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Ein Grab für zwei: Eifelkrimi
Ein Grab für zwei: Eifelkrimi
Ein Grab für zwei: Eifelkrimi
eBook319 Seiten4 Stunden

Ein Grab für zwei: Eifelkrimi

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Über dieses E-Book

In der Eifel muss man nur tief genug graben …

Eine uralte Tankstelle an einer Straße, die ins Nichts führt, mit verbeulten Zapfsäulen, einer kaputten Waschanlage, mit abgelaufenen Schokoriegeln und vergilbten Zeitungen. Rost-Horst, der Tankstellenpächter, liegt im Krankenhaus, und ausgerechnet Herbie Feldmann soll für ein paar Tage den Laden schmeißen. Er und sein allgegenwärtiger Begleiter Julius fragen sich, wie Horst sich all die Jahre über Wasser halten konnte. Mit dem Verkauf von Sprit jedenfalls nicht, das steht außer Frage.

Als auf dem Brachland nebenan ein menschliches Skelett ausgegraben wird, kommt plötzlich Leben in die Einöde. Der Bauer Hepp Kaltwasser ist stolz, weil er seine Vermutungen endlich bestätigt sieht: Hier schlummert eine Römervilla in der Erde! Und auch Herbie macht einen haarsträubenden Fund, aber den muss er unbedingt vor den Leuten verbergen, die von nun an seine Tanke belagern …
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum16. Apr. 2021
ISBN9783954415359
Ein Grab für zwei: Eifelkrimi
Autor

Ralf Kramp

Ralf Kramp, geb. 1963 in Euskirchen, lebt in einem alten Bauernhaus in der Eifel. Für sein Debüt »Tief unterm Laub« erhielt er 1996 den Förderpreis des Eifel-­Literatur-Festivals. Seither erschienen zahlreiche Kriminalromane und Kurzgeschichten. In Hillesheim in der Eifel unterhält er zusammen mit seiner Frau Monika das »Kriminalhaus« mit dem »Deutschen Krimi-­Archiv« (30.000 Bände), dem »Café Sherlock«, einem Krimi-Antiquariat und der »Buchhandlung Lesezeichen«. Im Jahr 2023 wurde er mit dem Ehren-­Glauser für »herausragendes Engagement für die deutschsprachige Krimi­szene« ausgezeichnet.

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    Buchvorschau

    Ein Grab für zwei - Ralf Kramp

    1. Kapitel

    Schon das Hinweisschild an der Straße zwischen Tondorf und Engelgau erzählte eine Geschichte. Eine sehr alte Geschichte. Freie Tankstelle – mehr stand nicht darauf. Nichts Ungewöhnliches auf den ersten Blick. Aber sowohl die verblichene Farbe – ein mulmiges, mattes Graublau – und die Schrift – schnörkellose, weiße Blockbuchstaben mit dunkelgrauem Schlagschatten – als auch der rötlich schillernde Rost, der sich seit einer halben Ewigkeit von den Kanten der Metallplatte her beständig ins Zentrum hineinfraß, all das ließ jeden Autofahrer keinen Gedanken daran verschwenden, hier rechts abzubiegen. Die große, moderne Tankstelle in Blankenheim hatte man gerade erst passiert, die nächste in Engelgau war bereits in erreichbarer Nähe. Kein Mensch würde auf den Gedanken kommen, hier den Blinker zu setzen und das Steuer herumzudrehen, um auf dem buckligen Wirtschaftsweg nach einer Tankstelle zu suchen, die es doch eigentlich nicht mehr geben konnte. Das Schild war ein Überbleibsel aus einer längst vergangenen Zeit, aus den Tagen, als hier noch nicht die A1 das Land zerschnitt. Hier konnte heute einfach keine Tankstelle mehr stehen. Auch das Sackgassenschild gleich daneben bestätigte das. Diese schmale Straße mit dem zerrütteten Asphalt hatte ehedem einmal nach Nettersheim geführt, vorbei an ein paar verstreut stehenden Häusern, einem Aussiedlerhof und einer Tankstelle. Ein paar der Gebäude waren in den Siebzigern dem Autobahnbau geopfert worden. Daher konnte eigentlich auch diese Tankstelle heute unmöglich noch regulär betrieben werden. Wahrscheinlich war sie längst dem Erdboden gleichgemacht worden. Das hatte Herbie jedenfalls immer geglaubt.

