Dragon Tale - Kind des Feuers
Von Aylin Hacker
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Über dieses E-Book
Das alles ändert sich, als Monica eine unverhoffte Begegnung mit einem magischen Wesen hat, das zu allem Überfluss auch noch behauptet, sie zu kennen.
Durch dieses Ereignis scheint Monica ihrem inneren Feuer noch näher gekommen zu sein, was von dunklen Mächten nicht unbemerkt bleibt. Kurzerhand findet sie sich Hals über Kopf in Draconica, einer fremden Welt voller magischer Geschöpfe, wieder.
Dies ist ihre Geschichte über Feuer, Freundschaft und Abenteuer, aber vor allem - Drachen.
Aylin Hacker
Wenn die Autorin Aylin Hacker nicht gerade in fremde Welten von Büchern, JRPGs oder Filmen abgetaucht ist, bringt sie die Unmengen an Ideen und Kreativität, die in ihrem Kopf leben, zu Papier. Aufgewachsen ist sie in einem kleinen Dorf im Norden Deutschlands, wo sie ihre Kindheit und einen Teil ihrer Jugend verbrachte. Schon damals fand sie ihre Liebe zu Büchern - und Drachen - und hatte den Traum, Autorin zu werden. Nachdem sie im Leben herumgeirrt war und einige Richtungswechsel einschlagen hatte, fand sie zu ihren Wurzeln zurück und begann, ihr Leben dem Schreiben zu widmen.
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Buchvorschau
Dragon Tale - Kind des Feuers - Aylin Hacker
Alptraum."
Kapitel 1
Wenn ich die Augen schließe, sehe ich Feuer. Rote, glühende Flammen, die vor mir tanzen und alles, was vor ihnen steht, niederbrennen. Die Hitze, die mich umgibt, ist erdrückend. Meine Lungen fühlen sich klebrig und staubig zugleich an.
Doch ich nehme noch etwas anderes wahr. Etwas, das andere Menschen nicht sofort spüren. Wärme umarmt mich. Beinahe schützend. Die Flammen umkreisen mich und bilden ein sicheres Zelt. Sie reden mit mir. Ich kann sie hören. Sie sagen, ich soll keine Angst haben. Ich glaube ihnen. Feuer bedeutet nicht nur Zerstörung, sondern auch Neubeginn und Schutz. Wie ein Phönix, der verbrennt und aus seiner eigenen Asche wieder aufersteht. Mächtiger, schöner, strahlender als zuvor.
Ich habe das Gefühl, es würde mich noch etwas anderes als das Feuer zu sich rufen. Doch was? Wer bist du? Was willst du von mir? Wie bitte? Ich … kann dich nicht verstehen … zu … leise. Es schwindet. Bitte geh nicht! Warte!
Und mit einem Mal war es schwarz. Wie die Asche, die das Feuer hinterlassen hat.
„…nica."
War sie das? Diese mysteriöse Stimme?
„Monica!"
Nein, das war sie nicht.
Ich schlug meine Augen auf und sah meine Mutter vor meinem Bett stehen. Noch war alles verschwommen, jedoch konnte ich ihren blonden Pferdeschwanz und ihre ungewöhnlich blasse Haut erkennen.
Es war also nur ein Traum gewesen. So wie jedes verdammte Mal. Warum konnten diese Träume nicht einfach aufhören? Seit Tagen, Wochen, sogar Monaten wurde ich davon geplagt, obwohl ich es weniger als eine Plage sah. Mehr wie ein Rätsel, dessen Lösung ungreifbar war, und ich hasste es, wenn ich nicht auf die Lösung kam. Es war wie ein Stechen. Ein Jucken, das unter der Haut anfing, sich über den gesamten Körper ausbreitete und ein ungemütliches Befinden auslöste. Einfach nur ekelig. Ich konnte dieses saure Gefühl schon schmecken.
Vielleicht steigerte ich mich auch zu sehr in etwas hinein. Wer sagte denn, dass diese Träume überhaupt eine Lösung haben mussten? Doch hatte ich das Gefühl, dass diese Träume wohl so schnell kein Ende finden würden. Fast unbemerkt seufzte ich. Ich war gerade wieder dabei einzuschlafen, da meldete sich meine Mutter zu Wort.
„Monica! Wenn du nicht gleich aufstehst und dich auf den Weg machst, muss ich wohl oder übel Aaron anrufen und sagen, dass er wen anders auswählen soll, beim Jubiläum der Grundschule aufzutreten", rief sie in einem leicht scherzenden Ton, an dem ich erkannte, dass sie mir zuzwinkerte. Warum tat sie das überhaupt, wenn ich es eh nicht sah? Natürlich. Meine Mutter hielt sich für unglaublich witzig.
Ich liebe sie. Ich wusste zwar schon immer, dass ich adoptiert war, aber das änderte nie etwas an unserem Zusammenhalt als Familie. Auch, wenn ich nicht wusste, wer meine echten Eltern waren, oder irgendwelche Erinnerungen an sie hatte. Ich war sechs Jahre jung gewesen, als ich in die Familie der Vleugels adoptiert wurde. Ich wusste, es war komisch, wenn man nicht mal die kleinste Erinnerung an sein „vorheriges" Leben hatte. Ich konnte es mir selbst nicht erklären. Es war, als hätte ein Feuer alle Erinnerungen an damals ausgelöscht.
Um ehrlich zu sein, hatte ich mir darüber jedoch nie Gedanken gemacht. Noch nicht einmal darüber, dass ich adoptiert war. Obwohl meine Mitschüler mich damals nur zu gerne drauf ansprachen, dass meine dunkle Haut nicht zu der hellen meiner Eltern passte und meinten, dass diese mich nicht so sehr lieben würden, wie eine echte Tochter. Als ich meine Eltern an dem Abend darauf ansprach, erzählten sie mir, dass das nie etwas an ihrer Liebe für mich ändern würde und sie mich liebten, wie ihr eigenes Kind – was ich, laut ihnen, auch war. So, wie sie für mich meine Eltern waren – biologisch hin oder her.
Nachdem bei meiner Mutter, Janine, Endometriose, eine Erkrankung der Gebärmutter, festgestellt wurde, hatten sie den Kinderwunsch beinahe aufgegeben. Umso glücklicher waren sie, als sie mich fanden. Mein Vater erzählte immer davon, wie fasziniert er gewesen war, als er mich das erste Mal gesehen hatte. Meine feuerroten Haare, in zwei Zöpfen gebändigt, die ungewöhnlich für meine dunkle Haut, aber dafür umso leuchtender waren. Und meine bernsteinfarbenen Augen, die immer zu glänzen schienen und ein Licht ausstrahlten, das selbst die dunkelste Nacht erhellte.
„Wie neidisch ich doch auf diese Farbe bin. So intensiv und immer auf das fixiert, was sie wollen. Du bist die wunderbarste Tochter, die sich ein Vater wünschen kann, Meisje", pflegte er immer zu sagen, was sich meiner Meinung nach ziemlich schmierig anhörte, durch seinen Akzent aber wieder ungewollt lustig klang.
Meine Eltern wussten noch genau den exakten Moment, als sie im Kinderheim ankamen und mich allein in der Ecke sitzend Drachen malen gesehen hatten. Als sie nach einiger Zeit näher kamen, um sich mit mir zu unterhalten, hatte ich ihnen nur ein Bild mit zwei Drachen in die Hand gedrückt. Darauf waren ein großer, goldener und ein kleiner, grüner zu sehen. Zur Erklärung hatte ich gesagt – laut meinen Eltern hatte ich immer wenig und teilweise unverständlich geredet, was meine Mutter jedoch süß fand – dass das sie in Drachenform seien. Das war der Moment gewesen, in dem sie mich ins Herz geschlossen hatten.
Das Ganze war schon neun Jahre her. Inzwischen war ich 15 … geworden. Letzte Woche erst war mein Geburtstag gewesen. An einem wunderschönen, warmen Tag im August.
Ich musste wohl in Gedanken versunken sein, anders kannte ich es nicht von mir, denn als ich wieder in der Realität ankam, war es in meinem Zimmer schon dunkler und leerer geworden. Was wollte ich nochmal? Irgendwas mit Geigen und Drachen …
„Mein Geigenunterricht!", stellte ich, plötzlich hellwach, fest.
Ich war nach der Schule so erschöpft gewesen, dass ich mich gleich hingelegt hatte und sofort eingeschlafen sein musste. Dabei war heute nur der erste Schultag nach den Sommerferien gewesen. Von was konnte ich bitte so erschöpft gewesen sein?
Zum Glück war ich noch angezogen. Ich trug, vorzugsweise, ein Kleid oder einen Rock. In seltenen Fällen Jeans. Ich mochte keine Hosen. Sie engten mich ein, klebten an meiner Haut und fühlten sich an, wie ein Gefängnis für die Beine. Manchmal stahl ich alte Hemden meines Vaters, die er in seiner Werkstatt trug, kombinierte sie mit einem Gürtel und trug sie so als Kleid, mit Overknee-Socken und Stiefeln. Den Tipp hatte mir einst Zuleika, eine gute Freundin von mir, gegeben.
