Code Red - Zwischen den Fronten: Thriller
Von Vince Flynn und Kyle Mills
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Über dieses E-Book
CIA-Agent Mitch Rapp hasst es, jemandem einen Gefallen zu schulden – erst recht, wenn dieser Jemand der mächtigste Verbrecherboss der Welt ist. Als Damian Losa ihn kontaktiert, hält er es jedoch für eine Frage der Ehre, ihm zu helfen.
Ein hochgradig süchtig machendes Rauschgift, im Auftrag der syrischen Regierung entwickelt, verbreitet sich rasant in Europa und droht, Losa aus dem Geschäft zu drängen. Rapp soll im Nahen Osten für ihn das Übel mit der Wurzel ausrotten.
Wie sich herausstellt, steckt nicht Damaskus hinter der Droge, sondern Russland.
Rapp muss einen Neubeginn des Kalten Krieges verhindern und dabei auf einem Schlachtfeld kämpfen, auf dem die Loyalitäten fast stündlich wechseln.
Eine globale Herausforderung für den Helden aus dem Hollywood-Blockbuster American Assassin!
The Real Book Spy: »Eine Story, die wieder mal direkt aus den Schlagzeilen der nächsten Woche zu stammen scheint.«
Townhall: »Ein Expresszug, der mitten ins Abenteuer rauscht.«
Vince Flynn
Vince Flynn wird von Lesern und Kritikern als Meister des modernen Polit-Thrillers gefeiert. Dabei begann seine literarische Laufbahn eher holprig: Der Traum von einer Pilotenlaufbahn beim Marine Corps platzte aus gesundheitlichen Gründen. Stattdessen schlug er sich als Immobilienmakler, Marketingassistent und Barkeeper durch. Neben der Arbeit kämpfte er gegen seine Legasthenie und verschlang Bücher seiner Idole Hemingway, Ludlum, Clancy, Tolkien, Vidal und Irving, bevor er selbst mit dem Schreiben begann. Insgesamt 60 Verlage lehnten sein Roman-Debüt ab. Doch Flynn gab nicht auf und veröffentlichte es in Eigenregie. Der Auftakt einer einzigartigen Erfolgsgeschichte: Term Limits wurde ein Verkaufsschlager, ein großer US-Verleger griff zu, die Folgebände waren fortan auf Spitzenpositionen in den Bestseller-Charts abonniert. Der Autor verstarb 2013 im Alter von 47 Jahren infolge einer Krebserkrankung. Der Anti-Terror-Kämpfer Mitch Rapp ist der Held in bisher 23 Romanen. Aufgrund des bahnbrechenden Erfolgs (Verkauf alleine in den USA schon über 20 Millionen Bücher) wird die Reihe in Absprache mit Flynns Erben inzwischen von Kyle Mills und Don Bentley fortgesetzt.
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Buchvorschau
Code Red - Zwischen den Fronten - Vince Flynn
Impressum
Die amerikanische Originalausgabe Code Red
erschien 2023 im Verlag Emily Bestler/Atria Books, Simon & Schuster.
Copyright © 2023 by Cloak & Dagger Press, Inc.
Copyright © dieser Ausgabe 2025 by Festa Verlag GmbH, Leipzig
Veröffentlicht mit Erlaubnis von Emily Bestler/Atria Books,
ein Unternehmen von Simon & Schuster, Inc., New York.
Titelbild: NeatDesign / 99Designs
Alle Rechte vorbehalten
eISBN 978-3-98676-184-4
www.Festa-Verlag.de
www.Festa-Action.de
VORBEMERKUNG
Da ich den Mitch-Rapp-Abschnitt meiner Karriere hiermit beende, denke ich an all die Menschen, die ihn überhaupt möglich gemacht haben. An meinen Agenten Simon Lipskar, der diese Möglichkeit zuerst in Betracht gezogen hat. An Sloan Harris und Emily Bestler, die mir vertraut, mich unterstützt und mit absoluter Professionalität begleitet haben. An David Brown und sein Team als Quelle unerschöpflicher Energie und Kreativität. An Lara Jones, die dafür sorgte, dass alles harmonisch ineinandergriff. Und an Ryan Steck, der nicht nur über ein unvergleichliches Wissen über das Rapp-Universum verfügt, sondern mir trotz anfänglicher Zweifel blind vertraute. Mein Dank gilt außerdem Rod Gregg, der mir geduldig die Komplexität von Feuerwaffen erklärt und mir so Kritik der fanatischen Fans erspart hat. Und Elaine Mills für all ihre Kritiken und Ermutigungen. Und zu guter Letzt meiner Frau Kim. Der Frau, die es mit mir aushält, mir gut zuredet und mir alles zutraut.
