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Lyoner-Komplott: Veronika Harts vierter Fall
Lyoner-Komplott: Veronika Harts vierter Fall
Lyoner-Komplott: Veronika Harts vierter Fall
eBook323 Seiten3 Stunden

Lyoner-Komplott: Veronika Harts vierter Fall

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Über dieses E-Book

Ein vermisster Saarbrücker Sternekoch gibt Hauptkommissarin Veronika Hart Rätsel auf. Blutspuren und eine vergiftete Fleischwurst deuten auf ein Verbrechen hin. Doch was ist das Motiv? Wurde der Koch durch Zufall Opfer einer Racheaktion gegen die Wurstfabrik? Oder wütet hinter der glänzenden Fassade der saarländischen Sternegastronomie ein erbitterter Konkurrenzkampf? Denn auch in anderen Restaurants häufen sich bizarre Vorfälle. Und nebenbei muss Veronika Hart noch ein privates Problem lösen.
SpracheDeutsch
HerausgeberGMEINER
Erscheinungsdatum12. Juli 2023
ISBN9783839276082
Lyoner-Komplott: Veronika Harts vierter Fall
Autor

Greta R. Kuhn

Greta R. Kuhn, geboren und aufgewachsen in der Nähe von Saarbrücken, schreibt seit ihrer Kindheit kürzere und längere Geschichten sowie Gedichte. Die Saarländerin mit französischen Wurzeln studierte nach dem Abitur Interkulturelle Kommunikation und spanische Literaturwissenschaften und arbeitet seitdem in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Neben dem Schreiben begeistern sie die Fotografie und die lateinamerikanische Literatur. Außerdem hatte sie schon immer ein Faible für außergewöhnliche Kriminalfälle, die sie heute in Kriminalromane und Kurzkrimis einfließen lässt. Sie arbeitet als Pressesprecherin und lebt mit ihrer Familie und drei Hunden an der Deutschen Weinstraße.

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    Buchvorschau

    Lyoner-Komplott - Greta R. Kuhn

    Impressum

    Personen und Handlung sind frei erfunden.

    Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen

    sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

    Immer informiert

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    regelmäßig über Wissenswertes aus unserer Bücherwelt.

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    Im Ehnried 5, 88605 Meßkirch

    Telefon 0 75 75 / 20 95 - 0

    [email protected]

    Alle Rechte vorbehalten

    Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

    Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

    unter Verwendung eines Fotos von: © Printemps / stock.adobe.com

    ISBN 978-3-8392-7608-2

    Widmung

    Für meinen Vater

    Es ist angerichtet.

    »Tisch neun, zwei Menu Dégustation, zweimal à la carte, einmal Heilbutt, einmal Wachtel.«

    »Ja, Chef.«

    »Wo bleiben meine Hauptspeisen von Tisch zwei?«

    »Eine Minute, Chef.«

    »Macht hin, das muss schneller gehen.«

    »Ja.«

    »Der Fisch ist noch glasig, noch mal anbraten. Aber diesmal aufpassen.«

    »Ja, Chef. Entschuldigung.«

    »Nicht entschuldigen, gut machen. Wir haben keine Zeit für so eine Scheiße.«

    »Hmm.«

    »Christoph, wo bleibt das Fleisch für Tisch sieben?«

    »Hier ist es.«

    »Gut. Und jetzt Finger weg. Teller noch mal abwischen. Deine Fingerabdrücke will da niemand haben. Bin ich denn hier nur von Dilettanten umgeben? Ihr wisst doch, hier am Pass wird angerichtet und gerichtet. Das kostet uns alles Extrazeit.«

    »Sorry.«

    »Service! SERVICE! Wo bleibt ihr denn?«

    »Scheiße.«

    »Was?«

    »Ach nix, nur verbrannt.«

    »Wollt ihr mich verarschen? Ich mache gleich eine McDonald’s-Filiale auf, dann könnt ihr dort alle arbeiten. Jetzt reißt euch mal zusammen.«

