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Verdrängte Nachbarn: Wadi Salib - Haifas enteignete Erinnerung
Verdrängte Nachbarn: Wadi Salib - Haifas enteignete Erinnerung
Verdrängte Nachbarn: Wadi Salib - Haifas enteignete Erinnerung
eBook432 Seiten5 Stunden

Verdrängte Nachbarn: Wadi Salib - Haifas enteignete Erinnerung

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Über dieses E-Book

In Wadi Salib, einem Stadtteil Haifas, kam es 1959 zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den dort wohnhaften jüdisch-marokkanischen Einwanderern und den israelischen Behörden. Das Viertel wurde damals geräumt und ist bis heute als Ruinenstätte inmitten Haifas zu erkennen.

Hinter diesem bekannten Teil der Geschichte verbirgt sich ein weiterer, bis heute eher verdrängter Teil: der Umstand, dass Wadi Salib bis zum Jahr 1948 ein intaktes arabisches Wohnviertel gewesen war, aus dem dessen arabische Bewohner im Zuge des damaligen Krieges zwischen Arabern und Juden flüchteten oder vertrieben wurden.

Yfaat Weiss erzählt mehr als allein die Geschichte eines Stadtviertels und seiner Bewohner. Vielmehr handelt es sich um die Geschichte der Nationswerdung Israels, verbunden mit der Vertreibung und dem Transfer von Menschen im Kontext der dramatischen Ereignisse des 20. Jahrhunderts.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum18. Okt. 2012
ISBN9783868545456
Verdrängte Nachbarn: Wadi Salib - Haifas enteignete Erinnerung
Autor

Yfaat Weiss

Yfaat Weiss ist Professorin für Jüdische Geschichte an der Hebräischen Universität Jerusalem, steht dem Leibniz-Institut für jüdische Geschichte und Kultur – Simon Dubnow vor und ist Professorin für Neuere, insbesondere jüdische Geschichte, an der Universität Leipzig.

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    Buchvorschau

    Verdrängte Nachbarn - Yfaat Weiss

    31.

    Krieg

    Diachronische Nachbarn

    »einen traktat könnte ich schreiben

    über die jähe verwandlung

    des lebens in altertumsforschung«¹

    Als Uri Avnery Ende der Fünfzigerjahre eine Korrelation zwischen Wadi Nisnas, dem Palästinenserviertel in Haifa, und Wadi Salib, dem ehemals muslimischen Stadtviertel und nun Wohngegend armer jüdischer Immigranten, herstellte, bezog er sich auf das gesamte politische Klima in Israel. Haifa diente ihm als Beispiel für die Verknüpfung und wechselseitigen Verbindungen zwischen der innerjüdischen ethnischen Spannung und dem jüdisch-palästinensischen Nationalkonflikt. In einem Staat, in dem verschiedene normative Systeme nebeneinander bestehen, so warnte er, gebe es keinerlei Garantie für Bürgerrechte. Israel, in dem ein Teil der Bürger, genauer gesagt, die arabischen, unter einem Militärregime leben, agiert innerhalb einer dualen Konstellation, die am Ende zusammenbrechen muss, da man unter solchen Bedingungen die Demarkationslinien nicht zu verteidigen vermag. Die Normen, die in dem einen Kontext – dem jüdisch-palästinensischen – geschaffen werden, konstatierte er, werden am Ende auf den anderen, den aschkenasischorientalischen, ausstrahlen und ihn durchdringen. Es sollten noch Jahrzehnte vergehen, bis Avnerys Beobachtung von anderen dahingehend erweitert wurde, dass sie eine strukturelle Analyse des multinationalen Rahmens israelischer Staatsbürgerschaft mit einschloss, »die ihre Bürger eher in Schichten teilt, statt sie zu integrieren«.² Aber jenseits dieser treffenden Einsicht, die die israelische Staatsbürgerschaftsdebatte vorwegnahm, erweckte die explizite namentliche Erwähnung des jüdischen Armenviertels Wadi Salib und des arabischen Wadi Nisnas im gleichen Atemzug die verdrängte Erinnerung wieder zum Leben. Für einen kurzen Augenblick flackerte in Avnerys Worten die »gemischte Stadt« auf, die in so tiefer Versenkung verschwunden war, dass sie trotz des arabischen Namens von Wadi Salib vollkommen der Vergessenheit anheimgefallen zu sein schien.

