Hauch Realer Zeit: Mystery-Krimi
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Josef von Stackelberg
Josef von Stackelberg, ein Ingenieur, dessen Phantasie es bisweilen schafft, die Physik zu überlisten und daraus wunderbare Märchen entstehen zu lassen.
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Buchvorschau
Hauch Realer Zeit - Josef von Stackelberg
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Personen
Erster Tag (Montag)
Zweiter Tag (Dienstag)
Dritter Tag (Mittwoch)
Vierter Tag (Donnerstag)
Fünfter Tag (Freitag)
Sechster Tag (Samstag)
Siebter Tag (Sonntag)
Achter Tag (Montag)
Neunter Tag (Dienstag)
Zehnter Tag (Mittwoch)
Epilog
Vorwort
Wenn man in seinem Hinterhof beim Ausheben einer Mulde zum Pflanzen eines Baumes auf etwas stößt, was die Reste einer Mauerkrone sein könnten, wenn man später in der Chronik der fränkischen Kleinstadt davon liest, dass im Keller des in der Nachbarschaft gelegenen alten Rathauses bei Renovierungsarbeiten noch tiefer gelegene Gelasse gefunden wurden, und wenn man ein bisschen was von Platon kennt, in specifico sein Höhlengleichnis, dann steht der Plot für die Geschichte vom Hauch Realer Zeit eigentlich schon an der Wand wie die feurige Inschrift beim Gastmahl Belsazars und man muss sie nur noch abtippen. Allerdings ging es mir beim Schreiben dieses Buches wie bei allen anderen Büchern: Ich fange an, die ersten Bilder zu beschreiben, die ich im Kopf habe, und bin selber fasziniert, wie sich die Geschichte weiter entwickelt und welche unerwarteten Wendungen sie nimmt, ehe die Gebärschmerzen vorüber sind und das fertige Werk im Speicher des Rechners liegt. Im Übrigen möchte ich betonen, dass die Geschichte ein Märchen ist, somit alle Handlungen und Personen frei erfunden sind und nicht meine persönliche politische Einstellung spiegeln.
Baunach, im Dezember 2021
Personen
Xaver Schreiner, Redakteur, Vater von
Linda Schreiner, junge Erwachsene und Physikstudentin, Tochter von
Margit Schreiner, erfolgreiche Geschäftsfrau und Exgattin von Xaver
Rolf, Kollege und Sportredakteur
Jonas, freier Mitarbeiter für lokale Ereignisse
Karla, Redakteurin für Feuilleton und Kultur
Heiner, Chef vom Dienst
Sylvia, Leiterin Anzeigenabteilung
Elise Schäublein, Redaktionsassistentin
Klaus-Dieter, Chefredakteur
Herta, Klaus-Dieters Frau
Aumag, Sponsor-Unternehmen
Seraphim, Kräuterhändler auf dem Mittelaltermarkt, heißt mit bürgerlichem Namen Peter Jonatschek
Mertin, Sohn des Kräuterhändlers und Kommilitone von Linda
Graf von Stellenberg, Teilnehmer Mittelaltermarkt
Ludfried, Geschichtenerzähler
Karlowig, Schwertkämpfer
Kräuter-Udolf, Teehändler
Wachtmeisterin Schönhuber
Wachtmeister Kohlstrunk
Dr. Meier, Arzt
Frau Sandlein, Vorzimmerdrache des Bürgermeisters
Peter Schnitter, Bürgermeister
Meinrad, Bauamt
Kalle, Bauarbeiter
Prof. Dr. Dr. Häberle, Altertumsspezialist
Erster Tag (Montag)
Das Schrillen des Weckers riss mich aus dem unruhigen Schlaf. Die Augen noch geschlossen, griff ich mit der linken Hand auf den Nachttisch, den Wecker mit der Faust umklammernd und gleichzeitig mit der Handfläche den Stoppknopf einpressend. Auf diese Weise verhinderte ich, wie schon so viele Male vorher, meinen Wecker mit der Hand vom Nachttisch zu wischen und anschließend die Scherben vom Boden aufzusammeln oder aus Versehen drauf zu treten.
