Die Geschichte Der Unschärfe (Wolfgang Ullrich)
Die Geschichte Der Unschärfe (Wolfgang Ullrich)
Die Geschichte Der Unschärfe (Wolfgang Ullrich)
Wolfgang Ullrich
Die Geschichte
der Unschrfe
Wtgenbadl
Wolfgang UHrich
Die Geschichte der Unschrfe
Gerhard Richter: Gt'&ttrbtrsullung 2. Aus dem Zyklus r8. Okr.obrr 19n (1988)
Berlin
Dit Gtschidtrt dtr Unsch11rfe erschien zuerst :z.oo:z. als Band 69 in der Reihe
KLEINE KULTURWISSENSCHAFTLICHE BIBLIOTHEK.
VORWORT
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14
39
KUNSTPRODUKT ION :
DIE VERSCH MELZUNG DER GATTUNGEN
ASTHETIK DES AUSNAHMEZUSTANDS
DIE WAHRHEIT IM WAHRNEHMEN
68
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108
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136
151
179
ABBI LD UN GSNACHWEISE
NACHBEMERKUNG
~0
188
163
94
54
Ist das unscharfe Bild nicht oft gerade das, was wir brauchen?
(Ludwig Wingenstein,
Philosophische Untersuchungen 71 )
VORWORT
Einige der berhmtesten Bilder der letzten Jahre sind unscharf und sie werden immer wieder reproduziert, obwohl nicht viel auf
ihnen zu erkennen ist: Lady Diana an der Drehtr des Ritz in Paris oder Mohammed Atta beim Check-in in Portland.jeweils pas
sieren die Akteure gerade die letzte berwachungskamera vor
ihrem Tod, weshalb sich die Unschrfe wie ein Vorzeichen des
Verschwindensausnimmt und als Stilmirtel einer Ikonographie
der Katastrophe erscheint. Vor allem aber macht sie aus jedem
Betrachter einen Detektiv, der davon trumt, auf dem Foto doch
noch das entscheidende Indiz zu entdecken, das Aufschlu ber
das Unvorstellbare gibt, was kurz darauf eintreten wird. So sind
es unscharfe Bilder, die die grte Faszination ausben und zahllose neugierige Augen nicht mehr zur Ruhe kommen lassen.
Aber auch jenseits von Sensationen und insbesondere in der
extrovertierten Event- und Fitnekultur ist unscharf aktuell.
Printmedien aller Art - vom Werbeprospekt bis zum Kunstkatalog- enthalten seit einigen Jahren immer hufiger unscharfe Bilder. Je hher der sthetische Anspruch eines Lifestyle-Magazins
ist, desto wahrscheinlicher ist sogar nur noch eine Minderheit
der Fotos scha rf. Selbst der Bildjournalismus zeigt seine Sujets
oft durch Unschrfen verfremdet, womit sich die Grenze zu
knstlerischen Experimenten auflst. Schlielich versuchen
Werbeagenturen am liebsten mit diesem Stilmittel, Markenprodukten eine Aura des Geheimnisvollen und Besonderen anzufotografieren<. ln alldiesen Fllen ist >unscharf<selbst kein scharfer
Begriff, sondern umfat so unterschiedliche Effekte wie Weichzeichnung und grogezoomte Pixel, Verwischungen, pastelliges
Verblassen, berbelichtung und Grobkrnigkeit.
7
Ruine - friedlich in seine Umgebung ein. Da die Ferne den Ursprung und das Ende gleich richtig abbildet und damit sogar
noch die Pole der Zeitlichkeit- Vergangenheit und Zukunft miteinander vereint, vollendet das Mysterium der Landschaft.
Der Fernblick wird so zum metaphysischen Schauen, whrend,
was sich in unmittelbarer Nhe befindet, in seiner Abgegrenztheit einen analytisch-khlen Blick provoziert und nu r die Gegenwart umfat; es ist das Aktuelle, das Akute, das in seiner Schrfe
keinen Spielraum lt.
Unschwer ist zu erkennen, da Adam Mllers Text ein typisch romantischer Gegensatz zugrunde liegt: Dem Vereinten
wird das Getrennte, dem Ganzheitlichen das Isolierte, dem Unendlichen und berzeitlichen das Endliche und Zeitgebundene
gegenbergestellt. Romantisch ist auch d ie Idee, Unbegrenztes
habe mehr Wert, wei l es allgemeiner, ursprnglicher, seltener
oder einfach nur weiter gespan nt sei als das Begrenzte. Das
Feme wird also dem Nahen vorgezogen, das Weiche, Verschmelzende, Unscharfe gilt mehr als das klar Konturierte, und begnstigt ist, wer etwas verschwimmend oder unscharf sehen kann.
Dies widerspricht der scheinbaren Tatsache, da unscharfes
Sehen ein Manko ist. Selbst mit seiner normalen Sehkraft fhlt
sich der Mensch bereits als Mngelwesen, sonst brauchte es
keine Mikroskope und Teleskope. erst recht keine Lupen oder
Fernglser. Immer wieder taucht auch ausdrcklich der Wunsch
nach grerer Sehschrfe auf, so etwa in Traktaten der Renaissance, in denen ber das Leben in der berirdischen Welt spekuliert wird. Die Autoren berichten nicht nur, da die Dinge im
Himmel und Paradies schner, bunter und vielfltiger seien als
gewohnt, sondern sie schwrmen vor allem davon, um wieviel
feiner der Sehsinn dort ausgeprgt sei: Es lasse sich genauer zwischen verschiedenen Farben und Formen unterscheiden, und
selbst aus groer Entfernung knne man Gegen stnde noch
scharf sehen.: Im umfangreichsten Wunschkatalog komfortablen Lebens, in Francis Bacons Nova Atlantis ( 1624) , wird eine
Erfi ndung imaginiert, die die natrliche Strahlkraft des Lichts
Tl
erhht, damit man auch in der Ferne die feinsten Linien und
Punkte unterscheiden kanno. 1 Bin technischer Fortschritt bestnde demzufolge darin, jenes Zusammenflieen von Luft und
Erde, das Mller beschreibt, zu verhindern und am Horizont fr
glasklare Verhltnisse zu sorgen.
Da fr Bacon und das gesamte naturwissenschaftliche Denken
Naturerkenntnis zugleich Macht ber clie Natur bedeutet, verspricht eine strkere Konturenschrfe, die sichtbare Welt besser
kontrollieren zu knnen. Tatschlich gehrt der Bezug zwischen
scharfem Sehen und Beherrschen zu den groen Themen jeder
Kultur! Ein >scharfer Blick impliziert nicht nur Przision u~d Unbestechlichkeit, sondern kann ebenso Signal massiver, gar herrischer berlegenheit sein. So ist es immer eine Machtgeste, eine
andere Person scharf zu mustern; umgekehrt war es lange Zeit
vielerorts verboten, einem Vorgesetzten oder Hherstehenden
mit Brille - mit bewaffnetem Auge - gegenberzutreten. Tm
scharfen Blicken steckt auch insofern eine Provokation, als man
das Gegenber gleichsam heranholt, sich seiner Prsenz voll aussetzt, das aber nur macht, weil man sich ohnehin fr strker hlt;
in seiner gesteigerten Sichtbarkeit wird der andere entblt und
erniedrigt. Somit gehen Erkenntnis- und Machtinteresse untrenn
bar ineinander. Die lange Geschichte des bsen Blicks gehrt
ebenso in diesen Zusammenhang wie das Fixieren, das noch im
I9.Jahrhundert zum Auslser zahlloser Duelle wurde.
Aufgrund seines aggressiven Chara kters verwundert es nicht,
da dem scharfen Sehen ein gelassenes Schauen und damit jener
freie Blick in die Ferne gegenbergestellt wird, der seine Bestimmung nicht in Analyse, sondern in Reflexion, nicht in Kontrolle
und Distanzierung, sondern in einem sympathetischen Einswerden findet. Doch wre es verkrzt, eine sthetisch-metaphysische Landschaftserfahrung wie die Adam Mllers nur in Opposition zu einem instrumentellen Z ugriff auf die Natur zu
interpretieren . Oie Begeisterung ber verschwimmende Hori
zontlinien und unscharfe Konturen steht vielmehr auch im Widerspruch zu einem anderen Naturerleben, das nicht m inder auf
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der Natur. Somit existierten zwei gegenlufige Anstze der Naturbetrachtung, was sich nicht zuletzt in der Landschaftsmalerei
niederschlug, die, nachdem sie ber Jahrhunderte hinweg innerhalb der Hierarchie der Gattungen einen der untersten Pltze
eingenommen hatte, zu ei nem bevorzugten Ort von T rans zendenzerfahrungen wurde. Fr Mller ist sie >>mehr allegorischer
als plastischer Natur, bildet somit weniger eine Vielfalt an
Sujets ab, sondern erzeugt Sti mmungen, die ber das blo Alitgliche und Irdische hinausweisen. Freilich geht er nicht so weit,
von den Landschaftsmalern zu fordern, da die dmmernden
Fernen in der Landschaft nie feh len drften, was jedoch auch
ein Zugestndnis an den damals vorherrschenden Stil gewesen
sein knnte. So gibt es im frhen 19.)ahrhundert nur wenige Bilder, auf denen sich die Gegenstandskonturen auflsen. Vielmehr
dominiert eine Malweise, die die einzelnen Sujets klar voneinander trennt und eigens profiliert; nicht wenige Maler - am herausforderndsten Carl Blechen - machten es sogar zu ihrer Aufgabe,
jenes klare Licht des Sdens, das jeden Um ri eigens schrft, malerisch umzusetzen . Und selbst wenn die Gesetze der Luftperspektive beachtet wurden, waren Verblauung oder das Verdunsten von Farben und Konturen in der Ferne kaum einmal eigene
Motive.
Auf jeden Fall htte Mller innerhalb der Geschichte der
Landschaftsmalerei bessere Beispiele fr seine Naturerfahrung
finden knnen als in der eigenen Gegenwart. Von Patinicrs Meisterwerken der Verblauung, die das Verschmelzen von Himmel
und Erde zum spirituellen Erlebnis werden lassen, ber die in
gesteigertem Naturalismus dargebotenen Landschaftsrume bei
Leonardo, dessen Sfumato nirgendwo sonst hnlich stark in Erscheinung tritt7 , bis hin zu den dramatisch aufgewhlten, in ihre
Elemente sich auflsenden Landschaften Rembrandes reicht ei n
weites Spektrum an Bildern, die vorfh ren, wie sich Natur dem
Fernblick darbieten kann.
Unter seinen Zeitgenossen gab es statt ganzer CEuvres nur einzelne Bilder, die Mllers Erwartungen an die Landschafrsma le14
rei entsprochen haben drften. Darunter befindet sich aber imm erhin das berhmteste Bild der Romantik , das zudem im
selbenjahr entstand wie Mllers Aufsatz, nmlich Caspar David
Friedrichs Mnch am Meer. Anders als bei den meisten seiner Bilder pflegt Friedrich hier keinen zeichnerischen, konturbezogenen Stil, sondern zeigt die Auflsung der Elemente in der Weite:
Der am Ufer und dem Meer zugewandt stehende Mnch schaut
auf den Horizont, an dem nicht nur Wasse r und Himmel fast
nahtlos ineinander bergehen, sondern wo auch - etwas unheimlich - zwischen Tag und Nacht nicht mehr zu unterscheiden
ist. Doch am verwandtesten mit Mllers Aufsatz ist Friedrichs
Gem lde in der offensichtlichen Abneigung gegen alles, was
den Menschen unmittelbar umgibt und daher gegenber anderem in schroffem Gegensatze<< steht. Tatschlich braucht der
Mnch auf nichts zu blicken als den Horizont, und die Grenze
zwischen Dne und Wasser ist die einzige harte Linie des Bilds,
so als habe Friedrich erinnern wollen, wie streng im Vordergrund voneinander geschieden sein mu, was in der Ferne miteinander verschmelzen darf. Um nur den Fernblick zuzulassen,
hat Friedrich sogar zwei bereits gemalte Schi ffe wieder ber15
Oie Abneigung gegen markante, die Aufmerksamkeit bindende Einzelheiten wie berhaupt gegen alles Laute, Schrille, Aktuelle - gegen alles, was zu nahe tritt - bezeugt den romantischen
Drang nach Innerlichkeit sowie das bereitsamEnde des I8.jahrhunderts erwachte Bedrfnis nach Ausgleich gegenber der als
anstrengend und entfremdend empfundenen Lebenswelt. ln vielen Texten zur Landschaftsmalerei werden die Maler davor gewarnt, die Bilder - und damh die Bildbetrachtung - nur ja nicht
ll,lit aktuellen Sujets zu stren. So bemerkt Carl Gustav Carus in
seinen Neun Briefen ber Landschaftsmalerei (1815-1824), da ein
eben vollendetes scharfkantiges und neugefrbtes Gebude wenig
fr landschaftliche Bilder pat. 13 Immer wieder werden dafr
anspruchslose Bilder und Sujets gefordert, was ganz wrtlich
meint, da der Betrachter nicht durch Details oder Hervorstechendes in >Anspruch< genommen und gestrt werden soll." Ein
Landschaftsgem lde darf nichts fordern und den Rezipienten
nicht zu Gedanken ber ein bestimmtes Thema ntigen; es soll
ihn nicht einmal unterhalten - zu Passivitt verfhren und zerstreuen - , sondern seine Aufgabe besteht darin, eine Stimmung
anzuregen, die ihrerseits zu freier Reflexion animiert. Anstatt zu
amsieren oder zu belehren, fu ngiert das Bild als Proje ktionsflche fr die Phanrasien und Gedanken des Betrachters.
Aber nicht nu r das: Ein Bild, das Details vorenthlt, diskret ist
und mglichst wenigerzh lt, gibt auch sich selbst nicht preis; vielmehr zelebriert es eine gewisse Distanz und Rtselhaftigkeit, was
das Interesse des Betrachters stimuliert, dem es dan n um so bedeutender erscheint und um so strker berhaupt als Bild auffllt.
Oie sthetik der Anspruchslosigkeit, die seit dem frhen I9.Jahrhundert aufkam, beinhaltet also nicht nur das Gebot, den Betrachter von Erzhlzierat zu verschonen, sondern ist zugleich
(und zuerst) Folge einer Aufwertung der Kunst: Das Bild besitzt
auf einmal die Autoritt, auch schweigen zu drfen und sich nicht
ve rhren lassen zu mssen; dafr sei seine Rezeption - so nochmals Wackemoder einem >>Gebet vergleichbar, denn >>die KIH!St
ist ber dem Menschen. 11 Weil man dem Bild - qua Kunst - mehr
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z utraut als Anekdoten, wre auch alles andere als >A nspruchslosigkeit<unter seiner Wrde, beschftigte es die Rezipienten dann
doch blo mit Kleinigkeiten und profanisie rte sich selbst.
Beides, die Nobilitierung der Kunst und die Orientierung der
Bilder an der Musik, uerte sich also in einer Aversion gegen Details; zudem wurde dadurch die Suche nach homogenen Bildrumen wie auch eine Vorliebe fr Sujets begnstigt, bei denen die
Gegenstnde mit sanften bergngen gemalt werden konnten ,
um eine einheitliche Stimmung- jenen Grundakkord - zu erzeugen, statt sich einzeln zu artikulieren und gegeneinander zu behaupten. Dmmerung oder Nebel boten gleichsam einenatrliche
Unschrfe und lieen das Verschwimmen der Gegenstnde - wie
bei Ernst Ferdinand Oehme - bereits im Mittelgrund und nicht
erst im Fernblick beginnen. Oetailversessene, hyperscharfe Bilder
wurde n hingegen zunehmend als oberflchlich-laut und pedantisc h empfunden, als geistlos-dumme, geradezu brokratische
Abpinseleien abgele hnt. Berhmt sind etwa Baudelaires Invektiven gegen Maler wie Horace Vernet, den zu hassen er in seinem
Salon-Bericht von 1846 bekannte, da ihm dessen akribisch gemalte
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ben10, wa r - im europischen Vergleich - bereits etwas anachronistisch, da auch in England, mit Malern wie Constable, lngst ein
Stil Einzug gefunden hatte, der die atmosphrische Wirkung einer Landschaft einzufangen versuchte, statt ihre einzelnen Sujets
abzubilden. Im weiteren sollte die Detail-Aversion sogar zum
gemeinsamen Nenner der ve rschiedenen Kunststrmungen de r
beginnenden Moderne wie erst recht der Avantgarde werden.1'
Der Wechsel von der Vielfalt de r Sujets zur Einheit der Stimmung brachte es zudem m it sich, da - wenigstens vereinzelt Sehschrfe nicht mehr unbedingt als Vorzug galt, sondern die
Gunst der Natur umgekehrt demjenigen zu widerfahren schien,
de r davon befreit war, immer alle Einzelheiten sehen zu mssen.
Am skeptischsten gegen das Scharfsehen uerte sich da bei kein
anderer als Goethe. Mochte er auch davon berichten , wie ein
Fernrohr zum erhabenen Erlebnis reiner Gegenwart verhelfen
kann, so lehnte er optische Hilfs m ittel und zumal Brillen insgesamt doch ab. Den Wilhelm Meister lt er uern: Ich habe im
Leben berhaupt und im Durchschnitt gefu nden, da diese Miere!,
wodurch w ir unsernSinnen zu Hlfe kommen, keine sittlich gnstige Wirkung auf den Menschen ausben. Wer durch Brillen
sieht, hlt sich fr klger, als er ist, denn sein uerer Sinn wird
dadurch m it seiner innern Urteilsfhigkeit auer Gleichgewicht
gesetzt; es gehrt eine hhere Kultur dazu, deren nur vorzgliche
Menschen fhig sind, ihr Inneres, Wahres mit diesem von auaen
herangerckten Falschen einigermaen auszugleichen. Sooft ich
du rch eine Brille sehe, bin ich ein anderer Mensch und gefalle mir
selbst nicht; ich sehe mehr, als ich sehen sollte, die schrfer gesehene Welt harmoniert nicht mit meinem lnnern, und ich lege die
Glser geschwind wieder weg, wenn meine Neugierde, wie dieses
oder jenes in der Ferne beschaffen sein mchte, befriedigt ist<<.u
Brillentrgern wi rd hier ein Hang zum Hochmut, eine Oberschtzung ihrer intellektuellen Fhigkeiten vorgeworfen, da sie
aus ihrem Vermgen , alles scharf zu sehen , flschlicherweise
schlieen, auch scharfsichtig u nd scharfsinnig zu sein. Freilich
unterstellt Goethe seinerseits eine Korrespondenz von Seh- und
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Die Abneigung gegenber Brillen gehrt zu einer weiter reichenden Technikfeindlichkeit, gespeist aus der berzeugung, die
moderne, rasch sich entwickelnde Zivilisation mache die Kultur
zunehmend geistloser und exzentrischer, da die Menschen sich
an die Versuchungen der ueren Welt verlren. Die Angst vor
einer technisierten Moderne taucht im Wilhelm M eister immer
wieder auf, und Goethe stand damit - wie mit der Brillen-Skepsis
- keineswegs allein. Schon 1812 hatte Achim von Arnim in seiner
Erzhlung IsabeUa von Egypun apodiktisch bemerkt, eine Brille sei
das schrecklichste Gefngnis, aus welchem die ganze Welt verndert erscheint. Was scharf zu sehen ist, bedrngt den Wahrnehmenden und engt ihn ein, da es der Fantasie jeden Spielraum
nimmt. War eine verbesserte Sehkraft einst - bevor sich der Gebrauch von Brillen durchsetzte - noch mit der Vorstellung des
Paradieses und berirdischen Glcks verbunden, wurde sie nun
also - nochmals von Arnim - als Schreck erfahren.lJ
Der Affekt gegen das Genaue, Scharfe, Detailliene war eine
Fluchtreaktion und der Versuch, den Energien der modernen
Welt sowie der Macht des Faktischen zu entkommen, um in abgelegenen oder knstlich befriedeten Zonen zu sich selbst zu finde n. Dieser Affekt war- noch weiter gehend - Ausdr uck einer
Angst vor zu vielen ueren Einflssen, ja vor allem ueren
berhaupt. Nicht die Steigerung, sondern die Herabsetzung der
Sensitivitt wurde daher zum Bedrfnis , und ebenso suchte man
nach Erfahrungen und Bildern, die zwar intensiv sein durften,
dabei aber nicht eigenmchtig sein sollten. Sie hatten als Resonanzraum fr die eigene Stimmungslage zu fungie ren, als ein
Ort, an dem die Immunabwehr mit mglichst wenig fremden
Reizen konfrontiert wurde und an dem das Gefhl der Entfremdung zumindest momentan aufgehoben war. Daraus ergab sich
auch der Wunsch, die Elemente der gegenstndlichen Welt inein anderflieen zu sehen, bis sie sich gegenseitig neutralisierten,
indifferent wrden und in Wohlklang auflsten: Unschrfe
konnte zum Stilm ittel der Angst vor dem Fremden werden.
konkurrenten der Bildproduktion , darauf verfielen, die Wiedergabe von Details m it Stupiditt u nd Oberfl ch lichkeit gleichzu setzen .
