Seinem
Freunde und Zuhoͤrer
Herrn J. Gerhard von Kuͤgelgen
beruͤhmten Hiſtorienmahler
der Verfaſſer.
Sey denn, wuͤrdiger Meiſter! der geringen
Gabe freundlich.
Feldblumen ſind es, geſammlet in der fruͤ-
hen Daͤmmerung eines neuen Tages, ehe uns
die Morgenroͤthe zu einem ernſteren Tagewerk
gerufen. Wir finden unter ihnen nicht die
Blumen, welche Du liebſt: nicht die hohe Li-
lie oder die gluͤhende Roſe, ſelbſt die Blaͤtter
des wildwachſenden Lorbeers werden vermißt;
ſey es, daß der Boden dieſen Gewaͤchſen un-
guͤnſtig, und daß die Jahreszeit ſolchen Zaͤrt-
lingen noch zu rauh war; oder daß wir ſelbſt
beym eiligen Aufraffen jene uͤbergangen. Viel-
mehr erblicken wir unter den laͤndlichen Blu-
men einige ohne Duft, und leicht verwelklich.
Doch laß ſie welken! Das Leben wird noch
andre Bluͤthen tragen. Die Liebe aber zu
Dir wird beſſer und unvergaͤnglicher ſeyn als
dieſe Gabe, beſſer und unvergaͤnglicher als das
Leben.
Bey dem Leſen dieſer Vorleſungen moͤge man nicht
vergeſſen: daß ſie zunaͤchſt einem ſehr gemiſchten Krei-
ſe, von verſchiedenem Alter, Geſchlecht, Stand und
Denkweiſe beſtimmt waren. Wenn daher die Ausfuͤh-
rung zuweilen eine andre geworden, als ſie zum Theil
noch die erſte Vorleſung verſpricht; ſo hat die Schuld
nicht ganz an dem Verfaſſer gelegen. Eine blos zum
Druck beſtimmte Schrift darf wohl eher jenes Publi-
kum allein vor Augen haben, dem ſich die Seele tief
im Innern geneigt fuͤhlt; Arbeiten von der Beſtim-
mung der jetzigen, werden, auch gegen unſren Willen,
die Farbe der Umgebungen, der Aufnahme und der
Zelt an ſich tragen. Moͤgen ſich daher dieſe Vorle-
ſungen daſſelbe gemiſchte, vielartige Publicum wie-
der ſuchen, dem ſie im kleineren Kreiſe zu gefallen
ſtrebten!
Die Thatſachen bey der Geſchichte der Orakel,
Vorahndungen u. a. haͤtten ſich freylich um Vieles
vermehren laſſen, doch haben mich einige Gruͤnde
bewogen, ſelbſt beym Druck maͤßig damit zu ſeyn.
Noch bemerke ich, daß der wiſſenſchaftliche An-
hang zur ſechsten Vorleſung auch als ein beſondres
Werk, unter dem Titel:
Neue Unterſuchungen uͤber die Ver-
haͤltniſſe der Groͤßen und Eccentricitaͤ-
ten der Weltkoͤrper,
abgedruckt iſt.
Dresden, im July 1808.
der Verfaſſer.
Wenn vielleicht die Forderungen, welche ein Theil
meiner Zuhoͤrer an die Naturwiſſenſchaftlichen Vorle-
ſungen die ich heute beginne, machen wird, in der
Folge unbefriedigt bleiben muͤßten, ſo will ich wenig-
ſtens, ſo viel an mir iſt, dieſe Unzufriedenheit nicht
unvorbereitet laſſen, und gleich am Anfange unver-
hohlen ſagen, was diesmal von mir zu erwarten ſey,
und was nicht?
Die Naturwiſſenſchaft bey ihrem jetzigen Umfange,
ſelbſt nur in einem duͤrftigen Umriſſe, in einem gerin-
gen Auszuge darzuſtellen, wuͤrde mit den aͤußerlichen
Graͤnzen ſolcher Vorleſungen, wie die meinigen ſeyn
muͤſſen, in voͤlligem Misverhaͤltniſſe ſtehen; auch ſind
in neuerer Zeit Werke, welche ſich dieſes Ziel vorge-
ſetzet, in ſo hinlaͤnglicher Menge geſchrieben, daß ich
eine ſolche Arbeit fuͤr ſehr entbehrlich halten wuͤrde.
Wenn man ſich daher in meinen Vortraͤgen eine voll-
ſtaͤndige Ueberſicht uͤber den Innhalt der geſammten
Naturwiſſenſchaft, ſeit den vielfaͤltigen Entdeckungen
und Erweiterungen der letzten Jahrzehende verſpro-
chen, ſo wird man ſich getaͤuſcht finden. — Nicht
minder werden vielleicht ſelbſt die Gegenſtaͤnde von de-
nen ein großer Theil dieſer Vorleſungen handeln wird,
Einigen unerwartet und ungelegen kommen. Wir
werden naͤmlich in dieſen Abendſtunden, jene Nachtſei-
te der Naturwiſſenſchaft, welche bisher oͤfters außer
Acht gelaſſen worden, mit nicht geringerem Ernſt als
andre allgemeiner anerkannte Gegenſtaͤnde betrachten,
und von verſchiedenen jener Gegenſtaͤnde die man zu
dem Gebiet des ſogenannten Wunderglaubens gezaͤhlt
hat, handeln. Nicht in der Abſicht, daß durch dieſe
Unterſuchungen vergeſſene oder muͤßig gelegene Thatſa-
chen blos einmal hervorgeholt, und der Menge gezeigt
wuͤrden, oder daß ich in ihnen eine Vertheidigung und
Rechtfertigung derſelben uͤbernaͤhme, deren reine That-
ſachen niemals beduͤrfen werden. Vielmehr habe ich
meinen Vorleſungen zum Theil dieſen Innhalt ge-
waͤhlt, weil es mir ſchien, als ob aus der Zuſammen-
ſtellung jener, von Vielen verkannten Erſcheinungen,
ein eigenthuͤmliches Licht, auch uͤber alle andren Thei-
le der Naturwiſſenſchaft verbreitet wuͤrde, in welchem
ſich dieſe leichter und gluͤcklicher zu jenem Ganzen verei-
nigen ließen, das ich in dem kurzen Umfang dieſer
Unterſuchungen aufzuſtellen bemuͤht ſeyn werde.
Das aͤlteſte Verhaͤltniß des Menſchen zu der Na-
tur, die lebendige Harmonie des Einzelnen mit dem
Ganzen, der Zuſammenhang eines jetzigen Daſeyns
mit einem zukuͤnftigen hoͤheren, und wie ſich der Keim
des neuen zukuͤnftigen Lebens in der Mitte des jetzigen
allmaͤlig entfalte, werden demnach die Hauptgegen-
ſtaͤnde dieſer meiner Arbeit ſeyn. Damit ich meine Zu-
hoͤrer ſo weit als moͤglich in den Stand ſetzen moͤge,
gleich Anfangs uͤber den Gang dieſer Unterſuchungen zu
urtheilen, will ich jezt den Innhalt derſelben wie in einem
Gemaͤhlde der Seele voruͤber fuͤhren, damit zugleich
der Sinn des Ganzen, welcher aus dem Geſammtein-
druck von der Phantaſie leicht ergriffen wird, hernach
auch in den einzelnen Theilen leichter verſtanden wer-
de. Und zwar werde ich hierbey vorzuͤglich jene Zuͤge
hervorheben, aus welchen der Zweck des Ganzen am
leichteſten erkannt wird, und mich deshalb bey dem
Innhalt einiger der naͤchſten Vorleſungen, welche von
dem aͤlteſten und urſpruͤnglichen Verhaͤltniß des Men-
ſchen zur Natur (von ſeinem Naturzuſtand) handeln
werden, am laͤngſten verweilen.
Wir werden zuerſt, uͤber den Urſprung unſres
Geſchlechts, uͤber das aͤlteſte Verhaͤltniß deſſelben zur
Natur, die heilige Sage der aͤlteſten Voͤlker befragen.
Einſtimmig werden uns Alle, Egypter und Indier,
Chineſen und Mexicaner, ja Islaͤnder und Schweden,
die Kunde einer hohen, untergegangenen Naturweisheit,
und einer fruͤhen Bluͤthenzeit der Cultur unſres Ge-
ſchlechts bringen. Hierauf ſehen wir uns, jenſeit der
Kluft vieler Jahrtauſende, nahe am Pol, in dem Wun-
derlande Atlantis, wo die Gluth der noch jugendli-
chen Erde, einen beſtaͤndigen Fruͤhling, und dort wo
jezt das Land von beſtaͤndigem Eiſe ſtarrt, hohe Pal-
menwaͤlder erzeugt. Es wohnt hier mit den Thieren
des Suͤdens, jenes der Erde geweihte Urvolk, wel-
ches, einen Theil des Jahres nur von dem Licht der
Geſtirne geſehen, der Sonne vergeblich entgegen harrt.
Noch in der erſten heiligen Harmonie mit der Natur,
ohne eignen Willen, erfuͤllt von dem goͤttlichen In-
ſtinkt der Weiſſagung und Dichtkunſt, ſehen wir unſer
noch junges Geſchlecht, unter dem Scepter des Ura-
nus froh. Damals hat nicht der Geiſt des Menſchen
die Natur, ſondern dieſe den Geiſt des Menſchen
lebendig erfaßt, und die Mutter, welche das wunder-
bare Weſen gebohren, hat es noch einige Zeit aus der
Tiefe ihres Daſeyns ernaͤhrt. Es hat in jenen Tagen
nicht der Geiſt des Menſchen den Geſtirnen, ſondern
dieſe dem Daſeyn des Menſchen Geſetze gegeben, wie
den Bewegungen der Erde, und die Weisheit der alten
Welt war: Alles und ganz zu thun, was ihr die Na-
tur gelehrt.
Auf einen ſchnellen Blick wird das alte Ideal der
Koͤnige in erhabenem Glanz geſehen, wie ſie, ein
Vorbild des Goͤttlichen, Vermittler und Erhalter der
alten Harmonie mit der Natur geweſen. Das Geſetz
der Natur und der hoͤhere Einfiuß, waren die erſten
Herrſcher der Menſchen, und als Stellvertreter ſind
diejenigen gewaͤhlt worden, welchen ſich, als den rein-
ſten Organen, der hoͤhere Einfluß am innigſten mitge-
theilt. Nicht den Herren ſondern das getreue Organ
der hoͤheren Natur, hat jene Zeit in ihren Koͤnigen ver-
ehrt, und wir ſehen noch in der aͤlteſten Geſchichte ei-
niger Voͤlker, den ehrwuͤrdigen Koͤnig ſelber, als Prieſter
dem Dienſte der Natur vorſtehen, ſein graues Haupt
auf hoher Sternwarte der Kaͤlte der Nacht Preiß ge-
ben, und das geweihte Auge fuͤr ſein ſchlummerndes
Volk den alten Bund des Menſchen mit der Natur be-
wahren. Von den Arbeiten der alten Koͤnige, un-
ſterblich wie dieſe Erde, und wie die ewigen Geſtirne
ſelber, wird hierauf ein ernſtes Wort zu reden ver-
goͤnnt ſeyn.
Von dem urſpruͤnglichen Verhaͤltniß des Menſchen
zur Natur, von welchem wir, damit das eigentliche
Weſen der Naturwiſſenſchaft, und das der Natur ſel-
ber, in ſeiner ganzen Tiefe ergriffen werde, ausgehen,
ſagt uns die aͤlteſte Geſchichte nur dunkle Worte. In
den Myſterien und der heiligen Weihe jener Voͤlker,
welche dem Urvolk der Welt noch am naͤchſten ver-
wandt geweſen, vernimmt die Seele einige halbver-
ſtaͤndliche Toͤne, welche tief aus der Natur unſers
Weſens gekommen, dieſes tief erſchuͤttern, und wir
fuͤhlen bald von den Klagetoͤnen des erſten Menſchen-
geſchlechts und der Natur, unſer Herz zerſchnitten,
bald den Geiſt von einer hohen Naturandacht bewegt,
und von dem Wehen einer ewigen Begeiſterung durch-
drungen. Aus dem Tempel der Iſis, von den reden-
den Saͤulen des Thot, in den Geſaͤngen der egypti-
ſchen Prieſter, werden wir jenen dunklen Laut verneh-
men. An einſamer Kuͤſte, unter den ſchwarzen Ge-
birgen Islands, wird uns die Edda jene Stimme aus
den Graͤbern deuten, und die Phantaſie wird noch ein-
mal jene Prieſter herauffuͤhren, welche die heilige
Kunſt ihres Gottesdienſtes durch ſtrenges Schweigen
der kuͤnftigen Zeit verborgen. Ja an den Altaͤren
Mexicos, unter jenen Saͤulen, welche das Blut und
die Thraͤnen von tauſend Menſchenopfern geſehen,
wird das Auge noch die letzten Zuͤge der hohen Vergan-
genheit erkennen.
Hierauf moͤge die Seele, auf dem vielbeſungenen
Felſen zu Delphi, in einſamen Wald, ſich Stille zu
einer neuen Betrachtung ſammlen. Aus der Ferne
grauer Jahrtauſende, wird in der Tiefe der Grotte, die
Stimme der Orakel, und die Begeiſterung der Pythia
vernommen. Dann, nicht ohne Beruf, dringen wir
tiefer in den heiligen Hayn zu Dodona, als den Fra-
genden vergoͤnnt war. Auf einſamen Berg, von wei-
ſen Felſenmaſſen umgeben, ſehen wir bey ſtiller Nacht,
noch von der heiligen Quelle berauſcht, den Einge-
weihten in die Hoͤhle des Trophonius hinabſteigen,
wo ihn, fern von dem letzten Schimmer der Sterne,
eine ungeſehene Gewalt in das innre Heiligthum der
Viſionen und dumpfen Stimmen hinabreißt. Von
aͤhnlicher Natur, als dieſe aͤlteſten Orakel, wird uns
in den Waͤldern Virginiens, und in der geweihten
Verſammlung nordiſcher Barden, prophetiſcher Wahn-
ſinn, und eine wilde Weiſſagung begegnen.
So fuͤhren wir die Geſchichte jener Zeit, wo der
Menſch noch Eins mit der Natur geweſen, und wo
ſich die ewigen Harmonien und Geſetze derſelben, deut-
licher als ſonſt je in ſeinem eignen Weſen ausgeſpro-
chen, dem Geiſt voruͤber, damit nachher an dieſem
großen Beyſpiel auch in der untergeordneten Natur die
Einheit aller Einzelnen mit dem Ganzen verſtanden
werde.
Wir nennen noch jetzt jene Augenblicke, wo ſich
unſer Weſen im innigſten Einklange mit der ganzen
aͤußern Natur befindet, die der hoͤchſten Luſt, des
hoͤchſtens Wohlſeyns. Auch jene erſte Zeit, welche
unſer Geſchlecht in tiefer Harmonie mit der ganzen
Natur verlebt, wird uns von allen Voͤlkern der darauf
folgenden Vorwelt, als eine Zeit des ſeeligen Friedens,
und paradieſiſcher Freuden beſchrieben. Sie iſt es,
welche die Griechen und einige noch viel aͤltere Voͤlker,
unter dem Nahmen des goldenen Zeitalters preiſen.
Eine Zeit der Kindheit iſt es geweſen, hoͤher aber als
dieſe huͤlfloſe Kindheit, welche wir jezt kennen. Sterb-
liche Muͤtter ſind es, welche jetzt gebaͤhren, jener
Kindheit hat eine unſterbliche Mutter gepflegt, und der
Menſch iſt von jener unmittelbaren Anſchauung eines
ewigen Ideals ausgegangen, iſt unbewußt in der Mit-
te jener hoͤchſten Erkenntniſſe und Kraͤfte geweſen, wel-
che nun das ſpaͤtere Geſchlecht in hohen aber muͤhſeeli-
gen Kampfe wieder erringen muß.
Es pflegen die Weſen in der ganzen Natur nur
dann eines vollkommenen Vereins faͤhig zu ſeyn, wenn
ſich das eine dem andern vollkommen unterordnet. Der
Menſch iſt im Anfang ein untergeordnetes Organ der
Natur geweſen. Nicht aber jenes Theils derſelben,
welcher nur die Baſis der eigentlichen hoͤheren iſt, ſon-
dern jenes ewigen und goͤttlichen Geſetzes, nach wel-
chem der Menſch ward. Unſer Geſchlecht, aufangs
nur ein Theil der Mutter, aus welcher es der hoͤhere
Einfluß gezeuget, hat an dem Daſeyn, an dem voll-
kommenen Weſen derſelben Theil genommen, und oh-
ne ſein Verdienſt, wie alles von außen Geliehene, war
an ihm die hohe Vollendung und heilige Harmonie der
hoͤchſten Natur ſichtbar. Damals iſt der Fatalis-
mus, — das voͤllige Dahingeben alles Willens in ein
ewiges Geſetz — an ſeinem Ort geweſen. Noch er-
ſchien die Natur dem Menſchen goͤttlich und rein, alſo
war es auch der Einklang mit ihr.
Allmaͤlig hat in ſolcher unmittelbarer Mittheilung,
der Menſch das hoͤhere Weſen der Natur ſelbſtſtaͤn-
dig in ſein eignes aufgenommen. Der goͤttliche Keim,
deſſen zartes Beginnen die Mutter gepflegt, wird im
Gemuͤth des Menſchen ſtark, und ſiehe! der Bruſt
und des Beduͤrfniſſes der Mutter entwachſen, fragt
der junge Knabe nach ſeinem Vater, und nach jenem
goͤttlicheren Ideal, durch welches dieſe Natur, und
aus ihr der Menſch geworden. Hierauf ſehen wir in
der Geſchichte der Naturwiſſenſchaft, welche mit der
Urgeſchichte unſres Geſchlechts Eins iſt, den alten
Bund des Menſchen mit der Natur uͤbertreten. Wie
die Nacht mit ihren hohen Geſtirnen, verbleicht in der
Morgendaͤmmerung eines neuen, hoͤheren Beduͤrfniſ-
ſes, die alte Abhaͤngigkeit und Harmonie mit der
Natur.
Aber vor der Morgendaͤmmerung geht das kalte
Wehen der letzten Nachtwache vorher, und verlaſſen
von der muͤtterlichen Schwinge, erſtarrt auf einige
Momente das noch zarte Geſchlecht. Unter dem
Scepter der ehernen Zeit, als das kuͤhne Volk die
Stimme in ſeinem Buſen verſtehen gelernt, und der
eigne Wille ſich der Stimme der Mutter widerſetzet,
ſieht die Natur mit traurigem Unwillen den Geiſt des
Menſchen ſich ihren Armen entwinden, und ein an-
dres Geſetz, eine andre Heimath als die Erde ſelber
ſuchen. Da ſchweigt die Stimme der kuͤhnen Begei-
ſterung, der Menſch verſteht die Natur nicht mehr,
und durch ſein eignes Streben, verſtoßen aus der Mit-
te der ſeeligen Anſchauung, iſt die alte Weisheit, nur
noch in der Aſche glimmend, ihrem Untergange nahe.
Es verlaͤugnen nun die Herrſcher die alte Beſtimmung,
und, vorhin ein Vorbild der Ergebung und heiligen
Anſchauung, wird der Koͤnig als Eroberer, ein Vor-
bild des eignen Willens. Es gefaͤllt dem Menſchen,
die Erde, welche vorhin anzubauen heiliges Geſetz
war, zu zerſtoͤren, der Fruchtbarkeit ſeines Ge-
ſchlechts, vorhin als ein Symbol des Goͤttlichen ver-
ehrt, durch blutige Kriege Einhalt zu thun, und wie
in der alten Zeit das Einzelne vollkommen dem Bun-
de mit dem Ganzen ſich ergeben, ſo kaͤmpft dieſe nach-
folgende, daß die Natur, daß das ganze Geſchlecht
dem Einzelnen untergeordnet ſey.
In jenem dumpfen Kampfe, noch ohne Bewußt-
ſeyn, iſt die hohe Kultur, welche der urſpruͤngliche
Zuſtand des Menſchen war, bey ganzen Voͤlkern un-
tergegangen, und in entarteter Rohheit, harren dieſe
noch jezt des neuen Morgens. Andre ſind in gewalti-
gem Ungluͤck fruͤher gereift, und wir ſehen den harten
Kampf und die wuͤſte Zerſtoͤrung jener Zeit, nir-
gends ſo maͤchtig wuͤthen, als im weſtlichſten Aſien
und im ſuͤdlichen Europa. Da wird ploͤtzlich, aus
den Truͤmmern der alten Zeit, wie die Stimme eines
Traͤumenden, die Sehnſucht des Menſchen nach dem
hoͤheren und goͤttlicheren Ideal vernommen, und die
zerſtoͤrte Welt von dem erſten matten Schimmer des
neuen Morgens erhellt. Einzelne Weiſe, welche wie
Waͤchter auf der Zinne, die Stunden der Nacht bewah-
ren, verkuͤnden die Naͤhe des Morgenroths. Hierauf
werden von einem bangen Sehnen nach etwas Hoͤhe-
rem, ganze damalige Voͤlker ergriffen, und unter der
eiſernen Laſt des Roͤmerreichs, unter dem blutigen
Stachel der kleineren Fuͤrſten, wird, noch ohne Klar-
heit, in dem Buſen der Welt die Gluth einer ewigen
Liebe wach. Da iſt der Blick der ſterbenden alten Zeit
nach dem Orient gewendet, aus welchem, wie einzel-
ne Stimmen verkuͤndigten, das neue Heil aufgehen
wird. Endlich, ſtehe! iſt die Stunde der Erfuͤllung
gekommen, und mitten unter blutiger Verfolgung,
unter der Geißel der Tyranney, wird mit erhabenem
Jubel die Vermaͤhlung des menſchlichen Gemuͤths mit
dem goͤttlichen Ideal gefeyert. Hierauf ſchweigen ge-
gen Chriſti Geburt die Orakel alle, und die geheime
Gewalt der Natur uͤber den Menſchen wird zerſtoͤrt.
Nur noch in einzelnen Lichtblicken, nie im alten Glanz,
erhebt ſich das Heydenthum auf der weſtlichen Erde,
und zuletzt iſt in der neugebildeten Naturwiſſenſchaft,
aus der alten Zeit nur noch ein verſtuͤmmelter und ver-
kannter Schatten der alten Anſtrologie und Alchymie,
im Mittelalter zuruͤck.
Nur bis dahin, wo der Menſch nun aufhoͤrte,
Eins mit der Natur zu ſeyn, und wo dieſe als etwas
Aeußeres, als Gegenſtand vor ihn hintrat, ſehen wir
die Geſchichte der Naturwiſſenſchaft mit der Urge-
ſchichte unſres Geſchlechts unzertrennlich vereint. Von
hier an begegnen wir dieſer nicht weiter, und was vor-
hin als Naturcultus mit dem beſſeren Daſeyn des
Menſchen, ja mit jedem Augenblick ſeines Lebens in-
nigſt verſchmolzen war, tritt nun als Naturwiſſen-
ſchaft auf, ohne ſichtlichen Zuſammenhang mit
den weiteren Schickſalen des Menſchen, in ſeinen
neuen, kuͤnſtlicheren Verhaͤltniſſen.
Wir folgen derſelben nun nur noch in einigen Zuͤ-
gen, bis zu jener Zeit, wo wieder deutlicher wird, daß
jenes, wovon die Naturwiſſenſchaft ausgegangen —
die Harmonie des Einzelnen mit dem Ganzen — das
eigenthuͤmliche Weſen und letzte Streben derſelben ſey,
und wie ſich in ihrer Mitte, aus jenen Materialien,
welche auch der Innhalt dieſer Unterſuchungen ſind,
eine neue hoͤhere Zeit derſelben bereitet. Doch wird
dieſes eigenthumliche Streben erſt ſpaͤt deutlich
ſichtbar.
Fuͤr das Ganze iſt der Anfang der neueren Zeit,
wo der Wille des Menſchen gleichſam muͤndig gewor-
den, der Eintritt des Chriſtenthums; einzelne Voͤlker
aber ſind einſeitig und in einigen Beſtrebungen, jener
neuen Zeit fruͤher entgegengereift, und ſind wie in den
Kuͤnſten, ſo in der eigentlich ſogenannten Naturwiſſen-
ſchaft, unſre Vorgaͤnger geweſen. Von jenen einzel-
nen Beſtrebungen aus, wird der Geiſt ſogleich in die
Zeiten des Mittelalters gefuͤhrt, wo der bis dahin ver-
borgene Keim ſich in der erſten Hoffnung zeigt. —
Es pflegen jederzeit große und kuͤhne Ideen, wenn ſie
ſich, kaum im Gemuͤth empfangen, nur noch als
Ahndungen regen, fuͤr den Mund unausſprechlich zu
ſeyn, und den Geiſt wie formloſe Weſen, wie eine
Gluth ohne Licht zu umſchweben. So haben auch das
goͤttliche Ideal der neuen Zeit, faſt anderthalb Jahrtau-
ſende mit tiefer Innigkeit in ihrem Schooß ernaͤhrt,
ohne daß es gelungen waͤre, weder in den Kuͤnſten
noch in den Wiſſenſchaften, es auszuſprechen. Als
hierauf die erſten Verſuche gemacht worden, das bis
dahin blos Empfundene zu geſtalten, geſchahen dieſe in
tiefer Einfalt. Wir nennen naͤmlich einfaͤltig, wo
die noch kindliche und unvollendete Form einem zu
großen, zu erhabenem Innhalt unterliegt, wo das
unerreichte Ideal unmittelbar zu uns ſpricht, und der
Geiſt des Kuͤnſtlers oder des Weiſen in frommer Erge-
bung ſchweigend, und faſt blos paſſiv erſcheint. Al-
les Große erſcheint zuerſt in dem Gewand der Einfalt,
und nur ein geringer Innhalt iſt es, deſſen ſich der
Geiſt des Menſchen ſogleich bemeiſtein, den er ſogleich
in vollendete Form zu zwingen vermag.
Zu jener Zeit, als in Italien der Lehrer des Ra-
phael und ſeine Zeitgenoſſen in frommer Einfalt die
neue Kunſt hervorgerufen, hat ſich in Deutſchland der
Geiſt der neuen Naturkunde zuerſt geregt. Hierauf
wurde zugleich in den Kuͤnſten und in der Naturkunde
das hohe Ideal der neuern Zeit ausgeſprochen. Ein
Zeitgenoſſe des Raphael und Michel Angelo, wagt es
der unſterbliche Kopernikus die erſtorbene Naturweis-
heit mit dem hohen Geiſt und Sinn der neuen Zeit wie-
der zu beleben. Der alte Wahn, daß die Sonne und
alle ewigen Gewalten des Himmels ſich um unſre klei-
ne Erde bewegten, welcher in der alten Zeit, wo der
Menſch ſelber noch ganz von der Erde abhaͤngig war,
geherrſcht hatte, wird von ihm zerſtoͤrt. Nicht mehr
die Erde, ſondern des Univerſum, nicht mehr die ein-
zelne Erſcheinung, ſondern das Ideal, fuͤhren als Genien
die Herrſchaft der neuen Zeit.
Endlich wird von dem groͤßten Aſtronomen aller
Zeiten, von Kepler, das ewige Geſetz des Him-
mels, und mit ihm der Eingang in das innerſte Hei-
ligthum der Naturwiſſenſchaft gefunden. Der Vor-
hang oͤffnet ſich ein wenig, um hernach, vielleicht auf
Jahrhunderte, das innre Licht wieder deſto dichter zu
verhuͤllen. Wie der Menſch in der neueren Zeit als
etwas Beſonderes aus der Harmonie mit dem Ganzen
hervorgetreten, hat ſein Verſtand alle andre Weſen in
dieſen Abfall mit verſtrickt, und ſehr vielfaͤltig abge-
riſſene, blos durch einigen mechaniſchen Zuſammen-
hang verbundene Dinge in die lebendige Natur hinein-
gedichtet. Deshalb iſt jener Rieſenſchritt Keplers,
iſt das Licht, welches der deutſche Sinn fuͤr alle Zeiten
angezuͤndet, Anfangs dem Anſchein nach ohne Einfluß
geblieben, und neben Keplers erhabenen Anſichten, hat
ſich noch zu derſelben Zeit, in Frankreich, eine mecha-
niſche und handwerksmaͤßige Anſicht einer todten Na-
tur gebildet, in welcher ſich wie Wuͤrmer, welche ein
moderndes Gebein benagen nur noch die mechaniſchen
Kraͤfte bewegen. Wir ſehen die Geſchichte der Wiſ-
ſenſchaft, nicht ohne Zuſammenhang mit der Bildungs-
geſchichte unſres Geſchlechts auf einen ſcheinbaren Ab-
weg gerathen, damit erſt im Kleinen und Einzelnen
jene Materialien ausgearbeitet wuͤrden, welche der
Genius einer kuͤnftige Zeit zum hohen Bund zuſammen-
fuͤgen wird. Nicht die Entdeckung des Geſetzes der
Schwere, nicht die der Electricitaͤt und verwandter
Naturerſcheinungen, die man ſaͤmmtlich mechaniſch
zu deuten gewußt, konnten jenem allgemeinen Gange
der Meinungen Einhalt thun, bis endlich in der letz-
ten Zeit, bey einer Hoͤhe der einzelnen Erkenntniſſe
wie ſie vorhin noch nie erreichte, die rechte Naturanſicht,
zum Theil noch einzeln und in zerſtreuten Funken wie-
der hervorbricht, und ſich dem Geiſt, in Thatſachen,
welche die andre Parthey nur vergeblich zu laͤugnen be-
muͤht iſt, aufdringt.
Dieſen bedeutungsvollen Zuſtand der jetzigen Na-
turwiſſenſchaft, das vielſeitige Hervorblicken einer
neuen Zeit aus ihrer Mitte, werde ich dann, ſo viel
es der Umfang und die Beſtimmung dieſer Arbeit er-
lauben, bemuͤht ſeyn, meinen Zuhoͤrern darzuſtellen,
und ich werde ſchon in der fuͤnften Vorleſung mit dem
was aus der heutigen Aſtronomie hieher gehoͤrt, be-
ginnen.
Wir ſehen in unermeßlichen Fernen jene tauſende
der Milchſtraßen, welche nach dunklen Geſetz und in
unbekannten Bahnen ſich bewegen. Die Geſchichte un-
ſers Planetenſyſtems beginnt mit der der Sonne. Dann
ſieht das Auge, von der Ferne ungehindert, die jetzi-
ge Natur und Ausbildung der Planeten, und es fuͤh-
ren uns Spuren einer dunklen Analogie in das nur
zum Theil erforſchte Reich der Kometen. Hierauf
ſchließt ſich unmittelbar an die Aſtronomie die Phyſik
im Großen an, es begegnet uns hier zuerſt das Geſetz
der Schwere, und wie die große magnetiſche Periode
aus andern Naturverhaͤltniſſen der Erde, als Plane-
ten, hergeleitet zu werden vermag, zeigt ſich der
Magnetismus uͤberhaupt als das erſte Kosmiſche, das
heißt auf die Verbindung aller einzelnen Weltkoͤrper zu
Einem Ganzen hindeutende Phaͤnomen. Wir vertrauen
uns ſeiner Fuͤhrung an, und ſiehe auf einfachem Wege,
fuͤhrt uns derſelbe zu der erhabenen Quelle des Lichts
und der Waͤrme. Wenn hierauf in einem etwas
groͤßeren Zuſammenhang, dem innern Sinn Vieles klar
geworden, was einzeln ſtehend ſchwerer zu faſſen
ſcheint, wenden wir uns von dem unermeßlichen Gan-
zen zu dem Einzelnen, und der Blick, welchen ein
graͤnzenloſer Umfang nur zu leicht zerſtreut, ſammlet
ſich wieder auf unſrer kleinen Erde.
Wir ſehen dieſe, in den Tagen der Urzeit noch
fluͤſſig, und wenn wir uͤber Einiges, das noch dunkel
ſchien, die jetzige Beſchaffenheit einiger andern Plane-
ten befragt haben, wird der Seele jene Zeit, wo aus
der alten Fluth die Gebirge ſich gebildet, klar
und lebendig. Noch findet das Auge kein organiſches
Leben uͤber der graͤnzenloſen Fluth, und dieſe wird nur
nach chemiſchen Geſetz bewegt. So tritt uns, in der
Geſchichte jener dunklen Zeit, die Chemie als Lehrerin
und Fuͤhrerin auf, und wenn wir ihr Gebiet, wie es
ſeit den letzten Jahren ſich ungemein bedeutend erwei-
tert darſtellt, uͤberblicken, bringt es der Standpunkt,
welcher hierzu noͤthig iſt, von ſelber mit ſich, von dem
Geſetz der Bildung und der Geſtalten einige Zuͤge zu
entwerfen.
Wir ſehen uns von neuem auf dem muͤtterlichen
Planeten. Die Gewaͤſſer haben unter dem Einfluß
der Zeiten ſich vermindert, und ſchon bewegt das erſte
Vorbild unſrer jetzigen Atmosphaͤre ſeine muͤtterliche
Schwinge. Siehe da regt ſich das Gewaͤſſer von tau-
ſend Lebendigen, deren wunderbare Formen jetzt nicht
mehr auf Erden geſehen werden, und in denen die Na-
tur, an der Graͤnze zwiſchen Thier- und Pflanzenwelt,
unentſchieden zwiſchen zweyen Richtungen ſchwebt.
Jene Geſtalten und den Boden welcher ſie gezeugt,
begraͤbt ein neuer Kampf der Elemente, und unver-
ſtaͤndlich, mit wunderbaren Zuͤgen, ſpricht der Geiſt
einer grauen Vergangenheit nur noch aus ſeinen Fel-
ſenhoͤhlen herauf. Das friedliche Leben, das ſchon
einheimiſch auf der Erde geweſen, ſcheint von neuem
von dem Streben der todten Maſſe verdraͤngt. Da
waͤchſt, eben durch die Zunahme der tiefen Empfaͤng-
lichkeit, die Macht des Lichts, und in einem neuen
Kreißlauf der entgegengeſetzten Kraͤfte, wird das Anor-
giſche zum zweytenmal beſiegt.
