Tiele-Winckler
Die Familie von Tiele-Winckler ist ein ursprünglich mecklenburgisches, später auch oberschlesisches Adelsgeschlecht, das im Mannesstamm auf die Familie von Tiele zurückgeht.
Die Familie kam im 19. Jahrhundert im Oberschlesischen Industriegebiet durch Bergbau zu großem Vermögen, baute Betriebe der Montanindustrie auf und erwarb Großgrundbesitz in Preußen und Mecklenburg. Sie erhielt einen erblichen Sitz im Preußischen Herrenhaus.[1]
Geschichte
BearbeitenStammvater ist der kurländische bzw. russische Hofrat Christian Gottlieb von Tiele (* 1751, † 1811).
Die Grundlage des Reichtums legte Franz Winckler (* 1803, † 1851)[2], seit 1840 von Winckler. Er begann im Jahr 1818 als Bergmann in einem oberschlesischen Erzbergwerk. Nach seiner Ausbildung an der 1803 gegründeten Bergschule Tarnowitz in Oberschlesien arbeitete er als leitender Angestellter in einem kleinen Bergwerksbetrieb auf dem Gut Miechowitz. 1832[3] heiratete er die kinderlose Witwe und Erbin seines Chefs, Maria Freifrau von Aresin (* 1789, † 1853)[4], und weitete deren Unternehmen zu großem Umfang aus. Schließlich war er Herr über 14 Zinkbergwerke und 69 Steinkohlefelder. Dazu kamen Zink- und Eisenhütten. Wie Karl Godulla schaffte er den Aufstieg zu einem der großen oberschlesischen „Kohlemagnaten“, neben den Grafen Henckel von Donnersmarck und Ballestrem, während Hans-Ulrich Graf von Schaffgotsch sich das Godulla-Vermögen erheiratete und Fürst Hugo zu Hohenlohe-Öhringen zu einem der weltweit größten Zinkproduzenten wurde.
1838 und 1839 erwarb das Ehepaar Winckler zusätzlich zu Miechowitz noch die Rittergüter Kattowitz und Myslowitz, die von der Standesherrschaft Fürstentum Pleß abgetrennt wurden. Im Zusammenhang damit gelang es der Familie, an beiden Orten auch das Monopol für den Steinkohleabbau zu gewinnen. Ergänzend erstritt sie in mehreren Prozessen für einige Orte hoheitliche Rechte wie das Bergregal, die Bergpolizei und den Zehnt. Einige der Tiele-Wincklerschen Bergbaubetriebe hatten durch die Oberschlesische Eisenbahn schon seit 1846 eine moderne Verkehrsanbindung.
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Schloss Miechowitz in Miechowitz, Oberschlesien
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Schloss Moschen, Oberschlesien
1851 starb Franz von Winckler, 1853 seine Witwe Maria. Alleinerbin sämtlicher Güter und Unternehmen war Valeska von Winckler (* 1829, † 1880), Tochter aus Franz von Wincklers erster Ehe. 1854 heiratete sie den Leutnant Hubert Gustav von Tiele (* 1823, † 1893), der fortan das Oberhaupt der Familie war und die Geschäfte führte. Nach der Namen- und Wappenvereinigung 1854 in Schwerin lautete der Familienname von Tiele-Winckler.[5]
Der Hauptwohnsitz des Ehepaares von Tiele-Winckler war das Schloss mit 300 Zimmern in Miechowitz. Sie hatten neun Kinder: Franziska (* 1855), Franz-Hubert (* 1857), Walther (* 1858), Günther (* 1860), Helene (* 1861), Hildegard (* 1863), Hans-Werner (* 1865; † 1914), Eva (* 1866) und Klara (* 1868).[6] Durch ihr späteres soziales Engagement erreichte vor allem Eva von Tiele-Winckler überregional einen hohen Bekanntheitsgrad.