    Er dachte daran, dass dieser Tag einige Stunden zuvor durchaus vielversprechend angefangen hatte. Ein echter Sommertag, nicht zu heiß und nicht zu kühl. Über ihm ein freundlicher, blauer Himmel mit ein paar gemächlich dahinziehenden Wolken. Herbie war unschlüssig gewesen, ob er zum Baden an die Maare oder an den Freilinger See fahren sollte. Julius hatte dazu nur sehr verächtlich etwas von Luxusproblem gemurmelt.

    Doch dann hatte sich dieser Tag mit einem Schlag verfinstert. Seit Herbie denken konnte, hatte ein Anruf seiner Tante Hettie noch nie irgendeinen Anlass zur Freude gegeben.

    Warum gehst du dann trotzdem immer wieder ran? Julius saß wie immer auf dem Rücksitz und betrachtete gelangweilt seine Fingernägel.

    »Weil ich die Hoffnung einfach noch nicht aufgegeben habe. Die Hoffnung darauf, dass ich irgendwann ihre Nummer im Display sehe, mit einem Klick die Verbindung herstelle und am anderen Ende statt des schrillen Gekeifes meiner Tante eine dunkle, sehr gefasst klingende Männerstimme höre. Jemanden, der etwas Ähnliches sagt wie: Bitte verzeihen Sie die Störung, aber Ihre Nummer wurde zuletzt von diesem Gerät aus angerufen. Sind Sie Verwandtschaft von Frau Hellbrecht? Oh, der Neffe? Hm, wir müssen Sie leider davon in Kenntnis setzen, dass Ihre Tante ganz plötzlich von uns gegangen ist.«

    Julius schnaubte amüsiert. Optimist.

    »Was bleibt mir denn sonst übrig?«

    Der schmale Weg wand sich um eine kleine Anhöhe. Links war die riesige Brachfläche am Autobahnende zu erkennen, auf der vor einigen Jahrzehnten die Stürme Vivian, Wiebke und welche zarten Frauennamen sie noch alle gehabt haben mochten, alles brachial abgeholzt hatten. Inzwischen war dort zwar wieder aufgeforstet worden, aber die Bäume waren noch mickrig, die Spuren der Verwüstung immer noch deutlich zu erkennen.

    Herbie vermutete, dass sie sich auf ihrem Weg ungefähr in die Richtung der großen Wildbrücke bewegten, die ein paar Jahre zuvor mit enormem Aufwand über die A1 geschlagen worden war.

    Wo hatte seine Tante ihn jetzt nur wieder hinzitiert? Was tat sie nur hier in diesem abgelegenen Winkel?

    »Irgendwann werde ich mit Inbrunst die Disteln und Brennnesseln auf ihrem Grab gießen. Aber bis dahin beiße ich die Zähne zusammen und tanze nach ihrer Pfeife.«

    Du könntest doch so lange ins Ausland gehen. Die Identität ändern, Pigmente spritzen und die Nase operieren lassen.

    »Die findet mich überall, egal in wen ich mich verwandle. Und vor allem verwaltet sie mein gesamtes Geld. Ich bin von diesem alten Drachen abhängig, Julius. So wie die Tulpe von der hässlichen Zwiebel.«

    Julius schnaubte. Absurder Vergleich.

    Herbies Zwiebel kam mit einem Mal in Sichtweite. Die kleine, alte Frau im fliederfarbenen Sommermantel saß im Schatten der großen, flachen Überdachung auf einem Klappstuhl vor dem Tankstellengebäude und hatte die Hände über dem Knauf ihrer orientalischen Krücke gefaltet. Wohin ihr Blick gerichtet war, verbarg eine Sonnenbrille mit grotesk großen Gläsern. Zu ihren Füßen schnüffelte ein extravagant zurechtfrisierter Pudel auf dem ölfleckigen Pflaster bei den Zapfsäulen herum.

    »Da sitzt mein Verderben«, knurrte Herbie und lenkte den Wagen rechts vom Weg hinunter auf den etwas tiefer liegenden Schotterplatz, der anscheinend übergangslos in die gepflasterte Fläche bei den Zapfsäulen mündete.

    Ich dachte immer, ich sei dein Verderben. Julius schmunzelte amüsiert.

    »Sagen wir mal, ihr beide schenkt euch nichts.« Herbie löste den Gurt. »Nur dich sieht wenigstens keiner außer mir.«

    Ein Verlust für die Menschheit. Herbies Begleiter zog die Augenbrauen mit der ihm angeborenen Arroganz in die Höhe und spitzte die Lippen.

