Tilda Swinton

britische Schauspielerin

Katherine Matilda „Tilda“ Swinton (* 5. November 1960 in London) ist eine schottische Schauspielerin und Oscar-Preisträgerin.

Tilda Swinton (2024)

Swinton entstammt einem der ältesten schottischen Clans (Clan Swinton) und wuchs im jahrhundertealten väterlichen Stammsitz auf. Ihr Vater, Sir John Swinton of Kimmerghame, war Generalmajor der Scots Guards, eines der Leibregimenter der britischen Königin. Ihre Mutter, Judith Balfour, stammt ursprünglich aus Australien.[1] Swinton hat drei Brüder.[2]

Sie besuchte zur selben Zeit wie Diana Spencer, die spätere Princess of Wales, das englische Privatinternat West Heath Girls School in Sevenoaks. Bis 1983 absolvierte sie ein Studium der Sozial- und Politikwissenschaften an der Universität Cambridge (am früheren New Hall College, heute Murray Edwards). Während ihrer Zeit in Cambridge trat sie der Communist Party of Great Britain bei. In diesen Jahren versuchte sie sich auch als Schriftstellerin, verbrachte einige Zeit in einem Township in Südafrika, wo sie ehrenamtlich in einem Hilfsprojekt arbeitete, und entdeckte ihre Leidenschaft für das Theater.[3]

Swinton hat Zwillinge aus ihrer Beziehung mit dem schottischen Autor und Maler John Byrne. Mit ihm und ihren Kindern lebte sie in Nairn, nordöstlich von Inverness in Schottland. Mitte der 2000er Jahre trennten sich Swinton und Byrne.[4] Seither ist Swinton mit dem Künstler Sandro Kopp liiert. Mit ihrer Tochter Honor Swinton Byrne stand sie gemeinsam für Dreharbeiten zu den Filmen The Souvenir (2019) und The Souvenir: Part II (2021) von Joanna Hogg vor der Kamera.[5][6]

Karriere

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Swinton 2007 beim Edinburgh Film Festival

Nach dem Studium schloss sich Tilda Swinton für kurze Zeit der Royal Shakespeare Company an. Später fiel die 1,80 m große rothaarige Darstellerin auf anderen Bühnen bereits in Hosenrollen auf, so etwa als Mozart in Puschkins Mozart und Salieri und in Man to Man nach dem Stück Jacke wie Hose von Manfred Karge als Frau, die im Dritten Reich in die Rolle ihres verstorbenen Mannes schlüpft. Das Stück wurde 1991 auch mit Tilda Swinton verfilmt.

1986 debütierte sie als Filmschauspielerin in Derek Jarmans Caravaggio. Bis zu Jarmans Tod im Jahr 1994 trat Swinton in jedem Spielfilm des eng mit ihr befreundeten Regisseurs auf. Auch mit Christoph Schlingensief, dem Regisseur von Egomania – Insel ohne Hoffnung (1986), pflegte sie eine bis zu dessen Tod anhaltende Freundschaft.

Swinton spielte von Beginn an und bis heute in zahlreichen experimentellen und abseits des Kino-Mainstreams angesiedelten Filmen. Mit Jarman verband sie die Vorliebe für ein exzentrisches und sehr artifizielles Kino, in dem auch radikale politische Inhalte ihren Platz finden. Schon in Caravaggio war Homosexualität ein Thema, wobei der Film in einer Zeit entstand, in der unter Premierministerin Margaret Thatcher die Clause 28 zum Gesetz wurde, die es in allen Bereichen des öffentlichen Lebens verbot, in irgendeiner Weise positiv über Homosexualität zu berichten. Jarman griff diese Thematik erneut in Edward II auf, wo in mehreren Szenen Demonstranten aus den 1980er Jahren in das historische Geschehen eindringen und Gleichberechtigung für Schwule und Lesben fordern.[3] In Friendship’s Death (1987, Regie: Peter Wollen) stellt Swinton eine Außerirdische dar, die, als Botschafterin in Freundschaft zur Erde gesandt, mitten in die Bürgerkriegswirren des „Schwarzen Septembers“ in Jordanien gerät und befremdet das Morden ringsum und das seltsame Verhalten der Menschen beobachtet.

