Seit Mai wird ein erbitterter Kampf unter Botanikern auch in den öffentlichen Medien ausgefochten. Es geht nicht nur um das Wort "Pflanzenneurobiologie" sondern auch um die Konsequenzen, die dahinter stecken. Unter anderem immer wieder die alte Frage: "Sind Pflanzen intelligent?".
Einige Forscher vergleichen diverse Zellstrukturen und ihre Reaktionen auf die Umwelt mit den nervlichen Möglichkeiten, die Tier und Mensch zur Verfügung haben. Sie haben nachweisen können, dass in der Pflanze so genannte Aktionspotenziale ausgelöst werden können, bislang laut Lehrmeinung nur möglich bei Kreaturen mit Nervensystem.
Der Forscher
Eric Brenner vom Botanischen Garten in New York konnte nachweisen, dass sich diese "Nervenimpulse" über 30 Zentimenter weit innerhalb einer Sonnenblume ausbreiten können. Er ist sich sicher, dass Pflanzen als Gesamtorganismus auf Umweltreize reagieren können, und nicht - wie bislang angenommen - nur in einzelnen voneinander getrennten Bereichen. Er und seine Forschergruppe wollen das Informationsnetzwerk innerhalb von Pflanzen entschlüsseln.
Nicht nur er sondern auch einige andere aufgeschlossene Wissenschaftler werden darum für esoterisch oder sonstwie "verwirrt" erklärt: In einem Brief im Fachblatt
Trends in Plant Biology (Bd.12, S.135, 2007) drückten kürzlich über dreissig Wissenschaftler - unter anderem
David Robinson vom Heidelberger Institut für Pflanzenwissenschaften und
Gerhard Thiel von der TU Darmstadt ihre Bedenken und ihre Verärgerung aus.
Die Pflanzenneurobiologen wünschen sich von den Kritikern, dass sie weniger dogmatisch sein sollten. "Der Begriff
Plant Neurobiology ist eine Metapher", erläutert
Anthony Trewavas, ein Pflanzenneurobiologe der Uni Edinburgh. Auch
Frantisek Baluska und
Dietmar Volkmann von der Uni Bonn sind der Meinung, dass Metaphern sehr nützlich sein können, denn sie öffnen den menschlichen Geist für erweiterte Denkansätze. Sie wünschen sich, dass man auf eine neue Art und Weise über Pflanzen nachdenkt.
Seit zwanzig Jahren untersuchen sie, wie Pflanzen auf Signale aus deren Umwelt reagieren, insbesondere im Wurzelbereich. "Wir wissen, dass Pflanzen unter der Erde intensiv miteinander kommunizieren", sagt Dieter Volkmann. "Sie reden miteinander und auch mit bestimmten Pilzen. Dieses unterirdische Kommunikationsnetz ist mindestens so gross wie das World Wide Web, es ist ein riesiges dynamisches Netz."
"Diese Arbeitsweise unterscheidet sich kaum von einem Gehirn in der Tierwelt", meint Baluska. Im Pflanzenreich gäbe es also eine dem Nervensystem vergleichbare Struktur. Sie hat die gleichen Aufgaben, ist aber ganz anders aufgebaut.
Selbst der sehr viel zurückhaltendere Botaniker
Hubert Felle von der Universität Gießen, der seit Jahren elektrische Aktivitäten in pflanzlichen Zellkulturen misst, bestätigt, dass Pflanzen elektrische Signale benutzen, um auf die Außenwelt zu reagieren. Diese Signale befähigen Pflanzen auf Feinde wie Blattläuse oder Raupen mit Abwehrmechanismen zu reagieren.
Besonders spannend ist die Kommunikation der Pflanzen - auch mit Tieren - mit Hilfe von Duftstoffen. Sie sind sozusagen die Buchstaben eines ungeheuer komplexen Alphabets. Wenn beispielsweise bestimmte Raupen Tomatengewächse angreifen, bilden sie einerseits Abwehrstoffe, aber mit dem Duftstoff Methyljasmonat warnen sie gleichzeitig ihre Nachbarpflanzen. Dieser Duftstoff ist in der Parfümindustrie nicht nur bekannt sondern auch äußerst beliebt.
