Kernkraftwerk Lingen

Kernkraftwerk in Niedersachsen, seit 1979 stillgelegt

Das Kernkraftwerk Lingen (KWL) in Lingen war ein Siedewasserreaktor, mit dessen Bau 1964 begonnen wurde und der als Demonstrationsanlage für spätere Siedewasserreaktoren dienen sollte.[1] Der Reaktor hatte eine thermische Leistung von 540 MW, der mit Mineralöl befeuerte Überhitzer hatte eine thermische Leistung von 214 MW.[2] Daraus ergab sich für das Kraftwerk eine elektrische Leistung von 250 MW, hiervon 82 MW aus dem Überhitzer. Aufgrund des ölbefeuerten Überhitzers verfügte das Kraftwerk – ungewöhnlich für ein Kernkraftwerk – über einen ca. 150 Meter hohen Schornstein. Dieser wurde im Sommer 2009 im Zuge der Rückbauarbeiten am Kraftwerk abgerissen und durch einen kleineren ca. 60 Meter hohen Fortluftkamin ersetzt.[3][4]

Kernkraftwerk Lingen
Kernkraftwerk Lingen im August 2010
Kernkraftwerk Lingen im August 2010
Lage
Kernkraftwerk Lingen (Niedersachsen)
Kernkraftwerk Lingen (Niedersachsen)
Koordinaten 52° 28′ 58″ N, 7° 18′ 2″ OKoordinaten: 52° 28′ 58″ N, 7° 18′ 2″ O
Land Deutschland Deutschland
Ort Lingen (Ems)
Daten
Eigentümer RWE Nuclear GmbH
Betreiber Kernkraftwerk Lingen GmbH
Projektbeginn 1964
Betriebsaufnahme 1. Juli 1968
Stilllegung 5. Januar 1979

Stillgelegte Reaktoren (Brutto)

1  (268 MW)
Schornsteinhöhe 60 m
Eingespeiste Energie 1976 1.195,7 GWh
Eingespeiste Energie seit Inbetriebnahme 9.136 GWh
Website RWE
Stand 2020
Luftbild des Kraftwerkstandorts (2018). Im Vordergrund ist das Kernkraftwerk Emsland zu sehen, das Kernkraftwerk Lingen befindet sich am rechten oberen Bildrand.
Luftbild des Kraftwerkstandorts (2018). Im Vordergrund ist das Kernkraftwerk Emsland zu sehen, das Kernkraftwerk Lingen befindet sich am rechten oberen Bildrand.

Luftbild des Kraftwerkstandorts (2018). Im Vordergrund ist das Kernkraftwerk Emsland zu sehen, das Kernkraftwerk Lingen befindet sich am rechten oberen Bildrand.

Unmittelbar neben dem Kernkraftwerk Lingen befindet sich das Erdgaskraftwerk Emsland und wenige Kilometer südöstlich das Kernkraftwerk Emsland.

Geschichte

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Im Jahre 1968 nahm der VEW-Konzern in der damaligen Gemeinde Darme das Kernkraftwerk Lingen in Betrieb. Es war eines der ersten kommerziellen Kernkraftwerke Deutschlands. Im Jahr 1977 wurde der nukleare Teil des Kraftwerks nach einem Schaden im Dampfumformersystem stillgelegt und befand sich von 1988 bis 2013 im sicheren Einschluss.

1989/90 erlangte der Standort des Kraftwerks noch einmal Aufmerksamkeit, weil auf dem dortigen Gelände nach der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl radioaktiv belastetes Molkepulver gelagert und bearbeitet wurde. Insgesamt 5000 Tonnen Molkepulver aus der bayerischen Käseproduktion, das ursprünglich mit bis 8000 Becquerel Cäsium-137 pro Kilogramm kontaminiert war, wurden mit einem von Franz Roiner entwickelten Ionenaustauschverfahren behandelt; danach betrug die Kontamination noch 100 Becquerel pro Kilogramm.[5] Nach der Behandlung wurde dieses Molkepulver als Viehfutter weiterverwertet.[6] 100 Becquerel pro Kilogramm entsprechen dem seit 2012 in Japan geltenden Grenzwert für Lebensmittel[7] und sind niedriger als die derzeit in der EU geltenden Grenzwerte von 330 Bq/kg für Säuglingsnahrung bzw. 600 Bq/kg für Nahrungsmittel für Erwachsene.[8] Der japanische Grenzwert, welcher aufgrund der Ereignisse von Fukushima gesenkt worden war, zählt zu den niedrigsten der Welt. Gemäß der spezifischen Aktivität von Caesium-137 von 3,215 TBq/g waren in den unbehandelten 5000 Tonnen Molkenpulver rund 12,4 Milligramm 137Cs enthalten.