    Einer der Letzten, der das Verschwinden des arabischen Wadi Salibs und die Entstehung des jüdischen Viertels dokumentierte, war Benjamin Chalfon, Leiter der Abteilung für jüdische Angelegenheiten im Mittleren Osten der Jewish Agency, als ihm gegen Ende 1948 aufgetragen wurde, die Wohnviertel der Immigranten aus Nordafrika im Osten der Unterstadt Haifas aufzusuchen. Chalfons Visite wurde als Reaktion auf Presseberichte und Protestversammlungen veranlasst, die die sanitäre Lage im Viertel und den Zustand der Wohnungen anprangerten und verurteilten. Der Krieg war zu Ende, seine Verheerungen jedoch waren in der Stadt noch deutlich sichtbar. Folgendes schrieb Chalfon in seinen »Besuchseindrücken und Beobachtungen«³:

    »Ich verließ Haifa einige Wochen zuvor, und zu diesem Zeitpunkt war die Altstadt ein abgeschlossenes Areal, das einer gärenden Müllhalde glich, auf der in den Abwasserkloaken Abfallklumpen, Tierkadaver und Überreste von Hab und Gut – höchst unschön – verrotteten […]. Es war schwer vorstellbar, dass in diesen Straßen – zwischen Trümmerhaufen, von denen kein Mensch wusste, wann oder wie sie weggeräumt werden sollten, in Häusern mit herausgerissenen Fenstern und Böden, in Gebäuden, die zur Hälfte planmäßig abgerissen worden waren und deren Rest wie durch ein Wunder noch stand – Menschen wohnten. Aber Tatsache ist, dass man Immigranten hierher geschickt hat und dass sie diese Häuser okkupieren, ohne dazu aufgefordert worden zu sein.«

    Gegen Ende 1948 stellte Chalfon bestürzt und erstaunt zugleich fest, dass die Ödnis der Zerstörung, die er wenige Wochen zuvor gesehen hatte, pulsierend zu leben begann. Nach dem »großen Aufschrei« fing die Stadtverwaltung Haifas an, die »Abfall- und Fäulnishaufen« zu beseitigen, wobei die Ruinen der Altstadt stehen gelassen wurden. »Jetzt gehen wir durch Gassen, die von den Abfallhaufen freigeräumt wurden, doch der Gestank von Moder und Verwesung dringt noch immer aus den umliegenden Höfen«, schrieb Chalfon. »Manchmal sind wir gezwungen, uns durch die Trümmerreste zu winden, und manchmal müssen wir uns mit Wegen durch Höfe und zerstörte Häuser behelfen, um einen riesig aufragenden Klotz zu umgehen: die Ruine dessen, was einst ein großes Haus war.«

    Chalfons besuchte Haifa infolge der Schwierigkeiten, die sich im Umfeld des Eingliederungsprozesses der nordafrikanischen Immigranten in der Stadt aufgetan hatten. In Haifa, schrieb Chalfon, finde sich die größte Konzentration von Juden nordafrikanischer Abstammung in Israel, und an den unteren Rändern der Stantonstraße und in der Altstadt Haifas seien sie in Massen anzutreffen. Jedoch nicht diese Konzentration an sich, sondern das erste Aufflackern von Protesten brachte ihn in die Stadt:

    »Menschen mit wohlmeinenden Absichten und andere haben sich in die Sache eingemischt, und es fanden sich auch welche, die versuchten, die Marokkaner gegen das bestehende Gemeinwesen aufzuhetzen mit Behauptungen von der Art: ›Der Platz und die Qualität der Häuser ist für die Aufnahme von Einwanderern aus Europa (»Jiddischsprechern«, wie sie bezeichnet wurden) als nicht würdig befunden worden und daher euch zugewiesen worden‹; oder: ›Schließlich denken sie ja, dass ihr an so was gewöhnt seid von der Mellah (Ghetto) in Marokko‹; oder: ›Anscheinend denken die Wohnungsbehörden, dass ihr nicht mehr wert seid‹. ›Weitsichtige‹ fügten den Analogieschluss hinzu: ›So wie man euch bei der Wohnungsunterbringung übel benachteiligt hat, so werdet ihr in allem benachteiligt werden‹.«

    Als Chalfon Ende 1948 den neuen Bewohnern begegnete, schien es, als sei von den früheren Bewohnern nichts mehr übrig geblieben als »Abfallklumpen, Tierkadaver und Überreste von Hab und Gut – höchst unschön«. Im Laufe der folgenden Jahre gerieten sie vollkommen in Vergessenheit. Obwohl nur elf Jahre zwischen dem muslimischen Wadi Salib und den innerjüdischen Unruhen von Wadi Salib lagen, wurde die jüngste arabische Vergangenheit des Viertels 1959 überhaupt nicht erwähnt. Dies gilt auch für die Sekundärliteratur, die sich mit den Unruhen befasste. Als Avnery die Namen Wadi Salib und Wadi Nisnas in einem Atemzug nannte, offenbarte er nicht nur die parallele Existenz des jüdischen Armenviertels und des arabischen Viertels, sondern ebenso den ehemals arabischen Charakter des nunmehr jüdischen Viertels. Damit kritisierte er die Tendenz, den jüdisch-arabischen Konflikt nach außen zu verlegen und ihn, so wie die Palästinenser selbst, als separaten Bereich abzustecken und nicht als Bestandteil der israelischen Gesellschaft zu betrachten, die sich als rein jüdisch begreift.⁵ Diese anerkannten Demarkationslinien, an denen eisern festgehalten wird, erschweren nicht nur unser Verständnis des Konflikts, sondern vor allem die Wahrnehmung des Ortes mit seinen diversen ethnischen und nationalen Komponenten.⁶ Man kann die Geschichte Wadi Salibs nicht verstehen, ohne die konventionellen Einteilungen zu durchbrechen.

    Das arabische Haifa verblich im Nu, innerhalb eines Augenblicks, innerhalb weniger Tage im April. Von dem rapiden, überstürzten Ablauf der Dinge rührt vielleicht das verstörende Auseinanderklaffen her, das zwischen Haifa als einem palästinensischen Symbol der Nakba (Katastrophe) einerseits und dem anerkannten Image der Stadt als Musterbeispiel jüdisch-arabischer Koexistenz andererseits besteht. Jahre bevor Haifas arabische Vergangenheit bewusst ausradiert wurde, war ihre Eliminierung in den Ereignissen, in dem Tempo, in der Totalität angelegt, die jede Vorstellung überstieg. Die Aufarbeitung der Erinnerung erfordert es also, den historischen Ablauf auszusetzen und ihn langsam zurückzuspulen, um einen momentanen Blick auf die früheren Bewohner zu werfen, die mit einem Schlag verschwanden, jedoch weiterhin einen Schatten über jene Stadt werfen, die im Handumdrehen zur jüdischen Stadt wurde.

