letale Erkrankung

Diagnostik
4 Diagnosestellung vorwiegend durch klinische Beobachtung, Entwick-
lungs- und Intelligenzdiagnostik, störungsspezifische Untersuchungs-
24 instrumente, allgemeinkörperliche und neurologische Untersuchung
inkl. EEG zum Ausschluss von Epilepsie (Vorkommen bei bis zu 30%
der Betroffenen mit frühkindlichem Autismus)
> Frühsymptome autistischer Störungen
4 Fehlender Blickkontakt
4 Kein Lächeln im Sozialkontakt (normalerweise: »soziales
Lächeln« – noch unselektiv auf menschliche Stimmen und
Gesichter – ab ca. 2. Monat; selektives soziales Lächeln zu
vertrauten Personen ab ca. 7. Monat)
4 Kein angemessener Gesichtsausdruck
4 Bizzare Haltungen
4 In Zweierbeziehung keine geteilte gemeinsame Aufmerksam-
keit wie Dinge zeigen oder der zeigenden Geste einer anderen
Person folgen
4 Differenzialdiagnostisch abzugrenzen
5 Frühkindliche Schizophrenien
5 Intelligenzminderungen
5 Seh- oder Hörstörungen
5 Mutismus (im Gegensatz zu autistischen Störungen ist die nonver-
bale Kommunikation i. d. R. unauffällig)
5 Deprivationssyndrom (Hospitalismus): Vorkommen von Kontakt-
störungen, jedoch äußern sich diese eher in depressiver Symptoma-
tik, manchmal in distanzlosem Verhalten

Therapie
4 Spezielle pädagogische Betreuung, familiäre Unterstützung und Bera-
tung, verhaltenstherapeutische Maßnahmen (Training sozialer und
kommunikativer Fertigkeiten, Abbau unerwünschter und Aufbau er-
wünschter Verhaltensweisen nach lerntheoretischen Gesichtspunkten)
4 Spezifische medikamentöse Therapie existiert nicht, aber einige Symp-
tome können medikamentös beeinflusst werden
5 Antikonvulsiva bei epileptischen Anfällen
5 Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer bei Stereotypien und
ritualisierten Verhaltensmustern
5 Atypische Antipsychotika (z. B. Risperidon) bei Erregungszustän-
den, motorischer Unruhe, Angst, Impulsivität oder selbstverlet-
zendem Verhalten, Stereotypien
5 Psychostimulanzien bei hyperaktivem, impulsivem, aufmerksam-
keitsgestörtem Verhalten
24.3 · Enuresis und Enkopresis
239 24
24.3 Enuresis und Enkopresis Eigene Notizen

Definition
Störungen der Ausscheidung. Enuresis: Bettnässen; Enkopresis: Einkoten.

Ätiologie
4 Genetische und psychosoziale Faktoren haben bei den unterschied-
lichen Formen der Ausscheidungsstörungen eine unterschiedliche Ge-
wichtung
4 Nächtliches Einnässen (Enuresis nocturna)
5 Genetische Disposition ätiologisch am bedeutsamsten (meist auto-
somal-dominanter Erbgang)
5 Bei sekundärer Enuresis nocturna wirken belastende Lebensereig-
nisse wie Trennung der Eltern oder Geburt eines Geschwisterkindes
als Auslöser
4 Einnässen am Tage (Enuresis diurna)
5 Einige Unterformen (Drang- und Lachinkontinenz) sind v. a. gene-
tisch bedingt, bei den anderen sind Umweltfaktoren vorherrschend
sowie morphologisch-funktionelle Auffälligkeiten (z. B. geringe
Blasenkapazität)
4 Enkopresis
5 Geringe genetische Komponente disponiert zur Stuhlretention (bei
Enkopresis mit Obstipation)
5 Somatische Faktoren (z. B. schmerzhafte Defäkation) als Auslöser
oder psychosoziale Faktoren (belastende Lebensereignisse, gestörte
familiäre Interaktionsmuster, zu strenge oder nachlässige Reinlich-
keitserziehung, psychosoziale Retardierung)

Epidemiologie
4 Häufige Störung im Kindesalter mit hoher spontaner Remissionsrate
4 Enuresis ist häufiger als Enkopresis, aber hohe Komorbidität von Enu-
resis und Enkopresis
4 Jungen sind insgesamt öfter betroffen (nur bei Enuresis diurna mehr
Mädchen betroffen)

Klinik
4 Nichtorganische Enuresis: unwillkürlicher Harnabgang ohne orga-
nische Ursache, ab dem 5. Lebensjahr diagnostizierbar
5 Primär (persistierend): Andauern der infantilen Inkontinenz
5 Sekundär (»Rückfall«): Erneutes Einnässen nach bereits mindestens
6 Monate bestehender Blasenkontrolle
5 Enuresis diurna: Einnässen am Tag; häufigste Form des Einnässens
am Tage: ideopathische Dranginkontinenz (= Detrusor-Instabilität,
häufige Miktion, Drangsymptome)
5 Enuresis nocturna: nächtliches Einnässen (insgesamt am häufigsten)
4 Nichtorganische Enkopresis: unwillkürliches oder willkürliches wie-
derholtes Absetzen von Stuhl in Kleidung oder an dafür nicht vorgese-
240 Kapitel 24 · Entwicklungsstörungen

Eigene Notizen henen Stellen; ab dem 4. Lebensjahr diagnostizierbar; Einkotfrequenz


mindestens 1-mal pro Monat über mindestens 6 Monate; keine orga-
nische Ursache
5 Primär (persistierend): Betroffene waren über das 4. Lebensjahr
hinaus noch nie sauber
5 Sekundär: nach erfolgter Sauberkeitserziehung erneutes Einkoten
5 Weitere Subtypen: Enkopresis mit/ohne Obstipation, Toilettenver-
weigerungssyndrom, Toilettenphobie
24 5 Bei eher willkürlichem Stuhlabsetzen: häufig aggressiv-oppositio-
nelles Verhalten des Kindes, manchmal mit Kotschmieren
5 Häufig auch Schamgefühle der Kinder mit Verstecken der be-
schmutzten Kleidung

Diagnostik
4 Anamnese
4 Körperliche Untersuchung zur organischen Abklärung der Enuresis
einschließlich 24-h-Miktionsprotokoll, Urinstatus, Sonographie, ggf.
Uroflowmetrie mit Beckenboden-EMG
4 Organische Abklärung der Enkopresis: Defäkationsprotokoll, allge-
meinkörperliche und neurologische Untersuchung mit Sonographie,
ggf. MRT des Beckenbodens, ggf. Sphinktermanometrie

Therapie
4 Bei Enuresis
5 Beratung und Aufklärung der Familie, Motivationsaufbau
5 Bei nächtlichem Einnässen v. a. apparative Verhaltenstherapie
(Klingelgeräte → Lernprozess der klassischen Konditionierung) und
Verstärkerprogramme
5 Bei ideopathischer Dranginkontinenz v. a. kognitiv-verhaltensthe-
rapeutische Maßnahmen mit dem Ziel der zentralen Kontrolle der
Drangsymptome ohne motorische Haltemanöver
5 Ggf. pharmakologischer Einsatz von trizyklischen Antidepressiva
(Imipramin), Desmopressin (synthetische Form des antidiure-
tischen Hormons Vasopressin) oder – bei ideopathischer Drangin-
kontinenz – ein Anticholinergikum wie Oxybutynin (wirkt spasmo-
lytisch, anticholinerg und lokal-analgetisch)
4 Bei Enkopresis
5 Elternberatung und Elterntraining, Beruhigung, Motivationsauf-
bau
5 Bei Enkopresis mit Obstipation: zunächst Darmentleerung (mittels
Einläufen, Purgativa oder Laxanzien), ballaststoffreiche Diät
5 ! Cave Bei Enkopresis ohne Obstipation sind abführende Maß-
nahmen nicht indiziert, können hier sogar zu einer Symptomver-
schlechterung führen!
5 Regelmäßige Toilettengänge → strukturiertes Toilettentraining mit
Verstärkerprogrammen, Beckenbodengymnastik, Perzeptionstrai-
ning (evtl. Biofeedback)
25
Tag 5 – Spezielle Krankheitsbilder III

25 Intelligenzminderung
242 Kapitel 25 · Intelligenzminderung

Eigene Notizen Definition


Stagnierte oder unvollständige Entwicklung geistiger Fähigkeiten
(z. B. Kognition, Sprache, motorische und soziale Fähigkeiten).