Ich sprang vom Bett, um mir meine Geige zu schnappen und loszudüsen. Doch da kam schon die erste Hürde auf mich zu: Die Geige finden. Mein Zimmer war ein einziges Chaos. Ich hasste es, aufzuräumen. Ich nannte es, meine ganz eigene Ordnung. Selbst meine Mutter hatte es irgendwann aufgegeben, mich zum Saubermachen zu animieren, unter der Bedingung, dass der Saustall in meinem Zimmer blieb und sich nicht in der Wohnung ausbreitete.
Beim Suchen stieg mir der Geruch von Zimt in die Nase. Ich liebte Zimt. Er erinnerte mich immer an den Winter und an die Geborgenheit zu Hause. Ich könnte für Zimtrollen, Spekulatius und Zimtkekse sterben. Eigentlich jedes Gebäck, das nur in der Nähe einer Schale voll Zimt stand. Zum Glück hatte ich eine geheime Quelle meines Vertrauens, die mich regelmäßig mit diesen Köstlichkeiten versorgte.
Neben meinem Bett lagen viele alte Zeitungen, die Seite mit den Kreuzworträtseln nach oben, gestapelt. Ich löste sie gerne und zugegeben wusste ich nie alles genau. Ich lernte dazu, aber Neues zu entdecken und meinen Horizont zu erweitern, war einfach mein Ding. Vor dem Einschlafen half es auch dabei, mich zu beruhigen. Ich löste sie aber auch gerne im Bus, im langweiligen Unterricht, beim Essen – so gut wie überall. Es war lustig und amüsierend zugleich, mit seinem unnützen, dazugewonnenen Wissen vor anderen anzugeben. Natürlich nur rein neckend gegenüber meinen Freunden. Besonders Henrietta, meine beste Freundin, ärgerte es am meisten, wenn ich den Streber in mir heraushängen ließ.
Aber meine Geige würde sich sicher nicht unter dem Zeitungsstapel verstecken. Doch auch unter den Plüschtieren und Bergen aus Klamotten ließ sich mein geliebtes Instrument nicht finden. Wo hatte ich das Ding nur gelassen? So ein Instrument dürfte doch nicht schwer zu finden sein. Obwohl, in dem Chaos, das sich mein Zimmer nannte, wahrscheinlich schon.
Nachdem ich jede Ecke des Raumes auf den Kopf gestellt hatte, gab ich die Suche auf. Verwirrt schlurfte ich in die Küche, wo meine Mutter gerade einen Cupcake-Teig zusammen mixte. Hier kam also die Zimtwelle her. Schon der Geruch brachte mich in Versuchung, etwas vom Teig zu naschen. Meine Mutter konnte unglaublich gut backen, was nicht nur an ihrer Ausbildung als Konditorin lag. Echt mies, wenn man bedachte, dass sie ihren Job wegen zahlreichen Krankheiten aufgeben musste und als arbeitsunfähig eingestuft worden war.
Seitdem versuchte sie, sich zu Hause zu beschäftigen und mit Gelegenheitsarbeiten etwas Geld einzubringen. Zum Beispiel mit Hunde- oder Babysitten, wie für unsere Nachbarin Liselotte und ihren kleinen Yorkshire Terrier Gaston. Ein wirklich putziges Kerlchen. Wenn er bei uns war, konnte er nie genug davon bekommen, sich den Bauch kraulen zu lassen.
Wir selbst hatten zwei Katzen; Spargel und Gulasch. Spargel war eine fette, kugelrund gefütterte Katze mit orange-rotem Fell, die alles fraß, was unbeaufsichtigt herumlag. Dabei kam es nicht darauf an, ob es auf dem Tisch stand oder auf dem Boden. So musste auch der Spargel daran glauben, den sich die Katze in jungen Jahren gekrallt hatte. Daher bekam sie ihren Namen.
Bei Gulasch, die später dazu kam, wollten wir das Prinzip beibehalten und nannten sie so, aufgrund ihrer Fellfärbung. Gulasch war die jüngere und wesentlich aktivere Katze. Manchmal konnte ich sie dabei beobachten, wie sie ohne Grund durch das Haus flitzte und alles umrannte, was nicht befestigt war. Dabei hüpfte sie auf Sessel und Schränke, unter Tischen hindurch und über meine Eltern.
Und natürlich gab es da noch die drei Kuschelpartner Purzel, Puschel und Pummel. Während Puschel und Pummel, ein braunes und ein schwarzes Zwergkaninchen, sich die meiste Zeit aneinander schmiegten, mümmelten und schliefen, hatte Purzel, das weiße Kaninchen, keine Zeit dafür. Rasend schnell hoppelte es durch den Käfig und knabberte alles an, was sich ihm in den Weg stellte. Er war mein kleines, flauschiges Wutpaket.
„Oh, du bist immer noch da, Spatz? Ich dachte, du wärst schon auf und davon."
„… Ich finde meine Geige nicht, gab ich kleinlaut zu. „Hast du sie irgendwo gesehen?
„Vielleicht würdest du mehr finden, wenn du mal Ordnung in deine Dimension bringen würdest. Womöglich hat ein schwarzes Loch dein Instrument verschlungen."
„Haha. Das hilft mir sehr wenig. Wahrscheinlich sollte ich noch hinterher springen, um es herauszuholen, sonst komme ich hier nie weg."
„Wenn es einen Rat gibt, den ich dir als Mutter geben kann, dann ist es, dass du dich von schwarzen Löchern fernhalten solltest", lachte sie. „Ach ja, und falls du es schon vergessen haben solltest, du hast deine Geige bei Aaron gelassen, da du sie dort nie verlegen würdest. Irgendwie ironisch, findest du nicht? Fast schon eine vergeigte Situation."
Oh, mein Gott. Ich wusste nicht, was schlimmer war. Dass meine Mutter mir nicht gleich gesagt hatte, wo meine Geige war, oder dass sie in wirklich jeder Situation ihren Humor behalten konnte.
„Vielen Dank, dass du es mir so früh gesagt hast", entgegnete ich sarkastisch und stürmte aus der Küche. Ich bremste mich vor der Treppe, die hinunter führte, ab, kehrte um und gab meiner Mutter noch schnell einen Kuss auf die Wange.
„Gern geschehen."
„Viel Spaß, Meisje!", rief mir mein Vater aus seiner Werkstatt entgegen, als ich aus der Hintertür trat.
Unter unserem Vordach, beim Hintereingang, befand sich ein weiterer, kleiner Raum, in dem mein Vater seiner Arbeit nachging. Mein Vater, Daan, war Tischler und bastelte gerne allerlei Dinge aus Holz zusammen.
Im Moment bohrte er an einem Holzstück herum, das aussah wie das Brett eines kleinen Badezimmer-Regals. Die Werkstatt war klein, aber gemütlich eingerichtet. Es gab ein paar Tische mit Werkzeugen, Sägen, Wasserwagen, Hämmern und natürlich ganz viel Holz. Ein kleiner Ofen stand in der Ecke und hielt die Werkstatt selbst im Winter warm. Außerdem erkannte ich die orange, weiße und blaue Trikolore, die über seinem Kopf hing.
Mein Vater kam aus den Niederlanden, weswegen er diesen lustigen Akzent beim Reden hatte, der ihn aber auch so liebenswert machte. Ich war noch nie in der Heimat meines Vaters gewesen und sprach dementsprechend auch nicht die Sprache, aber ich wusste, dass Meisje, wie mein Vater mich nannte, Mädchen hieß.
Meine Oma Anissa, väterlicherseits, und seine zwei Brüder, sowie ihre Familien, wohnten dort. Regelmäßig schrieben wir und redeten auch, aber nur telefonisch, obwohl ich mich dabei weniger unterhalten konnte. Meine Oma sprach nur Holländisch, kein Englisch und ganz wenig Deutsch, weshalb mein Vater immer dabei sein musste, um zu dolmetschen.
Ich verabschiedete mich, indem ich auch meinem Vater einen Kuss auf die Wange gab, und rannte so schnell wie möglich vom Hof. Mein Dorf war ziemlich klein. Jeder kannte jeden und Gerüchte und Neuigkeiten verbreiteten sich schneller als im Internet. Besonders, wenn man mit den richtigen Leuten sprach, wie Frau Gurkenheimer, dieser lebenden Zeitung. Damals, als sie noch bei einer Fleischerei im Supermarkt gearbeitet hatte, bekam ich immer, wenn ich mit einkaufen war, eine Wurstscheibe von meiner Lieblingssorte umsonst auf die Hand. Sie und meine Mutter hatten sich damals auch regelmäßig zum Backen getroffen, was in letzter Zeit leider seltener geworden war.
In Gedanken versunken, rannte ich gegen ein großes, rotes Schild, das sich über mir auftürmte und mir ein wichtigtuerisches „STOPP!" entgegen schmiss.
„Kannst du lesen?", fragte mich eine rauchige, eigenartige Stimme genervt. Sein Akzent war ziemlich stark, trotzdem konnte ihn nicht einordnen.
„Ja, da steht Stopp", entgegnete ich ebenso angesäuert.
„Da sieh mal einer an. Da ist wohl jemand fleißig zur Grundschule gegangen. Ich bin stolz auf dich." Das Gesicht des Mannes verzerrte sich zu einer hässlichen, lachenden Fratze, welche seine speckigen Falten im Gesicht auf und ab tanzen ließ. Der hielt sich ja für noch witziger, als meine Mutter.