Schon in der mutm alich ersten Besch reibung des Charakters fotografischer Bilder hatte Alexander von Humboldt im Februar 1839 - noch ganz arglos - bemerkt, sie zeichneten sich dadurch aus, die Contouren bis auf die zartesten T heile scharf zu
umgrcnzen. 26 Was hier, in den Augen des Wissenschaftlers, als
Auszeichnung gemeint war, wurde bereits kurz darauf ganz anders interpretiert. Als man d ie Erfindung im Aug ust desselben
Jahrs in der Mnch ner Allgemeinen Zeitung vorstellte, wurde
zwar zuerst konstatiert, die Fotografie knne Formen u nd Effecte der Natur m it einer Ruhe, Praecision und Detailausfhrung wiedergeben, welche zu erreichen der Ku nst ewig unmglich bleiben w ird; dann aber wurde dieser Vorzug sogleich in
einen Nachteil verkehr t, hie es doch, der Wert von Kunst bestehe in ihrer Wirku ng auf das Gemth r...l. die nicht durch
bloes Wiedergeben der Natur, sondern nur durch die schpferische Kraft des Knstlers zu erreichen ist.l' Detailtreue wird
kurzerhand als mechanisch-stumpfes Kopieren gedeutet und in
Gegensatz zu einem vom Genie-Konzept getragenen - den Expressionismu s schon vorbereitenden - Ku nst verstndnis gebracht, das den Ausdruck der individuellen Innenwelt ber die
Abbildung der Natur stellt.
Oieses Arg ument gegen die Fotografie wurde bald zum Topos.
Kunst knne nur sein, was >>unmittelbar aus der Hand des Knstlers entsteht, und ohne Abweichung vom Richtigen nicht stattfinden<<, schreibt Eduard Schreiner, einer der zahlreichen um ihr
Terrain besorgten Maler, dessen polemischer Text gegen die Fotografie zugleich belegt, w ie sehr sich der Ton des Streits innerhalb
eines Vierteljahrhu nderts verschrfte: Als zynische Frechheit
wird nun - 1864 - gebrandmarkt, da bei Fotografien die kleinste
Form einer Hautfalte, (...) jedes einzelne Haar, sich mit derselben
gedankenlosen Arroganz in den Vordergrund drngt, wie die eigentliche Grundform, durch welche der Charakter des Gegenstan-
im Wesen einer Sache, das eher geschaut als przis erkannt werden kann? Sollte ersteres der Fall sein, bedeutete jedes Surplus an
Genauigkeit zugleich ein Mehr an Wahrheit, whrend im anderen Fall allein das Gesamtbild , der allgemeine Charakter zhlte
und Einzelheiten nur ablenkten. Da man glaubte, die Kon kurrenz um Wahrheitsansprche eindeutig zugunsren einer Alternative entscheiden zu mssen, erklrt die Heftigkeit der Auseinandersetzung, die sich fr einzelne durchaus zu einem inneren
Konflikt auswuchs.
So behandelte der spanische Neurohistologe Santiago Ram6n
y Cajal, 1906 fr seine Arbeiten ber die Struktur des Nervensystems mit dem Nobelpreis fr Medizin ausgezeichnet, in einer
am Anfang der 188oer Jahre entstandenen literarischen Erzhlung unter dem Titel EI pesimista corregido das Dilemma des >rieb
tigen< Sehens: Ein junger Arzt, nach einigen Schicksalsschlgen
am Sinn der Welt zweifelnd, wacht eines Tages mit verwandelten Augen auf, mit denen er die Dinge ungleich schrfer und detaillierter als blich sehen kann. Diese Variante eines mikroskopischen Blicks erschwert die Orientierung, da Personen und
Gegenstnde ihre individuelle Gestalt verlieren und ihr Aussehen sich auf dieselben Detailstrukturen reduziert. Wie sehr die
llyperschrfe egalisiert, erlebt der Protagonist zuerst als Verlust:
Er kann schne Frauen nicht mehr von weniger schnen unterscheiden, und als er den Prado besucht, ist sogar die Schnheit
der Kunst verschwunden; statt der Bilder sieht er nur schrundige,
von Mikroben bevlkerte Oberflchen.
Die Lehre scheint klar: Der naturwissenschaftlich-sezierende
Blick entzaubert und zerstrt mehr, als er umgekehrt an Erkenntnissen bringt; schlielich macht er sogar die Teilnahme am sozialen Leben fragl ich . Doch anstatt endgltig in Verzweiflung zu
verfallen, fasziniert den Arzt das scharfe Sehen zunehmend. Die
Welt der Mikroben, sonst nur schdlich oder eklig, kann er auf
einmal sogar als eigentmlich schn empfinden, bietet die Natur
sich doch als einheitliche Struktur- als Ganzheit- dar, worin alles
aufeinander bezogen ist. Da der analytische Blick in seiner extre27
men Steigerung gemeinsame Elemente der Dinge - jenen allgemeinen Charakter- offenbart und eine neue Form von Einheitserfahrung erlaubt, ist sogar der qulende Gegensatz zwischen
romantischer Ganzheitssehnsucht und naturwissenschaftlichem
Erkenntnisdrang aufgehoben. uerste Sehschrfe, wie sie normalerweise nur dank technischer H ilfsmittel mglich ist, zergliedert das Sichtbare nicht nur immer weiter, sondern bereitet letztendlich eine harmonische Welt. Damit gelangt der Arzt zu einer
Einsicht, die dem gelufigen Weltbild an Wahrheit berlegen zu
sein scheint und die ihn zugleich aus seiner Depression befreit. 30
Im realen Leben lie sich der Ko nflikt, dem viele Wissenschaftler des 19.jahrhunderts ausgesetzt waren, nicht so einfach
lsen, und noch aussichtsloser war es fr Fotografen, wenn sie
ihre Bilder als Kunst durchsetzen wollten. Ihnen blieb eigentlich
nur, die Aufnahmegenauigkeit- Schrfe - als spezifische Eigenschaft der Fotografie zu dementieren ljmd dafr zu argumentieren, da diese sehr wohl die postulieqe >Abweichung vom Richtigen< erlaube. Damit aber lief khstlerisch ambitioniertes
Fotografieren darauf hinaus, den Apparat zu berlisten; erst ein
kreativer Umgang mit ihm fhrte zu als originell anerkannten
Bildern. Unschrfe-Effekte waren dabei besonders beliebt, weil
sie unbezweifelbar machten, da die Fotos nicht >blo< die reale
Welt zeigten, whrend eigenwillige Aufnahmepositionen oder
eigens inszenierte Lichteffekte im 19.j ahrhundert noch kaum als
ausreichender Beleg eines freien Verfgens ber das Medium gegolten htten. Dazu kam natrlich, da unscharfe Bilder wegen
ihrer Tendenz zur Vereinheitlichung das schon seit der Romantik
bestehende Verlangen nach einer atmosph rischen, >musikalischen<Kunst befriedigten.
Rund zwanzig Jahre nach ihrer Erfindung gab es erste Versuche, die Gleichung )}Fotografie - Schrfe in Frage zu stellen. So
betonte der Foregraf Alfred H. Wall bei einem 1859 in London
gehaltenen Vortrag das malerische Potential der Fotografie, fr
die das Licht dieselbe Rolle spiele wie der Stift fr einen Zeichner.
Zugleich kritisiert er viele Fotografen, weil sie die malerisch-at28
jenem Beitrag der - darin durchaus reprsentativen - Photograpltischen Rundschau 1893 anerkannt, da Fotografen w ie Hans
Watzek, der bald zu den gefeierten Hauptvertretern der Weichzeichnungs-Fotografie gehren sollte, bemerkenswerte Bilder
machten; doch ist zugleich die Warnung zu lesen, da in ungeschickten Hnden die unscharfe Photographie nur zu formlosen
Klexereien fhrt, bei denen eine wichtige Eigenschaft der photog raphischen Reproduction, die preise Wiedergabe auch des
kleinste n Detai ls, au fgeopfert ist, ohne dass dafr andere Vortbeile eingetauscht worden wren. 36
Da Unschrfe-Effekte dennoch innerhalb weniger Jahre zur
Mode wurden und 1896 sogar schon als heiligstes Evangelium
- von freilich kurzer Halbwertszeit - beurteilt werden konnten 11,
ist vor allem zahlreichen Ausstellungen zu verdanken, die Fotoamateure organisierten. 38 Sie muten sich, anders als Berufsfotogra fen, nicht um den Geschmack des breiten Publikums und
Verkaufsmglichkeiten bemhen, sondern konnten unbeschwert
experimentieren . Damals waren die Amateure alles andere als
Laien, nmlich oft hochprofessionelle, tec hnisch versierte Experten, auf die viele Neuerungen sowie entscheidende fotosthetische Trends zurckgingen. In allen greren Stdten gab es
Foto-Cl ubs, in denen man sich zum Erfah ru ngsaustausch traf
oder eben Ausstellungen veranstaltete, wozu oft ebenso Amateure anderer Stdte oder Lnder eingeladen wurden.
An den Erfolgen der >unscharfen Richtung< im deutschsprachigen Raum war zuerst der Wiener Camera Klub mageblich
beteiligt; bald wurden Harnburg oder Mnchen ebenfalls zu
Zentren der sogenannten >bildmigen Fotografie<, die sich bis
zur Jahrhundertwende - also innerhalb nicht einmal eines Jahrzehnts - allerorten durchsetzte und auch fr enge Verbindungen
zwischen Europa und den USA sorgte, wo die unscharfe Richtung<etwas ironisch bald als >fuzzyography<bezeichnet wurde
(und sonst unter >pictorialism<lief). 39 Im Unterschied zu Berufsfotografen, die etwa Studios fr Portrtfotografie betrieben,
gi ng es den >bild migen Fotografen<(>pictorialists<) um Bilder,
3I
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lnfolge solcher F rsprachen von Persnlichkeiten wie Lichtwark entsrand zur jahrhundertwende unter vielen Fotografen
geradezu eine Euphorie, da sie sich endlich anerkannt fhlten
und hoffen konnten, die Tore zu den heiligen Hallen der Kunst
stnden ihnen nun offen. jeder neue Effekt, den sie dem Fotoapparat mit tech nischer Raffinesse entlockten, wurde entsprechend als Fortschritt auf dem Weg zu fotografischer Freiheit und
damit als knstlerischer Meilenstein gefeiert. In der Rezension
zu einer Fotoausstellung hie es etwa, es sei, )tals ob der Apparat
eine Seele bekommen htte. Er nimmt die Gegenstnde n icht
mehr wie frher mechanisch auf, sondern sieht sie durch ein
Temperament. Er kann blinzeln und fixieren, kann ber Kleinigkeiten wegsehen und bei Bedeutendem verweilen, kann auch
verzeichnen und schrullenhaft sein, mit einem Wort: er hat eine
Seele bekommen."'
In manchen Ausstellungen demonstrierten Fotografe n den
von ihnen eroberten Spielraum voller Stolz sogar damit, da sie
unter ihre >eigentlichen< Fotos und Gummidrucke noch eine Fotografie desselben Sujets hngten, die dieses in seiner >objektiven<Erscheinung zeigen sollte. Mit einer solchen Vorher-Nachher-Konstellation besttigten die Kunstfotografen freilich die
Vorbehalte ihrer Gegner, gaben sie doch ihrerseits zu, da Fotografie ursprnglich ein blo mechanisch abbildendes Medium
sei und nur durch Tricks dazu gebracht werden knne, anderes
zu bieten als pure Mimesis. Nicht nur zeugte diese Praxis von einer gewissen Naivitt hinsichtlich des Dualismus von >objektiven<und >knstlerischen<Bildern. sondern die Fotografen muten sich damit auch um so meh r daranmessen lassen, ob sie zu
gleichermaen groen Abweichungen vom >normalen<Sehbild
in der Lage wren wie die Maler oder Graphiker. Gerade dies
aber gelang ihnen - auer mit stark retuschierenden Verfahren nicht, was sie erneut in die Defensive brachte. So hhnte der beigisehe Maler Fernand Khnopff, dem Forografen sei sein Sujet
ein mitwirkender Preund und kein Diener: Anstatt selbst alleiniger Herr ber seine Bilder zu sein, msse der Fotograf die Bild-
'
34
35
jedem vermitteln, der nach Anerkennung knstlerischer Begabung heischt. Tatschlich galten seit der Jahrhundertwende Effekte des Verwischens und der Unschrfe geradezu als quivalent fr Kunst - und damit als probates, wohlfeiles Mittel,
Eindruck zu schinden: Kohlezeichnungen mit flchtige n Konturen lieen sich als spontane, eruptive Geniestreiche wrdigen , in
Dsternis und Sfumato verschwindende Bildsujets besaen,
wenn sich schon sonst nicht mehr viel erkennen lie, zurilindest
eine besondere Aura.
Weit ber die Fotografie hinaus war das Klare und Helle, die
nchterne und detaillierte Schilderung nun verpnt, unddie romantischen Kategorien durften, wenngleich oft karikaturhaft
bertrieben, als etabliert gelten. Dabei waren die sthetischen
Normen noch immer stark von Landschaftserfahrungen geprgt, wurden doch Phnomene wie Nebel, Mondlicht oder
Dmmerung in poetischen wie kunsttheoretischen Texten beschworen und noch fter zu Bildsujets erkoren. 1 ' Was sich bei
diesen an Weichzeichnung oder Wischtechniken ben lie,
wandte man dann zunehmend auch auf andere Sujets - etwa
Portrts oder Interieurs- an. 52 So dehnte sich das Terrain der
Unschrfe aus; anders als noch in der romantischen Landschaftsmalerei wurde sie nicht mehr nur da gesucht (und gegebenenfalls verstrkt), wo sie dem abgebildeten Objekt zu eigen ist, sondern emanzipierte sich zu ei nem Mittel der Bildsprache, das
unabhngig vom Sujet Verwendung fand. Weiterhin mochten
zwar Bildthemen bevorzugt werden, die gleichsam natrliche
Unschrfen besaen, doch gengte dies nicht mehr, um die Bedrfnisse nach Stimmung, Anspruchslosigkeit und Detailferne
zu befriedigen.
Selbst ein vergleichsweise positivistischer Kunsthistoriker
wie Alois Riegl bestimmte als Inhalt der modernen Kunst eine
harmonische, beseligende, alles Alltgliche transzendierende
Stimmung, die, wie er meinte, allein aus >>Ruhe und Fernsicht
entstehen knne. Was sich bewege oder auch nur in >>Nahsicht
prsent sei, schleudert den Betrachter h ingegen >>in den Kampf
40
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Rossos Skulpturen wirken tatschlich, als seien sie berbelichtet, so flach und weich erscheinen auf ihnen etwa die Gesichter. Anders als viele Zeitgenossen suchte er die Auflsung der
Formen also nicht in der Dmmerung, im Entzug von Licht, sondern im Gegenteil in Effekten des bcrstrahlens. Beides - ein Mi
nimum und ein Maximum an Licht - verkrzt und vernichtet die
Plastizitt und schlielich auch den dreidimensionalen Raum, der
sich dafr in einen Stimmungsraum verwandelt. Dies ist vor allem bei zahlreichen Fotografien der >unscharfen Richtung< zu bemerken, auf denen Gegenstnde, die in verschiedenen Bildebenen
liegen, ineinander bergehen und sich in ihrer Stofflichkeit nicht
mehr differenzieren. sondern zu greren Einheiten verschmelzen. Dadurch schieben sich Vorder-, Mittel- und Hintergrund zusammen, und statt eines gestaffelten Tiefenraums ergibt sich, wie
etwa bei George Seeley, ein einheitlicher, flacher Bildeindruck.
Der Blick des Betrachters kann daher auf dem Foto ruhen,
wird nicht von einzelnen Sujets gereizt und auch nicht durch
mehrere Ebenen nach und nach in die Tiefe (oder zurck in den
Vordergrund) gefhrt. Auf einem weichgezeichneten Bild gibt es
nichts zu fixieren, der Blick bleibt ungerichtet - und entspricht
damit jenem weiten, gelassenen Blick in die Ferne, der alles und
nichts umschliet. Er kann sogar so sehr von jeglichem gezielten
Anschauen gelst sein, da er sich ebenso nach innen wie nach
auen wendet. Dann erst ist auch der Stimmungsraum voll ausgebildet, der ul}ere Atmosphre und inneres Empfinden in Kor
respondenz zueinander bringt: Sich in einem Bild wiederzufinden und eins zu werden mir der Umwelt- diese Sehnsucht des
sonst sich entfremdet fhlenden Menschen ist wenigstens fr einen Moment erfllt. Das uere wird entsprechend dankbar als
Spiegel des eigenen Ich erfahren, doch da sich nur matt ein konturloses Bild darauf zeigt, ist dieser Spiegel zugleich - und vielleicht noch mehr- Projektionsflche.
Ein Kunsthistoriker wie Alois Riegl dachte bei seinen berlegungen freilich kaum an die weichzeichnende Fotografie seiner
Zeit, sondern an Maler, die das Streben nach homogenen Stirn-
mu ngsrumen umzusetzen suchten. Immerhin war eine Vernachlssigung der Konturen fr das Gros der Malerei seit dem
Impressionismus typisch. Riegl brachte als Beispiel etwa Ma:x
Liebcrmann , doch noch besser paten Gemlde ohne starke
Kontraste und reine Farben zu einer solchen sthetik. Erstmals
43
Rntgen-Strah len blhten Spekulationen ber weitere Strahll-n und Energiefelder, und es
wurde eifrig darber diskuIICrt, ob nicht jeder Mensch
\On einem Astralleib umgeben
\Cl sowie Odstrahlen, magneti'che Schwingungen oder andere unsichtbare Energien aus'ende, also weit mehr sei als
blo ei n materieller Krper.
/.a hlreiche Knstler - etwa
Fgon Schiele oder Oskar Kokoschka malten ausdrcklich
n 1cht nur die sichtbare, son- Edvard Munch: 30b Pilestret1ct (u m 1901.)
dern auch die von ihnen exklu, ;v geschaute Welt immaterieller Phnomcne 64 ; andere, wie bei~pie l sweise Edvard Munch, bedienten sich zudem der Fotografie,
weil sie der Auffassung waren, damit eher - und glaubwrdiger
festha lten zu knnen, was sich auf anderen Ebenen und mit anders beschaffeneo Augen wahrnehmen liee.M
Sowieso traute man neben den Knstlern gerade der Fotografie zu, solche Phnomene sichtbar zu machen, was zeigt, da
d1t' c ntstehung des fotografischen Bilds immer noch als Wunder
als Magie - empfunden wurde. Nur wenige hatten daher auch
trnsthafte Zweifel an (weit verbreiteten) Geisterfotografien, mit
dc:nen bevorzugt spiritistische Sitzungen dokumentiert werden
'ollten . Wiederum waren es meist Frauen, die dabei als Medien
zu fu ngieren hatten und die die Botschaften Verstorbener oder
.mdere Nachrichten aus jenseitigen Welten transportierten oder
denen Geister erschienen, die sonst niemand sah und die hchMens - und vermeintlich - der FotOapparat zu fixieren vermochte.