Vielartiger und maͤchtiger, bey einem ſchon freyer
und groͤßer gewordnen Spielraum, erhebt ſich jetzt die
anorgiſche Welt von neuem. An den Polen wie es
ſcheint, zuerſt, weil auf eine Weiſe die wir noch jetzt
bey Jupiter und Saturn finden, durch den taͤglichen
Umſchwung die allgemeine Waſſermaſſe nach dem
Aequator hin noch uͤber den hoͤchſten Gebirgen geſtan-
den, waͤhrend das Land der Pole ſchon frey aus der
Fluth hervortrat. Schon ſehen wir den Geiſt der
Natur, durch zum Theil jetzt untergegangene Formen,
nach dem hoͤchſten Punkt der irdiſchen Bildung einen
hohen Anlauf nehmen, und wo nicht ſchon der Menſch
ſelber, wie aus Verſchiedenem nicht unwahrſcheinlich
iſt, aufgetreten war, ſo ſchien doch bis zu ſeinem
Erſcheinen nur noch ein Schritt zu ſeyn. Da ſinkt die
Welt noch einmal, wie von langer Anſtrengung er-
muͤdet, in die Tiefe des muͤtterlichen Elements, und
die vielſtrebenden Kraͤfte, umfaͤngt noch einmal der
alte chaotiſche Schlummer. Bis endlich, geſtaͤrkt zu
dem letzten hoͤchſten Werk, die wieder erwachende
Natur den Menſchen, und das Angeſicht der jetzigen
organiſchen Welt erzeugt. Von dieſer, von dem Rei-
che der Pflanzen, ſeinen mannigfaltigen Geſtalten und
Geſetz der Bildungen, hierauf von der Thierwelt und
dem Geſetz ihrer Entwicklung von dem Wurm bis hin-
auf zum Menſchen, wird ein großer Theil dieſer Vor-
leſungen handeln. Endlich, wenn in einigen Zuͤgen
die allgemeine Geſchichte des Lebens, ſo weit ſie uns
klar zu werden vermag, voruͤbergefuͤhrt iſt, wird die
Unterſuchung uͤber die Beſtimmung des Menſchen und
uͤber die Bedeutung einiger ſeiner Anlagen, uͤber ſeine
Vergangenheit und Zukunft, ſich ſchuͤchtern, in dem
Bewußtſeyn ihrer Mangelhaftigkeit, dieſem anſchließen.
Wir wuͤrden bey der großen Mannigfaltigkeit der
Gegenſtaͤnde, bey dem ungeheurem Umfange des Ge-
biets der Wiſſenſchaft, nicht im Stande ſeyn, mit der
gewoͤhnlichen Weiſe der Darſtellung etwas Ganzes und
lebendig Anſchauliches zu geben, wohl aber hoffen wir
von jenem Geſichtspunkt aus, den wir gleich Anfangs
bezeichneten, dieſen Bemuͤhungen einigen Zuſammenhalt
und feſten Mittelpunkt zu geben. Eben jene oft
verſaͤumten Thatſachen des Wunderglaubens, und was
ihnen gleicht, (denn wenn man einmal einige Thatſa-
chen hieher rechnet, moͤge man auch erlauben daß wir
alle andre ihnen nahe verwandte mit ihnen zuſammen-
ſtellen) werden uns jenen lichten Punkt gewaͤhren.
So, um wieder mit der erhabenſten Naturwiſſen-
ſchaft zu beginnen, laſſen es in der Aſtronomie das
Geſetz der Schwere, und zum Theil ſelbſt die Keple-
riſchen Geſetze, wenn man bey der gewoͤhnlichen Er-
klaͤrung derſelben ſtehen bleibt, noch unentſchieden,
ob das Syſtem der Weltkoͤrper ein nach nothwendigen
Geſetz verbundenes Ganze bildet, wo ein Glied das
andre vorausſetzt, oder ob blos die Anziehung der Ma-
terie, die durch hoͤheren Zufall einzeln entſtandenen
Maſſen, mechaniſch zuſammenhaͤlt. Unmittelbar aus
der gewoͤhnlichen Theorie, laͤßt ſich wenigſtens gegen
die mechaniſche Hypotheſe, wenn ſie nur etwas vor-
ſichtiger iſt als die von Buͤffon aufgeſtellte, nichts
Gruͤndliches einwenden. Nimmt man aber ſelbſt nur
das ſchoͤne von Bode aufgeſtellte Verhaͤltniß der Ent-
fernungen, von welchem es neuerdings erweisbar iſt,
daß ſelbſt die Differenzen an die man ſich bisher ge-
ſtoßen, aus einem nothwendigen Geſetz entſtehn;
nimmt man einige andre, neuerlich zur Sprache gekom-
mene Verhaͤltniſſe der Groͤßen, Sonnenfernen, Ec-
centricitaͤten und Tageslaͤngen der einzelnen Planeten
hinzu; ſo zeigt ſich auf einmal das Planetenſyſtem als
ein organiſch verbundenes Ganze, wo jedes Einzelne
in der innigſten und nothwendigſten Beziehung auf die
uͤbrigen Glieder, und auf das Ganze ſteht. — In
der Phyſik werden die Phaͤnomene des Magnetismus,
der Elektricitaͤt, der Waͤrme und des Lichts, warrlich
nicht aus der Annahme eigenthuͤmlicher, halbkoͤrperli-
cher Stoffe, ſondern einzig aus der Beziehung des Ein-
zelnen auf das All deutlich.
So ſind auch in der Meteorologie die Lehre von den
Perioden, dann das Phaͤnomen der Vorempfindung
kuͤnftiger Wetterveraͤnderungen, das bey einer Menge von
Thieren und Pflanzen, und an kranken organiſchen
Theilen wahrgenommen wird, in der Geognoſie unter
andern die bekannte Beziehung, in welcher alle Vul-
kane und Erdbraͤnde auf unſern ganzen Planeten mit-
einander zu ſtehen ſcheinen, obgleich dabey durchaus
an keine unterirdiſche Communication zu denken iſt,
blos aus einer innigen Harmonie des Einzeinen mit
dem Ganzen zu erklaͤren.
Es laſſen uns in der Chemie jene oft beobachteten
Phaͤnomene, welche dem der ſogenannten Abſtum-
pfung gleichen, auf Ein allgemeines Geſetz, auf Einen
Grund der Wechſelwirkung, ſo wie viele andre That-
ſachen auf Eine allen Irdiſchen gemeinſchaftliche Grund-
form ſchließen, von welcher die Dinge bey ihrem Ent-
ſtehen ausgehen, und zu welcher ſie bey dem Ueber-
gang in ein neues hoͤheres Daſeyn, zuruͤckkehren. Je-
ne Grundform aber iſt nichts anders als derjenige Zu-
ſtand des Einzelnen, wo daſſelbe auf dem hoͤchſten Gipfel
der Negativitaͤt, der Empfaͤnglichkeit fuͤr hoͤhere Ein-
fluͤſſe, mit dem Ganzen wieder am innigſten ver-
eint iſt.
Wem hat nicht in der ſchoͤnen Zeit des Fruͤhlings
der ſogenannte Pflanzenſchlaf, und das zarte Geheim-
niß der Blumenliebe, welches die weit getrennten Ge-
ſchlechter bald durch Inſekten, bald durch andre noch
wunderbarer ſcheinende Mittel zu vereinen weiß, von
tiefen Sinn geſchienen, oder wem waͤren jene Sym-
pathien des Pflanzenreichs, worunter die des ſchon
lange aufbewahrten Weins mit der Rebe von welcher
er genommen iſt, in der Zeit ihrer Bluͤthe gehoͤrt, un-
bekannt? Nicht minder ſind auch die Sympathien des
Thierreichs mit der aͤußern Natur, wo z. B. das Be-
duͤrfniß und ſeine aͤußre Befriedigung zugleich aufwa-
chen, bekannt. Wir werden von dieſen Erſcheinungen
einige der Bedeutendſten herausheben, und ſo auch
in der Botanik eine hohe Beſtaͤtigung der Harmonie
des Einzelnen mit dem Ganzen finden.
Die Geſchichte jener Reihen, in denen die Natur
im Pflanzen-wie im Thierreich von den unterſten zu
den hoͤchſten Formen aufſteigt, wird uns hierauf die
innige Beziehung der verſchiednen Geſchlechter der
Dinge auf einander deutlich machen. Endlich werden
wir in mannigfaltigen Erſcheinungen, das Eingreifen
eines kuͤnftigen hoͤheren Daſeyns, in das jetzige minder
vollkommene anerkennen, und wie der tief im Innern
unſers Weſens ſchlummernde Keim eines neuen Lebens,
in gewißen Momenten, wo die Kraͤfte des jetzigen ruhen,
deutlich hervorblickt. Hier iſt es vorzuͤglich, wo alle
die Erſcheinungen, welche jenen Thatſachen eigentlich
ihren Nahmen gegeben haben, die des thieriſchen
Magnetismus, der Vorahndungen, Traͤume, Sym-
pathien und dergleichen, zuſammen eintreten werden.
So geſchieht es, daß indem wir uns gerade an
den bisher in den einzelnen Naturwiſſenſchaften am mei-
ſten verſaͤumten, oder dunkel gebliebenen Phaͤnomenen
feſthalten, die Natur, von welcher ſonſt nur zerſtreu-
te Theile, welche wiederum das Gemuͤth nur zerſtreuen,
nicht lebendig anſprechen koͤnnen, ſichtbar wuͤrden,
unſre Seele als ein lebendiges harmoniſch verbundnes
Ganze anſpricht, Ein Grund, Ein Geſetz, und Ei-
ne allgemeine Geſchichte alles Lebens und Daſeyns klar
hervortritt.
Ich will den Sinn meiner heutigen Vorleſung
und zugleich den Plan meiner ganzen Arbeit, noch ein-
mal in wenig Worte zuſammenfaßen. Zuerſt ſoll in
der Urgeſchichte des Menſchen erkannt werden: daß
die innigſte Harmonie ſeines Weſens mit der ganzen
aͤußern Natur, der urſpruͤngliche Zuſtand deſſelben war.
Hierauf ſoll in aller Naturwiſſenſchaft derſelbe ewige
Bund, dieſelbe Beziehung des Einzelnen auf das Gan-
ze wiedergefunden werden, und wenn ſich hierdurch
auf einen Moment der allgemeine Sinn und Geiſt der
Natur vor der Seele verklaͤrt, moͤge das Gemuͤth ler-
nen, daß die Kraͤfte des Einzelnen nur fuͤr das Gan-
ze, nur in Harmonie mit dieſem ſind, und daß es
das hoͤchſte Ziel, der hoͤchſte Beruf des Lebens ſey,
daß das Einzelne ſich ſelber und ſein ganzes Streben,
dem allgemeinen, heiligen Werk des Guten und Wahren
zum Opfer bringe.
Unter jenen Thatſachen, welche der jetzt noch herr-
ſchenden Anſicht am meiſten widerſtreben, und welche bis-
her noch am wenigſten aus der Theorie zu erklaͤren wa-
ren, gehoͤren die aus der aͤlteſten Geſchichte unſres
Geſchlechts, welche ich zum Theil in meiner heutigen
Vorleſung auffuͤhren werde. Denn noch immer ſcheint
zu unſrer Zeit die Frage, ob der Menſch bey ſeinem
Eintritt in dieſe Natur von dem Zuſtand der Wildheit
und Rohheit ausgegangen, oder von dem Genuß jezt
verlohren gegangner Kraͤfte und Erkenntniſſe? bey den
Meiſten unentſchieden, und es hat ſogar jene Parthey,
welche das Erſtere behauptet, ſeit einem Jahrhundert
die meiſten Anhaͤnger gefunden.
Man gab hierbey vor, der Erfahrung gefolgt zu
ſeyn, welche uns den Urzuſtand des Menſchen in je-
nen ſogenannten wilden Voͤlkern vorbildete, die abge-
ſondert von andern gebildeteren, wie Kinder, noch zu
den Fuͤßen der Cultur ſaͤßen. Der Mangel und ein
taͤgliches Beduͤrfniß; die Furcht, welche einem von
der Natur unbewaffnet und unbekleidet gelaſſenen We-
ſen vor andern eigenthuͤmlich geweſen ſey, das freund-
liche oder feindliche Zuſammentreffen der verſchiedenen
Individuen und Familien, haͤtten zuletzt Gewerbe,
Religion, Cultus, Sitten und andre hoͤchſte Vorrech-
te unſrer Natur erzeugt. Aber eben dieſer Meynung,
die ſich ſo ſehr auf Erfahrung beruft, wird von aller
Erfahrung am meiſten widerſprochen, und ſchon der
erſte Blick auf die heilige Sage aller beſſeren Voͤlker,
welche warrlich auf etwas Tieferen und Unvergaͤngli-
cheren beruht, als daß ſie die Schluͤſſe eines ausſchwei-
fenden Verſtandes erreichen moͤchten; auf die Werke
der Dichter, deren Begeiſtrung nicht ohne Grund die
Offenbarung des Wahren, und die Gabe des Sehens
genannt wird, und aller ins Tiefe gehenden Geſchichts-
forſcher der aͤlteren Zeit, ſo wie auf eine Menge hiſto-
riſcher Denkmaͤhler, widerlegt ſie.
Wenn Religion, ein Erzeugniß der Furcht, aus
rohem Anfange entſtanden, wie kommt es denn, daß
die Religionen, je aͤlter ſie ſind, deſto reinere und er-
habnere Anſichten enthalten? wie man z. B. von der Re-
ligion der Indier ſeit einiger Zeit zugeſtehen muͤſſen, ſie
ſey bisher faſt durchaus verkannt worden, und erſt bey
den vielſeitigeren Anſichten der letzten Jahrzehende er-
oͤffne ſich das Innre ihres tiefen, weiſen Sinnes.
Wenn die Sprache durch Mittheilung der von ver-
ſchiednen Individuen verſchieden aufgefaßten Natur-
laute (thieriſcher Stimmen z. B.) entſtanden, als die
Menſchen von der aͤußren Noth zur Geſellſchaft ge-
zwungen worden, und ſich von den unvollkommenſten
Anfaͤngen allmaͤhlig entwickelt hat, wie kommt es,
daß, wie ſich beweiſen laͤßt, die vollkommnere Spra-
che — die metriſche, fruͤher geweſen als die Proſa?
Denn nicht etwa Griechenland allein erwaͤhnt des er-
ſten Gebrauchs der ungebundnen Rede als einer neuen
Erfindung, ſondern es iſt die Mythologie, dieſe aͤlte-
ſte hiſtoriſche Urkunde der alten Welt, von den Ufern
des Ganges bis zu der Kuͤſte des Eismeers, in Verſen
enthalten, und auch die aͤlteſten aſtronomiſchen Beob-
achtungen und Naturtheorien der aſiatiſchen Voͤlker,
ſind in Gedichten bewahrt.
Wenn Mangel und Duͤrftigkeit dem Menſchen die
Wiſſenſchaften gelehrt, warum hat ſich die alte Welt
gerade mit ſolchen Unterſuchungen am meiſten und an-
gelegentlichſten beſchaͤftigt, welche, wie zum Theil mei-
ne heutige Vorleſung zeigen wird, mit der Nothdurft
des Lebens in gar keinem unmittelbaren Zuſammenhang
ſtunden?
Selbſt jene ſogenannten wilden Voͤlker, die zu der
gewoͤhnlichen Vorſtellung von dem Naturzuſtand des
Menſchen Veranlaſſung gegeben, deuten durch Mythen
die ſie aus alter Zeit bewahren, durch hiſtoriſche Denk-
maͤhler, oder durch einige Zuͤge ihrer Sprache, auf ei-
nen fruͤhen Zuſammenhang mit Voͤlkern, bey de-
nen ein viel hoͤherer Grad von Bildung nicht zu ver-
kennen iſt, ſo daß ſie uns vielmehr als ausgeartete,
von einer viel hoͤheren Bildung ihrer Uraͤltern herabge-
ſunkne Staͤmme, denn als Naturmenſchen erſcheinen
muͤſſen. So muͤſſen wir mithin mehr der andern Par-
they Recht geben, welche den Menſchen von dem Ge-
nuß hoͤherer Erkenntniſſe und Kraͤfte ausgehen laͤſſet.
Und fuͤr dieſe ſehen wir die ganze Natur ſelber Zeugniß
geben.
Es begegnet uns naͤmlich uͤberall zuerſt die natuͤr-
liche Nothwendigkeit, und im Thierreich der Inſtinkt,
ehe ſich die Weſen zu einiger Selbſtſtaͤndigkeit erheben.
So wird auf den niedrigſten Stufen der Natur, im
Steinreich, ein ſtrenges und klares Geſetz der Formen,
die Kriſtalliſation gefunden, waͤhrend die freyeren Ge-
ſtalten des Pflanzenreichs jenen natuͤrlichen Zwang
ſchon in etwas uͤberwinden. Das nothwendige Geſetz
der Wechſelwirkung mit der aͤußeren Natur, wird im
Thierreich Inſtinkt genannt, und dieſer tritt anfangs
in ſeiner ganzen Strenge und Haͤrte als Kunſttrieb
auf, bis er hernach in den hoͤheren Organiſationen als
eigentlich ſogenannter Inſtinkt erkannt wird. Endlich
wacht der Wille, und die Selbſtſtaͤndigkeit des natuͤrli-
chen Strebens erſt ganz zuletzt — im Menſchen auf.
Und in der Geſchichte des Menſchen ſelber, ſehen wir
das neugebohrne Kind zuerſt durch den Inſtinkt in ſei-
ne neue Heymath eingefuͤhrt, und dieſer fruͤheſte Be-
gleiter pflegt ſpaͤter, wo der Wille ſich entwicklet, blos
ohnmaͤchtiger zu werden, nie ſich ganz zu entfernen.
Es pflegt das, was unmittelbar nach einem noth-
wendigen Naturgeſetz geſchieht, jene eigenthuͤmliche
Vollendung, Selbſtſtaͤndigkeit und Zweckmaͤßigkeit in
ſich zu vereinen, welche der Natur ſelber in allen ih-
ren Wirkungen eigenthuͤmlich iſt. Wir finden ſelten,
daß der natuͤrliche Trieb Taͤuſchungen oder Misgriffen
ausgeſetzt ſey, wohl aber iſt dieſes in gewiſſer Hinſicht
der Wille. Es muͤſſen die Dinge, welche einen ſol-
chen Kunſttrieb oder Inſtinkt ausuͤben, als unmittel-
bare Organe der Natur betrachtet werden, welche ſich
die Einzelnen um ſo mehr unterordnet, je unvollkomm-
ner ſie ſind. Wenn es die eigenthuͤmliche Beſtim-
mung und das Weſen unſrer Natur iſt, wodurch ſie
ſich von der Natur andrer Weſen unterſcheidet, daß ſie
zur Selbſtſtaͤndigkeit, zu einer freyen harmoniſchen
Ausuͤbung eines guten und harmoniſchen Willens zu
gelangen ſtrebt, wenn hierinn unſre hoͤchſte Vollen-
dung, unſer hoͤchſtes Ziel beſteht, ſo muß, wie in
der Natur Alles von einem geringeren Anfang ausgeht,
die Ausuͤbung des freyen Willens bey dem erſten Ein-
tritt des Menſchengeſchlechts, eben ſo wie bey dem des
Kindes, unvollkommener geweſen ſeyn als ſie es nun iſt,
in demſelben Verhaͤltniß aber iſt der Menſch mehr der
natuͤrlichen Nothwendigkeit und der Abhaͤngigkeit von
der Natur unterlegen.
Wenn damals der Menſch ein Organ der Natur
geweſen, ſo war er dieſes auf ſeine Weiſe, — menſch-
lich. Es hat ſich daher die natuͤrliche Nothwendigkeit
und der Kunſttrieb des Menſchen viel erhabener ge-
aͤußert als der des Thieres, und nach der Meynung
eines meiner Freunde, (Carl v. Raumer) welcher zu
beweiſen pflegt was er behauptet, war Aſtronomie das
Aelteſte was der Menſch als Organ des Planeten
aus welchem er erzeugt worden, ausgeſprochen (of-
fenbarte).
Schon die aͤlteſte Geſchichte der Aſtronomie, wie
uns dieſelbe Bailly, Montucla und andre beruͤhmte
Schriftſteller gegeben haben, vermag dieſe Anſicht zu
bezeugen.
Moͤge man immer jene Angaben von dem Alter
der aſtronomiſchen Beobachtungen, welches die Chal-
daͤer bis auf 473 ja auf 493 *) und 720 **) Jahr-
tauſende vor Alexander hinaufſetzen, und welches an-
dre alte Voͤlker nicht viel geringer angeben (die Egypter,
Chineſen u. a.) weil wie es ſcheint in einigen alten
Sprachen das Wort Jahr von ſchwankender Bedeutung
iſt, fuͤr unzuverlaͤſſig halten; *) moͤge ſelbſt die et-
was beſcheidnere Erzaͤhlung der epytiſchen Prieſter,
welche, da ſie, auf die Wandelbarkeit ihrer bewegli-
chen Jahre deutend, dem Herodot berichtet, daß die
Sonne ſchon viermal den gewoͤhnlichen Lauf ver-
aͤndert habe, ſich hierbey auf eine mehr als eilftau-
ſendjaͤhrige Erfahrung beriefen, unglaublich gefunden
werden; ſo wird man wenigſtens eine Menge von
Thatſachen, welche Bailly, der ja ſelbſt die Zahlen der
Jahre in der alten Geſchichte ſo ſehr als moͤglich her-
unter zu ſetzen ſuchte, aufgeſtellt hat, und welche
ſaͤmmtlich das Alter der Aſtronomie auf 7000 Jahre
ſetzen, nicht laͤugnen moͤgen. So wenn man ſelbſt
jene drey und zwanzig und ein halb Jahrtauſend alte
Beobachtung der Indier, nach welcher alle fuͤnf aͤlte-
ren Planeten an einem Punkt des Himmels vereinigt
waren, kuͤhn genug erſt aus ſpaͤteren Rechnungen auf-
geſtellt glaubte, blieben doch wenigſtens jene Tafeln
von der Zunahme der Tage, welche die Braminen noch
jetzt haben, in ihrem 7600jaͤhrigen Alter unbeſtrit-
ten, **) und eben ſo alt ſcheint eine aͤhnliche Beobach-
tung auf die ſich Theon Smyrneus bezieht. *) Auch
jene beſtaͤndige Correktion, welche die Indier an der
Bewegung der Sonne anbringen, und welche durch
die Vermindrung der Dauer des Sonnenjahres hervor-
gebracht ſcheint, deutet auf ein gleiches Alter der aſtro-
nomiſchen Beobachtungen, da jene Verminderung
ſich erſt nach vier Jahrtauſenden beſtimmen ließ. Eine
andre Correktion, welche in den aſtronomiſchen Tafeln
der Indier, fuͤr den wahren Ort der Sonne unſrer
Mittelpunktsgleichung entſpricht, und welche auch in
andrer Hinſicht ſehr merkwuͤrdig iſt, ſcheint ſich auf
eine gegen ſechstauſend Jahre alte Beobachtung zu gruͤn-
den. (6029) **)
Obgleich die Zeit der Erfindung des Thierkreißes
in Egypten, die von Einigen auf 15 Jahrtauſende
geſchaͤtzt wird, (ſo von Dupuis) von Andern um Vie-
les vermindert iſt, obgleich auch das eigentliche Zeit-
alter des Uranus und Atlas, denen die Sage verſchiede-
ne Erfindungen in der Aſtronomie, und eine ſehr voll-
kommene Ausuͤbung derſelben zuſchreibt, ſo wie dieſe
Zueignung jener Entdeckungen etwas ungewiß iſt, ge-
hen doch die Beobachtungen von dem Aufgang des Si-
rius, und die Erfindung des großen Egyptiſchen Jah-
res (von 1460 Jahren) in das fuͤnfte Jahrtauſend vor
unſrer Zeit hinauf, und dieſes Volk rechnete einem
Bruchſtuͤck des Beroſus nach zu ſchließen, ſeit jener
Zeit ſchon nach Sonnenjahren. Auch die Beobachtun-
gen, welche Calliſthenes dem Ariſtoteles ſendete, fien-
gen ſich von dem 4042 ſten Jahre vor unſrer Zeit an.
Ueber fuͤnf Jahrtauſende alt wird die Intercalations-
periode der Perſer geſchaͤtzt, und eine Angabe ihrer
aſtronomiſchen Schriften, welche vier Sterne der er-
ſten Groͤße in die vier Cardinalpunkte des Thierkreißes
ſetzt, iſt faſt von demſelben Alter. An dieſe Zeit rei-
chen auch faſt die aͤlteſten Beobachtungen der Chineſen
hinan, *) und das Zeitalter des Fohi, welchen die
alte Sage als einen großen Aſtronomen und den Erfin-
der der Sphaͤre ruͤhmt, faͤllt noch um einige Jahrhunderte
weiter hinaus (auf 4731 Jahre) und ſchon in dem
fuͤnften Jahrtauſend vor unſrer Zeit lebten die wegen
ihrer tiefen aſtronomiſchen Kenntniſſe am meiſten ge-
prieſenen Koͤnige dieſes Volkes. Ja ſelbſt bey den
alten Scandinaviern war die Einfuͤhrung ihres bretter-
nen Calenders wenigſtens drei und ein halb Jahrtau-
ſende alt, wie ſich aus dem kleinen Unterſchied ihres
vorausgeſetzten und des wahren Jahres, welcher in ei-
nem Jahre nur Minuten betraͤgt, und erſt in vielen
Jahrhunderten zu Tagen anwaͤchſt, erkennen laͤßt.
Endlich erſcheint auch in der Geſchichte von Mexico die
Aſtronomie ſehr fruͤhe.
Keine der hier angefuͤhrten Thatſachen beweißt,
daß die Aſtronomie in jenen fernen Zeiten erſt im Be-
ginnen, im Begriff ſich auszubilden geweſen ſey, viel-
mehr ſcheinen einige der wichtigſten unter ihnen zu be-
zeugen: daß dieſe Wiſſenſchaft damals ſchon auf dem
hoͤchſten Gipfel ihrer Vollendung geſtanden, ja daß ſie
ſelbſt von dort an ſchon im Abnehmen geweſen ſey.
Jene aſtronomiſchen Tafeln der Indier, die ſich
auf die Schiefe der Ecliptik beziehen, waren blos vor
7000 Jahren genau, und die ſpaͤteren Zeiten haben
die Abweichung derſelben von der Wahrheit nicht mehr
zu berichtigen vermocht. Eben ſo iſt jene, wahrſchein-
lich ſehr alte Weiſe, die Finſterniſſe zu berechnen, von
der ich nachher reden werde, von den ſpaͤteren Men-
ſchenaltern mechaniſch nachgeſprochen worden, ohne
daß dieſe ihren Sinn verſtanden, oder ihre Abweichung
von der Beobachtung zu berichtigen vermocht haͤtten. *)
Und doch bluͤheten in Indien die Aſtronomie und die
ketzten Ueberreſte des alten Naturcultus ſpaͤt noch ein-
mal auf, als Salivaganan, der faſt zu Chriſti Zei-
ten lebte, *) die untergehende Herrlichleit der alten
Welt durch ſeine Reformation noch einmal zuruckzufuͤh-
ren geſucht.
Auch die Calender der alten Scandinavier, deren
ich eben erwaͤhnte, beweiſen ſo wie andre Thatſachen
der Art blos daß ſeit vier Jahrtauſenden die Beobach-
tung unterlaſſen und ſo die feſtgeſetzte Zeitrechnung
zu berichtigen verſaͤumt ſey, nicht aber daß ſie erſt ſeit
jener Zeit Aſtronomie zu uͤben angefangen.
Ja was noch mehr iſt, die noch uͤbergebliebenen
Arbeiten der Aſtronomie jener fernen Jahrtauſende,
laſſen mit Sicherheit auf eine Vollendung derſelben
ſchließen, die in gewiſſer Hinſicht die der jetzigen Aſtro-
nomie, wo nicht uͤbertraf, doch mit ihr wetteifern
konnte. Merkwuͤrdig iſt in dieſer Hinſicht die Weiſe
wie die Indier noch jezt die Finſterniſſe berechnen, wel-
che mit nicht geringer Klarheit fuͤr die Hoͤhe der fruͤhen
Aſtronomie dieſes Volks zu ſprechen vermag. Wir
danken die erſte aͤußerliche Kenntniß dieſer Berech-
nungsweiſe vorzuͤglich dem gelehrten Le Gentil, der ſei-
ner Gelehrſamkeit und ſeiner europaͤiſchen Cultur nichts
zu vergeben glaubte, indem er bey einem Tamuler im
indiſchen aſtronomiſchen Calcul Unterricht nahm. Auf
Le Gentils Bericht gruͤndet ſich auch die hiervon han-
delnde Stelle in Baillys ſchon oft angefuͤhrtem Werke,
die ich ihrer Wichtigkeit halber ganz herſetzen werde:
„Was der Aſtronomie der Indier zur groͤßten Ehre
gereicht, ſind ihre Methoden die Finſterniſſe zu berech-
nen. Sie calculiren mit einer großen Geſchwindig-
keit, und dabey mit vieler Genauigkeit. Die Brahmi-
nen ſcheinen aufgezogene Uhrwerke zur Berechnung der
Finſterniſſe zu ſeyn. Ihre Regeln ſind in Verſen, die
ſie bey der Operation recitiren. Ihre Verfahrungs-
arten ſcheinen von außerordentlicher Einfachheit zu
ſeyn. Die Theorie des Mondes, die verwickeltſte un-
ſrer neuen Theorien, verlangt bey ihnen keine ſchwie-
rigen und muͤhſamen Berechnungen. Man kann nicht
umhin zu glauben, daß dieſe Tafeln und Regeln der
Brahminen von einer gelehrten Theorie herruͤhren.
Die Principien derſelben ſind heut zu Tage unter einer
blinden Fertigkeit verſteckt, welche die große Kunſt der
fruͤheren Zeit einfach und ſicher gemacht hat. Herr
Le Gentil hat nicht mehr als 22 bis 24 Minuten Un-
terſchied zwiſchen ihrem Calcul und der Beobachtung
zweyer von ihm hiermit verglichenen Mondfinſterniſſe
gefunden. Es iſt bemerkenswerth, daß die Brahmi-
nen bey dieſen beyden Finſterniſſen mit groͤßerer Ge-
nauigkeit die Zeit der Dauer angegeben haben, als die
Tafeln von Maier, die genaueſten, welche wir be-
ſitzen.“
„Aber ungeachtet dieſes hohen Alters einer Theo-
rie, die fuͤr uns noch unter der mechaniſch gewordnen,
von einem Zeitalter an das andre (zuletzt ſelbſt ohne den
eigentlichen Sinn zu verſtehen) uͤberlieferten Ausuͤbung
verborgen iſt, haben dennoch die Verfahrungsarten,
deren ſie ſich jezt zur Berechnung der Finſterniſſe be-
dienen, einen Nahmen, welcher in ihrer Sprache
neu bedeutet. Zu Benares in Bengalen beſitzen die
Brahminen andre, welche man alte nennt.“
Wir werden anderwaͤrts belehrt *) daß die Brah-
minen bey dieſen Berechnungen vorzuͤglich Zahlen zu
Grunde legen, welche die Dauer der verſchiednen Zeit-
alter der Erdgeſchichte bezeichnen ſollen. Die Haupt-
zahl hierbey iſt 432, und es betraͤgt das erſte und
laͤngſte Zeitalter viermal, das 2te drey, das 3te zwey,
das 4te einmal 432000 Jahre (1728 -- 1296 -- 864
und 432000) ſo daß die ganze Dauer der Welt wie-
derum 4320000 Jahre begreift. Wir leben nach der
Meynung der Indier jetzt in dem vierten Weltalter,
(dem des Elends) von welchem jetzt (1808) viertau-
tauſend neunhundert und neun Jahre verſtrichen ſind.
Es beruht die Zahl dieſes letzten Zeitalters, welches
auf das 3101ſte Jahr vor Chriſto hinaufgeht, nach
der Meynung der Aſtronomen auf einer wahrhaften
hiſtoriſchen Epoche, und iſt nach wirklichen Sonnen-
jahren gerechnet. Die Zahlen der uͤbrigen Zeitalter
hat man aber bald halbe Tage (ſo die erſte von
1728000 Jahren, welche man mit den Angaben der
von Erſchaffung der Welt bis zur Suͤndfluth verſtri-
chenen Zeit bey andern Voͤlkern zuſammen zu ſtimmen
ſuchte) bald Achttheile eines Tages bedeuten laſſen.
Es ſcheint nicht ſchwer zu beweiſen, daß dieſe Zahlen
nichts Willkuͤhrliches, ſondern unmittelbar wenigſtens
aus der Natur des Planeten genommen ſind.
Auf eine tiefe Bedeutung derſelben ließ ſchon die
Uebereinſtimmung ſchließen, vermoͤge welcher wir die
Zahl 432 bey mehreren Voͤlkern verehrt finden. Nicht
blos wurde in Griechenland von einem Nachfolger des
Cleoſtratus, von Meton, welcher ſich außer dieſem
durch die Einfuͤhrung des 19jaͤhrigen Mondcyclus be-
ruͤhmt gemacht, die Zahl 432 in dem ſogenannten
goldnen Cyclus verherrlicht; ſondern wir finden die
Zahl 432000 auch in der babyloniſchen Geſchichte,
in der Zahl der erſten Periode, und noch mehr ſchei-
nen die Zahlen der Jahre der alten egyptiſchen Chronik
aus der Zahl 432 zuſammengeſetzt. Dieſe Chronik
zaͤhlt uͤberhaupt 36525 Jahre, *) hiervon erfuͤllte
30000 die Regierung der Sonne, 3984 die der 12
großen Goͤtter, 217 die der 8 Halbgoͤtter, und es
blieb dann 2324 fuͤr die uͤbrige bis auf Nectanebus
verfloßne Zeit. Nun iſt aber die Zahl 432, oder
aus Gruͤnden die ich ſpaͤter anfuͤhren werde 432,8 in
3984 = 9,20464 mal enthalten. Das Quadrat hier-
von iſt 84,725 waͤhrend 432,8 in 36525 = 84,3875
mal enthalten iſt. Daß dies wirklich der Sinn dieſer
Zahlen ſey, erkennen wir aus der gleich darauf fol-
genden 217. Nehmen wir naͤmlich 2 mal 217 oder
434 (genauer 434,56) ſo iſt die Zahl wie oft 434,56
in 36525 enthalten iſt, genau das Quadrat von der,
wie oft jene Summe in 3984 enthalten war. Ande-
rer, wahrſcheinlich aus 432 zuſammengeſetzten Zahlen *)
nicht zu gedenken.
Es iſt jene Zahl 432 aus den Naturverhaͤltniſſen
unſers Planeten zu andern Weltkoͤrpern, beſonders zu
Sonne und Mond entlehnt, und ich habe anderwaͤrts
gezeigt, **) daß die mittlere Entfernung der Erde von
der Sonne 216 Sonnen, die des Mondes von der
Erde wenn man dabey der Einen dort gebrauchten An-
gabe folgt, 216 Mondenhalbmeſſer betraͤgt, daß man
mithin, wenn man von der elliptiſchen Form der
Bahnen abſieht, dieſe als Kreiſe betrachten kann, von
denen jener 432 Sonnen, dieſer 432 Mondenhalbmeſ-
ſer im Durchmeſſer hat. Die Zahlen der Zeit und
Raumverhaͤltniſſe der einzelnen Planeten, ſind ſich, wie
ich an dem angefuͤhrten Ort gezeigt habe, haͤufig ver-
wandt. So betraͤgt unter andern auch die von Burk-
hard berechnete große magnetiſche Periode, 864, oder
zweymal 432 Jahre. (gewoͤhnlich nimmt man nur
860) Es wird hieraus erkannt, wie ſehr die Zahlen
216 und 217 *) 432 und andre aus ihnen zuſam-
mengeſetzte Zahlen genau nach der Natur, nicht will-
kuͤhrlich aufgeſtellt waren, und daß ſchon die Indier
auf Verhaͤltniſſe Ruͤckſicht genommen haben, auf wel-
che wir kaum ſeit einem Jahrzehend wieder aufmerkſam
geworden ſind.