Mir gingen tausende genervte Antworten durch den Kopf, aber ich hielt lieber den Mund. Eine unnötige Diskussion wollte ich nicht anzetteln. Stattdessen richtete ich meine Aufmerksamkeit auf das, was hinter dem Schild abging. „Eine Baustelle? Echt? Und dafür muss man gleich den ganzen Weg absperren?", rutschte es mir ungewollt raus. Sofort hatte ich die Aufmerksamkeit des korpulenten Mannes erneut auf mich gelenkt.
Ganz super gemacht, Monica, gab ich mir selbst eine mentale Ohrfeige.
„Tja, Kleine. Da gibt es nichts zu machen. Du musst einen anderen Weg nehmen." Mehr sagte er nicht, sondern wand sich wieder seiner Arbeit zu. Was für ein freundlicher Mensch.
Auf meinem Rückweg spielte ich mit dem Gedanken, einfach zu Hause zu bleiben. Lohnte es sich denn überhaupt noch? Ich war eh schon zu spät und hatte meine Lust und Laune ab dem Stoppschild verloren.
Ein langer Seufzer entfuhr mir, als ich für einen Moment vor meinem Haus stehen blieb. Doch irgendwas hielt mich davon ab, das Haus zu betreten. Es war wohl einfach mein Pflichtbewusstsein, das mir zurief, dass ich einen Termin hatte, die ich einhalten musste.
Außerdem machte sich Aaron immer übermäßig Sorgen um mich. Damals hatte ich gerne damit gescherzt, dass er mich lieber adoptiert hätte, als Janine und Daan. Wenn ich schon spät dran war, dann war ich ihm zumindest eine Erklärung schuldig, und das nicht übers Telefon.
Nur widerwillig drehte ich mich um und fing an, die andere, weitaus kompliziertere und längere Route zum Ziel zu nehmen. Wenn ich damals nur gewusst hätte, was mich erwarten würde, wäre ich dann zu Hause geblieben oder wäre ich trotzdem gegangen?
Kapitel 2
Der längere Weg führte an vielen Gebäuden meines kleinen Dorfes vorbei. Wie an der Grundschule, die ich damals sehr gerne besucht hatte. Ich wusste, da wollte ich niemals weg, aber eines Tages musste es unausweichlich kommen. Das war noch eine sehr entspannte Zeit gewesen.
Dabei konnte ich mich nicht einmal beklagen. Ich ging, anders als andere Jugendliche in meinem Alter, gerne zur Schule und liebte das Lernen so sehr, dass ich sogar freiwillig länger in der Bibliothek saß und mit Fiete, einem Freund, zusammen Karteikarten anfertigte, Hausaufgaben bewältigte oder Vokabeln lernte.
Wir wurden auf das spätere Leben vorbereitet, viele machten sich schon Sorgen und Gedanken darüber, was sie später einmal beruflich machen wollten. Es musste schön sein, schon einen Plan zu haben, anders als ich. Es gab einfach zu viel, was mich interessierte. Entscheidungen waren schwer und wurden einem nicht abgenommen.
Das Leben war leider kein Märchen oder eine Geschichte, in der ein magisches Wesen deine wahre Identität als Prinzessin eines fremden Fantasielandes aufdeckte.
Mittlerweile war ich am Friedhof angekommen und ging mit großen Schritten an der dornigen Hecke vorbei, die die Gräber umzingelte. Fast wie eine Schutzmauer, die die Untoten abwehren sollte. Ich hatte nichts gegen diesen Ort, nur wurde ich immer an meine Großmutter erinnert, die dort unter Steinen und Dreck lag. Ich erinnerte mich noch an damals, wie sie –
Ein plötzliches Rascheln riss mich aus den Gedanken. Abrupt blieb ich stehen und versuchte, die Quelle des Geräusches ausfindig zu machen. Nachdem ich gefühlt eine halbe Ewigkeit dort gestanden und in die Hecke gestarrt hatte, hatte ich einen Einfall. Da ich eh schon spät dran war, konnte ich ebenso gut meiner Oma einen Besuch abstatten. Meine Eltern freuten sich sicherlich darüber, wenn ich die Blumen auf dem Grab goss. Die Idee schien mir sehr gut.
Ich ging zurück zum quietschenden Eisentor und stieß es auf. Ein schrilles Geräusch ertönte und schon stand ich auf dem knackenden Kies, der den Boden bedeckte. Ich atmete tief durch und steuerte zielsicher auf das große, mit Efeu überwucherte Grab zu. Der Name Doris Stark war mit Großbuchstaben in den alten Stein gemeißelt, der schon schief in der Erde hing. Eine Zeit lang starrte ich ihn nur an und schwelgte in Erinnerungen.
Ein erneutes Knacken riss meinem Kopf erschrocken in die Höhe. Das hatte ich mir diesmal aber nicht eingebildet, oder?
Ich blickte mich vorsichtig um. Keiner war da, außer mir selbst. Vielleicht wurde ich paranoid. Ich hätte in letzter Zeit nicht so viele Horrorbücher lesen sollen. Besonders keine mit Zombies.
Schon wieder. Komm schon, Monica. Jetzt bildest du dir aber echt alles ein.
Wahrscheinlich ist es Zeit, zu gehen, dachte ich und sah mir noch ein letztes Mal den Grabstein an. In einem Schwung drehte ich mich um und blickte direkt in die großen, dunkelblauen Augen einer geradezu entstellten Maske.
„Du bist es wirklich!"
Einen Augenblick lang starrte ich dieses Monster an, bevor ich einen hohen Schrei wahrnehmen konnte. Dieser Schrei musste von mir gekommen sein, denn ich landete mit dem Hintern auf dem Boden und konnte meine Augen nicht von diesem Ding abwenden.
Hatte es gerade geredet? Wenn ja, konnte ich mich nachher noch wundern, denn im nächsten Moment, als es näher kam und mir die Hand hin hielt, kroch ich zurück, sprang, so gut es ging, auf und stolperte Richtung Ausgang. Ich ließ mir nicht die Zeit, um dieses Monster genauer anzusehen. Alles, was ich wusste, war, dass es blaue, fast verbrannte Haut hatte, wenige bis keine Haare und durchbohrende, dunkelblaue Augen. Mein Herz hämmerte wild in meiner Brust und drohte, jeden Moment hinaus zu springen. Meine Sinne waren durcheinander und ich konnte nur noch das rettende Gittertor sehen.
„Warte doch!", hörte ich jemanden hinter mir rufen und Schritte, die näher kamen.
Was dachte sich dieses Monster? Dass ich stehen bleiben und gefundenes Fresschen spielen würde? Nicht mit mir.
Panisch stolperte ich zum Ausgang und riss das Tor auf. Mit einem lauten Knall warf ich es wieder zu, torkelte ein paar Schritte vorwärts und ließ mich gegen die Hecke sinken. Ich hörte nichts mehr, außer meinem schweren Atem. Dieses Wesen kam mir anscheinend nicht hinterher. Hoffentlich.
Nur noch eine Frage flog kreuz und quer durch meinem Kopf: Was war das?
Ich konnte nicht mehr klar denken. Meine Gedanken waren zu angsterfüllt, meine Hand wanderte an meine Brust, als würde ich meinem Herzschlag beruhigen wollen. Sie zitterte unkontrolliert. Mein ganzer Körper zitterte, als wäre es ein kühler Tag im Dezember und kein warmer Nachmittag im August. Ich musste mich beruhigen. Aber wie stellte man so was an, wenn man gerade dem Tod ins Auge geblickt hat?
Ich versuchte, meine Atmung gleichmäßig zu halten, schloss meine Augen und lauschte. Die Musik der Natur beruhigte mich immer. Doch gerade schien alles ziemlich still. An so einem schönen Tag müssten die Vögel überglücklich singen. Aber sie taten es nicht. Selbst der kleinste Lufthauch und das ferne Rauschen der Autos wurden ausradiert. Alles um mich herum wurde durch meinen lauten Herzschlag übertönt.
Nur, dass es ruhig war, bedeutete nicht, dass die Gefahr vorüber war. Ich war immer noch hier und der Ort des Schreckens hinter mir. Ich hatte genug Geschichten gelesen, um erraten zu können, was als nächstes passieren würde. Jeden Moment könnten diese ekeligen, verbrannten Hände durch die Blätter der Hecke greifen und versuchen, mich zu sich zu ziehen.
Ich musste schleunigst hier weg. Aber ich konnte nicht. Mein Körper wollte mir nicht gehorchen und meine Beine fühlten sich an, wie Wackelpudding. Sie wollten einfach nicht hören. Also tat ich das einzige, was ich in so einem Moment tun konnte: Ich krabbelte auf allen Vieren davon.
Mir war es relativ egal, ob man mich so sah, so wie die alte Dame, die auf der anderen Straßenseite gerade mit ihrem Hund um die Ecke bog und mich dumm anglotzte.
Vielleicht riss ich mir sogar meine Strumpfhose oder mein Knie auf, aber im Moment wollte ich einfach nur hier weg. Ich schaute beim Überqueren der Straße noch nicht mal, ob Autos kamen, sondern krabbelte einfach weiter. An diesem Ort kam sowieso kaum einer vorbei.
