Bhagavadgita
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Über dieses E-Book
Sri Aurobindo ist der Ansicht, dass die Botschaft der Gita die Grundlage der großen spirituellen Bewegungen bildet, die die Menschheit mehr und mehr ihrer Befreiung entgegen führt, das heißt aus der Falschheit und der Unwissenheit heraus, der Wahrheit zu. Seit der Zeit ihres Erscheinens hat die Bhagavadgita eine gewaltige spirituelle Wirkung gehabt; doch mit der neuen Deutung, die ihr Sri Aurobindo gegeben hat, hat ihr Einfluss noch beträchtlich zugenommen und ist entscheidend geworden." (DIE MUTTER)
Sri Aurobindos Interpretation bzw. Übersetzung der Gita wurde von Anilbaran Roy aus verschiedenen Quellen zusammengestellt. Er verließ sich so weit wie möglich auf Sri Aurobindos Übersetzungen und Umschreibungen, die im Rahmen der laufenden Prosa der „Essays über die Gita“ geschrieben wurden. Sri Aurobindo übersetzte manchmal ganze Slokas, manchmal nur einzelne Wörter oder Sätze; einige Slokas ließ er unübersetzt. Diese Übersetzungen decken etwa ein Drittel des Textes der Gita ab. Es sei erwähnt, dass Sri Aurobindo die übersetzten Passagen nicht als Teile einer fertigen Übersetzung der Gita ansah.
Die hier vorgestellte Übersetzung der Gita wurde erstmals 1938 in „The Message of the Gita“ herausgegeben. Sri Aurobindo genehmigte dieses Buch zur Veröffentlichung, machte aber in einem seiner Briefe deutlich, dass die Übersetzungen in den Essays „von mehr erläuternder Art als textlich präzise oder in einem literarischen Stil gegossen“ waren. Viele von ihnen sind eher Umschreibungen als strenge Übersetzungen. Sri Aurobindo schrieb auch, dass er nicht wollte, dass Auszüge aus den Essays „als meine Übersetzung der Gita herausgehen“. Dies sollte vom Leser im Hinterkopf behalten werden, wenn er mit dieser Übersetzung, die als Brücke zwischen der Gita und Sri Aurobindos Essays gedacht ist, arbeitet.
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Buchvorschau
Bhagavadgita - Sri Aurobindo
Teil I
DIE BOTSCHAFT DER GITA
Sri AurobindoSri Aurobindo
Es gibt vier sehr bedeutsame historische Ereignisse: Die Belagerung von Troja, das Leben und die Kreuzigung von Christus, die Verbannung Krishnas in Brindavan und das Gespräch mit Arjuna auf dem Schlachtfeld von Kurukshetra. Die Belagerung von Troja schuf Hellas, die Verbannung in Brindavan schuf die hingebungsvolle Religion (denn vorher gab es nur Meditation und Verehrung), Christus humanisierte von seinem Kreuz aus Europa, das Gespräch auf Kurukshetra wird die Menschheit noch befreien. Und dennoch wird behauptet, keines dieser vier Ereignisse habe je stattgefunden. — Sri Aurobindo
* * *
Kapitel 1
Die Botschaft der Gita
Worte Sri Aurobindos
Die Botschaft der Gita, das Wort ihres göttlichen Lehrers, können wir so zusammenfassen: „Das Geheimnis des Handelns ist eines mit dem Geheimnis allen Lebens und Daseins. Sein ist nicht nur ein Mechanismus der Natur, das Rad eines Gesetzes, in das die Seele für einen Augenblick oder für lange Zeiten verwickelt ist. Es ist eine ständige Manifestation des Geistes. Leben ist nicht nur da um des Lebens willen, sondern für Gott; und die lebendige Seele des Menschen ist ein ewiger Bestandteil der Gottheit. Handeln geschieht um der Selbst-Findung, um der