So wird uns erſt noch die Zukunft die Gruͤnde je-
ner einfachen Berechnung des wahren Durchmeſſers des
Mondes und der Sonne, wovon es auch zwey verſchiedene
Arten (wahrſcheinlich eine aͤltere und eine neuere) giebt,
lehren, und die Erkenntniß dieſer Gruͤnde wuͤrde von
nicht geringerer Wichtigkeit ſeyn, als es allem Anſchein
nach die der Berechnung der Finſterniſſe ſeyn muß.
Wenn in einiger Hinſicht jene aͤlteſten Aſtronomen
der Erde, allem Anſchein nach Kenntniſſe beſeſſen ha-
ben, die uns jezt noch erſt zu erringen ſind, ſcheinen
ſie in andrer wenigſtens nicht hinter der jetzigen Theo-
rie zuruͤck geweſen zu ſeyn. Das Kopernicaniſche
Syſtem iſt nach Bailly bey den Indiern urſpruͤnglich
einheimiſch, obgleich ein Theil der Brahminen die Erde
fuͤr unbeweglich haͤlt. Die jaͤhrliche Bewegung der
Fixſterne und das Vorruͤcken der Nachtgleichen, iſt
nicht minder bey mehreren jener alten aſtronomiſchen
Voͤlker, vorzuͤglich bey den Indiern, ziemlich genau be-
kannt geweſen, nicht minder wurde, wie ſchon fruͤher
erwaͤhnt iſt, auf die Neigung der Erdaxe genau Ruͤck-
ſicht genommen. Selbſt die Geſtalt und der Umfang
der Erdkugel muͤſſen, nach Einigen zu ſchließen, je-
nen Zeiten nicht unbekannt geweſen ſeyn, jenes laͤßt
ſich aus der Lehre der von den egyptiſchen Prieſtern un-
terrichteten griechiſchen Aſtronomen, welche die Ausdeh-
nung der Erde von Oſt nach Weſt fuͤr groͤßer hielten,
als die von Nord nach Suͤd, dieſes aus einer in mehr
als einer Hinſicht merkwuͤrdigen Angabe der Chaldaͤer
ſchließen. Die Aſtronomen dieſes Volks pflegten naͤm-
lich den Umfang der Erdkugel beylaͤufig ſo zu beſtim-
men, daß ein Menſch, wenn er einen maͤßig guten
Schritt hielte, ſie in einem Jahr (von 365¼ Tag)
umgehen koͤnnte. Rechnen wir aber den Umfang der
Erde zu 9000 Lieues, eine Lieue auf eine Stunde, ſo
kommt jene Angabe der Wahrheit wirklich bis auf den
38ſten Theil nahe, indem 24mal 365¼ Lieues 8766
iſt, und der geringe Unterſchied gruͤndet ſich vielleicht
darin, daß die Menſchen jener Zeit beſſer zu Fuße waren
als die jetzigen es ſind, oder daß es der vollkommen geſun-
de Menſch, deſſen natuͤrliche Groͤße und Geſchwindigkeit
demnach ſogar mit der Groͤße des Planeten den er be-
wohnt, in einem merkwuͤrdigen Verhaͤltniß ſtehen, uͤber-
haupt iſt. *)
Viele jener Kenntniſſe finden ſich gemeinſchaftlich
bey mehreren von einander ſehr entfernten Voͤlker,
andre ſcheinen, einige an dieſes, andre an jenes Volk
vertheilt. Zu jenen gehoͤrt unter andern die Bezeich-
nung der Wochentage durch die verſchiednen Planeten,
und die bey allen, ſelbſt den entfernteſten Voͤlkern glei-
che Aufeinanderfolge der zur Bezeichnung gebrauchten
Weltkoͤrper. **) So willkuͤhrlich dieſe Anordnung
ſcheint, da ſie ſich weder auf die Verſchiedenheit der
Entfernungen, noch auf ſonſt etwas, worauf man ge-
woͤhnlich Ruͤckſicht zu nehmen pflegt, gruͤndet, iſt ſie
dies doch nicht, wie vielleicht ſchon aus dem erhellen
wird, was ich in meiner angefuͤhrten Schrift uͤber die
ſehr natuͤrliche Beziehung, in welcher Sonne und
Mond, Jupiter und Merkur, Saturn und Venus ſte-
hen, erwieſen habe. *)
Gemeinſchaftlich war auch uͤberdies allen Voͤlkern
der alten Welt der Gebrauch der Zahlen 7 — 9 — 60
und andrer aus ihnen zuſammengeſetzten Zahlen, und
auch von dieſen ſcheint es, als ob ſie aus tiefen Na-
turverhaͤltniſſen entlehnt waͤren. **) Dagegen bedien-
ten ſich die aſtronomiſchen Voͤlker der neuen Welt, wie
wir wenigſtens von den Mexikanern wiſſen, vorzuͤg-
lich der ſonderbaren Zahl 13, und pflegten ſtatt den
ſiebentaͤgigen der oͤſtlichen Voͤlkerſtaͤmme, dreyzehntaͤ-
gige Wochen u. ſ. w. anzunehmen. Man koͤnnte ver-
ſucht werden, dieſe Zahlen fuͤr eben ſo willkuͤhrlich zu
halten, als die der decadiſchen Eintheilung, die man
vor einiger Zeit in Frankreich gebraucht, wenn nicht
die Ausuͤbung bewieſen haͤtte, wie bedeutend die Zahl
13 in den Zahlenverhaͤltniſſen des Planeten iſt, indem
die Mexikaner mit Huͤlfe dieſer Zahl nicht nur eine
eben ſo genaue Zeiteintheilung als die Voͤlker der oͤſtli-
chen Welt erlangt haben, ſondern ſich derſelben auch
bey Berechnung der Finſterniſſe mit einem aͤhnlichen
Gluͤck bedienten, als andre Voͤlker der ihrigen. Es
iſt naͤmlich nicht blos die Zahl der Umlaͤufe des Mon-
des, oder der Rotationen der Sonne (von der Erde
aus geſehen) waͤhrend eines Erdenjahres, eine Annaͤhe-
rung an 13, ſondern auch eine Menge andrer Verhaͤlt-
niſſe des Planeten, von denen ich einige anderwaͤrts (a.
a. O.) aufgeſtellt habe, ſind von der Natur durch die
Zahl 13 ausgedruͤckt.
Gewiſſe Kenntniſſe, welche nicht minder mehreren
Boͤlkern gemeinſchaftlich waren, ſind von Etlichen als
ein Beweis angeſehen, daß man ſich in der aͤlteſten
Zeit der Teleſcope bediente. So die Annahme von Ge-
buͤrgen im Monde *) und die Kenntniß der eigentlichen
Beſchaffenheit der Milchſtraße, die man als aus lauter
kleinen Sternen zuſammengeſetzt betrachtete. Beſon-
ders in den Sternverzeichniſſen der Indier finden ſich
eine Menge Sterne angegeben, die jezt blos Teleſco-
piſch ſind. Doch ſcheint das eigentliche Fernrohr dem
ganzen Orient unbekannt geweſen, und jene tibetani-
ſchen Aſtronomen, deren ich ſchon anderwaͤrts erwaͤhnt
habe, kannten die 4 Jupitersmonde blos aus alter
Ueberlieferung, und erſtaunten nicht wenig, als ſie die
Eigenſchaft eines Teleſcops, die Gegenſtaͤnde naͤher
zu bringen, bemerkten. Ich habe in meiner ſchon
angefuͤhrten Schrift dieſe gluͤckliche Scharfſichtigkeit
der Vorwelt aus der damaligen Beſchaffenheit der At-
mosphaͤre hergeleitet.
Andre Kenntniſſe ſcheinen an verſchiedene Voͤlker
vertheilt, und nach Baillys Meynung erſcheinen dieſe
wie Bruchſtuͤcke aus dem großen Ganzen einer fruͤhen
Theorie, welche Einem Urvolk eigenthuͤmlich war,
deſſen nach verſchiedenen Gegenden auswandernden
Staͤmme, einige dieſe, andre jene Reſultate oder Re-
geln einer vollenderen Theorie mit ſich fuͤhrten. Wie
von einer Verſchiedenheit der innern Naturanlage ge-
trieben, finden wir die einen Voͤlker blos Sonnen-an-
dre blos Mondfinſterniſſe beobachten (jene die Chineſer,
dieſe die Chaldaͤer, in Indien u. a. beyde) ſo wie eini-
ge Voͤlker ſich vorzuͤglich Einen Planeten waͤhlten, deſ-
ſen Lauf und uͤbrige Verhaͤltniſſe ſie beſtaͤndig beobach-
teten. (die Chaldaͤer den Saturn.)
Gewiß iſt es, daß ſelbſt da, wo jene Ueberreſte
einer alten Aſtronomie noch am vielſeitigſten und vol-
lendetſten vorhanden ſind, ihre wahre Bedeutung fuͤr
unſre jetzigen Kenntniſſe nur erſt ſehr dunkel aus den
Irrthuͤmern der ſpaͤteren Zeit hervortritt. Wenn man
lieſt, daß die Egypter den Mond fuͤr den 72ſten Theil
der Erde hielten, da ſeine Maſſe nach Bernoulli wirk-
lich der 71ſte Theil der Erdmaſſe iſt, koͤmmt man in
Verſuchung, bey den Alten Kenntniſſe der wahren Groͤße
und Dichtigkeit dieſes Weltkoͤrpers vorauszuſetzen,
und nicht minder laſſen, wie ſchon erwaͤhnt, die ſo oft
gebrauchten Zahlen 216 und 432 auf eine Kenntniß des
Halbmeſſers der Sonne und des Mondes ſchließen, ob-
gleich dieſe Vermuthung auf der andern Seite wieder
entkraͤftet wird, wenn man findet, daß dieſelben
Egypter und Indier (freylich wohl immer die ſpaͤteren)
jene den Mond nur 49 Meilen von der Erde entfernt,
dieſe den Mond ferner glaubten als die Sonne. Es
iſt aber auch leicht moͤglich, daß dieſe Zahlen aus and-
ren noch unbeſtimmten Verhaͤltniſſen der Erde zu jenen
Weltkoͤrpern entlehnt ſind, in denen ſie ſich (wie
ſchon die magnetiſche Periode vermuthen laͤßt) wieder-
finden, und vielleicht wird uns ihre Erforſchung in
der Folge noch von der groͤßten Wichtigkeit ſeyn.
Wenn auch die Aſtronomie im engern Sinne, und
zwar in einer Vollendung wie ſie bey uns nach einigen
Seiten hin kaum jetzt noch erreichte, am deutlichſten
aus der Kulturgeſchichte des fruͤheſten Alterthums her-
vorblickt, und das hoͤchſte Lebenswerk des damaligen
Menſchengeſchlechts geweſen ſcheint, ſind doch naͤchſt
ihr auch Spuren in der Geſchichte jener Vorzeit ent-
halten, welche auf eine aͤhnliche fleißige Ausuͤbung
und Kenntniß auch andrer Naturwiſſenſchaften ſchließen
laſſen. Naͤchſt den Verhaͤltniſſen ſeines Planeten zu
andern Weltkoͤrpern, hat ſich der menſchliche Geiſt
von Anfang auf die Geſchichte der Erde ſelber gewen-
det. Die alten Sagen der von einander entfernteſten
Voͤlker, der Indier wie der Islaͤnder, der Chineſen
wie der Mexikaner, ſprechen bald dunkler bald dentli-
cher von großen Naturrevolutionen. Auch dieſe Sa-
gen gehoͤren zu jenen „Wundern der Geſchichte,
Naͤthſeln des Alterthums, die Unwiſſenheit verwarf,
und welche die Natur uns aufſchließen wird.“ *)
Wir wollen hier nur Einer ſolchen Sage gedenken,
welche ſich in der Islaͤndiſchen Edda befindet. Gang-
ler, ein alter nordiſcher Koͤnig, fragt daſelbſt die drey
ſymboliſchen Geſtalten der Gottheit, in dem Pallaſt
zu Asgarten, uͤber den Anfang der Dinge. Jene
antworten: Im Anfang, ehe noch irgend ein Ding
war, gab es eine leuchtende feurige Materie. **)
Hernach als die Stroͤme der Fluthen ſich ausbreiteten
von ihrem Urſprung, ward das geheimnißvolle ***)
Weſen, das ſie enthielten, zu einer feſten Maſſe,
welche anfieng ſtille zu ſtehn, und nicht weiter floß.
Es vermiſchte ſich mit ihnen (ein Gift) der geheimniß-
volle Einfluß, daß ſich das Feſte vollends nach allen
Seiten gebildet, wie Eis. Da entſtunden, heißt es
ferner, in dem weiten leeren Abgrund verſchiedene La-
ger der feſt gewordnen Maſſe, eins uͤber dem andern.
Es war ein Theil der neuentſtandenen Materie nach
jenem feurigen Quell des gemeinſchaftlichen Urſprungs
gewendet, ein andrer entbehrte dieſes Einfluſſes, und
es wehte von dem letzteren ein gewaltiger Sturm nach
jenem hin. Was zwiſchen beyden lag war ruhig wie
ein ſtilles Meer. Da gieng aus dem ewigen Urſprung
ein Hauch von Waͤrme aus, uͤber die feſt gewordnen
Maſſen, daß die erkalteten Duͤnſte derſelben in Tro-
pfen zerronnen, aus welchen ſich ein Menſch bildete,
durch die Kraft Deſſen, welcher jenen Hauch der Waͤr-
me geſendet. Der erſte Menſch hieß Ymer.
Freylich iſt an dieſer alten Sage nur Einiges ganz
begreiflich, was mit unſern jetzigen Anſichten von der
Entſtehung und Bildung des Planeten wohl uͤberein-
ftimmt. Vor wenig Jahren wuͤrde auch dieſer Theil
der alten Sage noch wenig verſtaͤndlich geweſen ſeyn,
denn laͤnger iſt es kaum, ſeitdem die eigentliche Geo-
gnoſie bey uns entſtanden. Wir koͤnnen deshalb kuͤhn
hoffen, daß auch der uͤbrige fuͤr uns noch dunkle Theil,
der Zukunft klaͤrer ſeyn werde. Viel verſtaͤndlicher
und ausfuͤhrlicher ſollen von der erſten Entſtehung der
feſten Erdmaſſe aus den Fluthen, die Sagen der In-
dier reden.
Auch einige andre Naturwiſſenſchaften ſind von
nicht geringerem Alter als die ſchon erwaͤhnten. Ein
uraltes indiſches Gedicht enthaͤlt ſchon eine Art von
Botanik, wo, wie aus andren aͤhnlichen Arbeiten der
Vorwelt ſcheint, von den Naturkraͤften der Pflanzen,
und von der Bedeutung ihrer Geſtalten und Farben ge-
redet iſt. Einen wenigſtens eben ſo alten Urſprung,
in der tiefſten Vorzeit, hat die Geſchichte des Stein-
reichs, beſonders der Edelſteine und Metalle, von de-
nen jene wiederum eine ſymboliſche Bedeutung beka-
men. Auch einige Grundlehren der Chemie und Phy-
ſik, die von dem Urſprung und dem Weſen des Lichts,
und von jenem Urſtoff, welcher als derſelbe allen ver-
ſchiedenen Koͤrpern zu Grunde liegt, handeln, finden
ſich klar in den religioͤſen Sagen der Vorzeit, wobey
ich nur an die vorhin erwaͤhnte Stelle der Edda, und
an jenen bekannten indiſchen Mythos von der Entſte-
hung des Mondes und anderer Sterne aus einem fluͤſſi-
gen Element, und von jener wunderthaͤtigen Subſtanz
welche die Genien aus der Tiefe deſſelben her-
vorziehen, erinnere. *) Die Geſchichte der Thier-
welt iſt in den Naturcultus der Vorzeit ſo innig ver-
webt, daß wir auch dieſe Naturwiſſenſchaft, und
zwar in einem tiefen, uͤber die Eigenſchaften und in-
nern Anlagen der einzelnen Geſchlechter ein klares Licht
verbreitenden Sinne, im hoͤchſten Alterthume wieder-
finden.
Der gemeinſchaftliche Beſitz dieſer Erkenntniſſe,
der ſich bey vielen der weit entlegenſten Voͤlker findet,
die Bemerkung: daß, wie durch eine zufaͤllige Ver-
theilung, einzelne Voͤlker dieſes, andre jenes Fragment
einer fruͤhen Naturtheorie bewahrt haben, davon im-
mer Eins das Andre zu ergaͤnzen vermag, fuͤhrten
ſchon laͤngſt auf die Vermuthung, daß jene tiefen Na-
turkenntniſſe von Einem, hoͤchſtgebildeten Urvolk her-
ſtammen. Verſchiedene Thatſachen, die ich ſpaͤter
anfuͤhren werde, verſetzen den Wohnort dieſes Volks,
und wie es ſcheint, den Ausgangspunkt unſres Ge-
ſchlechts, weit hinauf nach Norden, und das im Al-
terthum viel geprieſene Land Atlantis, (es ſcheint daſ-
ſelbe was auch bey vielen andern orientaliſchen Voͤl-
kern unter andern Nahmen in der alten Sage vor-
koͤmmt,) war vielleicht unter einem Grade der Breite
gelegen, der jezt der Bevoͤlkerung wenig guͤnſtig ſeyn
wuͤrde.
So reicht, wie es ſcheint, der Beſitz jener Kennt-
niſſe ſelbſt noch uͤber die aͤlteſte Geſchichte der einzelnen
(von dem Urvolk ſchon getrennten) Voͤlkerſtaͤmme hin-
aus: und es waren jene (wenn wir ſie ſo nennen wol-
len) Wiſſenſchaften, der fernſten Vorzeit eigenthuͤm-
lich. Von der Aſtronomie beſonders ſcheint es gewiß,
daß ſie ſo alt ſey als unſer Geſchlecht ſelber. Denn
wenn wir der einen oder andern Angabe von dem Al-
ter der Welt, oder vielmehr von dem Eintritt des Men-
ſchen in dieſelbe folgen, begleiten uns immer die erſten
und zwar oͤfters gerade die wichtigſten aſtrono-
miſchen Arbeiten, bis an den aͤußerſten Anfang dieſer
Zeit hinauf. So, wenn wir nun mit Bailly den An-
fang der Geſchichte bis auf das 7te oder 8te Jahrtau-
ſend herunterſetzen, finden ſich gleich aus jener Zeit die
indiſche Beobachtung von der Schiefe der Ecliptik und
die dazu gehoͤrigen Tafeln der Tageslaͤnge, und andre
Arbeiten denen ſchon Zahlenverhaͤltniſſe zu Grunde lie-
gen, die wir erſt jezt zu verſtehen anfangen. Weiter
herunter, von Geſchlecht zu Geſchlecht, ſehen wir die
eigentliche tiefe Wiſſenſchaft ſtatt zunehmen immer ab-
nehmen, und die Voͤlker, welche ſowohl in Hinſicht
ihres Alters als Charakters der neuen Weltperiode am
naͤchſten verwandt ſind, waren wie ich in der naͤchſten
Vorleſung zeigen werde, am unwiſſendſten darinnen.
So erſcheint das, was bey uns Wiſſenſchaft iſt, in
jener aͤlteſten Zeit mehr als Offenbarung eines hoͤheren
Geiſtes an den des Menſchen. Denn was waͤre das
fuͤr eine Wiſſenſchaft die gleich oder nahe bey ih-
rem Entſtehen am vollkommenſten, ſpaͤter immer un-
vollkommner gefunden wuͤrde?
Eine gewoͤhnliche Anſicht laͤßt jene alte Ausuͤbung
der Aſtronomie aus ihrem Beduͤrfniß beym Ackerbau
entſtehen. Obgleich eine vollſtaͤndige Widerlegung
derſelben nicht hieher gehoͤrt, ſey es doch erlaubt nur
Einiges hieruͤber zu ſagen.
Gerade der Ackerbau, zu deſſen Gunſten die Aſtro-
nomie erfunden ſeyn ſoll, iſt offenbar ſpaͤteren Ur-
ſprunges, und ſcheint ſo wie der Bau des Weines und
uͤberhaupt jede Kunſt der Cultur des Landes, erſt zu der
Zeit der Entſtehung und Verbreitung der Myſterien
unter den Voͤlkern entſtanden und verbreitet. Von
dieſen aber werden wir ſpaͤter ſehen, daß ſie ſich erſt
aus den Zeiten des Verfalls und Untergangs der ei-
gentlichen alten Zeit, und jenes Naturcultus von deſ-
ſen letzten Ueberreſten wir vorhin ſprachen, erhoben ha-
ben.
Wenn, nach einer allgemeinen Sage, die Erde im
Anfang in der hoͤchſten Fuͤlle und Ueppigkeit die Le-
bensbeduͤrfniſſe hervorbrachte, und jener kraͤftige Trieb
der erſten Zeit allmaͤhlig abnahm, ſo kam ſich die
Natur durch den Menſchen, den ſie den Ackerbau ge-
lehrt, erſt dann zu Huͤlfe, als die Zeit des erſten
Ueberfluſſes ſchon voruͤber war.
Wir haben in den aͤlteſten Sagen der meiſten oder
aller Voͤlker, Beweiſe, daß die erſte Vorwelt von
freywachſenden Fruͤchten, und naͤchſt dem von der
Milch der Kuͤhe gelebt habe. Doch gehoͤrt hierher
nicht die Verehrung der Kuh, welche dem ganzen aͤl-
teren Orient ein Symbol der ernaͤhrenden muͤtterlichen
Erde iſt, vielmehr hat dieſe eine viel tiefere Bedeutung
in der Geſchichte des Planeten und der Thierwelt, und
uͤberhaupt ſcheint aus ſpaͤter anzufuͤhrenden Gruͤnden
der Gebrauch der Milch als Nahrung ſchon viel ſpaͤter
als der urſpruͤngliche der Fruͤchte, doch ſind gewiß bey-
de in der Geſchichte des Ganzen aͤlter als der Ackerbau.
In dem neulich bekannt gewordnen, aber wie man
ſagt vielleicht nicht durchaus aͤchtindiſchem *) Gedicht
Chartah Bhade, ſtellt der Gott Parabrahma, als er
nach einer vieltauſendjaͤhrigen Anſchauung ſeiner ſelbſt
den Entſchluß gefaßt, den abgefallenen Geiſtern eine
Staͤtte der Laͤuterung und Wiedergeburt zur erſten
Reinheit, — das Weltall und die 87 Wege der See-
lenwanderung zu erſchaffen, den Stier unmittelbar
neben den Menſchen, als Gefaͤhrten und Ernaͤhrer.
Es war, wie wir aus demſelben Gedicht ſehen, dem aͤl-
teren Orient geboten, von den freywachſenden Fruͤchten
und naͤchſt dem von der Milch der Kuͤhe zu leben, und
in einigen Laͤndern hat ſich erſt, wie es ſcheint in
einer viel ſpaͤteren Zeit, der Stamm der Ackersleute
(von auswaͤrts her?) angeſchloſſen. Auch in der alten
perſiſchen Sage, die uͤbrigens noch von andrer Bedeu-
tung iſt, fieng der Menſch erſt im dritten Weltal-
ter (jedes zu dreytauſend Jahren) an das Land zu
bauen, nachdem er, mit dem Stier zugleich an einem
erhabenen Ort geſchaffen, daſelbſt in ſeeligen Frieden
3000 Jahre, und andre 3000 Jahre mit demſelben
auf der Erde, ohne Leid und Anfechtung gelebt hatte.
Nach der Edda war mit dem erſten Menſchen Ymer
zugleich als Gefaͤhrtin die heilige Kuh Oedumla aus je-
ner fruchtbaren Fluͤſſigkeit gebildet, und ernaͤhrte den
Ymer, und des Ackerbaues geſchieht erſt bey ſpaͤteren
Generationen Erwaͤhnung.
So wuͤrde ohnfehlbar auch der Vorwand wegfal-
len, daß die Noth, die man ja zu unſrer Zeit fuͤr die
Lehrerin alles moͤglichen Guten haͤlt, den erſten Men-
ſchen die Aſtronomie zum Behufe ihrer Feldarbeit ge-
lehrt habe. Man hat bey dieſen und andern aͤhnlichen
Anſichten zu wenig auch auf den damaligen Charakter
jener ſogenannten Wiſſenſchaften Ruckſicht genommen.
So gieng das was wir jezt Aſtronomie nennen, im Al-
terthum wie es ſcheint, von einer beſſeren Art der Aſt-
rologie aus, das heißt: von dem Zuſammenhang der
Geſchichte alles Einzelnen, mit den Bewegungen der
Geſtirne — mit der Geſchichte des Ganzen. *) Selbſt
der Menſch erkannte ſich als einen Theil der in der ewi-
gen Nothwendigkeit der Zeiten wandelnden Weltkraͤfte,
und das Geſetz dieſer Nothwendigkeit, an jenen er-
kannt, wurde ihm der Maasſtab ſeines eignen Schick-
ſals. **) Auch von den uͤbrigen Naturwiſſenſchaften
iſt es ſchon erwaͤhnt, wie ſie Anfangs von der An-
ſchauung der innern Naturkraͤfte und der hoͤhern Be-
deutung der einzelnen Dinge fuͤr das Ganze aus-
giengen.
Auf der andern Seite unterſcheidet ſich jener aͤlteſte
Anfang der Naturwiſſenſchaft von dem jetzigen Zuſtand
derſelben darinnen, daß jener eigentlich zunaͤchſt nicht
Wiſſenſchaft, ſondern vielmehr Naturcultus, Reli-
gionslehre der Voͤlker war. Viele religioͤſe Sagen
der Indier, handeln von der Geſchichte des Pla-
neten und ſeiner Ausbildung, die Aſtronomie und alle
jene Lehren derſelben, von denen wir hier gehandelt
haben, waren nicht allein in Indien, Egypten, und
bey andern alten Voͤlkern ein Eigenthum der Prieſter,
und in den Religionsbuͤchern der Voͤlker aufbewahrt,
ſondern faſt alle Feſte und Religionsuͤbungen waren,
wo nicht aſtronomiſchen Urſprungs, doch in Bezie-
hung auf die Geſchichte des Planeten und ſein Verhaͤlt-
niß zur Sonne.
Nur ein fluͤchtiger Blick auf die aͤlteſte Geſchichte
der Voͤlker, nur einzelne Zuͤge aus derſelben, koͤnnen
uns belehren, wie die Aſtronomie und uͤberhaupt Na-
turcultus, nicht Mittel zu irgend einem aͤußerlichen
Zweck, ſondern hoͤchſtes, heiligſtes Werk des Lebens,
der erhabenſte Beruf des damaligen Menſchen war.
Bey vielen Voͤlkern wo die Claſſe der Prieſter nicht die-
ſen hoͤchſten Beruf uͤbernommen, waren die Koͤnige
zugleich Oberprieſter, und als ſolche uͤbten ſie vor
allem Volke den aſtronomiſchen Cultus. So werden
die Nahmen der alten Koͤnige Uranus, Saturn und
Atlas, welche ſich in der Naturweisheit vor andern
Sterblichen hervorgethan, ſo unſterblich ſeyn als die
Aſtronomie und das Menſchengeſchlecht ſelber. Ja
als ſchon etwas ſpaͤter die Cultur des Landes, auch
als neuer Religionscultus, den Voͤlkern gegeben wurde,
zeigten ſich abermals die Koͤnige als wohlthaͤtige Ver-
breiter und Oberprieſter deſſelben. In dieſer Hinſicht
iſt die Wallfahrt der Iſis, welche bey andern Voͤlkern
als Ceres verehrt worden, von dem Alterthum geprie-
ſen. Aus der Nacht der Vergangenheit ſpricht von
jenen Saͤulen, die uns Diodor von Sicilien beſchreibt,
der Mund jener mit Recht vergoͤtterten Gatten (Iſis
und Oſiris), welche nach der alten Sage den Thron
der Egypter beſeſſen. „Unſre Geſetze, rufen ſie uns
zu, ſind ewig. Wir ſind es, welche den Menſchen
erhabene Naturweisheit, und den Anbau des Landes
gelehrt haben. Von dem Eiſe des Pols bis zu den
Wuͤſten Indiens, von der Quelle der Donau bis zu
dem einſamen Geſtade ſuͤdlicher Meere, haben wir die
Welt, nicht als Eroberer, ſondern als wohlthaͤtige
Genien durchwandelt.“
Ja ſelbſt in der Geſchichte Chinas wird einer der
aͤlteſten Koͤnige, Hoangti, welcher in dem 5ten Jahr-
tauſend vor unſrer Zeit gelebt, als Urheber mehrerer
aſtronomiſchen Entdeckungen geprieſen. Mit ihm zu-
gleich wird ſein Miniſter Yuchi, welcher der alten
Sage nach den Polarſtern beſtimmt, und die Sphere
erfunden hat, in der Geſchichte der Wiſſenſchaft ſtets
beruͤhmt bleiben. In dieſer hat ſich auch der Koͤnig
Chueni, welchen einige Jahrhunderte ſpaͤter das chine-
ſiſche Volk um ſeiner tiefen aſtronomiſchen Kenntniſſe
willen auf den Thron erhoben, als Urheber der erſten
aſtronomiſchen Tafeln welche die Chineſen kennen,
und als Beobachter der ſchon erwaͤhnten Conjunction
der 5 Planeten hervorgethan. Nicht minder groß in
der Aſtronomie war der Koͤnig Yao. Ueberhaupt waren,
wie bey einigen andern Voͤlkern des Orients (Chal-
daͤern, Babyloniern, und zum Theil auch Perſern, *)
ſo auch in China die Aſtronomie und der Naturcultus
eine Hauptangelegenheit des Regenten, und noch im
zten Jahrtauſend vor unſrer Zeit, wallfahrtete der
Koͤnig mit ſeinem ganzen Hof an jedem erſten Tage
des Neumonds in das Haus der Vorfahren, wo bey
dem Schlachten eines Lammes von dem erſten Miniſter
die Zeit und der Tag des Jahrs feyerlich, wie ein Ge-
heimniß, verkuͤndigt wurde. Hierauf ſtieg der Koͤnig
ſelber mit den Miniſtern auf die Sternwarte, und was
nach allen vier Gegenden des Himmels beobachtet, oder
Neues geſehen war, verzeichnete man in einem hierzu
beſtimmten Buche. Nicht minder beruͤhmt ſind die
Nahmen der Chaldaͤiſchen und Perſiſchen Koͤnige, in
der Geſchichte der Aſtronomie, und Belus ſo wie
Dſiemſchied ſind unſterblich geworden wie Sterne. Auf
dieſe Weiſe haben die alten Koͤnige ihr eignes Daſeyn
mit der Geſchichte des Himmels und der irdiſchen Na-
tur verwebt, und indem ſie, wohlthaͤtig wie die ſchaf-
fende Natur, deren Organe und Symbole ſie gewor-
den, ganzen Voͤlkern und kunftigen Jahrtauſenden die
hohe Gabe der Cultur und der heiligen Gebraͤuche ver-
liehen, waren ſie ein wahrhaftes Abbild des Goͤttlichen
und ſind unſterblich geworden wie die Natur. Es hat
hierin das Alterthum eine viel wahrhaftere Anſicht von
der Beſtimmung der Koͤnige (Stellvertreter des Goͤttli-
chen auf Erden zu ſeyn) gezeigt, als die neuere Zeit
— — — ja wenn in der Klarheit der kuͤnftigen Jahr-
tauſende der Ruhm einer ſolchen neueren Groͤße zer-
rinnen wird wie Rauch, ſtehen jene glaͤnzend wie ho-
he Eisgebirge.
So war, was jezt nur Einzelne beſchaͤftigt, in
der aͤltern Zeit die hoͤchſte Angelegenheit ganzer Voͤlker,
der erhabenſte Beruf ihrer Koͤnige, und was jezt als
Wiſſenſchaft mehr aͤußerlich iſt, war aufs innigſte mit
dem Weſen und ganzem Daſeyn des Menſchen verwebt.
Es fuͤhrt uns dieſes auf den tiefen Urſprung jenes aͤl-
teſten Naturcultus, von welchem wir in der naͤchſten
Vorleſung handeln werden.
Nach dem Ausdruck einiger Weltweiſen, wird ſich die
Natur im Menſchen ihrer ſelber erſt bewußt, dieſes iſt
der Sinn, durch welchen ſie nach Vollendung ihres
eignen Weſeus endlich ſich ſelber betrachtet. Dieſe er-
ſte Beſtimmung des Menſchen, Organ zu ſeyn, durch
welches die Natur ſich ſelber anſchauet, hat im An-
fange ſein ganzes Weſen, ſein ganzes Daſeyn erfuͤllt,
und er hat uͤber der Natur ſich ſelber vergeſſen, waͤh-
rend ſich das Streben der ſpaͤteren Zeit in einer An-
ſchauung dieſer Anſchauung verlohren.
Schon eine der aͤlteſten Weiſſagungen, die Ge-
ſaͤnge der Whole (Voluspa), welche in der fruͤheren
Edda, wie es ſcheint das Aelteſte ſind, ſagen daſſel-
be. „Vor Anbruch der Zeit, heißt es, war weder
Sand noch Meer, weder Sturm noch Wind; noch
war keine Erde und kein Himmel, ſondern nur ein
empfaͤngliches Chaos. Da erſchien die Sonne vom
Mittag her, und es keimte das erſte Gruͤn. Als nun
die Sonne zuerſt mit ihren Strahlen den links ſtehen-
den Mond, nach der Rechten die Heere des Himmels
erleuchtete, da wußte die Sonne ihren Saal noch nicht
noch der Mond ſeine Veſte, die Sterne kannten ihre
Staͤtte noch nicht. Bis die Soͤhne der Goͤtter zu dem
Thron des hoͤchſten Gottes giengen, welcher fuͤr das
Dunkel den Nahmen der Nacht offenbarte, und den
Morgen, Mittag und Abend, die Zeiten und den
Wandel der Geſtirne mit ihrem Nahmen benannte.“
So ſcheint dieſe alte Sage zu verkuͤnden, wie die
Natur durch das lebendige Wort, durch den Geiſt des
Menſchen erſt ihr eignes Weſen erkannt habe, ſich ih-
rer gleichſam erſt ſelber bewußt worden ſey. Das
Wort aber, die Rede, erſcheint als hoͤhere Offenba-
rung. — Eine aͤhnliche Anſicht von dem goͤttlichen
Urſprung und der Heiligkeit der menſchlichen Rede,
findet ſich bey vielen alten Voͤlkern. Wir wiſſen daß
bey den Perſern dem lebendigen Wort eine ſchaffende
Kraft, und die hoͤchſte Gewalt uͤber den Geiſt und
das Weſen der Dinge zugeſchrieben worden. Das
Sprechen geſchahe durch hoͤhere Begeiſterung, wie die
des Dichters oder Sehers; dem Sprecher des leben-
digen Worts waren die Zukunft und Vergangenheit pf-
fenbart, weil der ewige Geiſt, in welchem das Kuͤnf-
tige iſt, wie das Vergangene, durch ihn ſprach. Es
wurde von der ganzen aͤlteren Zeit der Rede ein unmit-
telbarer Urſprung aus dem hoͤheren Einfluß gegeben,
und fuͤrwahr die Meynung; es habe die geſellſchaftli-
che Noth dieſelbe, aus einzeln aufgefaßten und ge-
ſtammleten Naturlauten erfunden, konnte nur in neue-
rer Zeit erdichtet werden. Hierin glich die Sprache
der Vorwelt dem Dichten, daß, wie es ſcheint, alle
Rede metriſch, in Verſen ausgeſprochen war, und die
aͤlteſte Sprache die wir kennen, die Sanſcrit, iſt nicht
etwa die unvollkommenſte, wie nach der gemeinen An-
ſicht zu vermuthen waͤre, ſondern gerade die vollkom-
menſte, reichſte, und doch einfaͤltigſte, die wohlklin-
gendſte und rythmiſchſte. *)
Es wird dieſe Anſicht der alten Zeit, welche die
erſte Sprache aus unmittelbarer Offenbarung herleitet,
nur aus der aͤlteſten Naturphiloſophie verſtanden. Nach
dieſer ſind und beſtehen alle Weſen in jedem Augenblick
ihres Daſeyns nur in und durch den hoͤheren Einfluß,
welcher nur Einer, allen gemeinſchaftlich iſt. In den
Augenblicken wo ſich das Daſeyn der Dinge am hoͤch-
ſten entfaltet, iſt es der Geiſt dieſes hoͤheren Einfluſſes,
welcher an ihnen offenbar wird, dieſer iſt das Licht in
der Flamme, in der Rede der Geiſt, in der Vermaͤh-
lung die Liebe. Es leuchtet dieſe Anſicht des Einen
Geiſtes in Allen, aus den Religionslehren der Perſer
und Indier, ja vielleicht aus denen der Egpter hervor.