Finheitliches Erkennungszeichen aller immateriellen Erscheinungen war aber die Unschrfe, die oft durch Doppel- oder
berbelichtungen entstand. Gerade solche typischen, zum Teil
49
damals tatschlich unerklrlichen fotografischen Effekte wurden nun zur Inszenierung medialer Sensationen benutzt.
Die Vorliebe ftir im Dunkel verschwindende oder vom Licht
berstrahlte Konturen, fr Valeurs und Massen statt Formen
und Linien bewirkteamEnde des Ig.jahrhunderts auch eine Revision der Ku nstgeschichte sowie manchen Heldenwec hseL
Nicht mehr der kla re Raffael oder der genaue Drer fhrten d ie
Rangliste der meistverehrten Knstler an, sondern Rembrandt
stand nu n an der Spitze. Dessen dram atische Licht- und DunkelMalerei, die ber Grenzsetzungen zwischen Gegenstnden hinwegging, galt noch mehr als die massierende Malweise von
Velazquez, dessen manchmal beinahe fotografisch -weichgezeichneten Bilder ebenfalls aufgewertet wurden. Gleichgltig
welche Intention mit Rembrandts Bildern ursprnglich verbunden gewesen sein mochte, galten sie jetzt als bedeutungsschwanger-tiefe Szenerien von einzigartiger Ereignisdichte. Selbst der
sachliche Hei nrich Wlfflin wurde pathetisch, wenn es um
Rembrandt ging, den seiner Meinung nach malerischsten aller
Maler. Da bei ihm die Linie a ls Grenzsetzung entwertet sei,
scheine es, a ls ob es pltzlich in allen Winkeln lebendig wrde
von einer geheimnisvollen Bewegung. [ ...) Ob die Bewegung
flackernd und heftig sei oder nur ein leises Zittern und Flimmern: sie bleibt fr die Anschauung ein Unerschpfliches.
Rembrandt wurde nicht nur dem Symbolismus zum Ahnherrn, sondern seine Bilder stim ulierten auch die Fantasie anderer Sinnsuchender, wodurch die Beliebtheit einer aufklare Kontu ren weitgehend verzichtenden Bildsprache nochmals in
anderem Licht erschien. So deutete der )Rembrandt-Deutsche<
julius Langbehn Rembrandts Miachtung fester Umrisse als Beleg fr seine berbordende Individualitt und Originalitt und
damit zugleich als strksten Beweis dafr, da es sich bei ihm
um den deutschesten aller deutschen Knstler handeln msse,
sei es doch typisch fr alles Deutsche, sich wegen seiner kaum
zu bndigenden Kreativitt nicht mit vorgegebenen Formen, ja
berhaupt nicht mit Linien und Grenzen zufriedengeben zu
so
knnen. Was sich bis dahin noch als nationalmetaphysische unerung in der Tradition von Fichtes Reden an die deutsche Nation
( 1807/08 ) ausnehmen mochte, wurde durch Langbehns eigenwillige Argumentationjedoch zur Legitimation puren Imperialismus: Wer zu originell ist, um sich an strenge Formen - starre
Schemata - zu halten, knne auch nicht in territoriale Grenzen
gcpret werden; vielmehr habe, wie gerade das Beispiel des in
de n Niederlanden ttigen Rembrandt zeige, der deutsche Volksgeist (.. .) den deutschen Volkskrper immer wieder aus den
Fugen getrieben.67
Einen anderen Zusammenhang zwischen Individualitt und
Oekonturierung legte Georg Simmel in seinem Rembrandt-Buch
frei: Solange man Dinge scharfvoneinander ?bgrenze, behandle
man alles gleichmig, unterscheide nicht zwischen Wichtigem
und Unwichtigem und versume es, das jeweils Eigentmliche
herausz ua rbeiten. Nicht durch Konturen und die durch sie umrissenen Details- in der scharf abschneidenden Isolierung komme das Wesen einer Sache zum Audruck, sondern in der Unterordnung der Formen unter einen Malstil, der - etwa durch die
Modulation von Hell und Dunkel - zu werten und zu profilieren
vermge. 68 Hier ist Rembrandt also Kronzeuge der Skepsis gegenber Details, die einmal mehr verdchtigt werden, lediglich
die Oberflche der Dinge zu definieren, ihren >wahren< Charakter aber zu verdecken.
Es war eine Sehnsucht nach dem Unbegrenzten und die Faszination, Bedeutungen zu folgen, die in geheimnisvoll-entzogene
Tiefen fh ren, was Symbolisten und Okkultisten , Rembrandtj nger und Fotografen der )unscharfen Richtung<zur Zeit der
Ja hrhundertwende miteinander verband. Sie alle waren einer
klar definie rten Zivilisation berdrssig oder erkannten darin
sogar eine Bedrohung fr die irrationalen, spirituellen, religisen Krfte. Bilder sahen sie als Retter an, als eines der letzten
Refu gien, wo die Opfer der entzauberten Welt ein Asyl finden
konnten; je mehr sich im Dunkel, zwischen diffus Gemaltem
oder verschwommen Fotografiertem verbergen mochte, desto
51
besser eigneten sich die Bilder als Fluchtraum, desto eher wurden sie auch zu Orten der Hoffnung, die in ihnen aufgehobenen
Sinnwelten wtirden einmal- wieder- zu voller Entfaltung finden und sich als strker - ewiger- erweisen als die zivilisiert-de
Alltglichkeit.
Der franzsische Kunsttheoretiker Robert de Ia Sizeranne
drUckte d ie der sthetik der Unschrfe zugrunde liegende Mentalitt besonders treffend aus, als er folgende Gleichung aufstellte: Oie Weichzeichnung verhlt sich zum Scharfen wie die
Hoffnung zur Obersttigung. 69 Scharfe, klare Bilder langweilten nicht nur, weil sie alles profan und brokratisch vollstndig
abbildeten, sondern beunruhigten auch, weil sie zuviel zeigten.
Oie Angst vor einem berflu an Information, einer berreizung der Nerven, unter der schon Goethes Wilhelm Meister gelitten hatte, war am Ende des 19.jahrhunderts mchtig geworden, und erstmals in der Geschichte der Menschheit sehnten sich
die Bewohner der technisierten Lnder auch nicht nach mehr
Bildern, als ihnen zur Verfgung standen, sondern sahen sich einer Bilderflut ausgesetzt, die sie kaum zu bewltigen vermochten. Ein zeitgenssischer Kulturkritiker htte vielleicht sogar die
Theorie aufstellen knnen, die Gesamtheit aller Bilder einer Zeit
knne und drfejeweils nur ein bestimmtes Quantum an Sichtbarem zeigen; je mehr Bilder es gebe, desto breiter msse sich
dieses Quantum verteilen; schlielich wrden irgendwann einmal so viele Bilder existieren, da die meisten von ihnen zu verschwommen u nd dster-fahl geworden wren, um berhaupt
noch etwas aufihnen erkennen zu knnen.
Oie Unschrfe diente also dazu, ein Gleichgewicht zu wahren,
und je strker sich die Menschen - gerade auch - von Bildern
und Reizen bersttigt fhlten, desto mehr suchten sie andererseits nach Bildern, in die sie sich aus ihrer Alltagswelt flchten
konnten - bei denen sich ihre Wnsche nach Ruhe, Harmonie,
Anspruchslosigkeit erfllten. Deshalb tauchten als Sujets weichgezeichneter Fotos oder verschwommen gemalter Bilder nie
grostdtische Szenen oder das Milieu der Arbeit auf; alles, was
52
KUNSTPRODUKTION:
DIE VERSCHMELZUNG DER GATTUNGEN
Zur Zeit der Jahrhundertwende fhrte die Verbindung von Kunst
und Wissenschaftsglubigkeit manchmal zu eigenwilligen Ver
suchsanordnungen. So berlegte sich der amerikanische Kunstkri
tiker Charles H. Caffin ein Experiment, mit dem er den Kunstwert
mehrerer Bilder aus Malerei und Fotografie zu testen unternahm.
Er baute sie zu einer Art von Ausstellung auf, die er dann exklusiv
einem zwlfjhrigen Mdchen vom Lande darbot, das keinerlei
Erfahrung mit Bildern hatte. Gerade der >Unschuld< dieser Rezipi
entin ma Caffin grte Bedeutung zu: Das Bild, das ihr am besten gefalle, msse so seine These - auch den hchsten Kunst
wert besitzen. Sieger bei diesem Experiment wurde das Foto The
Pool von Edward Steichen, was das Mdchen angeblich mit folgen
den Worten begrndete: Because it is so real.
Dies berrascht, da es auf diesem Foto nicht viel zu erkennen
gibt, im Unterschied zu anderen Bildern, die Caffin prsentierte
und die anekdotisch etwas erzhlten oder die durch ihre Detailsorgfalt jugendlicher Neugier eher entsprochen haben mten.
Doch pate das Ergebnis sehr gut zu Caffins berzeugungen sonst htte er es wohl auch nicht verffentlicht. So entwickelt er
in seinem Buch Photography as a Fine Art die These, ein bedeutendes Kunstwerk knne immer nur an abstract of an actual thing
sein; gerade die Reduktion auf wenige Elemente, der Verzicht
auf Realismus, verleihe einem Bild Wirklichkeit.'} Da hnliche
Theorien bis dahin eigentlich nur dazu gedient hatten , den
knstlerischen Rang fotOgrafischer Bilder zu bezweifeln, mute
um so mehr verwundern, da bei Caffins Experiment ausge
rechnet eine Fotografie - und kein Gemlde - den hchsten
54
tention seines Buchs entsprach: Anstatt ein Bild unvoreingenommen auf sich wirken zu lassen, leugneten die Skeptiker- so sein
Vorwurf - die k nstlerische Qualitt eines Fotos allein wegen
seiner mechanisch-technischen Entstehungsweise. Caffin setzte
im Gegenzug ganz auf eine Wirkungssthetik und erklrte dabei - wie das Siegfoto zeigt- gerade Formen von Unschrfe zu
bildnerischen Mitteln von hchster knstlerischer Dignitt.
Dabei orientierten sich die meisten Fotografen an Bildern, die
in traditionellen knstlerischen Techn iken angefertigt waren.
Ihr Bestreben ging da hin, den Fotos das Aussehen von Kreide-,
Kohle- oder Rtelzeichnungen oder zumindest die Faktur einer
Druckgraphik zu verleihen, so da nicht nur die Sujets, sondern
ebenso die Gattungsgrenzen verwischt wurden. War dies fr die
Fotografen selbst ein Beweis ihrer knstlerischen Freiheit, provozierte es bei ihren Gegnern den Vorwurf der Tuschung. Mit
Unmut registrierten sie, da nun mechanisch mglich war, was
bis dahin nur durch Handarbeit vollbracht werden konnte, bersahen dabei jedoch , da ein Gummidruck mit dem Erscheinungsbild etwa ei ner Kohlezeichnung oft zeitaufwendiger war
als eine solche Zeichnung selbst. Um ihre gestalterische Freiheit
unter Beweis zu stellen, gaben die Fotografen also einen groen
Vorteil ihres Mediums, nmlich dessen Zeitkonomie, preis, was
die Frage aufwarf, warum sie eigentlich berhaupt noch m it
dem Fotoapparat arbeiteten.
Verteidiger der (bild migen) Fotografie antworteten darauf,
da die Fotografie wie jede Kunst vor der alten, einigermaen
tragischen Aufgabe stehe, da sie ih rem eigensten Knnen entgegenarbeiten" msse. 7 Je weniger ein Foto an ein Foto erinnert,
desto eher knnte es gem dieser Logik Kunst sein, wobei offenbleibt, wonach denn die Werke traditioneller Knste wie der Malerei oder der Skulptur aussehen mten, um als Kunst ernstge
nommen zu werden. Dieses uerst zweifelhafte Argument
wurde jedoch du rc h eine melodramatische Auffassung vom
Knstler begnstigt: Heroisch einsam sei er nicht nur, weil er
sich in gesellschaftlicher Isolation befinde, sondern weil er sich
sogar gegen sein eigenes Medium stellen msse, das ihm die
Kom plizenschaft verweigere.
Die verschiedenen Modi der Unschrfe waren somit beides:
Ausdruckjenes >Entgegenarbeitens- Beleg gestalterischer Freiheit wie auch ei ne leichte Mglichkeit, Bildern eine hohe
Sti mmungsqualitt zu verleihen. Whrend sich die Maler von
vornherein lediglich f r letzteres zu interessieren brauchten, differe nzierten die Vert reter der bildmigen Fotografie nie ausdrcklich zwischen der defensiven Zurcknahme und dem Wirkungsa rgument. Ihnen war nur wichtig, da d ie Unschrfe den
Kunstcha rakter der Fotos beglaubigte. Als Dokumenre besonders ausgeprgten Knstlerturns veranschaulichen Fotos der
bildmigen Fotografie dann auch besser als alles andere die
(hohen) Erwartungen, die in der Zeit um 1900 gegenber Kunst
bestanden. Nicht selten erscheinen sie sogar als ein Konzentrat
der damals vorherrschenden Kunst-Rhetorik und lassen sich als
Il lustration des herrschenden Begriffs von Kunst deuten.
Dies gilt nicht zuletzt fr den Fotografen, den das zwlfjhrige Mdchen in jenem Test zum Sieger erkoren hatte: Edward
Steichen war 1901, als Caffins Buch erschien, erst 22 Jahre alt,
ga lt aber bereits als einer der international wichtigsten Vertreter
der bildmigen Fotografie. Als Sohn luxemburgischer Emi
granten in Michigan aufgewachsen, hatte er zuerst ei ne Ausbildung als Lithograph erhalten, was ein zustzlicher Grund dafr
gewesen sein mag, da viele seiner (frhen). Fotos das Aussehen
(druck)graphischer Techniken besaen. Ferner spielten bei Stei( hens Unschrfe-sthetik Einflsse der religis geprgten amenkanischen Romantik eine Rolle, die ebenfalls immer wieder
die Unbegrenztheit der Natur und die Harmonie ihrer Teile
besc hwor. Im wichtigsten - ber Generationen hinweg ei nflureichsten - Text des romantischen Amerika, in Ralph Waldo
Emersons Traktat Nat ure (1836}, findet sich etwa die Beschreibung eines Sonnenuntergangs, dessen Schnheit gerade darin
bestehen soll, da die Wolken sich aus tints of unspeakable
softness zusammensetzen. 75
57
ss
dere als das Selbstbild nis eines Forografen; vielmehr sieht man
Steichen als Maler, der gerade kraftvoll mit seinem Pinsel ber
eine Palette streicht. Zwar malte er in jenen Jahren tatschlich,
seine Erfolge hatte er jedoch allein auf dem Gebiet der Fotografie. Deshalb verwundert, da er sich - zu mal auf einem fotografischen Selbstportrt! - nicht auch als Fotograf prsentieren
wollte: Selbst fr ihn war ein Bekenntnis zum Knstlerturn offenbar nur dann berzeugend, wenn es mit den Accessoires einer etablierten Kunst stattfand.
Das Bild besttigt weitere Topoi des Knstlers. So blickt Steichen den Betrachter aus dunklen Augenhhlen heraus dmonisch-streng an, was an den Maler in Edgar Allen Poes Erzhlung The Oval Portrait erinnert, der der Frau, die er malt, hnlich
einem Vampir die Lebenkraft entzieht, um sie in sein Bild zu
bannen. Dieser beinahe unheimliche Eindruck wird dadurch
verstrkt, da Steichen in einem zum Malen viel zu dunklen
Raum steht; damit verwischt er nochmals Spuren und suggeriert,
knstlerisches 'TUn sei unabhngig von Licht, auf das er als Foto
grafjedoch gerade angewiesen ist. Zudem hat die dstere Umgebung den Effekt, eine Art von Nimbus sichtbar zu machen, der
den Krper des Knstlers zu umgeben scheint, so als besitze die~e r bersinnliche Ausstrahlung. Oder wollteSteichen damit vorfuhren , da auch er ber die seltene Gabe verfge, nicht nur
~ c htbarc Krper. sondern seinen Astralleib, Odstrahlen oder andere bersinnliche Phnomene zu erkennen?
Abgesehen davon, da er sich als Knstler mit auernatrlichen Fhigkeiten portrtiert, zeigt Steichen deutlich an, wo er
den Sitz des knstlerischen Genius verortet: Kopf und Hand sind
die einzigen Partien des Krpers, die aus dem Dunkel auftauchen. Damit distanziert er sich ein weiteres Mal von seinem eigentlichen Metier. Indem er den schpferischen Proze nmlich
.1ls Ttigkeit der Hand darstellt, liefert er denjenigen Schtzenhrlfe, die Kunst als Ausdruck eigener Handschrift definieren und
den Kunstwert der Fotografie in Frage stellen, da diese als mechanisches Medium keinen hinreichenden gestalterischen Frei59
der Hugo-Skulptur besteht. Diese ist gleichsam nach dem Ebenbild des Knstlers geformt, der seine Gestalten hnlich einem
Schpfergott originr aus sich heraus bildet. Das Foto suggeriert
also, genau den Augenblick der Schpfung festzuha lten - oder
berhaupt erst sichtbar zu machen: Der Krper der Skulptur ist
noch ungeformt, auch der Kopfbesitzt keine kla ren Konturen,
alles scheint zu flimmern und zu vi br ieren, so als arbeite des
Knstlers Imaginationsvermgen auf hchster Stufe.
Anders als auf seinem Selbstbildnis zeigt Steichen den knstlerischen Proze hier nicht als Gestaltung mit der Hand (was bei
einem Bildhauer ja noch besser pate), sondern als rein geistige
Leistung: Wie eine Denkblase schwebt das Werk ber dem Kopf
des Knstlers- oder lt die Assoziation mit einem heftigen Gewitter zu, dessen Energien sich gerade gewalt ig entladen, was
knstlerisches Tun zum genialen Geistesblitz erklrt. Zeitgenssischen Betrachtern kamen angesichts dieser Rodln-Apotheose
vermutlich auch die Geisterfotografien in den Sinn, die Steichen
hier als ikonographisches Muster zitiert, was Rodin in die Rolle
eines Mediums versetzt, das in Verbindung zu anderen - hheren - Welten steht und seine schpferische Kraft daraus bezieht. Der Kunst insgesamt wird damit ein spiritueller Charakter
zugesprochen, der in Kategorien herkmmlicher Ontologie
nicht zu fassen ist.
Mit der Nhe z ur Geisterfotografie bekundet Steichen aber
vor allem seinen Anspruch, als Fotoknstler Phnomene sichtbar machen zu knnen, die dem menschlichen Auge bis dahin
verborgen bleiben muten: Knstlerisches Ingenium, ja das transzendente Ereignis der Kunst selbst anschaulich und authentisch
zu zeigen, sollte als die herausragende Eigenschaft des RodlnZyklus bewundert werden. Diese Eigenschaft verdankte sichso htte Streichen es wohl selbst erklrt - de m glcklichen Zusammentreffen von drei medialen Ereign issen : Oie spirituelle
Kraft Rodins konnte nur von einem seherisch begabten Knstler
gleichen Rangs - also von Steichen - erkannt werden ; um sie
aber auch zu dokumentieren und dem normalen Publikum zu
Jards bei weitem, und Stieglitz lie die wichtigsten Fotos des
pictOrialism< zudem von Essays einflureicher Kunsttheoretiker
und Schriftsteller eskortieren, um seine Kunst-Ambitionen noch
nac hdrcklicher zu untermauern. Zunehmend wurde Ca111era
Work auch zum Publikationsorgan der Galerie 291, benannt nach
der Hausnummer der New Yorker Fifth Avenue, in der Stieglitz,
oft in Zusammenarbeit mit Steichen, Ausstellungen von Vertre
tern der bildmigen Fotografie sowie der zeitgenssischen
Kunst veranstaltete und die, obwohl gerade mal fnfzehn Qua
Jr,n meter gro. ber Jahre hinweg der wichtigste Treffpunkt fr
J1e Protagonisten der >unscharfen Richtung<wurde.