Selbst-Erfüllung willen, wegen der Selbst-Verwirklichung und nicht nur wegen seiner äußeren oder sichtbaren Früchte des Augenblicks oder der Zukunft. Es gibt ein inneres Gesetz und einen inneren Zweck aller Dinge, abhängig von der höchsten Natur des Selbsts wie auch von seiner manifestierten Natur. Dort liegt die wahre Wahrheit des Wirkens. In den äußeren Erscheinungen des Mentals und seines Wirkens kann sie nur beiläufig, unvollkommen und durch die Unwissenheit verkleidet dargestellt werden. Darum ist es höchstes, fehlerloses und umfassendstes Gesetz des Handelns, die Wahrheit unseres eigenen höchsten und innersten Daseins herauszufinden und in ihr zu leben. Es gilt nicht, irgendeiner äußeren Norm oder einem solchen Dharma zu folgen. Solange wir das tun, muss alles Leben und Handeln etwas Unvollkommenes und Schwieriges, ein Ringen und ein Problem sein. Nur wenn du dein wahres Selbst entdeckst und im Einklang mit seiner wirklichen Wahrheit, seiner wahren Wirklichkeit lebst, kann das Problem endgültig gelöst, die Schwierigkeit und das Ringen überwunden werden, kann alles, was du tust, vervollkommnet werden und sich in der Sicherheit des entdeckten Selbstes und Geistes in ein verbürgtes göttliches Wirken verwandeln. Erkenne also dein Selbst! Erkenne, dass dein wahres Selbst Gott ist und eins ist mit dem Selbst aller Menschen! Erkenne, dass deine Seele ein Wesensteil Gottes ist! Lebe in dem, was du weißt! Lebe im Selbst! Lebe in deiner höchsten spirituellen Art! Sei mit Gott geeint und Gott gleich! Bringe zuerst dein ganzes Wirken dem Erhabenen und dem Einen in dir und dem Erhabenen und dem Einen in der Welt als ein Opfer dar! Überantworte schließlich alles, was du bist und tust, in seine Hand, damit der höchste und universale Geist durch dich seinen Willen und sein Wirken in der Welt vollziehen kann! Das ist die Lösung, die Ich dir anbiete. Am Ende wirst du finden, dass es keine andere gibt."
Hier ist es notwendig, dass wir den Standpunkt der Gita zu dem fundamentalen Gegensatz darstellen, zu dem sie, wie jede indische Lehre, Stellung nimmt. Es ist nicht leicht, das wahre Selbst und die Erkenntnis zu gewinnen, dass die Gottheit in unserem Inneren und in allen Wesen ist. Es ist ebensowenig leicht, diese Erkenntnis dann, wenn sie vom Mental gewonnen wird, in den Stoff unseres Bewusstseins und zur einzigen Grundlage unseres Handelns zu verwandeln. Alles Wirken wird durch den tatsächlichen Zustand unseres Wesens bestimmt; und dieser tatsächliche Zustand unseres Wesens wird durch den Zustand unseres ständig das Selbst schauenden Willens und aktiven Bewusstseins bestimmt und dessen Grundlage für die dynamische Bewegung. Das, was wir sehen, von dem wir mit unserer ganzen aktiven Natur glauben, dass wir es sind und dass unsere Beziehungen zur Welt dieses bedeuten, das ist unser Glaube, unser sraddha; das macht uns zu dem, was wir sind. Das Bewusstsein des Menschen ist aber von doppelter Art und entspricht einer doppelten Wahrheit des Seins. Denn es gibt eine Wahrheit der inneren Wirklichkeit und eine Wahrheit der äußeren Erscheinung. Je nachdem der Mensch in der einen oder der anderen lebt, wird er ein mentales Wesen, das in menschlicher Unwissenheit lebt, oder eine Seele sein, die im göttlichen Wissen gegründet ist.