An der anderen Straßenseite angekommen versuchte ich, mich aufzurichten, doch scheiterte kläglich und wurde wieder zu Boden gerissen. Dämliche Beine. Ausgerechnet jetzt mussten sie mich enttäuschen.
In diesem Moment ging die alte Dame an mir vorbei und würdigte mir nur einen herablassenden Blick. Ihr Hund, ein kleineres Modell mit sandfarbenem, flauschigem Fell, blieb stehen, um an mir zu schnüffeln. Für einen Augenblick brachte mich das zurück in die Gegenwart und ich hob die Hand, um den Hund zu streicheln, da riss die Frau an der Leine und zerrte den Kleinen laut fluchend von mir weg.
„Komm, Schnucki. Halt dich von den Jugendlichen fern. Sind am helllichten Tage schon betrunken. Ist ja scheußlich."
Ich liebte die Menschen hier. Die waren immer so freundlich. Anstatt zu fragen, ob alles okay ist, gleich jeden in einen Topf werfen. Aber für einen Moment konnte ich mich tatsächlich bewegen. Ich beobachtete noch, wie der kleine Hund davon tippelte, und richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf meine Hände.
Langsam, ganz langsam versuchte ich, mich mit meinen Händen vom Boden wegzudrücken. Danach mit den Füßen. Schleppend, unbeholfen und wackelig stand ich auf, aber ich stand. Das war doch schon mal etwas.
Immer noch schwankend und gemächlich, damit ich nicht wieder hin knallte, bewegte ich mich vorwärts. Ich wusste nicht, ob es vielleicht besser wäre, nach Hause zu gehen, aber ich war schon so weit gekommen. Die letzten Meter würde ich auch noch schaffen.
Benommen kam ich endlich an meinem Ziel an. Ich ging durch das kleine Gartentor mit dem großen Torbogen, der mit roten, weißen und orangen Rosen geschmückt war. Neben dem mit Steinen gepflasterten Weg standen allerlei schöne und große Blumen, die herrlich gut dufteten. Wenn ich diesen Weg entlang ging, dachte ich immer, ich wäre in einer Parfümerie gelandet. Aaron hatte wirklich einen grünen Daumen.
Ich schlich den Weg zur roten Vordertür. Aaron Baumann stand dort in schwarzer Schrift. Ich betätigte die Klingel darunter und lauschte auf Fußstapfen, die sich der Tür nähern. Nach einiger Zeit war es endlich soweit. Ein riesiger, älterer Mann öffnete langsam die Tür. Sein ernstes, eckiges Gesicht entspannte sich bei meinem Anblick und ein erleichtertes Lächeln erschien.
„Monica, da bist du endlich. Ich habe mir schon Sorgen gemacht. Ist alles okay? Ist was passiert?"
Sofort wurde sein Beschützerinstinkt geweckt. Vergewissernd legte er eine Hand auf meine Schulter und begutachtete mich ausgiebig.
„Nein. Alles in Ordnung, Aaron … denke ich."
„Wirklich?", fragte er besorgt und hob die rechte Augenbraue, die von einer Narbe unterbrochen wurde. Er deutete auf meine Knie.
Ungewiss, was er meinen könnte, folgte mein Blick seinem und starrte auf mein dreckiges, rotes Top und meine schwarze Strumpfhose, die an den Knien aufgerissen war. Nicht nur das, auch meine Knie selbst waren von Schürfwunden überzogen und das getrocknete Blut hing wie Acrylfarbe an meinen Beinen.
„Oh …", entfuhr es mir.
Anscheinend war ich so im Schock gewesen, dass ich gar nichts mehr gefühlt hatte. Nicht einmal den Schmerz.
„Ähm, ja. Alles okay. Bin nur hingefallen. War gar nicht so schlimm. Hab's ja gleich wieder vergessen, ich Schussel", lachte ich.
Ich erzählte lieber nichts von übernatürlichen Begegnungen auf Friedhöfen. Ich wollte nicht, dass Aaron noch den Notarzt rief, weil ich nun völlig durchgeknallt war und unter schlimmen Halluzinationen litt.
„Nicht so schlimm, ja? Sieht nicht gerade danach aus. Jetzt komm erst mal rein und dann verarzten wir dich."
Aarons Haus war schon immer gemütlich gewesen. Die Einrichtung erinnerte ein bisschen an Omas kleines Wohnzimmer, und jedes mal lag ein Geruch von Raucherstäbchen in der Luft. Daneben gab es noch eine unersetzliche Teenote, ohne die Aaron nicht leben konnte. Er liebte Tee über alles und schien sich nur von dieser Flüssigkeit zu ernähren.
Das Feuer, das mich magisch anzuziehen schien und beruhigte, brannte friedlich im Kamin. Es war natürlich fraglich, warum im Hochsommer der Kamin brannte. Der Grund dafür war Aarons kleiner, gefiederter Mitbewohner.
Neben dem Kamin stand ein großer Käfig, dessen Tür offen stand, und ein kleines, hölzernes Gerüst, das aussah, wie ein Miniaturbaum.
„Hallo, Graufeder. Wie geht es dir heute?", fragte ich die fette Taube, die sich auf einem der Äste niedergelassen hatte, und breitete fröhlich meine Arme aus.
Sie gab mir, wie erwartet, keine Antwort, sondern starrte mich nur mit ihren großen, schwarzen Glubschaugen an.
Ich ließ mich auf dem roten Sofa gegenüber des Kamins nieder und sank in die flauschigen Kissen, die dort in Massen angelegt waren. Neben dem Sofa standen links und rechts jeweils ein ebenso roter Sessel. Alle Sitzgelegenheiten umrandeten einen kleinen, gläsernen Tisch, auf dem ein goldenes Teeservice ordentlich aufgestellt war.
Ich fragte mich, ob Aaron öfter Besuch hatte. Außer mir wusste ich nicht mal etwas von anderen Schülern, die er haben könnte. Ansonsten war der Raum ziemlich schlicht gehalten. Man konnte kaum etwas über diese Person, die hier wohnte, sagen. Wie gut, dass ich Aaron schon länger kannte. Ich wusste bei weitem nicht alles über sein Leben, aber es reichte, um ihn zu kennen.
Das Knacken im Kamin und die Gemütlichkeit des Sofas könnten mich einschlafen lassen. Als hätte er meine Gedanken gelesen, kam in diesem Moment Aaron mit einem kleinen, roten Koffer durch die Tür. Er rückte einen der Sessel vom Tisch weg und deutete mir, dass ich mich dort setzen sollte.
Ich bewegte mich über den Perserteppich, der das ganze Wohnzimmer ausfüllte und im Flackern des Feuers lebendig erschien. Als würden die kleinen Verzierungen leben und auf ihren Pferden um die Wette reiten, epische Schlachten kämpfen und im Feuerschein tanzen.
Nachdem ich mich hingesetzt hatte, begann Aaron, die Wunde mit Wasser auszuwaschen und zu desinfizieren.
Obwohl er, nach eigener Aussage, schon 58 Jahre alt war, würde man das nie vermuten. Ich, für meinen Teil, war jedenfalls ziemlich überrascht gewesen, als ich sein Alter herausfand. Damals war er noch 52, als ich mit neun anfing, Geigenunterricht zu nehmen.
Aaron hatte sich dafür gut gehalten. Seine braunen Haare, die durch ein paar silberne Strähnen fast mysteriös wirkten, fielen ihm leicht in die Stirn. Sein Gesicht, das immer durch eine ernste und angestrengte Miene besetzt war, wurde von zwei langen Narben durchzogen, die sich beide zur rechten Seite neigten. Die Erste fing an der linken Braue an, zog sich über die Nase und endete oberhalb der Lippe. Die zweite, etwas kleinere Narbe, zog sich über die rechte Braue am Auge vorbei und endete am rechten Ohr. Mehr als einmal hatte ich mich gefragt, wo er die davongetragen hatte. Seine braunen Augen waren konzentriert zusammengekniffen.
Zusammengefasst, Aaron sah gar nicht schlecht aus, auch, wenn er mein Opa sein könnte, sich aber mehr wie ein Vater verhielt. Verständlich, dass Henrietta ihn immer spaßeshalber Silver Fox nannte. Kein Wunder, dass Frau Gurkenheimer alles versuchte, um ihn zu bezirzen.
Seine Arme waren von Muskeln überzogen, nicht übertrieben, aber immer noch erkennbar, bei denen man sich fragte, ob er wohl Sport machte. Er sah aus, als würde er eine Horde wilder Löwen mit bloßen Händen erlegen können. War man mit 58 nicht schon zu alt dazu? Ich war noch weit von dieser Zahl entfernt, daher würde ich es wohl erst dann wissen können.
Diese Gedanken stimmten mich traurig. Wenn ich so alt war, würde Aaron wahrscheinlich nicht mehr da sein. Für mich eine schreckliche Vorstellung. Er war für mich wie der nette Onkel, den ich nie hatte, um nicht zu sagen, schon fast wie ein Vater. Anfangs hatte ich ihn noch Herrn Baumann genannt, aber das war ihm zu förmlich. Er bestand darauf, dass ich ihn lieber mit Vornamen ansprechen sollte. Ich mochte es so auch viel lieber.
„Ich werde jetzt den Verband anlegen. Dafür sollten wir die Strumpfhose aus dem Weg schaffen."
„Wie?"
