Zur eigenen Lebensgeschichte: Autobiographische Aufsätze
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Leopold von Ranke
Leopold von Ranke was a German historian and a founder of modern source-based history.
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Buchvorschau
Zur eigenen Lebensgeschichte - Leopold von Ranke
Vorrede
Inhaltsverzeichnis
Mit dem vorliegenden Doppelbande findet die Ausgabe der sämmtlichen Werke Leopold v. Ranke's ihren Abschluß. Seine Weltgeschichte dieser Sammlung einzuverleiben, lag nicht in der Absicht des Verewigten. Statt dessen hat sich der Herr Verleger entschlossen, dieselbe in ihrer gegenwärtigen, glänzenderen Ausstattung den Besitzern der Werke zu einem wesentlich ermäßigten Preise anzubieten, worüber die diesem Bande vorgedruckte Geschäftsanzeige nähere Auskunft ertheilt. –
Gerade das weitführende Unternehmen der Weltgeschichte war es, was Ranke daran verhindert hat, der Summe seiner darstellenden Arbeiten Denkwürdigkeiten des eigenen Lebens hinzuzufügen, in denen sich zugleich der allgemeine Gang der Begebenheiten des 19. Jahrhunderts als ein mitempfundenes Stück der universalhistorischen Bewegung wiederspiegeln sollte. Dem fühlbaren Mangel, soweit es angeht, abzuhelfen, ist der Zweck des vorliegenden Bandes.
Er beginnt mit dem, was an autobiographischen Aufzeichnungen wirklich zustande gekommen ist. Die beiden Dictate von 1863 und 1869, von denen das erste bereits dem Publicum mitgetheilt worden¹, gewähren einen ziemlich vollständigen Ueberblick über die jugendliche Entwicklung bis zu dem Punkte, wo die eigene historische Thätigkeit des Autors anhebt. Die Aufsätze von 1875 und 1885 wurden je vorm achtzigsten und neunzigsten Geburtstage dictirt, weshalb der letzte vielfach an die früher² veröffentlichte Festrede anklingt, die er jedoch an Fülle und Bestimmtheit des Inhalts weit übertrifft. Beide setzen die Erzählung der persönlichen Lebensbegegnisse nur dürftig fort, während sie die Beziehungen der Studien und literarischen Productionen des Verfassers zu den Erscheinungen der Zeitgeschichte wenigstens im Grundriß darlegen. Sie erregen das Verlangen nach einer authentischen Ergänzung, welche durch die zweite Abtheilung unseres Bandes, über dreihundert ausgewählter Briefe aus den Jahren 1819–1886, in reichem Maße dargeboten wird.
Auch eine derartige Publication hat Ranke noch selber ins Auge gefaßt³; seine Anweisung, nur solche Briefe dazu auszusuchen, die des Aufbewahrens werth seien, diente bei der Composition der gegenwärtigen Sammlung zur Richtschnur. Was sich etwa doch von an sich geringhaltigeren Stücken darin findet, möge man mit der Absicht entschuldigen, die in den wichtigeren Schreiben berührten Verhältnisse, persönlicher oder sachlicher Natur, in einer gewissen Abrundung vorzuführen; statt lästiger Anmerkungen schien es gerathen, die Texte selbst einander gegenseitig erläutern zu lassen. Über den bedeutenden Eindruck des Ganzen kann kein Streit obwalten. Was Ranke von Johannes Müller sagt⁴, er habe durch seine Briefe am Ende mehr gewirkt, als durch alle seine Werke, wird sich freilich auf ihn selber glücklicherweise niemals übertragen lassen. Aber auch hier rauscht – um sein schönes Wort zu wiederholen – der ursprüngliche Quell des Geistes uns näher und vernehmlicher; auch in den Briefen Ranke's ist das individuelle Leben leichter zu fassen, um so mehr, als er in seiner Geschichtschreibung das eigene Selbst der gegenständlichen Wahrheit zuliebe geflissentlich zurückgedrängt hat.