Nachdem Stieglitz die Galerie 1917 geschlossen hatte, wid
mete er sich wieder verstrkt der eigenen fotografischen Arbeit,
wobei sein Ehrgeiz zustzlich dadurch angestachelt worden sein
drfte, da er ab 1920 mit Georgia O'Keeffe zusammenlebte, die
er 1924 heiratete. Zur seihen Zeit entstand, unter dem Titel Equivalents, eine Serie von Wolken-Fotografien, die er schon lnger
zu realisieren vorgehabt hatte und in denen seine Sehnsucht
6s
von den Vertretern der >unscharfen Richtung< als ein Akt der Negation und Form von Zerstrung beschrieben; immer wieder ist
von einer Bekmpfung der gegenstndlichen Treue oder davon
die Rede, da man Strende Einzelheiten vllig beseitigen31
und Unterdrcken88 msse.
Dies kommt einer Kriegserklrung an die gewohnte Welt
gleich und offenbart eine Sehnsucht nach Ausnahmezustand.
Anstatt sich noch friedlich mit den gesellschaftlich vorherrschenden, mutmalich von Entfremdung geprgten Vorstellungswelten zu arrangieren, werden Kompromisse ausgeschlagen. Gespeist von einem Geist des Ressentiments und der Xenophobie,
soll die Kunst autonome, abgesch iedene Inseln bilden, die freilich eher Orte vager Hoffnung als konkreter Utopien darstellen.
Ihre Aufgabe ist es nicht mehr, das Allgemeine im Alltglichen
sichtbar zu machen, sondern es von letzterem zu befreien.
Seit der Landschaftsmalerei des frhen 19.jahrhunderts - der
bescheidenen Freude an verschwimmenden Horizontlinien lie sich die Kunst immer strker auf eine sthetik des Ausnahmezustands ein. Dabei stellten Spielarten wie die Weichzeichnung lediglich erste Versuche einer solchen sthetik dar, und
schon bald war die Unschrfe keineswegs die einzige Mglichkeit, Details zu unterdrcken und homogene, autonome, am
Vorbild absoluter Musik orientierte Bilder zu schaffen. Vielmehr
entwickelten sich verschiedene schlielich zur Abstraktion fhrende Bildsprachen, die das Dementi der sichtbaren Welt bald
schon entschiedener zu formulieren erlaubten.
Die sich autonomisierende Kunst heroisch zum Inbegriff modernen Vorwrtsstrebens zu verklren, wie es blicherweise geschieht, erscheint vor diesem Hintergrund mehr als fragwrdig:
In Wirklichkeit sind die meisten Strmungen der Avantgarde und
Klassischen Moderne antimodern insofern, als sie den wesentlichen Merkmalen der modernen Welt - der Technisierung, der zunehmenden Arbeitsteilung und Industrialisierung der Arbeit, der
Verstdterung, aber auch dem Rationalismus der Wissenschaften
- ablehnend begegnen. Sie sind zuerst weniger ein mutiger Auf-
bruch als eine Flucht, aus der nicht selten sogar ein Marsch hinter
die Moderne zurck wurde. Nur die ungewohnten Bildsprachen
verdecken bis heute erfolgreich , da die Avantgarde-Kunst aus
Angst, Ressentiments und jener Sehnsucht nach dem Ausnahmezustand geboren wurde (wie der Antimodernismus generell der
markanteste Charakterzug der Moderne sein drfte).
Der oft schroffe Gestus der Avantgarde lt es auch seltsam
erscheinen, sie in Verwandtschaft zu den Protagonisten der bildmigen Fotografie bringen zu wollen, die blicherweise - sicher auch wegen ihres allzu offensichtlichen Kunstwollens- als
schwl-sentimentale Auslufer des 19. j ahrhunderts angesehen
werden. Was sollten Fotografien von Steichen oder White mit
den resoluten Formexperimenten des Kubismus, des Blauen Reiter
oder von De Stijl zu tun haben? Und kann man sich Gegenstzlicheres denken als die dster-weichgezeichnete Impression einer Steichenschen Dmmerung und ein leuchtend gemaltes Bild
von Pranz Mare? Aber ob es deshalb gerechtfertigt ist, in beidem
Antipoden und nicht vielmehr Varianten zu sehen, wird zweifelhaft, sobald man Texte von Avantgarde-Knstlern mit den Argumenten fr Weichzeichnung und Soft-Effekte vergleicht. Dann
zeigt sich pltzlich sogar eine Konkurrenz zwischen Unschrfe
und anderen Modi von Abstraktion. Dabei geriet jene, nach einer
Phase groer Beliebtheit, bald ins Hintertreffen gegenber den
radikaleren, aggressiver abstrahierenden - und schlielich abstrakten - Bildsprachen.
Da sich die Hauptvertreter der bildm(~igen Fotografie an
Malern wie Carriere oder Whistler orientierten, die ihre knstlerische Identitt rund zwanzig Jahre frher ausgebildet hatten,
liegt es nahe, deren kunsttheoretische uerungen als erste Referenz heranzuziehen, um sie dann den Konzepten der Knstler
nachfolgender Generationen gegenberzustellen.
Wie Carriere gewinnt auch Whistler sein Verstndnis von
Bildern wesentlich aus Naturerfahrungen - etwa aus dem
Abendnebel, der alle Gegenstnde, selbst Fabrikgebude, poetisch
verklre. Dies - so Whistler - bemerke jedoch kaum einer; zu
71
Wahrnehmung normalerweise
bot , f hrte dazu, da scheinbar
unberbrckbare stilistische Differenzen berspielt werden konnten. Wo man sonst aus historischer
Distanz zu Nivellierungen neigt
und gem einsa me Tendenzen in
verschiedenen Bereichen zu e nt
decken vermag, ist es hier also umgekehrt, und man erken nt heute
nur noch schwer, was von Bildern
ehedem - ber heterogene Str
mungen hinweg- erwartet wurde
und was sie jeweils auf ihre Art zu
erfllen versuchten.
Matthijs Maris: Siska ( 1890)
Da die Sehnsucht nach dem
Ausnahmezustand die versch iedenen Richtungen einte, warestrotz aller Konkurrenz sogar naheliegend, da sich Koalitionen zwischen ihnen bildeten : Eine Ei
nigung auf eine bestimmte Bildsprache war nicht erforderlich,
solange man sich primr ex negativo definierte und das gemein
sameZiel im Dementi des Alltglichen und Gewohnten sah. Da
bei wren sogar scheinbar noch entlegenere Verbindungen als
zwischen Steichen und Picasso mglich gewesen. Etwa beruht
Pier Mondrians abstraktes Bildprinzip ebenfalls auf romantisch
antimodernen Grundlagen, und sein Werk der beiden ersten
Jahrzehnte des 2o. j ahrhunderrs ist eigentlich nur ei ne konse
quenre Fortfhrung dessen , was mit Unschrfen begonnen hatte.
So waren etliche seiner frhen Bilder von einer symbolistischen
Bildsprache, vor allem von dem seinerzeit einflu reichen Matt
hijs Maris und dessen Sfumaro beeinflut, whrend andere Arbeiten verblffende hnlichkeit zu gleichzeitig entstandenen Gemlden Edward Steichens aufwiesen. Insgesamt deckte Mondrian das
gesamte Repertoire zeittypischer Sujets ab und blieb mit Mond
schein, Dmmerung sowie einsamen und weiten Landschaften
nun erfahren, ist vollkommen, aus der Landschaft ist alles verschwunden - genau so wie es der abstrakte Maler als Ziel der
Kunst anvisiert. Fr ihn bedeutet die >>abstrakte sthetische Be
trachtung [ ...],sich bewut dem Universalen zu vermhlen, alles Einzelne und Alltgliche hinter sich zu lassen und die Chance
zu haben, >>die verschiedenen Momente der Betrachtung in ein
einziges Moment, in eine ununterbrochene Betrachtung berzufhren<<. jegliche Ablenkung ist eliminiert, fr Mondrian der
>>Idealzustand und >>fortgesetztes Glck. 98
Bis dahin sei jedoch ein Kampf auszufechten, wie Mondrian
anderswo klagte, msse doch erst die gewhnliche Sichtweise
transzendiert werden, die gerade >>nach der detaillierten Abbildung verlange. Auch hier wird also der Alltagswelt der Krieg erklrt, der im brigen nicht zu gewinnen ist, solange man sichlediglich in Weichzeichnung und Halbtnen bt; vielmehr verlangt
Mondrian , da die uere Welt auf dem Bild zuerst gestrafft
werde, um dann in der Strenge gerader Linien und flchiger Primrfarben aufzugehen! 9 So fhrt die Entwicklung von Mondrians Werk anschaulich vor, wie weit man sich gerade dann von
Unschrfe-Effekten entfernen konnte- oder mute? - , wenn man
den Grundstzen treu blieb, die diese Effekte zuerst veranlat
hatten. Das Dementi der Alltglichkeit ist erst dann markant genug, die >Anspruchslosigkeit< erst dann umfassend erreicht, wenn
alle Verbindungen zur ueren Welt gekappt, alle Gegenstandsbezge verschwunden sind. Mondrians Bildsprache bedeutet somit keinen Gegensatz zur Bildsprache Whistlers oder Steichens,
sondern ist deren konsequente Steigerung oder auch- so htten
es die abstrakten Knstler selbst beschrieben - eine Besinnung
auf den Ursprung: Whrend unscharfe Bilder gleichsam auf der
Ebene des Atmosphrischen blieben - ihre Orientierung galt dem
Musikerleben -,benannte die Abstraktion dessen Elemente und
verhie damit eine Auseinandersetzung mit der Partitur der Welt.
In der Klassischen Moderne war eine solche Radikalisierung
bereits angelegt, da sich alles zuerst Neue selbst zu etablieren
drohte und daher wiederum berboten werden mute. Avant.So
sie Bilder als Ausnahme, als Ort sowohl von Protest wie auch
von Utopie - und keinesfalls als Lust oder Luxus - verstanden.
Die Aufwertung der (bildenden) Kunst, ihre Indienstnahme fr
hehre Ziele ist somit nicht etwa ein Liebesbeweis, sondern im
Gegenteil eine Strategie, schlechtem Gewissen sowie einem Unbehagen an einfach nur schnen Bildern entgegenzuwirken.
Da Bildermachen etwas Gutes, Wichtiges, geradezu Revolutionres sein knne, da man aber ohne den Glauben an d ie eigene Mission keine Bilder machen drfe, war fr das Selbstverstndnis der Pioniere der Klassischen Moderne grundlegend.
Ohne deren tief verborgene Ablehnung von Bildern wren diese
vermutlich jedoch nicht nur von solch hohen Ambitionen verschont geblieben, sondern die Ansprche ihnen gegenber htten
sich auch in einer anderen sthetik niedergeschlagen -vielleicht
eher in mimetischen berbietungsleistungen oder zunehmender
Komplexitt und Vielschichtigkeit, und nicht in Unschrfen und
Reduktionen, die a.uer von hochmoralischen Absichten ebenso
von einem unausgesprochenen ikonoklastischen Bedrfnis motiviert waren: Bildverehrung und Bildverachtung fanden zuerst in
der Unschrfe, dann in der Abstraktion ihren gemeinsamen Ausdruck.
die Erfahrung von Schnheit wie auch die Produktion von Kunst
- mglich ist, wenn der Rezipient oder Knstler sich von keiner
Zwecksetzung - keinem spezifischen Interesse - leiten lt.
Schopenhauer radikalisierte diese Theorie, indem er Kunst als
Ergebnis vlliger Willenlosigkeit und damit als etwas definierte,
das jenseits alltglicher Bindungen entsteht und den Rezipienten
ebenfalls aus seiner zweckorientierten Welt holt. Schopenhauers
Mastab aller Kunst war dabei einmal mehr die Instrumentalmusik, die jeglichen Gegenstandsbezug berwunden hat und die
empirische Welt vollstndig auszublenden vermag.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang auchjohn Ruskins berhmtes Postulat des unschuldigen Auges, demzufolge es die
Aufgabe des Knstlers ist, jenen Zustand der Interesselosigkeit
zu erlangen, um die Wahrnehmung an ihrem Ursprung - dem
reinen Reiz- zu erfahren. Wahrheit besitzt fr Ruskin allein
diese Phase des Wahrnehmungsakts, und der Knsder zeichnet
sich dadurch aus, einseitige Interpretationen des Wahrge nom
menen zu vermeiden und sein ursprngliches, pures Wahrnehmungsbild als Zeichnung oder Gemlde wiedergeben zu knnen .
Fr Ruskin, tief in romantischen Traditionen stehend, kehrt
der Knstler in den Zustand eines Kinds zurck, das noch keine
gesellschaftlichen Sehkonvemionen gelernt hat. (Vielleicht ist es
auch ein Reflex auf Ruskin, wenn Caffin ein zwlfjhriges Kind
die Exponate der von ihm aufgebauten Ausstellung testen lie und vielleicht konnte nur ein >Unschuldiges< Mdchen das abstrakteste, am wenigsten scharfe, flchigste Bild, nmlich Steichens Foto, zum Sieger kren?) Auch ein Blinder, der pltzlich
sehen knnte, wre fr Ruskin rein den Reizen ausgesetzt und
verfgte ber ein unschuldiges, nicht von Deutungswillkr gelenktes Auge: Unsere Wahrnehmung fester Krpe r ist ausschlielich Sache der Erfahrung. Wir sehen nichts als Farben in
der Flche.[.. .) Die ganze technische Seite der Malerei hngt davon ab, ob es uns gelingt, das wiederzuerlangen, was ich die Unschuld des Auges nennen mchte. Damit meine ich eine Art von
kindlicher Wahrnehmung dieser Farbflecken so, wie sie sind,
)!
(und andere T heoretiker) zwischen diesen beiden Begrndungen fr Unschrfe wiederum nicht trennen, mag ein H inweis
da rauf sein, wie sekundr Argumente oft sind : Man schiebt sie
nach, um eine umstrittene Bildsprache zu nobilitieren, und nur
selten - wie beim Pointillismus - sind es Theorien, aus denen
bestimmte Stilmittel erst abgeleitet werden. Freilich belegt das
Nebeneinander unterschiedliche r Argu mentationsrichtu ngen
im Fall der Unschrfe nicht nur deren Komplexitt - hnliche Effekte dienen verschiedenen Zwecken - , sondern zeugt auch davon, da es mglichst mehrerer Autoritten bedurfte, um die
Skepsis gegen etwas Verwischtes, Blssliches oder Konturloses
zu mildern.
Dabei machte eine naturwissenschaftlich fund ierte Argumentation besonders viel Eindruck, weshalb Kritiker der >Un
scharfen Richtung ihrerseits versuchten, bereits auf der Ebene
der Wahrnehmung und m it vermeintlich wissenschaftlich-empi
risc h fundierten Argumenten anzusetzen, um Schrfe als realittsnahen Bildmodus rechtfertigen zu knnen. So hie es 1891 in
den Photographischen Mitteilungen, wenn wir zu der Betrachtung
de r Natur zurckkehren, so werden wir nach scharfer [sie!)
Selbstbeobachtung finden, dass wir kaum einen Gegenstand verschwommen sehen, sondern alle scharf und zwar sehr scharf.
Zwar wurde konzediert, da man eine Landschaft nicht mit einem mal berblicke, ihre Teile also nur nach einander scharf
sehen knne, doch fi nde die Anpassung des Auges so ruhig
statt, dass wir[.. .) den Eindruck gewinnen, als wenn wir auf einmal ein grosses Bild scharf shen. 11 Allerdings blieben solche
Beschreibungen des Wah rnehmens selten; mit ihnen war auch
keine weiter gehende Ambition verbunden, sondern sie besaen
allein die abwehrende Funktion, die aufkommende Mode unscharfer Bilder einzudmmen.
Umgekehrt lie sich die Unschrfe dan k der Einbeziehung
wahrnehmungsphysiologischer Erkenntnisse von dem Vorwurf
freisprechen, lediglich verunklrend zu wirken. Als Mittel gegen
Reizberflut ung, als Instrument, das filterte, unterdrckte, wer91
Khn - bei Vorstellungs- und Erinnerungsbildern: Da die entscheidenden Momente einer Wahrnehmung auf ihnen b ereits
fixiert seien, knnten Fotos ihnen auch eher entsprechen. Das
brachte Ki.ihn dazu, sein mimetisches Interesse au f die Wiedergabe der Bilder des >inneren Auges< zu lenken und nach Mgchkeiten z u suchen, sie fotografisch nachzuempfinden. Auch
andere sahen in Vorstellungs- und Erin nerungsbildern die magebliche Referenz f r den Fotografen - und zugleich eine Legitimation fU r unscharfe Bilder. So war 1897 in der Photograpltisclten
Rundschau. zu lesen, dass der Eindruck im Auge fr u ns vllig
gleichgltig sei, dass wir nur nach dem geistigen Eindrucke urteilen, dessen abgeschwchtes Bild die Erinnerung ist, die uns
zeigt, wie wenig in Wahrheit alle die Nebenschlichkeiten aus
dem Bilde im Auge in unser Gehirn aufgenommen werden.'u
Tatschlich wird immer wieder als typisch f r >innere Bilder<
hervorgehoben, da die einzelnen Sujets zwar genau prsent
sind, sich jedoch entziehen - gleichsam unscharf werden - , sobald die Aufmerksa mkeit darauf gerichtet wird. Auch Warstar
versuchte mit Verweis auf dieses Phnomen, der Unschrfe als
bildnerischem Mittel zustzliche Rechtfertigung zu verschaffen
(wobei er anders als Khn nicht streng zwischen Wahrnehmungs- und Erinnerungsbild trennte): Wir knnen sehr oft auf
die Frage nach gar nicht un wesentlichen Einzelheiten unserer
tglichen Umgebung, nach der Farbe u nd dem Muster der Tapete n etwa, der Form und den Ornamenten bestimmter Mbel,
nach Einzelheiten an der Kleidung uns nahestehender Personen
keine genaueund bestimmte Auskunft geben.' 23 Solange man
jedoch nicht mit einer solchen Frage konfrontiert ist, glaubt man
durchaus, ein um fassendes Bild ei ner Situation zu haben, und
empfindet die eigenen Erinnerungsbilder nicht als lckenhaft
oder zu unbestimmt. Muster, Designs oder Frisuren sind in der
Erinnerung da und zugleich nicht da. Dieser Zwischenzustand
von An- und Abwesenheit verbietet es gem Khn, die Hauptsujets auf einem Foto scharf abz ubilden, das brige hingegen
unscharf; d ann nmlich wertet der Fotograf bereits endgltig
Beginn des 2.o.jahrhunderts bereits erstaunliche Ergebnisse erbrachten. Im Sommer 1907 traf er sich sogar mit Steichen und
Stieglitz, um das Potential einer auf die Gehrder Lumicre zurckgehenden Technik auszuloten. So berzeugend die damit
erzielten Farbwerte sein mochten, so seh r wurde es fr diese
Technikjedoch zum Problem, da die Bilder nur als gefhrdete
Unikate auf Glas hergestellt werden konnten, die zudem von
hinten beleuchtet werden muten, um ihre Wirkung zu entfalten. Fr eine Prsentation von Fotos in illuminierten Glasksten
war die Zeit aber noch nicht reif, weshalb sich Khn und seine
Mitstreiter nach einer kurzen Phase der Euphorie bald wieder
(weitgehend) auf Schwarz-Wei-Techniken des Negativ-PositivVerfahrens beschrnkten.
