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Durchkreuzt: Mein Leben mit der Diagnose Krebs
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Durchkreuzt: Mein Leben mit der Diagnose Krebs
eBook184 Seiten2 Stunden

Durchkreuzt: Mein Leben mit der Diagnose Krebs

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Über dieses E-Book

Mit Jahresende 2017 sollte der Jesuit Andreas R. Batlogg nach siebzehn Jahren aus der Redaktion der Kulturzeitschrift "Stimmen der Zeit" ausscheiden, die er seit September 2009 als Herausgeber und Chefredakteur geleitet hatte. Ein Flug nach Tel Aviv war geplant, in Jerusalem wollte er den ersten Teil einer mehrmonatigen Sabbatzeit verbringen. Doch es kam ganz anders. Seine Gesundheit machte ihm einen Strich durch die Rechnung … Ende September erhielt der Autor die Diagnose Darmkrebs. Chemotherapie und Bestrahlung begannen, gefolgt von mehreren schweren Operationen. Die Krankheit war ein Einschnitt in viele bisher alltägliche Selbstverständlichkeiten.
Wie stellt man sich einer solchen Lebenskrise? Und wie geht ein Ordensmann und Priester mit der Diagnose Krebs um? Welche Sicherheiten geraten ins Wanken? Hilft der Glaube weiter? Und wenn ja, auf welche Art und Weise? Welche Gebete werden wichtig? Welche Menschen begleiten den harten Weg? Diese und viele andere Fragen beantwortet der Jesuit in seinem Buch mit erstaunlicher Offenheit und Ehrlichkeit. Ungeschminkt beschreibt er seine Krankheitsgeschichte, erzählt, was ihm in schweren Stunden Trost schenkte und warum Freunde zu einer seiner wichtigsten Stützen wurden.
SpracheDeutsch
HerausgeberTyrolia
Erscheinungsdatum15. Jan. 2019
ISBN9783702237462
Durchkreuzt: Mein Leben mit der Diagnose Krebs

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    Buchvorschau

    Durchkreuzt - Andreas R. Batlogg

    1.

    (K)Ein Tag wie jeder andere

    München im September, ein wunderbarer Herbsttag. Das Datum prägte, ja brannte sich mir ein. Denn es veränderte alles, schlagartig, »out of the blue«, wie die Amerikaner sagen: 25. September 2017, Darmspiegelung bei einem Gastroenterologen. Drei oder vier Jahre vorher war ich nach einer Reise schon einmal bei einem Internisten gewesen. Ich kannte die Prozedur. Ohne große Vorahnung oder ernsthafte Befürchtungen ging ich in die Arztpraxis, die mir ein Freund empfohlen hatte: »Der Doktor ist Jesuitenschüler, du kannst ihm vertrauen!«

    Schon wegen der Lokalanästhesie sind die meisten Patienten ein wenig aufgeregt. Aber man bekommt nicht viel mit, wacht wieder auf – und fährt nach Hause: per Taxi oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln, vorsichtshalber. Als ich wieder bei Bewusstsein war, fühlte ich mich nicht unwohl – und wartete auf das Arztgespräch. In der Hoffnung, für die in den letzten Monaten aufgetretenen Beschwerden eine plausible Auskunft zu erhalten.

    Ich sehe den Doktor noch vor mir, es ist wie gestern: »Die Ursache für Ihre Probleme sind gefunden. Leider ist es ein bösartiger Tumor, ziemlich groß.« Mehr als ein »So!« brachte ich zunächst nicht heraus. Nach einer ersten Schrecksekunde dann: »Und was bedeutet das?« »Ich organisiere für Sie einen Termin im Klinikum Neuperlach, gleich morgen.« Ein kurzer Telefonanruf genügte. »Ihnen steht eine größere Operation bevor, vielleicht auch Chemotherapie.« So etwas sitzt! »Wie stehen meine Chancen?« »Darmkrebs ist sehr gut erforscht. Die Aussichten, dass Sie das alles überleben, stehen sehr gut. Es gibt hervorragende Ärzte auf diesem Gebiet.«