    Bei Julius handelte es sich um einen graubärtigen, groß gewachsenen Mann mittleren Alters von enormen körperlichen Ausmaßen. Er war eine überaus gepflegte Erscheinung im edlen Kammgarn-Dreiteiler. Somit war er stets das genaue Gegenteil von Herbie mit den ungekämmten Haaren und der nachlässigen Kleidung, die sich in Schnitt und Farbe nie so recht irgendeinem Modejahrzehnt zuordnen ließ.

    Mit seiner hemdsärmeligen Art war Herbie bei den Leuten in seiner Heimat durchaus beliebt. Er war freundlich und harmlos. In der Eifel kannte man ihn. Allerdings in erster Linie, weil jeder wusste, dass er einen unsichtbaren Begleiter hatte. Dass er einen neben sich gehen hatte.

    Herbie stieg aus und schloss vorsichtig die Tür. Nicht, dass wieder etwas abfiel, so wie kürzlich erst der rechte Seitenspiegel. Der feuerrote Kastenwagen hatte weitere Klebebuchstaben der ursprünglichen Firmenbeschriftung verloren. Von dem Firmennamen Bodo Schönleber fehlten jetzt die Os und das Sch, und bei dem Wort Fliesenleger hatte irgendein Scherzbold die beiden Ls mit Edding durch ein R und ein N ersetzt.

    Die TÜV-Prüfung war seit acht Monaten überfällig und würde, wenn sie demnächst stattfand, zu keinem guten Ergebnis führen. Herbie genoss den Hauch von Abenteuer, wenn er mit der alten Gurke unterwegs war.

    Er sah sich kurz um, bevor er seine Tante ansteuerte.

    Diese Tankstelle ist wie gemacht für dein Auto, sagte Julius grinsend und deutete auf die Anzeigetafel, an der nur ein paar vereinzelt herumhängende Ziffern zu einem munteren Ratespielchen um die Tagespreise von Benzin, Super und Diesel einluden.

    Das Gebäude selbst war in einem desolaten Zustand. Die Schaufensterscheiben fast blind, die Zapfsäulen verbeult. An allem nagte der Rost. Rechter Hand war die finstere Öffnung einer Waschanlage zu erahnen, links vom Hauptgebäude stand ein großer Überseecontainer, von dessen ursprünglicher Lackierung gar nichts mehr übrig geblieben war. Dahinter erkannte Herbie ein paar Fahrzeugwracks mit platten Reifen und zersprungenen Scheiben, zwischen denen ein Urwald von Brennnesseln und Brombeeren waberte. An der rechten Seite des Gebäudes luden eine morsche Holzbank und ein verrostetes Klettergerüst jeweils zum Verschnaufen oder zur Körperertüchtigung ein. Oder eher aus.

    Auf der Regenrinne des großen Flachdachs saßen ein paar Vögel, die sich mit quietschenden Lauten unterhielten. Ein paar andere kreisten über dem Gebäude. Waren das Geier? Nein, die hier waren grün. Ungewöhnlich grün.

    »Das ist keine Tankstelle, Julius, das ist ein Tankstellen-Museum!«, knurrte Herbie aus dem Mundwinkel.

    »Mit wem sprichst du da?«, fragte seine Tante schnarrend. Ihr Tonfall klang überaus alarmiert.

    »Mit mir selbst!«, beeilte sich Herbie zu sagen. Seinen Begleiter durfte er ihr gegenüber mit keiner Silbe erwähnen. Sie würde nicht zögern, ihn wieder der Psychiatrie zuzuführen, wenn sie erst herausfand, dass er immer noch diese Macke namens Julius hatte. Und dann würde er endgültig entmündigt werden, und das Geld, das ihm seine Mutter vor geraumer Zeit hinterlassen hatte, könnte er ein für alle Mal in den Wind schießen.

    Der Pudel kläffte ihn giftig an, als er sich seiner Tante näherte.