 
Swinton 2009 während einer Publikumsdiskussion im Rahmen der Viennale

Weitere Independent-Filme mit Swinton entstanden unter anderem mit Cynthia Beatt, einer befreundeten Berliner Filmemacherin, mit der sie den Dokumentar-Kurzfilm Cycling the Frame (1988, 27 Min.) drehte, in dem sie mit dem Fahrrad an der Westseite der Berliner Mauer entlangfährt. Ihren internationalen Durchbruch markierte 1992 Sally Potters Film Orlando nach dem Roman von Virginia Woolf, in dem Swinton eine/n Adelige/n darstellt, die/der 400 Jahre lebt und sich in dieser Zeit vom Mann zur Frau wandelt. In Female Perversions (Regie: Susan Streitfeld, 1996) spielte sie eine neurotische, bisexuelle Juristin. 1997 verkörperte sie in Leidenschaftliche Berechnung (Regie: Lynn Hershman-Leeson) die britische Mathematikerin und Informatikpionierin Ada Lovelace. 1999 spielte sie in Tim Roths Regiedebüt The War Zone und 2002 in Spike Jonzes Adaption. 2002 war sie in dem dokumentarischen Kurzfilm Tilda Swinton. The Love Factory zu sehen.

Neben den eher im Arthouse-Bereich angesiedelten Produktionen spielte Swinton auch in einer Reihe von Filmen großer Filmstudios. Sie übernahm Rollen in The Beach (2000) mit Leonardo DiCaprio, Vanilla Sky (2001) mit Tom Cruise und der Comicverfilmung Constantine mit Keanu Reeves (2005), in der sie einen androgynen Erzengel Gabriel verkörperte. Im selben Jahr war sie die „Weiße Hexe Jadis“ im Fantasyfilm Die Chroniken von Narnia: Der König von Narnia, dem ersten Film der Reihe Die Chroniken von Narnia, und spielte in Jim Jarmuschs Broken Flowers. 2007 stand sie mit George Clooney für Michael Clayton vor der Kamera und wurde dafür im Jahr 2008 als Beste Nebendarstellerin mit einem Oscar ausgezeichnet. Ihre Ausflüge in die Welt der Großproduktionen mit ihren enormen Budgets bezeichnet sie mitunter als „Spionage“[3] bzw. stellt fest, dass sie nie in einem Film mitgewirkt habe, den sie selbst nicht als experimentell empfand.[7]

2009 wiederholte sie die Fahrradtour an der Berliner Mauer für Beatts 60-minütigen TV-Film The invisible frame.[8]

Neben ihrer Tätigkeit als Filmschauspielerin nimmt Swinton auch immer wieder an Projekten in anderen Genres teil. So war sie 1995 als „lebendes Exponat“ Teil der mit Cornelia Parker realisierten Installation The Maybe in der Londoner Serpentine Gallery. Eine Woche lang lag sie dabei täglich acht Stunden als Schlafende in einem Glaskasten. 1996 trat sie im Musikvideo zu The Box des Electronica-Duos Orbital auf. Auf dem Album The Bachelor des britischen Musikers Patrick Wolf, das am 5. Juni 2009 erschien, wirkte sie bei drei Songs („Oblivion“, „Thickets“, „Theseus“) mit, wobei sie den Text im Sprechgesang vortrug. 2010 war sie Hauptdarstellerin in einem von dem US-amerikanischen Fotografen Ryan McGinley gedrehten Werbe-Kurzfilm für die schottische Textilmarke Pringle of Scotland.[9]

Bei den Internationalen Filmfestspielen Berlin übernahm Swinton 2009 das Amt der Jury-Präsidentin.[10]

Im August 2008 organisierte sie mit Mark Cousins, einem befreundeten Drehbuchautor und Kulturkritiker, in einem von ihr gemieteten früheren Ballsaal in einem viktorianischen Haus in ihrem Heimatort Nairn das Filmfestival „The Ballerina Ballroom Cinema of Dreams“.[11] Gezeigt wurden Filme unter anderem von Astrid Henning-Jensen, Joseph L. Mankiewicz, Federico Fellini und Akira Kurosawa bis hin zu Rainer Werner Fassbinder und Sylvain Chomet. Im Sommer 2009 tourte sie mit einem mobilen Kino durch Schottland, um an den verschiedenen Orten Filme abseits des gewöhnlichen Kinoprogramms zu zeigen.