Ich war so in Gedanken vertieft gewesen, dass ich gar nicht bemerkt hatte, dass sich auf meinen Knien schon Pflaster befanden. Beim genaueren Betrachten erkannte ich das Dinosaurier-Muster. Das mussten noch die Überreste von damals sein, als ich als Kleinkind von der Grundschule von Aaron abgeholt worden und bei ihm gewesen war, wenn meine Eltern beschäftigt oder nicht zu Hause waren.
„Das rechte Knie war schnell verarztet, da reicht ein Pflaster, aber das linke ist stark aufgeschürft. Es sollte lieber ein Verband darum", erklärte er und deutete auf mein linkes Bein.
„Das wird kein Problem sein. Kann ich kurz eine Schere haben?"
Aaron sah mich eine Zeit lang verunsichert an, aber reichte mir dann die Schere, die im Verbandskasten lag. Da die Strumpfhose schon kaputt war und sich eh nicht mehr retten ließ, schnitt ich um den Riss oberhalb des Knies herum und streifte den unteren Teil ab.
„So müsste es gehen, oder?"
„Ich denke schon. Darauf wäre ich nicht gekommen. Ich werde wohl alt", lachte er.
So schnell, wie das Lächeln gekommen war, verschwand es wieder. Beim Verband umlegen war wieder der ernste, konzentrierte Ausdruck da, den ich kannte.
„Fertig. Du solltest beim nächsten Mal aufpassen. Ich frage mich ja schon, wie du so unglücklich stürzen konntest."
Ich zuckte nur mit den Schultern. „Kann doch schon mal passieren. Und bei mir weiß man nie."
Der prüfende Blick von Aaron verriet mir, dass er noch nicht ganz überzeugt war, aber auch nicht weiter nachfragen wollte.
Ertappt räusperte ich mich. „Wir sollten vielleicht mit dem Unterricht anfangen. Sonst komme ich heute zu nichts."
Ich fühlte mich schrecklich dabei, Aaron anzulügen. Oder allgemein Menschen. Obwohl ich nicht direkt log. Ich war hingefallen, nur verschwieg ich den Rest und wie es dazu gekommen war. Trotzdem fühlte es sich nicht richtig an. Es tat womöglich sogar gut, darüber zu reden. Aber im Moment war kein guter Zeitpunkt dazu.
„Ich dachte, du wolltest anfangen?", riss mich Aaron aus den Gedanken, der gerade bei Graufeder stand und ihn streichelte.
„Ähm. Ja, richtig", murmelte ich gedankenverloren vor mich hin.
Natürlich hatte ich wieder vergessen, wo ich meine Geige gelassen hatte. Dabei hatte ich sie doch extra hier gelassen, damit das nicht passierte. Welch süße Ironie. Meine Mutter würde sich vor Lachen auf der Erde kugeln.
Aaron schien meine Verwirrung zu bemerken und seufzte. Er deutete auf das rote Sofa. Erst wusste ich nicht, was er meinen könnte, aber dann fiel es mir wieder ein. Ich hatte meine Geige zu gut versteckt. Warum ich das getan hatte, wusste ich leider nicht. Ich wollte es mir doch einfach machen.
Beschämt, jedoch leicht amüsiert über meine eigenen Gedankengänge, schlich ich zum Sofa, kniete mich hin, griff unter den roten Stoff und zog einen schwarzen Koffer hervor. Ich legte ihn vorsichtig vor mich und klappte die silbernen Verschlüsse an den Seiten um. Als ich den Deckel öffnete, kam eine dunkelblaue Geige, die zu glitzern schien, zum Vorschein.
Damals hatte sie nicht diese Farbe gehabt, sondern war langweilig braun gewesen. In meinen jüngeren Jahren wollte ich mit diesem Instrument nicht länger spielen, weil es, meiner Meinung nach, so nichtssagend aussah, und ich etwas besonderes haben wollte. Also hatte ich das getan, was für ein Kleinkind selbstverständlich klang: Ich malte sie metallisch-blau an. Damit es noch perfekt wurde, hatte ich Glitzer drüber gestreut. Jetzt funkelte die Geige, wie die Sterne in der Nacht, und das Blau selbst sah aus, wie der Nachthimmel.
Nach dem ersten Schock, dass ich nicht mehr auf der Geige spielen könnte, fanden meine Eltern das Ergebnis doch noch schön. Aaron hatte bis heute nichts dazu gesagt. Ich wusste nicht, ob das nun gut oder schlecht war. Irgendwann fand ich mich damit ab, dass es ihm wohl einfach egal war. Heute fragte ich mich mehr, warum ich die Geige nicht in weinrot angemalt hatte.
Ich stand auf und ging mit meiner Geige vor den Kamin, wo ich den Notenständer aus der Ecke holte und aufbaute. Ich kramte ein paar Notenblätter hervor, legte sie an die vorgesehene Stelle und nahm den Bogen aus dem Koffer.
Als ich begann, den Bogen straff zu ziehen, schweiften meine Gedanken wieder zu meiner nicht so schönen Begegnung vorhin ab. Vielleicht war es nicht so schlimm gewesen, wie ich gedacht hatte. Es gab schließlich keine logische Erklärung dafür.
Ich konnte mir vorstellen, dass es ein paar Jugendliche gewesen waren, die sich einen Scherz erlaubt hatten. Das konnte ich mir sogar sehr deutlich vorstellen. Solche Leute gab es leider immer wieder. Allein in diesem Dorf sah ich mehr als zehn Gesichter von Leuten, die so etwas machen und es auch noch witzig finden würden.
Ich hätte wirklich nicht darüber nachdenken sollen. Was wäre, wenn es aber jemand anderen als mich getroffen hätte? Zum Beispiel eine ältere Dame, die sich von diesem Schock nie erholt hätte? Dieser Gedanke stimmte mich plötzlich so wütend, dass ich einmal fest am unteren Bogenteil drehte.
Ich spürte die Wärme einer Hand auf meiner und blickte Aaron an, der mir langsam den Bogen aus der Hand nahm. „Wenn du noch weiter daran herumdrehst, kommen wir heute gar nicht mehr zum Üben. Ist wirklich alles in Ordnung?"
„Ja, natürlich. Ich bin nur ein bisschen müde. Das ist alles."
Aaron schaute mich fragend an, sagte aber wieder nichts. Entweder es interessierte ihn einfach alles nicht, oder er wartete darauf, dass ich von selbst platzte. Ohne weiter zu fragen, drückte er mir wieder den Bogen in die Hand und dazu ein kleines Viereck, in Plastik verpackt. Während er sich zu seinen vorherigen Platz begab, fing ich an, den Bogen mit den Harz zu überstreichen.
Leider war ich wieder zu sehr in meine Fantasie vertieft, die sich auszumalen versuchte, wer dieses Wesen sein könnte, sodass ich nicht bemerkte, wie Graufeder angeflogen kam und mir das Bogenharz aus der Hand schlug. Erschrocken blickte ich auf und sah nur noch, wie die Taube auf Aarons Arm landete und das Plastikviereck in seine Hand fallen ließ.
Beschämt blickte ich auf den Boden. Ich wollte doch weitere Unannehmlichkeiten vermeiden. Wütend biss ich mir auf die Lippe und fixierte meinen Blick auf den Bogen. Ob ich was sagen sollte? Zum Glück übernahm Aaron das für mich.
„Ist wirklich alles in Ordnung? Soll ich dir einen Tee machen?"
Ich schüttelte den Kopf und drehte den Bogen in meiner Hand.
„Tut mir leid. Wie gesagt, bin ich immer noch etwas müde. Es war ein harter Tag, von dem ich mich noch nicht erholen konnte, aber ich werde mich jetzt konzentrieren. Versprochen."
„Gut. Warum versuchst du nicht, dich ein wenig einzuspielen? Ich denke, das bekommst du auch in deinem jetzigen Zustand hin."
Das klang schon eher genervt. Aber ich konnte es ihm nicht übel nehmen. Ich war von mir selbst auch schon gefrustet.
Reiß dich zusammen, Monica, fluchte ich innerlich.
Aber das Thema wollte mir einfach nicht aus dem Kopf gehen. Wenn es nun kein Scherz gewesen war? Wenn es jemand war, der ernsthaft meine Hilfe gebraucht hätte? Oder wenn diese Person, wenn es eine war, mit mir reden gewollt hatte, und ich mir im Schockzustand über das plötzliche Auftauchen nur eingebildet hatte, dass es ein Monster wäre?
Ganz toll. Davon bekam ich jetzt Schuldgefühle. Genau wie davon, dass egal, wie sehr ich auch an diesen blöden Wirbeln drehte, meine Geige einfach keinen richtigen Ton herausgeben wollte. Entmutigt seufzte ich und schloss meine Augen.
„Vielleicht sollten wir für heute Schluss machen. Du weißt, bald ist das Jubiläum der Grundschule und ich habe dich vorgeschlagen, weil ich deinen Fähigkeiten vertraue. Es wäre schade, wenn wir so kurzfristig jemand anderen finden müssten. Das würde ich nicht wollen", verkündete Aaron, als er sich erhob und Graufeder zurück in seinen Bäumchen brachte.
Jetzt hatte ich noch mehr Schuldgefühle. Aber sollte ich ihn wirklich mit meinen Problemen belasten? Er konnte weder etwas tun, noch wusste er eine Antwort. Das war unmöglich.