Ich drehte mich hin und her, um das unvermeidliche Aufstehen um einige Minuten hinauszuzögern. Es half nichts, Blase und Darm waren voll und ich musste ohnehin hoch. Also schob ich die Bettdecke zur Seite und richtete mich auf. Meine Rückenmuskulatur war verspannt, offenbar war ich nachts wieder einmal in verkrümmter Lage eingeschlafen. Ich war halt keine siebzehn mehr. Ich stand auf und ging zur Toilette, auf dem Weg dahin meine Unterhose abstreifend und mit dem Fuß auf den Haufen mit ungewaschener Wäsche schlenkernd. Nachdem ich mich entleert hatte, kletterte ich in die Dusche und versuchte, das Dröhnen in meinem Kopf mit heißem Wasser zum Schweigen zu bringen. Die letzte Nacht war schlecht gewesen, zu viel Alkohol, zu viel Rauch, zu viel Gerede. Ich drehte das Wasser ab, griff nach dem Handtuch und trocknete mich ab. Das Handtuch roch nicht mehr frisch, um nicht zu sagen, es stank ungewaschen. Es wurde Zeit, dass ich mich wieder mal um meinen Haushalt kümmerte. Mein Haushalt, das bedeutete die Zweizimmerwohnung in dem Altbau in einer süddeutschen Kleinstadt, in der ich mit meiner erwachsenen Tochter hauste. Ich hatte mich hierhin zurückgezogen, nachdem meine Frau uns vor vielen Jahren verlassen hatte, als sie erkannt hatte, dass ich nicht der Märchenprinz ihrer Träume und noch nicht einmal ein besonders erfolgreicher Alltagsmensch war, der ihr daher nichts zu bieten hatte. Ich hatte sie während meines Studiums kennengelernt, als wir beide beinahe platzend vor Idealismus noch glaubten, das Leben hätte uns einen besonderen Platz auf der Welt eingeräumt. Noch lange ehe wir unsere Abschlüsse hatten, war sie schwanger geworden. Es war weder ein Unfall noch gewollt, es passierte halt, wie so viele Dinge im Leben halt passieren, wenn man sich nicht darum sorgt.
Ich war vom ersten Tag an vernarrt in dieses kleine Mädchen und nur durch das beständige Drängeln meiner Frau überhaupt dazu zu bewegen gewesen, mein Studium zu Ende zu bringen und mir/uns ein Einkommen zu beschaffen. Ich fand nach dem Studium überraschend schnell eine Stelle. Das Salär war zwar nicht üppig, ich hatte jedoch viele Freiräume, die ich mit meiner Tochter ausfüllte. Und was gibt es Schöneres als die reine Freude in einem liebenden Kindergesicht zu lesen, wenn man es mittags vom Kindergarten abholt und dann einen ausgiebigen Spaziergang macht, während dem alle wichtigen und unwichtigen Dinge besprochen werden, die im Laufe des langen Vormittags angefallen waren. Ich denke, meine Frau war nicht nur einmal eifersüchtig auf unser Verhältnis, und dieses Gefühl mag zu ihrem Entschluss beigetragen haben, sich wieder auf das eigene Leben zu konzentrieren, an die Hochschule zurückzukehren, um ihren Abschluss zu erhalten. Soweit ich weiß, arbeitet sie heute im Management eines großen Unternehmens und ist zufrieden. Zumindest gibt sie sich so, wenn wir uns mal treffen, was selten genug geschieht.
Mittlerweile war der Spiegel wieder klar geworden und ich blickte in mein bartstoppeliges fünfundvierzig Jahre alte Gesicht, fragte mich, ob ich mich wohl rasieren sollte. Wofür? Also ließ ich es bleiben. Ich warf noch einen langen Blick auf meinen Bauch, erinnerte mich dabei an den blöden Witz eines Arbeitskollegen: „Warum haben Männer keine Zellulitis? Weil es scheiße aussieht." Der Mann hatte ja keine Ahnung, wie sehr Männer Zellulitis haben konnten und wie scheiße das aussah, und tappte zurück in mein Schlafzimmer, das nasse Handtuch auf den Berg schmutziger Wäsche werfend, als ich daran vorbei ging. Ich suchte mir etwas anzuziehen und ging dann in die Küche, füllte den Wasserkocher und schaltete ihn ein, stellte zwei Teetassen auf die Anrichte und bestückte sie mit Teebeuteln, schwarzen Tee für mich und Kräutertee für Linda, meine Tochter.
Dann ging ich zu ihrer Zimmertür, klopfte und sagte: „Guten Morgen, aufstehen. Wie gewohnt regte sich nichts. Sie benötigte morgens immer ein paar Minuten, um sich zu finden. Ich kramte Toastbrot aus dem Schrank, steckte zwei Scheiben in den Toaster, legte Butter und Konfitüre auf den Esstisch und holte Besteck und Geschirr aus den Schubladen und Schränken. Das Wasser kochte mittlerweile, der Kocher schaltete sich ab, ich goss das heiße Wasser in die beiden Tassen. Von Linda hatte ich noch nichts gehört. Ich seufzte innerlich und ging noch einmal zu ihrer Tür, klopfte noch einmal und sagte, etwas lauter dieses Mal: „Guten Morgen, aufstehen.
