Hätte Bernstein Recht, wäre die Sozialdemokratie überflüssig. Auf die automatische gerechte Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums zu warten sei jedoch Utopie und verurteile die SPD wie Kritische Solidarität mit der Oktoberrevolution
Nach dem Sturz des Zaren im März 1917 schrieb Rosa Luxemburg den Artikel Die Revolution in Russland[22]. Darin hob sie die treibende Kraft des russischen Proletariats bei den Ereignissen hervor. Seine Machtentfaltung habe zunächst die liberale Menschewiki wollten wie deutsche und französische Sozialdemokraten weiter Vorteile für ihr Land erobern. Aber weil das städtische Industrieproletariat in Russland anteilig viel kleiner als das rückständige ländliche Kleinbauertum war, hielt Rosa Luxemburg wie Lenin eine analoge deutsche Revolution für unabdingbar, um mit dem Kriegsende zugleich die Voraussetzungen für den Sozialismus in beiden Ländern zu schaffen. Dazu wollte sie die gesamteuropäische Arbeiterbewegung nach Kräften praktisch zusammenführen.
Um den Separatfrieden durchzusetzen, löste Lenin zunächst das russische Parlament – die Duma – gewaltsam auf. Rosa Luxemburg bejahte seinen Umsturzversuch, erkannte aber, dass er nicht nur andere Parteien, sondern auch die Demokratie in der eigenen Partei zu unterdrücken begann. Dies bedrohte die unbedingt nötige Mitwirkung und Führung der Arbeiter beim Aufbau des Sozialismus. Darum kritisierte sie nach der Oktoberrevolution die Tendenz der Bolschewiki zur Diktatur mit den berühmten Sätzen:
„Freiheit nur für die Anhänger der Regierung, nur für Mitglieder einer Partei – mögen sie noch so zahlreich sein – ist keine Freiheit. Freiheit ist immer Freiheit des Andersdenkenden. Nicht wegen des Fanatismus der 'Gerechtigkeit', sondern weil all das Belebende, Heilsame und Reinigende der politischen Freiheit an diesem Wesen hängt und seine Wirkung versagt, wenn die 'Freiheit' zum Privilegium wird.“[23]
Bei der Freiheit des Andersdenkenden denkt Luxemburg allerdings nicht an „Klassenfeinde“, betont der Historiker [24]
In einer scharfen Auseinandersetzung mit der Diktaturtheorie von Lenin und Trotzki fährt sie fort und führt aus, dass diese auf der einen Seite, wie Kautsky andererseits, den Grundfehler begehen, die Diktatur der Demokratie entgegenzustellen. Dabei wären es zwei Gegenpole, die gleich weit entfernt von der wirklichen sozialistischen Politik sind.
„Das Proletariat kann, wenn es die Macht ergreift, nimmermehr nach dem guten Rat Kautskys […] auf die soziale Umwälzung verzichten und sich nur der Demokratie widmen, ohne an sich selbst, an der Revolution Verrat zu üben. Es soll und muß eben sofort sozialistische Maßnahmen in energischster, unnachgiebigster, rücksichtslosester Weise in Angriff nehmen, also Diktatur ausüben; aber Diktatur der KLASSE, nicht einer Partei oder Clique, Diktatur der Klasse, d. h. in breitester Öffentlichkeit, unter tätigster ungehemmter Teilnahme der Volksmassen, in unbeschränkter Demokratie.“[25]
Weiter führt sie aus, dass es weder um den Götzendienst an der formalen Demokratien noch am Sozialismus oder Marxismus gehe, vielmehr müsse der „herbe Kern der sozialen Ungleichheit und Unfreiheit unter der süßen Schale der formalen Gleichheit und Freiheit“ mit neuen sozialen Inhalten gefüllt werden. In diesem Sinne definiert sie den marxistischen Begriff der Diktatur des Proletariats:
„Es ist die historische Aufgabe des Proletariats, wenn es zur Macht gelangt, an Stelle der bürgerlichen Demokratie sozialistische Demokratie zu schaffen, nicht jegliche Demokratie abzuschaffen. […] Sozialistische Demokratie beginnt zugleich mit dem Abbau der Klassenherrschaft und dem Aufbau des Sozialismus. Sie beginnt mit dem Moment der Machteroberung durch die sozialistische Partei. Sie ist nichts anderes als die Diktatur des Proletariats.