Betreten baute ich meine Bühne ab, legte mein Instrument und alles, was dazu gehörte, behutsam in den Koffer zurück und schob ihn wieder unter das Sofa. Auf dass ich es nächste Woche wieder vergaß. Vielleicht sollte ich mir einen Zettel schreiben. Oder sie mitnehmen. Ich hatte heute so wenig geschafft, da wäre zu Hause üben doch eine gute Gelegenheit, alles nachzuholen.
Ich zog den Koffer wieder hervor und blickte Aaron an, der gerade Graufeders Futter nachfüllte. Ich sollte es einfach wagen. Er hatte es mir quasi schon angeboten, mich auszutauschen. Warum nahm ich es dann nicht an? Weil ich nicht hundertprozentig wusste, was ich gesehen hatte oder wie ich es erklären sollte, ohne den Anschein zu erwecken, dass ich mir einen Sonnenstich zugezogen hatte.
Trotzdem. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Auch wenn das Sprichwort in einer anderen Situation besser gepasst hätte.
„Ehrlich gesagt gibt es da doch etwas, was mich bedrückt", sagte ich und setzte mich auf einen roten Sessel.
Aaron richtete seine Aufmerksamkeit auf mich.
„Bevor ich hierher gekommen bin, hatte ich eine, ich stockte und suchte nach dem richtigen Wort, „außergewöhnliche Begegnung mit etwas, was ich nicht erklären kann, denn ich weiß selbst nicht, was ich gesehen habe.
Anscheinend hatte ich nun seine volle Aufmerksamkeit gewonnen, denn Aaron kehrte dem Käfig sein Rücken zu und setzte sich gegenüber von mir auf den anderen Sessel. „Außergewöhnlich?"
„Ja. Ich sage es einfach geradeheraus, so, wie ich es in Erinnerung habe oder denke, es gesehen zu haben."
Ich hielt für eine dramatische Pause inne.
„Ich habe ein Monster gesehen."
Für einen Moment war es totenstill im Raum. Das Ticken der Kuckucksuhr an der Wand schien wie eingefroren, die Geräusche der Natur schienen wie gedämpft und drangen nicht mehr bis ins Haus. Sogar Graufeder schien wie versteinert und nahm mich mit seinen schwarzen Augen ins Visier.
Es war so still, dass es mir schon unangenehm war. War ich zu schnell mit der Tür ins Haus gefallen? Ich rechnete damit, dass Aaron jeden Moment loslachen würde, auch, wenn es nicht seine Art war. So peinlich war mir das.
„Also – also, ich denke, ich habe eins gesehen. Sicher bin ich mir ja nicht. Es war eh viel zu schnell und ich hatte vielleicht leichte Panik – "
„Monica …"
„Okay, zugegeben war es auch keine ‚leichte‘ Panik. Es war eher viel Panik. Daher auch meine Wunden. Aber dieses Ding hat mir die nicht zugefügt. Das war ich. Nicht direkt –"
„Monica."
„Ich konnte nach dem Schock nicht mehr laufen und bin deshalb auf meinen Händen und Füßen herumgekrochen. Ziemlich blöd, ich weiß, aber ich konnte nicht mehr gehen. Und dann kam diese Frau vorbei und – "
„Monica!"
Ich blickte auf.
„Immer mit der Ruhe. Was hast du genau gesehen? Auch, wenn du denkst, es dir nur eingebildet zu haben. Was war es? Ich will es ganz genau wissen."
Für einen Moment war ich verwundert. Aaron schien richtig interessiert an meiner Story zu sein. Auch sonst erschien er mir ernster, als sonst. Weniger streng ernst, mehr besorgt ernst. Ich wäre weniger überrascht gewesen, wenn er gesagt hätte, dass ich mir nur alles eingebildet hatte und das wirklich kein Grund dafür wäre, dass ich heute so abgelenkt war. Sein Interesse war mir dagegen schon fast unheimlich.
Aber ich sollte wohl keine Fragen stellen. Er war sicherlich nur besorgt um mich. Also schloss ich meine Augen und versuchte meinen Geist, so gut es ging, zurück in die Situation zu versetzen. Auch, wenn es der Rest von mir nicht wollte.
„Diese Gestalt war blau. Wortwörtlich blau. Die Haut war etwas verbrannt, denke ich. Es hingen Hautfetzen herab. Das ist der Teil, den ich mir auch nur eingebildet haben könnte. Ich weiß nicht mehr, ob es Haare hatte oder nicht. Die Augen waren groß und blau, wie der Rest des Körpers.
Das Monster, Ding, oder die Person, was auch immer es sein mag, hatte eine gekrümmte Haltung und ist geschlurft, statt zu gehen. Ich erinnere mich nicht ganz an die Stimme. Ich war zu dem Zeitpunkt schon weg. Im geistigen Sinne."
Etwas ließ mich stocken. Meine Augen, die ich die ganze Zeit über geschlossen gehalten hatte, öffnete ich langsam und wartete, bis sich meine Augen wieder scharf gestellt hatten und der rote Teppich nicht mehr verschwommen zu sehen war.
„Was noch? Woran kannst du dich noch erinnern?"
„Es hört sich vielleicht komisch an, aber diese Gestalt hat versucht, mir zu helfen. Nachdem ich mich so erschreckt habe, bin ich hingefallen und es hat eine Hand nach mir ausgestreckt. Außerdem hat es geklungen, als würde es mich kennen oder erkannt haben."
Ich sah Aaron an. Eine Sekunde lang, kaum bemerkbar, man könnte meinen, es wäre meine Einbildung gewesen, konnte ich ein Aufleuchten in seinen Augen sehen. Jetzt platzte die Neugierde doch aus mir heraus.
„Warum bist du so interessiert? Ich war wahrscheinlich nur müde und habe mir alles eingebildet. Nichts, was man ernst nehmen muss", lachte ich nervös.
Ich fühlte mich immer noch so komisch. Die Atmosphäre im Raum schien um einige Grade kühler als zuvor und die Luft fühlte sich vor lauter Anspannung elektrisierend an.
„Nun …, begann Aaron und lehnte sich nach vorn, seine Ellbogen auf die Knie stützend, „Du bist nicht die Erste, die von diesen Vorkommnissen erzählt. In letzter Zeit habe ich von mehreren Leuten gehört, dass sie eine verdächtige Gestalt im Dorf umherschleichen sehen. Ich denke, es könnte möglich sein, dass es sich um dieselbe Person handelt.
Das machte Sinn und sogar ich konnte nichts dagegen sagen. Also nickte ich einfach nur. „Wie ich mir gleich gedacht habe: Irgendwer spielt jemanden nur einen Streich."
„Kann sein. Aber keinen witzigen."
„Aber was war dann mit dem, was ich gesehen habe?"
„Nun, das kann natürlich wahr sein, und die verdächtige Person hat sich getarnt, damit sie nicht erkannt wird, aber es könnte auch eine vom Schock hervorgerufene Reaktion gewesen sein und du hast es dir eingebildet. Was in so einem Moment sicher nicht ungewöhnlich ist. Ich bin jedenfalls froh, dass dir nichts Schlimmeres passiert ist. Und die Wunden werden sicher auch schnell heilen. Da bin ich mir sicher." Ein sanftes Lächeln erschien auf Aarons Gesicht.
Mir entfuhr ein angespanntes Seufzen, als ich im Sessel zusammensank. Endlich schien alles wieder normal. Es war nicht mehr eisig im Raum und der Gesang der Vögel hatte wieder eingesetzt. Selbst Graufeder machte sich an seinem silbernen Federkleid zu schaffen und wandte seine Aufmerksamkeit seiner Säuberung zu.
„Ich werde dann mal gehen. Sonst wird es noch später und meine Eltern machen sich ziemlich schnell Sorgen, wie du weißt."
Ich stand auf und griff nach meinem Koffer, in dem sich die Geige befand, und ging zur Vordertür. Vorher winkte ich Graufeder noch zum Abschied, selbst, wenn der Vogel nicht wusste, was ich damit sagen wollte. Aaron folgte mir und schloss die Tür auf.
„Wenn du willst, können wir deine Eltern anrufen, dass sie dich abholen."
„Nein. Ich denke, das wird nicht nötig sein. Von hier aus ist es ja nicht so weit und ich werde auf dem schnellsten Wege nach Hause gehen. Nach heute werde ich um den Friedhof für mindestens eine Woche einen großen Bogen machen."
Diese Fürsorge und Bemutterung war schon herzlich und nett, aber ich brauchte nach so einem anstrengenden Tag Zeit, um nachzudenken und meine Gedanken zu sortieren. Zu Hause würde ich nur das Nötigste mit meinen Eltern reden und den Rest des Abends in meinem Zimmer eingekuschelt im Bett liegen.
„Pass auf dich auf", hatte Aaron mir noch zugerufen, als ich den kleinen Vorgarten passiert hatte und das ebenso kleine Tor hinter mir schloss.
Aaron war nicht gerade von der Idee begeistert gewesen, er machte sich wie immer zu viele Sorgen um mich, aber nachdem ich ihm tausend mal versichert hatte, auf dem schnellsten Wege nach Hause zu gehen, hatte er sich darauf eingelassen.