    Krebs! Einmal ausgesprochen – auf mich zugesprochen, verändert das alles. Krebs: Wuchtig ist dieses kleine Wort, bedrohlich, dunkel. Das ist also die Zäsur in meiner Lebensgeschichte? Die erste Gefühlslage reichte von: »Das war’s!« bis »Kämpfen!« Ich dankte dem Arzt für seine Offenheit. Ein halbes Jahr später – wir sind inzwischen befreundet – fragte ich ihn bei einem Abendessen, wie er Patienten mit solchen Diagnosen konfrontiert. Er meinte: »Ich mache schon Unterschiede. Wenn ich den Eindruck habe, jemand verkraftet so etwas nicht, sage ich: Da gibt es noch einiges abzuklären. Bei dir hatte ich den Eindruck, ich kann gleich mit der Wahrheit herausrücken.«

    Benommen verließ ich die Praxis. Mit wirren Gefühlen. Bevor ich ein Taxi bestieg, betrachtete ich die Bäume an der belebten vierspurigen Straße, die bunten Blätter, die Herbstsonne. Als wäre es das erste Mal! Wie lange noch?, durchzuckte es mich.

    Dann versuchte ich, mich zu sortieren: Wen soll ich jetzt anrufen? Meine Eltern? Mein Vater hatte einige Monate vorher einen Gehirnschlag erlitten. Das wäre jetzt keine gute Idee, die regen sich daheim nur auf. Und Näheres wusste ich ja noch nicht. Der mir am nächsten stehende Mitbruder in St. Michael, meiner Kommunität, war nicht erreichbar. So war es ein Jesuit in Frankfurt, der mich seit einigen Monaten beim Verfassen eines Buches über Papst Franziskus beriet. »Andreas, ich bete für dich!« Was mir Michael sonst noch sagte, weiß ich gar nicht mehr. Aber die Versicherung, für mich zu beten, war in diesem Moment ein Trost. Gleichzeitig hatten seine Worte etwas Schweres und Ernstes an sich. Ausweichen lässt sich einer solchen Diagnose nicht. Verdrängen, ignorieren geht auch nicht. Auf einen selber wirkt sie so brutal wie auf andere, die davon erfuhren oder denen ich davon erzählte, besonders auf Nahestehende.

    Zurück in meiner Kommunität, setzte ich mich zuerst im Garten von St. Michael nieder: der erste Innenhof mit Renaissance-Fassade in Deutschland, 1583 bis 1597 mit der Michaelskirche gebaut. Späte Nachmittagssonne. Es war mittlerweile 17 Uhr. Es rumorte in mir. Bald würden mich die Mitbrüder fragen: Alles in Ordnung? Nichts mehr war in Ordnung. Würde denn jemals wieder alles so sein können wie zuvor?

    Abends bat ich meine Oberen – den Pater Superior, den Pater Minister – und den mir am nächsten stehenden Mitbruder zu einem Gespräch: »Ich habe Krebs.« Und schon konnte ich nicht mehr weitersprechen. Die Stimme brach mir. Wir vereinbarten, dass ich erst die nachfolgenden Untersuchungen abwarten solle, bevor wir die anderen Kommunitätsmitglieder informieren und dann die Ordenszentrale verständigen würden. Wir tranken noch einen Schnaps. Alles war plötzlich irgendwie anders. Ins Bett ging ich mit bangen Fragen.

    2.

    »Sagen Sie alle Termine für ein Jahr ab!«

    Tags darauf fuhr ich nach Neuperlach, wo es ein modernes städtisches Klinikum gibt. Der Navigator zeigte die Entfernung an: dreizehn Kilometer. Je näher ich dem Spital kam, desto mulmiger wurde mir. Vielleicht war alles ein Irrtum? Würde sich die Diagnose als falsch herausstellen? Eine verwegene Hoffnung, ein blöder Gedanke! Aber es meldet sich viel, um die Wirklichkeit nicht in ihrer ganzen Breite wahrnehmen zu müssen. Man möchte die Uhr zurückdrehen und die letzten vierundzwanzig Stunden ungeschehen machen!

    Nach der Anmeldung musste ich warten. Dann saß ich dem Chefarzt gegenüber. Nach einem kurzen Gespräch – ich spürte, dass er Bescheid wusste – untersuchte er mich und bestätigte schon bald die Diagnose seines Kollegen in Neuhausen.