Kiefern "erkennen" den Kleber der gefährlichen Kiefernblattwespe, deren Larven ganze Wälder kahl fressen können, und "rufen" bald nach deren Eiablage eine andere Wespenart, welche die Eier schädigt. Diese "Buschtrommel" erfolgt mit dem Ätherisch-Öl-Duftstoff trans-beta-Farnesen und nur die "gute" Wespe versteht den "Hilferuf", selbst wenn er aus bis zu zwei Kilometern Entfernung ausgesendet wird.
Ähnlich macht es (naturbelassener) Mais: Wird er von Raupen angefressen, sendet auch er Moleküle aus, welche Schlupfwespen anlocken. Diese legen Eier in die Raupen und die sich daraus entwickelnden Larven fressen die Raupen von innen auf! Nordamerikanischer Mais lockte in guten alten Zeit noch mit Hilfe von beta-Caryophyllen, das uns von ganz vielen ätherischen Ölen bestens vertraut ist, die für ihn wichtigen Fadenwürmer an. Deren Job ist es nämlich, den für die Maispflanze fatalen Maiswurzelbohrer in Schach zu halten.
Diese Abwehrmechanismen kosten die Pflanze jedoch viel Energie und auch Zeit: Sie wachsen in solchen Abwehrsituationen weniger. Das mag aber die moderne Landwirtschaft gar nicht, alles muss schnellstens und scheinbar effizient vonstatten gehen. Und so werden Pflanzen diese altmodisch anmutenden und wachstumshemmenden Kommunikationmechanismen erstens weg gezüchtet. Zweitens leiden die grünen Wesen erheblichen unter Smog, Ozon und sonstwie verschmutzter Luft, denn ihre "Buschtrommeln" sind auf das saubere Transportmedium Luft und Wind angewiesen. Zudem "schwitzen" Pflanzen als Reaktion auf Sitzestress Isopren aus (ein halbes Monoterpenmolekül), welches stärker als die chemisch-duftenden "Hilferufe" riecht, welche die Nützlinge sowie andere "angesprochene" Pflanzen dann nicht mehr vernehmen können.
Und so kommen kommen unsere grünen Freunde und Freundinnen ohne die kostspielige Unterstützung der Agrargifte nicht mehr aus. Was diese Industrie natürlich auch hoch erfreut, denn ihre Umsätze können sich sehen lassen: 2007 machte allein ein Agrargifte-Riese 5,8 Milliarden Euro Umsatz. Mit dem innovativen Wirkstoff Clothianidin, der in diversen Produkten enthalten ist, setzte man immerhin 600 Millionen Euro um. Klar, dass einem das energieraubende "Gequatsche" der Pflanzen nur Konkurrenz macht und ausgeknipst werden muss.
Die Hoffnung, dass Pflanzen böse Absichten von geldgierigen Menschen mit ihren eigenen Giftstoffen rächen, habe ich freilich nicht. Auch wenn der Forscher
Axel Mithöfer vom Max-Planck-Institut für Chemische Ökologie in Jena aufdecken konnte, dass Limabohnen aus Südamerika auf die raspelnden Kaubewegungen ihrer Feinde, den Baumwolleulenraupen reagieren können. Man baute einen Roboter-Wurm namens MecWorm, der am Bohnenlaub knusperte. Das beeindruckte das Leguminosengewächs nicht die Bohne. Erst das Nachahmen eines ganz bestimmten Kautaktes der gefräßigen Raupe ließ die Pflanze reagieren.
Die Rache der Pflanzen ist subtiler und betrifft leider vor allem die Unschuldigen: Babys und Kinder, deren Immunsystem oft nicht mit den veränderten Strukturen der Pflanzen umgehen kann. Was uns bleibt: möglichst nur echte und ehrlich zertifizierte Bioware aus der eigenen Region, am besten aus dem eigenen Garten, als LEBENSmittel verwenden. Und der vollständige Verzicht von billig-abstoßendem Agrargiftgiganten-Fraß vom Discounter. Fangen wir heute damit an!
Mehr zum Thema im Buch von
Florianne Koechlin: Pflanzenpalaver. Belauschte Geheimnisse der botanischen Welt. Und in der Ausgabe Juni 2009 von
natur + kosmos.