Vor allem aber möchte ich mich bei den Fans von Vince bedanken. Ich war überwältigt von eurem Enthusiasmus für dieses Projekt, von der Bereitschaft, mit der ihr mich sofort in die Familie aufgenommen habt, und von eurer Leidenschaft für die Figur und die Welt, die sie bewohnt. Es war beängstigend, einen der führenden Vertreter des Politthriller-Genres zu ersetzen, und es waren die Menschen da draußen, die mir die Daumen gedrückt haben und ohne die ich es vermutlich nicht geschafft hätte.
Meine unendliche Dankbarkeit gilt euch allen. Es war ein erstaunliches Jahrzehnt, und jetzt geht es erst richtig los!
PROLOG
Salerno, Italien
Der Nebel, der den Sonnenuntergang trübte, wurde mit fortschreitendem Verlauf der Nacht drückender. Die Sichtverhältnisse waren dank der hellen Lichter des Handelshafens von Salerno relativ gut. Absar Mussa fragte sich, ob das auf Dauer so blieb.
Nur wenn Allah es so will.
Er wischte das Kondenswasser vom Fernglas ab und blickte erneut hinter sich. Die vordere Baumreihe erstrahlte in neonhellem Grün, dahinter wurde die Dunkelheit undurchdringlich. Der steile Abhang war selbst bei Tageslicht schwierig zu bezwingen gewesen. Mittlerweile dürfte die Strecke sogar für die Drogensüchtigen und Graffitikünstler, die sich normalerweise in diesem Abschnitt der alten Mauer herumtrieben, zu gefährlich sein. Dennoch hielt er es für unklug, sich blind auf diese Annahme zu verlassen.
Er griff zum Fernglas und ließ den Blick langsam über die Umgebung gleiten. Die grünen Berge und die kunstvoll illuminierte Burgruine. Die moderne Stadt und das düstere Meer dahinter. Schließlich konzentrierte er sich auf das, was ihn hergeführt hatte: den Hafen.
Mussa war im Laufe des letzten Jahres zu einer Art Experte für komplexe Herausforderungen gereift, aber Ausmaß und Komplexität dieser Mission verblüfften ihn nach wie vor. Er sondierte einen angedockten Frachtkahn, auf dem eine Reihe von Kränen bunte Container vom Deck hievte. Aus dieser Entfernung gewann man den Eindruck, dass ein Schwarm hoch spezialisierter Insekten das Spielzeug eines unsichtbaren Kindes wegtrug.
Daran ließ sich die westliche Gesellschaft am deutlichsten erkennen: am steten Strom von Waren, die ihren materialistischen Wahn bedienten. Die bedeutungslosen Besitztümer, die sie anhäuften, um einen Platz zu besetzen, der Allah – und nur Allah – zustand.
Er zog sich ein paar Schritte in die Deckung der Bäume zurück, um Schutz vor dem zunehmenden Regen zu suchen. Aus der neuen Position heraus konzentrierte er sich auf einen grellgelben Container, der auf einem Dock im Osten abgesetzt worden war. Die von ihm beauftragten Schmuggler hatten sorgsam darauf geachtet, dass der Behälter in keiner Weise auffiel, und dabei tadellose Arbeit geleistet. Er wusste, was sich im Inneren befand, und verstand trotzdem nicht, warum man solch einen immensen Aufwand betrieb, die Lieferung hierherzuschaffen.
Angeblich handelte es sich um Ersatzteile für die Reparatur von landwirtschaftlichen Geräten. Nur wenige wussten, dass im Container ferner 15 Tonnen Captagon versteckt waren, ein in Europa selten anzutreffendes, im Nahen Osten jedoch außerordentlich beliebtes Rauschgift. Er selbst hatte es eingenommen, während er für den Islamischen Staat in Syrien kämpfte, und war später in Herstellung und Vertrieb involviert gewesen.
Den kleinen weißen Pillen mit den zwei Mondsicheln kam eine überraschend prominente Rolle im Kampf um die Verbreitung der göttlichen Wahrheit zu. Sie steuerten Milliarden an harter Währung zur Finanzierung des Dschihad bei und unterdrückten Angst und Müdigkeit bei den Männern, die ihn ausfochten.
Die Droge in diesem Behältnis war jedoch nicht mit der Substanz vergleichbar, mit der er in seiner Zeit als Krieger zu tun gehabt hatte. Es handelte sich um eine einzigartige Rezeptur, stark genug dosiert, um den Verlauf des Krieges gegen den Westen zu verändern. Um die Waagschalen zurück in Richtung der Armee Gottes pendeln zu lassen.