    »Was machen Sie beruflich?« »Ich bin Chefredakteur einer Monatszeitschrift, werde aber mit Jahresende nach siebzehn Jahren aufhören und eine Sabbatzeit antreten.« Dann der nächste Hammersatz, wuchtiger noch als die Diagnose vom Vortag: »Sagen Sie alle Termine für ein Jahr ab! Sie werden sich darauf einstellen müssen, dass die Behandlung mehrere Monate dauert. Und danach kommt eine Reha.« Meine naive Vorstellung, dass da etwas aus mir herausoperiert würde und dann alles wie gewohnt weitergeht, wurde daraufhin schlagartig zerstört: »Nach der Operation werden Sie einen künstlichen Darmausgang gelegt bekommen. Da der Tumor günstig liegt, bestehen gute Aussichten, dass er nach einigen Monaten rückverlegt werden kann und Sie den Anus praeter nicht für den Rest Ihres Lebens benötigen. Tausende Menschen müssen lebenslang damit leben.«

    Mein Flug nach Tel Aviv war bereits gebucht. Vom 19. Dezember an sollte ich bis Ende Februar in Jerusalem im Päpstlichen Bibelinstitut unweit des King David Hotels den ersten Teil meines Sabbaticals verbringen. (Tags darauf stornierte ich den Flug.) Was der nächste Schritt sei, fragte ich. Nach der Koloskopie sollte eine Computertomografie Aufschluss geben über Details, die abzuklären waren. »Ich fliege in drei Tagen für eine Woche nach Rom. Kann ich das noch machen oder soll ich die Reise absagen?« »Fliegen Sie, aber vereinbaren Sie vorher den Termin für die Untersuchungen. Wir müssen abchecken, ob der Tumor schon gestreut hat.« Das Wort Metastasen fiel nicht. Aber es war unsichtbar da und schwebte wie ein Damoklesschwert über mir.

    Als ich das Klinikum verließ und aufs Auto zusteuerte, durchzuckte es mich: Und hier werde ich monatelang zubringen müssen! Plötzlich wirkte der riesige Komplex auf mich wie eine Krake, bereit, mich zu verschlingen. Für wie lange? Ich war benommen, wie am Nachmittag zuvor, jetzt aber mit der Gewissheit versehen: Du hast Krebs, vergiss alles andere! Würde mir das gelingen?

    Sofort meldeten sich Fragen: Wie ist das mit der für Ende Oktober geplanten Übergabe an meinen Nachfolger? Wie sollte ich nach der Woche in Rom einen neuen Redakteur einarbeiten? Fragen über Fragen. Sie kamen, überfallsartig – wie bei einem, der auf einem sinkenden Schiff versucht zu retten, was zu retten ist, und dabei ganz unsinnige Aktionen startet.

    Dass ich nicht mehr oder nur mehr eingeschränkt würde arbeiten können, das realisierte ich in diesen ersten Tagen nach der Diagnose nicht. Es ist viel, was schlagartig auf einen einpurzelt. Im Rückblick kann ich mich an manches nur mehr dunkel erinnern, was mir in diesen ersten Tagen durch den Kopf schoss. Die innere Erschütterung, dass ich jetzt selber in einer Lage bin, die ich bisher nur als Priester oder als Angehöriger erlebte, macht sprachlos und lässt manchmal verstummen. Szenarien wandern im Kopf auf und ab, Bilder kommen hoch – und je mehr Menschen davon erfuhren, desto deutlicher wurde mir bewusst, dass »der Helfer« jetzt selber Hilfe braucht, weil er von Tag zu Tag hilfloser werden wird. Es ist, als säße man in einem Zug, der auf einen Abgrund zufährt. Man weiß, dass nicht gebremst wird – und bleibt trotzdem wie gelähmt sitzen.

    3.

    »Ich bin für dich da!«

    Auf dem Rückweg nach St. Michael stoppte ich nach einiger Zeit am Straßenrand. Ich rief einen Freund an, der im Beirat der »Stimmen der Zeit« saß, den ich vor einigen Jahren installiert hatte. Fuat ist Onkologe und Hämatologe, er lehrt als Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU). Nach dem medizinischen Doktor hat er an unserer Jesuitenhochschule auch in Philosophie promoviert. Ich erreichte ihn gleich. »Kann ich mit dir sprechen oder bist du bei Patienten?« »Was ist los, Abuna?« Die respektvolle Anrede Abuna (arabisch / aramäisch für »Vater« oder »Pater«) verwendet er gern. »Fuat, ich habe Krebs, ich komme gerade aus Neuperlach, ich soll sehr bald operiert werden. Ich bin kommende Woche noch in Rom, dann geht es los mit den Untersuchungen.« Erneut brach mir die Stimme.