Ätiologie
4 In ca. 50% der Fälle kann die Ursache nicht klar beschrieben werden,
häufig auch multifaktorielle Genese
4 Pränatal
5 Noxen: Mütterlicher Alkoholkonsum → Alkoholembryopathie;
25 Drogenkonsum, Strahlenbelastung der Mutter
5 Schwangerschaftsinfektion: z. B. Röteln, Toxoplasmose, Lues, Zyto-
megalie
5 Chromosomale Aberrationen: z. B. Trisomie 21, fragiles X-Syndrom
5 Angeborene Stoffwechselstörungen (z. B. Phenylketonurie)
4 Perinatal
5 Komplikationen unter der Geburt (z. B. Hypoxie)
5 Unreife des Neugeborenen
4 Postnatal
5 Zerebrale Infektionen (z. B. Meningitis)
5 Hirntraumen
5 Zu wenig stimulierende Umgebung
Epidemiologie
4 Prävalenz: mittelschwere bis schwere Intelligenzminderung (IQ <50)
ca. 0,5% der deutschen Allgemeinbevölkerung
4 Jungen etwas häufiger betroffen als Mädchen, nach dem 12. Lebensjahr
scheinen sich Geschlechtsdifferenzen aber auszugleichen
Klinik
4 Beeinträchtigung der Intelligenzfunktion, Differenzierung der Schwere-
grade nach dem Intelligenzquotienten (IQ)
> In der Regel hat der IQ einen Mittelwert von 100 und eine Standard-
abweichung von 15 (d. h. die mittleren 68% der Bevölkerung weisen
IQ-Werte zwischen 85 und 115 auf).
4 Lernbehinderung: IQ zwischen 70 und 84
4 Intelligenzminderung allgemein IQ <70

4 Leichte Intelligenzminderung (früher auch als Debilität bezeichnet):


IQ 50–69
5 Lernschwierigkeiten in der Schule, verzögerter Spracherwerb, nor-
male Kommunikation im alltäglichen Leben möglich
5 Nachgehen einer Arbeit im Erwachsenenalter und Führen guter so-
zialer Beziehungen sind vielfach möglich, nur selten institutionali-
sierte Lebensführung notwendig
4 Mittelgradige Intelligenzminderung: IQ 35–49
5 Deutlich begrenzte sprachliche Leistungsfähigkeit, verzögerter Er-
werb von Fähigkeiten im Bereich der Selbstversorgung und der
motorischen Fertigkeiten
25 · Intelligenzminderung
243 25

5 Erwachsene brauchen in unterschiedlichem Ausmaß Unterstützung Eigene Notizen


im Alltags- und Arbeitsleben, einfache praktische Fähigkeiten sind
aber möglich
4 Schwere Intelligenzminderung: IQ 20–34
5 Sprachliche Fähigkeiten zur Verständigung meist nicht ausreichend,
häufig Zeichen organischer Schädigung oder Fehlentwicklung des
ZNS
5 Andauernde Unterstützung ist notwendig; häufig auch körperliche
Immobilität
4 Schwerste Intelligenzminderung: IQ <20
5 Unfähigkeit, Aufforderungen nachzukommen, rudimentäre non-
verbale Kommunikation; Selbstversorgung, Kontinenz, Kommuni-
kation und Motorik sind massiv beeinträchtigt
4 Häufig ausgeprägter Bewegungsdrang, ungenügende Impulskontrolle
und Stereotypien
4 Verhaltensmuster häufig rigide und gewohnheitsorientiert
4 Bei schwerer Intelligenzminderung oft Automutilation (Selbstverstümme-
lung) und/oder Essen ungenießbarer Stoffe (Pica-Syndrom, sehr selten)
4 Sehr häufig komorbide psychische Erkrankungen (3- bis 4-mal häufiger
als in der Allgemeinbevölkerung)

Diagnostik
4 Familienanamnese, Auffälligkeiten in frühkindlicher Entwicklung oder
während Schwangerschaft/Geburt
4 Körperliche Untersuchung, ggf. genetische Abklärung
4 Einschätzung der Intelligenz durch klinischen Eindruck, Anpassungs-
verhalten (Eigen- und Fremdanamnese), intellektuelle Leistungsfähig-
keit (testpsychologische Leistungsdiagnostik)
5 Standardisierte IQ-Messung, z. B. mittels Wechsler-Intelligenz-Test
für Erwachsene (WIE) oder Hamburg-Wechsler-Intelligenztest für
Kinder (HAWIK)
> IQ-Werte innerhalb der Diagnostik sind als Richtwerte zu verste-
hen. Es kommt insbesondere auf die Fähigkeit/Unfähigkeit an,
sich im Alltagsleben zurechtzufinden.
4 Abklärung häufiger somatischer (z. B. Epilepsie, Taubheit, Seh- oder
Bewegungsstörung) und psychischer Komorbiditäten (z. B. frühkind-
licher Autismus, Rett-Syndrom, Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivi-
tätsstörung)
4 Differenzialdiagnostische Demenzabklärung (umschriebener Abbau
bereits ausgebildeter Intelligenzfunktionen)
5 Frühkindliche Dementia infantilis (Heller-Syndrom; desintegra-
tive Störung): Beginn nach normaler Entwicklung im 3.–4. Lebens-
jahr; fortschreitend intellektueller Abbau bis zu schwerer Demenz
innerhalb weniger Monate, mit affektiven Verstimmungszuständen,
innerer Unruhe, sozialem Rückzug, Wahrnehmungsstörungen,
»Puppengesicht« (wenig modulierter Gesichtsausdruck) und Ver-
lust des Sprachverständnisses
244 Kapitel 25 · Intelligenzminderung

Eigene Notizen Therapie


4 Primär symptomatisch
4 Psychosoziale Förder- und Versorgungsmaßnahmen
4 Spezielle Schul- und Berufsstätten (z. B. Schulen oder Werkstätten für
geistig behinderte Menschen)
4 Anregende/fördernde Therapieangebote wie Kunst- und Musikthera-
pie, Beschäftigungstherapie, Physiotherapie, Kommunikationstraining,
Verhaltenstherapie
4 Unterstützung von Angehörigen
4 Ggf. medikamentöse Behandlung von Hyperaktivität (z. B. mittels Me-
25 thylphenidat) oder der Begleitsymptomatik (Aggressivität, Psychosen)
26
Tag 5 – Spezielle Krankheitsbilder III

26 Demenzen
246 Kapitel 26 · Demenzen

Eigene Notizen Definition


Organische psychische Erkrankungen mit Abbau intellektueller und kog-
nitiver Fähigkeiten und resultierenden Beeinträchtigungen der Alltags-
kompetenz.

Ätiologie
4 Demenz-Erkrankungen entstehen grundsätzlich auf der Grundlage
einer somatischen Pathologie (z. B. primär neurodegenerative Prozesse,
vaskulär bedingte Effekte oder auch sekundäre zerebrale Pathologien
bei systemischen somatischen Erkrankungen)
4 Primär neurodegenerative Demenzen: Alzheimer-Demenz, frontotem-
porale Demenz, Lewy-Körper-Demenz
26 4 Multifaktorielle Genese, Beispiel Alzheimer-Demenz
5 Genetische Faktoren
J Nur bei wenigen (<10%) Alzheimer-Patienten: familiäre Häufung
(Mehrzahl der Alzheimer-Demenzen tritt sporadisch auf)
J Bei einem kleinen Teil familiär gehäufter Alzheimer-Demenz:
Mutationen auf Chromosomen 1 (Presenilin-2-Gen), 14 (Prese-
nilin-1-Gen) oder 21 (Amyloid-Precursor-Protein)
J Genetischer Risikofaktor für eine Alzheimer-Krankheit: ε4-Allel
des Apolipoprotein-E-Gens
5 Charakteristische neuropathologische Veränderungen
J Progrediente primär parietotemporale und frontale Hirnatrophie,
Neuronenverlust v. a. in Hippokampus und parahippokampalen
Arealen
J Durch kortikalen Synpasenverlust → kortikokortikales Diskon-
nektionssyndrom (verminderte Vernetzung kortikaler Felder,
v. a. hippokampaler und parahippokampaler)
J Extrazelluläre kortikale »senile« Plaques (β-Amyloid-Ablage-
rungen; diffuse und neuritische Plaques)
J Intrazelluläre Fibrillenbündel aus hyperphosphoryliertem Tau-
Protein (»tangles« in hippokampalen und kortikalen Neuronen)
→ durch abnorme Proteinablagerungen Degeneration von Neu-
ronen
5 Neurochemische Veränderungen: Verminderung von Cholinacetyl-
transferase und Acetylcholin (= cholinerges Defizit) sowie weiterer
Neurotransmitter (z. B. Glutamat) und Neuromodulatoren
5 Risikofaktoren für die Entwicklung einer Alzheimer-Demenz
J Lebensalter (wichtigster Risikofaktor)
J Demenzielle und/oder andere neurologische Erkrankungen bei
Erstgradangehörigen
J Weibliches Geschlecht
J Schädel-Hirn-Traumata in der Vorgeschichte
J Kardiovaskuläre Erkrankungen und Diabetes mellitus
J Geringe psychosoziale Betätigung
J Geringe Schulbildung
26 · Demenzen
247 26

4 Vaskuläre Demenzen: Folge von zerebralen vaskulären Störungen Eigene Notizen


(zerebrale Infarkte, Mikroangiopathien)
4 Sekundäre Demenzen: Ausdruck und Folge einer anderen somatischen
Grunderkrankung
5 Infektiös-entzündlich, z. B. multiple Sklerose, HIV, progressive Pa-
ralyse (Neurosyphilis), Neuroborreliose, Trypanosomenerkran-
kung, systemischer Lupus erythematodes
5 Metabolisch-endokrinologisch, z. B. Hypothyreose, Hypoglykämie,
Hyperkalzämie
5 Nutritiv-toxisch, z. B. Hypovitaminosen (Mangel an Vitamin B1, B6,
B12, Niacin, Folsäure), Intoxikationen, Exsikkose
5 Chronische zerebrale Hypoxien bei Herzinsuffizienz oder Anämien
5 Normaldruckhydrozephalus (Trias aus Demenz, ataktischem Gang-
bild und Dranginkontinenz)
5 Traumatisch (Schädel-Hirn-Traumata)
5 Neoplastisch
5 Genetisch, z. B. zerebrale Lipidstoffwechselstörungen, M. Wilson