In ihrer äußeren Erscheinung ist die Wahrheit des Seins lediglich das, was wir Natur oder Prakriti nennen: eine Kraft, die sich als Gesetz und Mechanismus des Seienden auswirkt, die Welt erschafft, Gegenstand des Mentals und der Sinne ist und auch Mental und Sinne erschafft als Mittel der Beziehung zwischen Geschöpf und objektiver Welt, in der es lebt. In dieser äußeren Erscheinung erscheint der Mensch in seiner Seele, seinem Mental, seinem Leben und seinem Körper als Geschöpf der Natur, das sich von anderen Geschöpfen durch Sonderung seines Körpers, Lebens und Mentals, besonders aber durch seinen Ego-Sinn unterscheidet –, jenen subtilen Mechanismus, der für ihn konstruiert wurde, damit er sein Bewusstsein dieser starken Sonderung und Verschiedenheit absichern und zentralisieren kann. Alles in ihm, die Seele seines Mentals und dessen Wirkens ebenso gut wie das Wirken seines Lebens und seines Körpers, wird offensichtlich durch das Gesetz seiner Natur bestimmt. Es kann nicht aus diesem heraustreten, kann sich nicht auf andere Weise betätigen. Gewiss schreibt er seinem persönlichen Willen, dem Willen seines Ego, eine bestimmte Freiheit zu. Das hat aber in Wirklichkeit keine Bedeutung, da sein Ego nur ein Sinn ist, mittels dessen er sich mit der Schöpfungsform identifizieren kann, die die Natur aus ihm gemacht hat: mit dem von anderen verschiedenen Mental, Leben und Körper, die sie gebildet hat. Sein Ego ist aber selbst ein Produkt ihres Wirkens. So wie die Art seines Ego ist, so wird die Art seines Willens sein. Und im Einklang mit diesem muss er handeln, er kann nicht anders.
Dies also ist des Menschen gewöhnliches Bewusstsein von sich selbst. Dies ist sein Glaube an sein eigenes Wesen, dass er ein Geschöpf der Natur ist, ein gesondertes Ego, das Beziehungen zu anderen Wesen und zur Welt herstellt, das irgendeine Entwicklung seiner selbst zustande bringt, das jedes Wollen und Begehren, jede Idee seines Mentals befriedigt, die im Ablauf der Natur zulässig ist und mit ihrer Absicht oder ihrem Gesetz in seinem Sein übereinstimmt.
Es gibt jedoch etwas im Bewusstsein des Menschen, das mit dieser starren Formel nicht übereinstimmt. Er hat einen Glauben an eine andere und innere Wirklichkeit des Seins, der in seiner Seele größer wird, je mehr diese sich entfaltet. In dieser inneren Wirklichkeit ist die Wahrheit des Seins nicht mehr Natur, sondern Seele und Geist, viel mehr Purusha als Prakriti. Natur selbst ist nur eine Macht des Geistes, Prakriti die Kraft des Purusha. Ein Geist, ein Selbst, ein Wesen, eins in allem: das ist der Meister dieser Welt, die nur seine Teil-Manifestation ist. Dieser Geist ist der Erhalter der Natur und ihres Wirkens. Er erteilt die Zustimmung, durch die allein ihr Gesetz unumgänglich und ihre Kraft und ihr Arbeiten praktisch wirksam werden. Dieser Geist in ihr ist der Wissende, der sie erleuchtet und in uns bewusst macht. Ihm eigen ist der immanente und überbewusste Wille, der ihre Wirkensweisen inspiriert und motiviert. Die Seele des Menschen, ein Wesensteil dieser Gottheit, nimmt an ihrer Art teil. Unser Wesen ist die Manifestation unserer Seele; sie führt alles durch ihre Zustimmung aus, sie verkörpert ihr geheimes Selbst-Wissen, ihr Selbst-Bewusstsein und ihren Seins-Willen in den Regungen, Formen und Veränderungen unseres Wesens.
Die wirkliche Seele und unser Selbst sind verborgen vor unserer Intelligenz durch deren Unwissenheit hinsichtlich der inneren Dinge, durch falsche Identifikation mit unserem äußeren Mechanismus von Mental, Leben und Körper und durch das Ausgeliefert-sein an sie. Sobald sich aber die aktive Seele des Menschen von dieser Identifikation mit den Instrumenten ihrer Art zurückziehen kann, ihre innere Wirklichkeit sieht, im vollen Glauben daran leben kann, ist für sie alles verändert: Leben und Sein nehmen ein anderes Aussehen an, das Wirken bekommt einen anderen Sinn und Charakter. Unser Wesen ist dann nicht mehr dieses kleine egoistische Geschöpf der Natur; vielmehr wird es zur umfassenden Weite einer göttlichen, unsterblichen und spirituellen Macht. Unser Bewusstsein ist nicht mehr das Bewusstsein dieses beschränkten und ringenden mentalen und vitalen Geschöpfes; vielmehr wird es zu einem unendlichen, göttlichen und spirituellen Bewusstsein. Und unser Wille und Wirken sind nicht mehr Wille und Wirken dieser begrenzten Persönlichkeit und ihres Ego; vielmehr werden sie zum göttlichen und spirituellen Willen und Wirken, zum Willen und zur Macht des Universalen, des Erhabenen, des All-Selbstes und Geistes, die in freier Weise mittels der menschlichen Gestalt wirken.