Jawohl: Diktatur! Aber diese Diktatur besteht in der Art der Verwendung der Demokratie, nicht in ihrer Abschaffung, in energischen, entschlossenen Eingriffen in die wohlerworbenen Rechte und wirtschaftlichen Verhältnisse der bürgerlichen Gesellschaft, ohne welche sich die sozialistische Umwälzung nicht verwirklichen läßt. Aber diese Diktatur muß das Werk der Klasse, und nicht einer kleinen, führenden Minderheit im Namen der Klasse sein, d. h. sie muß auf Schritt und Tritt aus der aktiven Teilnahme der Massen hervorgehen, unter ihrer unmittelbaren Beeinflussung stehen, der Kontrolle der gesamten Öffentlichkeit unterstehen, aus der wachsenden politischen Schulung der Volksmassen hervorgehen.“[26]
Das Dilemma, in der sie die russische Revolution im historischen Kontext sah, erklärte sie aus dem „völlige[n] Versagen des internationalen Proletariats“ – vor allem der SPD – gegenüber dem imperialistischen Krieg.[27] Trotz aller nötigen und berechtigten Kritik bleibe es Lenins Verdienst, die Revolution gewagt zu haben. Damit habe er den welthistorischen Gegensatz zwischen Arbeit und Kapital international aufgerissen und bewusst gemacht[28]. Dabei rechtfertigte sie auch seine ihr damals erst anfänglich bekannten Gewaltmaßnahmen:
„Der Sozialismus […] hat […] zur Voraussetzung eine Reihe von Gewaltmaßnahmen – gegen Eigentum […] Wer sich dem Sturmwagen der sozialistischen Revolution entgegenstellt, wird mit zertrümmerten Gliedern am Boden liegenbleiben.“
Nunmehr werde es zur „geschichtlichen Verantwortung“ der deutschen Arbeiter, ebenfalls aufzustehen, um den Krieg zu beenden.[29] Darum begrüßte sie die deutschen Januarstreiks für Frieden enthusiastisch und versuchte den Deutschen das aus ihrer Sicht latente historisches Ziel, den internationalen Sozialismus, aus dem Gefängnis heraus bewusst zu machen.
Als die deutsche Novemberrevolution den Kaiser entmachtet hatte, agitierte sie sofort wieder für die proletarische Revolution:
„Die Abschaffung der Kapitalsherrschaft, die Verwirklichung der sozialistischen Gesellschaftsordnung – dies und nichts Geringeres ist das geschichtliche Thema der gegenwärtigen Revolution. Ein gewaltiges Werk, das nicht im Handumdrehen durch ein paar Dekrete von oben herab vollbracht, das nur durch die eigene bewusste Aktion der Masse der Arbeitenden in Stadt und Land ins Leben gerufen, das nur durch höchste geistige Reife und unerschöpflichen Idealismus der Volksmassen durch alle Stürme glücklich in den Hafen gebracht werden kann.“
– Der Anfang[30]
Nach der Entmachtung des „Vollzugsrats“ durch Ebert forderte sie die Arbeiter- und Soldatenräte am 10. Dezember 1918 zur Machtübernahme auf. Die Räterepublik sei das natürliche Programm der Revolution. Doch vom Soldaten – dem „Gendarmen der Reaktion“ – zum revolutionären Proletarier sei noch ein weiter Weg. Das Militär, das bisher dem „Vaterland“ diente, müsse erst noch lernen, seine Macht dem Gemeinwohl unterzuordnen, und dazu der politischen Kontrolle der Arbeiterräte unterstellt werden.
Eberts Geheimpakt mit Reichswehrgeneral Groener verhinderte dies in den Weihnachtsunruhen. Daraufhin gründeten die radikalen linken Gruppen die KPD. Rosa Luxemburg warb erfolglos für deren Teilnahme an den Wahlen zum Weimarer Reichstag, um auch dort auf Fortsetzung der Revolution hinzuwirken.
