Schneider
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Wolf Schneider
Inhalt
Anhang
Namen- und Sachregister 181
Bücher von Wolf Schneider 192
Wo liegt das Problem? 9
stand und rechter Sinn mit wenig Kunst sich selber vor»:
Dieser Satz ist von Goethe und völlig falsch. Mit wenig
Kunst (oder gar von selbst) läuft gar nichts in der Sprache.
Auch Goethe hat gefeilt an seinen Texten, und als Bert
Brecht der Satz gelungen war «Stell dir vor, es ist Krieg, und
keiner geht hin», hatte er ihn möglicherweise herausgemei-
ßelt aus einem Versuch wie diesem: «Man stelle sich vor,
dass kriegerische Handlungen in Ermangelung hinläng-
licher Teilnehmerzahlen gar nicht stattfinden könnten.»
Goethe und Heine, Kafka und Brecht: Oft und uner-
schrocken werden sie im Folgenden zitiert. Denn weit
mehr als Deutschlehrer oder Professoren der Germanistik,
Linguistik und Literaturwissenschaft sind sie es, die uns
helfen: Sie hatten den Ehrgeiz, gelesen zu werden – «Wer
aber nicht eine Million Leser erwartet, sollte keine Zeile
schreiben», sprach Goethe zu Eckermann.
Die Großen wussten auch, wie man das schafft; und sie
zeigen: Was ein guter, starker Satz ist – das hat sich in tau-
send Jahren nicht geändert. Es gilt für die Bibel und den
Blog, den Zeitungsartikel wie den Geschäftsbericht. So
können die ersten zwei Drittel dieses Buches von den Re-
geln und Erfahrungssätzen profitieren, die schon Luther
beherzigt und eine moderne Wissenschaft abgesichert hat.
Was Sie schreiben, ist Ihre Sache – aber wie Sie es for-
mulieren sollten, damit es die Chance hat, beachtet zu
werden, zu wirken, vielleicht sogar Sympathie zu stiften:
Das lässt sich lernen. Mit 32 Rezepten kommen Sie
diesem Ziel schon ziemlich nah – und rasch werden Sie die
Heerschar der Einfach-drauflos-Schreiber ebenso hinter
sich gelassen haben wie die der verkorksten Germanisten.
Zumal, wenn Sie die Sprache lieben. Nur wer sie um-
armt, kann ihr schöne Kinder machen.
WAS FÜR ALLE TEXTE GILT :
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Feurig beginnen
aus dem Stern. Als Idealbild nämlich, vor dem ich mei-
nen eigenen ersten Satz auf den Prüfstand stellen sollte:
Komme ich diesem Muster wenigstens ein bisschen nahe?
Habe ich meinen Ehrgeiz darangesetzt, beim Wettlauf um
die Aufmerksamkeit vorn zu liegen? Habe ich mein Vor-
haben auf mögliche Pointen abgeklopft? Bin ich bereit,
an diesem vielleicht entscheidenden ersten Satz zu feilen –
und meinen siebenten Satz nachträglich zum ersten zu
machen, wenn ich spüre, dass er der beste ist?
Das setzt voraus, dass der Schreiber von Mails oder
Blogs nicht jener Versuchung erliegt, die der Computer be-
reitstellt: erst mal schreiben – das Denken kommt später
oder nie. Wer seinen Text aus dem Ozean des Gedruckten
und Gesendeten herausheben will, der kommt an einer
uralten Erfahrung nicht vorbei: Denken vor dem Schrei-
ben hat noch keinem geschadet.
Gewiss, bei vielen Mails (Rezept 26) kann man auf ein
automatisches Interesse der Empfänger rechnen. Dann
aber hat ein klarer, kraftvoller erster Satz immer noch einen
wichtigen Vorzug: Der Adressat fühlt sich ohne Umweg
informiert; und wenn er das als Ihr Markenzeichen wür-
digt, dann haben Sie gewonnen.
