Stadtgottesacker

Friedhof in Halle (Saale)

Der Stadtgottesacker ist eine Friedhofsanlage in der Stadt Halle an der Saale. Er wurde ab 1557 nach dem Vorbild der italienischen Camposanto-Anlagen errichtet und gilt als ein Meisterwerk der Renaissance nördlich der Alpen.

Innenansicht des Eingangs mit Torturm
Gedenktafel für Marianne Witte im Eingangsbereich
Luftbild
Arkaden der Nordseite
Blick zum Torturm
Stadtgottesacker im Winter

Geschichte

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Im 16. Jahrhundert begann man in den Städten, die Toten außerhalb der Stadtmauern zu begraben. In Halle gab Landesherr Kardinal Albrecht 1529 den Auftrag, die alten innerstädtischen Begräbnisplätze aufzulösen.

Für den neu zu errichtenden Gottesacker wählte man den Martinsberg, auf dem sich bis 1547 die Martinskapelle befand und der sich damals noch vor der Stadt befand. Die schon seit 1350 für Massenbestattungen in Pestzeiten dienende Fläche wurde mit einer Mauer umgeben, an der man ab 1557 nach Entwürfen des Stadtbaumeisters und Steinmetzen Nickel Hoffmann in über dreißigjähriger Bauzeit 94 Schwibbögen errichtete, die nach innen geöffnete Arkaden bildeten. Welche Künstler und Handwerker an den Grabbögen mitgewirkt haben, ist aufgrund der Zerstörungen von 1945 und des nachfolgenden Verfalls nicht mehr zu ermitteln. Eine Untersuchung im Jahre 1882 ergab 92 verschiedene Steinmetzzeichen; 1986 waren nur noch 50 erkennbar.

In den Arkaden befanden sich Grüfte, die mit kunstvoll geschmiedeten Eisen- oder Holzgittern abschlossen. Ursprünglich standen die Särge in den bis zu vier Meter tiefen Grüften sichtbar auf dem Boden. Um den gestiegenen hygienischen Ansprüchen im 19. Jahrhundert gerecht zu werden, wurden 1862 jedoch die meisten Grüfte mit Erde aufgefüllt.

Die Grüfte sind durchnummeriert und waren Eigentum der Stadt. Sie konnten aber von den halleschen Bürgern gemietet oder auch gekauft werden. Auf dem zunächst freien Feld im Innenraum der Anlage wurde erst ab 1822 bestattet. Nachdem später weitere Friedhöfe für die Einwohner der Stadt eingerichtet worden waren, entwickelte sich der Stadtgottesacker zum bevorzugten Begräbnisort der städtischen Oberschicht. Die Familien von Industriellen, Universitätsprofessoren, höheren Beamten und Offizieren fanden meist in Erbbegräbnissen ihre letzte Ruhe. Heute gibt es auf dem Friedhof etwa 2.000 Grabstellen. Nach einem längeren Verbot von Beisetzungen auf dem Stadtgottesacker können heute Urnen innerhalb der Friedhofsmauern bestattet werden.

Bombenabwürfe in den letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs, besonders am 31. März 1945, beschädigten die Anlage schwer. In den folgenden Jahrzehnten verfiel sie. Nach der Gründung einer Bürgerinitiative 1985 und der „Stiftung Stadtgottesacker“ begann die Sanierung der denkmalgeschützten Anlage.

Darüber hinaus gründete sich die „Bauhütte Stadtgottesacker“, die bereits zu DDR-Zeiten von engagierten Bürgern gegründet und am 1. März 1990 als einer der ersten Vereine der Stadt eingetragen wurde. Sie ist hervorgegangen aus dem Arbeitskreis Stadtgottesacker, weil Vereinstätigkeiten zu DDR-Zeiten nur sehr eingeschränkt und mit Zustimmung des Regimes möglich waren. Nach der Wende konnte die Arbeit intensiviert werden. Jedoch erlaubte erst eine großzügige Privatspende der Tochter des Nobelpreisträgers für Chemie Karl Ziegler, Frau Marianne Witte (1923–2012), aus dem Vermächtnis ihres Vaters ab 1998 eine fast originalgetreue Rekonstruktion des gesamten Komplexes. Am 21. Mai 2003 wurde eine vom Bildhauer Bernd Göbel geschaffene Gedenktafel für die Spenderin enthüllt. Die Ehrenbürgerschaft der Stadt Halle (Saale) wurde an Marianne Witte am 2. Oktober 2003 verliehen.