Unter der Leitung von unsichtbaren Wohltätern hatte Mussa die letzten 20 Monate damit verbracht, ein europäisches Vertriebsnetz aufzubauen, das ausschließlich aus Gläubigen bestand. Es war nicht besonders schwierig gewesen, unzufriedene Einwanderer ausfindig zu machen, die sich nicht in die Gesellschaft integrieren wollten, in der sie lebten. Junge Männer, die sich nach einem Schuldigen für ihr Elend sehnten. Nach einem Sinn für ihr Leben. Einem Ziel. Alles Elemente, in deren Vermittlung Mussa zum Experten herangereift war. Von den Imamen seiner Jugend hatte er gelernt, mit unerschütterlicher Gewissheit über Diskriminierung und Korruption zu predigen. Über Imperialismus und Ketzerei. Die Verführung der Töchter und Ehefrauen dieser Männer durch die billigen Verlockungen des Westens bis ins kleinste Detail zu schildern. Und wenn sie sich von solchen Argumenten nicht überzeugen ließen, bot Mussa ihnen einfach etwas von dem Geld an, über das seine schattenhaften Herren in unbegrenzter Menge zu verfügen schienen.
Die Armee, die Mussa aufgebaut hatte, war jetzt vollständig. Man hatte europäische Regierungsbeamte bestochen, geheime Verteilzentren eingerichtet, Waffen beschafft und engagiertes Personal rekrutiert.
Endlich, nach vielen Misserfolgen, begann der Krieg von Neuem. Aber auf einem gänzlich anderen Schlachtfeld als vorher. Es war an der Zeit, sich einzugestehen, dass die Anhänger des Islam dem westlichen Militär niemals gewachsen sein würden. Seine Partei errang niemals den Sieg, wenn sie versuchte, die Abwehr des Feindes direkt zu durchdringen. Nein, man musste sie dort treffen, wo sie schwach waren. An der weichen Flanke, die seine Kampfesbrüder ignorierten, da sie Ruhm und Vergeltung mehr lockten als der eigentliche Sieg.
Das Mobiltelefon in seiner Tasche vibrierte, doch er machte sich gar nicht erst die Mühe, die SMS zu lesen. Er wusste ohnehin, was darin stand. Sein Mann hatte die Hafeneinfahrt erreicht.
Mussa richtete den Blick auf die Lastwagen, die den ersten Kontrollpunkt passierten, und hielt nach einem hellblauen Sattelschlepper mit weißem Container Ausschau. Er spürte, wie sein Magen verkrampfte, als der Fahrer – ein besonders eifriger junger Rekrut namens Jafar Said – vor der Schranke hielt und den Ausweis durchs Fenster reichte. Nicht dass die Aktion im grellen Scheinwerferlicht und im Regen tatsächlich sichtbar gewesen wäre, aber Mussa hatte sich so an die Abläufe auf dem Dock gewöhnt, dass es ihm schwerfiel, zwischen dem, was er tatsächlich sah, und dem, was sich vor seinem geistigen Auge abspielte, zu unterscheiden.
Er atmete erleichtert auf, als der Lkw die Sicherheitskontrolle passierte und in den Bereich fuhr, in dem er vom leeren Container befreit werden sollte. Nachdem Mussa sich vergewissert hatte, dass der Sattelschlepper sein Ziel erreicht hatte, richtete er die Aufmerksamkeit auf einen Kran, der sich der Ladung widmete, zu der auch ein Behälter aus dem syrischen Hafen Tartus gehörte. Der Container, auf dessen Anlieferung er sich fast zwei Jahre lang vorbereitet hatte.
Alles lief so, wie in den endlosen Stunden ausgetüftelt, die er mit der Überwachung des Hafens verbracht hatte. Mit der Zeit empfand er die ewig gleichen Abläufe als seltsam beruhigend. Heute wurde dieser meditative Bann durch einen Adrenalinschub gestört.
Sobald das Chassis des Sattelschleppers leer war, näherte sich der Lkw dem Kran, der den betreffenden Container fest im Griff hatte. Mussa verfolgte, wie er auf den Boden gesenkt und von einem Lader aufgenommen wurde. Sein Mann stoppte an der vorgesehenen Stelle und die schwerfällige Maschine deponierte die Metallkiste auf dem Fahrgestell.
Der Rest hätte eigentlich ein Selbstläufer sein müssen. Eine kurze mechanische Inspektion, gefolgt von einer Überprüfung der Papiere des Fahrers. Stattdessen beschleunigten plötzlich zwei in der Nähe geparkte Servicefahrzeuge und blockierten den Lkw vorn und hinten. Versteckte Scheinwerfer erwachten zum Leben und strahlten eine Reihe von Hafenarbeitern an, die sich als bewaffnet herausstellten – von Handfeuerwaffen bis hin zu Sturmgewehren.