Epidemiologie
4 Häufigste Demenzform: Alzheimer-Demenz (ca. 60% aller Demenzen)
5 Ca. 2% der 65-Jährigen, ca. 5% der 70-Jährigen; Prävalenz verdoppelt
sich alle 5 Jahre etwa ab dem 60. Lebensjahr bis zum 85. Lebensjahr
5 Verhältnis Frauen zu Männer ca. 3:2
4 Vaskuläre Demenzen als zweithäufigste Demenzform (bis ca. 20% aller
Demenzen)
4 Mischformen von Alzheimer-Demenz und vaskulärer Demenz machen
bis zu 15% aller Demenzen aus
4 Lewy-Körper-Demenz gilt als zweithäufigste degenerative demenzielle
Erkrankung (bis zu 20% aller Demenzen), gefolgt von frontotemporaler
Demenz (etwa 5% aller Demenzen)
4 Etwa 10% aller Demenzen lassen sich auf eine potenziell reversible
Grundstörung zurückführen

Klinik
4 Allgemeine Demenz-Kriterien (demenzielles Syndrom): seit minde-
stens 6 Monaten
5 Abnahme des Gedächtnisses (zunächst von Kurz-, später auch Lang-
zeitgedächtnis)
5 Abnahme der Leistung in mindestens einem weiteren kognitiven
Bereich (z. B. Urteilsvermögen, Denkvermögen wie Planungsfähig-
keit, Informationsverarbeitung, kognitive Flexibilität)
5 ! Cave Keine Störung des Bewusstseins (im Gegensatz zu den
meisten akuten organischen psychischen Erkrankungen (7 Kap. 27))
5 Beeinträchtigung der Affektkontrolle, des Antriebs und/oder des
Sozialverhaltens
5 Beeinträchtigung der Alltagskompetenz
248 Kapitel 26 · Demenzen

Eigene Notizen > Demenz = Verlust einer früher vorhandenen intellektuellen Lei-
stungsfähigkeit (im Gegensatz zu angeborenen Intelligenzminde-
rungen, 7 Kap. 25).
4 Kognitive Störungen werden i. d. R. begleitet von
5 Emotionalen und motivationalen Auffälligkeiten
5 Auffälligkeiten im Sozialverhalten
5 Störungen der Sprachproduktion
5 Im fortgeschrittenen Stadium Persönlichkeitsveränderungen (bei
frontotemporaler Demenz auch im Frühstadium), psychotischen
Symptomen, motorischen und weiteren neurologischen Störungen
4 Unterscheidung kortikaler und subkortikaler Demenzen (Demenzfor-
men lassen sich aber klinisch nicht immer klar einer Gruppe zuordnen)
26 5 Gemeinsame Merkmale kortikaler Demenzen: Amnesie, Aphasie,
Agnosie, Apraxie (z. B. Alzheimer-Demenz) bzw. frühe Persönlich-
keitsstörungen (z. B. Demenz bei M. Pick)
5 Gemeinsame Kennzeichen subkortikaler Demenzen (z. B. subkor-
tikale vaskuläre Demenz, Demenz bei M. Parkinson, Demenz bei
Chorea Huntington): extrapyramidalmotorische Störungen, Ver-
langsamung, Vergesslichkeit, Verstimmtheit

Alzheimer-Krankheit
4 Charakteristika
5 Demenzielles Syndrom (allgemeine Demenz-Kriterien)
5 Schleichender Beginn (meist mit Merkfähigkeitsstörungen und
leichten Verhaltensänderungen wie depressive Verstimmung, sozi-
aler Rückzug und Antriebsminderung), Auftreten i. d. R. nach dem
60. Lebensjahr
5 Langsam-progredienter Verlauf ohne sprunghafte Zustandsände-
rungen
5 Deutliche Störung der Sprachproduktion im Sinne einer graduellen
semantischen Aphasie
5 Fehlen von neurologischen Herdzeichen und von Hinweisen auf
eine System- oder andere Hirnerkrankung
> Alzheimer-Krankheit ist eine Ausschlussdiagnose (sicherer Nach-
weis nur post mortem möglich) und bedarf daher umfangreicher
Diagnostik, um reversible Demenzformen zu erkennen.
4 Begleitende nicht-kognitive Störungen
5 In frühem Stadium häufig depressive Verstimmung, Antriebsmin-
derung, sozialer Rückzug
5 Im weiteren Verlauf auch
J Angst
J Apathie oder Erregung, motorische Unruhe, Aggressivität
J Schlafstörungen (z. B. Umkehr des Schlaf-Wach-Rhythmus)
J Wahnsymptome, Halluzinationen (v. a. optische)
J Neuropsychologische Symptome (Apraxie, semantische Aphasie
mit deutlichen Wortfindungsstörungen, Alexie, Agraphie, Akal-
kulie, Störungen der Visuomotorik)
26 · Demenzen
249 26

5 In sehr fortgeschrittenem Stadium Eigene Notizen


J Neurologische Symptome wie Primitivreflexe, gesteigerte Muskel-
eigenreflexe, zerebrale Krampfanfälle, Harn- und Stuhlinkontinenz
J Motorische Auffälligkeiten wie Gangstörung, erhöhter Muskel-
tonus, Myoklonus, extrapyramidalmotorische Störungen
4 Einteilung nach dem Erkrankungsbeginn
5 Alzheimer-Krankheit mit frühem Beginn (vor dem 65. Lebensjahr;
»präsenile Demenz«): i. d. R. rasches Fortschreiten und vielfältige
Störungen höherer kortikaler Funktionen; relativ frühes Auftreten
neuropsychologischer Symptome
5 Alzheimer-Krankheit mit spätem Beginn (nach dem 65. Lebensjahr;
»senile Demenz«): häufig langsames Fortschreiten, Gedächtnisstö-
rungen als Hauptsymptom
4 Überlebenszeit nach Diagnosestellung im Mittel 8 Jahre, Tod meist auf-
grund infektbedingter Komplikationen der Bettlägerigkeit (v. a. Pneu-
monien)

Weitere Demenzformen
4 Vaskuläre Demenzen
5 Plötzlicher oder auch langsam-progredienter Beginn
5 Stufenförmige Verschlechterung, Symptomatik eher fluktuierend
5 Häufig neurologische Herdzeichen (z. B. Hemiparesen, Sensibili-
tätsverluste, Koordinationsstörungen, Gesichtsfeldausfälle)
5 Vaskuläre Risikofaktoren
5 Nachweis einer zerebralen Infarzierung und zeitlicher Zusammen-
hang mit dem Auftreten des demenziellen Syndroms
5 Gelegentlich zerebrale Krampfanfälle in der Anamnese
5 Grobe Unterscheidung einer Multiinfarkt-Demenz (Zustand nach
mehreren Infarkten, kortikal) und einer subkortikal arteriosklero-
tischen Demenz (eher progredienter Verlauf, subkortikal, entmar-
kend)
4 Gemischte Demenz: Vorliegen von Befunden, die sowohl für eine Alz-
heimer- als auch für eine vaskuläre Demenz sprechen (z. B. Patienten
mit Alzheimer-Krankheit und intrakranieller Blutung aufgrund Amy-
loidangiopathie oder mit begleitenden ischämischen Infarkten)
4 Lewy-Körper-Demenz (schwierige Differenzialdiagnostik zur Parkin-
son-Demenz; nosologische Trennung zwischen Lewy-Körper-Demenz
und Parkinson-Demenz umstritten)
5 Manifestiert sich vorwiegend ab dem 60. Lebensjahr, häufiger Män-
ner betroffen
5 Leichtes Parkinson-Syndrom ( ! Cave Antipsychotikaüberemp-
findlichkeit, leichtes Ansprechen für extrapyramidalmotorische
Nebenwirkungen!)
5 Halluzinationen (v. a. optische); z. T. mit deutlichem Bedrohungs-
erleben, bereits früh beginnend
5 Störungen des REM-Schlafs
5 Fluktuierende kognitive Defizite bzw. transiente Verwirrtheitszu-
stände
250 Kapitel 26 · Demenzen

Eigene Notizen 5 Häufig unerklärte Stürze und Synkopen


5 Histopathologisch: intraneuronale (und teilweise auch extrazellu-
läre) eosinophile Einschlusskörper (»Lewy-Körperchen«) sowie
Ubiquitin- und α-Synuklein-positive Neuriten (»Lewy-Neuriten«),
v. a. in Hirnstamm, Zwischenhirn, Basalganglien und Kortex
4 Frontotemporale Demenzen (z. B. M. Pick)
5 Schleichender Beginn, meist vor dem 65. Lebensjahr, Männer und
Frauen gleichermaßen betroffen
5 Langsame Progredienz
5 Dominierend sind (v. a. zu Beginn) Wesensveränderungen und Ver-
haltensauffälligkeiten, z. B. Distanzlosigkeit, Enthemmung (verbal
und sexuell), sozial unangepasstes Verhalten, Aspontanität/Inflexi-
bilität, Hyperoralität, sowie Antriebsstörungen (Apathie oder Agi-
26 tation)
5 Häufig auch Sprachstörungen (Sprachstereotypien, Aphasie) und
Störungen exekutiver Funktionen (kognitive Störungen stehen aber
– zumindest zu Beginn – nicht im Vordergrund)
5 Regionale Defizite der serotonergen und dopaminergen Neuro-
transmission; cholinerge Transmission scheint relativ unbeein-
trächtigt
4 Weitere Demenzen im Rahmen anderer neurologischer Krankheiten,
z. B. Demenz bei
5 Chorea Huntington: Zusammentreffen von
J Choreiformen Bewegungsstörungen
J Demenz
J Positiver Familienanamnese
5 Creutzfeld-Jakob-Krankheit: Prionen-Erkrankung; Trias aus
J Schnell fortschreitender Demenz
J Pyramidaler und extrapyramidaler Symptomatik mit Myo-
klonien
J Charakteristischem EEG mit triphasischen Wellen
5 M. Parkinson
J Demenz entwickelt sich im späten Verlauf einer Parkinson-
Krankheit bei ca. 30% aller Parkinson-Patienten

