Namenlos
Von Nika Sachs
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Über dieses E-Book
Nika Sachs
Nika Sachs ist 1987 in Frankfurt am Main geboren und lebt mit ihrer Familie unweit ihres Geburtsortes. Bereits in der Kindheit und Jugend zeichnete, sang und schrieb die vielseitig kreative Synästhetikerin. Neben Erzählungen und Bilderbüchern für Kinder schreibt sie leidenschaftlich gerne über das Komische und Unkonventionelle des Alltags.
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Buchvorschau
Namenlos - Nika Sachs
Für Sandra »Business« Wagner
∞
Wir alle haben unsere geheimen Geschichten
Zu diesem Buch
Dies ist eine fiktive Geschichte. Jedoch nimmt sie Bezug auf real existente Künstler, Filme und lokalspezifische Gegebenheiten. Auf Fußnoten wird hierbei verzichtet. Im Anhang befinden sich dafür einige Anmerkungen zum Nachlesen.
Inhaltsverzeichnis
Ypsilon
Fischvogel
Pantoffeltierchen
Goethe
Sperrmüll
Wertpapiere
Schall und Rauch
Ypsilon
Schwarz wie die Nacht, der Toast-Tod am Morgen. Verkohlt, zu spät, das Beste draus machen, denkt er sich. Abkratzen. Zumindest das Acrylamid, das sich durch den chemisch-physikalischen Prozess am Brot festgesetzt hat.
Abkratzen ist nicht verkehrt, es steckt so viel dahinter: Flüchtlingsboote, Eis an der Windschutzscheibe, der Commerzbank-Tower, der an den Wolken kratzt. Abgekratzt ist sowohl die Beziehung als auch der Protagonist des Buches, das er gerade liest. Jörg Immendorff hieß er und war ein zeitgenössischer Künstler, Freigeist und Anhänger des berühmt-berüchtigten Beuys. Abgekratzt deshalb, weil er an der unheilbaren amyotrophen Lateralsklerose verendet ist, wenn man das so sagen kann. Gerade hat der namenlose Schreiberling, das Beobachtungsobjekt dieser Geschichte, irgendetwas zum Thema Tod gelesen. Ob es einen guten Tod gibt. Gibt es den?
Vielleicht.
Das Resultat ist aber auch wurst, findet er.
Namenlose Gedanken brauchen auch keinen benannten Verfasser, ist die Devise der letzten Wochen. Oder Verfasserin, natürlich. Wochen geht das schon. Zum Handlungszeitraum des nicht so arg dicken, aber dennoch liebevoll-boshaften Buches, das er liest, war noch lange keine Rede von Ice Bucket Challenge und schon gar nicht von Massendatenspeicherungen und Wikileaks. 2007. Da war Facebook gerade erst auf dem Weg in die Köpfe der Bevölkerung, die auch noch nicht mit Smartphones breitbandversorgt war.
Die Wohnung auf der Berger ist unendlich laut. Dafür zentral und das Leben inspiriert ihn meist beim aus dem Fenster sehen. Heute nicht. Wie auch schon die ganzen anderen Tage zuvor nicht. Sonntagvormittag und der Kopf, der Gott sei Dank festgewachsen ist, damit es nicht reinregnet, ist leer. Aber es regnet nicht und die Wände der Wohnung erdrücken die Synapsen, die in der Leere des kleinen Universums umherflirren.
Seit drei Stunden läuft der Song auf Dauerschleife, der Loop seiner Stimmung, und doch vermag aus der trüben Hoffnung auf einen Gedanken aus dem Flow heraus keine Idee zünden. Gold, so heißt der Song von Chet Faker und hat den Rhythmus des Tages zum Programm. So eine rollschuhfahrende Muse wie im Musikvideo könnte ihm jetzt auch mal am Fenster vorbeifahren.
Die Wohnung ist schon länger fast leer, nur die Matratze auf dem Zehn-Euro-Rollrost, die Klamotten in zwei Kisten, der Schreibtisch und die weiße Wand dahinter. Und die weiße Wand davor. Eigentlich sind die Wände überall weiß, zum Glück muss man ja, wenn man es richtig anstellt, immer nur eine ansehen. Somit hält sich das Trauerspiel in Grenzen und ihr Auszug ist erträglich.
Die Frau, die hier mit ihm gewohnt hat, sie hat im Gegensatz zu ihm einen Namen. Miriam heißt sie und wäre in zwei Monaten Miriam mit dem neuen Nachnamen geworden, hat es sich aber bereits vor einem halben Jahr anders überlegt. Der Nachname vom Vornamenlosen hat ihr wohl nicht so gut gefallen, wie es scheint. Komisch, dass ihr das so nach viereinhalb Jahren Beziehung aufgefallen ist. Tatsächlich war das ihre doch mehr als dürftige Begründung, die sie auf dem kleinen Zettel auf dem Schreibtisch hinterlassen hat. Weil sie nicht raucht, hatte es auch keinen Sinn für sie gehabt, mal eben schnell Zigaretten kaufen zu gehen und davon nie wieder zurückzukommen.
Nein, sie hat ihn verlassen und ist wieder vergeben, denkt er sich. An einen Gesellschaftskämpfer, genau wie sie. Sympathisch und gut aussehend. Gebildet auch. Miriam wollte schon immer nach Afrika, hat da ihr Freiwilliges Soziales Jahr gemacht, die Kultur ist ihr nicht fremd, sie hat sich in sie verliebt. Ob das Liebe oder Idealismus war und ist, möchte die Geschichte noch nicht preisgeben. Soll sie mal, ist sie doch so oder so ihres eigenen Peches Koch, die Federn dazu hat der Namenlose schon gelassen. Drei Monate lang, wenn man es genau nimmt. Hungerstreik und nahender Alkoholismus. Koks kann er sich leider nicht leisten, was aber seiner Denkblockade nicht so einen Aufwind gegeben hätte wie der Alkohol. Dafür dem Gottkomplex, den das Zeug so mit sich bringt. Den bemerkt er vor allem oft in der Chefetage. Die Denk- und Schreibblockade ist jetzt das Resultat aus dem Absturz, dem Verlust des Bezugs zu sich selbst und dem bodenlosen Fass, der Zuber, in dem der Namenlose sitzt. Dreckwasser, voll mit verunreinigten Gedanken und Erinnerungen an diese Frau, die seinen Namen nicht haben will. Die einzige Beziehung zu einer weiblichen Stimme hat er im Moment zu Siri. Traurig, irgendwie.
»Des muss emal e End habbe, mit Ihne!«, sagt die Nachbarin auf dem Hausflur, den der Namenlose gerade betritt. Sie ist eine Nachbarschafts-Stalkerin, die Bornheimer Stasi, wenn man das so sagen kann. Die gute Durchschnittsbürgerin mit dem brutalen Frankfurter Dialekt und dem krusseligen Dutt. Sie ist halt nett und hat diesen Tante-Emma-Touch. Neugierig ist sie so oder so, sorgt sich aber um ihre Opfer, die sie mit liebevoller Mütterlichkeit am Fenster beobachtet. Dabei schaut ihr Yorkshire zu, der zum Glück kein Schleifchen auf dem Kopf hat. Aber sie lebt ja auch alleine, der Onkel zur Tante ist schon ewig tot, bestimmt zehn Jahre. Sie ist mindestens Mitte sechzig, wenn man das anhand ihrer Furchen im Gesicht so beurteilen kann. Quasi die Dreifaltigkeit auf der Stirn. Dass er sich das auch so manches Mal schon gedacht hat, antwortet er