    »Schon gut, Bärbelchen, ich werde deinem Frauchen schon nichts tun.« Er lächelte säuerlich. »Was sie nur immer mit mir hat?«

    »Mein kleiner Liebling besitzt eine vorzügliche Menschenkenntnis. Sie erkennt einen Trottel auf hundert Meter Entfernung. Warum kommst du jetzt erst?«

    »Ich habe diese Tankstelle gesucht. Irgendwie habe ich …«

    »Habe ich dir nicht haargenau beschrieben, wo sie zu finden ist?«

    »Das schon, aber ich konnte einfach nicht glauben, dass du hier …«

    »Fasel kein dummes Zeug!« Sie erhob sich und strich die Falten ihres Lodenkostüms glatt. »Ich habe lange genug gewartet.«

    Julius kicherte. Noch ein paar Stündchen länger, und der allgegenwärtige Rost hätte angefangen, an ihr zu knabbern. Der ekelt sich vor nichts.

    »Wo ist denn dein Auto?«, fragte Herbie und schickte den Blick suchend hin und her. Hinter dem Areal stieg das Gelände sanft an. In der Ferne war der Waldrand jenseits der Autobahn erkennbar. Mit großer Deutlichkeit drang das Geräusch des Verkehrs zu ihnen herüber. Der Mercedes aber war nirgends zu sehen.

    »Da drin«, sagte Henriette Hellbrecht düster und wies mit der Spitze ihrer Krücke auf die Waschhalle. »Und wenn du wissen willst, wo Schlösser ist, dann sage ich ebenfalls da drin. Und wenn es dich interessiert, was er da drin macht, dann sage ich, er wartet auf dich.«

    »In der Waschanlage?«

    »Im Auto. Erspar mir deine blöde Fragerei und sieh nach! Ich hoffe, er atmet noch. Vorhin dachte ich, er kriegt einen Infarkt.«

    Der alte Fritz Schlösser war in seiner aktiven Zeit Postbeamter in Bad Münstereifel gewesen. Was ihn nach einem langen, bequemen Berufsleben und nach dreizehn Jahren müßigen Rentnerdaseins dazu getrieben hatte, ausgerechnet einen Job als Chauffeur bei Tante Hettie anzunehmen, war eins der großen Geheimnisse des einundzwanzigsten Jahrhunderts.

    Herbie bewegte sich langsam in die Richtung, in die seine Tante gezeigt hatte. Der garstig kläffende Köter, dem vor lauter Hass die Augen schier aus den Höhlen traten, folgte ihm genau so weit, wie Tante Hettie es ihm mit der Ausziehleine erlaubte. Herbie spürte den heißen Atem des Hundes ganz nah an seinen Knöcheln.

    Als er um die Ecke ins Innere der Halle spähte, begriff er nicht auf Anhieb, was geschehen war. Ein Teil des Kühlergrills von Tante Hetties schwarzem Mercedes war zwischen den großen, tropfnassen, senkrechten Bürsten zu sehen. Etwas weiter zurückliegend sah er die Frontscheibe des Wagens, die halb mit Schaum bedeckt war. Schlössers Gesicht mit der klobigen Brille konnte Herbie dahinter nur erahnen. Das, was er aber erkennen konnte, war schiere Verzweiflung. Der alte Mann fuchtelte mit den Händen im Wageninneren herum.

    Undeutlich waren seine Rufe zu hören, und das auch nur, weil es ansonsten fast still war, weil die Maschinerie der Waschanlage offenbar mitten in ihrer Bewegung erstarrt war. Nur ein vielstimmiges Tropfen untermalte die Szenerie und die schrillen Laute der seltsamen, grünen Vögel. Die Bürsten der Anlage drehten sich nicht mehr, aus den Düsen floss kein Wasser mehr, es troff und tröpfelte nur von überallher auf den nassen Boden.

    Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm das will. Julius deklamierte Arbeiterlyrik. Das war ja mal ganz was Neues.

    »Aber warum läuft denn hier nichts mehr?«, raunte Herbie ihm so zu, dass Tante Hettie nichts davon mitbekam.

    Dachte er jedenfalls.

    »Der alte Trottel ist in diesem Schrotthaufen von einer Waschanlage gefangen wie eine Maus in der Falle.« Sie stand mitten in der Toröffnung.

    »Aber wieso … was … wann …?«

    »Du faselst schon wieder! Überleg dir lieber schleunigst, wie du ihn da wieder rausholst!«

    Herbie betrachtete konzentriert das vor ihm liegende Bild. Irrte er sich, oder stand eine der Bürsten schief?

    Irre ich mich, oder steht eine der Bürsten schief? Julius schien großes Vergnügen an der Situation zu entwickeln.