    Das Schicksal der »gemischten Stadt« wurde an mehreren Fronten besiegelt. Eine davon, eine eher abseitige, aber durchaus bewegende, spielte sich in der Nacht vom 21. auf den 22. April 1948 im Haus des Haifaer Bankiers Farid Sa’ad ab. Dort hatten sich vor dem Hintergrund der heftigen Kämpfe draußen und angesichts der sicheren arabischen Niederlage einige arabische Würdenträger zu einer ausgedehnten Beratung versammelt. Sie waren sicher nicht die entscheidenden Akteure, doch das historische Drama jener Tage hatte ihnen eine Nebenrolle im Rahmen der undankbaren Aufgabe zugedacht, die sie als »Notstandskomitee der Araber Haifas« auf sich genommen hatten. Am nächsten Morgen wandten sie sich an Generalmajor Stockwell, Befehlshaber der britischen Streitkräfte in Haifa und dem Norden des Landes. Man weiß nicht, ob sie ein Gespräch mit der jüdischen Seite initiierten, und falls ja – zu welchem Zweck. Möglicherweise sahen sie sich zu diesem Schritt gedrängt, da sie verstanden hatten, dass der Kampf um Haifa entschieden war und ihnen keine arabische Verstärkung zur Verfügung stehen würde, um an der Lage der Dinge noch etwas zu ändern. Als sie begriffen hatten, dass auch keinerlei militärisches Eingreifen zu ihren Gunsten seitens der Briten zu erwarten war, benötigten sie Unterstützung anderer Art. Stockwell übermittelte die Botschaft an Mosche Karmel, Kommandant der Hagana-Truppen im Raum Haifa, und dieser formulierte als Antwort darauf einige Kapitulationsbedingungen. Im Anschluss an diese einleitenden Vorgänge trafen sich am Nachmittag des gleichen Tages zwei Delegationen, eine jüdische und eine arabische. Das Treffen fand im Haifaer Rathaus statt, Sitz der gemischten Stadtverwaltung, die sich – auch heute noch – zwischen dem Viertel Hadar hakarmel und der Unterstadt befindet.⁷ Seinerzeit war dies die Demarkationslinie zwischen den jüdischen und arabischen Vierteln. Das Treffen wurde unter der Obhut britischer Repräsentanten und ohne Journalisten abgehalten, es sollten die Kapitulationsbedingungen und die Nachbesserungen, die Mosche Karmel als Bedingung für eine Feuereinstellung in der Stadt formuliert hatte, verhandelt werden.⁸

    Wehe den Besiegten. Den Weg zum Rathaus legte die arabische Delegation in britischen Panzerfahrzeugen zurück. Eine große Menge Juden drängte sich vor dem Rathaus und begann beim Anblick der arabischen Delegationsmitglieder zu jubeln und zu applaudieren.⁹ Die jüdische Abordnung traf selbstständig ein. Haifa war im Laufe des Tages von der Hagana tatsächlich bereits erobert worden. Dies war natürlich die hauptsächliche, entscheidende Front, an der das Schicksal der Stadt besiegelt wurde. Zur arabischen Delegation, deren Mitglieder in der Mehrheit Christen waren, zählten auch der bereits erwähnte Farid Sa’ad, der Bankier und dazu Mitglied des arabischen Nationalkomitees war; der Geschäftsmann und spanische Honorarkonsul in der Stadt, Viktor Chajat; der Rechtsanwalt Elias Chousa; der Bezirksrichter Anis Nasser; der Geschäftsmann Ahmad Abu Ziad, auch er Rechtsanwalt und Mitglied des arabischen Nationalkomitees; der Rechtsanwalt George Mu’amer und Scheich Abd al-Rahman Murad, Oberhaupt der »Muslimbruderschaft« in der Stadt. Die zwei Parteien diskutierten die Bedingungen, über die man sich in etlichen Punkten uneins war. In ihren Memoiren verzeichneten die britischen Beobachter, dass die Position der jüdischen Seite versöhnlich und grundsätzlich flexibel gewesen sei. Das Treffen im Rathaus dauerte etwa eineinhalb Stunden, und am Schluss baten die arabischen Vertreter um eine Bedenkzeit von 24 Stunden. Ihre Bitte wurde abgelehnt, und sie wurden aufgefordert, innerhalb einer Stunde zu einer Entscheidung zu kommen.