Mussa kämpfte gegen den Drang an, sich zu übergeben. Nein, nicht nur die letzten zwei Jahre, in Wahrheit hatte er sein ganzes Leben auf diesen Moment hingearbeitet. Seit dem Besuch der Gebetsschule in seiner Jugend. Seit den tödlichen Schlachten im Nahen Osten. Seiner Infiltration nach Europa und der Rekrutierung für die Organisation, die er inzwischen leitete.
Die undichte Stelle, die zu dieser Katastrophe geführt hatte, war nicht in seinem Team zu suchen. Daran bestand für ihn kein Zweifel. Er hatte sich persönlich um jedes noch so kleine Detail gekümmert. Er hatte nur die fanatischsten und folgsamsten Männer ausgewählt. Er hatte die Informationen auf unterschiedliche Schultern verteilt, damit kein Einzelner über ausreichend Wissen verfügte, ein Leck dieses Ausmaßes zu verursachen.
Die einzige plausible Erklärung war, dass ihn jemand verraten hatte. Einer der unsichtbaren Männer im Hintergrund, für die er arbeitete, musste von den europäischen Behörden kompromittiert worden sein. Es gab keine andere Erklärung.
Mussas anfänglicher Schock wich einer Mischung aus Wut und Verzweiflung. Er setzte eine kurze SMS mit dem Handy ab. Die Armee der Gottlosen hatte diesen Teil der Schlacht zweifellos gewonnen, doch für ihren Sieg würde sie einen hohen Preis bezahlen. Die Italiener würden bald merken, dass sie es nicht länger nur mit den alten Säcken ihrer lokalen Mafia zu tun hatten.
Eine neue Art von Droge verlangte nach einer neuen Art von Verbrecher.
Jafar Said blinzelte durch die Windschutzscheibe und starrte das Fahrzeug, das ihm den Weg versperrte, und die bewaffneten Männer an, deren Zahl mit jeder Sekunde anwuchs. Die Scheinwerfer, die ihn anfangs nur geblendet hatten, raubten ihm durch die hinzugekommenen wirbelnden Lichtorgeln der Polizeifahrzeuge nun vollends die Orientierung.
Eine Falle!
Er spähte in den Seitenspiegel und bemerkte Männer, die sich langsam seiner Fahrertür näherten oder den Container abschirmten, den er in Sicherheit bringen sollte. Ein Ping ertönte auf dem Telefon, das am Armaturenbrett befestigt war, und er las die Nachricht, während jemand Anweisungen auf Arabisch über ein Megafon erteilte:
Kurbeln Sie das Fenster runter!
Strecken Sie die Hände raus, damit wir sie sehen können!
Er war nicht hergekommen, um als Märtyrer zu sterben. Seine Aufgabe bestand darin, den Container an einen Bestimmungsort außerhalb von Bergamo zu bringen. Mehr wusste er nicht. Nicht was hinter dem Auftrag steckte. Nicht was er da transportierte. Nicht wer am Ziel auf ihn wartete. Solche Details interessierten ihn nicht. Ihm genügte es, die Gegenwart des Allmächtigen zu spüren und ihm zu dienen.
Doch nun war die Mission gescheitert und seine Befehle hatten sich geändert. Es gab nur noch eins zu erledigen. Eine letzte Tat, die ihm die Umarmung Allahs bescherte.
Said legte den Gang ein und rammte das Fahrzeug vor ihm. Es schaukelte in der Aufhängung, geriet ins Schleudern und machte einen unbeholfenen Satz, wobei die Reifen von den Felgen gerissen wurden. Die Kommandos wurden lauter, aber niemand feuerte eine Waffe ab. Sie wollten ihn lebendig. Sie wollten ihn foltern. Sie wollten ihn zwingen, seine Brüder zu verraten und sich vom Schöpfer abzuwenden.
Funken sprangen vom Auspuff des Fahrzeugs in die Höhe, das vorn an seinem Kühlergrill hing, dann war er plötzlich frei. Er schaltete durch die Gänge und erhöhte das Tempo. Die Menschen auf dem Dock ergriffen panisch die Flucht. Er streifte einen und erwischte einen zweiten frontal, wobei er ihn unter die Räder des Lastwagens zog und die Federung mit einem satten Ruckeln reagierte.
Die ersten Schüsse fielen, als er das Lenkrad nach links riss und auf einen flüchtenden, als Hafenarbeiter verkleideten Mann zuraste. Löcher bildeten sich in der Windschutzscheibe, aber er ignorierte sie. Etwas schlug ins Seitenfenster ein, verteilte Glassplitter in seinem Gesicht und machte ihn auf einem Auge blind. Trotzdem verspürte er keinen Schmerz. Nur Hass und ein seltenes Hochgefühl.