Die Bauhütte fasste den Beschluss, die im Krieg zerstörten Gruftbögen durch Studenten der Bildhauerklasse der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle anfertigen zu lassen. Der Bildhauer Martin Roedel und andere schufen als erstes Kopien der Reliefs der Renaissanceanlage, für die es Vorlagen gab.[1] Für knapp zwei Dutzend der 89 kunstgeschichtlich bedeutenden Reliefs gibt es jedoch keine Vorlagen mehr. Hier hatte sich die „Bauhütte Stadtgottesacker“ e.V. zum Ziel gesetzt, die verlorengegangenen Gruftbögen durch zeitgenössische Reliefgestaltungen zu vervollständigen. Dies geschieht in Zusammenarbeit mit den Denkmalschutzbehörden und ist einzigartig in Deutschland. Die so entstandenen Reliefs wurden 2007 mit dem höchsten Preis der Deutschen Stiftung Denkmalschutz und des Steinmetzhandwerkes, dem Peter-Parler-Preis, ausgezeichnet. Die Zusammenarbeit ist zukunftsweisend, denn es gibt viele Denkmäler, bei denen Teile nicht mehr rekonstruiert werden können. Hier kann eine Ergänzung mit zeitgenössischen Arbeiten neue, spannende Einblicke bieten.

Marcus Golter, der erste westdeutsche Student an der Kunsthochschule in Halle, hatte zunächst im Jahr 1998 den Bogen 13 mit modernen Reliefs als Diplomarbeit ausgeführt. Das Ergebnis war überzeugend, so dass im Jahr 2017 die Bildhauerarbeiten an den Bogenreliefs fast vollständig beendet werden konnten. Damit sind nach zwei Jahrzehnten 27 Arkadenbögen neu entstanden. Neben Marcus Golter, der elf Gruftbögen fertigstellte, wurden die übrigen Bögen von den Bildhauern Martin Roedel, Bernd Göbel, Steffen Ahrens und der Bildhauerin Maya Graber erschaffen. Ebenfalls war der Metallbildhauer und Restaurator Pavel Majrych an der Wiederherstellung der Metallgitter beteiligt.

Der Stadtgottesacker wurde im Jahre 2011 von einer Jury mit dem Bestattungen.de-Awards ausgezeichnet und zu den drei schönsten Friedhöfen in Deutschland gewählt.[2]

Beschreibung

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Typische Gestaltung einer Gruft aus dem Barock
 
Epitaph des Gottfried Olearius im Gruftbogen 74
 
Gruftbogen 80/81: Franckesche Familiengruft
 
Reliefporträt Georg Friedrich Händels von Bernd Göbel am Gruftbogen 60
 
Grabstelle von Fritz Gustav von Bramann im Innenraum der Friedhofsanlage

Die Anlage hat die Form eines unregelmäßigen Vierecks und misst 113 × 123 × 129 × 150 Meter. Die Seiten sind mit einer fünf bis sechs Meter hohen Mauer gesichert. Deswegen wirkt der Stadtgottesacker von außen wie ein stark befestigtes Kastell. Bastionen und Schießscharten lassen erkennen, dass der Friedhof auch als Element der Stadtverteidigung diente. Den Eingang auf der Stadtseite im Westen versahen Hoffmanns Nachfolger 1590 mit einem Torturm. Über dem Bogen des inneren Eingangs befindet sich ein Reliefbildnis Nickel Hoffmanns. Es handelt sich um eine Kopie des aus dem Ende des 16. Jahrhunderts stammenden Porträts. Das Original befindet sich im Stadtmuseum Halle. 1721 und 1832 wurde der Friedhof nach Norden und nach Osten hin erweitert.

Die Felder über und die Pfeiler zwischen den Bögen sind mit Rankenornamenten geschmückt und teilweise mit Putten, Symbolen und Fantasiegestalten versehen. Die Rundbögen enthalten auch Bibelverse beider Testamente. Die Grabnischen bilden keine zusammenhängende Raumfolge, sondern sind durch Mauern kapellenartig voneinander getrennt. Die gesamte Arkadenanlage ist mit einem hohen Satteldach bedeckt.