Das Kraftwerk gehörte ursprünglich dem VEW-Konzern. Seit dessen Fusion mit RWE im Jahr 2000 – also lange nach der Stilllegung – gehörte es zu RWE Power und inzwischen zur RWE Nuclear GmbH, die den gesetzlich vorgeschriebenen Rückbau von Kernkraftwerksanlagen sowie die Verpackung von radioaktiven Abfällen sicherstellen soll.

Mit dem Genehmigungsbescheid vom 21. Dezember 2015 hat das Niedersächsische Ministerium für Umwelt, Energie und Klimaschutz die erste atomrechtliche Teil-Genehmigung für den Abbau des Kernkraftwerks Lingen erteilt. Die Genehmigung regelt insbesondere den Abbaubetrieb, den Abbau der nicht kontaminierten und der kontaminierten Anlagenteile und die Zwischenlagerung von radioaktiven Abfällen.

Für den Abbau der aktivierten Anlagenteile ist eine weitere atomrechtliche Genehmigung erforderlich. Der anschließende konventionelle Abriss nach Entlassung aus der atomrechtlichen Überwachung bedarf keiner weiteren atomrechtlichen Genehmigung.

Nach den Planungen soll der Abbau etwa zwanzig Jahre dauern.[9]

Daten des Reaktorblocks

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Das Kernkraftwerk Lingen besaß einen Kraftwerksblock:

Reaktorblock[10] Reaktortyp Netto­leistung Brutto­leistung Baubeginn Netz­synchronisation Kommer­zieller Betrieb Abschal­tung
Lingen (KWL) Siedewasserreaktor 183 MW 268 MW 1. Okt. 1964 1. Juli 1968 1. Okt. 1968 5. Jan. 1979

Siehe auch

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Commons: Lingen Nuclear Power Plant – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. Joachim Radkau & Lothar Hahn: Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft. oekom, München 2013. S. 319.
  2. Noam Lior: Energy, Exergy and Thermoeconomic Analysis of the Effects of Fossil-Fuel Superheating in Nuclear Power Plants. (PDF; 587 kB) In: Energy Conversion and Management. 1997, abgerufen am 24. Januar 2020 (englisch).
  3. 150-Meter-Schornstein rückgebaut. In: Allgemeine Bauzeitung. 23. April 2010, abgerufen am 24. Januar 2020.
  4. Genehmigungsbescheid I/2008 für das stillgelegte Kernkraftwerk Lingen. (PDF) Niedersächsisches Ministerium für Umwelt und Klimaschutz, 26. September 2008, abgerufen am 24. Januar 2020.
  5. Saure Briketts. In: Spiegel Online. 9. März 1987, abgerufen am 24. Januar 2020.
  6. Kommentiertes Register des Sachgebietes Nahrungsmittel-Belastungen. In: strahlentelex.de. Abgerufen am 23. März 2011.
  7. https://www.mhlw.go.jp/english/topics/2011eq/dl/new_standard.pdf
  8. https://www.umweltanalysen.com/radioaktivitaet/caesium-137/
  9. Erteilung des Genehmigungsbescheids 1/2015 für den Abbau [Teilprojekt 1] des Kernkraftwerks Lingen (KWL). Niedersächsisches Ministerium für Umwelt, Energie, Bauen und Klimaschutz, 12. Januar 2016, abgerufen am 24. Januar 2020.
  10. KWL bei der IAEO