    Jener schicksalhafte Abend im April besiegelte faktisch die drastischen Veränderungen, die sich in der Zusammensetzung der Stadtbevölkerung im Laufe der vier vorausgegangenen Monate ergeben hatten. Als der Teilungsplan in der Generalversammlung der Vereinten Nationen Ende November 1947 verabschiedet worden war, war die Anzahl von Juden und Arabern in der Stadt nahezu identisch. Nun, in der Stunde der Kapitulation, nach dreieinhalb Monaten Kampf, war die Zahl der arabischen Bevölkerung in der Stadt fast um die Hälfte gesunken.¹⁰ Dieser Prozess verlief in Wellen. Von der Teilungsresolution bis Februar 1948 verließen Haifa hauptsächlich Angehörige aus den Nachbarländern – Landbewohner der Randgebiete, aber auch wohlhabende Christen aus dem Kreis der Lokalbevölkerung, die auf dem Landweg in die benachbarten Länder oder auch ins Landesinnere Palästinas reisten –, alles in allem etwa 20000 Personen. In den Monaten Februar bis März schlossen sich ihnen zahlreiche muslimische Einwohner an, ein Teil davon im Zuge einer gemeinsamen muslimisch-christlichen Initiative, Frauen und Kinder aus der Stadt zu evakuieren, diesmal auf dem Seeweg. Dazu kam eine interne Verschiebung der Bevölkerung innerhalb der Stadt, wie zum Beispiel der Einwohner von Wadi Ruschmia, Wadi Salib und dem Hallisaviertel, die aus Angst vor Angriffen der Hagana an evakuierte Orte in der Gegend des Karmel-Busbahnhofes flüchteten, die von christlichen Einwohnern verlassen worden waren, nachdem die Hagana einige Autobusse in der Gegend in die Luft gesprengt hatte. Die Anzahl der Araber, die die Stadt verließen, stieg auch im April kontinuierlich weiter.

    Es gab manche, die aus wirtschaftlichen Gründen die Initiative zum Weggang ergriffen. Unter ihnen befanden sich Familien der lokalen Bourgeoisie, die in den Libanon und nach Syrien flohen, neben einfachen Arbeitern, denen die Kriegshandlungen ihr tägliches Brot geraubt hatte. Zahlreiche Arbeiter verloren ihren Arbeitsplatz in den britischen Militärcamps und den diversen Einrichtungen, die langsam abgebaut und liquidiert wurden. Dazu trat eine gravierende Verschlechterung in der persönlichen Sicherheit der Stadtbevölkerung ein, und Vergeltungsmaßnahmen, die stets auch Unschuldige trafen, wurden zum Regelfall.¹¹ Das Massaker an den jüdischen Arbeitern in der Raffinerie, das die Folge einer Provokation der Ezel (Irgun zva’i le’umi – nationale militärische Untergrundorganisation, vor der Staatsgründung Israels in Palästina aktiv) war, und der Vergeltungsakt der Hagana in den umliegenden Dörfern Haifas setzte einer Reihe von Bemühungen zur Entschärfung der Situation von Seiten des arabischen Nationalkomitees sowie vom Lageausschuss des Haifaer Gemeinderats ein Ende.¹² Als man trotz allem eine zeitweilige Ruhe erreicht hatte, wurde sie im Laufe des Januars 1948 erneut mit einer Serie von Anschlägen und Konteraktionen gebrochen. »Generell«, so steht es im Geschichtsbuch der Hagana, »wurde der Vergeltungsschlag in Haifa zur konsequenten Methode, und nach jedem Anschlag auf einen Juden in der Stadt bemühte sich die Hagana, Araber in der Gegend zu attackieren, in der sich der Vorfall ereignet hatte.«¹³