2013 spielte Swinton mit David Bowie in seinem Video zur Single The Stars (Are Out Tonight) aus dessen Album The Next Day ein biederes Ehepaar. In der Tragikomödie Grand Budapest Hotel spielte sie eine mehr als achtzigjährige Lady. In dem dystopischen Thriller Snowpiercer von 2013, der von einem pausenlos durch eine Eislandschaft fahrenden Zug handelt, in dem die Menschen nach sozialen Klassen in den einzelnen Waggons eingesperrt sind, verkörpert Swinton eine tyrannische herzlose Aufseherin namens Mason. Wegen der aufwendigen Maske ist Swinton jedoch in dieser Rolle nicht zu erkennen.

Auf der 66. Berlinale hatte Tilda Swintons vierteiliger, dokumentarischer Essayfilm The Seasons in Quincy: Four Portraits of John Berger in der Sektion Berlinale Special seine Weltpremiere.[12] In dem in Zusammenarbeit mit Colin MacCabe, Christopher Roth, Bartek Dziadosz und dem Derek Jarman Lab produzierten Dokumentarfilm tritt Swinton selbst auf, führte Regie und verfasste das Drehbuch.[13][14]

Filmografie (Auswahl)

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Auszeichnungen und Nominierungen (Auswahl)

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Literatur

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  • Kai von Rabenau (Hrsg.): mono.kultur #21 Tilda Swinton: A Place Apart. MONO.KONSUM, Berlin 2009
  • Du Kulturmedien AG (Hrsg.): Tilda Swinton – Die Antidiva. Du – Kulturmagazin, Ausgabe 811, Zürich 2010, ISBN 978-3-905931-03-7
  • Tilda Swinton: In Fashion. Schirmer Mosel, München 2012, ISBN 978-3829605861
  • Tilda Swinton & Olivier Saillard: Impossible Wardrobes. Rizzoli, New York 2015, ISBN 978-0-8478-4176-9
  • Tilda Swinton & Olivier Saillard: Embodying Pasolini. Rizzoli, New York 2022, ISBN 978-0847872725
  • Billy O. Favour: Tilda Swinton: A Comprehensive Biography of her extraordinary journey. Independently published, 2024, ISBN 979-8873588848
  • Laura D. Everett: THE GREATNESS OF TILDA SWINTON & JULIANNE MOORE: An Exploration of Two Remarkable Actress & Their Groundbreaking Roles, Artistic Collaborations & Lasting Influence on Modern Cinema. Independently published, 2024, ISBN 979-8340681584
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Commons: Tilda Swinton – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise

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  1. Tilda Swinton: We need to talk about eccentricity. In: The Guardian, 15. Mai 2011.
  2. Tilda Swinton: ‘I was expected to marry a duke!’. In: The Independent, 3. April 2010.
  3. a b c Christina Nord: Female Misbehaviour, im Begleitband zur Viennale 2009
  4. theartsdesk Q&A: Artist/Dramatist John Byrne. In: The Arts Desk, 19. März 2011.
  5. Steph Eckardt: How Honor Swinton Byrne’s Breakthrough Debut in The Souvenir Became a Family Affair. In: wmagazine.com. 14. Mai 2019, abgerufen am 15. Dezember 2022 (englisch).
  6. Claire Armitstead: Honor Swinton Byrne: ‘My family could not be more different to the one in The Souvenir’. In: theguardian.com. 23. Januar 2022, abgerufen am 15. Dezember 2022 (englisch).
  7. Jonathan Romney/The Independent: Tilda Swinton: „I’m not interested in acting skills“, 30. November 2008: „I’ve never been in something that didn’t feel like an experimental film, even if two hundred thousand million dollars was spent on it.“
  8. The invisible frame in der Internet Movie Database, abgerufen am 25. Februar 2014
  9. Pringle of Scotland – Tilda Swinton wirbt jetzt für Herrenmode. In Die Welt online am 20. Januar 2010, abgerufen am 20. Januar 2010
  10. Christina Nord: Glamour, Wärme und Witz für Berlinale. In: Die Tageszeitung. 14. November 2008, S. 2
  11. The Ballerina Ballroom Cinema of Dreams – Offizielle Website des Filmfestivals (Memento vom 3. September 2018 im Internet Archive)
  12. Roman Tschiedl: The Seasons in Quincy, Radio OE1 Leporello, 15. Februar 2016
  13. The Seasons in Quincy: Four Portraits of John Berger, 66. Internationale Filmfestspiele Berlin (PDF)
  14. seasonsinquincy.com, Filmwebsite
  15. Venedig vergibt Goldene Löwen an Swinton und Hui. In: ORF.at. 20. Juli 2020, abgerufen am 20. Juli 2020.
  16. International Federation of Film Archives. Abgerufen am 26. Mai 2023.