    »Tisch fünf, dreimal Menu Découverte, einmal à la carte. Einmal Leber.«

    »Tisch drei, die Desserts gehen raus. Das Soufflé einmal ohne Früchte.«

    »Brauche noch mal frischen Kerbel für die Mise en place.«

    »Habt ihr da drüben nichts zu tun? Jeder auf seinem Posten! Tisch fünf, wo bleibt das Amuse-Bouche? Vier Personen. Jetzt.«

    »Service.«

    »Drei Consommés, dreimal Trüffelcarpaccio. Tisch sieben.«

    »Service.«

    »Wo bleiben die Topinambur?«

    »Saucier, Soße noch mal verdünnen, die wird zu dickflüssig. Das muss man doch sehen, gottverdammt.«

    Ein Teller fällt krachend zu Boden. Splittert, Scherben.

    Augenrollen. Stille. Nur für einen kurzen Moment.

    Die Ruhe vor dem Sturm.

    Gruß aus der Küche

    Er starrte auf den kupferglänzenden Becher vor sich. Die sich auflösenden Tabletten schwammen wie kleine Wölkchen auf dem Wasser.

    Er musste die perfekte Dosis treffen. Er hatte nur einen Versuch. Fehler konnte er sich nicht erlauben. Improvisieren war nicht möglich. Es war alles vorbereitet.

    Die Zutaten hatte er relativ schnell und unkompliziert über das Internet besorgt. Doch die Informationen zur Dosierung auf der Webseite waren zu unpräzise gewesen. Mehrere Male hatte er sie ausprobieren müssen. Erst an kleineren Tieren, dann an sich selbst. Er hatte sich langsam herangetastet an die perfekte Mischung. Milligramm für Milligramm. Die Wirkung hatte stets nach 10 bis 15 Minuten eingesetzt. Zu Beginn hatte er sich entspannt gefühlt, dann euphorisch. Beim nächsten Versuch hatte er eine dumpfe Übelkeit verspürt, Watte in seinem Kopf. Dann war er umgekippt. Zweimal hatte er bewusstlos in seiner Wohnung gelegen. Einmal knapp eine halbe Stunde, dann zwei Stunden. Das Aufwachen danach war mühsam und schmerzhaft gewesen. Aber die Rezeptur, nach der er jetzt arbeiten konnte, war es wert.

    Er brauchte eine Punktlandung, denn das Zeitfenster für seine Aktion war nicht groß.

    Hoffentlich hatte er das Gewicht seiner Zielperson richtig geschätzt.

    Er füllte die durchsichtige Flüssigkeit vorsichtig in eine Pipette, den Rest zog er mit einer Spritze auf. Seine Hände zitterten leicht. »Reiß dich zusammen«, zischte er sich zu.

    Sein Plan war genial. Wenn er sein Ziel erreichen wollte, dann ging es nur so.

    »Wir machen den Weg frei«, brummte er und lächelte schief.

    Er verstaute seine Werkzeuge in der Innentasche seiner Jacke und verließ das Haus.

    Jetzt oder nie.

    Vorspeise

    1

    Ihr Kopf brummte dumpf, als sie die Augen öffnete. Wo zur Hölle war sie? Das Licht, der Geruch. Sie befand sich auf jeden Fall nicht zu Hause. Stöhnend versuchte sie, ihr Gehirn in Gang zu setzen. Ein exquisites Abendessen im Sternerestaurant, Wein. Viel zu viel Wein. Übelkeit schwappte in ihr hoch und prallte gegen den pelzigen Geschmack in ihrem Mund. Oh Gott, jetzt nur nicht übergeben. Sie hielt die Augen immer noch fest verschlossen, aus Angst vor der Realität, die um sie herum lauerte. Erinnerungsfetzen flogen vorbei. Zu lautes Lachen, Flirten, zotige Witze, zu lange Redepausen mit noch längeren Blicken. Eine dunkle Vorahnung schob sich Stück für Stück in ihr Bewusstsein.

    Okay, Veronika, jetzt mal ganz langsam. Sie tastete an sich hinunter. Ihr Herz setzte einen Schlag aus. Nichts. Da war nichts. Das war gar nicht gut. Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Hatte sie überhaupt noch denken können?

