Aus einem deutschen Leben

BR Deutschland 1976/1977 Spielfilm

Aus einem deutschen Leben



Leo Schönecker, film-dienst, Nr.25, 06.12.77

Der Film schildert charakteristische Situationen und entscheidende Stationen aus dem Leben des KZ-Kommandanten Rudolf Höß (geb. 1900), der sich nach dem Zusammenbruch unter dem Namen Franz Lang versteckt hielt, 1946 von den Engländern in Schleswig-Holstein entdeckt, an Polen ausgeliefert und dort 1947 hingerichtet wurde. Höß alias Lang diente schon mit 16 Jahren als Soldat im Ersten Weltkrieg, wurde Unteroffizier, arbeitete nach Kriegsende in einer Maschinenfabrik, wurde wegen Rauferei mit Körperverletzung entlassen, trat dem Freikorps bei, beteiligte sich an einem Fememord und erhielt 1923 zehn Jahre Zuchthaus; infolge einer Amnestie wurde er nach fünf Jahren begnadigt, fand Arbeit auf dem Gut eines ehemaligen Obersten in Mecklenburg, trat der SA und später der SS bei; als der Reichsführer-SS Himmler von seinem bemerkenswerten Organisationstalent erfährt, gibt er ihm bereits 1934 einen Vertrauensposten in einem Konzentrationslager. Nach kurzer Zwischenstation in der Leitung des KZ Dachau wird Höß 1940 Kommandant von Auschwitz. Innerhalb von weniger als fünf Jahren ist er als Verwaltungstechnokrat und Vergasungskonstrukteur am Tod von vier Millionen Menschen beteiligt.

Die Biografie von Höß hat der Franzose Robert Merle 1952 in seinem Roman "La mort est mon metier" (deutsch 1957: "Der Tod ist mein Beruf") geschrieben. 1958 erschien die Autobiografie von Höß, nachdem er 1947 im Gefängnis seine "Erinnerungen" verfaßt hatte. Neben diesen Grundlagen dienten Theodor Kotulla viele zeitgenössische Dokumente und Berichte, darunter die Freikorps-Studie "Ruhe und Ordnung" (1929) von Ernst Ottwalt, und Aussagen aus der persönlichen Umgebung des KZ-Kommandanten. Man merkt dem Film eine außerordentlich sorgfältige und verantwortungsbewußte Vorarbeit an, so daß die oft kleinste Details beobachtende und überzeugend markierende Geschichtsstudie auch als teils konstruierender, teils rekonstruierender Spielfilm ein zweifellos gültiges, ja allgemeintypisches Porträt eines Mannes ergeben hat, der kaum einmal wie ein anormaler Sonderling oder gar als psychopatischer Menschenverächter und Massenmörder wirkt, sondern "nur" als konsequenter Gefolgsmann erscheint, als uneingeschränkter Befehlsempfänger, dem jedes Empfinden für Alternativen fehlt. Höß-Lang ist sozusagen der Idealtyp eines totalen, Gefühl und Gewissen abtötenden Untertanen, eines im übrigen arbeitstüchtigen, ehrgeizigen, pflichtbewußten Nationalisten, dem in allzu vielen Fällen blinde Autoritätsgläubigkeit der erste und oberste Wert bedeutet.

Die Austauschbarkeit von Kollektivdenken und Feindbild wird durch die emotionslose, auf Kern und Mechanik solcher "Bewegung" zurückführende psychohistorische Analyse Kotullas erschreckend deutlich. Politisch-moralische Oberflächlichkeit und Gedankenflüchtigkeit eines irrational zum Höchstwert an sich verallgemeinert propagierten Sinnes für "Ruhe, Ordnung und vor allem Sauberkeit" – unter diesem Vorwand wurden in Auschwitz täglich bis zu 9000 Menschen in den "Duschraum" geschickt – erscheint in Kotullas Film zu Recht als die Hauptursache des totalitären Machtmißbrauchs, wie er deswegen mit verschiedenen Formen und ideologischen Vorzeichen weiterhin weltweit offen oder versteckt zu funktionieren vermag. Insoweit ist diese an Tatsachen orientierte Fiktion ein Lehrstück, das jeder Pädagoge, erst recht jeder Geschichtslehrer mit der Jugend auseinandersetzen sollte. Die Filmbiografie Höß" enthält mehrere Schlüsselszenen, die Entstehen und Konsequenz der sonst kaum begreifbaren menschlichen Entwicklung ausreichend verständlich machen. Bezeichnender Höhepunkt, der das ichbezogene Verhalten und abhängigkeitstypische Versagen in entscheidenden Momenten verrät, sind drei zusammenhängende Szenen aus dem häuslichen Alltagsleben der Familie Höß: 1. Frau Ilse Höß erfährt erst bei einem Privatbesuch eines anderen KZ-Leiters, im Herbst 1942, von der wirklichen "Arbeit" ihres Mannes. (Bis dahin hatte sie quasi gutgläubig den Krematoriumsrauch für ein "normales" Zeichen eines "Gnadentodes" einzelner unrettbar siecher Häftlinge angesehen.) Sie stellt ihren Mann offen zur Rede, er versucht Ausflüchte, weist die Verantwortung von sich, gesteht, daß es ihm "physisch unmöglich" sei, einen Befehl nicht zu befolgen, daß er auch eines seiner Kinder töten würde, wenn es der Reichsführer ihm auferlege. 2. Kurze Zeit später: Familie Höß wieder in trauter Abendtischrunde vereint. 3. Ein Jahr später: Das Privatleben der Familie Höß ist weiterhin so verlaufen, wie es bei normalen Umständen nicht erwähnenswert wäre; Höß sieht seine Frau den Kinderwagen über die Straße schieben, sein Blick erwärmt sich.

Mit diesem Bild beendet der Film seine außergewöhnlich zurückhaltende, objektiv distanzierte Fallbeschreibung, die nüchtern und doch teilnahmsvoll verfolgt werden konnte. Das objektiv feststehende Ergebnis der "Arbeit" von Auschwitz wird nun mit den fast teilnahmslos und nebensächlich formulierten Aussagen des Rudolf Höß berichtet, während die Kamera über das Lager schwenkt und einmal frontal zum Lagertor hin führt, als sitze man heute im Güterwagen wie jene Menschen der "Endlösung" vor 35 Jahren. Vielleicht mag manchem, "realistische", oft vordergründig naturalistische Darstellungen vergleichbarer Stoffe gewohnt, das Verfahren Kotullas zu kühl-steril und intellektuell vorkommen, doch beweist die Qualität seiner Arbeit, daß eine vernünftige, maßvolle Abstraktion mehr an Informationsgehalt und Möglichkeiten gründlicher Reflexion vermitteln kann als alle bisherigen Versuche deutscher (und nicht nur deutscher) "Vergangenheitsbewältigung". Kotullas Film geht einen wichtigen Schritt weiter. Er erinnert an Gegenwart und Zukunft, indem er nicht zuletzt kritisches Vorstellungsvermögen entwickeln hilft.

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