Das Problem war nur, ich konnte den Friedhof in keiner Weise umgehen. Es gab insgesamt nur zwei Wege. Der eine wurde von dieser bescheuerten Baustelle versperrt und der andere führte geradewegs am Ort des Schreckens vorbei. Jedoch könnte ich mich auf der anderen Seite der Hecke bewegen. So würde ich jeden Kontakt vermeiden, der auftreten könnte, aber ganz sicher würde ich mich nicht fühlen.
Dieser Blick. Diese Präsenz. Sogar den Atem. Ich konnte das alles immer noch spüren. Egal, wie weit entfernt ich war.
Es gab noch einen dritten Weg. Der längste, der zum Rande des Dorfes führte, am Wald vorbei, und mindestens eine Stunde dauerte. Ich hatte also nur eine Wahl. Ich könnte rennen, aber mit dem Geigenkoffer in der Hand war es mir fast schon zu riskant. Außerdem taten meine Knie nach den Strapazen höllisch weh und ich wollte die Heilung nicht noch weiter hinauszögern.
Die kaputte Strumpfhose und meine wunden Knie musste ich auch noch meinen Eltern erklären, und denen konnte ich nicht von einem Monster erzählen. Sie würden es, wie ich, auf die ganzen Horrorgeschichten schieben, die ich gerne las. Und, nebenbei bemerkt, in letzter Zeit ziemlich oft.
Ich würde versuchen, in schnellen Schritten vorbei zu gehen, mich nicht umzusehen oder gezielt nach etwas zu suchen und mich ablenken. Vielleicht sollte ich etwas singen. Irgendwas, um meine Angst zu besiegen.
Welche Version mir nun besser gefiel, konnte ich nicht sagen. Das Monster, das ich gesehen hatte, oder die mysteriöse Gestalt, die sich laut Aaron und anderen Einwohnern hier in den letzten Wochen herumtrieb. Irgendwo tief in mir hoffte ich, dass es nur meine Fantasie gewesen war. Doch noch tiefer wusste ich, dass es nicht so sein würde.
Der Gedanke, es zu wagen und doch einen Blick zu riskieren, in die unheimliche Aura inmitten der Gräber zu gehen, kam wie ein Lufthauch daher und flüsterte mir diese Versuchung verführerisch ins Ohr, als ich den Gehweg auf der anderen Seite des Friedhofs mit schnellen Schritten zu bezwingen versuchte. Mochte es mein ausgeprägter Sinn für Abenteuer sein oder der Wunsch, aus diesem eintönigen Leben auszubrechen und was aufregendes zu erleben, oder doch diese absurde Anziehung, die ich verspürte, ich würde nicht auf sie hören.
Fest umklammerte ich mein eingepacktes Instrument und fixierte meinem Blick krampfhaft auf einen imaginären Punkt vor mir. Die Sonne war fast verschwunden und ich erkannte noch die leichten Strahlen, die sie in der Ferne über den Himmel verteilte. Das Rot, welches die Wolken bemalte, war das einzige Seil, das ich noch greifen konnte, um nicht in Panik hinabzustürzen. Es beruhigte mich.
Um mich herum war die Temperatur schon gesunken und die Nacht schien bald einzusetzen. Ich war dem Sommer dankbar dafür, dass es noch nicht komplett dunkel war. Im Winter hätte ich das Angebot von Aaron sicherlich angenommen und meine Eltern kontaktiert.
Ein Knacken hinter mir ließ mich zusammenfahren, und beinahe hätte ich meine Geige fallen gelassen, aber ich fasste mich im richtigen Moment und beschleunigte mein Tempo, ohne mich auch nur umzudrehen. Zu Hause angekommen ließ ich die Tür etwas zu laut zuknallen, was die Aufmerksamkeit meiner Mutter auf sich lenkte.
Neugierig linste sie um den Türrahmen des Wohnzimmers und blieb bei meinen Knien hängen. „Monica! Schatz, was ist passiert?"
Den Rest des Abends verbrachte ich damit, meinen Eltern haargenau zu erzählen, was vorgefallen war. Vielleicht auch nicht ganz genau, einiges ließ ich mit Absicht weg. Ich erzählte nur den Teil, in dem ich hingefallen war, um sie zu beruhigen, dass es nicht Ernstes war, Aaron mir geholfen hatte und dass es nicht so schlimm war, wie sie dachten.
Ich liebte meine Eltern. Wirklich. Sie machten sich nur ziemlich viele Sorgen und wollten mich vor allem schützen, was auch nur ansatzweise gefährlich sein könnte. Und wenn es ein verschlossenes Gurkenglas war. Bevor ich das öffnete, sollte ich ihrer Meinung noch eine Schutzbrille und Handschuhe tragen.
Danach teilte mir meine Mutter mit, dass Frau Gurkenheimer dieses Wochenende kommen würde und sie nach langer Zeit wieder einmal zusammen backen wollten und ich, wenn ich denn wollte, gerne dabei sein konnte. Zusätzlich fuhr unsere Nachbarin Liselotte dieses Wochenende zu einem Meeting und würde Gaston bei uns in die Obhut geben. Dieses Wochenende würde nicht langweilig werden. Ich freute mich schon darauf.
Später, gut verpackt unter der Decke, mit einer Horrorlektüre in der Hand, fühlte ich mich, zum ersten Mal seit heute morgen, richtig entspannt und sicher.
Doch etwas ließ mich nicht los. Es war die Neugier darauf, was dieses mysteriöse Wesen war, das mich und das gesamte Dorf so in Schrecken versetzt hatte und doch nicht böse schien. Jedenfalls sagte mir das eine Stimme, tief in meinem Inneren. Es war zuerst der Schock, die Angst, die das plötzliche Auftauchen dieser Person verursacht hatte, doch danach war es nur noch ein Fluchtinstinkt gewesen. Rückblickend betrachtet wäre es schon peinlich, wenn man mich von außen gesehen hätte. Jene alte Frau jedenfalls war ja nicht sonderlich erfreut gewesen über meine Aktion. Den Preis für die freundlichste Nachbarschaft bekamen die Menschen hier sowieso nicht. Sogar dieser dickliche Arbeiter von heute …
Meine Mutter kam noch herein und setzte sich auf mein Bett. Wir unterhielten uns länger, sie erkundigte sich danach, wie es mir ging, und dass sie mir definitiv eine neue Strumpfhose kaufen würde, weil sie wusste, wie sehr ich an ihr gehangen hatte, und ich erzählte vom Unterricht. In der Schule und bei Aaron. Dann wünschte meine Mutter mir eine gute Nacht und wollte gehen. Doch kurz vor der Tür drehte sie sich noch einmal um.
„Eine Sache an deiner Geschichte verstehe ich noch nicht ganz, murmelte sie nachdenklich. „Warum bist du den langen Weg am Friedhof vorbei gegangen?
„Weil der Kurze leider durch Bauarbeiten gesperrt war und diese Deppen meinten, dafür müsste man gleich den ganzen Weg absperren. Ist doch total unnötig, oder?"
Meine Mutter sah mich mit ihren blauen Augen verwundert an. Was sie dann sagte, schlug mir das Buch aus der Hand.
„Was meinst du? Dein Vater und ich sind diese Strecke erst vorhin zum Bäcker gegangen. Da war keine Absperrung."
Kapitel 3
Mehrere Stunden lag ich wach und starrte die Decke an, die sich in der Dunkelheit zu bewegen schien. Die Worte meiner Mutter wollten mir nicht aus dem Kopf gehen. Laut ihr gab es die Baustelle nicht, aber ich war mir ganz sicher, dass ich sie gesehen hatte, also konnte es auch nicht meine blühende Fantasie gewesen sein.
Ich hatte auch ganz sicher mit dem fülligen, unfreundlichen Bauarbeiter geredet. Den hatte ich mir sicher nicht eingebildet. Solche Leute existierten in meiner Fantasie nicht. Genauso wenig, wie Baustellen, die mir absichtlich den Weg versperrten, um mich in missliche Lagen zu bringen.
Es könnte auch sein, dass die Baustelle am morgen noch nicht da gewesen und dann erst aufgebaut worden war. Oder, dass sie über den Tag fertig geworden waren und gegen Abend alles abgebaut hatten. Trotzdem wäre das sehr wenig Zeit gewesen für was auch immer da vor sich ging oder gebaut wurde, denn wer kümmerte sich schon um eine kleine Straße in einem unbedeutenden Dorf? Es war auf jede denkbare Weise unmöglich, so schnell fertig zu werden.
Ich hielt es nicht länger aus. Ich musste hier raus und selbst nachsehen. Morgen war zwar Schule, aber ich nahm die Müdigkeit in den ersten Stunden in Kauf, wenn ich dadurch auch nur ansatzweise mein Gewissen und meine Neugier beruhigen konnte. Nach allem, was heute passiert war, konnte es doch nicht noch bizarrer werden, oder? Jedenfalls konnte mich nichts mehr überraschen.
An Schlaf war gar nicht mehr zu denken, und mich dazu zwingen, zu schlafen, würde nicht klappen. Meine Träume würden voller undefinierbarer Wesen und Situationen sein, die mich nach dem Aufwachen so nerven würden, dass ich es bereuen würde, nicht gegangen zu sein. Das wollte ich auf keinen Fall riskieren. Meine Gedanken waren viel zu wach und laut. Sie schrien mich an, nachzusehen, und wie immer gehorchte ich meinem Kopf.