    Sie atmete tief durch. Sie würde der Wahrheit ins Auge blicken müssen. Das wacklige Konstrukt ihrer Erinnerung, die aufwallende Übelkeit, die Tatsache, dass sie hier in einem fremden Bett, in einem fremden Raum, neben einem … Sie riss die Augen auf und den Kopf herum. Die plötzliche Helligkeit jagte ihr stechende Blitze durchs Gehirn. Sie kniff die Lider wieder zusammen.

    Neben einem gar nicht so fremden Mann. Scheiße.

    Da lag er. Friedlich auf dem Rücken schlummernd. Die blonden Locken wie ein Haarkranz um sein Gesicht. Er sah tausendmal besser aus, als sie sich fühlte. Sie musste hier weg. Und vor allem so schnell wie möglich wieder etwas anziehen. Ein ungelenker Versuch, möglichst geräuschlos einen Überblick über die Situation zu bekommen, misslang. Sebastian Kirschmeier neben ihr rollte leise grunzend auf die andere Seite. Veronika erstarrte und beobachtete seinen Rücken, der nun zu ihr gekehrt lag und sich langsam hob und senkte.

    Ein neuer Versuch. Vorsichtig hob sie die Decke und setzte sich auf die Bettkante. Neben ihren Füßen lag ihre Unterwäsche. Eine 90er-Jahre-Slip-Edition von H&M und ein Bustier-BH von Calvin Klein im klassischen Grau. Wow, Veronika, das ist ja überhaupt nicht peinlich. Zumindest könnte man ihr nicht vorwerfen, dass sie das geplant hatte.

    Ihre Gedanken drehten sich im Kreis. Das Essen, sie hatte die Einladung ins »La Table« übertrieben gefunden, besonders, als sie dann im Internet die Preise gesehen hatte – 179 Euro für das kleinste Menü? So viel gab sie für Essen noch nicht einmal im Monat aus, hatte sie zumindest grob überschlagen.

    Aber Kirschmeier hatte darauf bestanden, also Sebastian. Sie hätten schließlich einen Erfolg zu feiern, der Bauskandal war aufgearbeitet, die Drahtzieher warteten auf ihre Verfahren und man müsse sich auch mal etwas gönnen. Sie hatte sich bequatschen lassen, wollte nicht als Banause dastehen, als Spielverderberin. Außerdem hatte ihr Lothar Klein, ihr Chef, gesagt, dass sie Kontakte knüpfen solle. Sie war jetzt seit fast zwei Jahren in Saarbrücken, aber ihr Netzwerk fiel noch etwas dürftig aus – zumindest, wenn es nach Klein ging. Der war aber auch ein schlechter Maßstab, schließlich kannte er fast jeden im Saarland.

    Und jetzt war sie hier. In puncto Netzwerken war sie wohl etwas zu weit gegangen. Ein Unfall. Ja. Vielleicht würden sie schnell den Deckmantel des Verdrängens darüber legen können. Niemand durfte davon erfahren.

    Francesco. Fuck. Sie würde es ihm sagen müssen. Das schlechte Gewissen trieb ihr den Schweiß auf die Stirn. Oder war es die Übelkeit? Sie schlüpfte in ihre Unterwäsche, fand ihre Hose im Wohnzimmer auf der Couch und ihr Oberteil unter dem Esstisch. Ihr Gedächtnis hatte Mühe, die Bruchstücke richtig zusammenzusetzen, doch sie wusste nicht, ob sie das alles noch einmal Revue passieren lassen wollte. Sie fand auch ihre Handtasche und ihre Schuhe, kramte nach Schlüssel und Handy und ließ die Wohnungstür langsam hinter sich ins Schloss fallen.

    Veronika hatte keine Ahnung, wo sie war. Irgendwo auf einem Berg. Sie konnte bis hinunter zur Saar sehen, aber unmöglich die Strecke laufen. Schon gar nicht in diesen Schuhen. Und so rief sie sich, unter dem nächsten Straßenschild stehend, ein Taxi.