Wer den Anfang versiebt, der hat verloren. «Wer einen
ersten Eindruck machen will, kriegt keine zweite Chance»
(You never get a second chance to make a first impression)
heißt ein Schlagwort unter Berufsschreibern in den USA ,
und sie haben recht. Im Grunde verhalten wir uns gegen-
über jedem, der um unsere Zuwendung buhlt, so wie einst
der berühmte russische Ballett-Impresario Sergej Diaghi-
lew, der sich vor den französischen Dichter, Maler und
Designer Jean Cocteau hinsetzte mit den Worten: «Er-
staune mich – ich warte.»
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Man muss gar nicht mit Jesus ins Haus fallen. «Hast du
deinen Arm schon mal in einer Kuh gehabt?», fragte eine
Tierärztin eine Fünfzehnjährige, die diesen Beruf ergrei-
fen wollte, und der Bericht darüber begann mit ebendie-
sem Satz. Und eine Kriminalreportage in der Zeit:
Solche Stoffe, Gott sei Dank, stehen uns selten zur Verfü-
gung. Nur ist dieser erste Satz natürlich nicht aus dem
Text herausgesprungen, sondern er wurde raffiniert aus
ihm herausgekitzelt. Und mit demselben Ehrgeiz lassen
sich Alltagsgeschichten ebenfalls so aufzäumen, dass man
weiterlesen möchte: «Wie jeder schlechte Krimi beginnt
auch dieser mit dem tragischen Verhältnis eines Polizisten
zu seinem Kaffeeapparat» (SZ -Magazin).
Auch ein Blogger sollte darüber nachdenken, wenn er,
entgegen aller statistischen Wahrscheinlichkeit, vieltau-
sendfach gelesen werden und sich in der Szene einen
Namen machen möchte. Selbst wer gerade beim Zahnarzt
gelitten hat, könnte bloggen oder twittern (wie der ame-
rikanische Satiriker Russell Baker): «Der Zahnarzt ver-
brachte eine Stunde in meinem Unterkiefer» – und hätte
sich damit herausgehoben aus dem Gewoge der abgedro-
schenen Signale.
Das Traurigste, wozu man einen ersten Satz miss-
brauchen kann, ist eine Binsenweisheit. «Das Internet hat
sich zum bedeutenden Informationsmedium entwickelt»
musste man noch 2009 als überraschenden Einstieg in
einen Vortrag hören. «Wir benutzen immer mehr elektro-
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Also gut: 20 Sekunden!
Wenn der erste Satz sich zäh dahinschleppt, habe ich also
den Leser vielleicht schon verjagt. Wirkt er aber nicht di-
rekt abstoßend, so kann der zweite, der dritte Satz noch al-
les retten: Im Durchschnitt ist das Maß des Gelangweilt-
seins erst nach 20 Sekunden (oder rund 350 Zeichen) voll.
Praktiker haben das gewittert, wissenschaftliche Studien
es bestätigt – mit einer Einschränkung freilich; die steht
am Schluss dieses Rezepts.
Kennen Sie den Elevator Check – den Fahrstuhl-Test?
Bei McKinsey und in anderen, vor allem amerikanischen
Unternehmen stellt man sich vor: Der kleine Angestellte
geht schwanger mit einer großen Idee; aber vom Boss
empfangen zu werden, sieht er keine Chance. Da trifft er
ihn im Lift – und hat nun, realistisch geschätzt, etwa 20 Se-
kunden Zeit, dem Chef seine Idee zu verkaufen; 20 Sekun-
den, unwiderruflich. Dieses Bild soll jeder in der Firma
vor Augen haben und als Regel anwenden: Alles, was nach
draußen geht, Brief, Mail, Prospekt und Angebot, muss es
binnen 20 Lesesekunden geschafft haben, dem Adressaten
mitzuteilen, worum es sich handelt – und vor allem: war-
um er weiterlesen soll.
In diesen 20 Sekunden oder maximal 350 Zeichen oder
in zwei, drei Sätzen lässt sich viel erzählen. Zum Beispiel
so:
Wie grüßt der Bergwanderer? Kein Problem, denken viele.
Schon falsch.
(Magazin der Süddeutschen Zeitung, 69 Zeichen)