    Herbie bedachte ihn nur mit einem kurzen, schnellen Seitenblick. »Eine der Bürsten steht schief«, konstatierte er. »Wie ist das passiert?«

    »Weiß der Himmel. Schlösser ist um das Gebäude herumgefahren und von hinten in die Waschhalle rein, so wie immer.«

    »So wie immer? Heißt das, ihr wart schon öfter hier?«

    »Das tut nichts zur Sache. Jedenfalls hat das Ding angefangen zu schrubben und zu schäumen, und mit einem Mal gab es einen schrecklichen Krach. Es hat gescheppert und gerumst, und dann roch es irgendwie verschmort.«

    Bärbelchen hatte jetzt einen Zipfel von Herbies Hosenbeinen zu packen gekriegt und zerrte daran.

    »Hör auf, mit dem Hund zu spielen, und tu was!«, herrschte ihn seine Tante an. »Ich will nach Hause, es wird Zeit für meine Tabletten, und wenn Schlösser da drin kollabiert, kann ich mich schon wieder nach einem neuen Fahrer umsehen.«

    Sie ist ein gütiger Engel.

    »Wo ist der Tankwart?«

    »Im Krankenhaus.«

    »Aber wer … wenn er … was …?«

    »Sprich deine Sätze zu Ende!«, keifte seine Tante. »Der Tankwart nützt uns jetzt nichts! Da drinnen hinter der Kasse sitzt ein pickliger Praktikant, der zu nichts nütze ist und dem ich verboten habe, irgendetwas zu tun. Nachher macht er noch Kratzer oder Beulen in mein Auto!«

    »Aber ich bin doch kein Mechaniker, Tantchen. Wie soll ich denn den Wagen da rauskriegen? Was ist denn, wenn Schlösser einfach wieder zurücksetzt?«

    »Ja, glaubst du vielleicht, wir sind völlig meschugge? Natürlich haben wir alles probiert!« Sie stieß wütend den Stock auf den Boden. »Ich habe Schlösser die Kommandos gegeben, und er hat alles versucht! Hinten hängt eine weitere Bürste quer, die da eigentlich nicht sein sollte. Der Wagen ist verkeilt! Eingeklemmt! Verbarrikadiert! Tu jetzt was!« Verärgert kratzte sie mit der Stockspitze in den Rillen des Pflasterplatzes herum.

    Die Ungeduld der alten Nebelkrähe wächst. Wird Zeit, dass du langsam ein bisschen Engagement zeigst.

    Herbie kratzte sich am Kopf und zwang sich, etwas zu tun, ganz gleich, wie nutzlos es sein würde. Er ruckelte an den senkrechten Metallstreben und versuchte, an den nassen Fransen der Reinigungselemente zu zerren. In der Höhe waren die Bürsten in einer querlaufenden Führungsschiene verankert. Eigentlich sollten sie beide symmetrisch auf die Mitte zugerollt sein, doch die eine, so war aus der Nähe jetzt deutlich erkennbar, stand etwa eine Handbreit zur Seite versetzt. Herbie kriegte die glitschigen Lappen einfach nicht zu fassen, und schon bald war er selbst klatschnass.

    Möchtest du vielleicht auch noch ein bisschen Aktivschaum, eine Unterbodenreinigung und eine feine Glanzwachsbehandlung?

    »Es nützt nichts, Tante Hettie«, rief Herbie nach draußen. »Alles total verklemmt. Ich versuche es mal hinten!«

    Doch auch da wurden seine Bemühungen nicht von Erfolg gekrönt. Die quer in der Luft hängende Bürste ließ sich keinen Millimeter nach oben oder unten bewegen. Wieso war die überhaupt da, wenn die senkrechten Bürsten in Aktion gewesen waren? Hier schien einiges in Unordnung geraten zu sein. Auch im Inneren der Anlage drehten die grünen Vögel unter der fleckigen Betondecke ihre Runden.

    »So, ich steige jetzt ins Auto!«, gab er durch.

    Klingt wie »Alles klar zum Entern«.

    »Versau mir bloß nicht die Sitze, hörst du!«

    Immerhin konnte man die hinteren Türen öffnen. Ein junger, wendiger Mensch hätte sich auch mehr oder weniger mühelos auf diesem Weg befreien können, aber der greise Schlösser hätte es niemals in einem Stück nach hinten geschafft.