Wir hatten am vergangenen Abend wieder mal einen Streit gehabt und sie war wohl immer noch sauer.
So sehr während ihrer Kindheit unser Verhältnis von Zuneigung zueinander und Freude aneinander geprägt gewesen war, so mühsam war das Zusammenleben mit ihr seit ihrer Pubertät geworden. Ich vermute, dass dies in erster Linie mit mir zu tun hat. Ein kleines Kind stellt seinen Vater nicht in Frage, er ist einfach der Größte und Beste für es. Mit der Pubertät, wenn junge Menschen beginnen, eigene Werte zu entwickeln, stellen sie sehr oft diejenigen ihrer Eltern in Frage, und was hatte ich schon anzubieten außer meiner Liebe? Ihre Argumente während unserer Auseinandersetzungen über all die Jahre erinnerten mich zunehmend an die Vorwürfe, die ich seinerzeit von Margit, meiner Frau, zu hören bekommen hatte.
Wir waren am Vorabend auswärts essen gewesen, beim ortsansässigen Griechen, und ich hatte – wieder einmal – nicht rechtzeitig gewusst, wann ich aufhören sollte mit den Ouzos und den Sticheleien. Sie war nun zweiundzwanzig und hatte meines Wissens immer noch keinen Freund und keinen Mann. Auf meine diesbezüglichen Bemerkungen reagierte sie zunehmend ungehaltener und warf mir im Gegenzug meinen mangelnden Ehrgeiz und meine berufliche Erfolglosigkeit vor.
Ich zuckte mit den Schultern, stellte die Teetassen auf den Tisch und setzte mich. Ich sammelte die beiden ausgeworfenen Brotscheiben ein, bestückte den Toaster mit zwei weiteren Scheiben und bestrich die erste mit Butter.
Nachdem ich diese gegessen hatte, stand ich auf und ging noch einmal zu Lindas Schlafzimmer. Normalerweise lasse ich sie in Ruhe, wenn sie nicht kommen will. Sie ist erwachsen und ich lasse ihr ihre Freiräume – solange ich nüchtern bin. Aber an diesem Morgen war eben alles etwas anders. Ich klopfte der Form halber noch einmal an die Tür und öffnete sie. Draußen war in der Zwischenzeit die Sonne aufgegangen, und obwohl Lindas Zimmer gegen Norden liegt, war es doch hell. Hell genug jedenfalls, dass ich erkennen konnte, dass ihr Bett leer war. Das Bettzeug war zerwühlt, sie hatte also darin gelegen, aber nun war sie nicht mehr drin. Das Fenster war geschlossen. „Linda? Keine Antwort, natürlich. Ich blickte mich um, trat ins Zimmer. „Linda?
Keine Antwort, woher auch. Ihr Zimmer war gewohnt unaufgeräumt, der Schreibtisch beladen mit Büchern und Unterlagen, wahrscheinlich von ihrem Studium. Ich ging aus dem Zimmer auf den Flur. Ihre Jacke fehlte, ihre Stiefel fehlten. Mein Schlüssel steckte im Schloss, war jedoch etwas zurückgezogen. Sie musste nachts die Wohnung verlassen haben.
Ich spürte, wie mein Mund trocken wurde. Es war nicht das erste Mal, dass sie verschwand, ohne sich ausdrücklich zu verabschieden. Sie kam meistens nach einigen Tagen wieder. Ich weiß, dass sie bislang immer zu ihrer Mutter gefahren war. Margit war so fair, mich anzurufen, wenn Linda zu ihr kam. So musste ich mir nicht so viele Sorgen machen.
Allerdings war sie noch nie nachts verschwunden. Ich blickte auf die Uhr. Margit schlief möglicherweise noch. Sie war nicht der Frühaufsteher und konnte sehr ungehalten werden, wenn ich sie zu dieser Zeit anrief. Ziemlich bedrückt saß ich am Frühstückstisch und kaute auf dem Toast herum, schlürfte meinen Tee und fühlte mich einsam. Ich machte mir im Stillen Vorwürfe, zu Linda so unfreundlich zu sein und mich selber nicht besser im Griff zu haben. Ich schwor mir, keinen Alkohol mehr anzurühren, okay, zumindest nicht so viel. Der Tee schmeckte nicht, der Toast wie Pappe. Hat eigentlich schon mal jemand versucht, Pappe mit Butter und Erdbeerkonfitüre zu essen?