    Die lokale jüdische Führung hatte klare Organisationsvorteile gegenüber den Arabern in der Stadt, auch wenn ihre Kontrolle nicht umfassend war, wie die Sprengung des Gebäudes des muslimischen Komitees bewies, das den separatistischen Gruppierungen für öffentliche Zwecke wie Wohlfahrt, Gesundheit und Wohltätigkeit diente.¹⁴ Eine weitere Welle der Gewalt – die Detonation eines arabischen Sprengstoffautos beim Solel-Boneh-Haus in der Hanamalstraße und eines jüdischen Sprengstofflastwagens als Vergeltungsakt in der Burdschstraße – ließ die Lage eskalieren.¹⁵ Der Zusammenbruch der persönlichen Sicherheit im Gefolge der Kämpfe entlang der jüdisch-arabischen Nahtlinie in der Stadt, die Knappheit an Grundnahrungsmitteln wie Mehl und Brot und die Abgeschnittenheit von den anderen Teilen des Landes verschärften ebenfalls das Gefühl der Isoliertheit und begünstigten den Exodus. Ab Ende 1947, vermerkt das Geschichtsbuch der Hagana¹⁶, befand sich die arabische Bevölkerung praktisch unter Belagerung. Der Vorteil der jüdischen Seite bei der Verteidigung der Stellungen entlang der Nahtlinie war klar, da diese Strategie detailliert über Jahre hinweg geplant worden war und auf Lehren basierte, die man aus den Konfrontationen in der Phase des arabischen Aufstands von 1936 bis 1939 gezogen hatte.¹⁷ Auch in der Mobilisierung der Kräfte vor Ort lagen die Vorteile auf jüdischer Seite:

    »Leute, die sich von ihrer Arbeit freistellen lassen konnten, und speziell Studenten des Technions, die mit ihrem Studium aufhörten, wurden zu Einheiten der Feldtruppe eingezogen. Nachdem diese Truppe an den Stadtbereich gebunden war und die Leute nicht weit weg von Zuhause waren, sah man keine besondere Notwendigkeit, sie mit Essen, Decken und Kleidern zu versorgen oder ihnen Löhne zu zahlen.«¹⁸