Aus dieſen Lehren des Alterthums wurde begreif-
lich, wie dem Menſchen in den Augenblicken der Begeiſt-
rung und Weiſſagung das Geheimniß der Natur, der
Zukunft und Vergangenheit offenbar wuͤrde, und dem
Blick das Entfernteſte in nahe Anſchauung traͤte. Je-
ner hoͤhere, Allen gemeinſchaftliche Geiſt, in welchem
das Geſetz alles Wandels der Zeiten iſt, der Grund
des Kuͤnftigen wie des Gegenwaͤrtigen, wird das ver-
einigende Mittel, durch welches die Seelen der von
Zeit und Raum getrennten Dinge ſich nahe treten, und
das Gemuͤth, wenn es in den Augenblicken der Begei-
ſterung in die Tiefe jenes Naturgeiſtes verſunken,
tritt wie dieſer ſelber mit den einzelnen Dingen in einen
geiſtigen Zuſammenhang, und empfaͤngt die Gabe
gleich ihm in das Weſen derſelben zu wirken.
Dieſes iſt die Meynung uͤber den Urſprung der
Sprache und des Naturcultus, welche anderen Anſich-
ten des Alterthums am meiſten angemeſſen iſt,
oder aus dieſen ſelber hervorgeht, und es iſt billig,
daß wir dieſe zuerſt vernehmen, wie in der Geſchichte
eines einzelnen Menſchen, das was er uͤber ſich ſelber
gedacht und geſprochen, zunaͤchſt beruͤckſichtigt wird.
Wir ſehen uns durch verſchiedene dunkle Spuren in
der Geſchichte der Natur, und vielleicht auch der des
Alterthums, noch auf eine andre Meynung von dem Ur-
ſprung der Sprache und zugleich jener Naturweisheit,
welche das erſte war was der Menſch ausgeſprochen,
hingefuͤhrt. Dieſe Meynung ſcheint der gewoͤhnlichen,
welche die Sprache aus Naturtoͤnen herleitet, etwas
naͤher verwandt, aber zugleich beſtaͤtigt ſie auch, viel-
mehr als auf den erſten Blick ſcheinen koͤnnte, die An-
ſichten des Alterthums. Es wird angenommen, daß
die Atmosphaͤre das Mittelglied einer beſtaͤndigen
Wechſelwirkung zwiſchen unſrem Planeten und denen
andern Weltkoͤrpern ſey. Wie der Mond und die
Sonne noch jezt einen ſichtbaren und merklichen Ein-
fluß auf die Veraͤnderungen des Luftkreißes haben,
wie nach Einigen noch jezt verſchiedene Stellungen und
wechſelſeitige Beziehungen der entfernteren Planeten
auf einander durch verſchiedene neue Bewegungen in
der Atmosphaͤre ausgezeichnet ſind; ſo muͤſſe dieſer
Einfluß fruͤher, bey einem, wie ſich beweiſen ließe,
viel empfaͤnglicherem Zuſtand des Luftkreißes, viel merk-
licher geweſen ſeyn. Man faͤnde noch jezt in der
Bildungsgeſchichte des Planeten Spuren der heftigſten
Bewegungen in der fluͤſſigen Atmosphaͤre, einige Pla-
neten unſres Syſtems, deren Beſchaffenheit dem Urzu-
ſtande des Unſrigen noch nahe ſcheint, gaͤben noch jezt
faſt taͤglich ein Beyſpiel von ſolchen heftigen Bewegun-
gen in ihre Atmosphaͤre, welche die mittlere Geſchwin-
digkeit des Schalles bey uns ſieben, ja elfmal uͤber-
traͤfe, waͤhrend die heftigſten Bewegungen in unſern
jezigen Luftkreiſe 12 ja 13 mal langſamer waͤren als
der Schall. Wenn es wahrſcheinlich ſey, daß jene
aͤußern Einfluͤſſe, welche Veraͤnderungen in der At-
mosphaͤre zu bewirken pflegen, in jenem Zuſtand der
Erde, welcher dem jetzigen des Jupiter naͤher ſtund,
Bewegungen der Luft erzeugten, die an Geſchwindig-
keit dem Schalle wenigſtens gleich kamen, ſo ſey die
Frage nicht ungereimt: ob nicht das, was jezt als
Sturm mit einem rohen und anorgiſchen Laut erſcheint,
damals als wirklicher Ton vernommen ſey, ob nicht
die alten Sagen von der Harmonie der Weltkoͤrper,
von den Toͤnen des Univerſums, wirklich einige Wah-
heit enthielten? Hieraus wuͤrde dann begreiflich, war-
um Aſtronomie unter den Wiſſenſchaften, Muſik unter
den Kuͤnſten das Aelteſte ſey. *) Den Rythmus der
Bewegungen der Welten, wie er ſich in der Atmos-
phaͤre abſpiegelt, habe der Menſch zuerſt nachgeſpro-
chen, und hierdurch eingeweihet in das harmoniſche
Geſetz des Ganzen, habe ſein Gemuͤth den Zuſammen-
hang der Naturereigniſſe, und die Beziehung der ein-
zelnen Dinge auf das Ganze erkannt. Auf dieſe Wei-
ſe ſey die aͤlteſte Naturweisheit und die Sprache ſel-
ber, durch unmittelbare Offenbarung der Natur an den
Menſchen entſtanden.
Es laſſen ſich freylich zur Beſtaͤtigung dieſer Mey-
nung keine direkten Beweiſe fuͤhren. Doch wird zu
unſrer Zeit von allen Seiten anerkannt, daß, wenn
der Natur bey dem erſten Entſtehen der organiſchen und
lebendigen Koͤrper aus ihr, einige Mitwirkung zuge-
ſchrieben werde, wie dies nicht anders moͤglich iſt,
hierbey die Atmosphaͤre vorzuͤglich thaͤtig geweſen ſeyn
muͤſſe, aus deren Wechſelwirkung mit etwas Fluͤſſigem
wir noch jezt die erſten Anfaͤnge des Thier und Pflan-
zenreichs hervorgehen, und das Leben in dem beſtaͤn-
digen Beduͤrfniß des Athmens erhalten ſehen. Dieſes
laͤßt allerdings eine viel vollkommnere und wirkſamere
Natur der Atmosphaͤre in jener fruͤheren Zeit voraus-
ſetzen. Auf der andern Seite kennen wir noch jezt ei-
nige merkwuͤrdige Naturereigniſſe, bey denen die Bewe-
gungen der Luft noch von einem wirklichen, gleichſam
articulirten Ton begleitet ſind. Von dieſer Art iſt
vornehmlich jenes merkwurdige Phaͤnomen, welches
unter dem Nahmen Luftmuſic, oder Teufelsſtim-
me auf Ceylon und in den benachbarten Laͤndern
wahrgenommen iſt. Es iſt dieſes, den Eingebohr-
nen wohlbekannte Phaͤnomen, noch bis in die neue-
ſte Zeit von ſo vielen glaubwuͤrdigen Reiſenden beob-
achtet, daß ſich an ihm ſchon laͤngſt nicht mehr zwei-
feln laͤßt. Wir wollen es nach dem Bericht eines
Augenzeugen, welcher der Erzaͤhlung der Eingebohr-
nen und aller fruͤheren Reiſenden nicht glauben moͤgen
bis er es ſelber beobachtet, beſchreiben:
Es laͤßt ſich dieſe Naturſtimme vorzuͤglich in ſtil-
len heitren Naͤchten, doch, wie aus andren aͤhnlichen
Naturerſcheinungen wahrſcheinlich iſt, vor nahen Wit-
terungswechſeln hoͤren. Sie hat es mit elektriſchen
Lufterſcheinungen gemein, daß ſie mit Blitzesſchnelle
bald wie aus ungeheurer Ferne, bald ganz in der Naͤhe
vernommen wird. Am meiſten Aehnlichkeit hat ſie mit
einer tiefen klagenden Menſchenſtimme, *) hierbey aber
pflegt ſie, wie alle Naturtoͤne, eine ſo tiefe Wirkung auf
das menſchliche Gemuͤth zu aͤußern, daß ſelbſt die ru-
higſten und verſtaͤndigſten Beobachter, welche die na-
tuͤrliche Eutſtehung dieſer Naturbegebenheit wohl ein-
ſehen, ſich eines tiefen Entſetzens, und gleichſam ei-
nes zerſchneidenden Mitleids mit jenen, den menſchli-
chen Jammer ſo entſetzlich nachahmenden Naturtoͤnen
nicht erwehren koͤnnen. Wir kennen auch in unſern
Himmelsſtrichen, wo die Atmosphaͤre doch zu allen
elektriſchen und aͤhnlichen Erſcheinungen weit weniger
geeignet iſt, einige jenem verwandte Phaͤnomene,
die wirklich atmosphaͤriſchen Urſprungs ſind, mit de-
nen man aber viele andre, die von Thieren herruͤhren,
und die doch eigentlich (durch ihre Langſamkeit und
ganz andern Ton) von jenen leicht zu unterſcheiden
waͤren, oͤfters verwechſelt hat. Auch die meiſten an-
erkannt elektriſchen Meteore ſind bekanntlich von einem
eigenthuͤmlichen Ton begleitet. *)
Ein drittes Zeugniß, welches fuͤr jene Meynung
zu ſprechen ſcheint, empfangen wir aus der Geſchichte
der alten Orakel. Bey einem der aͤlteſten, dem zu
Dodona, war es der Klang der vom Wind bewegten
Metallbecken, und das Rauſchen der Luft in den Zwei-
gen der hohen Eichbaͤume, aus welchen von den Prie-
ſtern das Zukuͤnftige geweiſſagt wurde. Dieſe Art der
Weiſſagung aus den Naturtoͤnen der Atmosphaͤre,
ſcheint unter allen die aͤlteſte. — Auch die Wahrſager
des aͤlteſten Nordens haben aus dem Rauſchen der ho-
hen Baͤume das Zukuͤnftige verkuͤndigt. Darum heißt
es noch in einer der fruͤheſten Weiſſagungen — in der
viele Jahrtauſende alten Voluspa —:
„Siehe ich kenne einen Eſchenbaum, ſein Nahme
heiſſet Gottlich, Hocherhaben. Er ſtehet ewig gruͤne
an wohlverwahrten Brunnen, **) in Gottes Haus,
hoch in dem weiten Himmel, und von ihm gehet
der Regen aus uͤber alle Thaͤler. Von ihm
ſtammen drey weiſſagende Jungfrauen her, entſprun-
gen aus jenem See, der uͤber dem Stamme des Bau-
mes fluthet, die eine die heiſſet Vergangen, die andre
Jetzt, die dritte heiſſet Fernkuͤnftig.“
Vielleicht ſpricht dieſe alte Weiſſagung noch viel
mehr fuͤr jene Meynung, als auf den erſten Anblick
ſcheint. Doch die Erklaͤrung ſey welche ſie wolle,
jene Thatſachen, welche einen tieferen Blick des Men-
ſchen in die Natur bey der erſten Vorwelt vorausſetzen,
bleiben unlaͤugbar und dieſelben. Jene Guͤter des
Wiſſens, welche bey uns jetzt eine lange und muͤhſam
fortgeſetzte Beobachtung, einzeln wieder hervorgezo-
gen, und noch mehr als dieſe, hat das Alterthum in
einem lebendigeren Zuſammenhange als wir beſeſſen.
Sey es aber, daß der Geiſt des erſten Menſchen,
wie der der Kinder, empfaͤnglicher und abhaͤngiger von
der Gewalt der Natur, ein Inſtrument geworden,
auf welchem der Geiſt derſelben ſeine ewigen Harmo-
nien ausgeſprochen, oder ſey es daß die Natur noch in
der Kraft der eben vollendeten Schoͤpfung, einer tie-
feren Einwirkung auf ihr letztes Werk faͤhig war und
daß ſo die Gewalt der noch jugendlichen Mutter uͤber
das neugebohrne, noch zarte Kind groͤßer, der Zu-
ſammenhang zwiſchen beyden inniger war: ſo muß-
te entweder der ſelbſtſtaͤndiger und vollendeter werden-
de Menſch ſich jener Obergewalt mehr entziehen, oder
der Menſch wurde allmaͤhlig, waͤhrend die Gewalt jenes
hoͤheren Einfluſſes der (veraltenden) Natur abnahm,
auf ſeine eigne Kraft zuruͤckgewieſen, und zur Selbſt-
ſtaͤndigkeit genoͤthigt. Sey es nun, daß eins oder
das andre, oder was wahrſcheinlicher iſt, beydes zu-
gleich ſtatt gefunden, ſo mußte, je eigenthuͤmlicher
ſich die Natur des Menſchen im Verlauf der Zeiten
entwickelte, deſto mehr jene urſpruͤngliche Vollkom-
menheit deſſelben, die nicht ſein ſelbſtſtaͤndiges Eigen-
thum war, abnehmen. Der eigne Wille iſt es gewe-
ſen, der den Fall des Menſchen aus ſeiner damaligen
Hoͤhe bewirkt hat, und eine eigenthuͤmlichere Vollen-
dung ſeines Weſens hat ihn gegen den hoͤheren Einfluß
der Natur unempfaͤnglicher und unabhaͤngiger ge-
macht.
So hat die Geſchichte des Menſchen, als das ho-
he Gluͤck der alten Zeit von dem hoͤheren Streben der
neueren, welches den Menſchen zur Selbſtſtaͤndigkeit
erhebt, verdraͤngt war, durch vielfaͤltiges Ungluͤck und
den Untergang ganzer Voͤlker, zu der hoͤchſten Bluͤthe
der neuen Welt, dem Chriſtenthum, den Uebergang ge-
funden, und die neue Zeit giebt auf eine eigenthuͤmli-
chere und ſelbſtſtaͤndigere Weiſe dem Menſchen zuruͤck,
was er in der alten verlohren. Die wichtige Frage,
was der Grund geweſen ſey, daß jene hohe Natur-
weisheit, einmal erſchienen, wieder untergieng? daß
das hohe Gluͤck der Urzeit ſich unſrem Geſchlecht nur
zeigte, ſo daß der Verluſt nur um ſo ſchmerzlicher ge-
worden? laͤßt ſich demnach beantworten: daß auch
hier, wie dies ein allgemeines Naturgeſetz iſt, ein
ſchon vorhandnes hohes Streben, durch ein neues hoͤ-
heres verdraͤngt ſey.
Obgleich ich von dieſem Verhaͤltniß der neuen Zeit
zur alten noch in der naͤchſten Vorleſung handeln
werde, ſcheint mir es doch hier am rechten Orte, zu
zeigen: daß auch ſchon in der fruͤheren Welt dieſe An-
ſicht uͤber den Untergang des hohen Gluͤckes der alten
Zeit, und uͤber Untergang und Tod uͤberhaupt ge-
herrſcht habe. Fuͤr mich liegt ſie in den Myſterien,
welche die ſcheidende alte Zeit, wie eine ſcheidende
Mutter, den traurenden ungluͤckſeeligen Geſchlecht der
ſpaͤteren Weltalter zum Troſt zuruͤckgelaſſen.
Es iſt ein ewiges Naturgeſetz, das ſo klar da liegt,
daß es ſich dem Geiſt des Menſchen zuerſt aufdringen
muͤſſen, daß die vergaͤngliche Form der Dinge unter-
geht, wenn ein neues, hoͤheres Streben in ihnen er-
wacht, und daß nicht die Zeit, nicht die Außenwelt,
ſondern die Pſyche ſelber ihre Huͤlle zerſtoͤrt, wenn die
Schwingen eines neuen, freyeren Daſeyns ſich in ihr
entfalten. Ich habe in dem erſten Theil meiner ſchon
angefuͤhrten Schrift, da wo ich von einem ſcheinbaren
Streben der Dinge nach ihrer eignen Vernichtung ge-
handelt, in vielen Veyſpielen gezeigt, daß gerade in
der Gluth der ſeeligſten und am meiſten erſtrebten Au-
genblicke des Daſeyns, dieſes ſich ſelber aufloͤſet und
zerſtoͤrt. Es welkt die Blume ſogleich, wenn der
hoͤchſte Augenblick des Bluͤhens voruͤber iſt, und das
bunte Inſekt ſucht in der einen Stunde der Liebe zu-
gleich die ſeines Todes, und empfaͤngt in dem Tempel
der Hochzeit ſelber ſein Grab. Ja es ſind bey dem
Menſchen gerade die ſeeligſten und geiſtigſten Augen-
blicke des Lebens, fuͤr dieſes ſelber die zerſtoͤrendſten,
und wir finden oͤfters in dem hoͤchſten und heiligſten
Streben unſres Weſens, einen ſeeligen Untergang.
Die erhabenſten und goͤttlichſten Bluͤthen in der Ge-
ſchichte unſres Geſchlechts, ſind am ſchnellſten ver-
gangen, am ſchnellſten von dem Andrange ihrer Zeit,
oder vielmehr von ihrem eignen Streben zerſtoͤrt wor-
den, obwohl das Werk ſelber das ſie gethan, fuͤr alle
Zeiten gethan iſt. So wird, wenn die Weſen mit al-
len Kraͤften gerungen, daß ſie den Geiſt einer hoͤheren
Vollendung ergreifen moͤchten, der Genuß ſelber der
Tod, und nur das Streben nach jenem hoͤchſten Mo-
ment hat das Leben aufrecht erhalten. Jedoch iſt je-
nes Streben nicht vergeblich geweſen, und eben die
Gluth jener zerſtoͤrenden Augenblicke, fuͤr die bisheri-
ge Form des Daſeyns zu erhaben, erzeugt den Keim
eines neuen hoͤheren Lebens in der Aſche des unterge-
gangenen vorigen, und das Vergaͤngliche wird, (be-
ruͤhrt und verzehrt von dem Ewigen) aus dieſem von
neuem wieder verjuͤngt. Auf dieſe Weiſe wird uns ei-
ne der kuͤnftigen Vorleſungen in vielen Thatſachen die
aus der Natur ſelber geſchoͤpft ſind, zeigen, wie ge-
rade in den hoͤchſten Augenblicken des jetzigen Daſeyns
der Dinge, die Anlagen zu einem kuͤnftigen hoͤheren
erzeugt werden, und oft in dieſen ſelber, oder bald nach-
her ſichtbar werden. Aus dieſem Grunde ſind jene
hoͤchſten Augenblicke zerſtoͤrend, weil ein neuaufgehen-
des hoͤheres Streben das alte verdraͤngt, weil von nun
an die Empfaͤnglichkeit fuͤr die Einfluͤſſe des jetzigen
Daſeyns ſich vermindert.
Es hat auch die Vorwelt in dieſem Geſetz, welches
die hoͤchſten Momente des Lebens unmittelbar mit dem
Tode verknuͤpft, das Geheimniß der Liebe und des
Todes, die Hoffnung einer unſterblichen Fortdauer
unſres Weſens, und den Troſt uͤber den Untergang der
hohen alten Vergangenheit gefunden. Es wurde des-
halb in den Myſterien der Egypter und zu Eleuſis,
auf die Geſchichte der alten Zeit gedeutet, *) und den
Eingeweiheten die Zuverſicht einer ſeeligen Fortdauer
nach dem Tode gegeben. Das Bild, unter welchem
in den Myſterien der Tod erſchien, ſtellte dieſen dem
Gemuͤth vielmehr lieblich und ſuͤß, als ſchrecklich dar,
und die Einweihung wurde deshalb als ein Mittel gegen
die Furcht vor dem Tode geprieſen. **) Ja es ward
noch den Sterbenden, und nach einem frommen Glau-
ben ſelbſt den Todten der Hinuͤbertritt in ein neues Da-
ſeyn durch die heilige Weihe erleichtert. *)
Doch ich will jetzt Einiges hieher gehoͤrige aus den
Myſterien ſelber erzaͤhlen. In einem traurigen Spie-
le, ſtellten die egyptiſchen Prieſter in ſtillen Fruͤhlings-
naͤchten die Leiden und den Tod des Oſiris vor. Ein
ſchoͤner See an dem Tempel bey Sais war der Schau-
platz, und es erſchienen in dieſen Myſterien Saͤrge
und Graͤber. Zugleich bedeutete Oſiris die zeugende,
hervorbringende Kraft. **) Nach der gewoͤhnlichen
Sage war dieſer Gatte der Iſis von dem Typhon zer-
riſſen, und dieſes erhabene Goͤtterpaar erſchien dem
Alterthum zugleich als Vorbild der hoͤchſten Vollendung
und der tiefſten Leiden. Den Leichnam des Oſiris trie-
ben die Wellen an die phoͤniciſche Kuͤſte bey Biblos,
wo eine junge Staude den Sarg und den Leichnam in
ſich empfaͤngt und voll Mitleid in ihrem Stamm be-
graͤbt. Als den heiligen Stamm der Koͤnig des Lan-
des umzuhauen befohlen, da erſcheint ploͤtzlich die
einſame, in Schmerzen verſunkene Goͤttin, erſt in Ge-
ſtalt eines Weibes, ſchweigend, nur durch himmli-
ſchen Duft ſich verrathend, auf dem Brunnen ſitzend,
hierauf als Schwalbe, ſeufzend auf dem geliebten
Baume. Der offenbar gewordnen Gottheit wird der
theure Leichnam zuruͤckgegeben.
Dieſe Wanderungen der Iſis ſind in die Elenſinien
uͤbergegangen, wo die Iſis als Ceres, Oſiris als
Proſerpina erſcheint. *) Es war die Proſerpina eine
Goͤttin des Todes und der ewig neuentſtehenden Keime,
ihr Nahme von Phosphorus hergeleitet, welcher ſchon
im Alterthum als eine Fackel des Todes und der Liebe
verehrt war. Nach einer egyptiſchen Sage war auch,
um die Leiden der ewigen Goͤttin zu vermehren,
der junge Sohn der Iſis, Horus, von dem Typhon
getoͤdtet. In den Eleuſinien war er durch den jungen
Jachus dargeſtellt. Dieſer, bald ein Sohn der Ce-
res, bald der Proſerpina genannt, wird als Saͤug-
ling abgebildet. Jener Tag, wo man den Tod des
jungen Jachus beweinte, war in den Myſterien der
Heiligſte. Zugleich wurde an ihm, in Koͤrben ver-
wahrt, das Symbol der ewigen Wiederverjuͤngung der
Natur und des Schaffenden verehrt (der Lingam).
Die Blumen der Liebe — Myrten und Roſen, deute-
ten in den Myſterien auf den Tod. So erſchienen
Liebe und Tod, das ſeeligſte Streben des Gemuͤths
und der Untergang des Individuums vereint.
Auch in den Feſten des Adonis, wurden die ſuͤße
Liebe und der Tod zugleich verherrlicht, und in den
Myſterien der Cureten wurde Jaſion, welcher in der
Liebe der großen Goͤttin ſeinen Untergang gefunden,
beweint. Waͤhrend die Klagen um die Liebe und den
Tod des Adonis, von den phoͤniciſchen Frauen in
freyer Natur, die an dieſen Klagen Theil genommen,
gefuͤhrt wurden, geſchahen die Myſterien der Coryban-
ten, in denen der junge Cadmillus an die Stelle des
Adonis trat, bey ſtiller Nacht, in einſamer Hoͤhle.
Dieſer fruͤhe hingeſchiedene Juͤngling, wurde in einer
ſpaͤteren Umwandlung dieſes Gottesdienſtes, als Cu-
pido, als hervorbringende, ſchaffende Liebe darge-
ſtellt, welches er, wie aus einigen andern ſcheint,
auch ſchon fruͤher andeutete. *) Auf aͤhnliche Weiſe
wird in den Myſterien der Daktylen, welche den Berg
Ida in Phrygien durch ihre geheime Lehre verherrli-
chet, durch den jungen Celmis das Sehnen der ju-
gendlichen Liebe, und der fruͤhe Untergang derſelben
bezeichnet. In der Nachtgleiche des Fruͤhlings, wur-
de, gleichfalls in Phrygien, von den Korybanten das
Trauerfeſt des Attis gefeyert, welcher, wie Adonis,
in der erhabenen Liebe einer Goͤttin eine kurze Seelig-
keit genoſſen. Blos der erſte Tag war traurig, an
ihm wurde eine Pinje mit dem Bild des Attis umge-
hauen, am zweyten wurde auf Hoͤrnern geblaſen,
endlich am dritten, zugleich mit der Einweihung, wie
es ſcheint, die Wiederkehr ins Leben gefeyert. Ein ſol-
ches Wiederaufleben des geliebten Geſchiedenen, eine
ewige Wiedererneuung aus dem Tode, wurde in allen
Myſterien verherrlicht. Erſt in den Zeiten des Ver-
falls der Myſterien, wurde dieſes Feſt von den Prie-
ſtern mit einem blutigen Wahnſinn gefeyert, und mit
einem traurigen Geſange, mit zerſtreueten Haaren, mit
bloßem Schwerd und brennenden Fackeln, irrten ſie
durch Wald und Berg, bis dieſer Wahnſinn einen grau-
ſamen Ausgang nahm. *) Fruͤhere Zeiten hatten hier-
mit einen ſowohl erhabneren als lieblicheren Sinn ver-
bunden.
Nach der heiligen Reinigung im Fluſſe Meilichus,
mit Epheu begraͤnzt, feyerte die zarte Jugend zu Pa-
trae, in dem Feſte des Bachus oͤffentlich, wie es
ſcheint, mehr ein Feſt der Liebe als des Todes. Es
ſollte dieſe Gottheit den jungen fruͤhe untergegangenen
Jachus in den Myſterien andeuten.
In den Myſterien des Mithra iſt das untergehen-
de Streben der alten Zeit durch den heiligen Stier,
welchen der aͤltere Orient als ein Symbol der hervor-
bringenden Erde verehrt, dargeſtellt. Es wird hier
durch den Scorpion und die Schlange daſſelbe bezeich-
net, was in den egyptiſchen Myſterien Typhon iſt *)
und aus dem gemarterten Leibe des untergehenden
Thieres, erhebt ſich, ewig, und zur Schoͤpfung der
neuen Zeit thaͤtig, die hervorbringende Kraft, aus
welcher Blumen und Thiere aufkeimen. Auf dem
Aſte eines neuausſchlagenden Baumes, verkuͤndet mit
prophetiſchem Geſange ein Rabe das Aufleben der
neuen Zeit aus der untergehenden alten, und waͤh-
rend der Genius der Zeit den Stier erlegt, wird in
Oſten das Bild der aufgehenden Sonne, in Weſten
das des niedergehenden Mondes geſehen.
So iſt in allen jenen Myſterien, der Tod und die
Liebe, der Untergang und die Wiedererneuung der
Dinge, zu Einem Bild vereint, dargeſtellt worden.
Dieſe Vereinigung ſo entgegengeſetzt ſcheinender Dinge,
iſt in der indiſchen Mythologie wo moͤglich noch
deutlicher. Eben der Gott Shiven, welcher mit ſei-
ner Gattin das Bild des Zerſtoͤrenden, des Untergan-
ges, des Todes iſt, wird zugleich als Sinnbild der
allerzeugenden Urkraft verehrt. Die Gemahlin des
Gottes iſt zugleich Koͤnigin des Schreckens, des Todes
und Goͤttin der Liebe, des ſinnlichen Vergnuͤgens und
des Urſprungs der Dinge. **) Wenn bey dem großen
Feſte dieſer Goͤttin, welche alle Schrecken und alle
Liebreize in ſich vereint, ihr ſchweres Bildniß auf ei-
nem Wagen mit ſchneidenden Raͤdern nach dem Gan-
ges gefuͤhrt wird, ſieht man, mit Bluͤthen begraͤnzt,
in froͤlichem Wahnſinn, als ob ſie zum Hochzeitaltar
giengen, eine Schaar Begeiſterter, welche ſich unter
die Raͤder des Wagens werfen, und bey dem Klange
der Hoͤrner von den Meſſern derſelben in Stuͤcke zer-
ſchnitten, ſich ſelber zum Opfer bringen. — Auf dem
Berge Meru, auf goldenem Tiſche, ſteht in der ewi-
gen Lotosbluͤthe das Symbol des Gottes Shiven, wel-
ches das in den griechiſchen Myſterien verehrte des ir-
diſchen Urſprungs iſt *) zugleich mit dem heiligen
Dreyeck, dem Symbol der zerſtoͤrenden und zeugen-
den Goͤttin Bhovani. **) Dieſe Vereinigung des Zer-
ſtoͤrenden und Zeugenden, des Todes und der Liebe,
iſt nach dem Ausſpruch eines indiſchen Dichters nicht
allein den Menſchen, ſondern ſelbſt den Goͤttern als
ein Raͤthſel voll tiefen heiligen Sinnes hingeſtellet.
Endlich, damit ich das Uebrige kurz faſſe, ge-
hen, abgeſehen von etwas Aehnlichem bey den Mexi-
canern *) die Zuͤge jenes Inhalts der Myſterien, bis
in die heilige Sage der Scandinavier, und der alten
deutſchen Staͤmme hinuͤber. Balder, der ſchoͤnſte
und beſte unter allen Goͤtterſoͤhnen, iſt vor Allen zu
einem fruͤhen Tod erſehen. Was hilfts daß ſein Va-
ter die alte Whole, deren Leichnam Jahrhunderte
lang der Schnee und das Eis bedeckt, und der Thau
des Himmels benetzt hat, durch grauſamen Zauber in
der letzten Ruhe ſtoͤrt, und zum Weiſſagen zwingt,
was hilfts, daß alle Dinge, das Waſſer und die Luft,
Erde, Feuer und Eiſen, alle Gifte, Pflanzen, Thie-
re und Menſchen, außer der kleinen Staude Miſtilteire
vor dem Pallaſt des Odin, welche zu jung zum
Schwur geachtet war, mit heiligem Eide geloben,
den Balder nicht zu toͤden, es wird doch der Sichere,
allen Elementen Unverletzliche, durch die zu gering ge-
achtete Pflanze, von einem Blinden erſchlagen. Hier-
auf, als mit dem unſterblichen Ring des Odin in die
Unterwelt hinabgeſendet, der ſchnelle Hermode um
die Gunſt der großen Goͤttin mit lauterem Getoͤs als
fuͤnfmal fuͤnftauſend Tode die Bruͤcke zum Schatten-
reich durchſtuͤrmet, als die ganze Natur durch ihre
Thraͤnen den jungen Halbgott zuruͤckruft, bleibt aller
dieſer Jammer vergeblich, weil ein einziges feindliches
Weib in die Klagen der ganzen Natur nicht einſtimmt,
und nur der ewige Ring des Odin, der, jeden neun-
ten Tag einen ihm aͤhnlichen Ring gebaͤhrend, ſeit-
dem zugleich ein Sinnbild der neuen Erzeugung aus
ſich ſelber und des Todes iſt, wird zuruͤckgebracht.
So iſt es ein Hauptinnhalt der meiſten Myſterien
und heiligen Sagen, daß der Tod aus der Liebe, Un-
tergang des Individuellen aus dem hoͤchſten Streben
der Seele hervorgienge. Hiermit verliert der Tod
ſeine Schrecken, und es erſcheint in ihm der Moment,
wo jene hoͤheren Organe, jene hoͤheren Kraͤfte, die
wir waͤhrend des Lebens vergeblich erſtrebt haben, in
uns durch die Flamme eines großen Augenblicks er-
weckt werden. Alsdann wird der Pſyche dieſe Huͤlle
zu enge, es vergeht dieſe Form, damit eine neue hoͤ-
here aus ihr wiederkehre. —
Es deuteten die alten Myſterien, wie wir es von
den meiſten wiſſen, *) außer dieſem noch ganz vor-
zuͤglich auf die Geſchichte der hohen, untergegangenen
Urzeit, und auf die Gruͤnde dieſes Unterganges.
Nach dem ewigen Naturgeſetz unterlag die große Vor-
welt, als ſie ihre letzten und hoͤchſten Kraͤfte an das
kuͤhnſte und erhabenſte Werk gewagt. Es wird die-
ſes in verſchiedenen Sagen angedeutet (als jener
Thurmbau, Kampf der Titanen u. ſ. w.) am haͤufig-
ſten jedoch wird das Bild gebraucht, daß der Menſch
in der Liebe und der innigen Gemeinſchaft einer Gottheit
eine kurze Seeligkeit, und fruͤhen Tod gefunden. Aber
eben in jenem Naturgeſetz, deſſen tiefer Sinn in den
Myſterien gedeutet wurde, lag der Troſt uͤber das fruͤ-
he Verſinken des alten Gluͤcks. Nur die alte Form
war vernichtet, weil ſie dem hoͤheren Streben der neuen
Zeit, das in dem naͤmlichen großen Moment, welcher
die alte zur letzten Bluͤthe und zugleich zum Tode ge-
fuͤhrt hatte erwachte, zu enge war. So wurde in
dem Untergang der alten Herrlichkeit, die Zuverſicht ei-
ner hoͤheren, unvergaͤnglicheren gefunden.