Said riss das Lenkrad erneut herum, als seine Beute nach rechts abbog, doch diesmal verlor der Anhänger die Bodenhaftung. Das Gewicht des Containers zog ihn auf die Seite. Er riss die Tür auf und sprang ins Freie, gespannt auf das, was als Nächstes passierte. Er hatte die Erlaubnis für einen letzten Racheakt gegen die Unterdrücker seines Volkes erhalten und gedachte, sie zu nutzen.
Seine Füße schlugen zuerst auf, aber der Schwung war zu groß, um ihn zu kontrollieren. Hilflos kullerte er über eine Rampe. Der Abstand reichte aus, sein Leben zu retten, als die Bombe im hinteren Teil des Lkw-Fahrerhauses hochging, doch seine Kleidung fing Feuer. Wieder gab es keinen Schmerz. Nur einen gelblichen Feuerschein, der sich in seinem noch intakten Auge widerspiegelte.
Said kämpfte sich auf die Beine und nahm ein paar Meter weiter die vagen Umrisse einer menschlichen Gestalt wahr. Die Kugeln, die ihn trafen, spürte er kaum, als er sich mit letzter Kraft auf den anderen warf und ihn festhielt, während die Flammen sie einhüllten.
Zu diesem Zeitpunkt konnte er nichts mehr sehen, aber, Allah sei gepriesen, er blieb in der Lage, die Schreie seines Opfers zu hören.
1
Hindukusch-Gebirge, Afghanistan
Mitch Rapp hob kurz die Faust, bevor er sich neben einen Haufen Geröll kauerte. Die Männer hinter ihm taten das Gleiche, verschmolzen mit der Dunkelheit und hielten nach Bedrohungen Ausschau.
Manchmal waren die Bedrohungen jedoch nicht sofort als solche identifizierbar.
Im Norden zeichnete sich die Gebirgskette des Hindukusch im Glanz der Sterne ab. Auf einigen der höheren Gipfel lag noch Schnee, der im Sternenschein matt glänzte. Sie dominierten alles in dieser Region und stellten sowohl eine tödliche Gefahr für die Bewohner als auch die Garantie für deren Überleben dar. Selbst die flache Schlucht, in der Rapp sich aufhielt, war das Resultat uralter Gletscher, die sich ihren Weg durch die Talsohle gebahnt hatten.
Wasser war ein knappes Gut, doch die Tatsache, dass der Graben zu seiner Linken von niedrigem Gras und Gestrüpp gesäumt wurde, deutete auf ein Vorkommen dicht unter der Oberfläche hin. Es reichte nicht für etwas, das die meisten Menschen als Zivilisation bezeichnet hätten, aber ein paar beherzten Seelen diente die karge Umgebung als isolierte Existenz. Und trotz all ihrer Fehler konnte niemand den Afghanen ihr Herz absprechen.
Eine große landwirtschaftliche Fläche vor ihnen ließ vermuten, dass sie sich dem Ziel näherten. Aus diesem Grund hatten sie kurz gestoppt, um sich zu orientieren. Der Eindruck, den er durch die Aufklärungsfotos gewonnen hatte, bestätigte sich: Der primitive Acker schien seit einiger Zeit brach zu liegen. Ein paar Steinbarrieren und Terrassen waren alles, was von der einstigen Pracht übrig blieb. Höchstwahrscheinlich hatte ein Familienbetrieb hier einst Mohn angebaut und ein paar Ziegen mitgebracht. Ein Afghanistan, wie man es kannte und wie es jetzt wieder war.
Der Krieg hatte endlich aufgehört – ziemlich genau so, wie von Rapp erwartet. In gewisser Weise war Amerika ein ständiges Opfer des eigenen Erfolgs. Im Laufe von einigen Hundert Jahren hatte es sich vom britischen Kolonialgebiet zum mächtigsten Machtgefüge der Neuzeit entwickelt. Es hatte die ultimative Geheimsoße entwickelt und gab das Rezept bereitwillig an alle Interessierten weiter. Wer hätte da nicht dankend zugegriffen? Wenn das US-Militär über die Grenze rollte, dann nicht um ein Land zu unterjochen, sondern um es aus der Unterdrückung zu befreien, für Bildung und Gesundheit zu sorgen und eine Infrastruktur aufzubauen. Einen schlaglochfreien Weg zu Frieden, Freiheit und Wohlstand.
Überall Regenbogen und Einhörner. Was konnte da schon schiefgehen?
Dieselbe Antwort wie immer: alles.