Vertreter[7] der Familie gingen auf verschiedene bekannte Adelsinternate, unter anderem auf das Friderico-Francisceum zu Doberan, auf das Fürstliche Stolberg-Gymnasium Wernirgerode[8] sowie das Pädagogium Putbus.[9]
Hubert Gustav Viktor von Tiele-Winckler erwarb 1866 das Gut und Schloss Moschen im Schlesischen Tiefland. Ferner legte er das Familienvermögen in verschiedenen Gütern in Mecklenburg an, er erwarb 1871 das Gut Lebbin (1912 neu erbaut, 1934 verkauft), 1876 Gut Vollrathsruhe, 1877 Gut Rothenmoor und 1890 Gut Schorssow mit Gut Bülow (beide 1929 verkauft). Das Ehepaar von Tiele-Winckler ließ sich 1872/1873 an der Regentenstraße (heute: Hitzigallee) im Berliner Tiergartenviertel nach einem Entwurf der Berliner Architekten Gustav Ebe und Julius Benda das Palais Tiele-Winckler errichten (später als Spanische Gesandtschaft genutzt). Dort verbrachte die Familie viele Jahre lang zumeist die Wintermonate. Nach dem Tod der ersten Ehefrau Valeska 1880 war Hubert Gustav in zweiter Ehe ab 1883 mit Rose Gräfin von der Schulenburg (* 1847; † 1930) verheiratet. Hubert Gustav Viktor von Tiele-Winckler starb 1893. Der gemeinsame Sohn Raban wurde 1887 geboren, übernahm Lebbin und starb 1936 auf der Heimreise aus Afrika im Suezkanal.
Sein erstgeborener Sohn Franz Hubert von Tiele-Winckler erbte u. a. das Schloss Moschen, das er nach einem Brand 1896 in den Folgejahren neu errichten ließ. Ihm wurden die oberschlesischen Betriebe übereignet, seinem Bruder Walter die mecklenburgischen. Franz Hubert erhielt am 25. Juni 1895 vom Deutschen Kaiser den primogenen Grafentitel, die übrigen Familienmitglieder wurden 1905 in den preußischen Freiherrenstand erhoben. Er stand in der Rangfolge der reichsten Einwohner Preußens im Jahr 1912 an achter Stelle. Im Adressbuch der Millionäre sind ohne nähere pekuniäre Angaben insgesamt sechs Tiele-Winkler aufgeführt.[10]
1889 wurde der Familienkonzern in die Kattowitzer AG für Bergbau und Eisenhüttenbetrieb umgewandelt. Nach der Teilung Oberschlesiens im März 1921 verkaufte Franz Hubert das Industrieunternehmen im Herbst 1921 an Friedrich Flick, der im Jahr darauf auch in die Ballestrem’schen Betriebe einstieg. 1922 starb er. Sein Sohn und Erbe Klaus Peter Graf von Tiele-Winckler verkaufte 1925 auch das Gut Miechowitz (das Schloss ist heute Ruine) an Flicks Preußengrube AG. Er starb kinderlos im Jahr 1938. Erbe des Gutes Moschen wurde sein Neffe Günter von Tiele-Winckler, der im Februar 1945 vor der Roten Armee floh. Moschen wurde nach der Vertreibung der Deutschen aus Oberschlesien ebenso enteignet wie Vollrathsruhe und Rothenmoor durch die Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone ab 1945. Lebbin war bereits 1934 von Raban Freiherr von Tiele-Winckler verkauft worden. In Vollrathsruhe hat die Familie nach der Deutschen Wiedervereinigung einen Forstbesitz zurückerworben, der durch die Graf v. Tiele-Winckler’sche Guts- und Forstverwaltung Vollrathsruhe GmbH verwaltet wird.
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Gut Lebbin, Mecklenburg
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Gut Vollrathsruhe, Mecklenburg
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Gut Schorssow, Mecklenburg
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Gut Bülow, Mecklenburg
Wappen
Bearbeiten- Das Stammwappen der Tiele zeigt in Gold eine von drei (2:1) roten Rosen begleitete rechtsgekehrte stählerne Armschiene. Auf dem Helm mit rot-goldenen Helmdecken drei (rot-gold-rot) Straußenfedern.
- Das Wappen der Winckler zeigt in Rot ein mit der Spitze nach rechts oben gekehrtes goldenes Winkelmaß, einen goldenen Stern umschließend. Auf dem Helm mit rot-goldenen Decken ein geschlossener, mit aufwärts geschrägtem goldenen Schlägel und Bergmannseisen belegter roter Flug.
- Das Wappen von 1854 ist geviert. Felder 1 und 4 zeigen das Stammwappen der Thiele, 2 und 3 das Wappen der Winckler. Zwei Helme mit rot–silbernen Decken, rechts der Stammhelm der Winkler, links der der Tiele.