Und dieſes iſt der alte Weihgeſang der Myſterien,
ein Brautlied und ein Lieb der Graͤber: Wer hat dich
heraufgefuͤhrt hoher Frieden, wer hat dich uns gezeigt
heilige Wonne! Als unſre Seele ſich erhub dich zu er-
faſſen, ſtarbſt du, in der Gluth unſers Sehnens, der
Kranz der Liebe ſank auf Graͤber. — Dein eignes
Streben o Menſch! hat mich, heilige Wonne herauf-
gefuͤhrt, in deinem eignen, noch hoͤherem Streben,
bin ich untergegangen. Eile hinaus zu immer hoͤhe-
rem Ziel! ſiehe bald bluͤhet der Kranz deines Sehnens
von neuem. Der Winter eilet ſchnell voruͤber, die
Stunde des Todes und der Liebe koͤmmt nahe!
Wir finden, daß gerade das hoͤchſte Streben in uns,
jenes Sehnen, das ſich bey Einigen an mehr, bey Ande-
ren an minder wuͤrdigem Gegenſtand, an groͤberem oder
geiſtigerem Genuß erſchoͤpft, uns zum Grabe fuͤhret;
auf daß wir aus dieſem zu immer hoͤherem Streben,
immer hoͤherem Sehnen wiedergebohren wuͤrden. Die
Gluth aber jener hoͤchſten Augenblicke, welche das
Vergaͤngliche an uns verzehrt, weil dieſes das Ewige
nicht faſſen koͤnnen, iſt das einzige Unvergaͤngliche in
uns. Dieſe ſchwebt heilig und ſchoͤn uͤber dem zerfloſ-
ſenem Angeſicht der Gruft, und ſie gehet mit uns hin-
uͤber, durch die Thore eines neuen, hoͤheren Aufgangs.
Das andre Alles iſt vergangen, den Glanz jener heili-
gen Augenblicke, welche uns zugleich gelaͤutert und
zerſtoͤrt, bringen wir mit uns hinauf. Wir halten
die Weihe eines wahrhaft guten und heiligen Strebens,
mit dem Leben nicht zu theuer bezahlt, und finden in
dem Gelingen eines goͤttlichen Werkes, einen ſeeligen
Untergang. Auf dieſe Weiſe pflegt ein kuͤhnes Gemuͤth
mit der Flamme zu ſcherzen, welche es verzehrt, und
es erkennet in ſeinem Untergange den Aufgang eines
neuen, immer beſſeren Strebens, in dem Grabe die
hoͤhere Wiedergeburt unſres unvergaͤnglichen Sehnens.
Wir ſahen im Vorhergehenden, wie die zunehmende
Selbſtſtaͤndigkeit des Menſchen, dieſen der Obergewalt
der Natur, zugleich aber auch den paradieſiſchen Freu-
den der erſten goldnen Zeit entzogen. Zugleich hatte
die ſchaffende Gewalt der Natur, der Einfluß derſel-
ben auf den Menſchen, an Intenſitaͤt verlohren, und
der Menſch wurde ſelbſt aͤußerlich, in Hinſicht der er-
ſten Lebensbeduͤrfniſſe, auf ſeine eigenen Kraͤfte zuruͤck-
gewieſen, als die Mutter, welche ihn in der Fuͤlle der
erſten Zeit uͤberfluͤſſig ernaͤhrt, mit ihren Gaben ſpar-
ſamer geworden. Es wurde jetzt die Kultur des Landes
noͤthig, *) und es iſt einer der bedeutendſten Zuͤge der
Geſchichte, daß die Entſtehung und Verbreitung der
Myſterien, deren Bedeutung wir im Vorhergehenden
kennen lernten, mit der des Ackerbaues zuſammen-
faͤllt, und daß viele jener heiligen Gebraͤuche, die
doch ſelbſt nach den Alten auf das Beginnen einer neuen
Zeit und auf den Untergang eines ſchoͤnen ſeeligen Be-
ſitzes unſres Geſchlechts deuteten, zugleich mit dem
Ackerbau in Beziehung ſtunden. Von dieſem wurden
ſehr oft Bilder hergenommen, und die in die Unter-
welt verſunkene Perſephone mit dem in die Erde ge-
legten Saamenkorn, das Wiederaufleben einer als tod
beklagten Gottheit, mit dem Hervorſproſſen deſſelben
verglichen. In andren Myſterien wurden die Bilder
aus der Aſtronomie genommen, und Anſpielungen auf
die Abweſenheit der Sonne und das Wiedererſcheinen
derſelben gemacht. (Wenigſtens iſt es Einigen — vor-
zuͤglich Gatterer — eben ſo gut gelungen, die egypti-
ſchen Myſterien aſtronomiſch zu erklaͤren, als Andern
jene oͤkonomiſche Erklaͤrung der Eleuſinien.) Die Be-
deutung der Iſis und Ceres in der ganzen alten Welt,
die Einfuͤhrung des Ackerbaues, welche ihr, die zu-
gleich den Myſterien ihren Urſprung gegeben, allge-
mein zugeſchrieben wurde, *) laſſen leicht den Zuſam-
menhang der Cultur des Landes und der Myſterien er-
kennen.
Wenn aber, wie wir im Vorhergehenden ſahen,
jene Weihungen die Klagen und den Troſt uͤber den
Untergang der alten herrlichen Vorwelt, und des In-
dividuums uͤberhaupt enthielten, wenn ſie zugleich troͤ-
ſtend auf die aufgehende neue Zeit, deren maͤchtigeres
Licht ja allein das ſchon verbleichende Geſtirn der alten
Zeit vertrieben, hindeuteten, ſo war jener Zuſammen-
hang ſehr natuͤrlich. Allerdings war in den Myſterien
ungleich mehr bewahrt als Regeln des Landbaues: die
Zuverſicht des kuͤnftigen Heils das aus dem neuen
Streben des Menſchen erbluͤhen ſollte. Aber die
Stifter der Myſterien, welche uͤbrigens auch die Cul-
tur des Landes als Religionscultus einfuͤhrten, haben
hiermit den Voͤlkern die noͤthigen Huͤlfsmittel zu der
nun noͤthig gewordnen aͤußeren Selbſtſtaͤndigkeit und
Unabhaͤngigkeit des Menſchen von der ungleichen Gunſt
der Natur (die man nun mehr nach eignen Willen zu
erzwingen gewußt) in die Hand gegeben. Der Acker-
bau iſt, wie wir ſchon fruͤher ſahen, fuͤr die neue Zeit
charakteriſtiſch.
Die Myſterien bilden einen ſchoͤnen Uebergang der
alten Welt zur neuen. In ihnen, oder mit ihnen zu-
gleich, bewahrten die egyptiſchen Prieſter die noch uͤbrig-
gebliebenen Truͤmmer der alten Naturweisheit. Die-
ſe wurden nicht auf jene Weiſe mitgetheilt, wie wir
zu unſrer Zeit die Wiſſenſchaft mittheilen, ſie wurden
allem Anſchein nach im gewoͤhnlichen Sinne weder ge-
lehrt noch gelernt; ſondern ein Abbild der alten Natur-
offenbarungen, mußte das Verſtehen aus der Seele des
Schuͤlers ſelber, als Begeiſterung kommen.
Aus dieſem Grunde ſcheinen jene vielfaͤltigen Vor-
bereitungen und Laͤuterungen gekommen, deren Stren-
ge Viele von der Einweihung der egyptiſchen Prieſter
zuruͤckgeſchreckt, ja nicht ſelten den Schuͤlern das Le-
ben geraubt hat. Ein langes Faſten und die hoͤchſte
Nuͤchternheit, ſchienen vorzuͤglich noͤthig, außer dieſem
wurde der Leib durch die haͤrteſten Anſtrengungen, und
ſelbſt durch willkuͤhrlich hervorgerufene Schmerzen ohn-
maͤchtig, und ſo fuͤr aͤußere Einfluͤſſe und die Bewe-
gungen des Gemuͤths empfaͤnglicher gemacht. Es wur-
de hernach der Phantaſie in Bildern (wie noch ſelbſt
aus der Beſchreibung der Eleuſinien ſcheint) der tiefſte
Innhalt der Myſterien vorgefuͤhrt, und der innre
Sinn mehr durch den Geſamteindruck des Ganzen ent-
flammt als (wie bey uns geſchieht) durch ein Ausein-
anderſetzen der einzelnen Thatſachen unterrichtet.
Auf dieſe Weiſe wurde den Eingeweihten nicht der tode
Koͤrper der Wiſſenſchaft uͤbergeben, und es ſo dem Zu-
falle uͤberlaſſen, ob dieſer ſich bey ihnen beſeelen wuͤr-
de oder nicht, ſondern der lebendige Geiſt der alten
Naturweisheit ſelber.
Aus dieſem Grunde, weil naͤmlich der Innhalt
der Myſterien mehr offenbart werden mußte, als ge-
lehrt, mehr von innen aus der Begeiſterung und goͤtt-
lichen Trunkenheit des Gemuͤths kam, als von außen
durch muͤndlichen Unterricht, durfte dieſelbe auch dem
Volk nicht oͤffentlich verkuͤndigt werden. Es wurde bey
allen Prieſtern dieſer Zeit, von den Egyptern bis zu
den alten Scandinaviern mit dem Tode beſtraft, wenn
die Eingeweiheten den Innhalt der Myſterien durch
kalte Rede oder Beſchreibung, an Solche, welche die
Begeiſterung der Weihe nicht empfiengen, entheilig-
ten. *) Dem Volke durfte die Wahrheit nur in dunk-
len Bildern und Beyſpielen dargeſtellt werden, und
ſelbſt dieſe Gleichniſſe durften bey den alten Scandina-
viſchen Prieſtern nicht dem todten Buchſtaben anvertraut
werden. **) So feſt war noch bey jener alten Welt
der Glaube: die wahre Weisheit koͤnne nicht ſowohl
von dem Menſchen an den Menſchen mitgetheilt, als
vielmehr einem empfaͤnglichen Gemuͤth durch den hoͤhe-
ren (goͤttlichen) Einfluß offenbart werden.
So erſcheinen uns die Myſterien noch als das letz-
te Denkmahl ihres Daſeyns das die ſcheidende alte
Zeit der neuen hinterlaſſen. Schon tragen die Voͤlker
bey denen jene heilige Weihe vorzuͤglich gebluͤhet, einen
von dem der alten Welt ſehr verſchiedenen Charakter,
und die Myſterien ſelber deren edlerer Urſprung wohl
gewiß ſcheint, ſind bey Vielen in die wildeſten Graͤuel
ausgeartet. Man befrage uͤber jene Voͤlker die Ge-
ſchichte der Aſtronomie und des Naturcultus, ſo wird
man dieſen angebohrnen Vorzug des Menſchen bey ih-
nen allen weit unvollkommner und unausgebildeter
finden.
Es iſt bekannt, welche große Muͤhe und lange
Verſuche in Griechenland blos die einfache Eintheilung
der Zeit gekoſtet hat. Noch ſind die Gedichte des
Orpheus und Linus aſtronomiſchen Innhalts geweſen,
und wir wiſſen aus der Tradition, die uns von ihnen
noch Zahlen der Zeitrechnung aufbewahrt hat, daß ſie
die Bedeutung jener merkwuͤrdigen Zahl 432, deren
Kenntniß nach unſrer Meynung ſchon ein tieferes Ver-
ſtehen der alten Naturweisheit vorausſetzte, gekannt
haben. *) Doch tritt bald nachher uͤber dieſe Gegen-
ſtaͤnde die groͤßte Ungewißheit ein. Als vorzuͤglich
ungeſchickt und unbequem faͤllt die zweyjaͤhrige Inter-
calationsmethode auf, die wir noch zu unſers Aelter-
vaters Hippocrates Zeiten finden **) und wenn nicht
die Olympiſchen Spiele der Chronologie zu Huͤlfe kaͤ-
men, wuͤrde dieſe bey den Griechen noch ungleich
ſchwieriger ſeyn als ſie es ſchon iſt. Jene wahrhaften
und tiefen Kenntniſſe der Natur und des Weltgebaͤu-
des, welche Thales von den egyptiſchen Prieſtern, in
deren Geheimniſſe er eingeweihet war, mitbrachte,
vermochten ſich doch auf griechiſchem Boden nicht lange
zu erhalten und ſchon ſeine naͤchſten Nachfolger und
Schuͤler (beſonders Araximenes *)) erlaubten ſich wieder
die Natur auf ihre Weiſe zu dichten.
Ueberhaupt hat man mit Recht anerkannt, daß
die Aſtronomie der Griechen blos aus den verſchiedenen
Meynungen ihrer Philoſophen beſtehe.
So waren, waͤhrend bey andren aͤlteren Voͤlkern
die Kenntniß von der Umlaufszeit der Weltkoͤrper, der
Perioden, der wahren Geſtalt und andrer Verhaͤltniſ-
ſe derſelben, ein allgemeines Eigenthum geweſen, die
Griechen Jahrhunderte lang vergeblich bemuͤht, nur
die eigentliche Dauer des Jahres aufzufinden, und
uͤber die Geſchichte des Weltgebaͤudes, die jenen allge-
mein nach ihren Grundzuͤgen bekannt war, erlaubten
ſich dieſe nach Willkuͤhr, jetzt dieſe dann jene Meynung
zu hegen.
Eine nicht geringere Ungewißheit in der Einthei-
lung der Zeit, herrſchte bey den alten italiaͤniſchen
Voͤlkern, bis Numa hierin einige Abaͤnderung traf.
— Wenn ſich bey den Juden, wie Joſephus berich-
tet, die Sage erhalten hatte, daß die Patriarchen be-
ſonders hohe Kenntniſſe der Natur, vornehmlich aſtro-
nomiſche beſeſſen haͤtten, ſo waren doch dieſe ſpaͤter
bey dieſem Volke wieder ganz zuruͤckgetreten, und wir
finden bey ihm keine Spuren des von uns ſo genannten
aſtronomiſchen Inſtinkts.
So hatte ſich gerade bey jenen Voͤlkern, wo der
hoͤchſte Moment der neuen Zeit (das Chriſtenthum) am
vollkommenſten vorbereitet war, wo dieſer am fruͤheſten
und maͤchtigſten eintrat, der natuͤrliche Charakter der
alten Zeit (die Abhaͤngigkeit von der Natur) ſchon am
meiſten verlohren.
Schon war im juͤngeren Heydenthum der Charak-
ter der neuen Zeit, welchen die Macht des eignen Wil-
lens und das Streben nach der Vollendung deſſelben
bezeichnet, erwacht, und dieſer iſt dem Weſen der al-
ten Zeit, das in gaͤnzlicher Hingebung des Einzelnen
in die Einfluͤſſe des Ganzen beſtund, geradehin entge-
gengeſetzt. Deshalb ſehen wir ſogar in China die
vieltauſendjaͤhrige Reihe der aſtronomiſchen Beobach-
tungen, und mit ihr den alten Naturcultus, mit dem
Eintritt des beruͤhmten Confucius und ſeiner neuen Leh-
re auf einmal gaͤnzlich abgebrochen; ſo daß auch hier
das Erwachen des menſchlichen Forſchungsgeiſtes und
des freyen Strebens, zugleich den Untergang des alten
Naturcultus bezeichnet.
Wo bey Voͤlkern, an denen ſich der Charakter der
neuen Zeit ſchon zu entfalten angefangen, noch Etwas
aus der alten Zeit uͤbrig geblieben, erſchien dieſes mehr
krankhaft. Von der Art krankhafter Erſcheinungen
waren vorzuͤglich die Orakel, welche im juͤngeren Hey-
denthum nach einen Nachhall des eigentlichen und al-
ten erkuͤnſtelten. Krankhafte Erſcheinungen in der Ge-
ſchichte des menſchlichen Geiſtes ſind ſie geweſen, nicht
aber durchaus Betruͤgerey, wie Einige Erklaͤrer des Al-
terthums gewollt haben. Denn wenn auch in den
letzten Zeiten des Verfalls dieſer heydniſchen Inſtitute,
der Eigennutz und die Hinterliſt der Prieſter oft genug
das ſeit Jahrhunderten begruͤndete Anſehen der Orakel
zu Vetruͤgereyen misbrauchte, iſt doch eben dieſes
langdauernde Anſehen bey ganzen Generationen, ſind
viele Thatſachen, die wir noch aus der Geſchichte der
Orakel wiſſen, eben ſo wenig aus Taͤuſchung zu er-
klaͤren, als alle Erſcheinungen des Somnambulismus.
Dieſer groben Anſicht, welche den Knoten, den ſie
nicht zu loͤſen vermag, geradezu zerhaut, iſt die der
erſten Chriſten, welche jene dunklen Erſcheinungen ge-
radezu aus der Einwirkung eines ſchlimmen (krankhaf-
ten) Naturgeiſtes herleiteten, noch weit vorzuziehen.
Der Blick in das Zukuͤnftige, die Gabe der Vor-
ahndungen, iſt der menſchlichen Natur nicht fremd.
Doch giebt es eben ſowohl eine von kranker und fal-
ſcher als eine von geſunder und wahrhaft aͤchter Art,
obwohl jene fuͤr den aͤchten Forſcher eben ſowohl
ein wahrhaftes Intereſſe haben muß, als dieſe, wie
auch der Naturforſcher denſelben Bau der Bluͤthe er-
kennt, ſey es, daß dieſe der geſunde Baum in ſeinem
natuͤrlichen Boden und Clima getragen, oder daß ſie
dem zarten, kraͤnklichen Fremdling in einer unguͤnſtigen
Heimath abgezwungen worden; nur daß jene an Duft
und Glanz der Farben und durch die nachfolgende
Frucht die innere geſunde Fuͤlle vor dieſer andeutet,
welche ſelten fruchtbar, das Licht der fremden Sonne
mit matteren Farben erwiedert. — Geſunder Art iſt
allerdings jene prophetiſche Anſchauung der Natur und
Geſchichte, welche der erſten Vorwelt eigenthuͤmlich
war, und dieſe ſcheint noch jetzt der Natur beſſerer
Menſchen in dem Augenblick einer hoͤheren Begeiſterung
nicht fremdartig. Geſunder und kraͤftiger Art ſcheint
auch der Geiſt der Vorahndungen da geweſen, wo er,
wie oft geſchehen, ganze Voͤlker, ja ganze Welttheile
ergriffen. Eine ſolche Vorahndung hat bekanntlich die
Amerikaniſchen Voͤlker in den entfernteſten Theilen des
Welttheils, die untereinander ſchwerlich in unmittel-
barer Verbindung geweſen, gleichzeitig auf die An-
kunft der Europaͤer und des Chriſtenthums vorbereitet.
Von einer alten, den verſchiedenſten Voͤlkern bekann-
ten Weiſſagung angekuͤndigt, trafen dieſe Kinder der
Sonne ganze Laͤnder ſchon im Voraus zum Gehorſam
oder doch zur Furcht geneigt, und ohne jenen dunklen
Geiſt der Ahndung, welcher ihnen vorausgegangen,
haͤtten ihre Waffen jene Wunderwirkungen kaum ver-
mocht. — Eine aͤhnliche Vorahndung bey vielen Voͤl-
kern, gieng auch dem Chriſtenthum ſelber, bey ſeiner er-
ſten Verbreitung voraus.
Krankhafter Art dagegen ſind jene Vorahndungen,
von denen ich mehrere Faͤlle in einer der ſpaͤtern Vor-
leſungen auffuͤhren werde, und vielleicht daß von dort-
aus auch einiges Licht uͤber die Natur der Orakel gewon-
nen wird. Es giebt hier eine Menge Thatſachen,
welche der Natur der Orakel verwandt ſind, ſo daß,
wenn dieſe nicht gelaͤugnet werden koͤnnen, auch jene
nichts Unbegreifliches mehr behalten. Am naͤchſten
aber ſtimmen mit der Natur der alten Orakel und mit
der des Daͤmonismus jene Erſcheinungen uͤberein, deren
Mehrere Beda aus der Geſchichte der amerikaniſchen
Voͤlker, andre und neuere Reiſebeſchreiber aus der Ge-
ſchichte der wilden Bewohner von Madagascar, Bor-
neo und Java erzaͤhlen. Auch hier ſehen wir wahn-
ſinnig Begeiſterte ſich und Andren das zukuͤnftige Schick-
ſal, oder auch die krankhafte menſchliche Natur, die be-
vorſtehende Witterung, *) ja ſogar die Ankunft fremder
Schiffe voraus verkuͤnden. (Merkwuͤrdig iſt vorzuͤglich
die bekannte Geſchichte der Virginianerin.)
Dieſe Anſicht, welche die Orakel als krankhafte
Erſcheinungen betrachtet, iſt ſchon in den fruͤheſten
Zeiten des Chriſtenthums herrſchend geweſen, und es
wird die Begeiſterung der weiſſagenden Prieſterinnen
von den damaligen Chriſten mit jenem krankhaften
Wahnſinn verglichen, welchen ſie Daͤmonismus ge-
nannt; beyde zeigten dieſelben Symptome, und wur-
den auf dieſelbe Weiſe geheilt. Ja ſelbſt Lucan be-
ſchreibt die Begeiſterung der Pythia wie einen dem epi-
leptiſchen nicht unaͤhnlichen Zuſtand, waͤhrend derſelbe
bey Virgil freylich unter einem edleren, erhabneren
Bilde erſcheint, obgleich der uͤbereinſtimmende Bericht
aller Schriftſteller der damaligen Kirche, naͤher mit Lu-
cans Beſchreibung uͤbereintrifft.
Einige Erſcheinungen aus der Geſchichte der Ora-
kel, ſind gewiſſen bey dem Somnambulismus beobach-
teten nicht unaͤhnlich. Es gehoͤrt hieher ſelbſt die aller-
dings merkwuͤrdige Gewalt der erſten Chriſten uͤber
Daͤmoniſche und uͤber die von Apoll Erfuͤllten. Die-
ſe merkwuͤrdige Thatſache laͤßt ſich ſchwerlich laͤugnen,
da ſich die damaligen Kirchenvaͤter hierauf ſo haͤufig
wie auf etwas allgemein Bekanntes berufen, die Hei-
den ſelber zu Zeugen auffordern, und eine Menge vor
aller Augen geſchehene Thatſachen, welche hieher ge-
hoͤren, aufuͤhren. So haͤlt Tertullian die Gewalt
uͤber Daͤmoniſche und Begeiſterte von der erwaͤhnten
Art, fuͤr eine ſo unausbleibliche Eigenſchaft der Chriſten,
daß er verlangte, diejenigen (als ſchlechte unglaͤubige
Chriſten) mit dem Tode zu beſtrafen, denen jene Ge-
walt fehlte. Wir finden dieſe Eigenſchaft der Chriſten
bey Lactantius auf die vom Apoll Erfuͤllten angewen-
det, und Minutius Felix erwaͤhnt gegen die Heiden
ſelber, als einer ihnen Allen bekannten und unlaͤugba-
ren Thatſache, die Ohumacht ihrer Goͤtter, des Ju-
piter wie des Saturn und Serapis, wenn dieſe einen
Menſchen mit dem Geiſt der Wahrſagung erfuͤllten,
gegen die Gewalt der Chriſten. Eine Menge Faͤlle im
ganzen Land und in Rom ſelber bekannt, wo der von
Aerzten und Magiern vergeblich bekaͤmpfte krankhafte
Wahrſagergeiſt, dem Draͤuen eines einfaͤltigen Chriſten
gewichen war, erzaͤhlt Juſtinus in ſeiner vor dem roͤ-
miſchen Volk gehaltnen Schutzrede, andre, damals
ſehr verbuͤrgte, Tertullian in ſeinem Schreiben an den
heidniſchen Landpfleger Scapula. Es wird dieſes von
Athanaſius, Cyprian und Euſebius haͤufig beſtaͤtigt,
und man kann bey dieſen vielfaͤltigen Berichten an
nichts weniger als Betrug denken, da jene Thatſachen
vor unzaͤhligen nuͤchternen und den Chriſten nicht guͤn-
ſtigen Augenzeugen geſchahen.
Wie nun jene krankhaften Erſcheinungen auch in
ihrer aͤußern Form einigen unter uns bekannten Nerven-
krankheiten, und dem Zuſtand des kuͤnſtlichen Som-
nambulismus aͤhnlich ſind, kommen ſie auch darin uͤber-
ein, daß uͤber magnetiſch Schlafende wie uͤber Ner-
venkranke ein fremder feſter Wille nicht ſelten eine be-
wundernswuͤrdige Gewalt aͤußert. Es beruhen bey
dieſen hierauf einige Heilarten, welche das Volk an-
zuwenden pflegt, bey jenen iſt es bekannt genug, wie
die Naͤhe einer Perſon von einem feſten und entſchiede-
nen Unglauben, die beſten Somnambuͤlen, die in
andern Faͤllen oft genug bewieſen hatten, daß ihr Zu-
ſtand keine Taͤuſchung war, in einen ſolchen unange-
nehmen geiſtigen Zuſtand ſetzt, wie die Annaͤherung
eines geſunden und ſtarken Menſchen, der mit ihnen
in keinem Rapport ſteht, ſie koͤrperlich beaͤngſtigt.
Es wirkte in jenen Faͤllen die Annaͤherung eines
einzelnen Chriſten daſſelbe, was der Eintritt des Chri-
ſtenthums im Ganzen. Denn obgleich die Orakel und
alle mit ihnen verwandte Erſcheinungen des juͤngern
Heidenthums, noch in einigen ſchwachen Ueberreſten
in die erſten Zeiten des Chriſtenthums hinuͤberlebten,
ſehen wir doch dieſen Anfang der neuen Weltperiode
zerſtoͤrend auf jene Truͤmmer der alten wirken, und
jenes Orakel, das zu den Zeiten des Conſtantius *) von
Delphi ausgegangen, wie die im ganzen damaligen
Rom und ſelbſt an dem Hof des Tiberius Aufſehen er-
regende Geſchichte des Schiffer Thamus, die uns
Plutarch behalten, ſind, wenn auch nicht ganz zu-
verlaͤſſig, doch wenigſtens nicht ohne Sinn. Es war
allerdings die Obergewalt der Natur uͤber den Men-
ſchen, zugleich mit dem Eintritt des Chriſtenthums
(in jener Sage der große Pan) unterlegen.
So muͤſſen wir, ſchon was die aͤußere Form an-
betrifft, in den Orakeln die Wirkungen einer krankhaf-
ten menſchlichen Natur erkennen. Wenigſtens ſind ſie
dieſes in den ſpaͤtern Zeiten durchaus geweſen, wenn
auch noch einige Spuren eines edleren Urſprungs und
einer fruͤheren Verwandſchaft mit der beſſeren Vorwelt
in ihnen gefunden werden, wohin vielleicht die An-
fangs unwillkuͤhrliche, aus der Natur der Sache ſelber
hervorgehende metriſche Form der Orakel, und die
Einrichtung einiger der aͤlteſten Orakel deutet, obgleich
auch die metriſche Form ſpaͤter blos willkuͤhrlich, als
eine einmal hergebrachte Gewohnheit beybehalten
ſcheint.
Aber auch dieſe Ausſpruͤche der Orakel ſelber be-
ſtaͤtigen jene Anſicht, indem in ihnen die Zukunft truͤ-
be, und in einem zweydeutigen Lichte, gleich den
Phantaſien im Traume erſcheint. Noch mehr beſtaͤ-
tigt ſie die Weiſe wie jener Zuſtand der Begeiſtrung
der Prieſter, in welchem ſie das Zukuͤnftige vorausſag-
ten, bey den meiſten Orakeln hervorgerufen wurde.
Es geſchahe dieſes naͤmlich ſehr haͤufig durch gewaltſa-
me Mittel.
Am reinſten, und der Natur der alten Zeit noch
am meiſten verwandt, war in dieſer Hinſicht noch das
Orakel zu Dodona, in ſeiner erſten und urſpruͤnglichen
Geſtalt, wovon ich ſchon weiter oben geredet habe.
Bey andren Orakeln wurden die Ausſpruͤche in einem
Zuſtand des kuͤnſtlichen Wahnſinns gegeben, der nach
dem Zeugniß der Alten bald durch Daͤmpfe, welche ge-
wiſſen Oeffnungen der Erde entſtiegen, bald durch be-
rauſchende Quellen hervorgerufen wurde. In dem all-
maͤligen Aufhoͤren jener Ausfluͤſſe der Erde, wurde
auch von den Alten der Grund des Verfalls der Orakel
in ſpaͤterer Zeit gefunden. „Vor Zeiten ſagt ein ſpaͤ-
terer Ausſpruch eines Orakels ſelber, *) entquollen der
Erde eine Menge von Orakeln, Quellen und Daͤm-
pfen, welche mit goͤttlichem Wahnſinn erfuͤllten. Die
Erde aber, vermoͤge jener Veraͤnderungen, welche
die Zeit herbeyfuͤhrt, hat jene Quellen, Daͤmpfe und
Orakel wieder in ſich aufgenommen. Nur noch die zu
Micale, in den Gefilden von Didime, jene von Cla-
ros und das Orakel des Parnaß ſind geblieben.“ Die-
ſe und aͤhnliche Anſichten von dem Entſtehen und end-
lichen Aufhoͤren der Orakel, wird man haͤufig im Alter-
thum finden.
Wenn auch bey einigen Orakeln, wo ſich dem Fra-
genden die Zukunft unmittelbar in ſich ſelber (durch
Traͤume oder Viſionen) offenbarte, die Vorbereitung
durch Faſten und Enthaltſamkeit geſchahe, **) wurde
doch auch dieſe Nuͤchternheit zuletzt durch Einwirkun-
gen von berauſchender Natur unterbrochen. So fin-
den wir uͤberall den Zuſtand jener wilden Begeiſterung,
welchem ſich die Zukunft in truͤben Lichte oͤffnet, durch ge-
waltſame Mittel herbeygefuͤhrt, unter denen wohl das
Schlimmſte das Vergießen von Menſchenblut ge-
weſen.
Wir wiſſen naͤmlich aus der Geſchichte jener Zeit,
daß die Orakel mit den Menſchenopfern zugleich auf-
hoͤrten, daß beyde innig zuſammenhiengen. Beyſpie-
le, wo Menſchenopfer durch Ausſpruͤche des Orakels ſel-
ber verlangt wurden, ſind aus dem Alterthum haͤufig
bekannt. Es giebt uͤberall — nicht blos in Griechen-
land — das juͤngere Heydenthum ſein innres Verder-
ben in Menſchenopfern und andren Grauſamkeiten zu er-
kennen, welche durch Schauder und durch das Ent-
ſetzen des Gemuͤths vor grauſam vergoßnem Blute,
jenen Wahnſinn und die ſchlimme Gewalt der Natur
uͤber die menſchliche Seele unterhielten. So wurde
auch der Goͤtzendienſt zu Mexico, in welchem das
ſpaͤtere Heidenthum in ſeiner tiefſten Verworfenheit er-
ſcheint, mit jener blutigen Vermaͤhlung einer unſchuldi-
gen Jungfrau begonnen, womit dieſes Reich ſeine
Groͤße und ſeine fuͤrchterliche Gewalt uͤber andre Voͤl-
ker begruͤndet, und der blutgierige Kriegergeiſt dieſes
Volkes durch unzaͤhlige jaͤhrliche Menſchenopfer groß
genaͤhrt. Es wurde hier, wie anderwaͤrts, die wilde
Gluth eines an der menſchlichen Natur, — wenn
dieſe als durchaus gutartig angenommen wird — un-
begreiflichen Greueldienſtes, durch das rauchende Blut
des eignen Geſchlechts angefacht, und die Naͤhe der
hoͤheren Welt, die ſich jener ausgearteten Zeit entzo-
gen, in dem Anblick und beſtaͤndigen Umgang des To-
des geſucht. Und doch haben ſich ſelbſt mitten in dem
mexikaniſchen Goͤtzendienſt, wie ihn uns Clavigero be-
ſchreibt, durch einige alte Sagen Spuren einer viel
hoͤheren, beſſeren Weisheit erhalten, die auch an je-
nen Voͤlkern in der aͤlteſten Zeit voruͤbergegangen ſeyn
muß. *)
Es koͤnnen uns die gewaltſamen Mittel, wodurch
das juͤngere Heidenthum jene falſche Begeiſterung er-
zwungen, belehren, wie verſchieden der hoͤhere Ein-
fluß, welcher die aͤltere Welt begeiſtert, von jenem ge-
weſen, dem ſich die ſchon aus der erſten Unſchuld ab-
gewichene juͤngere ergeben. Wir finden allerdings
(ſelbſt aus der Sage jener begeiſternden Daͤmpfe und
Quellen leuchtet dieſes hervor) auch dieſe in einem
Zuſammenhang und innigen Verein mit der Natur,
aber mit der untergeordneten, mit der Natur im en-
geren Sinne. Dagegen war es, wie wir ſchon fruͤher
geſehen, der hoͤhere (goͤttliche) Einfluß, aus welchem
dieſe Natur und der Menſch geworden, deſſen Licht der
Menſch Anfangs in der Natur geſehen. Bis, als
bey dem Erwachen des eignen Willens dem Menſchen
der Gott aus der Natur gewichen war, das leicht ir-
rende Geſchlecht das verlohrne Gut noch in der leeren
Huͤlle ſuchte, und ſich ſo der Gewalt einer an ſich un-
ter ihm ſtehenden Natur hingegeben, welche das Edlere
in ihm zu niedrigem Goͤtzendienſt herabwuͤrdiget.
Es hat ſich das aͤltere und beſſere Heidenthum,
vor jedem Blutvergießen ſchaudernd, blos durch Nuͤch-
ternheit und in frommer Unſchuld der Offenbarungen
der hoͤheren Natur wuͤrdig gemacht, und auf dieſe
Weiſe tiefe und lichte Blicke in ihr Innres gethan. Als
ſich aber dem allmaͤlig reifer werdenden menſchlichen
Geiſt, die Thore in das innre Heiligthum der Natur ge-
ſchloſſen, hat dieſer, aus einem noch unmaͤnnlichen
Trieb, von der Tiefe hinauf einen Weg in daſſelbe,
durch die Pforte des Todes und des Entſetzens, uͤber
blutige Leichname und zerfleiſchte Sterbende geſucht.
Vergeblich — die alte Sonne gieng nicht mehr auf,
und nur ſchwacher Schimmer wird in dem Grabgewoͤl-
be der alten Natur geſehen, die geſunde Begeiſtrung
artet aus in kranken Wahnſinn.
Endlich hat ſich in dem verarmten menſchlichen
Gemuͤth, der blutige Widerſtreit durch den Eintritt
des Chriſtenthums gaͤnzlich gelegt. Der Stern, wel-
chen jene Weiſen aufgehen ſahen, iſt zur Sonne ge-
worden, und ſiehe, ſchon erfreuet ſich ein großer Theil
der Erde ihres Lichts. Der blutduͤrſtige Wahnſinn des
ſpaͤteren Heydenthums, das vielfaͤltige ſchmerzliche
Sehnen nach etwas Beſſerem und Gewiſſerem, iſt in
der Klarheit des neuen Tages wie ein Traum vergan-
gen; wo ſonſt ein trauriger Felß von Menſchenblut
geraucht, ſtehet friedlich, und in erhabener Ruhe, das
Kreuz, und jene grauen Schreckniſſe der Natur, wel-
che ein zerruͤttetes Gemuͤth vergoͤtterte, ſind von ei-
nem wahrhaft goͤttlichen Ideal verdrungen.