Den Amerikanern war es nie gelungen, eine afghanische Regierung zu installieren, die nicht einer Kombination aus den Three Stooges und Magneto glich. Das schuf ein Umfeld, in dem das US-Militär die Verwaltungsangelegenheiten übernehmen musste, während sich die afghanischen Beamten darauf konzentrierten, alles zu klauen, was nicht niet- und nagelfest war. Ironischerweise hielt nicht das Vertrauen in die eigene Regierung Afghanistan während der Besatzung einigermaßen im Lot, sondern das Vertrauen in die amerikanische Politik. Ähnlich wie bei den Römern in grauer Vorzeit konnte man sich mehr oder weniger darauf verlassen, dass die USA ihre Vereinbarungen einhielten, Leute pünktlich entlohnten und alle anfallenden Pflichten erledigten.
Als diese Rundumversorgung abrupt endete, wurden die Einheimischen vor die Wahl gestellt und entschieden sich für die Taliban. Vor dieser Entwicklung hatte Rapp die Mächtigen in Washington öfter gewarnt, als er zählen konnte. Die Taliban waren zwar brutal und repressiv, aber sie agierten auch berechenbar. Und in diesem Teil der Welt kam Berechenbarkeit einem stabilen Zustand so nahe, wie es überhaupt möglich schien.
Daheim in den USA folgten auf das Chaos des Krieges unweigerlich das Chaos des Rückzugs und später ein Chaos von Schuldzuweisungen: Generäle gegen Politiker, Politiker gegen Geheimdienste, Offiziere gegen Generäle, Soldaten gegen Offiziere. In Wahrheit war der Krieg auf sämtlichen Ebenen ein kapitaler Misserfolg gewesen. Das erschöpfte amerikanische Volk zog es vor, so zu tun, als hätte es ihn nie gegeben.
All das führte ihn in diesem Moment an diesen Ort.
Es gab noch etwas mehr als 20 Amerikaner, die unter verschiedenen Umständen im Land festsaßen. Leider war das keine Story, die irgendjemand hören wollte. Sie passte nicht zum Image des ehemaligen Präsidenten als gottgleichem Herrscher des Universums, und die US-Medien sahen keinen Nutzen darin, einem Thema Sendezeit zu widmen, das die Zuschauer dazu trieb, gelangweilt zur Fernbedienung zu greifen. Glücklicherweise setzten sich die Geheimdienste nach einem neuen Präsidenten im Oval Office und der Rückkehr von Irene Kennedy an die Spitze der CIA endlich mit dem Thema auseinander.
Zumindest in der Theorie.
Nach zwei Minuten der Bewegungslosigkeit hatte Rapp nichts gehört, was nicht auf die durch die Berge gefilterte Luft zurückzuführen war. Er wies seine Leute an, ihm zu folgen, und huschte den abgetretenen Pfad entlang.
Sie hatten es bereits geschafft, acht Geiseln auf die simpelste aller Arten zu befreien: mit Geld. Die Taliban-Herrschaft stürzte weite Teile des Landes in so bittere Armut, dass es selbst den zähen Afghanen schwerfiel, sich über Wasser zu halten. Es drohte eine Hungersnot. Berichte über Menschen, die sich gezwungen sahen, ihre Kinder zu verkaufen, um zu überleben, nahmen täglich zu.
Es war ein Ausmaß an Verzweiflung, das selbst die hartgesottensten Dschihadisten kurzzeitig ihre Rache herunterschlucken ließ, um die eigene Familie ernähren zu können. Mit einer Ausnahme war jeder Entführer, zu dem sie Kontakt aufnahmen, froh gewesen, ihr Geld zu bekommen. Und nun war Rapp nach Afghanistan zurückgekehrt, um sich mit dieser Ausnahme zu befassen.
Sofern auf das Informantennetz der Agency Verlass war, hielt man die beiden amerikanischen Staatsangehörigen in einem Dorf nicht weit von hier fest. Die von einem örtlichen Vermittler geführten Verhandlungen waren ergebnislos verlaufen, und als auf ein Angebot von einer Million US-Dollar nicht einmal eine Reaktion erfolgte, beschloss Kennedy, dass es Zeit wurde, die Geiseln mit einer direkteren Methode zu befreien.
Die entscheidende Frage lautete: Warum schlug die Gruppe das Geld aus? Warum legte sie es auf eine Auseinandersetzung an, die sie zwangsläufig verlieren würde? Glaubte man ihren Quellen, handelte es sich nicht einmal um Taliban, sondern um ein Kollektiv von knapp 40 Personen, die mitten im Nirgendwo lebten. Sie hatten in diesem Duell nichts verloren. Teufel noch eins, es gab überhaupt kein Duell mehr.