Dialektik des Klassenkampfs und Aufgabe der Arbeiterparteien
Rosa Luxemburg verstand Geschichte mit Marx als dauernden „Die moderne proletarische Klasse führt ihren Kampf nicht nach irgendeinem fertigen, in einem Buch, in einer Theorie niedergelegten Schema; der moderne Arbeiterkampf ist ein Stück in der Geschichte, ein Stück der Sozialentwicklung, und mitten in der Geschichte, mitten in der Entwicklung, mitten im Kampf lernen wir, wie wir kämpfen müssen.“[31]
In diesem revolutionären Lernprozess trieben Spontaneität und Organisation der Arbeiterklasse sich gegenseitig vorwärts. Beide sind für Rosa Luxemburg untrennbare „Momente“ desselben Prozesses, die einander bedingen. Denn ungeplante Aktionen – z. B. wilde Streiks gegen Lohnkürzungen – reagierten auf aktuelle Herausforderungen. In diesem elementaren Kampf würden die Arbeiter allmählich die historischen Aufgaben und Ziele ihrer Klasse erkennen. Diese Einsicht werde ihren Kampf wiederum auf eine höhere Stufe heben und zur Bildung von Organisationen führen, z. B. Tarifverträge. Die darin enthaltene Tendenz zur Überwindung der Ausbeutung bewusst zu machen und zu fördern, sei Aufgabe der Arbeiterpartei. Sie könne sich dabei nicht von der Eigenaktivität der Arbeiter abkoppeln:
„Die Arbeiterklasse in allen Ländern lernt erst im Verlaufe ihres Kampfes kämpfen…Die Sozialdemokratie…, die nur die Vorhut des Proletariats ist, ein Teil der ganzen arbeitenden Masse, das Blut aus ihrem Blut und Fleisch von ihrem Fleische, diese Sozialdemokratie sucht und findet die Wege und besonderen Losungen des Arbeiterkampfes lediglich im Maße der Entwicklung dieses Kampfes, wobei sie aus diesem Kampf allein die Hinweise für den weiteren Weg schöpft.“
– In revolutionärer Stunde: Was weiter?[32]
Rosa Luxemburg glaubte also: Ohne Organisation hätten spontane Streiks nur vorübergehend Erfolg, aber keine dauerhafte, die Gesellschaft insgesamt verändernde Kraft und Wirkung. Ohne Eigenaktivität der Arbeiter würden deren Organisationen ihre Stoßrichtung, das politische Ziel des Sozialismus, ebenfalls bald wieder verlieren. Anders als Engels, Kautsky und Lenin sah sie die Arbeiterpartei nicht als reine Wahlpartei noch elitäre Kaderpartei, die aus der „wissenschaftlichen“ Einsicht in den Geschichtsverlauf folgt:
„Die Sozialdemokratie ist nichts anderes als die Verkörperung des Klassenkampfes des modernen Proletariats, der vom Bewusstsein über seine historischen Konsequenzen getragen wird. Ihr eigentlicher Führer ist in Wirklichkeit die Masse selbst […] Je mehr sich die Sozialdemokratie entwickelt, wächst, erstarkt, um so mehr nimmt die aufgeklärte Arbeitermasse mit jedem Tage ihre Schicksale, die Leitung ihrer Gesamtbewegung, die Bestimmung ihrer Richtlinien in die eigene Hand. Und wie die Sozialdemokratie im ganzen nur die bewusste Vorhut der proletarischen Klassenbewegung ist, die nach den Worten des Kommunistischen Manifestes in jedem Einzelmoment des Kampfes die dauernden Interessen der Befreiung und jedem partiellen Gruppeninteresse der Arbeiterschaft gegenüber die Interessen der Gesamtbewegung vertritt, so sind innerhalb der Sozialdemokratie ihre Führer um so mächtiger, um so einflussreicher, je klarer und bewusster sie sich selbst nur zum Sprachrohr des Willens und Strebens der aufgeklärten Massen, nur zu Trägern der objektiven Gesetze der Klassenbewegung machen.“
– Der politische Führer der deutschen Arbeiterklasse[33]
Die Partei soll das Proletariat also nicht „vertreten“ oder „führen“, sondern nur seine „Vorhut“ sein. Sie war für Rosa Luxemburg unmöglich von dessen teils spontaner, teils organisierter Eigenbewegung zu trennen, sondern ging aus ihr hervor und drückte sie bewusst aus. Sie habe den Arbeitern nur die Einsicht in die Notwendigkeit des Sozialismus voraus, aber nicht die Mittel, diesen ohne sie zu realisieren. Sie könne die Revolution nicht planen und erzwingen, wenn die Arbeiter nicht selbst dazu bereit, fähig und reif seien. Ihre Aufgabe sei es also, das Bewusstsein der Arbeiter über ihre historische Mission zu schulen, bis sie selbstständig fähig seien, die Produktionsverhältnisse umzuwälzen.