    2

    »Na, Chef. Schönes Wochenende gehabt? Siehst mitgenommen aus.«

    Veronika brummte unisono zu ihrem Schädel: »Hmmm, es ging. Danke. Und bei dir, Max?«

    »War super. Ich war mit meinem Bruder am Bostalsee segeln, haben wir seit Ewigkeiten nicht mehr gemacht. Am Anfang haben wir uns recht hölzern angestellt, aber wir sind schnell wieder reingekommen.«

    Das war eindeutig zu viel Text für ihren Zustand. Kaum zu glauben, wie lange ihr diese durchzechte Nacht noch nachhing. Früher, ja, früher war das noch anders. Veronika blendete Langners Wochenendbericht langsam aus, ihre Gedanken kreisten immer noch um den Samstagabend. Die Nachrichten, die ihr Sebastian Kirschmeier am Sonntag geschrieben hatte, hatte sie ebenso ignoriert wie seinen Anruf am Abend. Sie musste erst einmal klarkommen.

    Francesco würde heute Abend von seiner Dienstreise zurückkommen und sie hatte keine Ahnung, wie sie ihm ihren Ausrutscher erklären sollte. Gerade jetzt, wo sie kurz davorstanden, sich eine gemeinsame Eigentumswohnung zu kaufen. Also, wenn es nach ihm ging.

    Kein guter Zeitpunkt also. Überhaupt kein guter Zeitpunkt.

    »Hörst du mir überhaupt zu?«

    »Was? Ja. Sorry. Bin abgeschweift. Aber klingt doch gut.«

    »Dass wir uns in die Haare bekommen haben wegen der Knoten?«

    »Was? Welche Knoten?«

    »Ich störe ja nur ungern«, polterte Becker herein und Veronika war ihm unendlich dankbar, dass er sie erlöste. »Die Kollegen von der Streife haben angerufen. Eine Person wurde als vermisst gemeldet.«

    »Ein Kind?«

    »Nein, ein erwachsener Mann. Er sollte sich heute Vormittag in seinem Restaurant aufhalten, war dort aber nicht anzutreffen. Er …«

    »Aber das ist doch kein Grund, die Polizei zu rufen. Und dann auch noch uns … Die Leute verlieren echt schnell die Nerven heutzutage.« Langner stemmte demonstrativ die Hände in die Hüften. Keine Frage, er wollte Veronika mit dieser Showeinlage aufmuntern. Süß, dachte sie, aber sie hatte jetzt echt andere Sorgen. Auch Becker schien die Szene nicht lustig zu finden.

    »Jetzt hör doch mal zu«, blaffte er den Kollegen an. »In besagtem Restaurant wurde Blut gefunden. In der Küche. Und seine Schuhe. Er muss verletzt sein, vielleicht gestürzt. Seine Schwester ist sich sicher, dass etwas nicht stimmt.«

    »Okay, dann sollten wir uns das anschauen. Wo müssen wir hin?«

    »Ins ›La Table‹. Bin gespannt, dort war ich noch nie drin.«

    Veronika stockte der Atem.

    »Das ›La Table‹ in der Innenstadt?«

    »Ja, gibt es noch ein anderes? Was schaust du denn so? Warst du da schon mal?«

    »Wer wird denn vermisst?«

    »Ach ja, hab ich gar nicht erwähnt. Markus Wendemann. Der Sternekoch. Kennt man doch aus den Medien. Weißt du, wen ich meine?«

    Sicher, der hat am Samstag erst für mich gekocht, dachte sich Veronika. Kurz bevor ich mein Leben noch etwas komplizierter gemacht habe.

    »Ja, stimmt. Jetzt weiß ich, wen du meinst«, sagte sie nur und beeilte sich, ihre Jacke zu greifen. »Wollen wir los?« Das Adrenalin revitalisierte ihre Synapsen, sie war wieder hellwach, doch sie wusste nicht, wohin mit sich.

    Die drei stiegen in den Dienstwagen.

    »Alles okay?«

    Becker warf ihr einen besorgten Blick über den Rückspiegel zu, während Langner auf seinem Handy herumtippte.

    »Ja, ich, ich war am Samstagabend noch dort. Ich …«

    »Du? Echt? Das hätte ich dir jetzt gar nicht zugetraut. Mit wem gehst du denn in solche Restaurants? Hat Francesco im Lotto gewonnen?«

    Veronika nuschelte etwas Unverständliches und starrte aus dem Fenster. Hoffentlich würde niemand mehr nachfragen.

    »Na, dann mal los.«

    Die Fahrt dauerte nicht einmal zehn Minuten. Es war ein komisches Gefühl, das Restaurant bei Tageslicht zu sehen. Am Samstag hatte alles so feierlich, so edel gewirkt. Die Beleuchtung, der Marmor im Eingangsbereich, die schweren Stühle. Eine Frau begrüßte sie mit versteinerter Miene am Eingang. Sie stellte sich als Mareike Wendemann, die Schwester des Vermissten und die Geschäftsführerin des Restaurants, vor. Ihr Gesicht wirkte grau, die Lippen blutleer und ihre Stimme brüchig.

    Veronika unterdrückte den Impuls, sie mit ein paar warmen Worten zu beruhigen. Noch wussten sie überhaupt nicht, was sie erwartete. Wie könnte sie dann sagen, dass sich Frau Wendemann keine Sorgen machen sollte. Oder dass alles gut werden würde. Sie mussten sich jetzt erst einmal ein eigenes Bild machen. Zwei uniformierte Kollegen hatten sich bereits in der Küche postiert. Mareike Wendemann folgte ihnen. Sie starrte auf die Blutspur, die sich leuchtend von den weißen Fliesen abhob. Ihre Unterlippe zitterte.

    »Bringen Sie Frau Wendemann bitte hier raus und bleiben Sie bei ihr, falls sie etwas braucht. Sie scheint unter Schock zu stehen. Im Notfall rufen Sie den Rettungsdienst, okay?«, flüsterte Veronika den beiden Beamten im Vorbeigehen zu.

    Becker, Langner und die Hauptkommissarin betrachteten die auf Hochglanz polierte Industrieküche. Alle Töpfe, Pfannen und Schüsseln schienen in den zahllosen Schubladen verstaut zu sein, nichts stand herum. Bis auf einen einsamen Topf auf einem Gasherd, daneben ein paar geknackte Walnüsse, Rosinen und eine Glaskaraffe, gefüllt mit einer undefinierbaren dunklen Flüssigkeit.

    »Er arbeitet an einem Fond auf Walnussbasis. Das ist seine neueste Kreation. Sind Sie von der Presse?«

    Die Stimme schien aus dem Off zu kommen. Ein kleiner, hagerer Mann war im Halbdunkel des Flures stehen geblieben, der den Gastraum mit der Küche verband. Der Neuankömmling trug ein weißes, bis zum Hals zugeknöpftes Kochhemd, eine dunkelblaue Hose und schwarze Turnschuhe.

    »Und Sie sind?«

    »Entschuldigung. Mein Name ist Christoph Glaser. Ich arbeite hier als Souschef.«

    »Sous was?«, entfuhr es Langner.

    »Hallo, Herr Glaser, ich bin Hauptkommissarin Veronika Hart, das sind meine Kollegen Becker und Langner.«

    »Die Polizei? Was ist hier los? Wo ist Markus?«

    »Das fragen wir uns auch. Ihr Chef wurde als vermisst gemeldet.«

    »Oh Gott, ist etwas passiert? Wo kommt das denn her?«, er deutete erschrocken auf die Blutspur am Boden.

    »Das wissen wir noch nicht.« Veronika bemühte sich, ruhig zu bleiben. »Dürfte ich Sie bitten, zu Frau Wendemann in den Gastraum zu gehen, meine Kollegen und ich hätten dann später noch ein paar Fragen an Sie.«

    Glaser nickte stumm, zog den Kopf zwischen die Schultern und wandte sich zum Gehen. Dann hielt er inne und drehte sich noch einmal um.

    »Der Chef kam immer als Erster. Er genoss die Stille, das war seine Inspiration. Er wollte die reine Atmosphäre des Tages aufnehmen, bevor wir, also das Fußvolk, kamen und sie ihm verpesteten.«

    Stirnrunzelnd schaute Veronika ihm hinterher. Sie hatte schon von Sterneköchen gehört, die irgendwann Star-Allüren entwickelt und ihr Team nur noch von oben herab behandelt hatten. War Wendemann auch so einer? Das würden sie herausfinden müssen.

    »Gut, ich würde sagen, Spurensicherung anrufen, Zeugen befragen. Das Übliche, oder?«, riss Becker sie aus ihren Überlegungen.

    Veronika nickte.

    »Fangen wir mit der Schwester an? Ich hab noch nicht ganz verstanden, warum es sich hier zwangsläufig um ein Gewaltverbrechen handeln muss. Die Blutspuren, die Schuhe – vielleicht hat er sich verletzt und ist im Krankenhaus. Ich meine …«

    »Da hab ich überall angerufen. Und er hätte sich bei mir gemeldet«, schluchzte Mareike Wendemann, die unbemerkt wieder in die Küche getreten war.

    Veronika warf dem Beamten, der schulterzuckend hinter der Schwester des Vermissten stand, einen verärgerten Blick zu.

    »Frau Wendemann, ich verstehe. Können wir irgendwo in Ruhe reden?«

    Die Geschäftsführerin des Restaurants schniefte und deutete auf den Büroraum, den eine Glasscheibe vom hinteren Teil der Küche trennte. Der Beamte, der eigentlich bei Frau Wendemann hätte bleiben sollen, tippte Veronika auf die Schulter und flüsterte ihr zu:

    »So langsam trudeln die anderen Mitarbeiter ein, was sollen wir denen sagen? Wollt ihr die alle hier befragen?«

    Irritiert schaute Veronika zwischen den Anwesenden hin und her.

    »Frau Wendemann? Wie wollen wir mit Ihren Mitarbeitern umgehen? Wollen Sie die informieren? Wir müssen sicher später mit jedem Einzelnen von ihnen sprechen, aber ich möchte mir erst einmal einen Überblick verschaffen, bevor wir das tun.«

    »Wie lange wird das denn dauern? Wir müssen ja schließlich heute Abend öffnen.«

    »Wie bitte?« Becker starrte sie mit offenem Mund an. »Ich denke nicht, dass Sie heute öffnen können. Erstens, weil die Spurensicherung gleich kommen und sicher einige Stunden brauchen wird, bis sie alles untersucht hat – und zweitens, fehlt Ihnen nicht der Koch?«

    Der letzte Satz klang etwas spöttisch. Veronika ärgerte sich, dass Becker so aus seiner professionellen Rolle gefallen war. Doch Mareike Wendemann schien es gar nicht bemerkt zu haben. Erschöpft schaute sie die Kommissare an.

    »Das Team ist eingespielt, die bekommen das auch mal alleine hin. Auch wenn mein Bruder das nicht gerne hört. Christoph, also Herr Glaser, der Souschef, der kennt die Abläufe genau. Aber das mit der Spurensicherung ist natürlich ungünstig. Müssen die denn kommen? Wir können ja den Gästen schlecht absagen, ich meine, das haben wir noch nie machen müssen.«

    Von welchem Stern war die denn runtergefallen, dachte Veronika. »Frau Wendemann, Sie haben uns doch benachrichtigt und befürchten, dass Ihrem Bruder etwas zugestoßen sein könnte. Dann müssen Sie uns auch unsere Arbeit machen lassen. Wollen Sie uns nicht erst einmal in Ruhe erzählen, was vorgefallen ist?«

    3

    Er verstand überhaupt nicht, wie Veronika so ruhig bleiben konnte. Die Schwester des mutmaßlichen Opfers hatte doch mindestens drei Valium intus, wenn nicht noch stärkere Tabletten. Die schien nicht zu realisieren, was hier vor sich ging. Sie sprach unzusammenhängend und wiederholte sich immer wieder, als sie sie befragten.

    »Was lässt Sie denn glauben, dass Ihrem Bruder etwas zugestoßen ist?«, hatte Veronika sie gefragt.