Rapp vermutete, dass die Angelegenheit weniger mit den Afghanen zu tun hatte als vielmehr mit dem früheren US-Präsidenten und dessen CIA-Chef. Anthony Cook hatte es nur für kurze Zeit ins Weiße Haus geschafft, aber viele Baustellen aufgerissen – vor allem bei der Agency. Seine autoritären Ansichten waren in der Organisation auf erstaunlich viel Gehör gestoßen, ebenso wie sein Plan, den Geheimdienst in ein Instrument zu verwandeln, das allein der Festigung seiner Macht diente. Kennedy versuchte nach wie vor, sich ein Bild zu verschaffen, wem sie trauen konnte und wer vor die Tür gesetzt werden musste, was sich als schwierige und manchmal schmerzhafte Herausforderung erwies. Leute, die sie seit Jahren kannten und mit denen sie zusammengearbeitet hatten, waren von Cooks Vision in Versuchung geführt worden und arbeiteten jetzt gegen sie.
Angesichts des Orkans, der durch Langley wütete, schien der Gedanke nicht allzu weit hergeholt, dass eine Fraktion, die der früheren Regierung weiterhin loyal ergeben war, mit aller Macht versuchte, Rapp in einen Hinterhalt zu locken. Er hatte jahrzehntelang als Kennedys rechte Hand agiert. Sein Verlust wäre ein herber Schlag für sie gewesen. Vielleicht sogar ein tödlicher, wenn man das derzeitige politische Umfeld berücksichtigte.
Eine Siedlung schälte sich am östlichen Hang aus der Dunkelheit. Rapp gab seinen Begleitern das Zeichen, erneut anzuhalten. Er rutschte bäuchlings zum Bach und glitt ins Wasser. Ein Rinnsal am Grund glänzte schwarz, als er ihn lautlos durchquerte und die Uferböschung auf der anderen Seite erklomm. Er schob das HK416-Gewehr über die Kante des Hangs und strich mit dem Sucher des Wärmebildgeräts die einzelnen Behausungen ab.
Der mit Geröll bedeckte Anstieg, der dorthin führte, war steil. Man musste geschätzt 200 Meter zurücklegen, bevor man das untere der neun sichtbaren Gebäude erreichte. Alle waren aus Stein gemauert – simple rechteckige Strukturen mit Flachdächern und jeweils einem oder zwei Fenstern mit Holzrahmen. Das Glas schien zu fehlen, Lebenszeichen entdeckte er ebenfalls keine.
»Sieht gut aus für unseren ursprünglichen Plan«, raunte er in das Kehlkopfmikro. »Keine Tangos, Gegebenheiten wie erwartet. Meldet euch, wenn ihr auf Position seid.«
2
Salerno, Italien
»Es ist eine ganz wunderbare Ausstellung«, sagte die junge Frau in einem Spanisch, das auf ein privilegiertes Aufwachsen in der Nähe von Madrid schließen ließ. »Sie sollten sich Zeit für einen Besuch nehmen.«
Damian Losa nickte mit einem kaum wahrnehmbaren Lächeln. Seine Leute hatten ihre Arbeit bei diesem Mädchen fast schon zu gut erledigt. Ihr dunkles Haar tanzte auf Schultern, die so makellos glänzten, dass sie das Licht der Terrasse und der darunterliegenden Stadt zu reflektieren schienen. Ihr Lächeln blitzte kurz auf und offenbarte perfekte Zähne, die von der 1000-Euro-Flasche Wein, an der sie nippte, völlig unberührt blieben. Gab es dafür einen Trick? Eine Art chemischen Schutzfilm? Vermutlich.
Er betrachtete es als Problem, dass ihre attraktive Erscheinung die Aufmerksamkeit der anderen Restaurantbesucher unweigerlich auf sich zog. Männer und Frauen musterten sie mit verstohlenen Blicken, die in unterschiedlichem Ausmaß von Neid, Begierde und Faszination geprägt waren. Eine Ausnahme bildete sein zehnköpfiges Sicherheitsteam, das sich im eleganten Speisesaal verteilte. Sie waren darauf getrimmt, so zu tun, als ob sie ihn nicht bemerkten, aber in diesem Fall fiel ihr Desinteresse eher auf. Er musste daran denken, dies Julian gegenüber später zu erwähnen.
»Ich freue mich schon auf die Gnocchi. Haben Sie gesehen? Sie sind als dritter Gang vorgesehen. Ich habe es nie geschafft, sie zu perfektionieren. Die italienische Küche wirkt auf den ersten Blick simpel, aber es kommt auf die Qualität der Zutaten und die richtige Technik an. In diesem Fall geht es um die richtige Kartoffelsorte in Kombination mit dem richtigen Mehl im richtigen Verhältnis.«
In der kurzen Zeit, die sie miteinander verbracht hatten, ließ sie sich über so unterschiedliche Themen wie Politik, Sport, Kunst und Kochen aus, um etwas zu finden, das ihm mehr als höfliches Desinteresse entlockte. Sein Lächeln wurde ein wenig breiter, was sie zum Nachfassen motivierte. Sie versorgte ihn mit sehr überzeugend wirkenden Informationen zu dem Chianti, den er bestellt hatte, und wusste ganz genau, aus welcher Region und welchem Weingut er stammte.