    »Die Zeiten sind vorbei, dass ich auf dem Rücksitz rumturne. Egal, aus welchem Grund«, röchelte der Alte. »Ich muss hier raus, Jungchen, und zwar dringend.« Sein Keuchen klang alarmierend.

    »Das Schiebedach!«

    »Das Schiebedach?«

    »Ja, nach oben kommen Sie vielleicht raus.«

    Der kahle Kopf wurde in den Nacken gelegt. »Hm, ja, könnte klappen.«

    Wenige Augenblicke später schob sich fast geräuschlos ein Teil des Wagendachs nach hinten.

    Huch, höre ich da was? Geht die Waschanlage etwa wieder an?

    Herbie schrak zusammen, aber es handelte sich nur um die grellen Rufe der Vögel. »Blödsinn«, zischte Herbie. »Da bewegt sich nichts mehr.«

    »Aber ich tue doch, was ich kann!« Fritz Schlösser schaffte es jetzt tatsächlich, sich aus dem Sitz hochzustemmen, sodass sein Oberkörper schon bald aus der Öffnung ragte. Herbie griff ihm dabei nach Kräften unter die Achseln, um die Oberschenkel und überall sonst noch hin, wo es helfen konnte, dass er ins Freie gelangte. Bald schwang der Alte das erste Bein hinaus auf die Windschutzscheibe.

    »Die Schuhe!«, keifte Tante Hettie. »Die Schuhe aus, bevor ihr auch nur einen Fuß auf die Kühlerhaube setzt!«

    Sie taten, wie ihnen geheißen, und in den folgenden, endlos erscheinenden Minuten schafften sie es, in einem ganz und gar unwürdigen Balanceakt über die Front des Mercedes, zwischen den Bürsten hindurch auf den zwar nassen, aber immerhin festen Betonboden zu gelangen.

    Julius klatschte begeistert Beifall. Der chinesische Nationalzirkus nimmt euch mit Kusshand, Jungs!

    Henriette Hellbrecht hatte jedoch kein Lob für ihre Darbietung übrig. »Wurde aber auch Zeit. Los, deinen Schlüssel.«

    »Meinen?«, fragte Herbie ungläubig. »Wieso meinen Schlüssel?«

    »Wir werden das Risiko auf uns nehmen und mit deinem Schrottgefährt nach Hause fahren. Und sobald du den Mercedes wieder flott hast, bringst du ihn nach Bad Münstereifel, haben wir uns verstanden? Also her mit dem Schlüssel!«

    »Aber Tante Hettie, das geht doch nicht.«

    Sie zielte mit der Stockspitze auf seine Nase. »Und wie das geht. Lass dir was einfallen! Und wenn ich einen einzigen Kratzer an meinem Auto finde, dann …«

    Dann was?

    Herbie ließ die Schultern sinken. Ja, womit konnte sie ihm überhaupt drohen? Sie hatte ihn ohnehin in der Hand und brauchte nur zuzudrücken, um ihn endgültig zu zerquetschen.

    Der alte Schlösser zog sich derweil jammernd die Schuhe über seine nassen Socken. Herbie suchte die seinen und stellte entsetzt fest, dass Bärbelchen bereits mit Hingabe an dem linken herumkaute.

    Wenig später sah er seinem roten Auto hinterher, das mit einem ungesunden Geräusch davonrollte, eine große, bläuliche Abgaswolke hinter sich herziehend.

    Kraftlos trottete er mit den Schuhen in der Hand zurück zur Waschhalle. Einer der Vögel saß auf dem Autodach und interessierte sich für das Wageninnere. Herbie machte eine schwache Bewegung mit dem angekauten Schuh, um ihn zu verscheuchen.

    »Sie hat einen Praktikanten erwähnt«, sagte er.

    Das ist diese Spezies, die nichts kann und immer nur im Weg herumsteht, nicht wahr?

    »Irgendwo muss der ja sein.« Herbie steuerte den Shop an.

    Als er den klebrigen Metallgriff packte und die Glastür aufschob, quietschte es entsetzlich, und bevor Herbie eintreten konnte, kam ihm jemand mit hängender Hose und schlurfenden Schritten entgegen. Der Knabe mochte dreizehn oder vierzehn Jahre alt sein und würdigte Herbie keines Blickes. Dazu war er viel zu sehr mit der Betrachtung seines Handy-Displays beschäftigt. Er hatte strähniges, braunes Haar und unreine Haut. Auf der Oberlippe spross ein kaum wahrnehmbarer Flaum.