Ich stand vom Bett auf und ging zum Kleiderschrank, um mir etwas zum Anziehen zu suchen. Ich zog ein rotes Kleid hervor, das mit willkürlichen geometrischen Formen betupft war, schlüpfte in meine Turnschuhe, falls ich schnell rennen musste, zum Beispiel, wenn ich wieder auf dieses Monster treffen würde, und zog die alte, schwarze Strickjacke meiner Mutter über, die sie nicht mehr trug und mir vermacht hatte.
Streichen wir das Rennen. Meine Knie hatten sich immer noch nicht erholt und sendeten bei jedem Schritt ein Zwicken durch meinen Körper.
Ich band meine Haare, wie ich sie am liebsten hatte, zum Pferdeschwanz und schlich aus meinem Zimmer. Ich fühlte mich ein bisschen wie ein Geheimagent. In gewisser Weise war ich das auch.
Zum Glück schliefen meine Eltern schon. Sie wären sicher nicht begeistert von meiner nächtlichen Mission, nicht einmal, wenn ich Schutzbrille und Handschuhe tragen würde. Vielleicht mit Helm. Und Knieschützern. Vielleicht aber auch nicht. Aaron würde mit Sicherheit auch nicht begeistert sein, nach dem, was ich heute erzählt hatte.
Ich selbst begann auch, meine Idee anzuzweifeln, als ich die Treppe hinunterstieg. Ein Glück, dass die Stufen nicht quietschten. Auf dem Weg nach unten begann etwas Flauschiges, um meine Beine herumzuschwirren, wodurch ich beinahe die letzten Stufen runter flog.
„Gulasch! Du hast mich aber erschreckt", flüsterte ich der bunten Schildpatt-Katze zu.
Ich ging das letzte Stück der Treppe hinunter und nahm mir noch extra Zeit, um Gulasch zu streicheln. Spargel schlief höchstwahrscheinlich schon, seitdem die Sonne untergegangen war. Nur Gulasch lief wie immer unruhig umher.
Ich versuchte, die Tür zu öffnen. Sie war verschlossen. Daran hätte ich denken müssen. Auf Zehenspitzen schlich ich wieder hinauf in die Küche und nahm den Haustürschlüssel vom Schlüsselbrett, ohne einen Mucks zu machen. Neben der Küche schliefen meine Eltern, die einen leichten Schlaf hatten und bei jedem kleinen Geräusch sofort aufschreckten.
Schnell eilte hinunter und schloss die Vordertür auf. Ich nahm einen letzten Atemzug, bevor ich die Tür öffnete und durch trat. So leise wie möglich schloss ich sie hinter mir und verstaute den Schlüssel in der Tasche meiner Jacke. Glücklicherweise besaß die Strickjacke Taschen mit Reißverschlüssen, sodass ich mir keine Sorgen darum machen musste, dass der Schlüssel im Eifer des Gefechts herausfallen könnte.
Die Nacht war ruhig und sternenklar. Natürlich hatte es seine Vorteile, in einem kleinen, beschaulichen Dörfchen zu leben, aber manchmal fühlte man sich auch abgeschieden und verlassen. Als lebten die letzten Menschen der Erde in diesem Ort.
Vieles lag sehr weit weg. Die nächste Einkaufsmöglichkeit gab es erst wieder in der Nachbarstadt. So wie einen Bahnhof und andere Geschäfte. Dort ging ich auch zur Schule. Es war nicht gerade eine große Stadt, eher an der Untergrenze. Die nächste Großstadt lag eine halbe Stunde mit dem Zug entfernt.
Aber ich genoss es. Die Ruhe, die Stille, die friedliche Musik der Nacht. Nur die Grillen zirpten im Gras am Straßenrand. Obwohl es frisch war, wehte kaum ein Lüftchen. Die Sterne leuchteten am Himmelszelt und der Mond, der wie eine Taschenlampe am Himmel hing, erhellte die Gegend. So tief in der Nacht war keiner mehr unterwegs, daher war ich alleine und keiner konnte mich nach Hause schicken oder sich wundern, was ein Kind noch so spät draußen machte.
Ich sollte trotzdem leise sein und mich möglichst bedeckt halten. Die Menschen hier waren sehr hellhörig und dachten bei jedem kleinen Geräusch, dass gleich der Nachbar bei ihnen einstieg und ihre Wohnung leerräumte. Außerdem, wenn es stimmte und hier in letzter Zeit eine verdächtige Person gesichtet worden war, dann wollte ich lieber nicht riskieren, auf diese zu treffen. Die letzte Begegnung ging zwar noch glimpflich aus, wenn man von meinen Knien absah, aber nochmal wollte ich es nicht drauf ankommen lassen.
Ich bog um die Ecke, um den langen, weißen Zaun, der den Garten und das Haus dahinter gut schützen sollte, und blieb abrupt stehen. Für einen Moment stand ich einfach nur da. Meine Gedanken waren blank. Ich verlor doch nicht wirklich den Verstand.
Tatsächlich war vor mir die Straße so, wie ich sie schon immer in Erinnerung hatte. Sie schien nicht mal ein bisschen angerührt oder verändert, als wären hier heute Bauarbeiten gewesen. Von der Baustelle selbst, sowie dem großen Stoppschild, war nichts zu sehen.
„Ich habe mir das nicht eingebildet. Das war definitiv echt. Das war keine Illusion."
Oder doch? Es könnte auch eine viel unspektakulärere Erklärung geben, wie: Die Absperrungen wurden für kurze Zeit aufgebaut, aber sofort wieder entfernt, weil … ja, wieso eigentlich? Vielleicht war es doch nicht nötig, die Straße umzubauen, oder die Arbeiter hatten die falsche Stelle erwischt.
Aber nein. Die Erde hinter dem Schild war definitiv aufgebuddelt gewesen. Das hatte ich ganz genau gesehen. Das hatte ich mir nicht eingebildet. Dann waren sie halt schnell fertig geworden. Kein Grund zur Verunsicherung. Für alles gab es einen guten Grund.
Das Rascheln der Büsche hinter mir ließ mich herum wirbeln.
Bitte, lass es keinen genervten Bewohner sein, der mich anschnauzen wird.
Kinder sollten so spät nicht mehr draußen sein, oder schlimmer noch, er könnte mich für einen Einbrecher halten oder vielleicht sogar für diese verdächtige Person, die sich hier in letzter Zeit herumtrieb. Auf offener Straße gab es nichts, wo ich mich verstecken konnte, also duckte ich mich, so gut es ging, ohne meine Knie zu sehr zu belasten.
Langsam zog ich die Kapuze der Jacke über meinen Kopf, um mich vor möglicher Enttarnung zu schützen. Es wäre von Vorteil, wenn man mich nicht erkannte. Wenn es einer wusste, wusste es auch sofort Frau Gurkenheimer, und wenn Frau Gurkenheimer es wusste, würden meine Eltern früher oder später auch Wind davon bekommen. Und dann würde ich meine kleine, nächtliche Mission erklären müssen. Ich wollte meinen Eltern keine übermäßigen Sorgen bereiten, denn sauer wären sie sicher nicht. Dafür waren Janine und Daan zu nette Leute.
Ich stand eine Zeit lang geduckt da und lauschte in die Dunkelheit. Nichts, außer meinem eigenen Atem, war zu hören. Ich beschloss, dass es an der Zeit war, in die Sicherheit des eigenen Hauses zurückzukehren. Mein Ausflug hatte lange genug gedauert.
Ein erneutes Rascheln zog mich aus meiner Starre. Ein paar Blätter fielen vor mir zu Boden.
Ich richtete meinen Blick auf die Baumkrone über mir. Der Baum stand gefangen hinter dem Zaun, wie ein wildes Tier, dem es nach Blut dürstete, doch der Stamm bog sich so, dass das Blätterdach halb über der Straße hing. Ich machte mich darauf gefasst, sofort fliehen zu müssen. Auch, wenn ich nicht wusste, wovor genau.
Im nächsten Augenblick kam ein Vogel aus den Blättern geflogen und erschreckte mich so sehr, dass ich kurz in die Luft sprang. Der Vogel landete auf dem Zaun gegenüber von mir und starrte mich an.
Na, ganz super. Jetzt machten mir auch schon Vögel Angst. Was ist nur los mit dir, Monica?
Heute war einfach zu viel passiert, was mich leicht aus der Ruhe brachte. Dazu kam noch die Stille und Dunkelheit, die mich umgab. Nachts hatte man doch mehr Angst, als am Tage. So gesehen war meine Reaktion völlig normal.
Ich sollte aufhören, in meinem Kopf Entschuldigungen an mich selbst zu formulieren und mich vor mir selbst zu verteidigen. Ich sollte einfach ruhig und tief durchatmen und dann nach Hause gehen. Konnte doch nicht so schwer sein.
Dieser Blick des Vogels wurde mir schon langsam richtig unheimlich. Der war ja noch schlimmer, als Graufeder. Der Vogel starrte mich mit seinen eisblauen Augen an, und die hellblauen Federn schienen im Mondlicht zu glitzern. Fast so, als wäre er aus Eis.
Ich stockte. Eis? Blau? Was war das für ein Vogel? So eine Art