Die bald 1000-jährige Geschichte des Benediktinerklosters Muri war hauptsächlich von Männern besetzt. Das Projekt VENUS VON MURI versucht auf einer Spurensuche, Frauen und deren Wirken in Muri sichtbar zu machen. Am Beitrag «Sticken für Venus» sind Irene Brühwiler, Christine Läubli, Barbara Wälchli Keller, Marianna Gostner, Rita Steiner und Johanna Albrecht beteiligt.
Das Gemälde «Die Geburt der Venus» von Sandro Botticelli aus dem Jahre 1486 befindet sich in den Uffizien und stellt die Ankunft der römischen Göttin Venus an der Küste von Paphos dar. Eine der Horen reicht ihr ein prächtiges, rotes Gewand, in das ornamentale Gänseblümchen eingestickt sind – Symbol von Reinheit, Bescheidenheit und der Tränen Marias. Dieses Tuch diente als Ausgangslage für ein Gemeinschaftsprojekt, um prozesshaft eine Neuinterpretation zu entwickeln: Ganz im Sinne der Horen, von denen überliefert ist, dass sie gemeinsam am Webstuhl der Zeit gewirkt haben. Stich für Stich fanden die Künstlerinnen zu ihren Stickworten: Gemeinsam aufbrechen / Gestickte Briefe an grosse Frauen / Weibliche Kraft / Narben – Punkte – Knötchen / Der Mantel / Geburt und Tod.
Gemeinsam aufbrechen
Mit Frauen zusammen an einem Mantel für Venus arbeiten, den Stoff Stich um Stich mit Gedanken, Wünschen und Forderungen aufladen. Meine Stickereien führen mich auf den Weg zur Quellenergie und zur weiblichen Seite der Geschichte. Der kontemplative Ansatz gibt dem textilen Wirken, wie es im Frauenkloster Hermetschwil-Staffeln gepflegt wird, Raum. Wieder angeschlossen an den unendlichen strömenden Lebensfluss der grossen Göttin, verbinde ich mich mit den Frauen von heute.
Irene Brühwiler (*1960), lebt in Bremgarten. (www.loom-room.ch)
Gestickte Briefe an grosse Frauen
An Dorothee Wyss, die von Niklaus von Flüe verlassen wurde. An Mileva Marić-Einstein, der wirklichen Begründerin der Relativitätstheorie. An Maria, die kurzerhand von einer jungen Frau zur gebärenden Jungfrau gemacht wurde. An Georgia O’Keeffe, deren Blumenbilder von ihrem Mann sexualisiert wurden. Den Tänzerinnen der Opéra Garnier, die den oberschichtigen Lüstlingen zum Opfer fielen. An Jo van Gogh, die ihres Schwagers Vinzents Bilder berühmt machte. An Sophie Taeuber-Arp, die sich ihrem egozentrischen Mann unterordnete. An Clementine Churchill, die ihren Mann pushte und beeinflusste. An Anna Göldin, die von ihrem Arbeitgeber geschwängert und dann zur Hexe gemacht wurde. An Virginia Haggard, die Mutter von Chagalls unbekanntem Sohn.
Barbara Wälchli Keller (*1953), lebt in Steinerberg. (www.barbarawaelchli.ch)
Weibliche Kraft
Dreizehn Gedichte, Liedtexte, Statements schmücken meine Borte. Es sind persönliche Erinnerungen an die Venus, Gedanken zur Göttin der Liebe und Morgenröte, sowie Texte starker Frauen, welche die weibliche Kraft, Träume und den Willen nach Selbstbestimmung beschreiben. (Alle Texte unter «venus von muri» auf: https://www.christine-laeubli.ch/ausstellungen.) Die zweite Borte bestickte ich mit schriftartigen Musterblöcken. Jeder Block entspricht in der Grösse dem gegenüberliegenden Text auf der ersten Borte. Diese «Schriften» sind nicht lesbar – sie sind so leise, wie es die Frauen über Jahrhunderte in der Öffentlichkeit waren.
Christine Läubli (*1956), lebt in Winterthur. (www.christine-laeubli.ch)
Narben – Punkte – Knötchen
Sensomotorisch
trifft ein Nadelstich
um den anderen den Stoff
– Stiche – Stiche auf *
sie machen nicht kaputt
sie hinterlassen
Narben – Punkte – Knötchen
fröhlich, bunt und lebendig.
Marianna Gostner (*1956), lebt in Hombrechtikon ZH. (https://www.gostnermarianna.com/)
Der Mantel
Ich schmeichle und verdecke
Ich umhülle und wärme
Ich gefalle und verspreche
Ich schütze und verschleiere
Ich bin die zweite Haut der Venus
Rita Steiner (*1959), lebt in Uerikon. (https://www.ritasteiner.ch/)
Geburt und Tod
Wunderschön und wie neugeboren steht die Venus in der Muschel und löst in mir einen Disput über Geburt und Tod, Leben und Sterben aus – die menschliche Vorstellung, dass man ein Recht auf ein ganzes, "volles" Leben hat… Doch sind Sterben und Tod von Anfang an dabei. Die tanzenden, allerlei Schabernacke treibenden Skelette ergeben einen fröhlichen Totentanz und verbinden den Tod mit dem Leben. Das Prinzip der Venus aber überdauert alles.
Johanna Albrecht (*1980), lebt in Zürich.
Text: Irene Brühwiler und Künstlerinnen
Fotos: Irene Brühwiler
Informationen:
Venus von Muri, Staffel 2
10. August bis 3. November 2024
Kloster Muri, Marktstrasse 4, 5630 Muri
Vernissage: 10. August 2024 ab 14 Uhr
Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 11 – 17 Uhr (Montag geschlossen)
Eintrittspreise: CHF 15 (bzw. CHF 12 für Studierende; freier Eintritt mit Museumspass, Raiffeisenkarte, Kultur LEGI)
Die Ausstellung wird von einem reichhaltigen Programm mit Vorträgen, Führungen und Begegnungen mit den Kunstschaffenden begleitet.
Drei Künstlerinnen von «Sticken für Venus» sind bei der Führung mit Birgit Bürgi am 25. August ab 14 Uhr zu Gast.