Khns Interesse fr Vorstellungs- und Erinnerungsbilder
drfte auch von Tendenzen in der Literatur oder Psychologie beeinflut gewesen sein. Schon im 19.jahrhundert untersuchte
man verschiedentlich das Phnomen des Sich-Erinnerns und beschrieb den besonderen Charakter des Erinnerungsvermgens.
Kurz vor seinem Tod verfate etwa Adalbert Stifter eine kleine
Skizze. in der er seine ersten Erinnerungen zu rekonst ruieren
unternahm. Auch wenn die Vokabel >unscharf< darin nicht vorkommt, erweckt doch die gesamte Schilderung den Eindruck
von beunruhigender Verschwommenheit: Weit zurck in dem
leeren Nichts ist etwas wie Wonne und Entzcken, das gewaltig
fassend, fast vernichtend in mein Wesen drang [. .. 1 Die Merkmale, die darin festgehalten wurden, sind: es war Glanz, es war
Gewh l, es war unten. (. ..1 Dann war etwas anderes, das sanft
und lindernd durch mein Inneres ging. Das Merkmal ist: es waren Klnge. Dann schwamm ich in etwas Fchelndem, ich
schwamm hin und wider, es wurde immer weicher in m ir, dann
wurde ich wie trunken, dann war nichts mehr.
Erst allmhlich bilden sich aus solchen kleinen, vagen Erinnerungsi nseln konkretere Eindrcke, schlielich bleiben benennbare Gegenstnde haften. Typisch fr die ersten Erinnerungen ist
aber gerade, da sie noch keine Bilder sind, sondern eher jenes
100
bezweifeln sogar, da innerpsychische Zustnde berhaupt reprsentierbar sind; vielmehr werden Ausdrcke wie >Erinnerungsbild<oder >inneres Bild<von ihnen als Metaphern - Sprachspiele interpretiert. Das lt es fraglich erscheinen, ob etwas wie ein
inneres Bild< berhaupt jenseits seiner (sprachlichen) Explikation
als Bild existiert. Entsprechend gilt jede Mimesis-Vorstellung - der
Glaube, man knne ein >inneres Bild<wie einen Apfel beschreiben
oder abbilden - als zu einfach oder auch vllig verfehlt, und jeder,
der meint, ein Bild oder Foto knne grundstzlich einer Erinnerung oder Vorstellung entsprechen, scheint von jenen Metaphern
verfhrt zu sein - als Opfer einer fixen Idee.
Die Behauptung, da(~ Erinnerungsbilder bevorzugt unscharf
seien, lt sich dann ebenfalls als Folge einer naiven Metaphernglubigkeit deuten: Redewendungen wie unscha rfe Erinnerung, schwindendes Gedchtn is oder etwas vage im Gedchtnis haben, aber auch Beispiele aus der Poesie129 verleiten
dazu, Erinnerungsbilder ihrerseits verschwommen , pastellig
oder grobkrnig zu entwerfen. Wirtgenstein erwhnt sogar dieses Beispiel, wenn er die Unmglichkeit einer hnlich keits-Beziehung zwischen innerpsychischen Vorgngen und deren externer Reprsentation errtert. So bestreitet er, da man die
Erinnerung an ein Bild [ ...] durch dieses Bild in blassen Farben
gemalt darstellen kann. Die Blsse der Erinnerung ist etwas
ganz anderes als die Blsse des gesehenen Farbtons und die Unklarheit des Sehens von anderer Art als die Verschwommenheit
einer unscharfen Zeichnung.130
Somit ist es lediglich eine Konvention, wenn man unscharfe
Bilder als genauere Abbilder des Brinnerns schtzt denn scharfe
Bilder. Die Unschrfe fungiert hier gleichsam als Code, was vielleicht bei Filmen am deutlichsten wird: Man hat gelernt, da es
sich entweder um eine Rckblende - die Erinnerung eines Protagonisten - oder um einen Traum handeln mu, wenn die Bilder
verschwommen oder weichgezeichnet sind. Gerne wird die Unschrfe dann noch m it Zeitlupe verknpft, die Bewegungen in
die Schwebe versetzt, was das Abgebildete ebenfalls wattig er102
scheinen lt. Anstatt den Gesetzen der Schwerkraft unterworfen zu sein, soll das in diesem Modus Gezeigte also immaterieller Natur - ein mentales Ereignis - sein.
Die Assoziation von Unschrfe mit dem Geistigen gelingt so
zuverlssig, da sie sogar stattfindet, wenn keine ikonographische Absicht vorliegt. Gerade in der Frhzeit der Fotografie, als
das neue Medium ohnehin noch befremdete, bot es immer wieder Stoff zu Spekulationen, wenn auf einem Bild unerwartet unscharfe Partien, Auflsungserscheinungen oder Schleierbildungen auftraten. Anstatt generell Material-oder Enrwicldungsfehler
zu unterstellen, mutmate man lieber, der Apparat knnte mehr
als das dem menschlichen Auge Sichtbare aufgenommen haben.
ln Verbindung mir okkultistischen Neigungen war es dann kein
weiter Weg bis zu dem Glauben, die Fotografie sei dazu imstande, nicht nur Erschein ungen, Visionen und die Geister Verstorbener, sondern ebenso Gedanken, Erinnerungen und innerpsychische Bilder und Z ustnde aller Art festzuhalten. Auch hier
stimulierte die Entdeckung der Rntgen-Strahlen am Ende des
19.jahrhunderts zu mancherlei Experimenten, die das Ziel verfolgten, noch mehr In neres< u nd endlich auch Immaterielles
sichtba r zu machen.
Zwischen naiver Faszination gegenber der Fotografie, ernsthaften wissenschaftlichen Ambitionen und Betrug z u unterscheiden, ist dabei im Einzelfall - und erst recht im Rckblick nicht immer einfach . Was heure alles gleichermaen absurd oder
verstiegen anmutet, mochte ehedem zum Teil du rchaus plausibel erscheinen. Dennoch konnten Pioniere der Gedankenfotografie die Akademien und groen Autoritten der Wissenschaft
nur selten von ihren vermeintlichen Sensationen berzeugen. 111
jemand wie Hippolyte Baraduc erlangte also eher Popularitt als
Reputation, als er am Ende des 19. j ahrhunderts fluidische Ausstrahlungen dokumentierten wollte, indem er eine Fotoplatte
ber der Schdeldecke oder auch in der Nhe der Hnde plazierte; die Wirbel, Flecken oder anderen - jeweils sehr verschwommenen- Erscheinungen, die sich nach Entwicklung der
103
kel oder vllig schwarz, was einen darauf bringen knnte, hier
sei ein Einblick in die >black box<
des Gehirns gewhrt. Damit ent
steht eine Anmutung, die der
mancher Weltraumfotografien
gleicht: Wie man fasziniert davon
ist, wenn aus den unergrndlichen Tiefen des dunklen Alls ein
heller Punkt - durch die weite
Reise alt gewordenes Licht - auf
taucht, besitzen auch die Pola
roids von Ted Serios stilles Pathos; wieder wird die Unschrfe
zum Schlsselreiz des Brhabenen.
Kann die Unschrfe bei diesen
>Gedankenfotograficn< darauf Ted Scrios: Gedankenfotografie des 1/ilronhinweisen, da etwas an sich Un- Hotels in Denver (r96oer Jahre)
sichtbares vielleicht doch irgendwie und teilweise sichtbar geworden ist, spielt sie bei Heinrich
Khn eine subtilere Rolle: Entspricht sie einerseits der Vorstellung, da ein >inneres Bild< nicht so vollstndig und k.leinteilig
ausgestaltet ist wie die sichtbare Welt, dient sie andererseits auch
dazu, sonst Sichtbares Details - zum Verschwinden zu bringen.
Fr Khn ist das freilich kein Gegensatz, sondern er interessiert
sich fr >innere Bilder<sogar nur deshalb, weil ihre Vagheit ihm
eine Legitimation dafi.ir bietet, alldas auszublenden, was ihn
strt. Die Welt der >inneren Bilden ist fr ihn genau so, wie er
sich die uere wnscht: entlastet, harmonisch, anspruchslos.
Damit zeugt die Unschrfe immer wieder von Wnschen
nach Umverteilung, und was unscharf ist, soll zwischen Sicht
barkeil und Unsichtbarkeit hin- und hergeschoben werden. In so
fern ist Unschrfe auch Zeichen von Unzufriedenheit, Ausdruck
des Verlangens, anderes zu sehen als blicherweise und sei es
nur momentan, als Illusion eines Ausnahmezustands.
Erst im 19.Jahrhundert wurde die Bewegungsunschrfe zu einem eigens beachteten Sujet - dann als eher unfreiwillige Zutat
vieler Fotografien: Aufgrund langer Belichtungszeiten ersc hien
.1lles, was sich bewegte, verwischt oder nur als schwaches Abbild.
Das mochte zwar einmal meh r zu Spekulationen ber die Exi~te nz vo n Geistern und bersinnlichen Ereignissen verleiten,
war abe r als Phnomen so verbreitet und so leicht erkl rba r, da
es kei nen nachhaltigen Eindruck machte. Bald wurde das Fotomaterial auch empfindliche r, was die Belichtungszeiten erheblich verk rzte. Der Ehrgeiz vieler Fotografen richtete sich nun
darauf, rasche Bewegungen genau z u fixieren, deren Verlaufmit
bloem Auge nicht zu erkennen war. Berhmt wurden die Studie n von Edward Muybridge, der mit Hi lfe der Fotografie die
alte Streitfrage ber die Beinstellung des Pferds im Ga lopp zu
klren vermochte.
War es hier fotografische Schrfe, d ie etwas sonst Unsichtbares sichtbar werden lie, fungierte eine Generation spter - nmlich bei ragaglia und im Futurismus - einmal mehr Unschrfe
als das Erkennungszeichen einer besonderen bildnerischen Leistung. Nachdem schon im Technischen Manifest der fut uristischen
Male rei von 1910 begeistert festgestellt worden war, da Bewegung und Licht die Materialitt der Krper auflsenu', und nacht!em Umberro Boccioni ein Jahr spter in einem Vortrag ausgefh rt hatte, da das ~ungreifbare und Unsichtbare, das er als
Schwingu ngen umschrieb, mehr und m ehr zum Gegenstand
von Forschungen und Beobachtungen der Knstler werdeu6 , lag
es nahe, d ies auch mit Mitteln der Fotografie zu demonstrieren.
Die Gehrder Bragaglia experimentierten damit ab 1911 , wobei sie
'ich zuerst von vermeintlich hnlichen Versuchen distanzierten,
t! te der fran zsische Arzt Etienne Jules Marey bereits in den
1H8oer Jahren unternommen hatte.
Marey hatte eine Fotoplatte in kurzer Abfolge oftmals hinterei nander belichtet, wodurch das sich bewegende Sujet zwar in
Jeder Phase scharf- aufgrund der kurzen Belichtungszeit nicht
1mmer sehr deutlich - abgebildet wurde, die einzelnen Phasen
109
einige Bilder von Giacomo Balla, der den Verlauf einer Bewegung
wiedergab, indem er verschiedene Phasen simultan abbildete. Dam it realisierte er, was im Technischen Manifest der futuristischrn
Malerei kurz zuvor bereits beschrieben worden war: Da das Bild
ja auf der Retina beharrt, vervielfaltigen sich die bewegten Gegenstnde, deformieren sich, wenn sie aufeinanderfolgen , wie berstrzende Vibrationen in dem von ihnen durchlaufenen Raum. So
hat ein laufendes Pferd nicht vier Beine, sondern zwanzig, und
ihre Bewegungen laufen in Dreiecksform ab.'J9
Eine gewisse Unschrfe entsteht bei Balla dabei sogar zwie
fach: Sofern die einzel nen Phasen dicht nebeneinander liegen,
das bewegte Sujet also von sich selbst immer wieder leicht verschoben berlagert wird, versucht das Auge des Betrachters,
mehrere solcher Phasen zur Deckung zu bringen und eine klare
Gegensta ndskontur zu bilden. Da dies jedoch scheitert, fhrt
zum Eindruck der Unschrfe, den Balla noch steigert, wenn er
zwischen den jeweils fr sieb scharf gemalten Momenten verwischte und nu r andeutungsweise erkennbare Spuren des Sujets
auf das Bild setzt. Dieser Effekt scheint bewegungsunscharfen
Fotografien abgeschaut, und es wirkt, als sei das Bild mit zu langer Belichtungszeit gemalt.
Oie Konkurrenz der Malerei zum Fotodynamismus veranJate Anton Bragaglia zu einem Foto, auf dem er die Mglicbkei112
rensei nes Mediums direkt der Bi ldtechnik Bailas gegenberstellte: Diesen sieht man neben seinem Gemlde Di11amismo di un
ca11e al guinzaglio (1912) stehen - genauer: man sieht seine du rch
die Krperbewegung vervielfachte und zugleich aufgelste Gestalt, hnlich einer Geisterfotografic, neben dem Bild eines
Hunds, dessen Schwanz und Beine sich fcherartig multiplizieren. Es scheint, als wollte Bragaglia damit fr die Nachwelt
fest halten, woher die (futuristische) Malerei ihr Wissen ber die
wir\liche Verfatheit der Dinge hat - und da der Fotodynamism,us der Vater aller )richtigen< Bildsprachen ist.
Allerdings griff man in anderen Gemlden Unschrfe-Techniken des spten rg. jahrhunderrs auf, um ein dynamisches Gefhl zu erzeugen. Ausdrcklich hoben die Futuristen den NeoImpress ionis mus - und dessen Prinzip, Farbpunkte im
Komplementrkont rast aufzutragen - als ))wesentlich und notwe ndig hervor. Maler wie Umberro Boccioni oder Luigi Rus'olo sahen dadurch ihre Geisteshaltung, ihren Glauben an flirre nde Energien reprsentiert. 140 Gerade f r die Darstellung
rasc her Bewegung - etwa die eines vorbeifahrenden Zugs w;ih ltc Boccioni eine sthetik, die an pointillistische Gemlde
erinnert, selbst wenn aus den Punkten zum Teil grelle Striche
"-erden. Weil das gesamte Bild derselben Faktur unterliegt, wird
me hr zwischen dem rasch sich bewegenden Fahrzeug und der
!13
Moderne aus, sich immer wieder solche im Grunde u nerfllbaren Aufgaben gestellt zu haben. Und vielleicht wurde das Scheitern sogar gesucht, um ein tiefes Mitra uen gegenber Bildern einen latenten ikonoklastischenDrang - besttigen zu knnen.
Ebenso w ie die Futu risten offen gegen die Kunst der Tradition auftraten und zur Strmung der Museen aufriefen, verriet
also auch die Forderung, den universellen Dynamismus sichtbar
zu machen, eine Miac htung von Bildern und ihren Mglichkeiten: Nicht nur ist fraglich, wie etwas Unsichtbares in Bilder
bersetzt werden kann, sondern es ist ebenso schwer nachvollziehbar, warum gerade sie - als etwas Statisches - Bewegungen
erfahrbar machen sollten. Die Bewegungsunschrfe Bragaglias
sowie der >unscharfe< Neoimpressionismus Boccionis oder Bailas
lassen sich daher als Symptome einer Tendenz deuten, das Bild
selbst (und nicht nur die sichtbaren Sujets) zu transzendieren oder besser: zu verleugnen. Ehrlicher war allein Russolo, der
schon bald zur Musik berwechselte und die Gerusche derbeschleunigten Welt in seine lntonarumori aufnahm.
Mag der Angriff der Futuristen auf das Bild >an sich<nicht ausdrcklich gefhrt worden sein, so traten sie zumindest laut gegen den Jllusionismus perspektivisch gemalter Rume an und
dement.icrten den Raum als Thema der Kunst. Der Raum existiert nicht mehr<<- dieser apodiktische Satz aus dem zweiten
Manifest'" lie sich m it kubistischen oder abstrahierenden Bildsprachen umsetzen, begnstigte aber gleicherm aen eine
sthetik der Unschrfe: Wo Gegenstnde sich auflsen und ineinander be rgehen, schwindet die Trennung zwischen Vorderund Hintergrund; erst recht egalisiert Bewegungsunschrfe und
verkrzt den Raum zur Flche. Aber auch das Unscharf-Werden
in den Arbeiten Medardo Rossos, den die Futuristen als Geistesverwandten schtzten , reduziert die Rumlichkeit: Hier ist es
der Eindruck von berbelichtu ng, der alle Volumen flach werden lt; der Raum schmilzt im hellen Licht, das die Futuristen
zur zweiten Ausprgung von Energie (neben der Bewegung) erklrt hatten. Elektrisches Licht und Scheinwerfer verherrlichten
11"6
sie als Sieger ber den Rau m- und ber die Illusion, die Dinge
darin knnten feste Konturen und Materialitt besitzen . Andere
freilich beklagten diesen Verlust an Rumlichkeit, den sie als typisch fr die moderne - elektrifizierte- Welt an sahen. So bemerkte Wilhelm H ausenstein im Zweiten Weltkrieg, als man bei
Stromausfa llen w ieder auf Kerzenlicht angewiesen war, wieviel
plastischer und wirklicher die Gegenstnde darin erschienen,
whrend das elektrische Licht die Dinge platter [machtj; es teilt
ihnen zuviel Helle mit, und damit verlieren sie an Krper, an
Umri, an Substanz; an Wesen berhaupt.'42
Schon viel frher und deutlicher wurde eine (bildex terne)
Entrumlichung - als Symptom der Moderne - in folge der MotOrisierung beobachtet. Vor allem Eisenbahn-Passagiere, nicht gewohnt an die relativ hohen Geschwindigkeiten, berichteten von
Schwindelgefhlen, welche sie sich damit erklrten, da die
du rch das Zugfenster betrachtete Welt verwischt - eben bewegungsu nscharf -erschien und keinen kl.aren Raum mehr zur
Orientierung bot. In einem Brief aus demjahr r837 schrieb Victor
Hugo: Die Blumen am Feldrain sind keine Blumen mehr, sondern Parbflecken, oder vielmehr rote oder weie Streifen; es gibt
keinen Punkt mehr, alles wird Streifen; die Getreidefelder werde n zu langen gelben Strhnen; die Kleefelder erscheinen wie
lange grne Zpfe; die Stdte, die Kirchtrme und die Bume
fhren einen Tanz auf und vermischen sich auf eine verrckte
Weise mit dem Horizont; ab und zu taucht ein Schatten, ein e Figur, ein Gespenst an der T r auf und verschwindet wie der Blitz,
das ist der Zugschaffner.' 43
Diese Zeilen lesen sich, als sei der Passagier zum Blick mit
unschuldigem Auge<geradezu verdammt: Statt der Gegenstnde
nimmt er lediglich ein zelne Farbreize wahr, die sich aber so
rasch ablsen, da er ihnen passiv ausgesetzt ist. Daher htte
Ruskin sich im brigen auch dagegen verwehrt, die Eisenbahn
als Chance zum gegenstandslosen Sehen zu preisen; vielmehr lste sich das konventionelle Wahrnehmen - so seine Mei nung nur dan n auf geme Art und Weise in reine Farben und For117
AUTHENTISCH
Sensationelle Fotografien sind oft unscharf- und fast ebenso oft
macht erst die Unschrfe sie zur Sensation. Was innerhalb der
spiritistischen Fotografie oder auch bei Wissenschaftsfotos als
ikonographisches Grundprinzip gelten kann, trifft kaum minder
fr andere Genres zu : j eder gute r rotojournalist und Kriegsreporte r wei um die dramatisierende Wirkung eines verwackelten oder verwischten Bilds, und es gibt wohl keinen Bildredakteur,
der nicht gelegentlich ein unscharfes Foto bevorzugt, obgleich
ihm dieselbe Szene ebenso in aller Schrfe vorliegt. Lediglich
manchmal ist die Unschrfe tatschlich ein bedauerliches Versehen , und ein entsprechendes Foto wird nur verffentlicht, weil es
ein einmaliges Ereignis als einziges doch noch irgendwie dokumentiert.