Wenn uns die Geſchichte der alten Welt den Men-
ſchen als Einzelnes in dem innigſten Einklange mit der
ganzen Natur kennen lehrt, ſo wird nun die Betrach-
tung der Natur ſelber uͤberall ein gemeinſchaftliches
Geſetz alles Daſeyns, und einen gemeinſchaftlichen
hoͤheren Einfluß, in welchem alle Einzelnen vereint
ſind, anerkennen laſſen. Wir gehen hierbey von der
Betrachtung des Weltgebaͤudes und ſeiner Entſtehung
aus.
Nach der noch immer faſt allgemein herrſchenden
mechaniſchen Anſicht, entſtund das Weltgebaͤude, ver-
moͤge der aͤller Materie eingepflanzten Anziehung, aus
Atomen, welche vom Anfange her in dem Weltenraum
zerſtreut waren. Dieſe Atomen ſollen kleine, den
Sinnen nicht mehr wahrnehmbare Koͤrperchen, von
ſehr verſchiedener Geſtalt, und weiter nicht mehr theil-
bar ſeyn. Aus ihrer verſchiedenen Form, welche
bald viereckt, bald achteckig, bald rund oder ſonſt et-
was ſeyn ſoll, leiten Einige die verſchiednen regelmaͤßi-
gen Geſtalten der Koͤrper her. Wenn im Anfange,
als jene zerſtreueten Staͤubchen hie und da in zufaͤllige
Bewegung geſetzt worden, einige von ihnen, vermoͤ-
ge der ihnen eingepflanzten Anziehungskraft ſich ver-
einten, wuchs dieſe Kraft mit jedem neu hinzukom-
menden Staͤubchen, weil die Anziehung um ſo ſtaͤrker
iſt, je groͤßer die Maſſen ſind. Die dichteſten und ſo-
lideſten Staͤubchen, — denn es wird ſchon unter den
einzelnen Atomen eine verſchiedene Dichtigkeit fuͤr moͤg-
lich gehalten, ſenkten ſich zuerſt nach jenem am fruͤ-
heſten entſtandenen Grundkeime der kuͤnftigen Welt-
koͤrper hin, die weniger dichten ſpaͤter, woher es an
den einzelnen Welten zu erklaͤren ſey, warum der Kern
von der ſolideſten, die nach der Oberflaͤche zu befind-
liche Maſſe von der leichteſten und lockerſten Beſchaf-
fenheit waͤre. In einem beſtimmten Raume muͤßten
ſich die Grundkoͤrper meiſtens nach jenem Punkt hinge-
ſenkt haben, wo die Anziehung durch das Zuſammen-
treffen der dichteſten Atomen zuerſt, und am ſtaͤrkſten
eingetreten, es muͤſſe ſich deshalb die groͤßeſte Maſſe
gegen den Mittelpunkt eines Syſtems finden. Die
allgemeine Bewegung aller Atomen, welche der ganze
Raum des jetzigen Planetenſyſtems vordem enthalten,
nach dem zuerſt entſtandnen Mittelpunkt — nach der
Sonne hin, waͤre durch das Mitwirken der abſtoßen-
den Kraft, welche ihnen eben ſo wie die anziehende
urſpruͤnglich eigenthuͤmlich geweſen ſey, ſeitwaͤrts ab-
gelenkt worden, hierdurch ſey eine kreisfoͤrmige Bewe-
gung um jenen allgemeinen Mittelpunkt entſtanden,
und die einzelnen Weltkoͤrper, welche ſich in verſchie-
denen Entfernungen von der Sonne, mitten in einer
ſolchen wirbelnden Bewegung bildeten, haͤtten dieſe
noch jetzt, in ihrem Umlauf beybehalten. *)
Dieſe Meynung, und wenn ſie ſelbſt die Regeln
der mechaniſchen Wechſelwirkung der Dinge noch beſſer
beobachtete als ſie ſchon gethan, widerſtreitet doch
aller Analogie, ja aller wahren Natur geradezu. Wir
wiſſen kein Beyſpiel weiter, daß irgend ein Weſen aus
zerſtreuetem Unrath, welcher ſich durch wechſelſeitige
Anziehung hier oder dorthin gehaͤuft, entſtuͤnde, und
dieſer Urſprung waͤre nur dem hoͤchſten Gipfel der Koͤr-
perwelt, dem Weltgebaͤude, einzig eigenthuͤmlich.
Jener loſe Staub, welcher unter dem Nahmen der
Atomen allen Koͤrpern zu Grunde liegen ſoll, hat ſich,
ſo oft man ihn auch citirt, noch nicht vor den Rich-
terſtuhl der Sinne ſtellen moͤgen, und die, welche
ſeine Parthey genommen, haben dieſes durch ſeine un-
gemeine Kleinheit, welche ihn faſt zu einen unkoͤrper-
lichen Koͤrper macht, entſchuldigt. Aller andern nie
aufzuloͤſenden Schwuͤrigkeiten nicht zu gedenken, in
welche uns die Annahme der Atomen verſtrickt; ſo wird
der Entſtehung der Weltkoͤrper durch ein ſolches zufaͤl-
liges Zuſammenballen der zerſtreueten Grundſtoffe, auch
noch durch ein Geſetz und mehr als mechaniſches Ver-
haͤltniß der Groͤßen der einzelnen Weltkoͤrper wider-
ſprochen, das uns unter andern in der naͤchſten Vor-
leſung beſchaͤftigen wird, und welches den Durchmeſſer
derſelben, wenn die Elementc der Entfernung genau
bekannt ſind, bis auf 100,000 Theile einer Meile
anzugeben vermag.
Doch wir beduͤrften ſelbſt dieſer direkten Gegenbe-
weiſe nicht, um jener Philoſophie des Unraths zu wi-
derſtreiten, da ſchon die Analogie, bey Solchen wel-
che ſie achten, zu ihrer Widerlegung hinreicht. Wir
ſehen in der ganzen Natur, ſo weit wir ſie kennen,
die Dinge ihren Anfang aus einer gewiſſen geſtaltloſen
Fluͤſſigkeit nehmen, und bey allmaͤliger Ausbildung
aus einem fluͤſſigeren in einen immer feſteren Zuſtand
uͤbergehen. Die ganze Erdmaſſe, wie der einzelne Kri-
ſtall, die organiſche Welt von den Fruͤchten der Pflan-
ze bis herauf zum Menſchen, ſind aus jener Fluͤſſig-
keit entſtanden, und die organiſche Welt zeigt uns das
allgemeine Geſetz der irdiſchen Entſtehung ſo deutlich,
daß wir es nachher auch im Anorgiſchen leichter zu fin-
den vermoͤgen. Einzelne Weltkoͤrper unſres Syſtems
ſcheinen noch zum Theil in fluͤſſigem Zuſtand, und wie
wir nachher ſehen werden, allem Anſchein nach ganze
Weltſyſteme.
Jener fluͤſſige Zuſtand, (um ihn ſo zu nennen)
aus welchem die Weſen in der ganzen koͤrperlichen Na-
tur entſtehen, iſt bey allen irdiſchen Dingen ſich nahe
verwandt, und wahrſcheinlich iſt er ſich dies uͤberall.
Die irdiſchen Weſen nehmen bey ihrem Entſtehen und
Vergehen einen allen gemeinſchaftlichen koͤrperlichen
Charakter an, den ich anderwaͤrts (im 2ten Band mei-
ner Ahndungen e. a. G. d. L.) beſchrieben habe. Je-
nes anfaͤngliche Element, in welchem die Dinge begin-
nen und enden, wird als die Urſache aller Fluͤſſigkeit,
nicht eigentlich als eine Fluͤſſigkeit ſelber betrachtet,
und es hat daſſelbe faſt in der ganzen Natur die Eigen-
ſchaft fuͤr ſich ſelber zu leuchten. Ueberhaupt iſt daſ-
ſelbe nichts anders, als der Zuſtand der hoͤchſten Lebens-
empfaͤnglichkeit, Bildungsfaͤhigkeit der Dinge, der
innigſten und tiefſten Ergebung in den hoͤheren Lebens-
einfluß, aus welchem ſie ſind. *)
Es ſey um ſo gewiſſer, behauptet die andre Par-
they, welche der mechaniſchen Anſicht entgegenſtrebt,
daß auch das Weltgebaͤude aus einem aͤhnlichen Zu-
ſtand hervorgegangen waͤre, da ſich allem Anſchein
nach ganze kuͤnftige Weltſyſteme noch jetzt darinne be-
faͤnden. In dieſer Hinſicht ſey vorzuͤglich der ſonder-
bare Nebelfleck im Orion, den neuerlich Schroͤter ſo
vielfaͤltig beobachtet hat, bedeutend. Dieſer merk-
wuͤrdige Naturgegenſtand gehoͤrt zu jenen fixen Licht-
nebeln, die ſich nicht in Sterne aufloͤſen laſſen. Sei-
ne unregelmaͤßige Geſtalt iſt veraͤuderlich, und oft in
wenig Tagen ſieht man ihn nach einigen Seiten ſich
ungeheuer ausdehnen, nach andern ſich zuſammenzie-
hen. Die Stellen, innerhalb welchen ſolche ploͤtzliche
Veraͤnderungen vorgehen, uͤbertreffen oͤfters an Um-
fang unſer ganzes Planetenſyſtem bey weitem, und
nicht ſelten ſieht man ſolche ungeheure Strecken mit ei-
nem ungewoͤhnlichen Lichte aufflammen, andre dage-
gen verloͤſchen, wie dieſes beſonders die merkwuͤrdigen
Schroͤterſchen Beobachtungen eines zur Seite gleich-
ſam herauswachſenden Zweiges jener Nebelſubſtanz im
Jahr 1797, und der nach 6 Tagen wieder verſchwin-
denden Lichtmaſſe, die ſich mitten in der uͤbrigen durch
helleren Glanz auszeichnete, und die aufs geringſte ge-
ſchaͤtzt, einen Durchmeſſer von 418 Millionen Meilen
hatte, und noch mehr jene im Durchmeſſer wenigſtens
29000 Millionen Meilen betragende Contraktion des
ganzen Lichtnebels, nach einer Seite hin, im Jahr
1800, gezeigt haben.
Dieſer Lichtnebel des Orion wird um ſo bedeu-
tender, da einige Aſtronomen aus Gruͤnden jenen hoͤ-
heren Centralkoͤrper, um welchen ſich unſre Sonne zu
bewegen ſcheinet, in dieſe Gegend geſetzt haben. Der
Mittelpunkt unſers Fixſternenſyſtems, von welchem
allem Anſchein nach unſre Sonne verhaͤltnißmaͤßig nicht
ſehr fern iſt, faͤllt naͤmlich nach der Gegend des Stiers
oder Orions hin, und man hat ſogar das merkwuͤrdige
Nebellicht im Schwerdt des Orions ſchon fuͤr den hoͤ-
heren Centralkoͤrper ſelber gehalten. *)
Es giebt dieſes jenem allgemeinen Element alles
koͤrperlichen Urſprungs, aus welchem wahrſcheinlich
auch dieſer (vermuthliche) Centralkorper beſteht, eine
tiefe Bedeutung. **) Der ewige Urſprung der Dinge
wirkt am maͤchtigſten und reinſten aus dieſen hervor,
wenn ſie, noch nicht als etwas Beſonderes, ſelbſt-
ſtaͤndig Belebtes aus ihm herausgetreten, wenn ſie (in
dem Zuſtand der hoͤchſten Lebensempfaͤnglichkeit) noch
innig mit ihm vereint, von ihm durchdrungen ſind.
Alsdann wirkt noch nicht das ohnmaͤchtigere und blos
ſymboliſche individuelle Leben, ſondern annoch das
urſpruͤngliche und Goͤttliche in und aus ihnen. ***) Die-
ſes iſt es, welches ſelbſt noch in der Sonne, nur ſchon
weit mehr in die Welt des Beſonderen herabgeſunken
und unreiner, und im Organiſchen im Gehirn, als
herrſchende und belebende Kraft ſichtbar wird, und es
ſind der Sonne die uͤbrigen Weltkoͤrper, dem Gehirn
alle andre Theile nur darum untergeordnet, weil dieſe
fruͤher und tiefer aus der erſten Reinheit des Elements
und aus der Gemeinſchaft des hoͤheren Einfiuſſes her-
abgeſunken ſind, in welcher ſich jene mehr erhalten ha-
ben. So erinnert uns dieſes Verhaͤltniß an jene my-
ſtiſche Figur, wo mitten in dem Kreiße der lebendigen,
gewaltigen Kraͤfte, ein zartes Kind als Herrſcher ſitzt,
und es bleibt die kindliche und mehr empfaͤngliche Na-
tur dem hoͤheren Einfluß uͤberall am naͤchſten verwandt.
Es iſt jener Lichtnebel im Orion, ſchon ſo weit
wir den Himmel kennen, nicht der einzige in ſeiner
Art, und wir finden in einer der letzten Herrſcheiſchen
Abhandlung uͤber den Bau des Himmels, mehrere aͤhn-
liche Erſcheinungen aufgefuͤhrt. Es gehoͤren hieher
unter andern jene milchweißen Nebelmaſſen, von run-
der Geſtalt, welche in ihrer Mirte einen kleinen hellen
Stern enthalten, indem ſich eben aus der Sichtbarkeit
des Sterns in ihrer Mitte beweiſen laͤſſet, daß ſie nicht
aus ſehr entfernten, nicht mehr erkennbaren Sternen be-
ſtehen. Auch dieſe Weltſyſteme, die noch faſt ganz
im (um uns ſo auszudruͤcken) fluͤſſigen Zuſtand ſchei-
nen, indem nur erſt in der Mitte die Ausbildung zu
Sonnen ihren Anfang genommen, uͤbertreffen nach ei-
ner beylaͤufigen Schaͤtzung im Durchmeſſer die Entfer-
nung des Sirius von uns mehrere hundertmale.
Ungewiſſer iſt es, ob jener milchweiſe Nebel, der
ſich in dem merkwuͤrdigen Nebelfleck im Fuchs befin-
det, wirklich auch von jener Art ſey, oder ob er blos
der Unvollkommenheit unſerer Inſtrumente ſo erſcheine,
eigentlich aber aus ſehr entfernten Sternen beſtehe. Doch
iſt das erſtere ungleich wahrſcheinlicher, und es waͤre
auch dieſes ein Beyſpiel von einem erſt zum Theil zu
Weltkoͤrpern ausgebildeten Weltſyſteme, wo die Ent-
wicklung nicht ſowohl in der Mitte, als nach einer Sei-
te hin ſchon begonnen hat. Ueberhaupt duͤrfen wir
nicht fern nach Faͤllen, welche eine ſolche ungleiche
Entwicklung beſtaͤtigen ſuchen, da das Weltſyſtem
ſelber, zu welchem unſer Planetenſyſtem gehoͤrt, ein
Beyſpiel dieſer Art gewaͤhrt, und in vielen Spuren
ein ungleiches Alter und eine ungleiche Ausbildung der
Sonnen aus denen es beſteht zu verrathen ſcheint.
Es hat Herſchel aus einigen Gruͤnden unſrem
Weltſyſtem einen jugendlicheren Zuſtand als den meiſten
andern zugeſchrieben. Viele von dieſen werden naͤm-
lich von einer mehr runden Form gefunden, und es
ſcheint, als ob dieſe in Hinſicht der innern Vollendung
weiter vorgeruͤckt waͤren als andre, denen dieſe runde
Form noch fehlt. Es wird hierbey die Vorausſetzung
gemacht, daß die Sonnen Anfangs ohne Ordnung
durch einander geſtreut waren, und daß hernach die
ihnen eingepflanzte Anziehungskraft die zu den einzel-
nen Syſtemen gehoͤrigen Sonnen um einen gemein-
ſchaftlichen (maͤchtigeren) Mittelpunkt verſammlete,
mithin in eine runde Form zuſammenfuͤgte. Eine erſt
ſeit kurzem wirkende Anziehungskraft, konnte die
ſeit der Zeit ihres neulichen Entſtehens noch zerſtreut
ſtehenden Sonnen noch nicht zur Ordnung bringen.
Unter dieſe gehoͤrt, nebſt mehreren andern, auch unſer
Fixſternenſyſtem, wo nach Herſchels Vorausſetzung
die Sonnen noch in einem zweyarmigen laͤnglichten
Streifen beyſammenſtehen; waͤhrend andre entferntere
Fixternenſyſteme zum Theil ſchon die Vollendung des rei-
feren Alters (Kreiß- oder Elliptiſche Geſtalt) einige
ſchon die des hohen Alters zeigen (wo die Anziehungs-
kraft die einzelnen Sonnen ſchon enge um den gemein-
ſchaftlichen Mittelpunkt zuſammengedraͤngt hat) noch
andre vielleicht ſchon in dem Zuſtand des endlichen Un-
terganges und Verſinkens ſtehen, wohin der beruͤhmte
Beobachter jene merkwuͤrdigen Koͤrper von ungeheu-
rem Umfange und von matten planetariſchem Lichte
zaͤhlt, deren ich ſchon anderwaͤrts erwaͤhnt habe, und
die von ihm fuͤr zuſammengeſunkene Fixſternenſyſteme
gehalten werden.
Doch ſcheint die wahre Geſtalt unſres Planetenſy-
ſtems, die uns ſpaͤter von der aͤußerſten Wichtigkeit wer-
den wird, eine etwas andre zu ſeyn, als die von Her-
ſchel angegebene. Aber obgleich dieſe in etwas von
der Herſchelſchen Vorausſetzung abweicht, iſt doch
dieſe in andrer Hinſicht ſehr gegruͤndet, und es ſcheint
unſer Fixſternenſyſtem, ſo wie wiederum in dem noch
unermeßlicherem Ganzen, die einzelnen Fixſternenſyſte-
me unter ſich, ein Garten voller Gewaͤchſe jedes Alters,
eben aufkeimende, ſchon bluͤhende, reife und wieder-
um verwelkende; ſo daß alle jene Zuſtaͤnde, welche
das einzelne Syſtem, oder die einzelne Sonne vielleicht
kaum in Millionen Jahren durchlaufen konnte, hier
an den verſchiedenen Individuen und Syſtemen zu Ei-
ner Zeit gefunden wuͤrden; ſo daß das kurze Men-
ſchenleben die Erfahrungen von Weltenaltern umfaßt.
Fuͤr dieſen ungleichartigen Zuſtand, fuͤr eine ſol-
che verſchiedne Entwicklungsſtufe der verſchiednen Wel-
ten unſers Fixſternenſyſtems, ſprechen mehrere That-
ſachen. Wir finden naͤmlich auch verſchiedene andere
ferne Fixſternenſyſteme, allem Anſcheine nach erſt zum
Theil zu Soͤnnen ausgebildet, waͤhrend der uͤbrige
Theil noch aus jener obenerwaͤhnten Nebelartig leuchten-
den Subſtanz beſteht, und es gehoͤren hieher unter an-
drem jene rundlichen und unaufloͤslichen Nebel, die blos
in ihrer Mitte ſchon ausgebildete Sterne enthalten,
und der merkwuͤrdige Nebelfleck im Fuchs, wovon ich
vorhin ſprach. So finden wir auch auf der einen Sei-
te mitten in unſerem Fixſternenſyſtem gewiſſe Stern-
haufen, die ſich ſchon mehr zu einem beſondern Gan-
zen abſondern, *) zwiſchen denen mithin die anziehen-
de Kraft laͤnger ſchon wirken mußte, und die man da-
her von aͤlterer Entſtehung ſchaͤtzen koͤnnte, als andre,
wo dieſe Vereinigung noch nicht Statt gefunden; waͤh-
rend auf der andern Seite allem Anſchein nach noch
ganze kuͤnftige Weltgebaͤude ſich mitten in unſerem
Fixſternenſyſteme eben neu erzeugen, wohin der er-
waͤhnte Lichtnebel im Orion gehoͤrt. *)
Fuͤr eben neuentſtehende oder untergehende Son-
nen, koͤnnten jene merkwuͤrdigen Sterne gehalten wer-
den, welche auf einmal an irgend einer Stelle des
Himmels mit hellem Glanze erſchienen, hernach ganz
wieder verſchwanden, oder doch an Licht abnahmen.
Unter denen ganz wieder verſchwindenden ſind die bey-
den bekannteſten und ausgezeichnetſten der 1572 im
Stuhl der Kaſſiopea beobachtete, der die groͤßten und
hellſten Sterne an Glanze noch uͤbertraf, nach 2 Jah-
ren aber wieder verſchwand, und der 1604 von Kep-
ler im Ophiochus beobachtete, der ſchon nach einem
Jahre wieder unſichtbar wurde. Andre neuerſchiene-
ne Sterne ſind geblieben, und haben nur in etwas an
Groͤße abgenommen, und dieſe koͤnnten vorzugsweiſe
fuͤr neuentſtanden gehalten werden.
Einige Fixſterne hat ſelbſt ſchon die doch erſt we-
nige Jahrtauſende alte Beobachtung der neuen Aſtro-
nomie merklich an Lichte zunehmen ſehen, waͤhrend ſie
andre eben ſo merklich daran abnehmen fand. Unter
andern war der helle Stern im Adler, der jetzt faſt
von der erſten Groͤße iſt, noch zu den Zeiten des Pro-
lemaͤus nur von der dritten, waͤhrend ein andrer Stern
im großen Baͤren ſeit wenig Jahrhunderten von der
2ten bis zur 3ten Groͤße abgenommen hat.
Schon die wahrſcheinliche Verſchiedenheit der
Groͤße und der Rotationsperioden, laſſen eben ſo wie in
unſern Planetenſyſtem, auf einen verſchiednen Zuſtand
der Vollendung, und auf eine verſchiedne Lebensdauer
der einzelnen Sonnen ſchließen, vermoͤge welcher ſelbſt
unter den zu gleicher Zeit entſtandenen, einige noch im
erſten Wachsthum ſind, waͤhrend bey andern das kuͤr-
zere Leben ſchon am Ende ſteht. Auf eine Verſchie-
denheit der Groͤße der einzelnen Sonnen, hat man aus
einigen Herſchelſchen Beobachtungen geſchloſſen, wel-
che freylich noch nicht zu den ſichern gehoͤren, da unſre
Inſtrumente und die ſchwankende Angabe der Paralla-
re hierin noch keine große Sicherheit erlauben. So
muͤßte Wega, die nach Herſchels Beobachtungen den
dritten Theil einer Secunde im ſcheinbaren Halbmeſſer
hat, wenn nach der allgemeinen Vorausſetzung die
jaͤhrliche Parallaxe der naͤchſten Fixſterne nicht uͤber
1 Sec. betraͤgt (mithin der ſcheinbare Durchmeſſer der
Erdbahn *) in der Gegend jener Sterne 2 Sec.) im
wirklichen Durchmeſſer 7 Millionen Meilen, oder 36
Sonnenhalbmeſſer betragen. Ja der Aldebaran,
welchen Herſchel anderthalb, die Kapella, welche
er gar drittehalb Sec. im ſcheinbaren Durchmeſſer ge-
funden, muͤßten nach derſelben Vorausſetzung, jene
im wahren Durchmeſſer 30, dieſe 50 Millionen Mei-
len, oder jene 161, dieſe 269 Sonnenhalbmeſſer be-
tragen, mithin die letztere am Umfang ihres Aequators
1/5 mehr als unſre Erdbahn.
So ungeheuer im Vergleich mit den Welkoͤrpern
unſers Syſtems eine ſolche Groͤße jener Sonnen waͤre,
ſtuͤnde ſie doch ſelbſt mit den Groͤßenverhaͤltniſſen, die
wir hier finden, nicht in Widerſpruch. Abgeſehen
ſelbſt von dem Verhaͤltniß der Halbmeſſer der Plane-
ten zu dem der Sonne, worinnen jene noch viel klei-
ner erſcheinen als unſre Sonne im Verhaͤltniß zu jenen
Rieſenſonnen (ſchon der Halbmeſſer des Mercurs als
der 314te, der der Juno als der 621ſte, ja der der Ve-
ſta nicht einmal als der 3000te Theil des Sonnenhalb-
meſſers) finden wir ſelbſt die einzelnen Planetenhalb-
meſſer unter ſich in einem Verhaͤltniß, welches jenem
wenig nachgiebt, ja dieſes noch uͤbertrifft. So iſt
Jupiter ſchon in Hinſicht des Halbmeſſers 63 mal
groͤßer als Juno, ja 326 mal groͤßer als Veſta (wenn
wir dieſe 30 Meilen im Halbmeſſer ſetzen.)
Auf eine ſolche koͤrperliche Verſchiedenheit der ein-
zelnen Sonnen, laͤßt nun auch, wie ſchon erwaͤhnt, die
Verſchiedenheit ihrer Rotationsperioden ſchließen.
Denn obgleich die Dauer einer Umdrehung der Welt-
koͤrper um ihre eigne Axe, oder eines Tages derſelben,
in keinem unmittelbaren Zuſammenhange mit ihren
Groͤßenverhaͤltniſſen ſteht, ſteht ſie doch, wie aus an-
dern ſpaͤter anzufuͤhrenden Gruͤnden ſcheint, mit der
Stufe ihrer Ausbildung und Naturbeſchaffenheit in Ver-
haͤltniß, und es deutet ſchon in unſern Planetenſyſte-
me die ziemlich uͤbereinſtimmende Tageslange der drey
letzten Planeten, welche von der der vier zunaͤchſt an
der Sonne ſtehenden ſehr verſchieden iſt, eine ſolche
Verſchiedenheit an. — So dauert nun auch eine Um-
drehung unſrer Sonne um ihre eigne Axe 25 Tage
14 Stunden; waͤhrend die Umdrehung andrer Sonnen
von der kurzen Zeit von 3 Tagen, bis zu der von 13
Monaten zu waͤhren ſcheint. Denn wenn wir mit
vielen beruͤhmten Aſtronomen, wie dies am wahrſchein-
lichſten iſt, die Lichtveraͤnderungen einiger Sterne von
ihrer Umdrehung herleiten, welche uns bald eine hellre
bald eine dunkler leuchtende Seite ihrer Oberflaͤche
zukehrt, ſo muͤſſen wir unter andern bey dem veraͤn-
derlichen Stern Algol eine 3taͤgige, bey jenem im
Antinous eine 7taͤgige, bey dem in der Lyra eine
13taͤgige Tagesdauer vorausſetzen, ſo daß demnach
dieſe Sonnen einen viel kuͤrzeren Tag haͤtten, als unſre
Sonne. Dagegen aber giebt es wieder veraͤnderliche
Sterne, bey denen man aus denſelben Gruͤnden auf eine
12 ja 14 mal laͤngere Dauer des Tages ſchließen muß
als bey unſrer Sonne. So haͤlt der Stern Mira im
Wallfiſch eine 11, der im Halſe des Schwanes eine 13
monatliche Periode der Lichtveraͤnderung, und mithin
eine eben ſo lange der Umdrehung um die eigne Axe.
So laͤßt ſich aus Allem, in dem unermeßlichen Gan-
zen aller Fixſternenſyſteme, und in den einzelnen Sy-
ſtemen insbeſondre, auf eine unendliche Verſchieden-
heit in Hinſicht der Ausbildung ſchließen, und wir ſe-
hen eine nimmer ſtille ſtehende Schoͤpfung, hier ganze
Weltgebaͤude neu aus dem ewigen Element hervorru-
fen, waͤhrend andre im Verlauf von vielleicht Millio-
nen Weltenaltern die Zeit ſchon wieder heimgerufen
hat. Eine gleiche Verſchiedenheit der Ausbildung laͤßt
uns ganz in der Naͤhe, an den Weltkoͤrpern unſers
eignen Syſtems ſelber, noch denſelben Zuſtand erblicken,
in welchem ſich die Erde vor Jahrtauſenden befunden,
ja ſie laͤßt uns einige noch von den Gewaͤſſern der Tie-
fe bedeckt, „wuͤſte und leer, bewegt von dem Geiſt
der erſten Schoͤpfung“ ſehen, waͤhrend andre ſchon ſo
veraltet ſind, wie dies die Erde erſt in fernen Jahr-
tauſenden ſeyn wird. Wir werden hiervon nachher re-
den, zuvor aber wollen wir noch Einiges uͤber die Ge-
ſtalt der Weltſyſteme vorausſenden.
Nach einer andren, und in ſich ſelber klaͤreren
Anſicht, welche uͤbrigens der Herſchelſchen im Ganzen
nicht widerſpricht, iſt die Geſtalt unſers Fixſternenſy-
ſtems nicht die von Herſchel angenommene eines laͤnge.
lichen unregelmaͤßigen Doppelſtreifens, ſondern die ei-
ner wirklichen Sphere, deren Mittelpunkt unſre Son-
ne ziemlich nahe ſteht. *) Es bewegen ſich auch nach
dieſer Anſicht, die Fixſterne um einen gemeinſchaftlichen
Mittelpunkt, und es haben hierbey die Bahnen derſelben
eine aͤhnliche Lage gegeneinander als die Planetenbahnen,
das heißt, ſie liegen ſaͤmtlich faſt in einer Ebne, ſind nur
wenig gegen einander geneigt, ſo daß die Geſtalt unſers
ganzen Fixſternenſyſtems, oder unſerer Milchſtraße, nicht
Kugel- ſondern Scheibenfoͤrmig iſt. Die meiſten Fix-
ſternenbahnen unſers Syſtems, haben einen gemein-
ſchaftlichen Knoten, wie wir dieſes ſpaͤter (im Anhang)
auch bey den meiſten Planetenbahneu finden werden.
An der Stelle dieſes Knotens erſcheint die Milchſtraße
mehr zuſammengezogen und glaͤnzender, und es fallen
die zwey zuſammengezogenſten und glaͤnzendſten Stel-
len der Milchſtraße wirklich (wie entgegengeſetzte Kno-
ten) 180° von einander entfernt, gegen den 160ſten
und 340ſten Grad der Rektascenſion. Das getheilte
Ausſehen der Milchſtraße nach einer Seite hin, wird
dadurch erklaͤrt, daß eine große Anzahl der Fixſternen-
bahnen in eine gemeinſchaftliche Ebne faͤllt, die von
einer andern, in welche ebenfalls eine große Anzahl
von Bahnen faͤllt, etwas entfernt iſt, waͤhrend in der
Mitte zwiſchen beyden Ebenen nur wenige gefunden
werden, ſo daß dieſer mittlere Raum dem Auge in der
Milchſtraße leer erſcheint. *) Auch hiervon werden
wir ſpaͤter in den Neigungen der Planetenbahnen et-
was Aehnliches finden. Obgleich unſre Sonne nicht
ſehr weit von dem Mittelpunkt des ganzen Syſtems
entfernt ſcheint, ſteht ſie doch nicht genau in demſel-
ben, und dieſer muß aller Analogie nach zu ſchließen,
nach jener Seite des Himmels hinfallen, wo der Him-
mel am dichteſten mit Sternen beſaͤet iſt, (da nach der
Seite wo der Mittelpunkt hinliegt, die groͤßere Haͤlfte
des ganzen Syſtems iſt) mithin, wie ſchon weiter oben
erwaͤhnt, ohngefaͤhr in die Gegend des Stiers oder
Orions.
Vielleicht daß dieſe Geſtalt der Sonnenſyſteme,
naͤmlich die Scheibenfoͤrmige, allgemeiner iſt, als man
bisher geglaubt, und daß ſie, eben ſo wie ſie ſich in
dem Verhaͤltniß der Planetenbahnen unſers Syſtems,
und in dem der Fixſternenbahnen findet, auch bey den
meiſten andren Fixſternenſyſtemen Statt findet. Jene
verſchiednen Geſtalten unter denen die fernen Milch-
ſtraßen von Herſchel beobachtet worden, koͤnnen dann
blos von den verſchiednen Stellungen, unter denen ſie
geſehen werden, herruͤhren, und jene runden oder
elliptiſchen Fixſternenſyſteme, werden von uns vielleicht
von oben her (in der Richtung der Axe), die mehr in
die Laͤnge gedehnten, von der Seite her geſehen. Jene
Erſcheinung, aus welcher er auf eine wirklich kugelfoͤr-
mige Geſtalt jener runden Fixſternenſyſteme geſchloſſen,
das dichtere Beyſammenſtehen der einzelnen Sonnen
nach dem Mittelpunkte hin, wuͤrde ſich auch mit der
Scheibenfoͤrmigen Geſtalt der Syſteme vereinigen
laßen, indem hier eben ſo wie bey dem aͤhnlichen Ver-
haͤltniß der Planetenbahnen und vermoͤge deſſelben Ge-
ſetzes, die Bahnen nach dem Mittelpunkte hin dichter
zuſammenfallen muͤßten; ſo daß der Abſtand eines
Fixſternes zu einem andern nach der Peripherie der
Sphaͤre hin, aller Analogie zu Folge ungleich bedeuten-
der iſt, als nach der Mitte hin.
In vielen jener rundlichen Weltgebaͤude, ſieht man
mitten unter den kleinen teleſcopiſchen Sternen einen
groͤßern und ſehr hellglaͤnzenden, welcher der Wahr-
ſcheinlichkeit nach fuͤr den Centralkoͤrper des ganzen
Syſtems gehalten wird. Dieſer vorzuͤglich glaͤnzende
Punkt, findet ſich nicht ſelten, beſonders bey elliptiſch
geſtalteten, etwas außerhalb der Mitte, mehr nach
dem einen Brennpunkt hin, und es iſt wahrſcheinlich,
daß dieſes Verhaͤltniß, ſo wie bey allen Planeten und
Trabantenbahnen in Hinſicht auf die Stellung des
Centralkoͤrpers, ſo auch in der Anordnung der Fixſter-
nenſyſteme Statt finde, und daß aus Gruͤnden die ich
anderwaͤrts (in meiner angefuͤhrten Schrift) aus einem
ſehr allgemeinen Geſetz hergeleitet habe, der eigentlich
herrſchende Mittelpunkt niemals mit dem mathemati-
ſchen zuſammenfaͤllt.
Es bilden jene Weltgebaͤude, bey denen der vor-
zuͤglich glaͤnzende Punkt, welches der wahrſcheinliche
Mittelpunkt iſt, ſchon den Sinnen wahrnehmbar et-
was außerhalb des mathematiſchen Centrums faͤllt,
den Uebergang zu jenen ſonderbaren Formen, wo der-
ſelbe, wie der Kern bey den Kometen im Verhaͤltniß
zum Schweife, faſt ganz nach dem einen Ende des
mehr laͤnglicht (Faͤcherartig) ausgedehnten Syſtems hin-
faͤllt, nach welchem Punkte hin die Sterne dichter zu-
fammengedraͤngt ſcheinen, weil ſie nach dem andern
hin weiter auseinander gelegen ſind.