Ich räumte den Tisch ab, stellte das schmutzige Geschirr in die Spüle, überlegte einen Moment, ob ich meine Zähne putzen sollte oder nicht, tat es aber dann doch, noch voll der guten Vorsätze, und verließ endlich die Wohnung, um zu meiner Arbeitsstelle zu fahren, dem Hamsterrad, wie ich es vor vielen Jahren in einem Anfall von Selbsterkenntnis mal getauft hatte. Ich war Redakteur bei einer Tageszeitung, dem regionalen Käseblatt, das sich mehr um die Nöte und Gerüchte aus der Umgebung kümmerte als um die großen politischen Ereignisse. Das einzige überregionale Thema, das bei uns konsequent bearbeitet wurde, war die alle vier Jahre stattfindende Fußballweltmeisterschaft, bei der Rolf, mein Kollege aus der Sportredaktion, mal nicht nur vom Zweitligafußballverein unserer Kleinstadt berichtete oder von den Erfolgen unseres Kegelvereins, sondern täglich eine mindestens zwei Seiten umfassende Reportage mit den Ereignissen erstellte. Während dieser vier Wochen lief Rolf zur Höchstform auf und ich wunderte mich nach dieser Zeit immer, dass ein Mann mit diesem Talent es bei uns aushielt.
Meine Rubrik war die Politik. Meine Aufgabe bestand hauptsächlich darin, die einkommenden Informationen der verschiedenen Presseagenturen zu sichten und daraus zusammenfassende Beiträge zu erstellen. Für die Berichterstattung über lokale Ereignisse wie die Redeschlachten vor den Stadtrats- und Bürgermeisterwahlen hatten wir einen freien Mitarbeiter namens Jonas, der sich mit Texten zu allen möglichen Themen für alle möglichen Medien ein bescheidenes Leben finanzierte. Er war einige Jahre älter als ich und meistens schlechter Laune, die er an den Mitarbeitern der Redaktion ausließ. Wenn er gut drauf war, konnte man sehr viel Spaß mit ihm haben. Leider war er nur ganz selten gut drauf.
Ich holte mein Fahrrad aus dem kleinen Geräteschuppen, registrierte dabei, dass Lindas Fahrrad da war, und fuhr zur Redaktion. Der Weg ist nicht sonderlich weit, man fährt einmal über den Marktplatz, biegt dann rechts ab, um den Fluss zu überqueren, der unsere Stadt durchfließt und ihr auch den Namen gegeben hat, und radelt eine Weile auf dem Damm neben dem Fluss entlang. Direkt neben dem Bahnhof, der mittlerweile ein Feinschmeckerrestaurant beherbergt, liegt ein alter Ziegelbau, die Redaktion mit angelagerter Druckerei. Selbige ist seit Jahren nicht mehr in Betrieb. Mit dem Einzug der elektronischen Datenverarbeitung wurde es billiger, die fertigen Seitenlayoutdaten unserer Zeitung an eine Großdruckerei zu senden und dort die Auflage drucken zu lassen. Die Mitarbeiter der Druckerei wurden über einen Sozialplan entlassen, die alten Maschinen wurden demontiert und die Hallen geschlossen. Vor zwei Jahren zogen zwei junge Geschäftsleute in die leerstehenden Hallen ein. Sie ließen das Innere im Wesentlichen unverändert, bauten lediglich Schreibtische und jede Menge Rechnerhardware auf und begannen, Software zu schreiben. Heute platzt das Unternehmen aus allen Nähten, Tag und Nacht ist Licht in den Räumen, internationale Besucher gehen aus und ein. Ich hatte mal die Idee, ein Interview mit den beiden Gründern zu machen und ihren Erfolg auf diese Weise über unsere Zeitung darzustellen. Ich muss jedoch ehrlich sagen, dass ich bis zum Schluss der zweistündigen Sitzung nicht verstanden hatte, was dieses Unternehmen macht, obwohl sich die beiden wirklich Mühe gaben, mir ihr Produkt zu erklären. So wurde das Interview niemals veröffentlicht und die beiden Männer grüßten mich eine Zeitlang nicht mehr. Ich stellte mein Fahrrad in den Ständer, sah nebenbei, dass Elise schon da war, weil ihr Fahrrad auch im Ständer stand, schloss mein Fahrrad ab und ging ins Gebäude. Mein Büro liegt im ersten Stock in der „Redaktionsgasse", es ist der übliche Kubus, dessen Zentrum in einem Schreibtisch mit Personal-Computer besteht und der ansonsten mit allen möglichen wichtigen Papieren vollgestopft ist. Ein richtiges Redaktionsbüro ist gleichzeitig das persönliche Archiv des Redakteurs und wir pflegen gerne den Mythos, dass wir über jedes Fitzelchen Papier in unserer Unordnung genau wissen, wo es liegt, was drauf steht und wann es von wem geschrieben worden war. Dieser Mythos ist natürlich nur ein Mythos, aber das muss man den Nichteingeweihten ja nicht unbedingt erzählen. Ein bisschen Bewunderung ist Labsal für unsere empfindsamen Seelen.