Gerade weil - zumal im Bildjournalismus- technisch einwandfreie, scharfe Bilder als normal gelten, besitzen unscharfe
Bilder einen Sensationscharakter: Mu es sich nicht um ein auerordentliches Sujet handeln, wenn ein Foto rrotz schlechter
Qualitt publiziert wird? Nur weil Unschrfe eigendich ein Fehler ist, kann sie auch zum Stilmittel von Superlativen oder Ausnahmezustnden werden und diese letztlich sogar simulieren.
Daher wre es woh l nicht einmal angemessen gewesen, htte
man von einem Ereignis wie der ersten Mondlandung gestochen
scharfe Fotos verffentlicht. Nur Bilder, die nahezu nichts erkennen lassen, zeigen die exzeptionellen Bedingungen, unter denen
sie entstanden sind . Die hera usfordernden Umstnde der Sildwerdu ng sind sogar das eigentliche - einzige?- Thema solcher
Fotos. Freilich erhlt ein Bild, auf dem nichts zu identifizieren ist,
ersr durch die Textlegende seine dramatische oder erhabene Be123
geht er!
124
125
Foto um ein UFO - etwas geheimnisvoll Auerirdisches - handeln. Denn da Zivilisationen ferner Sterne etwas entwickelt haben sollten, das menschlichen Produkten nahekommt, gehrt
hchstens zur Vorstellungswelt einer naiv-schlichten Fantasie;
die meisten hingegen spekulieren lieber ber das >absolut Andere<, das freilich niemals darstellbar ist - sonst wre es hchstens noch relativ anders. Radikale Differenz kann hchstens
durch Unschrfe reprsentiert werden, weshalb eine scharfe
U PO-Fotografie zwangslufig eine Ernchterung bedeutete.
Wie schon UFO -Bilder ihre Legitimation daraus beziehen,
da sie gleichsam mit zitternden Hnden fotografiert werden,
steigert es die Authentizitt erst recht, wenn ein Foto Hektik vermittelt, also stark verwackelt ist oder gegen alle Regeln der Komposition verstr. Dann scheint der Fotograf nicht nur Beobachter einer extremen Szene gewesen zu sein, sondern selbst in das
Geschehen involviert, das er dokumentiert. Eventuell befand er
sich sogar in akuter Gefahr, als er fotografierte - und entsprechend erwartet er nun , als Held bewundert zu werden.
Besonders wichtig kann die authentische Geste eines Bilds innerhalb der politischen Fotografie werden, da damit Emotionen
zu wecken sind, die in Agitation umschlagen knnen. Fotografen und Kriegsreporter wie Robert Capa verstehen es sehr gut,
ihren Bildern gerade mit Unschrfe-Effekten die Ausstrahlu ng
direkter Augenzeugenschaft zu geben. Unscharf suggeriert: Hier
war jemand schneller und nher dran als andere. Als Medium
der Unmittelbarkeit wird die Unschrfe einmal mehr zu einem
Wahrheitsfaktor - diesmal nicht im Zuge einer Mimesis-Bemhung oder einer Durchleuchtung der Oberflche des Sichtbaren,
sondern als Spur des dokumentierten Geschehens selbst. Anstatt
Teil eines Abbilds zu sein, ist die Unschrfe wie ein Eingriff in
das Foto: Das Ereignis strt seine eigene Wiedergabe und ist damit direkt prsent. Im Extremfalllscht es sein eigenes Abbild
aus oder lt es gar nicht erst entstehen.
Gerade diese Negation des Wiedergabecharakters der Foto grafie macht auch bewut, da diese sich, anders als ein Ge126
Foto erst recht nicht mehr als Abbild - und darrut ber eine Aus'age- rezipieren lt, sondern als Spur, als Partikel eines unbe'chwerdlotten Lebensgefhls wahrnehmbar macht.
Da aber verwackelte, schrge und nahsichtige Potos gegen
tl ber anderen Schnappschssen favori siert werden, unterschei
den auch die Lomographen zwischen guten und schlechten Bil
dern. Anstarr >einfach so< zu fotografieren, achten sie etwa
darauf, da sich auf dem Foto etwas bewegt oder nur teilweise
.1uf das Bild kommt. Folge ist eine gleichsam ritualisierte und zeltbrierte Unschrfe, die doch wieder alles andere als unmittelba r
~t. ln Publikationen der Lomographischen Gesellschaft ist sogar
von Speziellen Lomo-Effekten die Rede, die man beherrschen
\OIItc. Dazu gehrt de r Lange-Nase-Effekt, der bei lngeren
llchchrungszeiten entsteht und die Motive verzogen prsentiert.
I)er ~Niederlndereffekt (idyllische Malerei) hingegen tritt ein,
we nn man nicht scharfstellt: Schaut fein aus und freut das von
'lrhrfe gelangwei lte Auge!(( Schlielich gibt es noch den Pa rkanso n Effekt - gem dem Motto: Wackeln und Zappeln
hn ngt Bewegung ins Bild.' 54 Die Titulierung und Charakterisie
aaung der verschiedenen Effekte verrt, da die Tugend der
\ponta neitt nicht nu r wegen der daraus resultierenden >Echt
lwat< der Bilder, sondern ebenso als Ausdruck von Spa und guter
I ,tune gepflegt wird.
Ceradejugend liche spricht die Lomographie sogar in dreifa
1 her Hinsicht an. Nicht nur besitzen sie strker als die meisten
\hcre n eine Sehnsucht nach dem Unmittelbaren und Wahren,
ondern es gefallt ihnen auch (hnlich wie ehedem den Vertre
11m des >Neuen Sehens<), gegen tradierte Standards zu rebellie11' 11 und mit Bildern, die verwackelt und fa lsch belichtet sind.
Iw rk mm liehe Schnheitsvorstellungen herauszufordern. Alies,
w.ts 1 raditionelle Fotoratgeber als fehlerhaft bezeichnen, wird
ltla \ic auf einmal interessant - und besitzt zudem den Vorzug,
Jlaltzig, lustig und ein bichen albern auszusehen. So fotografie11 n Lomographen bevorzugt auf Partys oder Ausflgen und be
auuhc n sich um Bilder, die eine ausgelassene Stimmung und viel
'33
Action dokumentieren. Sie wollen mit dem Besitz einer Lomo einer Gemeinschaft angehren und in anderen Lndern und Stdten Gleichgesinnte finden. Die Lamagraphie - und die ihr eigene
Unschrfe - ist somit fr viele in der Generation der Love Parade
hnlich identittsstiftend geworden, wie es ein knappes Jahrhundert zuvor ein fester Liederkanon fr die Jugend- und Wandervogelbewegung war.
Um dem Lebensstil j unger Menschen noch besser zu entsprechen, entwickelte die Lamagraphische Gesellschaft am Ende der
1990er Jahre ein weiteres Produkt, zu mal der Reiz der Lomo als
Osterzeugnis zu verblassen begann. Der neue >Action Sampler<
ist technisch noch einfacher (ohne Blenden, Entfernungseinstellung oder richtigen Sucher), zugleich aber als Spakamera konzipiert: ln einem durchsic htigen Kunststoffgehuse sieht man die
bunten Tei le der Mechanik, die, ebenfalls aus Plastik und ziemlich grob gefertigt, nicht nur Low-Tech - No tech<< heit es sogar
in einer Begleitbroschre - signalisieren, sondern die auch rasch
kaputtgehen . So funktioniert diese Kamera nur kurzfristig, was
andererseits den Authentizittscharakter der Fotos steigert, die
garantiert nicht manipuliert, noch nicht einmal gut, sondern
einfach nur ein flchtiger Gag sind. Es sind eher Spuren als Bilder, zu mal der >Action Sampler<die erste Kamera sein drfte, bei
der die Unschrfe bereits vorprogrammiert ist: Drckt man auf
den Auslser, wird jeweils ein Viertel des Negativs im Abstand
von i/4 sec belichtet, womit in recht schlechter Qualitt und
nicht genau kalkulierbar vier Phasen eines Handlungsablaufs oder der Kamerabewegung - festgeha lten werden. Scharfe Bilder sind bei dieser fast filmischen Aufzeichnung die Ausnahme;
daf r ergibt sich gleichsam automatisch ein Flair von Spontaneitt, ist doch kaum ein Bildquartett frei von slapstickhaften Momenten oder absurden Ausschnitten.
Damit kann man den >Action Sampler< sogar als Authentizitts-Maschine bezeichnen, sind in den Apparat mit Kontingenz
und Unschrfe doch die wichtigsten Elemente einer Rhetorik
der Unmittelbarkeit eingebaut. Wie die digitalen High-Tech-Ka134
mc ras dem Wunsch nach perfekt-klaren, schnen, beliebig vablcn und bis ins Detail kontrollierten Bildern dienen, erfllt
l'ln >Action Sampler< umgekehrt das Bedrfnis nach echten Bilde rn, denen schon anzusehen ist, da sie frei von nachtrglichen
I mgriffen und sogar unabhngig von den Intentionen des Poto~ra fc n entstanden sind. Der Wahrheit im Sinne einer Abbildgen.luigkeit oder auch verstanden als Idealisierung oder als Redukt cm und Verdichtung auf das Wesent liche steht also d ie
Wa hrheit in der Weise grtmglicher Direktheit gegenber:
I)er >Action Sampler< kann als Ausdruck der Utopie interpretiert
we rden, Bilder ohne beeinflussende Zwischenstation - ohne Medu m hervorzubringen.
Diese Utopie ist vielleicht so alt wie Bilder berhaupt und fin det in verschiedenen Epochen und Kulturen ihren Niederschlag,
htsonders ei ndrucksvoll etwa in der Tradition der Ikonen, d ie
.1 ngeblich ohne menschliche Einwirkung auftauchten. Einmal
me hr zeigt sich dabei aber eine groe Skepsis gegenber dem
llald soga r eine Abwehr und Negation: Als Abbild - als etwas
l'lgcns Gemachres - traut man ihm (bereits seit Platon) nicht gemlgend Kraft und Geltung zu; es steht im Ruf des Sekundren
und onrologisch Zweifelhaften. Wie schon die Versuche, das
lldd an der Literatur oder der Musik zu orientieren oder es mit
dn Da rstellung von Unsichtbarem zu beauftragen, ein Ungen~tn an Bildern qua >bloen<Abbildern verraten, bedeutet erst
ll'rht der Wunsch nach wirklichen, >Starken< Bildern ein Demtnu des Abbildens: Nu r ein diffuses, vielleicht sogar bis zur
\ nkc nntlichkeit verwischtes Bild besitzt die Aura des Authentit hcn, und gerade Unschrfe fungiert im Zeitalter des fotografi\1 hcn Bilds als EchtheitssiegeL
BILDREFLEXION
>>ich male nicht mehr. Ich kann es nicht, um nicht Terror, Angst
und Schrecken zu verbreiten, um nicht die Erde zu entvlkern.
In einem fiktiven Interview mit dem Kunstkritiker Anthony
Twaites, das er sich 1964 zusammen mit Sigmar Polke ausdachte,
persiflierte Gerhard Richter knstlerischen Grenwahn. So gewaltig stellte er sich die Wirkung seiner Bilder vor, da sie niemandem gezeigt werden drften, denn alle wrden zusammenbrechen. Die Nazis htten in den Konzentrationslagern mit
seinen Bildern >gearbeitet<, um ihre Massenmorde effektiv begehen zu knnen, Stalin htten sogar zwei Bilder gengt, um seine
Schreckensherrschaft zu errichten - und sei dann schlielich
selbst beim Anblick eines dieser Bilder zu Tode gekommen.' 55
Was hier bis an die Grenze der Geschmacklosigkeit durchgespielt wird, geht von einer berechtigten und naheliegenden
berlegung aus: Was knnte der beste Maler mit seinen Bildern
erreichen? Und wie >stark< knnen Bilder berhaupt sein? Tatschlich glaubten gerade politisch-ideologische Gewaltsysteme
an die Macht der Kunst und versuchten sie fr sich zu nutzen.
Richter, selbst im sozialistischen Realismus ausgebildet, wurde
dieser gegenber der Kunst erhobene hohe Wirkanspruch zum
kritisch errterten Thema, nachdem er 1961 nach Westdeutschland gegangen war. Er beschftigte sich fortan - unter dem ironischen Label eines >kapitalistischen Realismus< - mit der Frage,
was Bildern Autoritt verleiht, was sie glaubwrdig oder schokkierend macht. Dabei bezog er sich- malend - vor allem auf die
fotografische sthetik und aufkein anderes Stilmittel so hufig
wie auf die Unschrfe.
137
tieren; Teile des Bilds verwischte er mit einem Pinsel oder einer
Rakel, bis aus der jeweiligen Lokalfarbe autonome Farbe wurde,
oder er legte, .in einer weiteren Steigerung und einem Ikonoklasten hnlich, grelle Farbbahnen ber die gegenstndliche
Bildschicht.
Mit den innerhalb einer Serie deutlicher werdenden Dementis des Illusionismus scheint der Fortgang der modernen Kunstgeschichte, der Weg von der Unschrfe bis hin zur vlligen Abstraktion nachvollzogen. Die Linearitt pat jedenfalls zu
Clement Greenbergs schon in den 1940er Jahren publizierter,
lange einflureich(st)er Beschreibung der Avantgarde-Malerei,
wonach diese eine )>schrittweise Anerkennung der Widerstndigkeit ihres Mediums<< betreibe; Greenberg verbindet damit ei ne
klare Wertung und sieht es als Fortschritt an, wenn die Bildflche selbst zusehends flacher wird, bis schlielich jeglicher
Bildraum verloren geht. Erst eine Malerei, die sich selbst inszeniere und nur noch Materie, nicht mehr Bildtrger sei, habe
sich gefunden und sei rein.'60 Aus dieser Sicht kann Unschrfe
hchstens als ein erster, halbherziger Schritt gelten, wie die Entwicklung der modernen Kunst ja ebenfalls nahelegt, deren Protagonisten schon bald als soft und kitschig verriefen, was doch
mit derselben Ambition verbunden gewesen war wie ihre eigenen Versuche der Abstraktion.
Gerade indem Richter den Verlauf der neueren Kunstgeschichte gleichsam illustriert, unterscheidet sich sein Bildprogramm aber von den Grundlagen der Avantgarde: Fr ihn gibt
es kein definites Ziel der Malerei, und schon gar nicht knnte es
darin bestehen, Bildern pauschal das Recht des Abbildens abzusprechen. Vielmehr ist es Richters Interesse, verschiedene Typen
von Bildern parallel zu studieren; die einzelnen Tafeln seiner Serien sind weniger als Besttigung einer Entwicklung denn als
gleichberechtigte Alternativen zu verstehen. Dabei kommt der
Unschrfe insofern eine Schlsselrolle zu, als sich von ihr aus sowohl die Tradition des Illusionismus als auch die moderne
Verweigerung von Abbildlichkeit reflektieren lt: In der Un140
hiirfe changieren nicht nur Bildsujets, sondern die Erwartunan das Bild selbst.
l)a Richter in seinem Werk auf beinahe alle klassischen Gattungen referiert, unterstreicht seinen Anspruch, das Bild >an sich<
'ei ne mglichen Rollen und Funktionen- zum T hema zu mal hcn. Aufgrund der Unschrfe gehen die Stilleben, Akte oder
I .lntlschaften nie in ihrem Genre auf; die eingeschrnkte Prsenz
\In Abgebildeten- die leichte Verfremdung -lt sie eher wie Zit.llc oder indi rekte Reden erscheinen. In Analogie zum >uneigent111 hcn Sprechen< lieen sich Richters Bilder als >uneigentliche<
Ak te oder Stilleben bezeichnen, was sie zu typischen Werken der
Po't moderne macht: Eine Landschaftsidylle ist bei Richter zu~lc tl"h die Reflexion oder auch Parodie ihrer selbst, und sein Erlot~-: erklrt sich nicht zuletzt daraus, da er seine Gemlde dopjW it zu cod ieren versteht, nmlich als Bilder und als Bilder ber
llildcr. Br selbst bezeichnete sie als Kuckuckseier, >>weil sie von
dcn l.euten als etwas genommen werden, was sie gar nicht sind.' 6 '
We nn manche sie sogar als romantisch anmutende Land'' h.1 ftc n und Stilleben empfinden, liegt das daran, da Richter
1hc Unschrfe sptestens in den 1990er Jahren nicht mehr unbe162
ll tn~o: t als Bildstrung, als Mittel ei nes >>visuellen Sadismus ,
ondcrn hufig in Form von Weichzeichnung einsetzt. Auf ein111.11 erinnern seine Bilder an die frhen Farbfotos Heinrich
lo.llhn~ . werden also auch hinsichtlich ihres Stilklimas zum Zitat
und entsprechend als sanfte, vor berreizung bewahrende
~ ompositionen geschtzt. Anders als die Pioniere der Unschrfe,
Iu Jl'Wcils nur eine Variante pflegten und eine bestimmte Welttll\1 h.lllu ng vertraten, bedient Richter sich somit des gesamten
UrpnlOires an Unschrfe-Effekten, kennt ihre Wirkungen und
ple' lt souve rn damit. Auch das ist Zeichen postmodernen Be, ullt <.ei ns: Ziel ist die Beherrschung verschiedener Bildsprachen,
II h h~ am ein neuer Universalismus statt bekenntnishafter Abt tcnw ng und strengem Stilwillen.
\m virtuosesten - differenziertesten - drfte Richter von der
I "'' hrfe innerhalb seines Zyklus r8. Oktober 1977 Gebrauch ge1
~~ n
Portrts der Toten oder das Begrbnis - in gew isse Milde und
setzt dem Voyeurismus strenge Grenzen. Die Brutalitt des Terro rismus wie auch die Hrte, mit der der Staat darauf reagierte,
sind fast ganz verschwunden, und brig bleiben Erinnerungsbilder in Schwarz-Wei, die beinahe privat und vershnlich anmuten - die dem Betrachter aber auch seine Ohnmacht deutlich machen: Es ist nichts mehr zu ndern, nicht einmal mehr etwas zu
kl ren . Die Bilder sind vielmehr wie letzte Reste groer Ereignisse und heftiger Emotionen, und aufgrund ihrer Undeutlichkeit kann nie vergessen werden, da es >nur< Bilder sind. Wo ein
Poto nach wie vor Entsetzen auslsen mag, bleibt gegenber
Richters Gemlden lediglich Trauer.163
Es gibt nur wenige Beispiele, bei denen vergleichbar komplex
m it Unschrfe gearbeitet wurde: Nahezu alle rhetorischen Mglichkeiten, die diesem Stilmittel in seinen Varianten zu eigen
si nd, aktiviert Richter in seinem RAF-Zyklus. Wollte man es pathetisch formulieren , knnte man diesen als erfolgreich bestande ne Reifeprfung eines noch immer relativ neuen gestalteri~ch e n Mittels bezeichnen, als Beweis dafr, da die Unschrfe
m ittlerweile sogar fast unverzichtbar geworden ist, wenn es
dar um geht, Bilder zu machen, die den Betrachter etwas angehen und die doch nicht nur einnehmen, sondern die zugleich
eine Reflexion ber Bildlichkeit erlauben.