Es ſcheinen jene lichten Punkte fuͤr das Daſeyn
wirklicher Centralſonnen in einigen Syſtemen zu ſpre-
chen, obgleich ſie auch von dem vereinten Licht dicht
gegen die Mitte zuſammenſtehender Sterne herruͤhren
koͤnnen. In dem merkwuͤrdigen ringfoͤrmigen Nebel in
der Leyer dagegen, der noch ganz oder groͤßtentheils
aus der fruͤher erwaͤhnten leuchtenden Nebelſubſtanz zu
beſtehen ſcheint, findet ſich die lichtere Maſſe des
Ganzen nach dem Umfang hin verſammlet, waͤhrend
die Mitte nicht leer, ſondern nach Schroͤters Beobach-
tungen von einer weniger leuchtenden Subſtanz erfuͤllt
ſcheint.
So ſcheint es, daß in Hinſicht der Geſtalten und
Anordnung, im Bau der unermeßlichen Fixſternenſyſte-
me dieſelben Geſetze walten, wie in jener des Plane-
tenſyſtems. Vielleicht, und ſehr wahrſcheinlich iſt es,
daß auch dort, ſo wie hier die Bahnen der Kometen,
viele Fixſterne außerhalb der allgemeinen Ebene der
Anordnung, nach andern Richtungen (mehr nach den
Polen des Syſtems) hinfallen, und daß hierdurch wirk-
lich einige Syſteme, bey denen (ſo wie bey den Neigungen
der Uranustrabantenbahnen) die Tendenz zu einer ſol-
chen Anordnung vorherrſcht, ſich mehr der Kugelform
naͤhern. Uebrigens ſind die Einwuͤrfe, welche man
wohl ſonſt gegen die Lage der einzelnen Weltkoͤrper der
Fixſternenſyſteme in einer Ebene zu machen pflegt,
von mindrer Bedeutung. Denn jener, daß die Natur
uͤberall den Raum ſpare, und daß ſich deshalb eine
ſolche Raumverſchwendende Anordnung ſchwerer be-
greifen laſſe, moͤchte wohl nur von einem ſehr be-
ſchraͤnkten Standpunkte aus noch Statt finden; waͤh-
rend ein andrer wichtigerer, welcher aus den Herſchel-
ſchen Beobachtungen hervorgienge, aus jener Annahme
ſelber beſeitigt wuͤrde. Herſchel fand naͤmlich eine
ungemeine große Zahl *) (faſt die Haͤlfte) der von ihm be-
obachteten Milchſtraßen, von runder Geſtalt, zugleich
aber lagen auch bey weitem die meiſten von dieſen nach
den Polen unſers Fixſternenſyſtems, das heißt, nach
jener Seite des Himmels hin, die am meiſten von der
Milchſtraße, und mithin von der Ebne der allgemei-
nen Anordnung der Sonnen entfernt, von nur weni-
gen und naͤheren Sonnen ſparſam erhellt iſt. Hieher
gehoͤren die mehrere hunderte Fixſternenſyſteme enthal-
tenden Nebelmaſſen im Haupthaar der Berenice, und
gegenuͤber nach dem andern Pol des Syſtoms hin, eine
faſt eben ſo große, nur etwas weniger dicht zuſammen-
ſtehende Menge von Weltgebaͤuden. Nehmen wir nun
an: daß die Ebenen der einzelnen Fixſternenſyſteme im
Ganzen wieder eben ſo wie im Einzelnen in einer Richtung
liegen, und daß mithin auch die Pole eine gleiche Rich-
tung haben, ſo muͤſſen uns alle oder die meiſten nach
den Polen unſers Syſtems hinfallenden Syſteme, trotz
ihrer eigentlich Scheibenfoͤrmigen Geſtalt, rund er-
ſcheinen.
Wir werden anderwaͤrts tiefere Gruͤnde fuͤr die An-
ordnung aller Hauptkoͤrper eines einzelnen Syſtems in
Einer beſtimmten Richtung, in Einer Ebene aufſtellen,
und daſelbſt mehr von der Natur jener Kraft, welche
in ihren Wirkungen ſich immer ſo ſtreng der geraden
Linie naͤhert, handeln. Es laͤßt die Stellung der
Weltkoͤrper und ihrer Bahnen, welche von den klein-
ſten Syſtemen (von dem Planeten ja ſogar von den Tra-
bantenſyſtemen) an, bis zu dem hoͤheren Ganzen der
Milchſtraßen, ein und daſſelbe Verhaͤltniß zeiget
(wie ſpaͤter noch deutlicher wird) auf eine gemeinſchaft-
liche Richtung, auf einen Ausgangspunkt der ſchaffen-
den und herrſchenden Kraft, auf eine gemeinſchaftli-
che Urſache des Daſeyns ſchließen, nach welcher ſich
Alle hinwenden, daß ſie (aus dem nicht mehr Koͤrper-
lichen die Koͤrper) aus jener Leben empfiengen und
Daſeyn. —
Wir finden in unſrem Planetenſyſtem, ſchon ſo
weit wir daſſelbe ſeit den meiſterhaften Beobachtungen
vorzuͤglich zweyer Deutſchen, die ſich hierin ein un-
ſterbliches Verdienſt erworben haben, (Herſchels und
Schroͤters) kennen, eine aͤhnliche Verſchiedenheit
der Entwicklungsſtufen und des Naturzuſtandes als in
dem Syſtem der Sonnen. Wir ſehen die Groͤßen der
Planeten von der im Halbmeſſer noch nicht 30 Mei-
len großen Veſta bis zu dem 9783 Meilen großen Ju-
piter differiren, waͤhrend die uͤbrigen Naturverhaͤltniſ-
ſe nicht minder bedeutend abweichen. So hat der viel
kleinere Mercur nach Schroͤters Beobachtungen im Ver-
haͤltniß zu ſeinem Halbmeſſer 8 mal hoͤhere Gebirge als
die Erde, und es ſteht ihm hierinnen, ſo wie an der
ewigen Heiterkeit der Atmosphaͤre, Venus wenig nach;
einige andre Planeten, vorzuͤglich einige der neuent-
deckten (Pallas und Ceres) naͤhern ſich durch die Be-
ſchaffenheit ihrer verhaͤltnißmaͤßig ungeheuer großen
und dichten Atmosphaͤre faſt den Cometen. Endlich
ſo iſt ganz vor kurzem ein Planet entdeckt worden, der
nicht blos durch ſeine ungemeine Kleinheit, ſondern
mehr noch durch eine andre merkwuͤrdige Eigenſchaft, al-
le Graͤnzon der planetariſchen Natur uͤberſchreitet.
Es iſt die Veſta von der ich rede. Dieſer kleine
Weltkoͤrper hat, wie wir anderwaͤrts ſehen werden,
nur 29½ Meile im Halbmeſſer, iſt mithin mehr als
29 mal im Durchmeſſer, faſt 25tauſend mal im koͤr-
perlichen Innhalt kleiner als die Erde.*) Ohnerachtet
dieſer außerordentlichen Kleinheit, faͤllt er aber mit ei-
nem ſo hellen, faſt Fixſternenartigen Licht in die Au-
gen, wie dieſes die Erfahrung kaum an 10 mal im
Durchmeſſer groͤßeren planetariſchen Koͤrpern zu zeigen
pflegt, und ohne dieſe merkwuͤrdige Eigenſchaft wuͤrde
ſeine Entdeckung ungleich ſchwerer, ja faſt unmoͤglich ge-
weſen ſeyn. **) Es ſcheint mithin hier wirklich ein
Planet mit der deutlichen Eigenſchaft des Selberleuch-
tens aufgefunden, (obgleich er wohl hierinnen bey
weitem den Sonnen- oder den Kometenartigen Koͤrpern
nachſteht) die man aus einzelnen Beobachtungen, an
der Nachtſeite der Venuskugel u. a. gemacht, ſchon
fruͤher in einem ſchwachen Grad an den Planeten un-
ſers Syſtems gekannt hat.
Es ſcheint aus Vielen, daß nicht alle Planeten
auf einer gleichen Stufe der planetariſchen Vollendung
ſtehen, daß einige noch in der Zeit der erſten Ausbil-
dung, andre im Zuſtand der ſchoͤnſten Vollendung,
noch andre ſchon dem Untergange nahe ſind. Es iſt
naͤmlich der Weltkoͤrper, welchen wir bewohnen, und
aller vernuͤnftigen Analogie zu Folge alle Weltkoͤrper
unſers Syſtems, aus fluͤſſigem Zuſtand (durch Nieder-
ſchlag aus dem Gewaͤſſer) entſtanden. Die Waſſer-
menge war, wie uns die ganze Natur des Planeten in
tauſend Thatſachen lehrt, in den erſten Zeiten der Erd-
bildung verhaͤltnißmaͤßig ungemein haͤufig, ſo daß ſie
noch fern uͤber dem Gipfel der hoͤchſten Gebirge geſtan-
den. Im Verlauf von Jahrtauſenden hat ſie hierauf
allmaͤlig, bis zu ihrem jetzigen Stande abgenommen,
und es ſcheint, daß ſie auch hiermit noch bey weitem
nicht ihr Minimum erreicht habe, ſondern daß ſie noch
immer abnehmen muͤſſe. (Ich werde hiervon noch
weiter unten reden.) Die groͤßere Waſſermenge, der
fluͤſſigere Zuſtand, bezeichnen uns mithin den Zuſtand
der fruͤhen Jugend der planetariſchen Natur, waͤhrend
der mehr Waſſerleere, trocknere Zuſtand, ein hoͤheres Al-
ter dieſer Welten andeutet.
In dem Zuſtand des hohen Alters finden wir dem-
nach den Mond, von dem ich anderwaͤrts erwaͤhnt ha-
be, daß er faſt gaͤnzlich ohne Waſſer, faſt ganz in
dem letzten ſtarren und trocknen Zuſtand ſey, welcher
aller Analogie zu Folge zuletzt alle Planeten erwartet.
Auf der Stufe einer ſpaͤteren Vollendung als die Erde,
ſtehen auch ſchon Venus und Mercur, bey denen uns
die ſtets heitre, Wolkenleere Atmosphaͤre, auf eine gerin-
gere Menge der allgemeinen Waſſermaſſe ſchließen laͤßt,
als die der Erde iſt. In dem Zuſtand der mittleren
Vollendung, ſtehn wie es ſcheint, vorzuͤglich Mars
und die Erde, obgleich die letztere ſchon etwas weiter
in der planetariſchen Reife vorgeruͤckt iſt als jener, und
ſchon mehr nach der zweyten Lebenshaͤlfte hinſteht.
Dagegen ſind, wie ich dieſes anderwaͤrts aus vielen
Erſcheinungen geſchloſſen habe, Jupiter, Saturn und
Uranus noch an ihrer ganzen Oberflaͤche mit Waſſer
bedeckt, und dieſe Planeten ſcheinen noch auf einem
dem anfaͤnglichen Zuſtand der Erde (we ſich noch ein
Theil der feſten Oberflaͤche aus den Gewaͤſſern nieder-
ſchlug) verwandten Stufe der Entwickelung zu ſte-
hen. *)
Vorzuͤglich merkwuͤrdige Koͤrper unſers Syſtems
ſind die Kometen. Wir ſehen dieſe auf einmal in ihrer
ſinnlichen Geſtalt wie in der ganzen Beſchaffenheit ei-
ner ganz andern Ordnung der Dinge angehoͤren als die
Planeten. Wenn ſich dieſe in wenig elliptiſchen Bah-
nen, die groͤßtentheils nicht ſehr bedeutend von der
Kreisform abweichen, bewegen, ſehen wir dieſe in
Ellipſen von ungeheurer Eccentricitaͤt ihren ſonderbaren
Umlauf nehmen, der ſie nach der Meynung Einiger
bald in das ferne Gebiet fremder Sonnen hinuͤber-
fuͤhrt, bald ſie wieder mitten in die Tiefe unſres Sy-
ſtems hinein, der Sonne naͤher bringt, als irgend ein
Planet ihr ſtehet. Doch ſcheinen ſie auf dieſem, wie
wir gleich nachher ſehen werden, ſehr langen Umlauf,
das Licht der Sonne, die ihnen an der aͤußerſten Graͤn-
ze ihrer Bahn nur noch als Stern der erſten Groͤße
glaͤnzt, nicht zunaͤchſt ſo zu beduͤrfen wie die Planeten,
(wenn wir von der halben Ausnahme bey der Veſta ab-
ſehen) und es iſt wenigſtens ſeit den neuen Schroͤter-
ſchen Beobachtungen uͤber Cometen gewiß, daß ſie von
der Natur der ſelberleuchtenden Koͤrper ſind. Zwar
wollten Caſſini und Calandrin Phaſen an dem Ko-
meten von 1744 bemerkt haben, oder vielmehr einen
dunklen Zwiſchenraum im Schweife nach dem Kern
hin, den ſie fuͤr den Schatten des Kerns hielten, aber
ſchon zwey wenigſtens nicht minder ſorgfaͤltige Mitbe-
obachter, Cheſeaux und Heinſius laͤugneten dieſes
gaͤnzlich, und der Letztere der den Kern oval ſahe, fand
ſtets den groͤßeren Durchmeſſer deſſelben gegen die Son-
ne gerichtet. Wenn ſich jener dunkle Zwiſchenraum
zufaͤllig wirklich gerade hinter dem Kern gefunden, ſo
iſt er demohnerachtet wohl von derſelben Natur gewe-
ſen, wie mehrere aͤhnliche von Schroͤter in der leuch-
tenden Atmosphaͤre des von ihm beobachteten Come-
ten beſchriebene. Auch außer dieſem hat man noch nie,
ſelbſt bey den groͤßten Kometen, Phaſen oder wirkliche
Schatten beobachtet, und Meſſier, der doch mit ſehr
guten Inſtrumenten und der groͤßten Sorgfalt den
ziemlich großen Kometen von 1769 und mehrere andre
beobachtete, bemerkte nie eine Spur von einer Phaſe
oder einem Schatten, ſo wie auch Schroͤter bey dem
von ihm ſo genau beobachteten Kometen, nichts der
Art bemerkte.
Es ſcheint aus den Unterſuchungen des zuletzt er-
waͤhnten Aſtronomen, daß der Kern der Kometen die
Eigenſchaft des Selberleuchtens am vorzuͤglichſten be-
ſitzt. Dieſes eigenthuͤmliche Licht mußte durch die ziem-
lich dichte Atmosphaͤre, die den Kern ringsum ein-
ſchloß, zwar bedeutend geſchwaͤcht werden, war aber
demohnerachtet unverhaͤltnißmaͤßig viel ſtaͤrker als das
Sonnenlicht, das erſt durch jenes dichte Medium zu
dem Kern, von da noch einmal geſchwaͤcht durch dieſel-
be Atmosphaͤre zu nus hatte gelangen koͤnnen, wo-
durch es dem Auge des Beobachters bis zum unmerk-
lichen Daͤmmerungsſchein haͤtte erloͤſchen muͤſſen. In
einem mindern Grade beſitzt die Eigenſchaft des Leuch-
tens der ſphaͤriſche Lichtnebel, in deſſen Mitte der
Kern liegt, den hiervon eine dazwiſchen gelegne, zur
Erzeugung von nicht leuchtenden Meteoren (unſern
Wolken aͤhnlich) geneigte Atmosphaͤre abſondert, und
in einem noch minderen beſitzt ſie der Schweif, der
ſich, allezeit in der Richtung der von der Sonne abge-
wendeten Seite, in ungeheuer ferne Raͤume des Welt-
ſyſtemes verbreitet.
Der ſphaͤriſche Lichtnebel der den Kern umgiebt,
iſt zwar nach der von der Sonne abgekehrten Seite des
Kometen (nach der Seite des Schweifes) hin dichter,
und faͤllt daſelbſt durch ein helleres Licht in die Augen,
er hatte aber, wenigſtens in den Schroͤterſchen Beob-
achtungen des Kometen von 1799, nach der der Son-
ne zuwendeten Seite eine eben ſo große Ausdehnung,
(nur daß er daſelbſt durch ſeine Feinheit undeutlicher
wurde); ſo daß der Kern genau in ſeiner Mitte lag.
Andre Beobachtungen, ſelbſt die Schroͤterſchen eines
fruͤher erſchienenen Kometen, ſchienen die Stellung
des Kerns etwas außerhalb der Mitte jener Glanzſphaͤ-
re, naͤher nach der Sonne hin zu ſetzen. — Es hat
jene leuchtende Atmosphaͤre einen Umfang, deſſen
Graͤnze durch unſre beſten Inſtrumente noch bey weitem
nicht zu erreichen iſt, und der nach Schroͤters Mey-
nung vielleicht bis an die Graͤnze der andern Weltkoͤr-
per reicht. Sein Verhaͤltniß zum Durchmeſſer des
Kerns, uͤberſteigt alle Graͤnzen die wir die Natur in
aͤhnlichen Faͤllen beobachten ſehen, und waͤhrend der
Halbmeſſer des eigentlichen Koͤrpers nur 186½ Mei-
len betrug (etwas mehr als der der Ceres) wurde ſelbſt
ſchon in der bedeutenden Entfernung des Kometen von
der Erde, die Lichtſphaͤre bis zu einer Hoͤhe von 21797
Meilen ſichtbar, waͤhrend der Schweif ſchon bis zu
einer Ferne von mehr als 600000 Meilen deutlich in
die Sinnen fiel, und es wird mit Recht vermuthet,
daß die eigentliche Ausdehnung beyder, gegen Millionen
Meilen betraͤgt.
Denn es gehoͤrte der Komet von dem wir hier ſpre-
chen, und den die Schroͤterſchen Beobachtungen ſo
merkwuͤrdig gemacht haben, noch immer nicht zu den
groͤßten und augenfaͤlligſten Koͤrpern dieſer Art. Man
hat einige geſehen, welche im Durchmeſſer des Kerns
ſo groß und noch groͤßer als Jupiter geſchaͤtzt wurden,
und nicht ſelten hat man den Schweif bis zu einer meß-
baren Groͤße von vielen Millionen Meilen ausgedehnt
gefunden (bey dem Kometen von 1769 betrug die ſicht-
bare Extenſion deſſelben gegen 40 Millionen Meilen)
und dieſe in die Augen fallende, ſcheinbare Graͤnze der
Erſtreckungen, war vielleicht nur ein ſehr geringer Theil
der wirklichen. Doch ſind dieſe Weltkoͤrper, wenn auch
an Umfang des Kerns zuweilen den großen Planeten aͤhn-
lich, doch gewiß an Dichtigkeit und Maſſe ſehr von
ihnen unterſchieden.
Man hat naͤmlich ſchon das gleiche Leuchten der
Kometen nach allen Seiten, aus der durchſichtigen
Beſchaffeuheit dieſer Koͤrper, die man zum Theil als
fluͤſſig angenommen, hergeleitet, doch wuͤrde ſelbſt ein
Waſſerball von jener bedeutenden Groͤße, die man bey ei-
nigen Kometen beobachtet, denen Sonnenſtrahlen gegen
die andre Seite hin undurchſichtig werden, und die
Annahme der Fluͤſſigkeit, die uͤbrigens Vieles fuͤr ſich
hat, kann die Nothwendigkeit, jenen Weltkoͤrpern ein
Selberleuchten zuzugeſtehen, nicht aufheben. Der Komet
von 1799, der einzige bis jetzt mit einer aͤhnlichen
Genauigkeit beobachtete und gemeſſene, behielt nach
Schroͤter gegen 15 Tage lang, vom 30ſten Auguſt bis
zum 14ten September, in 7 verſchiedenen Meſſungen,
einen ziemlich unveraͤnderten Durchmeſſer. Hierauf
aber zeigte er ſich auf einmal, am 16ten September,
unter den guͤnſtigſten Umſtaͤnden, um mehr als den 3ten
Theil kleiner als ihn die bisherigen Meſſungen gaben,
und dieſe Vermindrung der Groͤße nahm noch zu, ſo
daß er (wenn man hierbey die geringe Verſchiedenheit
der Entfernung in Rechnung brachte) am 19ten nicht
einmal halb ſo groß als vorher erſchien. Hierauf nahm
er bis zum 25ſten auf einmal ploͤtzlich wieder bis auf
drey Viertheile ſeiner vorigen Groͤße zu, ſank aber
hernachmals, in nicht minder kurzer Zeit wieder bis
auf die Haͤlfte der vorigen Groͤße herunter.
Aus der beſtaͤndigen Groͤße, die der Komet in 7
Meſſungen behalten, ſchloß Schroͤter auf einen feſten
Zuſtand deſſelben, waͤhrend er das ſchleunige Abneh-
men dieſer Groͤße aus einer atmosphaͤriſchen Verhuͤl-
lung deſſelben (wie bey den Jupitertrabanten) herlei-
tete. Zwar ſcheinen viele fruͤhere Beobachtungen groͤ-
ßerer Kometen die Moͤglichkeit einer ſolchen atmosphaͤ-
riſchen Verdunkelung zu beſtaͤtigen, doch ſcheint es aus
andern Gruͤnden und bis zu weitern Beobachtungen der
Art, nicht wahrſcheinlich, daß die Kometenkerne von
einer aͤhnlichen beſtaͤndigen Natur wie die planetari-
ſchen Weltkoͤrper ſind. Die ſo haͤufig beobachtete, in
die Sinnen fallende ungeheure Abplattung, welche ſie
nicht mehr als Sphaͤroide, ſondern als Ellipſen, deren
groͤßere Axe nach der Sonne zugekehrt iſt (wo mithin die
kleine Axe die eigentliche der Pole iſt) erſcheinen laͤßt;*)
das beſtaͤndige undeutliche verwaſchene Ausſehen der
meiſten Kometenkerne, die nicht ganz zu laͤugnende
Beobachtung von Kometen ohne Kern (wovon ſpaͤter
mehr) die ungemein haͤufige und dichte Atmosphaͤre, wie
es ſcheint von einer der unſrigen aͤhnlichen Natur, die den
Kern umgiebt; endlich noch mehr die Eigenſchaft des Sel-
berleuchtens, die auf eine Stufe der koͤrperlichen Bil-
dung ſchließen laͤßt, auf der die Koͤrper uͤberall in fluͤſ-
ſigem Zuſtand erſcheinen; machen es viel wahrſcheinli-
cher, daß die Kometen nicht zu den entwickelten und
ausgebildeten Koͤrpern unſers Syſtems gehoͤren, ſondern
daß ſie ſich noch im Zuſtand der erſten Bildungsfaͤhig-
keit befinden. Es wird dieſes noch durch andre Gruͤnde
beſtaͤtigt, die vielleicht nicht minder wichtig ſind.
Man hat naͤmlich bekanntlich die Bahnen, auch der
Kometen, ziemlich genau berechnen wollen, und nebſt
den uͤbrigen Elementen auch die Umlaufszeit beſtimmt.
Es geben dieſe Berechnungen faſt ſaͤmmtlich den Kome-
ten eine Dauer des Umlaufs, und eine mittlere Ent-
fernung, welche die aller andern Weltkoͤrper unſers
Syſtems ungeheuer weit uͤbertrifft. So betraͤgt nach
Beſſels Berechnung die mittlere Entfernung des Kome-
ten von 1769 uͤber 3409 Millionen Meilen, ſeine
Umlaufszeit 2089 Jahre, *) und dieſer Komet gehoͤrt
vielleicht noch immer nicht zu den (nach ſolchen Rech-
nungen) am entfernteſten. Auch einer der groͤßten Kome-
ten unter allen, welche, ſo viel wir wiſſen, jemals be-
obachtet ſind, der von 1680, ſoll nach einer maͤßigen
und wie aus Einigen ſcheint, viel zu kurzen Angabe,
mehr als 1700 Jahre zu einem Umlaufe brauchen,
und man hat ihn fuͤr denſelben gehalten, welcher nach
dem Tode des Julius Caͤſar erſchien, und welcher we-
nige Umlaͤufe fruͤher, nach der Meynung Einiger, die
Suͤndfluth bewirkt haben ſoll.
Kometen dieſer Art haben daher freylich eine Zeit,
um unſre Rechnungen zu beſtaͤtigen oder vernichten
uͤbrig, die uͤber das Alter unſrer Beobachtungen unge-
mein weit hinausliegt. Doch hat es auch andre ge-
geben, welche die Rechnungen der paraboliſchen und
elliptiſchen Hypotheſen der Aſtronomen wohl ſchon haͤt-
ten beſtaͤtigen koͤnnen, wenn ſie in dieſem Falle auf
ſo guten Grund gebaut waͤren als anderwaͤrts.
So wurde die Bahn des merkwuͤrdigen Kometen
von 1770, von verſchiednen Aſtronomen, vorzuͤglich
aber von den beruͤhmten und geſchickten Herrn Meſſier
und Lexel ſehr ſorgfaͤltig beobachtet und (nach der el-
liptiſchen Hypotheſe) berechnet. Da dieſer Komet
waͤhrend ſeiner ziemlich langen Sichtbarkeit (vom 14ten
Julius bis zum 2ten Oktober) einen Winkel um die
Sonne von mehr als 170° beſchrieb, und da ſeine
Sonnennaͤhe uͤberdies die der Beobachtung guͤnſtigſte La-
ge, die ihn nicht in den Sonnenſtrahlen verſchwinden
ließ, hatte, gab er hierdurch Gelegenheit, ſo genau wie
dies ſonſt ſelten moͤglich iſt, ſeine Bahn zu berechnen.
Aus allen Beobachtungen erhielt man einſtimmig das
Reſultat: daß dieſer Komet 5½ Jahr zu ſeiner Umlaufs-
zeit brauchte. Und doch iſt dieſer ſo genau und von ſo
treflichen Aſtronomen berechnete Komet weder vorher
noch nachher erſchienen, ein Umſtand, der nach den
Worten eines beruͤhmten Aſtronomen „da man ſo we-
nig in die Genauigkeit der Beobachtungen als der Be-
rechnungen den geringſten Zweifel ſetzen kann,
dieſe Erſcheinung zu einem unaufloͤslichen Naͤthſel
macht.“ *)
Zwar haben Einige dieſes unverhoffte Außenblei-
ben jenes Kometen aus der Stoͤrung oder der Anzie-
hung, welche Jupiter, dem derſelbe in ſeiner Sonnen-
ferne ziemlich nahe koͤmmt, auf ihn ausgeuͤbt habe,
hergeleitet; allein ſchon Lexel hatte dieſes bey ſeiner
Berechnung erinnert, und zugleich dadurch widerlegt,
daß er die Beobachtungen des Kometen ſowohl vor
als nach ſeiner Konjunction mit dem Jupiter beſonders
berechnete und mit einander verglich, und beyde mit
derſelben Ellipſe uͤbereinſtimmend fand. *) Auch ge-
hoͤrte dieſer Komet immer nicht zu den kleinſten, da
einer Meſſung zu Folge, ſein Kern noch groͤßer als die
Erde geſchaͤtzt wurde, und wir haben, ſo oft auch Ko-
meten in der naͤchſten Nachbarſchaft der uns naͤheren
Weltkoͤrper voruͤbergiengen, noch nie Spuren einer
ſolchen auffallenden Stoͤrung oder Unterbrechung des
gewoͤhnlichen Laufs, ſowohl bey den Kometen als bey
den Planeten in deren Naͤhe ſie kamen, bemerkt.
Denn ſo gieng der Komet von 1540 zwiſchen Mond
und Erde hindurch, und ſo nahe an dem Mond vor-
uͤber, daß er einen großen Schatten auf dieſen warf,
ohne daß der Lauf des Mondes oder der Erde, und
ſelbſt der des Kometen waͤre geſtoͤrt worden, und der
Komet von 1744 erfreute die Mercurbewohner, wenn
dieſe gleich uns an aſtronomiſchen Beobachtungen Ge-
fallen finden, mit einem ſo ungemein nahen Voruͤber-
gange, als, ſo weit wir die Geſchichte derſelben wiſ-
ſen, noch kein Komet die Erde, ohne daß man an bey-
den ſonderliche Veraͤnderungen wahrgenommen haͤtte.
Wo ſollen wir demnach, bey der anerkannten „Regel-
maͤßigkeit und weiſen Vorherbeſtimmung des Laufs, der
Stellungen (und Groͤßen) aller Weltkoͤrper gegen einan-
der“ auch nur Wahrſcheinlichkeiten finden um daraus
Beweiſe fuͤr eine ſolche Stoͤrung zu nehmen, da jene Re-
gelmaͤßigkeit es unmoͤglich macht, daß zwey Weltkoͤr-
per von gleicher Beſtimmtheit und Feſtſetzung der Bah-
nen und andren kosmiſchen Verhaͤltniſſe, jemals, wie
zwey voͤllig nach Zufall geſchleuderte Koͤrper, mecha-
niſch zuſammenſtoßen, oder was in ſeiner Wirkung
daſſelbe waͤre, ſich ſo nahe kommen koͤnnten, daß einer
den Umlauf des andern (das beſtimmte Daſeyn, die
Individualitaͤt deſſelben) ganz aufheben oder veraͤn-
dern koͤnnte. Nun iſt zwar dieſe Zufaͤlligkeit, dieſer
blinde Mechanismus, den ſie ja an Seiten in die Na-
tur hineingedichtet haben, wo ſie ſeiner gar nicht be-
durft haͤtten, den meiſten Aſtronomen eben recht, und
gar nicht unerwartet, doch werden ſchon die Beſſeren
unter ihnen, die Moͤglichkeit eines ſolchen zerſtoͤrenden
Zufalls nicht zugeben moͤgen.
So ſcheint uns ſchon dieſer eine Fall zu belehren,
wie ſelbſt die klarſten und ſchaͤrfſten Berechnungen der
Kometenbahnen, nicht immer untruͤglich ſind. Zwar
iſt es nun bekannt: wie auf der andern Seite eine ge-
naue Durchſicht des Verzeichniſſes aller bis zu unſrer
Zeit erſchienenen Kometen eine Uebereinſtimmung der
Elemente (beſonders der Neigung der Bahnen, wel-
che bey den Kometen das Wichtigſte ſcheint) der
von 1456, 1531, 1607, 1682, jener von 1264
und 1556 endlich der von 1532 und 1661 gezeigt
hat, und wie wirklich der erſte, der mithin eine et-
was mehr als 75jaͤhrige Umlaufszeit hat, *) von Hal-
ley auf das Jahr 1759 vorausgeſagt wurde, und auch
wirklich kam, waͤhrend der zweyte, der ſeiner 129jaͤh-
gen Umlaufszeit zu Folge, im Jahr 1790 erwartet
wurde, ausblieb, ſtatt ſeiner aber in dieſem einen Jah-
re 3 Kometen ſendete, die ſaͤmmtlich in ihren Elemen-
ten von ihm verſchieden waren. Auch der von 1759
war das eine Mal 13, ja ein andres Mal 18 Monate
laͤnger aus, als von 1607 zu 1682, was den Stoͤ-
rungen der groͤßeren Weltkoͤrper zugeſchrieben worden.
Beſtimmte Meſſungen des Kerns, von Aſtrono-
men wie Schroͤter, wenn ſie ſich von einem Umlauf
zum andern gleich blieben, wuͤrden vielleicht Aufſchluͤſ-
ſe uͤber die beſtaͤndigere oder unbeſtaͤndigere Natur des
Kerns geben koͤnnen. Doch waͤre ſelbſt ein ziemlich
uͤbereinſtimmendes Verhaͤltniß der Groͤßen, der An-
ſicht, die wir nachher aufſtellen werden, nicht entgegen.
Daß derſelbe Komet bey dem einen Umlauf mit einem
Schweif erſchien, den er, als er von ſeinem langen
Zug zuruͤckkehrte, wir wiſſen nicht wo? verlohren
hatte, koͤnnte gegen ſeine Identitaͤt noch nichts bewei-
ſen, es zeigte nur, da aus weiter unten anzufuͤhren-
den Gruͤnden der Schweif eine elektriſche Erſcheinung
iſt, daß derſelbe Koͤrper das eine Mal ſich (vielleicht zur
Erde, von wo aus wir den Schweif beobachten) poſi-
tiv, das andre mal negativ verhalten.
Wenn aber das ſchon erwaͤhnte Ausbleiben wenig-
ſtens des einen Kometen, des von 1770, deſſen Bahn
doch ſo klar beſtimmt war, wie es wahrſcheinlich iſt,
nicht ohne weitere Beyſpiele bleiben ſollte, wenn in
Zukunft ſo mancher, deſſen Bahn genau berechnet ſchien
nicht wiederkehrte, dann wuͤrde vielleicht das, was
die bloße Mathematik uͤber die Kometenbahnen aus-
ſagt, eine etwas tiefere Bedeutung erhalten. „Es
muß naͤmlich, wenn man die Umlaufszeit aus Beob-
achtungen unmittelbar beſtimmen will, die elliptiſche
Theorie zu Grunde gelegt werden. Wie unſicher aber
dieſe Rechnungen ſeyn muͤſſen, erkennt man ſchon da-
durch, daß man ohne merklichen Fehler, den beobach-
teten Theil der Bahn als paraboliſch betrachten, mit-
hin die Umlaufszeit unendlich annehmen kann. Es iſt
wahr, die Anomalie, der Radius Vector u. a. wer-
den aus den Beobachtungen nach der elliptiſchen Theo-
rie anders berechnet als nach der paraboliſchen, allein
der Unterſchied iſt in der Kometenbahn ſo gerin-
ge, daß ſich die Beobachtungen um eine Kleinigkeit
aͤndern duͤrfen, um eine Umlaufszeit von etwa 100 Jah-
ren in eine unendliche zu verwandlen, und daß die ge-
ringſten Fehler die Umlaufszeit um mehrere Jahrhunder-
te, oder um eine Ewigkeit vergroͤßern koͤnnen.“ So er-
ſcheint nach dieſen Worten eines geiſtreichen Aſtronomen,
ſelber die Bahn der Kometen als etwas Unbeſtimmtes,
noch Formloſes — Fluͤſſiges, und obgleich ſolche Ko-
meten wie der oft erwaͤhnte von 1770, deren mittle-
re Entfernung ſo geringe, deren Eccentricitaͤt ver-
haͤltnißmaͤßig ſo unbedeutend iſt, in Hinſicht ihrer
Bahn ſich den feſten Bahnen der Planeten vielmehr
naͤhern, und mithin leichter zu berechnen ſind, hat uns
doch ſelbſt dieſer eine mit unſern Rechnungen im Sti-
che gelaſſen, wie vielmehr werden es andre, viel ſchwe-
rer zu berechnende. Wir wollen daher jenen Kometen,
die oft viel kleiner im Durchmeſſer des Kerns als der
von 1770 *) erſt in Jahrtauſenden wieder zu kehren
verſprochen, hierin keinen Glauben beymeſſen, und
auf ſolche ſeltne Beſuche gar nicht erſt warten. Wenn
ſchon in einem Umlauf von 5 Jahren ſo ſehr ſtoͤrende
Urſachen kommen koͤnnen, welche Stoͤrungen werden
erſt jenen begegnen, die ganzen Jahrtauſenden die Ge-
legenheit dazu anbieten, und die noch dazu ſich ſo weit
uͤber das Gebiet unſers Sonnenſyſtems hinauswagen.