- Das gräfliche Wappen von 1895 ist wie 1854, es zeigt zusätzlich die Grafenkrone und zwei widersehende goldene Löwen als Schildhalter. Der Wahlspruch lautet: „FEST UND GETREU.“
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Stammwappen derer von Tiele
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Wappen derer von Winckler (1840)
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Wappen derer von Tiele–Winkler (1854)
Prominente Familienmitglieder
Bearbeiten- Franz Hubert von Tiele-Winckler (1857–1922) war Hauptaktionär der Kattowitzer AG für Bergbau und Eisenhüttenbetrieb. Neben seiner unternehmerischen Tätigkeit war er von 1887 bis 1892 Landrat des Kreises Neustadt in Oberschlesien.[11] 1895 wurde er in den erblichen Grafenstand erhoben.
- Die Diakonisse Eva von Tiele-Winckler (1866–1930) war eine der ersten Frauen in leitender Position in der Diakonie. Sie gründete eine evangelische Schwesternschaft und das überregional tätige Hilfswerk Friedenshort. Nach ihr sind heute Einrichtungen in Berlin, bei Hamburg[12], in Herne[13] und in Öhringen[14] benannt.
- Eva Benita Freiin von Tiele-Winckler (1927–2013; bekannt als „Fürstin zu Schaumburg-Lippe“), heiratete 1955 Philipp Ernst zu Schaumburg-Lippe, Chef des Hauses Schaumburg-Lippe, und war Mutter von Alexander zu Schaumburg-Lippe, ebenfalls Chef des Hauses Schaumburg-Lippe
Literatur
Bearbeiten- Nikolaus Olaf Siemaszko: Tiele-Winckler, Grafen von. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 26, Duncker & Humblot, Berlin 2016, ISBN 978-3-428-11207-4, S. 261 (Digitalisat).
- Gotha, Justus Perthes, Gotha (Auszug:)
- Gothaisches Genealogisches Taschenbuch der Gräflichen Häuser 1896, Gotha 1895.
- Gothaisches Genealogisches Taschenbuch der Adeligen Häuser, 1900, 1902, A (Uradel), Gotha 1900, 1901. (Digitalisat)
- Gothaisches Genealogisches Taschenbuch der Adeligen Häuser 1904 B (Briefadel), Gotha 1903.
- Gothaisches Genealogisches Taschenbuch der Freiherrlichen Häuser B (Briefadel), 1909, Justus Perthes, Gotha 1908.
- Gothaisches Genealogisches Taschenbuch der Freiherrlichen Häuser B (Briefadel), 1939. Zugleich Adelsmatrikel der Deutschen Adelsgenossenschaft, Justus Perthes, Gotha 1938.
- Jahrbuch des deutschen Adels. Band 3, W. T. Bruer, Berlin 1899, S. 583–589.
- Ernst Seyfert, Hans Wehner, W. Baarck: Niekammer`s Landwirtschaftliches Güter-Adreßbücher, Band IV, Mecklenburg-Schwerin und - Strelitz. In: Niekammer (Hrsg.): Letzte Ausgabe. 4. Auflage. Band IV. Niekammer`s Güter-Adreßbuch GmbH, Leipzig 1928, S. 199–214.
- GHdA, C. A. Starke, Glücksburg/Ostsee, Limburg an der Lahn. ISSN 0435-2408. (Auszug:)
- Hans Friedrich von Ehrenkrook, Friedrich Wilhelm Euler: Genealogisches Handbuch der Gräflichen Häuser 1953 B, Band I, Band 6 der Gesamtreihe GHdA, Glücksburg/Ostsee 1953, S. 468–470.
- Hans Friedrich von Ehrenkrook, Friedrich Wilhelm Euler: Genealogisches Handbuch der Freiherrlichen Häuser 1954 B, Band I, Band 7 der Gesamtreihe GHdA, Glücksburg/Ostsee 1954, S. 420–433.
- GHdA, Adelslexikon Band XIV, Band 131 der Gesamtreihe GHdA, Limburg an der Lahn 2003, S. 449–451.
- Arkadiusz Kuzio-Podrucki, Die Tiele-Wincklers. Eine Oberschlesische Kohle- und Stahlaristokratie. Tarnowskie Góry Kiel 2007, ISBN 978-83-924291-5-9.
