Turm von Jericho

archäologische Stätte im Staat Palästina

Der Turm von Jericho auf dem Tell es-Sultan am Rand des späteren Jericho wird dem Präkeramischen Neolithikum A (PPNA, 9. Jahrtausend v. Chr.) zugerechnet und ist damit der älteste bekannte Turmbau der Welt. Er ist 8,25 m hoch und hat einen Basisdurchmesser von rund 8 m und an der Spitze einen Durchmesser von rund 7 m.[1] Innerhalb des Turms befindet sich die weltweit älteste bekannte Treppe; sie hat 22 Stufen. Der Turm wurde aus unbearbeiteten Steinbrocken erbaut, die Treppe aus bearbeiteten Steinplatten.[2] Der Turm war Teil einer etwa drei Meter hohen Mauer, deren Zweck ungeklärt ist.

Turm von Jericho, Ausgrabungsstätte Tell es-Sultan

Archäologie

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Der Turm von Jericho wurde im Zuge von Ausgrabungen 1952 am Tell es-Sultan unter der Leitung von Kathleen Kenyon entdeckt und freigelegt.[3][4] Er datiert in die Zeit zwischen 8300 und 7800 v. Chr.[5]

Interpretation

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Die Ausgräberin, Kathleen Kenyon, hielt den Turm für den Teil einer Befestigungsanlage.[6] Bereits 1968 bezweifelte der französische Archäologe Jean Perrot (1920–2012) diese Deutung, da sich der Turm hinter und nicht vor der Mauer befand.[7] Olivier Aurenche verglich die Konstruktion des Bauwerks mit der Mauer von Beidha und hielt es für eine Maßnahme, um die Mauer zu stützen.[8] Ofer Bar-Yosef, der die Lage des Turms und der Mauer untersuchte, sah in ihnen einen Schutz vor Fluten und Schlammlawinen.[9] 2006 deutete Oliver Aurenche den Turm als Versammlungsraum, vielleicht zu religiösen Zwecken.[10]

Archäologen der Universität Tel Aviv vertreten die These, dass der Turm an der Stelle erbaut wurde, an der der Schatten des benachbarten Berges Qarantal zur Sommersonnenwende die Siedlung verdunkelt.[11] Die Treppe in der Turmachse ist auf diesen Punkt ausgerichtet (290° Azimut).

Literatur

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  • Gotthard G. Reinhold: Bei Sonnenaufgang auf dem Tell. Greiner, Remshalden 2003. ISBN 3-935383-24-X
  • Adel Yahya: Jericho. Geschichte, archäologische und religiöse Stätten. Reiseführer. The Palestinian Association for Cultural Exchange, Ramallah 2005.
  • Angelika Franz: Wächter in der Nacht. In: Der Spiegel. Hamburg 2011,9, S. 122. ISSN 0038-7452 (nach "Antiquity.")

Einzelnachweise

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  1. Ofer Bar-Yosef: The Walls of Jericho: An alternative Interpretation. Current Anthropology 27/2, 1986, S. 157. JSTOR:2742981
  2. Ofer Bar-Yosef: The Walls of Jericho: An alternative Interpretation. Current Anthropology 27/2, 1986, S. 157. JSTOR:2742981
  3. Kenyon, K. M.: Digging Up Jericho. London, Ernest Benn, 1957.
  4. Kathleen M. Kenyon, Holland, T. A. (Hrsg.): Excavation at Jericho, Volume 3: the architecture and stratigraphy of the tel. London: British School of Archaeology at Jerusalem, 1981.
  5. Ofer Bar-Yosef: The Walls of Jericho: An alternative Interpretation. Current Anthropology 27/2, 1986, S. 157. JSTOR:2742981
  6. Kathleen M. Kenyon: Digging Up Jericho. London, Ernest Benn, 1957
  7. J. Perrot: La préhistoire palestinienne. Supplément au Dictionnaire de la Bible (Commencé par Louis Pirot et André Robert; continué sous la direction de Henri Cazelles et André Feuillet), Bd. 3, Paris, Letouzey & Ané 1968, Zeilen 286–446
  8. Olivier Aurenche: Maison orientale, l'architecture du Proche-Orient ancien des origines au milieu du IV millénaire, Paris, Librairie orientaliste Paul Geuthner, 1981, S. 108–110
  9. Ofer Bar-Yosef: The Walls of Jericho: An alternative Interpretation. Current Anthropology 27/2, 1986, S. 157–162. JSTOR:2742981
  10. Olivier Aurenche: La tour de Jéricho, encore et toujours. Syria 83, 2006 (Hommage à Henri de Contenson), S. 63–68. JSTOR:40649380
  11. Roy Liran, Ran Barkai: Casting a shadow on Neolithic Jericho. In: "Antiquity" 85, 2011, S. 327. ISSN 0003-598X (Originalartikel engl.)
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Commons: Tower of Jericho – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Koordinaten: 31° 52′ 18,2″ N, 35° 26′ 40,4″ O