Diagnostik
> Nachweis oder Ausschluss potenziell reversibler Ursachen kogni-
tiver Störungen.
4 Ausführliche Eigen- und Fremdanamnese
5 Medikamenten- und Suchtanamnese (z. B. Einnahme anticholiner-
ger Arzneimittel?)
5 Schädel-Hirn-Traumata, Infektionen (z. B. Enzephalitis?), vaskuläre
Risikofaktoren in der Vorgeschichte, neurologische oder endokri-
nologische Vorerkrankungen?
4 Allgemeinkörperliche Untersuchung einschließlich EKG (Hinweise auf
kardio- oder zerebrovaskuläre Ereignisse?) sowie neurologische Unter-
suchung inklusive EEG
26 · Demenzen
251 26

4 Laborchemische Untersuchung (z. B. HIV-Test bei Verdacht auf HIV- Eigene Notizen
assoziierte Demenz, Bestimmung von Kupfer und Coeruloplasmin bei
Verdacht auf M. Wilson, Vaskulitis-Parameter)
4 Ggf. Liquordiagnostik (Alzheimer-Krankheit: Tau-Protein und Phos-
pho-Tau-Werte im Liquor erhöht, ß-Amyloidpeptide (Aß1-42) ernied-
rigt; Demenz bei Creutzfeld-Jakob-Erkrankung: Nachweis des 14-3-3-
Proteins)
4 Ggf. molekulargenetische Diagnostik (Diagnosesicherung z. B. bei Ver-
dacht auf Chorea Huntington; ggf. Apo-E-Genotypisierung bei Ver-
dacht auf Alzheimer-Demenz)
4 Bildgebung
5 cCT, besser cMRT (raumfordernde oder vaskuläre Prozesse,
Normaldruckhydrozephalus, Atrophien?)
5 FDG-PET (Goldstandard zur in-vivo-Positivdiagnostik der Alzhei-
mer-Demenz: fokal betonter Hypometabolismus im parietotempo-
ralen und frontalen Assoziationskortex), ggf. fakultativ SPECT (z. B.
parietotemporale Hypoperfusion bei Alzheimer-Demenz)
4 Testpsychologische Zusatzdiagnostik
5 Häufig eingesetzte Kurztests: Mini-Mental-Status-Test (MMST),
Uhrentest; beide im Frühstadium einer Demenz wenig sensitiv
5 Sensitivere Screeninginstrumente: Demenz-Detektionstest (Dem-
Tect), Test für die Diagnostik der Demenzen mit Depressions-
abgrenzung (TFDD)
4 Einschätzung der Alltagskompetenz
4 Wichtige psychiatrische Differenzialdiagnosen der Demenz
5 Depressive Pseudodemenz im Rahmen einer depressiven Störung
(v. a. im Frühstadium der Alzheimer-Krankheit schwierig differen-
zialdiagnostisch abzugrenzen); bei depressiver Pseudodemenz (im
Gegensatz zur »echten« Demenz)
J Erhebliches Klagen über kognitive Beeinträchtigungen (»typi-
scher« Alzheimer-Patient dissimuliert eher)
J Alltagsleistungen sind besser als Leistungen in testpsychologi-
schen Verfahren
J Besserung der kognitiven Beschwerden bei antidepressiver Be-
handlung
5 Leichte kognitive Störung (7 Kap. 27)
5 Schizophrene Psychosen oder isolierte Wahnerkrankungen

Therapie
4 Kausale Therapie bei identifizierbarer, behandelbarer Ursache; sonst
symptomatische Kombinationstherapie aus Psycho-, Sozio- und Phar-
makotherapie (Ziel: Besserung der Symptomatik und v. a. Verlangsa-
mung der Symptomprogression)
4 Psychopharmakotherapie mit Antidementiva (können nicht nur kogni-
tive Störungen, sondern auch Verhaltensauffälligkeiten positiv beein-
flussen)
5 Acetylcholinesterase-Inhibitoren bei leichter bis mittelschwerer
Alzheimer-Demenz (zugelassene Indikation); (wahrscheinlich)
252 Kapitel 26 · Demenzen

Eigene Notizen wirksam aber auch bei schwerer Alzheimer-Demenz, Einsatz auch
bei vaskulären Demenzen sowie Lewy-Körper-Demenz empfohlen
J Rivastigmin
J Galantamin
J Donepezil
5 NMDA-Rezeptorantagonist (Glutamatmodulator) Memantin bei
mittelschwerer und schwerer Alzheimer-Demenz (zugelassene In-
dikation); Einsatz auch bei vaskulären Demenzen empfohlen
5 Bei mittelgradiger und schwerer Symptomatik oder Nichtanspre-
chen auf Monotherapie: Kombinationsbehandlung von Memantin
und Acetylcholinesterase-Inhibitoren möglich
> Effektivität der Antidementiva liegt in akuter Verbesserung von
26 Kognition und Verhalten; möglicherweise kann auch der weitere
Verlauf verlangsamt werden.
4 Pharmakotherapie von komorbiden Störungen und demenzassoziier-
ten Verhaltensauffälligkeiten
5 Bei mittelgradigen bis schweren depressiven Symptomen: bevorzugt
selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI)
5 ! Cave Keine tri-/tetrazyklischen Antidepressiva (TZA) aufgrund
der anticholinergen Wirkkomponente!
> Jegliche Medikation muss auf ihr zentral anticholinerges Potenzial
hin geprüft werden. Die Schwelle zur Ausbildung eines anticholiner-
gen Delirs ist bei dementen Patienten deutlich erniedrigt.
5 Bei Aggressivität, paranoider und psychotischer Symptomatik: aty-
pische Antipsychotika (z. B. Risperidon, Olanzapin)
5 ! Cave Hochpotente Antipsychotika wie Haloperidol – aber auch
atypische Antipsychotika in abgeschwächter Form – sind wegen ex-
trapyramidal-motorischer Nebenwirkungen gerade bei älteren Pa-
tienten problematisch (v. a. bei Patienten mit Lewy-Körper-Demenz
erhöhte Empfindlichkeit für antipsychotische Wirkungen und Ne-
benwirkungen!); wenn indiziert, besonders niedrig dosieren!
> Bei älteren Patienten mit demenziellem Syndrom besteht für alle
Antipsychotika ein erhöhtes Risiko für zerebrovaskuläre und kar-
diale Ereignisse.
5 Bei psychomotorischer Unruhe, Angst- und Erregungszuständen:
niederpotente Antipsychotika (Melperon, Pipamperon) oder Atypi-
ka (Risperidon, Olanzapin) (verträgliche Dosis ist aber auch hier
deutlich niedriger)
5 ! Cave Benzodiazepine sollten möglichst vermieden werden,
denn sie verstärken kognitive Defizite und erhöhen die Sturzgefahr;
bei Demenz-Patienten treten in gesteigertem Maße auch paradoxe
Reaktionen auf (Unruhe, Erregungszustände).
5 Bei Schlafstörungen niederpotente Antipsychotika (Melperon, Pi-
pamperon) oder sedierende Antidepressiva (z. B. Mirtazapin) (bei
Nicht-Ansprechen Benzodiazepin-ähnliche Substanzen wie Zalep-
lon, Zopiclon, Zolpidem)
26 · Demenzen
253 26

> Auf erhöhte Empfänglichkeit für Sedierung, Orthostase, extra- Eigene Notizen
pyramidalmotorische Symptome und anticholinerge Wirkungen
ist bei der Psychopharmakotherapie älterer Patienten zu achten.
Häufig sind renale Clearance vermindert und hepatischer Meta-
bolismus verzögert.
→ Bei der Psychopharmakotherapie älterer Patienten mit nied-
rigeren Dosierungen beginnen.

4 Bei vaskulärer Demenz auch Behandlung der zerebrovaskulären Grund-


erkrankung, vaskulärer Risikofaktoren und Sekundärprophylaxe vasku-
lärer Ereignisse
4 Psycho- und Soziotherapie
5 Kognitives Training
5 Musik-, Kunsttherapie
5 Bewegungstherapie (erhöhte zerebrale Durchblutung während kör-
perlicher Betätigung)
5 Feste Strukturierung des Tagesablaufs und des Umfelds (z. B. Kalen-
der, Listen, Schaffen einer überschaubaren, aber anregenden Umge-
bung)
5 Nutzung von Versorgungsstrukturen, evtl. Einrichtung einer gesetz-
lichen Betreuung (7 Kap. 3.1.1)
5 Aufklärung, Beratung und Unterstützung der Angehörigen; Emp-
fehlung von Angehörigen-Selbsthilfegruppen
27
Tag 5 – Spezielle Krankheitsbilder III

27 Delir und weitere organische


psychische Erkrankungen
27.1 Delirante Syndrome – 256

27.2 Organisches amnestisches Syndrom (nicht durch Alkohol


oder psychotrope Substanzen bedingt) – 259

27.3 Organische Persönlichkeitsstörung – 260

27.4 Andere psychische Erkrankungen aufgrund einer zerebralen


Schädigung oder Funktionsstörung oder einer körperlichen
Krankheit – 260
256 Kapitel 27 · Delir und weitere organische psychische Erkrankungen

Eigene Notizen Definition


Organische psychische Erkrankungen = psychische Erkrankungen, die
ursächlich auf eine zerebrale oder systemische Erkrankung zurückzufüh-
ren sind. Missverständlicher, historischer Begriff, da auch alle anderen
psychischen Erkrankungen organische/somatische Ursachen bzw. Kor-
relate haben.