    Dann hörte ich die wunderbaren Worte: »Abuna, seit der Taufe meines Sohnes bist du mein Bruder. Jetzt bin ich für dich da! Ich rufe dich heute Abend an.« Da sind mir zum ersten Mal die Tränen runtergelaufen, wie einem Kind. Ein richtiger Sturzbach! Ich spürte: Es steht ernst um mich. Aber da ist jemand, der mich nicht allein lässt.

    Der Rückruf kam kurz nach 21 Uhr, ich saß mit einem Mitbruder zusammen. Fuat bot an, sofort zu kommen. Er wohnt in Pasing, ich in der Innenstadt. Ich wehrte ab: »Jetzt kannst du doch nichts machen.« Und dann noch einmal: »Ich bin für dich da! Du kannst dich auf mich verlassen! Mach in Neuperlach die Untersuchungen, dann ziehen wir deinen Fall an die Uni-Klinik: Ich übernehme die Behandlung und arrangiere alles, zuerst Strahlen- und Chemotherapie, dann erst eine OP. Du wirst sehen: Es wird alles gut!«

    Tröstete das? Ich ging jedenfalls beruhigter schlafen als am Vortag. Aber wieder mit Tausenden Gedanken im Kopf. Die Diagnose, die ersten Gespräche, die Frage, wie der Abschied bei der Zeitschrift sein würde, die Frage, wen ich jetzt (und wie) verständigen sollte – all das klopfte an. Lawinenartig. Meinen Eltern wollte ich erst nach der Romreise und nach der Computertomografie etwas sagen. Ich ging eine Reihe von Freunden und Verwandten in meinem Kopf durch und überlegte, was ich wem wann sagen sollte. Noch wusste ich ja noch nicht, wie meine Überlebenschancen stehen. Unnötig beunruhigen wollte ich niemanden. Aber eine offensive Informationspolitik schien mir geboten. Keine Geheimniskrämerei. Denn ich würde ja auf Monate hinaus – publizistisch gesehen – nicht in Erscheinung treten können.

    Noch im Oktober fasste ich die damaligen ersten Eindrücke zusammen. Daraus wurde der Text »Weihnachten: ›Ich bin für dich da!‹«, den ich Johannes Röser, dem Chefredakteur der Zeitschrift »Christ in der Gegenwart«, anbot und der dann, redaktionell leicht bearbeitet und etwas gekürzt, unter dem Titel »Ich bin für dich da!« kurz vor Weihnachten veröffentlicht wurde¹.

    Ich bin für dich da!

    Weihnachten hat für mich in diesem Jahr im Herbst begonnen. Der 25. September schreibt sich ein in meine Lebensgeschichte. Nach einer Darmspiegelung eröffnete mir der Arzt an diesem sonnigen Münchener Herbsttag: »Die Ursache für die Probleme ist gefunden. Leider ist es ein bösartiger Tumor.« Ein Satz, der das Leben verändert. Auf dem Weg zum Taxistand am Rotkreuzplatz fragte ich mich: Wen soll ich anrufen? Meine Eltern? Einen Mitbruder? Es war dann ein Jesuit in Frankfurt/Main.

    Am nächsten Tag im Klinikum Neuperlach der nächste Schock: »Sagen Sie alle Termine für ein Jahr ab.« Aus meinem Sabbatjahr nach dem Ausstieg bei den »Stimmen der Zeit« wird also nichts! Zwei Monate in Jerusalem – nicht mehr möglich, USA – abgesagt.

    Auf dem Rückweg in meine Kommunität telefonierte ich mit einem Freund. Er ist Onkologe und Hämatologe in der Uniklinik. Und hörte den wunderbaren Satz: »Jetzt bin ich für dich da!« Einige Monate vorher hatte ich seinen heiß ersehnten Sohn getauft – jetzt, so der Arzt, sei er dran. Ich sei jetzt sein Bruder. Da sind mir zum ersten Mal die Tränen runtergelaufen.

    »Ich bin für dich da.« Das ist nicht nur ein Satz, der über die ersten dunklen Gedanken hinweghilft, in schwierigen Zeiten. Es ist auch ein weihnachtlicher Satz. Inkarnation, Menschwerdung Gottes bedeutet eigentlich nichts anderes: Gott ließ

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