In Wahrheit war ihm italienische Kulinarik vollkommen gleichgültig und er tat nur so, als ob er genüsslich den roten Rebensaft kostete, der vor ihm stand. Sein gesteigertes Interesse resultierte aus einer von ihr ausgelösten Erinnerung an seine Mutter, die in der Küche Tortillas zubereitete. Das Sonnenlicht, das durch das Fenster über der Spüle flutete, die abgenutzten Töpfe, die hinter ihr an der Wand hingen, geerbt von längst verstorbenen Vorfahren. Der erdige Geruch.
Nicht dass sie ihr Essen von Hand hätte zubereiten oder diese alten Utensilien benutzen müssen. Seine Mutter war Krankenschwester und sein Vater Buchhalter gewesen – Angehörige einer überschaubaren Mittelschicht, was einem in diesem Teil Mexikos seltene Chancen eröffnete. Er hatte eine bescheidene Privatschule und eine noch bescheidenere Universität besucht. Er wohnte in einer sicheren Nachbarschaft und hatte immer genug zu essen. Und er hatte seine Mutter – eine rundliche, unerschütterlich positive Frau, die jeden Morgen mit einem innigen Dankgebet an ihren Gott einleitete.
Wie würde sie darüber denken, was er aus diesen Chancen gemacht hatte, für die sie und sein Vater so hart gearbeitet hatten? Wenn sie in diesem Moment das Restaurant betreten hätte, wäre der 55-Jährige, zu einem der mächtigsten Verbrecher der Welt aufgestiegen, für sie vermutlich gar nicht als ihr Sohn erkennbar gewesen. Ob sie das Mädchen, das ihm gegenübersaß, beeindruckt hätte? Eine junge Frau, der er vor dieser Nacht nie begegnet war und die er morgen früh wieder aus seinem Leben verbannte? Oder die Villen und Jachten? Hielt sie die Angst, mit der andere Leute ihm begegneten, fälschlicherweise für Respekt oder gesellschaftliches Ansehen?
Eher zweifelhaft. Im Nachhinein hielt er es für besser, dass seine Eltern jung gestorben waren.
Das Mädchen – er konnte sich nicht mal an ihren Namen erinnern – spürte, wie seine Gedanken abschweiften, und wechselte mit beeindruckender Selbstverständlichkeit auf das Thema Technologie. Sie erzählte etwas über Augmented Reality. Er bemühte sich, ihren Ausführungen zu folgen, weil er sie zur Abwechslung für wichtig hielt. Die Welt veränderte sich in einem schwindelerregenden Tempo, und in den letzten Jahren merkte er, dass er allmählich den Durchblick verlor. Und das Interesse. Nicht nur an Technik, auch an allem anderen. Noch vor zehn Jahren hätte er sich an einem solchen Abend ganz auf seine Begleitung konzentriert. Er hätte sich auf das Gespräch eingelassen und den Wein genossen. Er hätte sich mit der Frage beschäftigt, ob sich ihre unglaubliche Expertise auch auf das Schlafzimmer erstreckte, und alles getan, um es herauszufinden. Er hätte erkannt, dass diese Momente die Krönung von allem darstellten, worauf er hingearbeitet hatte. Ein Leben in Reichtum und Macht, beides so grenzenlos, dass er sich vom Rest der Gesellschaft abgrenzte und weit über ihr stand.
Die Tatsache, dass ihm das in der letzten halben Stunde nicht einmal in den Sinn gekommen war, beunruhigte ihn. Man benötigte mehr als nur Raffinesse und Erfahrung, um in dem Geschäft, für das er sich entschieden hatte, an der Spitze zu bleiben. Man brauchte auch ein gewisses Maß an Leidenschaft.
Ein Kellner erschien und stellte zwei kleine Teller vor ihnen ab. Er beschrieb ausführlich die exotischen Ingredienzen und die Gründe des Küchenchefs für deren Auswahl. Losa musterte den kunstvoll verzierten Fischhappen, der auf einem Degustationslöffel lag. Eigentlich nicht gerade die Art von Essen, zu der er sich hingezogen fühlte, aber er bewunderte die Kunstfertigkeit und Präzision der Zubereitung. Auch wenn er vielleicht kein Kenner von Sternerestaurants war, so war er doch ein Kenner von handwerklichem Geschick. Nach seiner Erfahrung handelte es sich dabei um eine der kostbarsten Raritäten des Universums.
Nach der Hälfte ihrer Ausführungen über die jüngsten technischen Innovationen verlor er das Interesse und verlagerte seine Aufmerksamkeit auf die