An jenem Morgen war ich in Gedanken bei Linda, machte mir Vorwürfe und überlegte, wie ich unser Verhältnis endlich wieder verbessern konnte. Ich musste mich einfach etwas mehr zurückhalten. So in Gedanken versunken, achtete ich nicht auf meine Umgebung und rannte geradezu in Rolf, der überraschenderweise schon im Büro war und eben aus seiner Tür trat, als ich vorbeiging. „Oha, nicht so eilig, das aktuelle Top-Ereignis wird erst in einer Stunde anfangen, Du kannst also ganz gemach sein. – „Oh, entschuldige. Hab Dich gar nicht gemerkt.
– „Das habe ich gemerkt. Guten Morgen übrigens. Ich frage Dich mal nicht, wie es Dir geht. Das sieht – und riecht – man nämlich. Er schnüffelte ostentativ und drehte sich weg. „Stinke ich? Ich habe mich gewaschen …
– „Du stinkst nach Knoblauch wie ein ganzer Kreuzzug auf dem Weg aus dem Heiligen Land. Jesus, was hast Du denn gestern gegessen? Der Geruch verstößt ja geradezu gegen die Genfer Konventionen, das grenzt an biologische Kriegsführung, was Du hier betreibst." Ich seufzte innerlich. Rolf hatte heute allem Anschein nach einen seiner lauten Tage. Ich hatte nach fast zwanzig Jahren Zusammenarbeit immer noch nicht herausgefunden, wovon seine Launen beeinflusst wurden. Da sein Büro unmittelbar an meines anschloss, wurde ich aufgrund seiner extrovertierten Art ziemlich massiv in seine Vorgänge einbezogen, ob ich wollte oder nicht, und die aktuelle Reaktion war zwar noch steigerungsfähig, aber für den frühen Morgen schon mal ein ganz guter Anfang.
Von Rolfs lauter Stimme aufgeschreckt, öffnete sich die Tür am Ende der Redaktionsgasse und Elise steckte ihren Kopf heraus. Sie ist wahrscheinlich etwa zehn Jahre jünger als ich, kleidet sich mit dem Schick eines Mädchens vom echten Lande und trägt ihre Haare immer noch in zwei Zöpfen, wie sie sie wahrscheinlich seit der Grundschule trägt.
Manchmal glaube ich, dass ich ein bisschen in sie und ihre unschuldige Art verliebt bin. Dann stelle ich mich zu ihr ins Zimmer und erzähle ihr Geschichten, um sie zu beeindrucken. Sie behandelt mich dann immer mit einer Zurückhaltung, dass ich bald wieder aufgebe und in mein Leben zurückkehre, das aus einer längst aufgegebenen Ehe und einer schwierigen Tochter besteht.
Sie blickte erst mich, dann Rolf, dann wieder mich an und kicherte etwas. Dann zog sie den Kopf wieder zurück und schloss die Tür. Rolf hatte dieses Manöver nicht gesehen, weil er mit dem Rücken zu Elises Tür stand. Er starrte mich kopfschüttelnd an und verschwand wieder in seinem Büro, schoss aber gleich wieder heraus und schimpfte: „Was wollte ich jetzt eigentlich, ehe Du mit Deinem Gasangriff mein Hirn völlig benebeltest? Wollte ich zur Toilette? Was wollte ich? Ach ja …" Mit den Händen fuchtelnd, verschwand er den Flur hinab. Ich ging in mein Büro, schaltete den Computer ein, zog meine Jacke aus und hängte sie über den Stuhl, dann blätterte ich durch den Stapel Papier, den ich gestern Abend noch auf meinen Platz gelegt hatte, blickte aus dem Fenster. Es wurde Herbst. Die große Kastanie vor meinem Fenster hatte große, pralle stachlige Kugeln, welche teilweise aufgeplatzt waren, dass man die innen liegenden mahagonifarbenen Früchte sehen konnte. Ich blickte auf die Uhr.
Ich konnte es bereits