Rosa Luxemburgs marxistische Klassenkampftheorie entstand ihrerseits in Folge realer Prozesse: Um 1900 brachen in Europa, besonders in Russland und Polen immer mehr und größere Massenstreiks aus. Sie führten zur russischen Revolution von 1905, in deren Verlauf der Zar dem Volk demokratische Rechte wie die Gründung eigener Parteien zugestehen musste. Diese wiederum bereiteten die nächste Revolution vor, die 1917 den Zaren stürzte. Rosa Luxemburg versuchte, diese Kampferfahrungen für die deutschen Arbeiter fruchtbar zu machen. Darum verlangte sie seit 1905 von der SPD die entschlossene Vorbereitung des politischen Generalstreiks. Mit dieser Verkoppelung von politischer Parteiorganisation und betrieblicher Arbeiterbildung wollte sie zweierlei abwehren:
- eine Alltagsarbeit der Arbeiterparteien und Gewerkschaften, die das Ziel der internationalen sozialistischen Revolution verliert und aufgibt („Opportunismus“, „Revisionismus“, „Reformismus“);
- Organisationsformen, die abheben, nicht mehr die wahren Arbeiterinteressen vertreten und diktatorisch erstarren („Zentralismus“, „SED warf Rosa Luxemburg stets „Spontaneismus“ vor, der angeblich zum Scheitern der Novemberrevolution beitrug. Doch die Selbstorganisation der Räte sollte die Arbeiterparteien stärken, damit sie das Gesamtinteresse des Proletariats immer wirksamer durchsetzen können. Verlören sie den Kontakt zu ihrer Basis, müssten sie nach Luxemburgs Ansicht zwangsläufig scheitern.
Doch sie glaubte daran, dass die inneren Widersprüche des Kapitalismus, der Gegensatz von Kapital und Arbeit, immer wieder die proletarische Revolution auf die politische Tagesordnung setzen würden. Diese selbst, nicht die Partei, werde die Massen zu Revolutionären schulen: Nur im Vertrauen darauf könnten die Arbeiterparteien ihre kurz- und langfristigen Ziele bestimmen und erreichen.
„Die Geschichte ist die einzige wahre Lehrmeisterin, die Revolution ist die beste Schule des Proletariats. Sie werden dafür sorgen, dass die ‚kleine Schar‘ der Meistverleumdeten und -verfolgten Schritt um Schritt zu dem wird, wozu ihre Weltanschauung sie bestimmt: zur kämpfenden und siegenden Masse des revolutionären sozialistischen Proletariats.“[34]
Bekämpfung der falschen Interessenvertretung
Eine Partei, die die Arbeiter in Parlamenten oder einem „Politbüro“ „vertritt“ und bevormundet, werde zwangsläufig nicht mehr für, sondern gegen sie handeln. Sie werde dann selbst Werkzeug derer, die die Revolution verhindern und ihre Erfolge zurückdrehen wollten. Dann müssten die Arbeiter auch eine so genannte „Arbeiterpartei“ bekämpfen.