Bekannt waren von den 329 hier versammelten Briefen bis jetzt nur die 31 an Carl Geibel gerichteten – eine Auslese aus dessen 1886 als Handschrift gedruckter Publication: aus den Briefen Leopold v. Ranke's an seinen Verleger –; sowie die 3 von Alfred v. Reumont empfangenen, die derselbe seinem Nekrolog auf Ranke⁵ in zerpflücktem Zustande eingeflochten. Alle übrigen waren bisher ungedruckt und sind – mit verschwindenden Ausnahmen – durch die Bemühung der Hinterbliebenen zusammengebracht worden; wie denn die Briefe an Familienmitglieder, an Zahl 175, mehr als die Hälfte sämmtlicher Stücke ausmachen. Obenan stehen darunter: 73 an den Bruder Heinrich, überaus interessant für die Erkenntniß der inneren Entwicklung des Historikers, zumal des jungen; 65 an die Gemahlin, durch lebendige Schilderung äußerer Begegnisse ausgezeichnet; 25 an den Bruder Ernst, merkwürdig besonders in Bezug auf die höchsten Jahre. Gleich allen diesen wurden den Originalen entnommen: die 35 an den Freund Heinrich Ritter adressirten Schreiben, die Hauptquelle für die Geschichte der großen Studienreise; endlich jene an die drei vornehmsten Schüler – meine Gloire als Lehrer, wie Ranke selber sagt⁶: 22 an Waitz, 14 an Giesebrecht, 6 an Heinrich v. Sybel. Den Spendern der einen wie der anderen sei auch an dieser Stelle der erkenntlichste Dank dargebracht! Von den übrigen 43 Nummern entstammen die meisten, wie z.B. die anziehenden 12 an König Max, den Concepten oder zurückbehaltenen Abschriften.
Die sechs Abschnitte, in welche die vorliegende Briefsammlung chronologisch zerlegt ist, sind durch äußere Momente von einander geschieden: Berufung an die Universität, Aufbruch gen Süden, Rückkehr, Vermählung, Eintritt in den Wittwerstand; doch entspricht ihnen zugleich eine innere Gliederung, die für den Leser der Werke von Bedeutung ist. In der Frankfurter Periode sehen wir aus dem Hintergrunde philosophischer Ideen und klassischer Studien den Autor der romanisch-germanischen Geschichten hervortreten; die erste Berliner Zeit vergegenwärtigt neben dem Anfänger auf dem Katheder den Verfasser von Fürsten und Völkern; in Wien und Italien legt der Schilderer der serbischen Revolution den Grund zu künftigen Meisterwerken; zwischen Heimkehr und Hochzeit fällt außer der historisch-politischen Zeitschrift und den schulstiftenden historischen Uebungen die Schöpfung der Päpste und der Reformationsgeschichte; der Ehemann ist zugleich der Urheber der preußischen, französischen, englischen Geschichte und des Wallenstein, wie der Begründer der historischen Commission; den Wittwertagen sind die letzten Hauptschriften, vom Ursprung des siebenjährigen Krieges bis zur Weltgeschichte, entsprungen.
Eben für diese spätesten Jahre, wo neben leidenschaftlich erhöhter Arbeitsamkeit der Fluß der brieflichen Kundgebung, wenn nicht spärlicher, doch einförmiger rinnt, thut sich willkommen noch eine andere Quelle der Mittheilung auf. Der vereinsamte Greis⁷ ergab sich dem Selbstgespräch des Tagebuchs. Auch aus den früheren Perioden fand sich im Nachlasse Ranke's eine Anzahl Hefte vor, die jedoch meist mit wissenschaftlichen Notizen angefüllt sind. Das Wenige, was darin der biographischen Theilnahme entgegenkommt, ist auf den ersten Seiten der dritten Abtheilung unseres Bandes zusammengestellt. Eine verhältnißmäßig reiche Ernte von Tagebuchblättern ließ sich dagegen für die Zeit von 1870–1885 gewinnen. Steht dabei die politische Reflexion im Vordergrunde, so wird man nur desto angenehmer überrascht; denn was an Äußerungen über die großen Vorgänge des 19. Jahrhunderts in anderen Bänden der Werke enthalten ist, reichte doch nirgend bis zu dieser Epoche.