Einteilung organischer psychischer Erkrankungen:


4 Organische psychische Erkrankungen »ersten Ranges«: Demenzen
(7 Kap. 26), Delir, organisches amnestisches Syndrom; lassen aufgrund
ihrer Symptomatik direkt auf eine organische Ursache schließen
4 Organische psychische Erkrankungen »zweiten Ranges«: unterscheiden
sich in ihrer Symptomatik nicht von den primär »nichtorganischen«
psychischen Erkrankungen (z. B. organische Persönlichkeitsverände-
27 rung, organische Halluzinose, organische affektive Störung, organische
Angststörung usw.)
> Organische psychische Erkrankungen (außer Delir) können fast
jede psychische Erkrankung »vortäuschen«. Allein aufgrund der
psychopathologischen Symptomatik kann nicht oder nur sehr be-
grenzt auf die zugrundeliegende Ursache bzw. bestimmte Grund-
erkrankung geschlossen werden, d. h. die Symptomatik ist nicht
ursachenspezifisch.

27.1 Delirante Syndrome

Definition
Akute hirnorganische Störungen mit Bewusstseins- und Orientierungs-
störungen sowie kognitiven Beeinträchtigungen.

Ätiologie
4 Ursächlich zurückführbar auf eine akute zerebral-organische oder sys-
temische Störung oder eine exogene Noxe
4 Durch Alkohol oder andere psychotrope Substanzen bedingte Delire
werden in der ICD-10 nicht unter die organischen psychischen Stö-
rungen klassifiziert
4 Häufigste Ursachen bzw. Begleiterkrankungen
5 Intoxikationen (z. B. mit tri-/tetrazyklischen Antidepressiva), Ent-
zugssyndrome (v. a. Alkohol, Benzodiazepine)
5 Medikamente im Rahmen von Überdosierung, Unverträglichkeit,
Wechselwirkungen, Alter oder zerebraler Vulnerabilität (v. a. Anticho-
linergika, aber auch Gyrasehemmer, Opiate oder Antiarrhythmika)
5 Postoperative Zustände
J Vor allem in höherem Alter oder bei bekannter Demenz
J Häufig nach kardialen, ZNS- oder großen osteosynthetischen
Operationen
27.1 · Delirante Syndrome
257 27

J Hypoxien und kumulative Mengen an Benzodiazepinen und Eigene Notizen


Anästhetika erhöhen das Risiko
5 Fieber
5 Exsikkose
5 Hypovitaminosen
5 Alzheimer-Demenz
5 Neurologische Erkrankungen (z. B. Epilepsie, Schädel-Hirn-Trau-
mata)
5 Kardiovaskuläre Erkrankungen
5 Elektrolytstörungen
5 Metabolische Störungen (Hyper- oder Hypoglykämie, hepatische
Enzephalopathie)
5 Infektionskrankheiten (v. a. bei Kindern)
4 Vulnerabilitätsfaktoren
5 Lebensalter (besonders gefährdet sind Kinder und ältere Personen)
5 Demenz (erhöht das Delirrisiko um das Dreifache; Komorbidität
eines Delirs bei Demenz ist häufig)
5 Zentral-neurologische Erkrankungen
5 Alkohol-/Benzodiazepin-Konsum
5 Multimorbidität
5 Polypharmazie
5 Hektische stationäre Abläufe und Beeinträchtigung des üblichen
Tag-/Nacht-Rhythmus (z. B. auf Intensivstationen)

Klinik

> Delir ist immer ein Notfall!


4 Akuter Beginn (innerhalb von Stunden bis Tagen)
4 Symptomatik im Tagesverlauf wechselnd
4 Dauer eines Delirs insgesamt nicht länger als 6 Monate
4 Symptome
5 Störung von Aufmerksamkeit und Bewusstsein mit wechselnder
Bewusstseinslage (sowohl Bewusstseinsminderung als auch Hyper-
arousal)
5 Desorientiertheit (v. a. zeitliche und situative, in schweren Fällen
auch zu Ort und Person)
5 Wahrnehmungsstörungen: Halluzinationen (v. a. optische), illusio-
näre Verkennung
5 Ausgeprägte Beeinflussbarkeit durch Suggestionen (Bedside-Test: Pa-
tient liest vom leeren Blatt oder greift nach nicht vorhandenem Faden)
5 Desorganisiertheit, persönlichkeitsfremdes Verhalten
5 Kognitive Störungen: Auffassungsstörungen, Störungen der Merk-
fähigkeit (Immediat- und Kurzzeitgedächtnis gestört bei relativ in-
taktem Langzeitgedächtnis) und des abstrakten Denkens, Inkohä-
renz des Denken
5 Affektive Störungen: Angst, Stimmungslabilität, gelegentlich ag-
gressive Durchbrüche und Nichtkooperativität, Depression oder
Euphorie
258 Kapitel 27 · Delir und weitere organische psychische Erkrankungen

Eigene Notizen 5 Psychomotorische Störungen: psychomotorische Unruhe, Nesteln,


Agitiertheit, kann sich abwechseln mit Antriebsminderung und
Lethargie; gelegentlich gesteigerte Schreckhaftigkeit
5 Stereotype Handlungsabläufe (z. B. Wischbewegungen)
5 Häufig Tremor, vegetativ-vasomotorische Symptome (z. B. Tachy-
kardie, Blutdruckanstieg, Hyperthermie, vermehrte Schweißsekre-
tion, Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö)
5 Gestörter Tag-Nacht-Rhythmus, nächtliche Verschlimmerung der
Symptomatik

Diagnostik
4 (Fremd-)Anamneseerhebung, v. a. auch Medikamenten- und Sucht-
anamnese
4 Allgemeinkörperliche und neurologische Untersuchung
4 Labor (metabolische, toxische Störungen, Infektionen?)
27 4 EEG (Anfallsleiden?)
4 EKG (kardiale Ursachen?)
4 Röntgen-Thorax (kardiale/pulmonale Ursachen?)
4 cCT/cMRT (zerebrale Läsionen?)
4 Ggf. Liquordiagnostik (Meningitis?)
4 Differenzialdiagnostische Abgrenzung Delir vs. Demenz: beim Delir
(im Gegensatz zur Demenz)
5 Akuter Beginn
5 Bewusstseinsstörung
5 Fluktuationen der Symptomatik im Tagesverlauf
5 Häufig Halluzinationen

Therapie
4 Prophylaxe
5 Bereits vor einer Operation oder stationären Einweisung Risikofak-
toren screenen, Aufklärung von Patienten und Angehörigen und
ggf. Acetylcholinesterase-Inhibitoren oder Antipsychotika (niedrig-
dosiert) präoperativ einsetzen
4 Kausale Behandlung bei nachgewiesener Ursache
4 Absetzen anticholinerger Medikation; kritische Prüfung von Opiat-
oder Benzodiazepin-Einsatz
4 Nichtmedikamentöse Therapie
5 Reizabschirmung, Schaffen einer sicheren und ruhigen Atmosphä-
re, Kommunikation in klaren und eindeutigen Sätzen
5 Ermöglichen einer Tag/Nacht-Triggerung (keine fensterlosen Räu-
me; möglichst wenig Intervention in der Nacht; Aktivierung, z. B.
Krankengymnastik am Tag)
5 Zuwendung und pflegerische (noch besser familiäre) Betreuung
4 Medikamentöse Notfalltherapie

> Vital bedrohliche Erkrankung, erfordert kontinuierliche Überwa-


chung, Kontrolle der Vitalparameter und Flüssigkeitsbilanzierung.
27.2 · Organisches amnestisches Syndrom
259 27

5 Basistherapie mit Haloperidol zur Beeinflussung von psychotischen Eigene Notizen


Symptomen, Agitation und Aggressivität ( ! Cave auch Haloperi-
dol hat arrhythmogenes Potenzial; dosisabhängig – insbesondere
bei i.v. Gabe – Risikoerhöhung hinsichtlich der Lebenserwartung
bzw. Überlebenschancen!)
5 Unter Berücksichtigung eventueller kardiovaskulärer Ausschluss-
faktoren auch Einsatz der Atypika Risperidon oder Olanzapin
möglich
5 Für alle Antipsychotika gilt: möglichst früh aber möglichst niedrig-
dosiert einsetzen und dann Dosis ggf. aufwärts titrieren
5 Bei Verdacht auf anticholinerge Genese oder bei Demenz: Acetyl-
cholinesterase-Inhibitoren wie Physostigmin
5 Behandlung von Alkohol- und Benzodiazepinentzugsdelir
7 Kap. 19

> Wegen Gefahr einer Verschlechterung sollten anticholinerge und


sedierende Medikamente vermieden werden. Beim Alkohol- oder
Benzodiazepinentzugsdelir kann die kurzfristige Gabe von Benzo-
diazepinen aber indiziert sein (7 Kap. 19).