Richter ist jedoch keineswegs der einzige Knstler, der sich
1111 letzten Drittel des 2o.jahrhunderts auf subtile Weise der Un'rh rfe bedient. Im Gegenteil: Sptestens im letzten Jahrzehnt
f,\nde n so viele Malerund Fotografen Gefallen an deren Effekten,
da man lngst von einer neuen >unscharfen Richtung<sprechen
k nnte - und auch von einer Mode, die zunehmend dem Ge'rhmack einer Mehrheit entspricht. Es scheint, als sei die Un'rhrfe nach dem Ende der Ideologien der Avantgarde die groe
C:rw innerin, ja als sei sie, nach ihrer Verbreitung im spten
!') _Ja hrhu ndert, nur fr einige Zeit in den Hintergrund getreten,
um nun ganz neu und um zustzliche Valenzen bereichert zum
\t,\ r der Stilmittel zu avancieren.
143
Diese Renaissance, die bereits mehr ist als nur eine Wiederentdeckung, kam durchaus berraschend. Immerhin galten Unschrfe-Effekte ber etliche Jahrzehnte hinweg als unseris,
waren sie den Abstrakten doch nicht radikal genug, den gegenstndlichen Malern zu wenig entschieden. Nicht nur die Pion iere
de r Klassischen Moderne, sondern mehr noch die Ve rtrete r de r
Nachkriegskunst be harrten aufkla re n Linien und Formen - alles
Ve rwischte und Weichgezeichnete e mpfanden sie als eine m e rnsten und existenziellen Lebensgefhl una ngemessen. So deklarierte der gegenstndlich malende Rudolf Schlichter es als fatal,
wenn wattige Verschwommenheit die Malerei auf das iveau
von Stimmungsfotografien hinabziehe.16 Entsprechend freute
sich der engagierte Sammler abstrakter Kunst, der Arzt Ottomar
Dom nick, da in der neuen Kunst keine Bilder mehr entstnden,
die weich und verschwimmend einer Entscheidung ausweichen,
da es keine Stimmu ngsma lerei mehr gibt 1 65 Und in kunstessayistischen Beitrgen der Zeit u m 19;0 konnte man immer wieder
lesen, die moderne Kunst habe das Verschwimme nde und Zerflieende der Diktion verlassen; nun wrden alle Gegenstnde
erlebt in ihrem Fr-sich-Sein.'' 6
Alles andere als ein >eigentliches Sprechen<, jegliche Doppelbdigkeit oder reflektierende Distanz galt in jener Zeit als Zeichen
von Unernst und damit von Bcliebigkeit; zumal in der Malerei
wurde das Scharfkantige und Formstrenge als das >Echte<und im
expressionistischen Sinn Unmittelbare angesehen. Unschrfe und
Authentizitt schlossen einander also aus, und an der Weichzeichnung strte woh l auch die Ko nzilianz: Kunst mute vom Betrachter etwas fordern, hart und unbeque m sein, um ihre Dri nglichkeit
beweisen und um luternd wirken z u k nnen. Hierin waren sich
Abstrakte und gegenstndliche Knstler, sonst in heftigem Streit
miteinander, einig. Unschrfe verdchtigten sie m itrauisch als
!tatschen Kompromi, fungiert sie doch als Mittel der Abstraktion,
ohne deshalb Gegenstndlichkeit in Frage zu stellen. Man knnte
ih r vorhalten, nicht nur dem Betrachter z u schmeicheln, sondern
auch ideologische Gegensatze z u nivellieren.
144
Gerade als Mglichkeit einer Syn these von abstrakter und gegenstndlicher Kunst ist die Unschrfe jedoch ge~e n E!nde des 20.Jahrhunderts artraktiv
~e worden . Die Gegenstze werde n
ka um noc h polemisch a usge tragen ,
viele K nstler pfl egen sogar beide Bildt raditione n und beschftigen sich damir, wie Elemente abstrakter Bildsprarhen mit Stilformen gegenstndlicher
Male rei kombinierbar sind. So nutze n
Maler wie Richard l lamilton oder Pablo
Alonso und Fotografen wie Hiroshi Su~moto, Jrg Sasse, Annelies Strba, Bill
..
1-
..
serien, alltgliche Situationen, die pltzlich eskalieren und eine Eigendynamik entwickeln, so
da die handelnden Figuren nicht mehr Herr
der Lage si nd und im Strudel der Ereignisse
grotesk scheitern (siehe Cover). Oie einzelnen
Bilder erscheinen wie Srills aus Slapstick-Fil
men, wobei die Gesichter und Krper der
Bildakteure durch die jeweilige Mimik und Ge
stik, zuerst aber durch die Unschrfe ins Tragi
komische verzerrt sind. Da neben Bewegungs
ebenso Verwacklungsunschrfe im Spiehst und
die Sujets zudem meist schief oder abgeschnit
ten gezeigt werden, wirkt es, als sei der Foto
grafebenfalls von jener seltsamen Dynamik er
fat und selbst Teil eines absurden Tau mels.
Mangelnde Tiefenschrfe entrumlicht das
Geschehen noch weiter, der Betrachte r findet
somit erst recht keine Orientierung, und die
natrliche Schwerkraft der Dinge scheint auf
gehoben oder verndert- es herrscht der Aus
nahmezustand, diesmal freilich nicht in revolutionrem Ernst, sondern als bizarrer Unfall.
Ohne nachtrgliche digitale Bea rbeitung ge
Duane Michals:
lingt
es den beiden Blumes, verschiedene Un
Andy Warhol ( 1973)
schrfe-Effekte gleichzeitig ins Bild zu setzen .
Dabei benennen sie selbst nicht nur die Wiedergabe eines ekstati
sehen Moments als Grund fr ihr virtuoses Spiel mit den Un
schrfen, sondern sie sprechen auch deren aufmerksamkeits
regulierende Funktion an: Bei durchwegs scharfen Fotos werde
das Auge von vielen Details gleichzeitig und gleichermaen stark
angezogen- damit aber sei das Bild zu wenig moduliert, letztlich
erscheine die Bildflche monoton und beliebig: >>Wenn f...J Teile
des Abgebildeten undeutlicher, in die Unschrfe gerckt sind,
dann wird das Deutliche wichtiger oder bedeutsamer und die Be
liebigkeit verschwi ndet. 167
~choc k,
die Situation befriedigend zu erklren- Hilliard erzhlt ein Dramolett mit offenem Ende.
Die Unschrfe fungiert hier anders als bei Richter nicht selbst
als Bedeutungstrger, verselbstndigt sich auch nicht, sondern
dient allein dazu, die Aufmerksamkeit des Betrachters zu regulieren. Indem jeweils anderes sichtbar (und unsichtbar) ist, lassen
sich mehr Bezge erkennen, als wenn alles auf einmal - in einem
Bild - prsent wre. Da sie Sujets auszublenden vermag, verleiht
der Unschrfe die Fhigkeit, Bildinformation zu dosieren, bis ein
Maximum an Dramatik oder Geheimnis erreicht ist.
Ein solcher rein instrumenteller Gebrauch der Unschrfe ohne sthetischen Eigenwert- ist ungewhnlich und dennoch
typisch, da der Umgang mit diesem ehedem in seinen Spielarten
jeweils weltanschaulich aufgeladenen Stilmittel mittlerweile generell pragmatisch und entsprechend flexibel geworden ist: Es
gibt kaum noch ei nen Knstler, der nur einen Typ von Unschrfe
verwendet - und es gibt viele Knstler, die Unschrfe lediglich
als einen Effekt neben anderen in ihr Werk einbeziehen, sich also
nicht speziell ber ein Formklima definieren. Gerade in den
1990 er Jahren erprobten zahlreiche postmodernem Stilpluralismus anhngende Knstler wie Rosemarie Trockel oder
Thomas Schtte Unschrfe-Effekte, so wie sie auch mit verschiedenen bildnerischen Techniken - Aquarell oder Holzschnitt experimentierten. Dabei ist es ihnen nicht wichtig, einem Mittel
wie der Unschrfe nochmals neue Valenzen abzugewinnen; vielmehr haben sie aus der Tradition gelernt und wissen, wie die einzelnen Varianten wirken, um sie je nach Situation einzusetzen.
Das aber heit: Die Unschrfe ist zu einem selbstverstndlichen
Element der Bildrhetorik geworden, verfgbar wie Schraffur
oder Grisaille, und in vielen CEuvres verankert: Sie gehrt zum
festen Repertoire.
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157
.tnderen Bildern pat und mit ihnen zusammen ein Lebensgelllh l vermittelt oder einer Zeitschrift eine bestimmte Tonlage
vnleiht.
Wer es negativ formuliert, spricht hier von einer Inflation der
lidder und bedauert, da das einzelne in der Masse untergeht.
Doch auf diese Weise zu urteilen heit, an einer hohen Erwarlltng gegenber Bildern - genauer: gegenber dem einzelnen
II Iid - festzuhalten und Bedeutung darin so verdichtet vorfinden
tu wollen, da die Bildflche zum Ort eines Ausnahmezustands
w 1rd. Die Sehnsucht nach dem radikal Anderen sollte sich tat,,,rhlich immer in dem einen Bild, nie in Bildern im Plural erflhn. denn nur so konnte es hinreichend klar - wie eine Insel von allem brigen abgegrenzt werden. Die Kategorie des
Meisterwerks<als absoluter Singular ist bester Ausdruck dieser
Ans prc he gegenber dem einzelnen und einmaligen, durch
klmc Nachbarschaft relativierten Bild, ja dokumentiert einengedczu monotheistischen Glauben. 169
Nichts zeugt daher deutlicher vom Ende jener Sehnsucht
n.tr h einem Ausnahmezustand als die Pluralisierung der Bilder.
I ).II~ sie als einzelne kaum noch Aufmerksamkeit finden, sondcl'll immer sofort als Ensemble wahrgenommen werden, ist
/ctchen einer gewissen Gleichgltigkeit- zumindest dann,
wcnn man nach tradierten Vorstellungen urteilt und von Bildern
c l~lnt lic h eine spezifische und starke Wirkung erwartet. Whrnd es in der Kunst vormals etwa darum ging, das Bewutsein
lt' Rezipienten aufzuklren oder zu lutern, hatten Bilder in
lrhrbchern oder Magazinen die Aufgabe, einen Sachverhalt zu
rt.lnschaulichen oder Wissen zu transportieren. Von solchen
l'lltrh ten sind die meisten Bilder heutzutage entlastet, und inlnn sie nichts zeigen oder gestalten mssen, knnen sie auch
alc'lt hf rmig, flach und lapidar werden, sich darin erschpfen,
\nmur ung zu sein, sich anderen Bildern anschlieen, geradezu
nn h nen verschmelzen. Anders formuliert: Was liegt nher als
hlljU H re Unschrfe, wenn das Bild selbst nicht mehr bildend
11 '1'1 11 hat?
159
Wen es strt, da Bilder beliebig geworden sind und als einzelne keinem Leistungsdruck mehr unte rliegen, den qult vielleicht ein protestantisch schlechtes Gewissen , hervorgerufen
durch den meist uneingestandenen Anspruch, ein Bild msse etwas Einzigartiges auslsen und leisten, um berhaupt gerechtfertigt zu sein. Zumal denjngeren ist ein solches Denken aber
fremd, sind sie doch mit Bildern so selbstverstndlich aufgewachsen, da sie gar nicht darauf kmen, ihnen - noch dazu einzeln - eine Legiti mation abzuverlangen. j e mehr Bilder im Umlauf sind, desto weniger bedrfen sie also der Rechtfertigung
und desto weniger werden sie auch zeigen (freilich niebraus Anspruchslosigkeit oder Sehnsucht nach dem Ausnahmezustand,
sondern weil man nicht mehr viel von ihnen erwartet). Die
groe Menge unscharfer Bilder ist das Zeichen ihrer Befreiung
von hohen - oft verstiegenen - Ansprchen: Nie zuvor in ihrer
Geschichte muten sie so wenig bieten wie heute, da es auch
kaum noch Aufwand kostet, sie zu machen und zu rep rodu zieren.
Wie die von vornherein im Plural geborenen Bilder keinen
Verg leich mit einem >Meisterwerk< auszuhalten brauchen, ist
darber hinaus sogar zweifelhaft geworden, ob die klassische
Ikonographie und herkmmliche Kompositionsprinzipien noch
als Referenz fu ngieren. Immerhin besitzen die statischen Bilder
aus Ku nst und Fotografie nicht lnger eine Mehrheit - sie sind
im Zeitalter von Fernsehen, Film, Video und Internet zu einem
Bildtyp nachgeordneten Rangs geworden. Das Gros der rezipierten Bilder ist also in Bewegung, und dabei handelt es sich ebenfall s nicht um Einzelbilder, sondern um grere Bildzusammenhnge -um einen langen Strom an Bildern. ln ihrer bermacht
nehmen die neuen Medien aber Einflu auf die Gestaltung der
wenigen verbliebenen, statischen Bilder in Z eitu ngen, Magazinen oder in der Kunst. in sthetik wie Rezeptionsbedingungen
orientiert sich fast alles an ihnen, was wiederum erklrt, warum
die Unschrfe so beliebt geworden ist: Da sie Details auslscht
und Informationen reduziert, erlaubt sie einen Bildkonsum, der
160
nieen, eher aus einer Zufriedenheit mit den bestehenden Verhltnissen: Diese mssen nicht erst medial manipuliert werden,
um ertrglich zu sein, ja es bedarf keiner Vermittlung, keiner
Differenz zur Wirklichkeit, um sich mit dieser zu arrangieren.
Dafr herrscht soviel Einverstndnis mit der Welt, wie sie ist,
da man - erstmals?- glaubt, sich sein Leben ohne Hilfe der Medien einrichten zu knnen.
Also ist nicht nur die Sehnsucht nach dem radikalen Ausnahmezustand - das Dementi der Normalitt- verschwunden, sondern im Gegenteil sogar eine Lust am Alltglichen entstanden.
Wieder spielt die Unschrfe dabei eine entscheidende Rol.le und
begleitet damit einen Mentalittswandel, der zu den aufregendsten und wichtigsten gehren drfte, die die letzten Jahrhunderte zu bieten haben: Ist sie zuerst Symptom fr eine berforderung des Bilds, das als nichts Geringeres denn als Fluchthelfer
aus der Wirklichkeit fungieren und entsprechend alle Spuren
verwischen soll, zeugt sie mittlerweile von einer hnlich extremen Entlastung der Bilder, von denen nicht mehr viel verlangt
wird, die alles drfen und sich meist damit zufriedengeben, als
kleines Q uantum positiver Energie empfunden zu werden. Wie
die Unschrfe in ihren Anfangen einer Ausblendung der Gegenwart Vorschub leistete und- als Sfumato und WeichzeichnungHarmonie und bessere Welten suggerierte, ist sie heutzutage
nun eher als Verwischung und Feh lbelichtung zum Signum pu
rer Gegenwart geworden und fungiert als wohlig-entspanntes
Hintergrundrauschen eines gut gewordenen Lebens.
Zumal in Branchen, in
denen Marken zu kulti'chen Gren au fgestiegen
' 1nd. spielt diese Wirkung
..!er Unschrfe- der WeichJ:Cichnung - eine groe
Holle. Ein Art ikel wird
dort nmlich nicht nu r we~e n sei nes Gebrauchswerts
oder des in ihm verarbeite- Karalog Volkswagen Accessoires (2ooo)
ten Know-hows gekauft,
'ondern er bezieht seine Attraktivitt auch daraus, Reprsentant
der Ma rke zu sein. Da das einzelne Stck freilich jeweils nur ein
kleine r Ausschnitt aus der Gesamrmarke ist, wird es h n lich einer Reliquie- als materielle Spur - behandelt, die zugleich auf
d.ts ideelle Ganze ve rweist. Oiesem Doppelcharakter von Markl-nartikeln entspricht es, wenn man sie in einer kleinen Zone
'rharf abbildet, sonst aber pastellig auflst oder in Unsch rfe
wrOieen lt. Whrend die scharfe Stelle die reale Existenz der
M.1rke beglaubigt und Auskunft ber die irdische Verfatheil des
Pmdukts gibt, suggeriert d ie Weichzeichnu ng, das Abgebildete
).(l'hre der kostbare n Klasse spiritueller Gter an.
Es scheint sogar, als gebe die Ware nur ein Gastspiel in der
nuterieBen Welt und sei eigentlich, mitallihrem Fluidum, in eimr hheren Dimen sion zu H ause. Man knnte sich ei nbilden,
da Markena rtikel steige erst im Moment der Fotografie aus jeIH'I' Di me nsion herab und sei noch nicht ganz angekommen lamd in einer profanen Umgebu ng. Einen solchen Artikel zu
k.IUfen, mutet da nn h nlich faszinierend an wie ehedem der Er,qrb von Objekten aus fernen Kulturen . Vermittelten sie dem
1\on~umcnten die Illusion weiter, phantastischer Reisen, so si nd
c' heute exquisite Markenartikel, die die Aura einer exotischen
I Jur hr besitzen. Werden sie unscharf fotografiert, erscheinen sie
1111-(t'messcn geheimnisvoll - dem Alltglichen enthoben, da es
c llll' Details zu sehen gibt, die an die bekannte Welt erinnern.
..
rt.
165
Besonders routiniert wird der Fetischcharakter der Ware der Mythos der Marke- in der Modebranche zelebriert. So ist auf
einer Anzeige des Cashmere-Labels Aida Barni ebenfalls nur
eine Partie relativ scharf fotografiert, um einen Eindruck von
der Faktur zu vermitteln, whrend die Unschrfe den Pullover
ins Weiche und Sanfte auflst. Wer ihn trgt, wird also offenbar
selbst weich und sanft, verschmi lzt geradezu mit der warmen
Wolle. Zugleich jedoch entzieht sich das Fotografierte dem Betrachter, und die Unschrfe erzeugt eine Distanz, die aber nicht
als Abstand mebar ist, sondern durch den (vermeintlich) geringeren Grad an Materialitt entsteht. Die Wirkung dieser Distanz
ist vergleichbar der Wirkung e iner klassischen Skulptur, die,
wei und blicklos, in sich ruht, sich von anderem absetzt und
ebenso still wie unzugnglich, von Gewhnlichem unberhrbar
und damit ideal erscheint. Die der Unschrfe zu verdankende
Exklusivitt wird bei der Anzeige noch dadurch gesteigert, da!~
das Model sich selbst im Spiegel betrachtet. Da die Atmosphre
abertrotzaller Entrcktheit warm und mild ist, entsteht beim
Betrachter der Wunsch nach Teilhabe. Und was wenn nicht der
Kauf eines Cashmere-Pullovers sollte als Eintrittsbillet in ei ne
bessere und hhere Lebensform fungieren?
Doch die Unschrfe leistet noch mehr. Wie nmlich eine solche Anzeige inminen eines informationshypertrophen, bunten
Umfelds als angenehm dezent und leise auffallt, stellt sie zugleich
in Aussicht, die werbende Marke produziere eben falls nur so
geartete ArtikeL Dies gilt gerade in Zeiten einer entwickelten
Wohlstandskultur viel, wissen doch die meisten Menschen ga r
nicht mehr, wohin mit den za hllosen Sachen, die sie besitzen ; fast
jeden qulen Aufrumsorgen, und der Blick in berfllte Rume
der eigenen Wohnung lt das Gefhl aufkommen, etwas versumt oder nkht bewltigt zu haben. Zudem fordern die attraktiven und designten Dinge nicht nur Platz, sondern verlangen auch,
da man sich ihnen widmet und in gewisser Weise auf sie einstellt: Man ist ihrem Formklima ausgesetzt, und sie knnen das
Lebensumfeld hnlich stark prgen wie eine Person oder der Ort,
166
setzt darauf, ihren (potentiellen) Kunden immer wieder neue Bilder aus einer solchen >easy living<Kultur zu offerieren. Der passendste Slogan hierzu stammt von der HypoVereinsbank: Leben Sie. Wir kmmern uns um die Details. Und natrlich wi rd
dieser Slogan am liebsten mit Fotos illustriert, die vorfhren,
wie ha rmonisch und unbeschwert es sich in einer weichgezeichneten Umgebung leben l f~t. in der nichts mehr an Alltag oder
Pflichten erin nerl.