Den Schluß des Bandes bildet eine kleine Nachlese verschiedenen Inhalts, die sich selber rechtfertigen mag. Die Erwiderung auf Leo's Angriff und der Entwurf zur Geschichte der Wissenschaften sind vorlängst gedruckt und wurden bei der Composition des vorigen Doppelbandes, in den sie hineingehört hätten, übersehen⁸. Die übrigen Nummern wurden erst neuerdings dem handschriftlichen Nachlaß enthoben. Ihre Zahl hätte sich wohl aus den Archiven oder den Registraturen der Behörden um einige weitere Gutachten und Denkschriften vermehren lassen; allein der Herausgeber blieb dem Grundsatze treu, nur solche Stücke in die Werke Ranke's aufzunehmen, welche der Meister selbst durch Aufbewahrung im Entwurf oder in Abschrift einigermaßen entschieden dazu bestimmt hatte.
Und so mag denn dieser, der persönlichen Erscheinung des Verewigten geweihte Band der langen Reihe seiner Werke nachfolgen, wie der dankbare Hervorruf des Dichters die Kette der Scenen einer dramatischen Schaustellung schließt. Ranke selbst berichtet in den Briefen an seine Gemahlin mit unschuldigem Vergnügen als eine artige Schmeichelei die Worte seines Freundes Thiers: que je suis le plus grand historien de l'Allemagne et peutêtre de l'Europe, que je vois les choses présentes en historien⁹. Aber ernstlicher erfreut sein Herz jener andere Ausruf des Vicemasters vom Trinity College beim Festmahl in Cambridge: we admired him before, but now we see, that he is a good fellow!¹⁰ Den ersten Spruch dürfte man seinen sämmtlichen Werken überhaupt, den zweiten diesem Schlußbande zur Aufschrift setzen.
Bonn, im November 1890.
Alfred Dove.
Aufsätze zur eigenen Lebensbeschreibung
Inhaltsverzeichnis
1. Dictat vom October 1863
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Hier in Venedig werde ich ganz besonders an die Vergänglichkeit des menschlichen Lebens erinnert. Wie viele Freunde und Gönner, die mir bei meinem ersten und zweiten Aufenthalt freundschaftliche Dienste erwiesen, konnte ich jetzt nur an ihren Gräbern besuchen; andere, die mir nahe standen, sehe ich in eisgrauer Gebrechlichkeit wieder, kaum zu erkennen gegen damals. Wie oft hat uns in den letzten Jahren zu Haus die Nachricht von dem Abscheiden bald des einen, bald des anderen Freundes erschreckt, auf dessen längeres Leben wir mit Sicherheit rechneten. Dann aber ist auch das meiste von dem verschwunden, was das Gedächtniß eines Jeden über ihn selber aufbewahrt; wie wir soeben bei Jacob Grimm erlebten, von dessen Beziehungen und Motiven ich gleich nach seinem Tode die wichtigsten Momente nicht in Erfahrung bringen konnte, die er selber ohne langes Besinnen mit aller Bestimmtheit mitgetheilt hätte. Entschuldigung genug, wenn ich ein paar freie Stunden dazu anwende, um einen Abriß meines Lebenslaufes, wobei mir mein Sohn Otto die Feder leiht, zu Papier zu bringen.
Jahre der Kindheit
Schubert hat in seinem Leben den Eindruck geschildert, den ihm der Anblick der Gegend Thüringens, in der ich geboren wurde, bei dem Besuch meines väterlichen Hauses gemacht hat. Es ist ein Thal, das sich der güldenen Aue anschließt und häufig zu ihr gerechnet wird, zwischen dem Kyffhäuser und dem Orlas, auf den beiden längeren Seiten von waldbedeckten Anhöhen umgeben, von der Unstrut durchströmt, die sich – denn einst war wohl alles mit Wasser bedeckt – am Fuße des Orlas einen Ausgang gebrochen hat.