    Die Bemühungen des arabischen Nationalkomitees und des arabischen Hochkomitees, die Abwanderung aus der Stadt mittels Order und Verlautbarungen zu bremsen, halfen nichts. Als Haifa schließlich von der Hagana erobert worden war, war die Anzahl der Araber auf die Hälfte dessen gesunken, was sie zur Zeit der UN-Resolution betragen hatte. Die Kooperation zwischen diesen beiden Gremien bei dem Versuch, den Exodus aufzuhalten, war besonders diffizil, da sie sich in einem Interessenkonflikt befanden. Das arabische Nationalkomitee war bemüht, die Lage zu beruhigen und die Feuereinstellung in Haifa aufrechtzuerhalten, während der Mufti al-Hadsch Muhammad Amin al-Husseini die Situation anheizen wollte. »Es gab Fälle von Abwanderung vor der Befreiung der Stadt«, vermerkte Mosche Karmel, Kommandant der Nordfront und der Verantwortliche für die Eroberung Haifas dreißig Jahre später. »Die Juden sind nicht weggegangen. Sie konnten nirgendwohin gehen. Wohin hätten sie gehen sollen?«¹⁹ Ein Massenexodus aus dem jüdischen Teil Haifas erfolgte tatsächlich nicht. Karmels Argumentation, ähnlich wie die entschiedene Äußerung, dass »die Masse der Juden nirgendwohin fliehen konnte«²⁰, fällt natürlich aus dem Rahmen einer sachlichen historischen Schilderung und führt sich auf den israelischen Legitimitätsdiskurs zurück, dass die Juden keinen anderen Ort haben, auf den sie ausweichen könnten. Sie präsentiert jedenfalls eine Version, die in ihrer Eindeutigkeit der Wirklichkeit nicht immer entspricht. Am Rande des Geschehens tauchten vereinzelt Fälle von »Deserteuren« auf. So wurden zum Beispiel auf dem Schiff »Russia«, das gelegentlich in Haifa anlegte, einige junge »wehrpflichtige« Männer entdeckt, die der Gefahr entrinnen wollten. Sie waren von der Rekrutierungsstelle verfolgt worden, hatten zum Teil bei den britischen Behörden Unterstützung gesucht, und ein paar von ihnen war es gelungen, sich in den Bauch des Schiffes zu schmuggeln.²¹ Als Ausnahme erhärtet dieses jedoch nur die Regel. Die Majorität der jüdischen Bevölkerung Haifas blieb tatsächlich in der Stadt, wobei die jüdischen Institutionen große Anstrengungen unternahmen, den Leuten Mut zu machen, stark gefährdete Viertel nicht zu verlassen, sowohl mit Schutzmaßnahmen als auch durch Ausübung moralischen Drucks. So richtete beispielsweise die Hagana öffentliche Komitees zur Fluchtverhinderung ein, nachdem man bemerkt hatte, dass jüdische Geschäfts- und Büroinhaber im Zentrum in der Unterstadt die Neigung zeigten, ihre Betriebe an Tagen, an denen es zu Spannungen kam, zu schließen und sich nach Hadar hakarmel hinaufzuflüchten.²² Parallel zur Fortifikation der kritischen Viertel an der Nahtstelle übte die Hagana normativen Druck auf die Stadtbewohner aus. »Um zivile Tugenden zu demonstrieren und damit andere zu ermutigen«, wird in den Erinnerungen berichtet, »machte es sich der Rechtanwalt Ja’akov Salomon zur Regel, tagtäglich von seiner Wohnung in Hadar hakarmel zu seinem Büro in der Stadt hinunterzugehen. Seine Assistenten und Angestellten begleiteten ihn. So wie er verhielten sich viele, die loyal zur Hagana standen.«²³

    Mit einer weitaus schlechteren Ausgangsbasis bemühte sich die arabische Seite verzweifelt, die Abwanderung zu verhindern, während die Anlässe im Laufe der ersten Monate des Jahres 1948 immer stärker wurden: In Wadi Salib bezog die Hagana Stellung in einem verlassenen arabischen Haus, von dem aus in Richtung Hadar geschossen worden war, befestigte das Gebäude und begann, auf Wadi Salib selbst Schüsse abfeuern. Gelegentlicher Feueraustausch zwischen den »fremden« arabischen Truppen – Kämpfern der Befreiungsarmee der Arabischen Liga und Freiwilligen des Muftis – und der Hagana, wie zum Beispiel im Laufe des Februars in Wadi Salib, und die Beschlagnahme arabischer Häuser seitens der Hagana in diesen Vierteln bestärkten sicher einen Teil der noch Unschlüssigen in ihrer Entscheidung, die Stadt zu verlassen.²⁴ Zusätzlich zur ohnehin existierenden Spannung zwischen der lokalen palästinensischen und der nationalen arabischen Führungsriege kam noch die Kluft zwischen den Mitgliedern des muslimischen Komitees, die den Anweisungen des arabischen Hochkomitees folgten, und der christlichen Führung – einer Minderheit unter den Komiteemitgliedern –, die in diesen Fragen eine unabhängige Politik betrieben. Ebenso führten unterschiedliche Auffassungen zu Spannungen zwischen der Position des arabischen Hochkomitees und der des Muftis. Von dem Zeitpunkt an, ab dem das arabische Nationalkomitee begann, Frauen und Kinder nachdrücklich zu ermutigen wegzugehen, tat man sich schwer damit, anderen Einhalt zu gebieten. Es gelang dem Komitee zwar schließlich, bei den meisten Mitgliedern in dieser Sache seine Linie durchzusetzen, doch es war schwierig, dies zum Beispiel bei den arabischen Stadtratsabgeordneten zu

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