Weblinks
BearbeitenEinzelnachweise
Bearbeiten- ↑ Klemens Skibicki: Industrie im oberschlesischen Fürstentum Pless im 18. und 19. Jahrhundert. Zur ökonomischen Logik des Übergangs vom feudalen Magnatenwirtschaftsbetrieb zum modernen Industrieunternehmen. In: Toni Pierenkemper (Hrsg.): Regionale Industrialisierung, Bd. 2. Zugleich Dissertation Universität Köln 2001 Auflage. 6. Magnatengeschlechter, 6. 6. Tiele-Winckler. Franz Steiner, Stuttgart 2002, ISBN 978-3-515-08036-1, S. 235–240 (google.de [abgerufen am 17. September 2022]).
- ↑ Joachim Stopik: Beuthen-Miechowitz/Mechtal. Laumann-Verlag, Dülmen 2008, ISBN 978-3-89960-310-1, S. 21, 26.
- ↑ Joachim Stopik: Beuthen-Miechowitz/Mechtal. Laumann-Verlag, Dülmen 2008, ISBN 978-3-89960-310-1, S. 24.
- ↑ Joachim Stopik: Beuthen-Miechowitz/Mechtal. Laumann-Verlag, Dülmen 2008, ISBN 978-3-89960-310-1, S. 20, 27.
- ↑ Maximilian Gritzner: Standes-Erhebungen und Gnaden-Acte deutscher Landesfürsten während der letzten drei Jahrhunderte. Nach amtlichen Quellen. 2. Braunschweig bis Württemberg und Anhang mit General-Register, Großherzogthum Mecklenburg-Schwerin. (Großherzog Friedrich Franz II.) 1854. 6.12. C. A. Starke, Görlitz 1881, S. 593–922 (uni-duesseldorf.de [abgerufen am 17. September 2022]).
- ↑ Gothaisches Genealogisches Taschenbuch der Adeligen Häuser 1900, Jg. 1, Justus Perthes, Gotha 1900, S. 802–803. Digitalisat der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf
- ↑ Jahresbericht des Großherzoglichen Friderico-Francisceum zu Doberan Ausgegeben zu Ostern 1915 von G-Prof. Dr. Lüth, Direktor. 1915. Progr. 950 Auflage. IV. Verzeichnis der Schüler, Untersekunda. 19. Druck Herm. Rehse & Co., Doberan 1915, S. 22 (uni-duesseldorf.de [abgerufen am 17. September 2022]).
- ↑ Albrecht Jordan: Fürstlich Stolbergsches Gymnasium zu Wernigerode. Jahresbericht 1901/1902. 1902. Progr.-Nr. 280 Auflage. 2a. Verzeichnis der Schüler, 27. von Tiele-Winkler, Raban, Schorsow. B. Angerstein, Wernigerode 1902, S. 15 (uni-duesseldorf.de [abgerufen am 17. September 2022]).
- ↑ Gustaf Sorof, Julius Loebe: Programm des Königlichen Pädagogiums zu Putbus 1874. Mit welchem zu der am 30. Maerz 1874 im Hörsaale der Anstalt stattfindenden Schulfeierlichkeit im namen des Lehrer-Collegiums ergebenst einladet. Verzeichniss der Schüler, welche am Schlusse des Schuljahres der Anstalt angehört haben, III. Ober-Tertia. 8. Walter v. Tiele-Winkler - Miechowitz in Ob.-Schlesien. Druck der Fürstlichen Buchdruckerei August Knaak, Putbus 1874, S. 36 (uni-duesseldorf.de [abgerufen am 17. September 2022]).
- ↑ Albert Johannesson (Hrsg.): Deutsches Millionär-Adressbuch. von Tiele-Winkler. Selbstverlag des Ersten Berliner Reclame-Bureau, Centralstelle für die Verbreitung von Drucksachen, von Albert Johannesson (Inh. Paul Grund), Berlin 1894, S. 194 (uni-duesseldorf.de [abgerufen am 17. September 2022]).
- ↑ Michael Rademacher: Neustadt_os. Online-Material zur Dissertation, Osnabrück 2006. In: eirenicon.com.
- ↑ Mutter Eva von Tiele-Winckler-Pflegeheim
- ↑ Alten- und Pflegeheim Eva-von-Tiele-Winckler-Haus
- ↑ Tiele-Winckler-Schule Privates sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum