Über dieses E-Book
Stahlbaron August Thyssen war begeisterter Sammler der Skulpturen des französischen Bildhauers Auguste Rodin. Sieben Skulpturen hatte er nachweislich in Auftrag gegeben. Doch, gab es vielleicht noch eine achte Skulptur, wie eine bislang unentdeckte Tagebucheintragung vermuten lässt? Gästeführer Paul Werner und sein Freund, der Bildhauer Manni Baumann, wollen der Sache auf den Grund gehen. Ein Abenteuer zwischen Ruhrgebiet und Paris. Die Geschichte einer Freundschaft.
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Rezensionen für Der achte Rodin
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Buchvorschau
Der achte Rodin - Siegmar Wyrwich
IMPRESSUM
Copyright: Siegmar Wyrwich, 2018, Deutschland.
Umschlagmotiv: Siegmar Wyrwich
Lektorat: Peter Friedrich
Verlag: Edition Swy (Selbstverlag)
ISBN 978-3-00-059467-0
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Sämtliche agierenden Personen und Einrichtungen in diesem Text sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig.
Siegmar Wyrwich
Felsenstraße 23
47058 Duisburg
www.facebook.com/siegmarwyrwichautor/
EIN SELTSAMES GESCHENK
Der März war ungewöhnlich kühl und feucht. Paul Werner zog den Reißverschluss seiner Steppjacke ein Stück höher und bat die Gruppe, etwas näher heranzutreten. Hier an den Mauern des ehemaligen Pförtnerhäuschens stand man ein wenig windgeschützt. Er bedauerte, dass er ihnen kein besseres Wetter bieten konnte. Sie waren allesamt eigens aus Schweden angereist. Ein Dutzend Journalisten der unterschiedlichsten Zeitungen und Fernsehsender, die dieses berühmte Monument der Industriekultur einmal mit eigenen Augen sehen wollten. Seit das ehemalige Hüttenwerk 1996 erstmals als Kultur- und Freizeitpark präsentiert wurde, kamen Jahr für Jahr immer mehr Besucher von nah und fern.
Paul Werner war Gästeführer der ersten Stunde. Damals war es für ihn zunächst mehr oder weniger ein Spaß gewesen. Ein netter Nebenjob, mit dem er sich ein willkommenes Zubrot verdiente, das ihm half, während des Jurastudiums über die Runden zu kommen.
Doch irgendwann, fast unmerklich, war er mehr und mehr dieser Aufgabe verfallen. Er genoss es, wie die unterschiedlichsten Besucher aufmerksam an seinen Lippen hingen, wie sie staunten, wenn er die gigantischen Arbeitsprozesse der Vergangenheit mit eindrucksvollen Zahlen belegte und wie sie mit ihm schmunzelten, wenn er all die Fakten mit zahlreichen amüsanten Anekdoten anreicherte. Vor allem aber bewegte es ihn immer wieder, wie sie dann am Ende erfüllt und bereichert nach Hause gingen. So jedenfalls empfand er es. Es war ihm zur schicksalhaften Passion geworden, die Menschen für diese stählerne Kathedrale zu begeistern.
»Ich glaube, wir sind komplett.« Eine weibliche Stimme mit leichtem skandinavischen Akzent riss ihn aus seinen Gedanken. Er schaute auf und sah in die blauen Augen einer groß gewachsenen Frau. Sie war vielleicht um die Dreißig. Unter ihrer Kapuze schimmerten blonde, regennasse Strähnen. Sie schien die Wortführerin zu sein. Jede Gruppe hatte ihre Wortführer. Paul Werner hatte die Erfahrung gemacht, dass es selbst in zufällig zusammengewürfelten Besuchergruppen sehr schnell einen oder zwei Wortführer gab. Gerade bei größeren Gruppen war das oft ein Vorteil. Es förderte die Aufmerksamkeit.
Er nickte der Blonden bestätigend zu. »Fein!« sagte er. »Dann gehört der Herr dort hinten also nicht zu uns.«
Die gesamte Gruppe wandte sich nun um. Etwa zwanzig Meter von ihnen entfernt stand ein älterer Herr im Regen und beobachtete sie. Er trug einen altmodischen olivgrünen Parka. Die Schweden schüttelten die Köpfe. Er gehörte nicht zu ihnen.
»Gut. Also dann wollen wir mal.« Paul Werner mischte sich unter die Gäste und führte sie am Gasometer vorbei Richtung Pumpenhalle.
»Dieser Gasometer ist nicht mehr mit Gas gefüllt, sondern mit Wasser. Er ist heute Europas größtes Indoor-Tauchzentrum. Auf seinem Grund befinden sich ein künstliches Riff, ein Schiffswrack, ein Flugzeugwrack und viele andere Dinge mehr, die Tauchern Spaß machen«, begann er seine Führung.
Unauffällig schaute er sich nach dem Mann im Parka um. Die Stelle, an der er eben noch gestanden hatte, war leer. Aber Paul spürte, dass sie weiterhin beobachtet wurden.
***
Die Hände des Künstlers glitten geschickt über die feuchte, geschmeidige Masse und gaben der Skulptur nach und nach ihre ästhetische Form. Es war mehr als nur Genugtuung, als Manni Baumann erkannte, dass sie genau so werden würde, wie er es sich in seiner Fantasie ausgemalt hatte.
Er spürte, wie Freude und Begeisterung begannen, den Schwung seiner Hände zu leiten. Dieses Glücksgefühl übermannte ihn selbst nach all den Jahren seiner bildhauerischen Tätigkeit noch immer, und er konnte es mit niemandem teilen. Es war dem Schöpfer allein vergönnt. Er gab sich ihm ganz hin und holte furchtlos zu noch kühneren Formen aus. Erst als er nach der Spachtel greifen wollte, stellte er ein wenig erschrocken fest, dass seine Finger starr vor Kälte waren.
Ja, selber Schuld! Er hatte die verdammte Heizung noch nicht repariert. Sie war schon seit knapp einem Monat defekt. Aber wie das so ist: Wenn eine Reparatur ins Haus steht, dann bleibt es selten bei einem Schaden allein. Ausgerechnet in derselben Woche fing sein Sprinter an zu bocken. Und ohne Fahrzeug war er hier auf dem Land aufgeschmissen. Also musste erst einmal das Auto repariert werden. Beides zugleich hätte sein Budget überstiegen. Er war schließlich kein Krösus.
Plötzlich fiel ihm der Heizstrahler ein. Im letzten Herbst hatte er hier in seinem Skulpturengarten eine Gemeinschaftsausstellung organisiert. Sie war gut besucht gewesen und mit den anderen Künstlern und ein paar übrig gebliebenen Besuchern hatten sie noch bis lange nach Mitternacht im Freien gesessen. Als es frisch wurde, hatte irgendjemand einen Heizstrahler vorbeigebracht. Seitdem stand der draußen im Zelt.
Manni trat vor die Tür und genoss den Blick auf seinen »verwunschenen« Skulpturengarten. So nannten ihn manche Gäste. Eigentlich wäre jetzt die Zeit gewesen, sich um die Pflanzen zu kümmern, aber das Wetter war in diesem Jahr einfach noch zu schlecht. Die Kälte ließ den kommenden Frühling nicht einmal ahnen. Doch Manni liebte sein kleines Stück »Toscana« selbst bei miesestem Wetter. Er lebte hier auf dem Land und war trotzdem nur einen Katzensprung von der Stadt entfernt.
Hier prägten Äcker, Höfe und Ställe das Landschaftsbild, während drüben, am Horizont, aufgehalten nur durch den Rhein, die Industriekulisse aus hunderten von Schloten und gigantischen Stahl- und Betongebilden an die Ufer drängte.
***
»Das hält doch kein Mensch aus!«
»Wie, bitte?« Paul Werner verstand nicht.
»Na, das ist doch viel zu heiß«, bekräftigte die Blonde ihre Sorge.
»Ach so!« Nun fiel der Groschen.
Gerade eben hatte er davon erzählt, dass die Arbeiter hier in der Gießhalle früher, nur durch eine Lederschürze geschützt, den Abstich von zweitausend Grad heißem Roheisen durchführten.
»Allerdings«, bestätigte Paul, »Und nicht nur das. Die Gesundheit und die Sicherheit der Arbeiter war lange Zeit kein Thema, das man sonderlich ernst genommen hätte. Erst seit Mitte der 1970er-Jahre gibt es in der Bundesrepublik ein Arbeitssicherheitsgesetz. Bis dahin war es dem Gutdünken der Stahlbarone überlassen, ob sie sich um das Wohlergehen ihrer Arbeiter kümmerten oder nicht.«
Doch auch danach war es mit dem Wohlergehen nicht weit her, dachte Paul grimmig, hielt sich aber mit weiteren Ausführungen dazu zurück. Er wollte die Stimmung nicht versauen.
Ende der 1970er bis Mitte der 1980er-Jahre waren in der Stadt zehntausende Stahl- und Hüttenarbeiter entlassen worden. Sie hatten ihre Schuldigkeit getan. Massenhafte Langzeitarbeitslosigkeit und kaum mehr bezahlbare Sozialausgaben für die einst reiche Stadt waren die Folge gewesen.
Dabei hatten die Malocher dieser Hütte hier noch Glück im Unglück gehabt. Als der Laden 1985 quasi über Nacht geschlossen wurde, musste erst einmal keiner von ihnen stempeln gehen. Sie wurden entweder auf andere Werke verteilt oder gingen in den Vorruhestand. Es waren ohnehin nur noch dreihundert von ehemals dreieinhalbtausend übrig gewesen. Pauls Vater war damals einer von denen, die ins Ruhrorter Werk gewechselt hatten.
»Die Gießhalle war sozusagen der Krönungssaal der Hüttenarbeiter«, sagte Paul.
Die Besuchergruppe versuchte, sich ein Bild davon zu machen, wie es hier damals wohl ausgesehen haben mochte. Außer der Rinne im Boden, durch die seinerzeit das flüssige Eisen rann, erinnerten nicht mehr allzu viele Details an die alte Produktionsstätte. Stattdessen prägten endlose Stuhlreihen das Bild. Und eine riesige Leinwand.
»Heute ist es hier nicht mehr so gefährlich«, fuhr Paul fort. »Man bekommt allenfalls Blähungen durch übermäßigen Popcorn-Genuss. An vierzig Nächten im Sommer kommen hier allabendlich mehr als tausend Kinofans ins Open-Air-Kino. Falls es mal regnen sollte, schiebt sich dann ein transparentes Folienkissendach über die Besucher.«
Die schwedische Gruppe schaute auf. Aber Paul erkannte, dass es weniger die Dachkonstruktion war, die sie beeindruckte, als vielmehr die bedrohlich dunkle Wolkendecke, die neuerliche Niederschläge verhieß.
»Ich glaube,