    »Guten Tag, sind Sie der … also, bist du der Praktikant, ich meine …?«

    Der Junge nuschelte unglaublich müde etwas unglaublich Unverständliches, das in einem fast erkennbaren Wort endete, das sich wie »Halsband-Sittiche« anhörte.

    »Wie? Ach so, die grünen Vögel. Toll. Aber ich wollte eigentlich etwas wegen der Waschanlage fragen.«

    Wieder wuchs ein gerade noch verstehbares Satzende aus einem Mundvoll undeutlichen Gemurmels heraus: »Mblmbldochgesagt, Halsband-Sittiche sin das.«

    »Und was hat das mit der Waschanlage zu tun?«

    »Mblmblundiescheißnester blockierendiemaschine. Mblmbläuft nix mehr. Verkeilt. Isso.«

    Herbie seufzte mutlos. »Okay, hast du irgendwo denn einen Schraubenzieher?«

    »Mblmblüberhauptgarnichtwohierwasis.«

    Julius lehnte sich mit beiden Ellenbogen auf die Motorhaube des Mercedes und legte den Kopf auf die Hände. Früher gab es doch diese Reparaturanleitungen: Jetzt helfe ich mir selbst.

    »Ich schreibe eine eigene«, murmelte Herbie grimmig und guckte dem davonschlappenden Praktikanten hinterher. »Mir ist nicht mehr zu helfen.«

    2. Kapitel

    Jenny Viebahn schob den Buggy über den unbefestigten Boden des Bauernhofs. Es rappelte und klapperte, und es würde ein ewiges Mysterium bleiben, warum Kinder am besten einschliefen, wenn sie ordentlich durchgerüttelt wurden. Warum verlernte man das bloß als Erwachsener? Ihr käme das in manchen Situationen sehr gelegen.

    Die kleine, gebückte Gestalt von Ketchen Kaltwasser erschien auf der Treppe des Wohnhauses. Mit ihrer Kittelschürze und den zerschlissenen Pantoffeln war sie das perfekte Abbild der rustikalen Landfrau. Und doch wirkte sie dort, vor dem Hintergrund der protzigen, schmiedeeisernen Haustür mit den modernen, geschwungenen Formen und auf den edlen Marmorstufen irgendwie unpassend.

    Das Haus war vor vielen Jahren nach allen Regeln der Kunst renoviert und mit allem ausgestattet worden, was nach Geld aussah. Was nicht automatisch bedeutete, dass guter Geschmack dabei eine große Rolle gespielt hatte. Zwei toskanische Säulen trugen einen terracottafarbenen Portikus, die Regenrinnen und Fallrohre waren aus Kupfer, die Fassade mit hellen, schmalen Riemchen verklinkert, die Dachziegel schimmerten türkis, und eine Reihe von exakt gruppierten Zypressen fasste das Grundstück ein.

    In ihren Händen trug die alte Frau eine schwarze Plastiktonne, was ihr beim Heruntersteigen der drei Stufen sichtlich Mühe bereitete.

    »Warte, Ketchen, ich helfe dir!«, rief Jenny und wedelte mit der Hand. Hoffentlich war Jonte jetzt nicht wachgeworden. Aber aus dem Buggy kam kein Mucks, während sie ihn auf die Treppe zuschob.

    Ketchen strahlte, als sie sie erreicht hatte. »Das ist aber lieb, Jenny-Kind.«

    Jenny nahm ihr den Eimer ab, der keinen Deckel hatte. Er war randvoll mit Kartoffelschalen, verwelkten Blüten und anderem Küchenabfall. »Das muss auf den Kompost. Ich hätte das schon geschafft, aber …« Sie rieb sich die Hände an der schmucklosen Kittelschürze ab und beugte sich über das schlafende Kind. »So ein süßer, kleiner Bengel«, flüsterte sie. »Jetzt wird er schon zweieinhalb Jahre alt, stimmt’s?«

    »Übernächsten Monat schon drei.«

    »Guck dir nur die speckigen Beinchen an«, sagte die alte Frau verzückt. Sie musste sich sichtlich beherrschen, nicht ihre schrumpeligen Finger auszustrecken, um dem schlafenden Kind über die Wangen zu streicheln.

    Jenny griff in das Transportnetz des Buggys und holte das Papiertütchen der Apotheke hervor.

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