So schrieb Rosa Luxemburg in der Roten Fahne vom 21. Dezember 1918:
„In allen früheren Revolutionen traten die Kämpfer mit offenem Visier in die Schranken… In der heutigen Revolution treten die Schutzgruppen der alten Ordnung nicht unter eigenen Schildern und Wappen der herrschenden Klassen, sondern unter der Fahne einer sozialdemokratischen Partei in die Schranken. Würde die Kardinalfrage der Revolution offen und ehrlich: Kapitalismus oder Sozialismus lauten, ein Zweifel, ein Schwanken wäre in der großen Masse des Proletariats heute unmöglich.“
– Rote Fahne vom 21. Dezember 1918
Darum müssten die Arbeiter den direkten Klassenkampf in der bürgerlichen Demokratie unbedingt fortsetzen: je nach den Umständen in Parlamenten, aber auch gegen sie oder beides zugleich. Tatsächlich verhinderte 1920 nur ein Generalstreik noch einmal eine Glaube an die proletarische Revolution
Am Vorabend ihrer Ermordung schrieb Rosa Luxemburg:
„Die Führung hat versagt. Aber die Führung kann und muss von den Massen und aus den Massen heraus neu geschaffen werden. Die Massen sind das Entscheidende, sie sind der Fels, auf dem der Endsieg der Revolution errichtet wird. Die Massen waren auf der Höhe, sie haben diese ‚Niederlage‘ zu einem Glied jener historischen Niederlagen gestaltet, die der Stolz und die Kraft des internationalen Sozialismus sind. Und darum wird aus dieser ‚Niederlage‘ der künftige Sieg erblühen. – ‚Ordnung herrscht in Berlin!‘ Ihr stumpfen Schergen! Eure ‚Ordnung‘ ist auf Sand gebaut. Die Revolution wird sich morgen schon ‚rasselnd wieder in die Höhe richten‘ und zu eurem Schrecken mit Posaunenklang verkünden: ‚Ich war, ich bin, ich werde sein!‘“[35]
Der letzte Satz zitiert den 1848er Revolutionär [36] als wiederkehrenden „roten Faden" der Geschichte würdigte. Ihre damit verbundene Kritik an der Führung betraf nicht nur Ebert, sondern auch Determinismus der internationalen Revolution im Gefolge der Verelendung und des Zusammenbruchs der Kapitalherrschaft durch den Krieg. Scheitere der Sozialismus, dann drohe der Menschheit ein Rückfall in unvorstellbare Politische Wirkungen
Rosa Luxemburg gewann ihre proletarische Überzeugung in der Zeit der ersten Massenstreiks in Polen und fand sie bestärkt durch ähnliche Massenstreiks in Russland, Belgien und Nordeuropa um 1905. Sie versuchte, der SPD rechtzeitig den länderübergreifenden Generalstreik als politisches Kampfmittel nahezubringen: Dieser sollte den Raubkrieg im Rahmen der Zweiten Internationale praktisch verhindern. Als dies ausblieb, war sie mit Lenin einig, dass die durch den Krieg zugespitzte Krise zur Revolution führen und genutzt werden müsse. Die neuen Massenstreiks im Kriegsverlauf bestätigten ihr Vertrauen auf die Spontaneität der Arbeiterklasse, die aus ihren Niederlagen lerne: Aus den Enttäuschungen mit der SPD-Führung entstanden neue Formen der Selbstorganisation besonders bei den Arbeitern der deutschen Rüstungsindustrie.
Die Spartakisten versuchten, USPD und Rätebewegung unter dem Druck der Vergesellschaftung der Produktionsmittel aber blieb aus.
Anfangs verehrte die junge Sowjetunion Rosa Luxemburg als eins ihrer besten Vorbilder und Verbündeten. Doch 1922 veröffentlichte Paul Levi ihren Gefängnisaufsatz zur Oktoberrevolution mit der scharfen Kritik an Lenins Partei- und Fraktionsverbot. Zugleich wurde bekannt, dass sie auch Lenins Stalin schrieb ihr daraufhin 1931 die Erfindung von permanenten Revolution“ zu und unterstellte ihr damit nachträglich eine verschwörerische Feindseligkeit gegen Lenins Revolutionsversuch. Trotzki nahm sie dagegen 1932 in Schutz.[37] Fortan wurden ihre Positionen im Staatskommunismus meist ablehnend als „Luxemburgismus“ bezeichnet.