    »Er hätte mich angerufen, wenn er sich verletzt hätte oder es ihm schlecht gegangen wäre. Er hat mich immer angerufen, egal was war. Und er wäre nie weggefahren, ohne mir Bescheid zu sagen. Er hätte das Restaurant nie alleine gelassen. Einfach so. Es muss etwas passiert sein.«

    Sie starrte vor sich auf den Fußboden.

    »War Ihr Bruder denn in den letzten Tagen anders als sonst? Hat er sich komisch verhalten? Hatte er Streit mit jemandem?«

    Durchs Fenster sahen sie, wie das Team der Spurensicherung eintraf. Veronika gab Langner ein Zeichen, die Kollegen draußen auf den Stand zu bringen und einzuweisen. Dann wandte sie sich wieder ihrem Gegenüber zu.

    »Es war alles normal, nichts Auffälliges. Alles wie immer. Wir haben gestern noch für die nächsten Wochen die Planung gemacht und er hat sich mit einem Weinlieferanten getroffen, um das Weinkonzept zu überarbeiten. Es passt überhaupt nicht zu ihm, dass er einfach so verschwindet.«

    »Also könnte es doch sein, dass er sich eine Auszeit genommen hat?«

    »Was? Nein. Absolut nicht. Auf keinen Fall.« Mareike Wendemann schüttelte vehement den Kopf. »Da stimmt etwas nicht. Das spüre ich einfach.«

    Becker verdrehte die Augen. Wenn sie jetzt auf irgendeinen spirituellen oder esoterischen Quatsch kam, dann würde er sich ausklinken. Das konnte er absolut nicht ausstehen.

    »Sehen Sie, er hat doch sogar noch gefrühstückt.« Mareike Wendemann deutete durch die Scheibe auf einen Teller mit einem angebissenen Wurstbrot, ein kleines braunes Fläschchen sowie eine gebrauchte Kaffeetasse.

    »In Ordnung, das wird sich die Spurensicherung näher anschauen müssen.«

    Sie verließen das Büro. Während Veronika bei Thiel, dem Rechtsmediziner, und seinem Team in der Küche blieb, begleitete Becker Mareike Wendemann in den Gastraum, wo knapp zehn Personen unsicher herumstanden. Die meisten von ihnen wirkten ziemlich jung, blass, sahen müde aus und in ihrer legeren Kleidung hätte man sie eher für die Schnupperklasse der Berufsschule halten können als für ausgebildete Köche.

    Becker stellte sich vor, bevor er Namen und Positionen der Anwesenden in seinem Notizheft festhielt. Er hatte überhaupt nicht gewusst, dass es so viele verschiedene Posten in einer Küche gab. Und dass man das überhaupt Posten nannte. Die Mienen der Köche waren verschlossen, sie musterten ihn argwöhnisch, als wäre er dafür verantwortlich, dass sie ihrer Arbeit nicht nachgehen konnten.

    »Wenn jemand von Ihnen in den letzten Tagen und Wochen etwas Ungewöhnliches bemerkt hat, dann sagen Sie uns das bitte. Jeder Hinweis kann nützlich sein.«

    Becker schaute Frau Wendemann an, die verloren aus dem Fenster blickte.

    »Und ich nehme an, aber das muss Ihnen Frau Wendemann sagen, dass jeder, der nichts beizutragen hat, wieder nach Hause gehen kann.«

    Mareike Wendemann zuckte zusammen, als sie ihren Namen hörte. Sie schien mit ihren Gedanken woanders gewesen zu sein, fing sich aber schnell wieder.

    »Äh, ja. Ich bleibe hier, und sobald ich weiß, wann die Küche wieder freigegeben ist, melde ich mich bei euch. Ich hoffe, wir können morgen ganz normal öffnen. Christoph übernimmt dann Markus’ Posten, ihr anderen rückt auf. Das besprechen wir, wenn es so weit ist. Wir halten hier die Stellung, bis Markus zurück ist.«

    Ihren letzten Satz presste sie tränenerstickt heraus. Das Team blickte betreten zu Boden. Nur Christoph Glaser nickte eifrig, um das gerade Gesagte zu bestätigen.

    Becker schaute in die Runde. »Gut, wir melden

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