Bestattungsmöglichkeiten

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Nach der Friedhofssatzung vom 14. Januar 2000 werden wieder Urnenbeisetzungen durchgeführt. Im Grabfeld steht eine begrenzte Anzahl Grabstätten ohne Grabmal dafür zur Verfügung. Für Gräber mit vorhandenen und unter Denkmalschutz stehenden Grabmalen können von den Nachkommen der Bestatteten neue Nutzungsrechte erworben werden. Nutzungsrechte für Grabbögen und Grabstätten von Persönlichkeiten der Stadtgeschichte werden nicht neu vergeben.

Um zusätzliche Beisetzungsmöglichkeiten zu schaffen, wurden in 10 Schwibbögen Urnennischen eingebaut, um diese als Kolumbarien zu nutzen; weitere sind geplant.

Grabanlagen und Persönlichkeiten

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Unter den Grabbögen und im Innenraum ruhen wichtige Honoratioren der Stadt und bedeutende Professoren der halleschen Universität, so unter anderem (chronologisch nach Geburtsjahr):

Sonstiges

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In Leipzig gab es vor dem Grimmaischen Tor mit dem 1536 errichteten Alten Johannisfriedhof eine ähnliche Anlage, die aber so nicht mehr existiert. Auch der Kronenfriedhof in der Lutherstadt Eisleben und der Alte Friedhof in Buttstädt bei Weimar waren entsprechend gestaltet.

Siehe auch

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Literatur

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  • Anna-Franziska von Schweinitz: Der Stadtgottesacker in Halle In: Die Gartenkunst 5 (1/1993), S. 91–100
  • Autorenkollektiv: Der hallesche Stadtgottesacker – Einzigartige Friedhofsanlage der deutschen Renaissance. Hrsg.: Stadt Halle (Saale), 2., erweiterte und aktualisierte Nachauflage 2003; ohne ISBN
  • Anja A. Tietz: Der Stadtgottesacker in Halle (Saale). Fliegenkopf, Halle 2004; ISBN 3-930195-66-6
  • Autorenkollektiv: Der Stadtgottesacker in Halle. Bilder, Eindrücke und Gedanken. mdv, Halle 2004; ISBN 3-89812-195-X
  • Uta Tintemann: Der Stadtgottesacker in Bildern. Druckerei H. Berthold, Halle 2011; ISBN 978-3-00-036750-2
  • Anja A. Tietz: Der frühneuzeitliche Gottesacker – Entstehung und Entwicklung unter besonderer Berücksichtigung des Architekturtypus Camposanto in Mitteldeutschland. Landesamt für Denkmalpflege, Halle 2012; ISBN 978-3-939414-83-4
  • Autorenkollektiv: Der Friedhofswegweiser. Herausgeber und Redaktion: Mammut-Verlag in Zusammenarbeit mit der Stadt Halle, 4. Ausgabe 2015; ohne ISBN
  • Joachim Penzel: Ein Requiem in Stein. Die Neugestaltung des halleschen Stadtgottesackers durch Gegenwartskünstler. Mitteldeutscher Verlag, Halle (Saale) 2018; ISBN 978-3-95462-931-2.
  • Sven Höhne: Auf Gottes Acker. Camposanti in Halle, Buttstädt und Eisleben. Mitteldeutscher Verlag, Halle 2020, ISBN 978-3-96311-383-3.
  • Klaus Krüger (Hrsg.): Die Inschriften des Stadtgottesackers in Halle an der Saale (1550–1700). Quellen zum Bürgertum einer Stadt in der frühen Neuzeit. In: Hallische Beiträge zur Geschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Band 12. De Gruyter, Berlin 2021, ISBN 978-3-05-006420-8, doi:10.1515/9783110700145 (Open-Access-Veröffentlichung).
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Commons: Stadtgottesacker Halle – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. Handwerk, Technik, Industrie. In: Monumente, Magazin für Denkmalkultur in Deutschland, Nr. 4, August 2015, S. 18/19.
  2. Die schönsten Friedhöfe 2011 auf www.bestattungen.de

Koordinaten: 51° 28′ 56″ N, 11° 58′ 39″ O