27.2 Organisches amnestisches Syndrom (nicht


durch Alkohol oder psychotrope Substanzen
bedingt)

4 Symptomatik
5 Störungen v. a. des Kurzzeitgedächtnisses, weniger stark des Lang-
zeitgedächtnisses; Immediatgedächtnis (= unmittelbare Wieder-
gabe) ist nicht beeinträchtigt
5 Antero- und retrograde Amnesie mit zeitlicher Desorientiertheit
5 Weitere häufig anzutreffende Symptome: Konfabulationen, man-
gelnde Einsichts- und Entschlussfähigkeit, Apathie
4 Nicht beeinträchtigt sind Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Bewusst-
sein und allgemeine intellektuelle Fähigkeit
4 Nachweis einer zerebralen Schädigung oder Erkrankung (z. B. Insult,
Schädel-Hirn-Traumata)
4 Potenziell reversibel (abhängig von zugrundeliegender zerebraler
Läsion)
4 Häufiger ist ein amnestisches Syndrom aufgrund eines jahrelangen
missbräuchlichen Alkoholkonsums (Korsakow-Syndrom 7 Kap. 19;
wird nicht bei den organischen psychischen Erkrankungen klassifi-
ziert)
260 Kapitel 27 · Delir und weitere organische psychische Erkrankungen

Eigene Notizen 27.3 Organische Persönlichkeitsstörung

4 Deutliche Veränderung des prämorbiden Verhaltens als Folge einer


Hirnerkrankung, Hirnschädigung oder Hirnfunktionsstörung
4 Mindestens 2 der folgenden Kriterien müssen vorliegen:
5 Verminderte Fähigkeit, zielgerichtete Aktivitäten durchzuhalten,
Befriedigungen aufzuschieben
5 Impulsivität
5 Veränderte Emotionalität: Affektlabilität, Euphorie, inadäquate
Witzelsucht, Gereiztheit, Wutausbrüche, Apathie
5 Misstrauen, paranoides Denken und/oder ständige Beschäftigung
mit einem einzigen, oft abstrakten Thema
5 Auffälligkeiten der Sprache (Umständlichkeit, Begriffsunschärfe,
zähflüssiges Denken)
5 Verändertes Sexualverhalten
27
27.4 Andere psychische Erkrankungen
aufgrund einer zerebralen Schädigung
oder Funktionsstörung oder einer
körperlichen Krankheit

4 Allgemeine Kriterien
5 Nachgewiesene zerebrale Erkrankung, Verletzung oder Funktions-
störung oder eine systemische somatische Erkrankung, die mit einer
entsprechenden psychischen Symptomatik einhergehen kann
5 Zeitlicher Zusammenhang (Tage, Wochen oder Monate) zwischen
Auftreten der zugrundeliegenden/vermuteten Krankheit und den
psychischen Symptomen
5 Rückbildung der psychischen Symptomatik nach Rückbildung oder
Verbesserung der zugrundeliegenden/vermuteten Krankheit
5 Kein überzeugender Hinweis für eine andere mögliche Ursache
4 Organische Halluzinose
5 Ständige oder wiederholt auftretende Halluzinationen (v. a. op-
tische)
5 Besondere Form: Dermatozoenwahn (wahnhafter Ungezieferbefall;
nach ICD-10 als taktile Halluzinose einzuordnen), äußert sich z. B.
in Kribbelparästhesien (»Ameisenlaufen«), die vom Patienten als
Zeichen einer parasitären Infektion wahrgenommen werden
5 Weitere Kriterien: Keine Trübung des Bewusstseins, kein Abbau in-
tellektueller Funktionen, keine auffälligen Störungen der Stimmung
und kein Vorherrschen von Wahnideen
4 Organische katatone Störung
5 Stupor (mit teilweisem oder vollständigem Mutismus, Negativismus
und Haltungsstereotypien)
5 Erregung
5 Rascher und unvorhersehbarer Wechsel zwischen Hypo- und Hyper-
aktivität
27.4 · Andere psychische Erkrankungen aufgrund einer zerebralen Schädigung
261 27

4 Organische wahnhafte (schizophrenieforme) Störung Eigene Notizen


5 Vorliegen von Wahnideen
5 Zusätzlich können Halluzinationen, formale Denkstörungen oder
einzelne katatone Phänomene auftreten
5 Gedächtnis und Bewusstsein sind ungestört
4 Organische affektive Störung
5 Symptome wie bei einer depressiven oder manischen Episode oder
einer bipolaren affektiven Störung
4 Organische Angststörung
5 Klinisches Bild wie bei einer generalisierten Angststörung, Panik-
störung oder einer Kombination aus beiden Störungen
4 Organische emotional labile (asthenische) Störung
5 Ausgeprägte Affektlabilität/Affektinkontinenz mit pathologischem
Lachen und Weinen, Ermüdbarkeit oder viele unangenehme kör-
perliche Missempfindungen (z. B. Schwindel, Schmerzen)
4 Organische dissoziative Störung
5 Symptomatik entspricht dem Bild einer dissoziativen oder Konver-
sionsstörung
4 Leichte kognitive Störung
5 Hauptmerkmal: Klagen über Verschlechterung des Gedächtnisses,
Vergesslichkeit, Lernschwierigkeiten und Konzentrationsprobleme
5 Symptome aber nicht so schwer, dass sie die Diagnose einer De-
menz, eines amnestischen Syndroms oder eines Delirs rechtfertigen
würden (keine Beeinträchtigung der Alltagskompetenz)
5 Leichte, altersassoziierte Gedächtniseinbußen, die sich mit neuro-
psychologischen Testverfahren objektivieren lassen
5 Risikofaktor für die spätere Entwicklung einer Demenz
28
Tag 5 – Spezielle Krankheitsbilder III

28 Suizidalität
264 Kapitel 28 · Suizidalität

Eigene Notizen Definition


Psychischer Zustand, bei dem Gedanken, Pläne und Verhaltensweisen
auf die Herbeiführung des eigenen Todes gerichtet sind.

4 Erklärungsmodelle von Suizidalität


5 Krisenmodell: Suizidalität als Reaktion auf eine als extrem und aus-
weglos erlebte Situation (traumatische Lebensereignisse, Lebens-
krisen)
5 Krankheitsmodell: Auftreten von Suizidalität im Kontext einer
psychischen Erkrankung
4 Circa 90% aller Suizide stehen im Zusammenhang mit einer psychischen
Erkrankungen (am häufigsten depressive Erkrankungen, nachfolgend
Abhängigkeitserkrankungen und Schizophrenien)
4 Vollendete Suizide sind häufiger bei Männern (Männer zu Frauen
ca. 3:1)
4 Durchschnittliche Suizidrate in Deutschland ca. 12/100.000 Einwohner
28 4 Mit dem Lebensalter ansteigende Suizidrate, insbesondere bei Männern
deutlicher Anstieg ab dem 60. Lebensjahr
4 Unterscheidung von harten und weichen Suizidmethoden
5 Harte Methoden: Erhängen, Erschießen, Sturz aus großer Höhe
oder vor den Zug
J Führen meist rasch zum Tod
J Dominieren bei den vollendeten Suiziden
5 Weiche Methoden: Intoxikation mit Medikamenten oder Vergif-
tung mit Autoabgasen
5 Im westlichen Kulturkreis werden harte Methoden von Männern,
weiche Methoden von Frauen bevorzugt
4 Suizidversuche sind bis zu 20-mal häufiger als Suizide, häufiger bei
Frauen und jüngeren Personen
4 Wiederholung eines Suizidversuchs in ca. 25% der Fälle (Wiederho-
lungsrisiko im ersten Jahr nach einem Suizidversuch am größten! Bei
jeder psychiatrisch-psychotherapeutischen Anamneseerhebung Suizid-
versuche in der Vorgeschichte erfragen!)
4 Circa 75% aller Suizide werden angekündigt
> Suizidhinweise immer ernst nehmen! Nie von »leerer« Drohung
ausgehen. Wichtigstes Element bei Erkennung und Einschätzung
von Suizidalität: direkte, wertneutrale, einfühlsame Ansprache.
4 Neben direktem Fragen nach Suizidalität auch Fragen stellen zu Risiko-
faktoren sowie zur Bereitschaft, wieder Hoffnung zu schöpfen und zur
Fähigkeit zum Verschieben einer suizidalen Handlung
4 Risikogruppen
5 Menschen mit psychischen Erkrankungen (insbesondere Depres-
sionen, Schizophrenien)
5 Personen mit Suizidversuchen in der Vorgeschichte oder mit Suizi-
den/Suizidversuchen bei Bekannten/Verwandten
5 Alte Menschen (v. a. isoliert lebende/verwitwete ältere Männer)
28 · Suizidalität
265 28

5 Menschen in traumatischen Situationen und Veränderungsphasen Eigene Notizen


(z. B. Partnerverlust, Arbeitslosigkeit)
5 Menschen mit chronischen, schmerzhaften Erkrankungen
4 Psychopathologische Risikofaktoren, die das Suizidrisiko erhöhen:
5 Gefühl der Hilflosigkeit und des Ausgeliefertseins
5 Hoffnungslosigkeit, fehlende Zukunftsperspektive
5 Gefühl der eigenen Wertlosigkeit, Erleben der eigenen Person als
Belastung oder Schande für andere
5 Depressiver Wahn, imperative Stimmen mit Aufforderung zum
Suizid
5 Quälende Unruhe, Getriebenheit, massive innere Anspannung
5 Lang anhaltende, schwere Schlafstörungen
5 Schwere depressive Verstimmung
4 Stadien suizidaler Entwicklung (nach W. Pöldinger)
5 Phase der Erwägung: Suizid wird als mögliche Problemlösung in
Betracht gezogen
5 Phase der Ambivalenz: Ringen zwischen Selbsterhalt und Selbstzer-
störung (auch Phase der Appelle und Hilferufe, die in jedem Fall
ernst zu nehmen sind)
5 Phase des Entschlusses zum Suizid, scheinbare äußere Ruhe und
Gelassenheit
4 Präsuizidales Syndrom (nach E. Ringel)
5 Zunehmende Einengung/Fokussierung von Verhalten, Affekt und
zwischenmenschlichen Beziehungen (sozialer Rückzug)
5 Aggressionsstauung und Aggressionsumkehr gegen die eigene
Person
5 Suizidphantasien
4 Bei konkreter Suizidalität, von der sich der Patient nicht distanzieren
kann: sofortige Einweisung auf eine Intensivstation einer psychiatrisch-
psychotherapeutischen Klinik (möglichst freiwillig, bei Vorliegen der
Voraussetzungen notfalls auch Unterbringung gegen den Willen des
Patienten 7 Kap. 3.3)
4 Bei lebensmüden Gedanken (aber ohne konkrete Absichten), nachvoll-
ziehbarer Distanziertheit von Suizidalität sowie Bündnisfähigkeit: Er-
wägung einer ambulanten Therapie mit sehr engmaschiger ambulanter
Betreuung oder stationäre Behandlung auf einer offenen psychiatrisch-
psychotherapeutischen Station
4 Bei Vorliegen einer psychischen Grunderkrankung richtet sich die me-
dikamentöse Therapie nach dieser
4 Unspezifische therapeutische Sofortmaßnahmen bei akuter Suizidalität
5 Wertneutrales, ruhiges Gespräch, Beziehung aufbauen durch Em-
pathie und Wertschätzung
5 Kurzfristige Behandlung mit Benzodiazepinen: z. B. Lorazepam
267 A–C

Sachverzeichnis

A Anorexia nervosa 160–164


Anpassungsstörungen 141–146
– Entzugssyndrom 203
– Indikationen 73
Anticholinerges Syndrom, – Intoxikation 203
Abartigkeit, schwere andere zentrales 79, 252 – Nebenwirkungen 73, 74
seelische 45 Antidementiva 75, 251, 252 Betreuungsrecht 42
Abhängigkeit 192–194 Antidepressiva 56–62, 125 Bettnässen 7 Enuresis
Abwehrmechanismen 90, 178 – Indikationen 56 Bewegungsstörungen
Acetylcholinesterase-Hemmer 75 – Kontraindikationen 62 – dissoziative 150
Affektinkontinenz 14 – Wirksamkeit 62 – schlafbezogene 167, 168
Affektive Störungen 115–128 Antikonvulsiva 64–66 – stereotype 20, 225
Affektlabilität 14 Antipsychotika 66–72, 112 Bewusstseinsstörungen 4, 5
Affektstarrheit 14 – atypische 68 – tiefgreifende 45
Affektstauung 14 – Kontraindikationen 72 Beziehungsstörungen 12
Affektverarmung 15 – konventionelle 67 Beziehungswahn 24
Affektverflachung 15 – Nebenwirkungen 69–72 Bipolare Störungen 116, 118,
Agnosie 11 Antriebsstörungen 19, 119 119, 122, 127
Agoraphobie 131 Anxiolytika 73, 75 Bindungsstörungen 12, 231,
Agranulozytose 69 Aphasie 11 232
AIDS, psychosomatische Aspekte Apraxie 11 Binge-Eating-Störung 163,
217 Arc de cercle 150 164
Akalkulie 11 Artifizielle Störungen 183 Biofeedback 94, 95
Akathisie 17, 69 Arzneimittelabhängigkeit 193, Blutalkoholkonzentration
Alertness 4 202, 203 (BAK) 194, 195, 197
Alexie 11 Asperger-Syndrom 237 Body-Mass-Index (BMI) 163
Alkohol Assoziation, freie 91 Bulimia nervosa 160–164
– Abhängigkeit 193–196 Atmungsstörungen, schlaf- Burn-out-Syndrom 19, 156
– Alkoholbestimmung 194, bezogene 167
195 Auffassungsstörungen 8
– Alkoholdelir 198
– Alkoholdemenz 200
Aufmerksamkeit 4, 220
Aufmerksamkeitsdefizit-Hyper-
C
– Alkoholembryopathie 201 aktivitätsstörung (ADHS)
– Alkoholhalluzinose 199 219–222 Cannabis
– Entzugssyndrom 198 Aufmerksamkeitsstörungen 4, – Abhängigkeit 206
– Intoxikation 197 220 – Entzugssyndrom 206
Alpha-2-Antagonisten 61 Autismus 236–238 Carbohydratdefizientes Transferrin
Alzheimer-Demenz 246–253 Autogenes Training 94 (CDT) 33, 194
Amnesie 9 Chemikalienunverträglichkeit,
– dissoziative 149 multiple 156
Amnestisches Syndrom,
organisches 259
B Clozapin 68, 69
Cognitive Behavioral Analysis
Amphetaminintoxikation 207 System of Psychotherapy
Anamnese 30, 31 Belastungsreaktion, akute 143 (CBASP) 126
Angststörungen 129–135 Belastungsstörungen 141–146 Computertomographie, kraniale
– organische 261 Benzodiazepine 73, 74 (cCT) 34
Anhedonie 15 – Abhängigkeit 202–204 Cytochrom-P450-Enzyme 56
268 Sachverzeichnis

D Dialektisch-behaviorale Therapie
(DBT) 184
Extrapyramidalmotorische
Störungen (EPMS) 69, 70
Dissoziation 5 Eye-Movement Desensitization
Darmerkrankungen, chronisch- Dissoziative Störungen 147–151 and Reprocessing Therapie
entzündliche, psychosomatische Double depression 123 (EMDR) 145
Aspekte 216 DSM-IV 39
Debriefing 146 Dyskalkulie 235
Delir 198, 256–259
Dementia infantilis 243
Dyskinesien 69
Dyslalie 234
F
Demenz 245–253 Dyspareunie 173
– Alzheimer 246–253 Dysthymia 119, 127 Fahreignung 50
– frontotemporale 250 Dystonie, akute 78 Fahrtüchtigkeit 50
– gemischte 249 Familientherapie, systemische
– Lewy-Körper-Demenz 249 93, 94
– sekundäre 247
– vaskuläre 249
E Fetischismus 173
Fibromyalgie 156
Denken Flashback 11, 144, 206, 208
– eingeengtes 6 Echolalie 20 Flexibilitas cerea 20
– gesperrtes 6 Echopraxie 20 Flooding 86
– grübelndes 6 Ehefähigkeit 44 Fremdgefährdung 13
– ideenflüchtiges 6, 7 Eifersuchtswahn 24 Frotteurismus 173
– umständliches 7 – alkoholischer 199 Frühdyskinesien 78, 79
– verlangsamtes 7 Eilbetreuung 42 Fugue, dissoziative 149
– zerfahrenes 7, 8 Einkoten 7 Enkopresis Funktionsstörungen, sexuelle
Denkhemmung 7 Einnässen 7 Enuresis 172–174
Denkstörungen Einsichtsfähigkeit 46
– formale 6 Einwilligungsfähigkeit 43
– inhaltliche, Definition 6
Depersonalisation 8
Einwilligungsvorbehalt 42
Ekmnesie 11
G
Depot-Antipsychotika 72 Elektroenzephalographie (EEG) 34
Depression 116–126 Elektrokrampftherapie (EKT) GABA 73
– atypische 121 98, 99 Ganser-Syndrom 150
– gehemmte 121 Endokrinopathien 212 Gedächtnisstörungen 10
– Involutionsdepression 121 Enkopresis 239, 240 Gedankenabreißen 6
– Kindesalter 122 Entspannungsverfahren 94 Gedankenausbreitung 9
– larvierte 121 Entwicklungsstörungen Gedankendrängen 6
– postschizophrene 108 – tiefgreifende 236–238 Gedankeneingebung 9
– psychotische/wahnhafte 121 – umschriebene 234–235 Gedankenentzug 9
– saisonale 121 Enuresis 239, 240 Gedankenstopp 140
– Wochenbettdepression 121 Ergotherapie 101 Gegenübertragung 92
Depressivität 16 Ermüdungssyndrom, chronisches Generalisierte Angststörung 132
Deprivationssyndrom 238 19, 156 Geschäfts(un)fähigkeit 44
Derealisation 8 Erwerbsfähigkeit, Minderung 50 Geschlechtsidentität, gestörte
Dermatozoenwahn 25, 260 Erwerbsminderung 49 173, 174
Desensibilisierung, systematische Essstörungen 159–164 Geschwisterrivalität 230
86 Exekutive Funktionen 37 Gesprächspsychotherapie 93
Diabetes mellitus, psycho- Exhibitionismus 173 Gilles-de-la-Tourette-Syndrom
somatische Aspekte 214, 215 Expositionsverfahren 86 225
Sachverzeichnis
269 D–N

Glutamatmodulatoren 75, 76
Größenwahn 24
Intelligenzquotient 242
Intelligenztests 36, 243
L
Interpersonelle Psychotherapie
(IPT) 126 Labordiagnostik 33