Der schne Schein der Unschrfe lt aber auch den Konsum
als ein Vergngen ohne (unangenehme) Konsequenzen erscheinen; suggeriert wird, es gebe nichts anderes mehr als >light pro
ducts<. Diese l'!ntwicklung folgt dem bekannten Wohlstandsphnom en, wonach es vielen mittlerweile eher um das Kauferlebnis
- den Spa beim Konsum - als um den Kaufnutzen geht. Und
was knnte ein solches Erlebnis verlockender in Aussicht stellen
als weichgezeichnete, ins Imaginre verschwebende Produkte?
Sie wirken, als knne man mit ihnen eine Portion Energie oder
Emotion kaufen, sich mit positiven Krften auftanken, ohne eine
Verpflichtung eingehen oder sich auf etwas festlegen zu mssen.
r68
ANMERKUNGEN
Adam Mller: Etwas ber Landschaftsmalerei, in: Ders.: Kritische, sthetische und philosophische Schriften Bd. 2 (hgg. von Walter Schroeder
und WernerSiebert), Neuwied/Berlin 1967, S. 188- 190
2
Vgl. Michael Baxandall: Die Wirlclichlceit der Bilder, Frankfurt/Main
1984, S. 139
Francis Bacon: Nev-Atlantis, Stuttgart 1982, S.51
4 Zum Verhltnis von Macht und Sichtbarkeit am Beispiel der berwachung von Strafgefangenen vg). Michel Foucault: berwachen vnd Strafen, Frankfurt/Main 1976, S. 256 ff.
johann Wolfgang von Goethe: Novelle, in: Goethes Werkt Bd. VI
(Hamburger Ausgabe), S. 499
6 Adalbert Stifter: Die Mappe meines Urgrovaters, in: Ders.: Erzhhmgen, Prankfurt/Main 1990, S. 273
7 Zu Leenarde vg).: Luba Freedman: The >Blurred< Horizon in
Leonardo's Paintings, in: Gazette des Beaux Arts 139 (1997), S.181-194;
S. 185: Leonardo seems to imply thatjust as in nature, where everyone
is awed by the vastness ofthe universe, in painting, too, we should marvel at the immeasurable scope of creation. In aiming to achieve this
goal, Leonardo blurred the horizon.
8
Vgl. Helmut Brsch-Supan: Bemerkungen zu Caspar David Priedrichs
>Mnch am Meer<, in: Zeitschrift des deutschen Vereins fii.r Kunstwissenschaft XIX (1965), S. 63-76
9
Zur Eliminierung von Figuren in der Landschaftsmalerei des 19-Jahrhunderts vgl. Oskar Btschmann: Entftrnwng der Natwr. Landschaftsmalerei 1750-1920, Kln 1989, v. a. S. 136 ff.
10
Zum Vergleich der Landschaftsmalerei mit Musik vgl. z. B. Priedrich
Schiller: ber Matthisans Gedichte (1794), in: Nationalausgabe Bd.
22, Weimar 1958, S.27tf.; Carl Gustav Carus: Neun Briefe ber Landschaftsmalerei (1815-1824), in: Ders.: Briefe und Aufslitze ber Landschaftsma!erei, Leipzig 1982, S.75 (8. Brief); Pranz Ficker: Asthetile oder
Lehre vom Schnen und der Kwnst, Wien 1830, S. 151; Moriz Carriere: sthetik Bd. 2 (1859), Leipzig 1885, S. 287f.
11
Vgl. Carl Dahlhaus: Dieidee der absoluten MIUile, Kassel 1978, v. a. S. 7-23
r2 Wilhelm Heinrich Wackenroder: Herzensergiewngen eines kunstliebenden Klosterbrwders (1797), Stuttgart 1997, S. ro6 . - Schon ein Jahrzehnt
179
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72
Wie die FotOgrafen ihre Experimente mit Unschrfe ausgehend von der
Landschaftsfotografie sukzessive auf andere Bereiche wie das Portrt
ausdehnten , beschreibt Fritz Matthies- Masuren (vgl. a. a. 0 . (s. Anm.
38), s. 5.5 ff.)
Wlfflin trifft analog die Unte rscheidung zwischen Tastbild (beim linearen Stil) und Sehbild (beim malerischen, auf Valeurs orientierten
Stil). (vgl. a. a . 0 . (s. Anm. 47) , S. 23)
Alois R iegl: Die Stimmung als Inh alt der modernen Kunst (1899), in:
Ders.: Cesammeire Auftlitze, Augsburg/ Wien 1929, S.29 f., 34 f_
Medardo Rosso: E!ntret ien avec Luigi Ambrosini (1923) . in: Ders.: La
Sculpturt imprtssionnisre. Ttxus tl chronologie ctablis par Giovanni Lista ,
Paris 1994, S. rss ff.
Rosso: oOn ne peut pastOurner autour (1919), in: Ders., a. a. 0 . (s. Anm.
5) ), $. IJI
Ebd . (Si Ia lumiere erait quarre fois plus forre, rout serait mange, sauf
une ou deux varia ntes. Cerre dominante, cette pensee, ce qui survit,
c'est .,:a qu 'i l faut sculper.)
Eugene Carriere: Cicrits tl Lctrrts choisies, Paris 1907, S. 249
Je continuerai donc m e passerde premiers plans (ebd., S. r62)
La ligne ( ... ) n'existe ( ... ) pas positivem ent dans Ia nature (Carriere in:
Li\rtiste ( r897), S. 77. z it.nach : Katalog Eugene Carriere, Sai nt-Cloud 1996,
s. t28 )
Walter Pater: rlr e Renaissttnce ( t873), zit. nach der deutschen Ausgabe
Je na 1906, S. 147
Kar) Hei nrich Heydenreic h: sthetisches Wrterbuch ver die viidenden
Knste nach Waulet und L.evesque, Le ipzig 1793, Bd.l, S. 649
Walther Heering: Meint Foto -Praxis. Ein Foto-Privatissimum, Seebruck/
Chiernsee 1946. S. r67
Vgl. Astrid Kury: Heiligenscheine eines elektrischenjahrhundertendes sehen
anders aus ... . Okkultismus und die Kunst der Wiener Moderne, Wien 2000
Okkultismus und Avantgarde. Katalog Schirn Kunsthalle Frankfurt, Ostfildern 1995, S. 156
Wlffiin, a. a . 0 . (s. Anm. 47), S. zr
julius Langbehn : Rembrandtals Erzieher (189o) , Leipzig 1903, S. 9
Ceorg Simmel: Rembrandt (1916}, Mnchen 1985 , S. 61
Le flou est j ustement au net ce que l'espoir est a Ia satiete. - Robert
de Ia Slzeranne : La Photographie est-elle un art ?, in: Revue des Deux
Mondes IV,144 ( r897), S. 574
Vgl. hie rzujoachim Radkau : Das Zeitalter der Nervositt, Mnchen 1998,
v. a . S. 170 f.
olls [= die Fotografen] ont choisi, non des h eures ensoleillees ou ta ut se
voit, m ais cel les voisines du crepu scule ou quelque chose se laisse deviner. (de Ia Sizeran ne, a. a. 0. (s. Anm. 69}. S.;7r )
L'indefini esr Je ehern in de l' infini. (de Ia Sizeranne, a. a. 0. (s. Anm .
69), S.;71)
73
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So
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92.
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94
95
C harles H. Caffin: Phocography as a Fine Art (1901), repr. New York 1972.,
s. 160, 154
Willi Warst at: Allgemdne sthetik derphotographischen Kunst aufpsychologischer Grundlage, Halle/ Saale 1909, S. 98
Ralph Waldo Emerson: Nature (1836) , New York 1995, S. u
Ste ic hen: The American School (1901) , repr. in: Ronald J. Cedrim (H g.):
Eidward Suichen. Seiteted Tex tsand Bibliography, New York 1996, S. 56
Vgl. Edward Steichen: Ein Lebtnftirdie Fotografk W ien 1965, Kap. ' o . S.
Vgl.ebd .
Vgl. Katalog Les phorographes de Rodin, Paris 1986
Friedrich Schiller: ber die sthetische Erziehung des Menschen ( 1795) (n .
Brief), in: NA 20, Weim ar 1961, S.381
oClouds were there for everyone -no tax as yet on them - free(Alfred
Stieglitz: oHow I came to ph otograph d oudsc., in: Amateur Photographtr
and Photography 56 (1923), zit. nach: Richard Whelan (Hg.): St ieglitz on
Photography. His selccttd essays and notes, New York zooo, S. 237)
And w hen finally I had my seriesoften photographs printed , and Bloch
saw th em - what I said Iwanted to happen happened verbatim (E!bd.)
Klinische Monatsbltterfr Augenheilkunde 58 (1917), S. 601
A. Patry: Welchen Einfluss hat die Refraktion auf das Werk des Malers?, in: Ebd., S. 597 ff_
Vgl. Ceorge Hcard Ham ilton: The dying of the light: the late w ork of
Degas, Moner, and Cezanne. in: john Rewa ld / Frances Weitzenhoffer
(Hgg.): Aspcers oJMonet, New York 1984, S. 218 - 241. - Vgl. ferner Patrick
TrevorRoper: Der vernderte Blick, Mnchen 2001, $.37
T homas Couture: Methode et entretiens d'atelitr, Paris r867, S. r68 (zit.
nach: Michael Zimmermann: Seural. Sein Werk urrd die kunsttheoretische
Debatteseiner Zeit, Weinheim 1991, S. 49 f.)
Warstar (1913) . a . a. 0 . (s. Anm. 40), S.34, 27
Heinrich Khn: Technik der Lichtbildnerei, Halle / Saale 1921, S. rr8
jam es McNeill Whistler: Ten O 'Ciock (r885) , in: D ers.: Selwed Lttttrs
and Writi11gs (hg. von N igel Thorp), Washington 1994, S. 85
Ebd., S. 51 f.
Ce que je reve, c'est un art d'equilibre, de purete, de tranquillit~. san s
sujet inquietant ou preoccupant [ ...). un lenifiant, un calmant cereb ral ,
quelque chose d 'analogue un bon fauteuil ... (Hen ri Matisse: Notes
d'u n peintrec (1908), in: Ders.: Ecrits er propos sur l'art, Pari s 1972. S. so;
dt. Henri Marisse: ber Kunst, Zrich 1982, S. 75)
Ebd .. S. 46 f.
Taut detail superflu prendrait, dans l'esprit du spectateur,la place d'un
autre detail essentiel (ebd., S. 43; dr. S.70)
Les details diminuent Ia purete des lignes, ils nuisent a l'intensite emot ive ( Matisse: ntretien avecCbarles Bstienne (1909), in: Bbd., S. 6o. dt .
S.92)
Ebd., S. 61
115 Fotozeitschriften - und insbesondere Rezen senten internationaler Potoausstellungen - beurteilten d ie Fotografie oft vor der Folie des Natio
nalen. - Vgl. z . S. Juliu s Stadler: Die nation ale Note in unserer Kun st .
in : Photographische Rundschau und photographisches Centralbla11 22 (1908 ),
S.185- 189
1.1 6 Heinrich Khn : Beitrag z ur Prage der weichzeichne nden Objektive,
in: Photographische Rundschau und Mitteilungen 61 (1924), S.193 ff.
117 Heinrich Khn: Wie man sicher z u guten Bildern gelangt, repr. in:
Camcras6 16 (1977), S.39
118 Vgl. Ute ~sk.ildsen: Heinrich Kllhns Arbeiten nach dem r. Weltkrieg
b1s 1944, m: Katalog Heinrich Kiihn 1866-1944. uo Bilder aus der Fotografl
sehen Sammlung Museum Folkwang Essen, Essen 1978, S. 10
119 Vgl. z. B. FritzSchmidt: Kompendiumderpraktischen Photograph ie, Leipzig
13 1916, S.73. - Artur Ranft: Oie Heimphotographie, Halle / Saale 3/ 4 19:11,
S. 50 ff. - Ludwig David: Ratgeber im Photographieren, Ha lle/ Saale
256 - 2701931, S. rss. 166. - Dagegen vgl. z. B. Ernst Vogel (bearb. v. Karl
Weiss): Taschenbuchder Photographie, Berlin 371922, S. 153 ff.
120 Vgl. Hein rich Khn: Beitrag zur Frage der weichzeichnenden Objek
tive, in: Photographische R-undschau und Mitteilungen 62 (1925), S. 97 f.
121 Khn : Technik der Lich.tbildnerei, Ha lle / Saale 1921, S. 15
121 Paul Pichier: Die neue Kunst, in: Photographische Rundschau 11 (1897),
s. 113
123 Warstat (1913), a. a. 0 . (s. Anm. 74). S. "
124 Kilhn : Klarheit!, in: Das Lichtbild 1937. S. Tr2
125 Khn (1925). a. a. 0 . (s. Anm. 120). $. 97 ff.
126 Khn (1921), a. a.O. (s. Anm. 121), S. rs
127 Adalbert Stifter, zit. nach: Urban Roedl: Adalbert Stifter, Reinbek 1965.
S.n
128 Marcel Proust: Swanns Welt, in: Aufder Suche nach der verlorenen Ztll.
(191J ), Frankfurt / Ma in 1981, $.65
129 Vgl. z. B. Gertrud Kolm ar: Doch auf die innere Wand der Lider wu
klein und unscharf dein Bild gemalt (aus: Sehnsucht, zuerst verffcnr
licht 1947), in: Dies.: Weibliches Bildnis. Smtliche Gedichte, Mnchen 1987,
S. 506).- Hans Magnus Enzensberger: Die Prauen von frher I zerOic
en langsa m, I immer bleicher werdend I in der Emulsion der Jah re
(aus: Polaroid, zerflieend, in: Ders.: Kiosk, Frankfurt i Mam IW'I
s .,o)
130 Ludwig Wittgenstein: Philosophische Bemerkungen (1930), Franltl utt
Main 1984, S. 271
111 Einen Oberbl ick ber Versuche der Gedankenfotografie bietC'I Rulll l
Krau ss: JensdiS von Licht und Schatten. Die Rolle der Photog111pltit 1Ir1 .,_
stimmten paranormalen Phnomenen - ein historischer Abri, Marbu r lW I
132 Friedrich Feerhow : Die Photographie des Gedankens oder
Leipzig 1913, S.51 (zit. nach: Krauss, a.a.O. (s. Anm. 131), S.6o)
133 Vgl. jule Eisenbud: Gedanltcnfotograjle. Die PSI-Aufnahmen dtl ltJ """'
(1966), Freiburg/Br.1975
Psyrlt,..,.,.,..,
,.,
r86
ABBILDUNGSNACH WEISE
Roben Starr: Gerltard Richur -18. Oktober 1977. New York 2000. 0 Gerhard Richter 1009
S. 6, 91. 99 : Katalog Heinrich Khn (1866-1944) Photographien, Frankfurt/
Main 1981
s. 15, 86: Wieland Schmid (Hg.): Museum der Mal.t'rei, Dortmund 1999
S. 19: JUrgen Glaesemer (Hg.): Traum und Wirlclichleeit, Stuttgart o.J.
$.16: jutta Reinke, Wolfgang Stemmer (Hgg.): Pioniere der Kamera, Bremen 1987
S. 32, 43, 47: Alfred Stieglitz: Camtra Worlc, Kln 1997
S. 41 : Elda Pezzi: Medardo Rosso. Scritti e pensieri 1889- t92J, Cre mo na 1994
S. 45: Katalog Eugbu Carritre, Strasbou rg 1996
S. 46, 71 : Andrew Wilson, Robert Upstone: Der Symbolismus in England.
t860- t9tO, Mnchen 1998
S. 48 : Fred Gettings: Ghosrs in Photographs, New York 1978
S. 49: ~ The Munch Museum/The Mu nch Ellingsen Group/VG SildKunst, Bann 1009
S. 55, 58, 61,75: joel Smith: Edward Stdclten. Tlte Early Years, Princeton 1999
S. 6;: C Georgia O'Keeffe Museum/VG Bild-Kunst, Sonn 2009
S. 78: Charles Horne (Hg.): Tlte Brorlters Maris, London 1907
S. 89: Brich Pranz. Bernd Growe (Hgg.) : Georges Seurat. Zdcltnungen, Mnchen 1983
S. 104 : RolfH. Krauss:jensdu von Licht und Scharren, Marburg 1991
S. to6: Abendzeitung vom 13. Mrz 1000
S. 107: Jule Eisenbud: Gedanlcenfotografie. Die PSI-Aufnahmen des Ted Serios
(1966). Preiburg/ Br. 1975
S. 1o8: Jonathan Brown: Vtlazquez. Materund Hfling, Mnchen 1988
S. 110 links: Marta Braun: Picturing Time, Chicago 1992
S. 110 rechts: C VG Bild-Kunst, Bann 1009
S. m : Katalog Oltltwltismwswnd Avantgarde, Frankfurt/ Main 1995
S. 112 links und rechts: C VG Bild-Kunst, Bann 1009
S. 113 : Ester Cohen: Umberto Boccioni, New York 1988
S. 114 : jos~ Pierre: Futurismus und Dadaismus, Lausanne 1967
S. 119: C VG Bild-Kunst, Bann 1009
S. 2 :
t88
NAC HBEMERKU NG
Das Buch geht auf eine Vorlesungsreihe zurck, die ich im Sommersemester 2000 an der Akadem ie der Bildenden Knste in Mnchen
gehalten habe. Eine Vorstufe der ersten Kapitel wurde unter dem Ti
tel Unschrfe, Antimodernismus und Avantgarde verffenrlicht in:
Peter Geimer (Hg.): Ordnungen der Sichtbarkeit. Fotografie in Wissenschaft, Kunst und Technologie, Prankfu rt/ Main 2002, S. 381-412.- Einige berlegungen der beiden letzten Kapitel wurden unter dem Titel Hauptsache unsch arf? - Die fotografische Inszenierung von
Markenprodukten am 28. April 2001 auf der Tagung Aus der neuen
Waren weit in der Evangelischen Akademie Thtzing vorgetragen und
finden sich auch in : Frank Hselbarth, Rupert Lay, Jean-Christophe
Ammann (Hgg.): Branding f r Unternehmensberatungen, Frankfurt/
Main 2001, S. 54- 74.
Fr Anregunge n, Material und Wohlwollen dan ke ich sehr herzlich Karl-Heinz Brodbeck , Burghard Damerau (t). Benedikt Erenz,
Christian Esch, Hans-Georg Pger, Peter Geimer, Walter Grasskamp,
Sirnone Keller, Rolf Liese, Helmut Mayer, Sabine Muske, Oliver Rtzel, lngrid Rder, Raphael Rosenberg, Stephanie Senge, Barbara
Strunk-Jeh l (t). Harry Walter sowie den Studentinnen und Studenten
der Ku nstakademie Mnchen.
Raffinierte Kunst
Obu.ngvor Reproduktionen
Nachdem Wolfgang UHrich in mehreren Bchern die Entleerung des
Kunstbegriffs kritisch betrachtet hat, ist er diesmal voll des Lobes - er
wrdigt die Reproduktion, die hufig eine Weiterentwicklung und Vollendung des Originals ermglicht.
U1lrich will die Kunst von ihrem pathetischen Gren-Anspruch befreien - und den Kunstbetrachter von seiner autorittsstarren Andacht
Hanns-josef Ortheil, Die Literarische Welt
vor dem Werk.
KKB. Gebunden. 16o Seiten mit zahlreichen farbigen Abbildungen
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