„Dies ist die große Wandlung und Umgestaltung", lautet die Botschaft der Gottheit im Menschen, des Avatars, des göttlichen Lehrers, „zu der Ich die Auserwählten berufe. Auserwählt sind alle, die ihren Willen von der Unwissenheit der Instrumente ihrer Natur ab- und hinwenden können zur tiefen Erfahrung der Seele, zu ihrer Erkenntnis des inneren Selbstes und Geistes, zu ihrem Kontakt mit der Gottheit, zu ihrer Macht, in das Göttliche einzugehen. Erwählt sind alle, die diesen Glauben und dieses höhere Gesetz annehmen können. Dies anzuerkennen, ist allerdings schwer für den Intellekt des Menschen, der stets an seinen alten Wolkengebilden und Halblichtern der Unwissenheit und an den noch finstereren Gewohnheiten der mentalen, nervlichen und physischen Seiten festhält. Hat er aber dies Gesetz einmal empfangen, ist es ein großer, sicherer, rettender Weg, da es identisch ist mit der wahren Wahrheit des Wesens des Menschen und die verbürgte Bewegung der innersten und höchsten Natur.
Die Wandlung ist aber eine große, gewaltige Transformation. Sie kann nicht getan werden, ohne dass du dein ganzes Wesen und deine Art wandelst und umkehrst. Es ist notwendig, dass du dein Selbst, deine Natur und dein Leben vollständig dem Erhabenen weihst, nichts anderem als dem Erhabenen. Denn nun muss alles nur um des Erhabenen willen unternommen werden. Nichts darf man annehmen, es sei denn in Gott und eine Gestaltung Gottes und um des Göttlichen willen. Es wird nötig, eine neue Wahrheit anzuerkennen, dein Mental völlig hinzuwenden und hinzugeben an eine neue Erkenntnis des Selbstes, der anderen Menschen, der Welt und Gottes, der Seele und der Natur, an ein Wissen um das Einssein; ein Wissen der universalen Göttlichkeit. Zuerst wirst du das nur mit dem Verstand annehmen; schließlich muss es aber zu einer Schau werden, zu einem Bewusstsein, zu einem Dauerzustand deiner Seele und zu einem Rahmen für ihre Maßnahmen.
Notwendig wird dazu ein Wille sein, der dieses neue Wissen, Schauen und Bewusstsein zu einem Motiv des Handelns macht, zu seinem einzigen Motiv. Das darf aber kein Motiv für ein Handeln sein, das du widerstrebend nur auf die notwendigen Maßnahmen der Natur oder auf die wenigen Dinge begrenzt und einschränkst, die für eine formelle Vollkommenheit hilfreich erscheinen, etwa einer religiösen Bekehrung oder individuellen Erlösung förderlich sind. Vielmehr soll alles Wirken des menschlichen Lebens in Gleichmut unternommen und um Gottes willen und für das Wohl aller Geschöpfe geleistet werden. Notwendig wird sein, dass das Herz in einem einzigen Streben zum Erhabenen emporgehoben wird, in einer einzigen Liebe zum Göttlichen Wesen, in einer einzigen Gottes-Verehrung. Auch das still gewordene und erleuchtete Herz soll so weit geworden sein, dass es Gott in allen Wesen umarmt. Es wird eine Umwandlung der gewohnheitsmäßigen und gewöhnlichen Art des Menschen, wie sie jetzt ist, in eine höchste und göttliche spirituelle Art nötig. Mit einem Wort: Erforderlich ist ein Yoga, der zugleich ein Yoga integralen Wissens, ein Yoga des integralen Willens und seines Wirkens, ein Yoga der integralen Liebe, Anbetung und