H Intervention, paradoxe 92
Intrusionen 11
Legasthenie 234
Leistungen zur Teilhabe 102
Leistungsdiagnostik 36–38
Habituationstraining 86 Lese-Rechtschreibstörung
7 Legasthenie
Halluzinationen 25
Halluzinogenintoxikation 207
J Lichttherapie 99
Halluzinose Liebeswahn 24
– chronisch taktile 25, 260 Johanniskraut 61, 62, 125 Lithium 63, 64
– organische 260 Logorrhö 19
Heißhungerattacken 160, 162 Lösungsmittel, flüchtige 208, 209
Heller-Syndrom 7 Dementia
infantilis
K
Herzkrankheit, koronare, psycho-
somatische Aspekte 215 Kanner-Syndrom 236
M
Hilflosigkeit, erlernte 119 Katalepsie 20
Hospitalismus 7 Deprivations- Kataplexie 167 Magersucht 7 Anorexia nervosa
syndrom Katatonie 20 Magnetresonanztomographie,
Hyperaktivität 220 – perniziöse 20, 108 kraniale (cMRT) 34
Hyper-/Hypokinesen 20 Kaufsucht 189 Malignes neuroleptisches Syndrom
Hypermnesie 11 Kleptomanie 189 78
Hypersomnie 166, 167 Kognitive Störung, leichte 261 Manie 116, 118, 119, 122, 126,
Hyper-/Hypothyreose 117, 212 Kognitive Triade 117 127
Hypnotika 73, 74 Kokain Manierismen 20
– Abhängigkeit 202 – Abhängigkeit 207, 208 MAO-Hemmer 58, 59
Hypochondrie 155 – Intoxikation 207 Marchiafa-Bignami-Syndrom 200
Hypomanie 122 Kompetenztraining, soziales Maßregeln der Besserung und
88, 89 Sicherung 48, 49
Konditionierung 83 Merkfähigkeitsstörungen 10
I Konfabulationen 10
Konfrontationsverfahren 86
Missbrauch, Definition 192
Mnestische Störungen 9–11
Kontamination 7 Modelllernen 84
ICD-10 39 Konversion 90, 148 Multiple Persönlichkeitsstörung
Ich-Störungen 8, 9 Konversionsstörungen 147–151 7 Identitätsstörung, dissoziative
Ideenflucht 6, 7 Konzentrationsstörungen 4 Münchhausen-by-proxy-Syndrom
Identitätsstörung, dissoziative Körperschemastörung 26, 160, 183
150 161 Münchhausen-Syndrom 183
Illusionen 26 Korsakow-Syndrom 200 Mutismus 20, 231
Implosion 86 Krampfanfall, dissoziativer 150
Impulsivität 220 Krankhafte seelische Störung 45
Impulskontrolle, gestörte 188–189
Insomnie 166
Krankheitsbewältigung, Störungen
18, 19
N
Intellektualisierung 90
Intelligenz 36 Narkolepsie 167
Intelligenzminderung 241–244 Negativismus 20
270 Sachverzeichnis

Negativsymtome, schizophrene Perseverationen 7 Psychotherapie 81–95


106, 107 Persönlichkeitsdiagnostik 38 Pyromanie 188
Neglect 11 Persönlichkeitsstörungen 177–185
Nekrophilie 173 – abhängige 182
Neologismus 7
Neoplasien, maligne, psycho-
– anankastische (zwanghafte) 182
– ängstliche 182
Q
somatische Aspekte 216 – Borderline 181
Neurasthenie 156 – dissoziale 180 Quetelet-Index 7 Body-Mass-Index
Neuroleptische Potenz 68 – emotional instabile 181 (BMI)
Niedrigdosisabhängigkeit 202 – histrionische 182
Nikotin – narzisstische 182
– Abhängigkeit 201
– Entzugssyndrom 202
– organische 260
– paranoide 179
R
– Intoxikation 201, 202 – schizoide 179
Non-Compliance 19 – schizotypische 180 Rapid cycling 123
Nootropika 7 Antidementiva Phasenprophylaktika 62–66 Rational-Emotive-Therapie (RET)
Noradrenalin-Dopamin- Phobien 15, 230 88
Rückaufnahme-Inhibitoren – soziale 131, 132 Rationalisierung 90
(NDRI) 61 – spezifische 132 Rausch
Physiotherapie 100 – einfacher 197
Phytopharmaka 61, 62 – pathologischer 197
O Pica-Syndrom 243
PLISSIT-Modell 174
Regression 90, 91
Rehabilitation 102
Polyneuropathie, alkoholinduzierte REM-Schlaf 117, 169
Opiate/Opioide 200 Residuum, schizophrenes 108
– Abhängigkeit 204, 205 Polysomnographie 168 Restless-Legs-Syndrom 167
– Entzugssyndrom 204, 205 Polytoxikomanie 193 Rett-Syndrom 237
– Intoxikation 204 Positivsymptome, schizophrene
Orientierungsstörungen 4, 5 106
Positronen-Emissions-Tomographie
(PET) 35
S
P Präsuizidales Syndrom 265
Problemlösetraining 89 Sadomasochismus 173
Progressive Muskelrelaxation 94 Schädlicher Gebrauch 192
Paartherapie, systemische 93 Projektion 90 Schizoaffektive Störung 110, 111,
Pädophilie 173 Pseudodemenz, depressive 113
Panikattacke 15, 132 124, 251 Schizophasie 8
Panikstörung 132 Pseudohalluzinationen 25 Schizophrenia simplex 108
Parakinesen 20 PsychKG 46, 47 Schizophrenie 103–113
Paramnesien 10, 11 Psychoanalyse 89–92 – desorganisierte /hebephrene
Paraphilien 173, 175 Psychoedukation 95 107
Parasomnien 168 Psychopathologischer Befund 31, – katatone 108
Parathymie 18 32 – Kindes- und Jugendalter 109,
Pareidolien 26 Psychopharmakotherapie 53–80 110
Parkinsonoid, medikamentös – Nebenwirkungen 55 – paranoide 107
induziert 69 – Notfälle 78–80 – undifferenzierte 108
Patientenverfügung 43 Psychose 104 Schizotype Störung 180
Pavor nocturnus 168 Psychosomatik 212 Schlafapnoesyndrom 167
Sachverzeichnis
271 N–Z

Schlafentzugstherapie 100 – dissoziativer 149 Verbigeration 7


Schlafstadien 169 Sublimation 90 Verdrängung 90
Schlafstörungen 21, 22, 165–170 Suchterkrankungen, stoff- Verfolgungswahn 24
Schlaf-Wach-Rhythmusstörungen gebundene 191–209 Verhaltenstherapie 83–89
168 Substitutionstherapie 205 – kognitive 87, 88
Schmerzstörungen, somatoforme Suizid 13, 264 Verschiebung 90
155 Suizidalität 13, 263–265 Vigilanz 4
Schnüffelstoffe 208, 209 Synästhesien 207 Vorbeireden 8
Schuld(un)fähigkeit 45 Vorsorgevollmacht 43
Schulschwierigkeiten 12 Voyeurismus 173
Schwachsinn 45
Selbstverbalisation 88
T Vulnerabilitäts-Stress-Coping-
Modell 104
Selektive Noradrenalin-Rückauf-
nahme-Inhibitoren (SNRI) 60 Tabakabhängigkeit 201
Selektive Serotonin-Rückaufnah-
me-Inhibitoren (SSRI) 59, 60
Tasikinesie 69
Teilleistungsstörungen 234
W
Selektive Serotonin- und Testierfähigkeit 44
Noradrenalin-Rückaufnahme- Testpsychologie, Diagnostik 35–39 Wachtherapie 7
Inhibitoren (SSNRI) 60, 61 Theatralismus 21 Schlafentzugstherapie
Sensibilitätsstörungen, dissoziative Ticstörungen 223–226 Wahn 22–24
150 Transsexualismus 173 – symbiotischer 23
Serotoninsyndrom, zentrales 59, Transvestitismus 173 Wahndynamik 23
79 Trichotillomanie 189 Wahnerinnerung 23
Sexualstörungen 171–175 Tri-/Tetrazyklische Antidepressiva Wahnstimmung 23
Sicherungsverwahrung 49 (TZA) 57, 58 Wahnwahrnehmung 23
Single-Photonen-Emissions- Wahrnehmungsanomalie 26, 27
Computertomographie (SPECT) Wahrnehmungsstörungen 25
35
Sodomie 173
U Wahngedanke 23
Wahnhafte Störungen 110
Somatisierungsstörung 155 Wender-Utah-Kriterien 221
Somatoforme Störungen 153–157 Übertragung 91 Wernicke-Enzephalopathie 199
Somnambulismus 168 Unruhe Widerstände 92
SORCK-Modell 85 – innere 17 Widmark-Formel 194, 195
Sozialverhalten, gestörtes 228, – motorische 21
229 Unterbringungsrecht 46–49
Soziopathie 180
Soziotherapie 100, 101
Untersuchung
– allgemeinkörperliche 32, 33
Z
Spätdyskinesien 69 – neurologische 33
Spielsucht 188 Zeitgitterstörungen 11
Sprachstörungen 234 Zönästhesien 26
Stereotypien 20, 236
Steuerungsfähigkeit 46
V Zwang 27
Zwangsstörungen 137–140
Stimulanzien 76, 77 Zyklothymia 119, 123
– Abhängigkeit 207 Vaginismus 173
Stupor 20 Verarmungswahn 24

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