Krieg in der Ukraine:München verschiebt den Kohleausstieg

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Nach dem Bürgerentscheid "Raus aus der Steinkohle" sollte der Kohleblock im Heizkraftwerk Nord in Unterföhring zum Ende des Jahres 2022 auf Gas umgestellt werden. (Foto: Florian Peljak)

Wegen der Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine zieht die Stadt die Notbremse: Die Umstellung des Heizkraftwerks Nord auf Erdgas muss warten.

Von Anna Hoben

Es ist ein von außen erzwungener - zumindest vorläufiger - Ausstieg aus dem Ausstieg: Der Wirtschaftsausschuss des Stadtrats hat am Dienstag beschlossen, die Umstellung von Kohle auf Erdgas im Heizkraftwerk Nord in Unterföhring um ein Jahr zu verschieben. Sie soll demnach frühestens zum Winter 2023/24 vollzogen sein. Der Grund dafür sind die Auswirkungen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine. Denn eine "künftige verlässliche Versorgung mit Erdgas" sei dadurch "in Frage gestellt", teilten die Stadtwerke München (SWM) als Betreiber des HKW Nord vergangene Woche mit.

Ende 2017 hatte sich die Mehrheit der Münchner Wählerinnen und Wähler im Zuge des von der ÖDP vorangetriebenen Bürgerentscheids "Raus aus der Steinkohle" dafür ausgesprochen, dass der Steinkohleblock im Heizkraftwerk Nord in Unterföhring zum Ende des Jahres 2022 stillgelegt werden soll. Doch der Block ist laut Bundesnetzagentur für die Stromversorgung systemrelevant - und eine Umstellung von Kohle auf Erdgas mit erträglichem Aufwand schlossen die SWM aus technischen Gründen lange aus.

Ende 2022 wollte die Stadt keine Kohle mehr verfeuern

Im Oktober vergangenen Jahres dann die Kehrtwende: Plötzlich sollte die Umrüstung doch möglich sein. Mitte Januar verkündete Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD), dass die Stadt Ende 2022 keine Kohle mehr verfeuern wolle. Man könne dem Bürgerentscheid nachkommen, der OB sprach von einem "Meilenstein". Einen Stadtratsbeschluss zu dem vorgezogenen Ausstieg aus der Kohle gab es aber noch nicht.

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Und nun soll er sich erneut verzögern, mit Zustimmung aller Fraktionen außer der ÖDP/München-Liste. "Gerade uns als Grüne trifft es sehr hart, dass ein zeitnaher Kohleausstieg bedroht ist", sagte Dominik Krause (Grüne). Durch "jahrelange Versäumnisse auf Bundesebene" in der Energiepolitik sei die Situation eben "so, wie sie ist". Es könne aktuell nicht garantiert werden, dass im kommenden Winter genügend Gas zur Verfügung stehe, sagte Simone Burger (SPD), deshalb stimme man der Verschiebung um ein Jahr zu - ein Automatismus für weitere Verzögerungen solle das aber nicht sein.

Die SWM sollen "möglichst keine russische Kohle" kaufen

Die Stadtwerke sollen die weitere Entwicklung beobachten und "falls sich die Umstellung nicht wie vorgeschlagen umsetzen lässt, zu gegebener Zeit einen Vorschlag für die Heizperiode 2024/25 unterbreiten", heißt es in einem Änderungsantrag, den Grüne/Rosa Liste und SPD/Volt gemeinsam einbrachten.

Wichtig sind der Rathauskoalition demnach zwei weitere Punkte: dass die SWM "möglichst keine russische Kohle" kaufen und auch "keine Kohle aus Gebieten, in denen Menschenrechtsverletzungen bekannt sind". Sollten die SWM durch die verzögerte Umstellung mehr Geld einnehmen, sollen sie dies zudem "für Investitionen in den lokalen Klimaschutz und somit in die Versorgungssicherheit Münchens" nutzen.

Dem Wunsch, keine Kohle mehr aus Russland zu beziehen, erteilte Helge-Uve Braun, Technischer Geschäftsführer der SWM, jedoch einen Dämpfer. "Wir sind nicht in der Lage, sofort zu sagen, wir können auf russische Kohle verzichten." Steinkohle sei nicht gleich Steinkohle, man könne aus technischen Gründen und wegen des Emissionsschutzes den verwendeten Mix nicht einfach verändern. Bisher sei die Kohle für das HKW Nord zur Hälfte aus Nordamerika und zur Hälfte aus Russland gekommen.

Die Lieferungen aus Russland seien aber bereits vor dem Ukraine-Krieg rückläufig gewesen, die SWM schauten sich deshalb seit dem vergangenen Jahr auf dem Weltmarkt um: etwa in Kanada, Südafrika, Mosambik, Australien oder Indonesien. "Wir sind dabei, mit unseren Lieferanten intensiv zu diskutieren, wo wir Kohle beschaffen können."

Die Routen und Trassen zu den Seehäfen seien gesichert, als nächstes werde man mit dem Transportunternehmen DB Cargo einen Liefervertrag für die Waggons abschließen. Ob die verschobene Umstellung auch einen wirtschaftlichen Vorteil für die Stadtwerke mit sich bringe, das werde man erst in einem Jahr wissen, sagte SWM-Chef Florian Bieberbach. Auch der Kohlepreis ist zuletzt extrem gestiegen.

Wegen ihrer Forderung, keine Kohle aus Ländern mit Menschenrechtsverletzungen zu beziehen, warf Alexander Reissl (CSU) der grün-roten Rathauskoalition "Doppelmoral" vor. Dann, so Reissl, dürfe man auch keine Handys mehr kaufen. Bürgermeisterin Katrin Habenschaden (Grüne) wies das zurück, man agiere eben dort, "wo wir einen direkten Einfluss haben".

Potenzielle städtische Flächen für den Ausbau von Photovoltaik ausloten

Tobias Ruff (ÖDP) erklärte seine Ablehnung der Beschlussvorlage mit fehlenden Informationen zur geplanten Umstellung von Kohle auf Gas im HKW Nord. Er könne sich "überhaupt kein Bild machen", die Sache sei eine "vollkommene Blackbox". Auch Stefan Jagel (Linke) beklagte, dass viele Fragen unbeantwortet seien. Dominik Krause (Grüne) entgegnete, man müsse zu gegebener Zeit detaillierter diskutieren, was eine langfristige Umstellung von Kohle auf Gas bedeute, auch für den CO₂-Ausstoß der Stadt.

In einem vierteiligen Antragspaket machte die Rathauskoalition am Dienstag außerdem Vorschläge, um die Nutzung erneuerbarer Energien zügiger voranzutreiben. Unter anderem soll eine Liste mit potenziellen städtischen Flächen für den Ausbau von Photovoltaik vorgelegt werden - auch wenn deren Nutzung bisher von der Stadtverwaltung oder den städtischen Tochtergesellschaften abgelehnt wurden. Im Zweifelsfall soll der Stadtrat ein Machtwort sprechen können.

Die Stadtwerke sollen neue Windkraftanlagen in München und der Region prüfen, ohne die bayernweit aktuell gültige sogenannte 10-H-Abstandsregel als Ausschlusskriterium zu betrachten. Der Ausbau der Geothermie und damit verbunden die Umstellung des Fernwärmenetzes soll "mit oberster Priorität" beschleunigt werden.

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