Rosa Luxemburg hatte immer die Einheit und Selbsttätigkeit der Arbeiterklasse und die Abhängigkeit der Arbeiterorganisationen von dieser Basis betont, um deren Verselbstständigung zu verhindern. Doch seit 1927 verteufelten Sozialdemokraten und Kommunisten einander zunehmend mit Totalitarismus- bzw. Sozialfaschismus-Thesen. Wegen der engen Bindung der KPD an die Volksfront“ gegen die feudalistischen Zügen, Geheimpolizei-Terror, gewaltsam erzwungener Industrialisierung, Personenkult, Deportationen. Mit Hitlers Machtergreifung 1933, der Niederlage der Gegner Spanischen Bürgerkrieg 1936 und Stalins „Säuberungen“ 1936 bis 1938 waren sämtliche Chancen für einen Nach 1945
Gedenken: jährlich stattfindende Liebknecht-Luxemburg-Demonstration in Berlin 1978. An der Spitze gingen die Repräsentanten der Partei- und Staatsführung der DDR
Auch nach 1945 wurden die Auffassungen Luxemburgs von der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD)[38] und der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) [39] weiterhin als Luxemburgismus abgewertet und verfemt. Rosa Luxemburgs Gesamtwerk wurde in der pazifistische Haltung zeigten, wurden dabei stets als „Irrtümer“ zensiert.[40]
In einigen Jugoslawien unter Neuen Linken“ der 1960er Jahre viele begeisterte Anhänger. Rosa Luxemburg galt, zusammen mit Alexandra Kollontai und Wilhelm Reich als Vorläufer des antiautoritären Sozialismus.[41] Ein solches antiautoritäres Sozialismuskonzept wurde besonders von Rudi Dutschke vertreten.[42] Aber auch Revolutionäre in Ländern der sogenannten „Kreml hörig sein und ihren Völkern eine Perspektive jenseits von Kapitalismus und sowjetischem Stalinismus eröffnen sollte. Auch die Volksrepublik China hat Rosa Luxemburg neuerdings rezipiert: Im November 2004 fand in Hannah Arendt stützte sich in ihrer Untersuchung der Ursprünge und Elemente totaler Herrschaft auf die Imperialismustheorie Rosa Luxemburgs. Sie interpretierte den völkischen Nationalismus als Ausformung des kontinentalen Imperialismus, der den Antisemitismus rassistisch und den Rassismus antisemitisch werden ließ und in der Vernichtung der Juden und Slawen endete. Rosa Luxemburg war für Hannah Arendt auch ein positives Beispiel für die Weltzugewandtheit des Politischen: Für Rosa Luxemburg war die Welt von sehr großer Wichtigkeit, und sie interessierte sich überhaupt nicht für sich selbst. … sie konnte sich mit der Ungerechtigkeit in der Welt nicht abfinden.[43]
Die SPD hat ihr Verhältnis zu Rosa Luxemburg und zu Eberts Verhalten während der Novemberrevolution bis heute nicht geklärt. Mit dem Willy Brandt und Jungsozialisten haben bis in die 1980er Jahre hinein marxistische Theoreme vertreten und sich dabei auch auf Rosa Luxemburg berufen. Parteilinke wie Peter von Oertzen haben die Rätebewegung der Novemberrevolution gründlich erforscht und kamen zu dem Ergebnis, dass diese Demokratisierung der Großbetriebe eine ungelenkte, aus der krisenhaften Zuspitzung der Verhältnisse geborene spontane Entwicklung war, die Rosa Luxemburgs Thesen von der „Spontaneität“ der Arbeiterklasse eindrucksvoll belegt habe.
Briefmarke der Bundespost (1974)
Eine geplante Briefmarke mit dem Porträt Rosa Luxemburgs löste 1973 eine Bundestagsdebatte aus.
Rosa Luxemburgs Leninkritik und ihr Satz von der Freiheit des Andersdenkenden wurde sowohl von SED-Dissidenten als auch von DDR verwendet, um die Alleinherrschaft und Reformunfähigkeit der SED zu kritisieren. Er stand am 17. Januar 1988 auf einem Plakat von Demonstranten bei den jährlichen offiziellen Feierlichkeiten zu ihrem Todestag, was eine Verhaftungs- und Ausweisungswelle auslöste. Der Vorfall gilt als ein Vorbote der Wende von 1989.[44]
Die 1990 gegründete Rosa-Luxemburg-Stiftung sieht Rosa Luxemburg als herausragende Vertreterin demokratisch-sozialistischen Denkens und Handelns in Europa. Sie wurde 1992 von der Partei PDS als parteinahe Stiftung anerkannt und steht heute der Partei Liebknecht-Luxemburg-Demonstration in Berlin, an der heute ein breites Spektrum linksgerichteter Gruppen, Parteien und Einzelpersonen teilnimmt. Auch die Friedensbewegung, die Sozialistische Jugend und die
Rosa Luxemburg-Denkmal nach Initiative und Entwürfen von
Ralf Schüler und Ursulina Schüler-Witte am Landwehrkanal in Berlin