Was fuͤr anziehende oder abſtoßende Gewalten moͤgen
erſt draußen auf ſie warten, wo, wie wir geſehen ha-
ben, noch ganz andre Weltenmaſſen ſind, als die un-
ſers Syſtems. Denn wenn ſchon die mittlere Entfer-
nung des Kometen von 1769, der gar nicht zu den
groͤßten gehoͤrte (in Hinſicht des wahren Kerndurchmeſ-
ſers) wenigſtens 3409 Millionen Meilen betraͤgt, ſo
belaͤuft ſich ſeine weiteſte Entfernung gar auf 6816
Millionen Meilen, und andre Kometen ſind noch wei-
ter uͤber unſre Graͤnze hinaus geweſen. *)
Wie die Bahn ſelber nur zu ſehr an das Formloſe
und Fluͤſſige graͤnzt, ſo ſcheint, man erlaube uns die-
ſen Ausdruck, die ganze Natur der Kometen fuͤr unſer
Weltgebaͤude das Syſtem des Fluͤſſigen zu bezeichnen.
Man hat ſchon von allen Seiten die Kometen „als das
allgemeine Band angeſehen, welches das ganze Son-
nenſyſtem umſchlingt, und eine naͤhere Verbindung
zwiſchen den Planeten und der Sonne bewirkt“ in der
ganzen Natur finden wir aber, daß bey einem aͤhnlichen
lebendig zuſammenwirkenden Ganzen, die Verbindung
zwiſchen den feſten und beſtaͤndigen Theilen, durch ein
dem Feſten entgegengeſetztes Fluͤſſiges geſchieht, daß
uͤberhaupt eine ſolche ſich immer wieder erzeugende
Verbindung der Theile, nur durch den Gegenſatz zwi-
ſchen Fluͤſſigem und Feſtem moͤglich iſt. Man hat fer-
ner ſchon behauptet, daß die leuchtende Atmosphaͤre
die den Kern der Kometen, gegen dieſen hin immer
dichter werdend, umgiebt, nichts anders als der Aether
ſey, oder wie man ſonſt das allgemeine Medium nen-
nen will, in welchem alle Weltkoͤrper unſers Syſtems
enthalten ſind, welches ſonſt außer der Beobachtung
der Sinnen liegende Element, jetzt durch die ſich in
ihm bewegenden Kometen ſichtbar und ſinnlich gemacht
wuͤrde. So waͤre, wenn auch der Schweif daſſelbe
waͤre, das was uns an den Kometen am meiſten in
die Augen faͤllt, eine oft ungeheure Strecke (die wie er-
waͤhnt uͤber 40 Millionen Meilen betragen kann) des
fuͤr uns ſinnlich gewordenen Elements, das alle Pla-
neten in ſich faßt, das ein runder Koͤrper von oft un-
verhaͤltnißmaͤßig geringem Umfang mit ſich fort beweg-
te. Wenn die erwaͤhnte, oft ungeheuer ausgedehnte
Atmosphaͤre, von einer aͤhnlich leuchtenden Beſchaffen-
heit wie der Kern, indem ſie nach dieſem hin ſich im-
mer mehr verdichtet, zuletzt „die eigenthuͤmliche At-
mosphaͤre, die Atmosphaͤre deſſelben im engern Sinne
bildet“ die doch wiederum ein Theil des Kometen ſelber
iſt, ſollte nicht zuletzt auch der Kern der am meiſten
verdichtete Theil deſſelben Elements, das hier noch im-
mer ſeine vorige Eigenſchaften beybehalten, ſeyn?
Wenn nun die Erfahrung der Kometen ohne Kern, oder
jener wo der Scheinkern ſo wenig dicht geweſen, daß er
die Strahlen der kleinen Sterne durchgelaſſen, wirklich
mehr als ein Mal wahrgeweſen waͤre? oder viel-
mehr auf der andern Seite, ohne daß wir uns auf je-
ne verdachtigen Beobachtungen beziehen wollen, wenn
nun der Kern ſeine ſcheinbar dichtere, fuͤr das Licht
der bedeckten Geſtirne undurchſichtige Beſchaffenheit,
wirklich nur als einen hoͤheren Grad derſelben. Eigen-
ſchaft, die auch ſchon in einem minderen die leuchten-
de Atmosphaͤre beſaͤße, haͤtte? Man moͤge nicht ver-
geſſen, daß auch in den Schroͤterſchen Beobachtungen,
kleine Sterne, die an der Graͤnze der leuchtenden
Sphaͤre noch durchſchimmerten, in dem dichtern Thei-
le derſelben verſchwanden, obgleich dieſer wohl noch
fuͤr groͤßere, ſo wie fuͤr den Kern, durchſichtig geweſen
waͤre. Zwar wurde nun hier dieſe ſtaͤrkere Undurch-
ſichtigkeit dem ſtaͤrkeren Lichte dieſes Theils der Sphaͤre
zugeſchrieben, aber koͤnnte nicht die ſcheinbar dichte
Beſchaffenheit des Kerns aus derſelben Urſache herruͤh-
ren? Muͤßte nicht auch eine beſtimmte Quantitaͤt Fluͤſ-
ſigkeit, ſey es daß das Quantum von außen (gleich-
ſam durch das Gefaͤß, wie bey dem Blutumlauf) oder
durch die herbeyfuͤhrende Kraft beſtimmt ſey, wenn ſie
ſich zu einer Kugel geformt durch den ewigen Aether
bewegte, auch auf einem Theile ihrer Bahn, wo
gleichſam wenig oder nichts von ihr conſumirt wuͤrde,
von einer beſtimmten Groͤße erſcheinen? Koͤnnte nicht
ſelbſt, man erlaube mir das Bild, die Groͤße der Ko-
meten ohngefaͤhr eben ſo mit der Bahn (von der wir
nur den Ort des Kometens und die Neigung meinen)
im Verhaͤltniß ſtehen, wie die Groͤße der Blutwelle die
ſich durch dieſe oder jene Region des Koͤrpers bewegt,
davon abhaͤngt, daß ſich in dieſer Region groͤßere oder
kleinere Gefaͤße befinden?
Selbſt das Periodiſche der Wiederkehr der Kome-
ten (der periodiſche Umlauf) hienge damit zuſammen,
und vielleicht ließe ſich dieſe ſelbſt noch auf eine andre
Weiſe als aus der elliptiſchen oder paraboliſchen Be-
rechnung der Bahn finden, ja vielleicht daß ſelbſt das
was neulich ein Arzt in einer erdichteten Witterungs-
prophezeihung uͤber die periodiſche Wiederkunft der
Kometen, ohngefaͤhr wie die der Nordlichter im
Scherze geſagt hat, im Ernſte wahr waͤre.
Merkwuͤrdig iſt es in dieſer Hinſicht, daß jene Pe-
riode des Umlaufs des Kometen von 1759 dem 12ten
Theil der großen magnetiſchen Periode oder dem 6ten
ihrer Haͤlfte (der Zeit von 432 Jahren) ſo nahe iſt,
waͤhrend die des Kometen von 1556, welche 292
Jahre betraͤgt, ſo nahe der 3te Theil der großen mag-
netiſchen Periode, mithin der 6te der noch groͤßern
doppelten (1728jaͤhrigen) iſt. Denn 292 differirt
von 288 nur 4 Jahre, mithin nur
[Formel 1]
, waͤhrend wie
ſchon erinnert die Umlaufszeit des Kometen von 1759
mehrere Male ungleich betraͤchtlichere Differenzen, die
bis auf den 50ſten Theil ſtiegen, was fuͤr die Periode
von 292 Jahren 6 Jahre betruͤge, gezeigt hat, und
wahrſcheinlich, wenn ſeine Umlaufszeit im Mittel
wirklich an 72 Jahre graͤnzt, noch viel betraͤchtlicheren
unterworfen iſt (die bis auf
[Formel 1]
gehen koͤnnen, ſo daß
auch in den angezeigten Zahlen der Differenz 75—50
— 25 das Verhaͤltniß 1 — 2 — 3 iſt.)
So giebt es denn, wie ich hier an mir gezeigt ha-
be, und zwar hier nur ganz beylaͤufig und oberflaͤch-
lich, anderwaͤrts aber gruͤndlicher zeigen werde, „Leute,
welche noch im Ernſt behaupten koͤnnen“ die Kometen
waͤren nichts anders als Meteore in einem weiteren hoͤ-
heren Sinne, uͤbrigens aber in ihrer Art (als dieſer be-
ſtimmte Koͤrper) eben ſo wenig beſtaͤndig als die Wolke
oder in einem noch „craſſeren“ Bilde, als die Blutwel-
le, die ſchon in dem naͤchſten Umlauf eine ganz an-
dre iſt. Die Bahnen der Kometen ſind im Verhaͤltniß
zu den Bahnen der Planeten eben ſo wenig beſtimmt,
als die Richtungen der nach allen Dimenſionen auslau-
fenden, und an der Graͤnze des Koͤrpers auf einmal
(erſt als Arterie dann als Vene) und ohne alle Vorbe-
reitung in die gerade entgegengeſetzte Richtung umkeh-
renden Blutgefaͤße, die in dieſem Verhaͤltniß auch das
ausdruͤcken, was die Kometenbahnen in ihrer faſt pa-
taboliſchen Geſtalt.
Noch unausgebildete Weltkoͤrper, oder vielmehr
Weltenmaſſe, ſind die Kometen allerdings, wie Einige
behauptet haben, nur werden ſie ſo fuͤr ſich auch nie
zur feſten Exiſtenz der uͤbrigen Weltkoͤrper gelangen.
Neuen Lebensſtoff dieſen zufuͤhrend, von jenen den
alten wieder zuruͤcknehmend, treibt dieſes ſeltſame Ge-
ſchlecht ſein dunkles Spiel mitten in dem ewigen Aether.
Merkwuͤrdig iſt noch das Verhaͤltniß der Zahl der
ruͤcklaͤufigen und vorwaͤrtsgehenden, was ohngefaͤhr
iſt wie das der Venen und Arterien naͤmlich ſich gleich,
und was auch von Zeit zu Zeit bey den vielen neuer-
ſcheinenden Kometen, ſich immer gleich bleibt. Be-
kanntlich haben naͤmlich nicht blos alle 11 Planeren
unſers Syſtems, und alle Trabanten deſſelben, die ge-
meinſchaftliche Bewegung von Weſt nach Oſt in ihren
Bahnen, ſondern dieſe iſt ſelbſt allen ihren Rotationen
ſo wie der der Sonne eingepflanzt. Man hat deshalb in
fruͤheren noch mechaniſcheren Zeiten, dieſe gemeinſchaft-
liche Richtung von einem allen gemeinſchaftlich von der
Guͤte Gottes zuertheilten Stoße hergeleitet. Doch
fand ſich ſpaͤter auf einmal daß ein großer Theil der
Kometen, naͤmlich faſt genau die Haͤlfte, eine dieſer ge-
meinſchaftlichen Bewegung gerade entgegengeſetzte zei-
gen, — die von Oſt nach Weſt, eben ſo wie —
waͤhrend ſonſt alle Lebenseinfluͤſſe von innen nach außen
gehen (vom Gehirn oder ſeinen Repraͤſentanten nach den
Theilen) nur im Blutgefaͤßſyſtem eine ſolche Bewegung,
und zwar gerade in der ganzen einen Haͤlfte deſſelben,
nach der entgegengeſetzten Richtung gefunden wird.
Merkwuͤrdig iſt es nun in mehr als einer Hinſicht, daß
waͤhrend 1790 von den bis dahin berechneten 78 Ko-
meten faſt gerade die Haͤlfte, 40, vorwaͤrts liefen,
die andern 38 verkehrt, jetzt unter den bis 1806 be-
rechneten 95 Kometen, 48 vorwaͤrts, 47 ruͤckwaͤrts
laufen; daß ferner, waͤhrend von jenen 78, 44 den
Knoten auf der noͤrdlichen Seite der Ecliptic hatten,
34 auf der ſuͤdlichen, unter den letzteren 95, 54 ih-
ren Knoten noͤrdlich, 41 ſuͤdlich hatten, ſo daß unter bey-
den Zahlen ziemlich das Verhaͤltniß von 2 zu 3 iſt.
So hat ſich auch in dieſem Punkt in der Geſchich-
te der Kometen eine Art von hoͤherer Periodicitaͤt ge-
zeigt, die ich anderwaͤrts noch auf eine viel evidentere
Weiſe nachzuweiſen gedenke, wo ich die Moͤglichkeit
zeigen werde, aus den Hauptelementen (Neigung,
Ort der Sonnennaͤhe und des Kuotens) der beyden zu-
letzt erſchienenen Kometen, die des zunaͤchſt kuͤnftigen
bis auf einen gewiſſen Punkt vorauszuſagen.
Die Knoten haben ſich auch noch in einem Stuͤck
den elektriſchen Meteoren aͤhnlich gezeigt, das ich hier
nicht ganz uͤbergehen darf, beſonders da ein Beobach-
ter wie Schroͤter neuerdings wieder darauf aufmerkſam
gemacht hat. Es haben naͤmlich nach dem uͤberein-
ſtimmenden Zeugniß mehrerer der beſten Beobachter *)
die Schweife mehrerer großer Kometen eine eigenthuͤm-
liche „fluctuirende und vibrirende“ Bewegung gezeigt,
als ob ſie in ſolchen Momenten neue Strahlen ſchoͤſſen,
ſo daß jetzt der Schweif ſich verkuͤrzte und zuruͤckezog,
dann in einem Augenblick durch einen neuen Strahlen-
ſchuß wieder verlaͤngerte und ausbreitete. Dieſe ei-
genthuͤmliche Bewegung, war ſich nicht jedem Tag
gleich, obwohl der Himmel unveraͤndert heiter war.
Selbſt Schroͤter beobachtete mit ſeinem großen
27fuͤßigen Reflector an dem kleinen von ihm beſchrie-
benen Kometen eine ſolche Bewegung, nur in einem
minder deutlichen Grade. — Zuweilen zeigten ſich
noch außer dem Kern, und ſelbſt mit dieſem in entgegen-
geſetzter Richtung, neue Lichtſtrahlen, die wohl mehre-
re Tage anhielten, wie Corn. Gemma und andre
Augenzeugen von dem von 1577 verſichern, und ſelbſt
Meſſier ſahe an dem von 1769 etwas Aehnliches.
Es wird jene pulſirende Bewegung des Schweifs
ſchon von Schroͤter mit den elektriſchen Phaͤnomenen
dieſer Art verglichen, mit welchen ſie auch einerley
Urſache und einerley Bedeutung zu haben ſcheint.
Hierauf deutet ſchon die Geſtalt der Schweife, welche
nicht ſelten den elektriſchen poſitiven Strahlenbuͤſcheln
ungemein aͤhnlich iſt. Die von der Sonne abgekehrte
Seite des Kometen, an der ſich noch bisher immer
ohne Ausnahme der Schweif aller beobachteten Kome-
ten gezeigt hat, ſcheint ſich demnach poſitiv elektriſch
zu verhalten, zu welcher wahrſcheinlich die andre Sei-
te negativ iſt. — Vielleicht daß auch kuͤnftige Be-
obachtungen in der pulſirenden Bewegung der Kome-
tenſchweife, jene Periodicitaͤt anerkennen, die Rit-
ter in allen kosmiſchen Phaͤnomenen der anorgiſchen
Natur, von dem Galvanismus (im Magnetismus iſt
er allgemeln bekannt) bis zur Flamme, ſo ſchoͤn nach-
gewieſen hat, und daß ſich auch hier in einem groͤßeren
Maasſtabe, der Lebenspuls der ganzen Natur wird
nachweiſen laſſen. —
Es ſind die Kometen, wie wir oben erwaͤhnten,
Welten von ſelberleuchtender Natur. Von der Son-
ne ſind ſie darinnen unterſchieden, daß bey jener, wie
bekannt genug iſt, der Kern von dunkler Natur iſt,
und daß die ihn umhuͤllende Atmosphaͤre durch ihre
Wechſelwirkung mit dem Kern, von der ich anderwaͤrts
gehandelt habe, *) die Eigenſchaft des Leuchtens em-
pfaͤngt. Dagegen iſt bey den Kometen der Kern leuch-
tender Natur, wo ſie naͤmlich einen haben, denn die
Moͤglichkeit der Exiſtenz von manchen ganz fluͤſſigen,
voͤllig kernloſen Kometen, wie ſie fruͤheren Beobach-
tungen erſchienen ſind, wird ſelbſt von dem eifrigſten
Vertheidiger eines fixen Kerns der meiſten Kometen, von
Schroͤter, nicht gelaͤugnet. **) Dagegen iſt gera-
de umgekehrt, bey den Kometen die den Kern zunaͤchſt
umhuͤllende Atmosphaͤre, von dunkler oder weniger
durchſichtiger Natur, und erſt außerhalb dieſer er-
ſcheint wieder nebſt dem Schweif die ſelberleuchtende
feine Dunſtkugel, die gleichſam um den Kometen mit-
ten im Aether ein kleines Syſtem bildet, waͤhrend in
einem groͤßeren Maasſtabe dieſe dritte Atmosphaͤre um
die Sonne das Planetenſyſtem (mit dunklen Koͤrpern
gleich dem Kern der Sonne) iſt.
So verhalten ſich hierinnen die Kometen zu den
uͤbrigen Koͤrpern des Syſtems, wie das 3te Glied ei-
ner in der ganzen Natur vorhandenen Wechſelwirkung.
Dieſes iſt naͤmlich, wie ich ſchon in meiner erwaͤhnten
Schrift darauf hingedeutet habe, und im naͤchſten
Bande derſelben noch weiter zeigen werde, das noch
Geſtaltloſe, urſpruͤngliche Element, oder in der ſicht-
baren Natur Etwas das dieſes repraͤſentirt. In der
organiſchen Natur iſt es das Fluͤſſige, das Blut, das
mit dem Gehirn in einem aͤhnlichen Gegenſatz ſteht, wie
die Kometen mit der Sonne.
Es ſind die Kometen, die uns in gewiſſen Perio-
den *) ſichtbar werdende, unaufhoͤrliche Bewegung
der Lebenselemente **) unſers Planetenſyſtems, die
jetzt von außen nach innen, dann von innen nach außen,
allbelebend ſtroͤmen. Vielleicht, und wahrſcheinlich
iſt es, daß ſie uns dieſe feſte Geſtalt nur heucheln, daß
ſie dieſe uͤberhaupt nur auf einem Theil ihres Laufs anneh-
men, waͤhrend hernach, wie bey Wolken oder Meteoren in
groͤßerem Maasſtabe, Bahn und Geſtalt ſich wieder in die
alte Unbeſtimmtheit aufloͤſen, was vielleicht uͤberhaupt
immer an einer gewiſſen Graͤnze ihres Laufs geſchieht,
und daß ſo in der Aufloͤſung und Wiedererneuung der-
ſelben, der Kreislauf des Ganzen unterhalten wird. Wo
auch wirkliche Kerne in der Mitte der Kometennebel er-
ſcheinen, geben dieſe durch ihre Haupteigenſchaft, das
Element aus dem ſie beſtehen, und die aller dauernden
Geſtaltung widerſtrebende Natur deſſelben zu erkennen,
und es iſt ihnen auch dann die untergeordnete Function,
den allgemeinen Kreislauf zu unterhalten aufgetragen.
So haben wir in dieſer heutigen Vorleſung, eine
ewig neue, nie ſtille ſtehende Schoͤpfung ihr unendli-
ches Tagewerk fuͤhren ſehen, und wie hier ganze Welt-
gebaude noch im Entſtehen, noch tief im Schooße des
ewigen gemeinſchaftlichen Elements ruhen, andre hier
in der hoͤchſten Vollendung ihrer Kraͤfte das Lebens-
werk des Umlaufs fuͤhren, waͤhrend dort ganze Welt-
gebaͤude in das Element des Urſprungs zuruͤckſinkend,
einer hoͤheren Verwandlung entgegen gehen.
Es muß ſich das Auge zuerſt an jene unwandelba-
re Gleichartigkeit und Beſtaͤndigkeit der Natur in der
Zeit gewoͤhnen, welche ſie ewig, mit friſcher Fuͤlle ſchaf-
fend zeigt, wie vom Anfang. Die Anſicht jener Gleich-
artigkeit, wird uns vor jener Beſchraͤnktheit ſichern,
welche, auf der freylich veraltenden Natur der Erde al-
lein haftend, dieſe, wie Greiſe die Abnahme der eignen
Lebenskraft und das Herabſinken des eignen Daſeyns, ſo
leicht in das Ganze hineindichtet. Wenn auch hier
ganze Generationen veralten, keimen doch dort andre
mit neuer Lebensfuͤlle auf, denen das Daſeyn wieder
eben ſo friſch und herrlich bluͤhen wird, wie es jenen
gethan, und wenn auch hier eine ganze Welt in der
letzten Unfruchtbarkeit des Alters ihren Kindern ſelbſt
die letzte Nothdurft nur karg gewaͤhrt, ſo laͤßt doch
dort die Natur eine ganze Schoͤpfung in der erſten Un-
ſchuld der Urzeit, erſt erwachen. Wenn auch auf Er-
den die goldne Zeit, die Zeit des Paradieſes laͤngſt ver-
gangen, und der Menſch hinaus getrieben worden in
die letzten Kaͤmpfe der Geſchichte, ſo erfreut ſich viel-
leicht ſelbſt noch auf Planeten unſers Syſtems, die Na-
tur ihrer erſten, noch nicht aus dem ewigen Urſprung
abgewichenen Bewohner, waͤhrend vielleicht auf an-
dern der Kampf der Geſchichte ſchon geendet, und der
Menſch ſchon zur letzten, hoͤchſten Klarheit des Lebens
durchgedrungen iſt.
Wir wollen uns deshalb huͤten, jene Schranken,
welche das lange Werk der Zeiten zuletzt der Natur un-
ſres Planeten geſetzet, auf die Geſchichte des Ganzen
uͤberzutragen, und in der ewigen Wiedererneuung der
Welten zu immer hoͤherem Daſeyn, die Zuverſicht einer
ſolchen unendlichen Wiedererneuung auch des einzelnen
Daſeyns aus ſich ſelber finden.
Außer dieſem moͤge uns der Innhalt der heutigen
Vorleſung ein nicht nach mechaniſchen Kraͤften ſich hier
und dahin untereinander bewegendes, ſondern lebendig
zuſammenwirkendes Weltganze, und — in dem Reich
der Kometen, ein ſolches gemeinſchaftliches, um Alle
geſchlungenes Band anerkennen laſſen.
Bekanntlich war am Anfange der neuen Zeit jenes
Vorurtheil faſt allgemein herrſchend, daß die Sonne
und alle Weltkoͤrper unſers Syſtems, ja ſelbſt die un-
geheuer fernen Fixſterne, ſich taͤglich, und in einer groͤße-
ren Periode jaͤhrlich um unſre kleine Erde, die in der
Mitte ſtill ſtuͤnde, bewegten. So weit hatte der
ſchlimme Geiſt des Egoismus den Menſchen von der
einfaͤltigen, klaren Wahrheit, die ihm von Anfang an
gar nicht unbekannt war, abgefuͤhrt.
So nahe auf der andern Seite die Wahrheit gele-
gen, daß ſie dem einfaͤltigen, wenn auch zugleich un-
unterrichteten Gemuͤth ſich von ſelber aufdringen muͤß-
te, wenn man ihm nur die zu jeder Zeit bekannten
Thatſachen vorlegte; iſt doch der erſte Schritt zu ihr
zuruͤck, dem menſchlichen Geiſt ſo unbegreiflich ſchwer
geweſen, daß ſelbſt, als ſie nun wieder ſo rein und
uͤberzeugend ausgeſprochen war, daß eine Selbſtver-
laͤugnung dazu zu gehoͤren ſcheint ſie nicht anzuerken-
nen, noch ein Jahrhunderte langer Kampf dazu gehoͤr-
te, ehe ſie allgemein anerkannt worden, und daß ſelbſt
noch viele der Beſſeren und Unterrichteten ihr noch
lange hartnaͤckig widerſtraͤubten.
Kopernicus war der erſte, der, wie man
ſagt, durch das Leſen der Alten ſchon fruͤher wieder
auf die rechte Bahn der Unterſuchungen geleitet, die
ſo einfache wahre Weltordnug wieder anerkannte, die
ſeitdem von ihm den Nahmen hat. Die Erde nicht
minder als alle Planeten, gehen in dem Kreißlauf ihrer
Jahre um die Sonne, es bleibt hierbey der Erde nur
der Mond als Begleiter, und die Taͤuſchung des taͤg-
lichen Umlaufs des Weltganzen um das Staͤubchen
Erde, loͤs ſich durch eine — allgemein an faſt allen
Weltkoͤrpern bemerkte — taͤgliche Bewegung um die
eigne Axe.
Die Gleichfoͤrmigkeit der Bewegungen aller Plane-
ten um den gemeinſchaftlichen Centralkoͤrper, erlaub-
te nun dem kuͤhnen menſchlichen Geiſt, der, wenn ein-
mal nur der erſte Schritt geſchehen, eben ſo unauf-
haltſam zur Wahrheit ſtrebt, als leider im entgegen-
geſetzten Falle zum Irrthum, weiter zu ſteigen, und
die tief unter der Weisheit der alten Zeit verborge-
nen *) Geſetze der Bewegungen und Entfernungen der
Planeten ſelbſtſtaͤndig und von neuem zu entdecken.
Es war dieſes Keplern vorbehalten, deſſen Ent-
deckungen ſchon faſt vor 2 Jahrhunderten eine Bahn
in das Innerſte der hoͤheren Naturwiſſenſchaft eroͤfnet
haben, auf welcher erſt die jetzige Zeit, durch jene
Arbeiten, welche in Phyſik, Chemie und anderwaͤrts
geſchehen, weiter fortzuſchreiten anfaͤngt, nachdem
fuͤr die Ungeduld des menſchlichen Strebens die etwas
ſpaͤteren Neutoniſchen Entdeckungen ein nicht unnuͤtzli-
cher Hemmungspunkt geworden. Es pflegt naͤmlich
der Genius der Welt, wenn in Wiſſenſchaft oder Ge-
ſchichte den kuͤnftigen Jahrhunderten ein großes Werk
obliegt, den Plan und die Graͤnzen des Ganzen in
einzelnen großen Menſchen ſchnell zu uͤberblicken, wie
auch im Einzelnen ein wiſſenſchaftliches Gemuͤth bey
irgend einer geiſtigen Arbeit am ſchicklichſten zuerſt
nach einer ſchnellen Ueberſicht des Planes ſtrebt. Her-
nach wird langſam, durch die langfortgeſetzte Arbeit
ganzer Zeitalter, das im Einzelnen ausgebildet, was
der gewaltige Geiſt jener ſeltenen Menſchen im Ganzen
erfaßte, und erſt ins Daſeyn rief. Allerdings iſt durch
das gluͤckſeelige Werk jener Einzelnen hiebey das Hoͤch-
ſie und Meiſte geſchehen, wie auch in der phyſiſchen
und geiſtigen Welt, der ſpaͤteren langſamen Entwicklung,
erſt der Moment der Erzeugung und der lebendigen
Idee des Ganzen vorausgehen mußte, ohne welchen
jene nur krankhafte Auswuͤchſe und Molen erzeugt,
und es wuͤrde ein Jahrtauſende langes, noch ſo langſa-
mes und muͤhſeeliges Fortarbeiten der untergeordneten
Geiſter, das Werk des Ganzen nicht um ein Haar-
breit foͤrdern, wenn nicht aus jenen ſeltneren Genien
der belebende, geſtaltende und ordnende Funke aus-
gienge. Was uns der Geiſt der Welt aus Jenen wahr-
haf Berufenen und Begeiſterten, und was er uns in
jenen hoͤheren Momenten des Empfangens der Ideen
offenbart, iſt das wahrhaft Goͤttliche unſrer Natur,
und erſt ſpaͤter fuͤgt ſich dieſem, allmaͤlig in der Welt
des Beſondern fortbildend, das Menſchliche an.
Was Kepler als Fuͤhrer und Urheber des Ganzen
den kuͤnftigen Zeiten zur weitern Ausarbeitung uͤberge-
ben, das große Ganze, wozu er jenen die Ausfuͤhrung
und Anwendung im Einzelnen uͤbertragen, fieng ſchon
das ſeltne mathematiſche Talent des Neuton an, muͤh-
ſam und mit tiefer Gruͤndlichkeit auszuarbeiten. Die-
ſer war berufen, zuerſt Hand an das maͤchtige Werk
zu legen, wozu der Baumeiſter nicht allein den Plan
und Umriß, ſondern auch den noͤthigen Boden und die
Materialien gegeben. Dem Beyſpiele dieſes Mannes,
deſſen Streben und deſſen Werk dem Geiſt des Zeital-
ters und der Menge naͤher verwandt war, als der des
nur erſt ſpaͤt erkannten Kepler, iſt nun bis zu unſrer
Zeit eine große Zahl ſcharfſinniger und fleißiger Maͤn-
ner gefolgt, und ihnen danken wir es, daß die Kep-
leriſchen Entdeckungen nach einer Seite hin mit einer
Gruͤndlichkeit und Vielſeitigkeit angewendet und aus-
gefuͤhrt ſind, welche nichts oder wenig mehr zu wuͤn-
ſchen uͤbrig laͤßt.
Wenn von dieſen nur zu oft Keplers Verdienſt
verkannt, und das des Neuton dagegen zu ſehr erho-
ben iſt, wenn ſo uͤber dem erſten Gehuͤlfen der Meiſter
verkannt und vergeſſen, uͤber dem Medio, welches die
Strahlen einer der Welt zu fernen Sonne, dieſer mit-
getheilt, die erſte Urſache des Lichts ſelber vergeſſen
iſt, ſo hat man hierin freylich unrecht gethan, doch
wird ſich nur zu leicht, wo das Urtheil in den Haͤnden
der Mehrzahl iſt, dieſes gegen die Weiſe und das Stre-
ben der groͤßern Zahl guͤnſtig zeigen. Die Neutone
waͤren haͤufiger, wenn die Kepler haͤufiger waͤren. Ein
Neuton koͤnnte nicht ſeyn, ohne einen Kepler als Vor-
gaͤnger, oder alle ſeine muͤhſeeligen Beſtrebungen muͤß-
ten nur taube unfruchtbare Gewaͤchſe bringen. Dage-
gen wird ein Kepler jederzeit ſeinen Neuton finden,
und koͤnnte eher, wo es noͤthig waͤre, eine ganze Welt
voller Neutone hervorrufen, als dieſer einen einzigen
Kepler, wie denn unter den Mitarbeiten und Nachfol-
gern jenes großen Mathematikers viele ſind, die ihm
an Talent und Muͤhſeeligkeit des Beſtrebens, wenn
auch nicht an dem Gluͤck des fruͤheſten Erwachens zum
neuen Tagewerk zur Seite ſtehen duͤrfen.
Es waͤre laͤcherlich, dem Kepler die Kenntniß
der allgemeinen Anziehung und Schwere abzuſprechen.
Sogar den Hauptinnhalt und das endliche Reſultat der
Arbeiten des Neuton, von den Neutonianen ſelber
verkannt, und erſt kuͤnftigen Zeiten zum Ausſprechen
gegeben, hat Kepler deutlicher gekannt, und in die Urſa-
che der Bewegung der untergeordneten Welten um ei-
nen Centralkoͤrper und der elliptiſchen Geſtalt der
Bahnen, in die Urſache der allgemeinen Anziehung, tie-
fere Blicke gethan, als Neuton, wie ſich dieſes ander-
waͤrts wird zeigen laſſen. *) Ja ſelbſt die Ausfuͤh-
rung jener Ideen, in dem Geſetz der Schwere, hat ſei-
nem ſeltnen Geiſt ſo nahe gelegen, daß er es nicht oh-
ne Ausfuͤhrung gelaſſen haͤtte, wenn ſeine weiterſtre-
bende Natur uͤberhaupt zu dem Ausarbeiten des Einzel-
nen und Beſondern waͤre gemacht geweſen. Denn es
kann in der zeugenden und belebenden Urſache nicht zu-
gleich die Eigenſchaft des langſamen muͤtterlichen Aus-
bildens liegen, und wozu die geringere Kraft der
groͤßern Menge, in einer lang anhaltenden Arbeit wohl
hinreicht, das traͤgt die Natur nicht jenen Seltenen
auf, deren hoͤheres Tagewerk kein Andrer vollenden
wuͤrde, wie ein weiſer Regent nicht den Fuͤhrer des
Heeres zu dem Dienſt des gemeinen Kriegers, den
Baumeiſter zum Handlanger misbranchen wird. Da-
gegen hat ſich, obgleich kein Verſtaͤndiger dem großen
Neuton die Entdeckung des Geſetzes der Schwere ſtrei-
tig machen wird, doch ohnſtreitig die Grundanſicht
derſelben bey mehrern Zeitgenoſſen zugleich geregt, und
der Keim zu den mathematiſchen Arbeiten jenes ſcharf-
ſinnigen Mannes, war in einem ganzen Zeitalter zu-
gleich vorbereitet, waͤhrend Kepler noch immer nur zu
einzig ſteht.
Stellen aus Keplers Werken, die mir eben zur
Hand ſind, und die unter andern beweiſen koͤnnen,
wie nahe Kepler der Entdeckung des Geſetzes der
Schwere geweſen, und wie er ihr unwillkuͤhrlich im-
mer ſelber wieder ausgewichen, ſind ſelbſt einige aus
ſeinem fruͤhern Werk de motibus stellae Martis, die ich
hier anfuͤhren will. Er beweißt im 33ſten Capitel
dieſes Buchs, daß die Kraft, welche die Planeten in
ihren Bahnen bewegt, in der Sonne wohne, von der
Sonne ausgehe, und daß deshalb jene Bewegung um
ſo ſchneller ſey, je naͤher die Planeten der Sonne ſte-
hen. Er vergleicht die anziehende und bewegende
Kraft der Sonne mit dem Lichte, und bemerkt, daß
obgleich ſie ein immaterieller Ausfluß wie das Licht ſey,
doch ihre Wirkungen eben ſo wie die des Lichts, geo-
metriſch unterſucht werden koͤnnten. Aus der Ver-
gleichung mit dem Magnete ſchließt er, daß die Kraft
der Sonne ihrer Maſſe proportional ſey. (cum ejus
mole crescit.) Am merkwuͤrdigſten iſt aber in dieſer
Hinſicht, was er im 36ſten Capitel deſſelben Werkes
ſagt, wo er das Geſetz der Schwere, daß dieſe im um-
gekehrten Verhaͤltnis des Quadrats der Entfernungen
ſteht, woͤrtlich ausſpricht, dann aber ſelber wieder
von ſich weißt. Er erzaͤhlt naͤmlich daſelbſt, wie er ſich
ſo lange mit dem Einwurf gequaͤlt habe, daß aus
der Vergleichung der Anziehungskraft der Sonne ge-
gen die Planeten mit dem Lichte (eine Vergleichung,
die er, wie ich oben ſchon erwaͤhnte, oͤfters macht)
zu folgen ſcheine, daß dieſelbe im verkehrten
Verhaͤltnis der Quadrate oder Wuͤrfel der
Entfernungen ſeyn muͤſſe, da es doch gewiß
ſey, daß ſie, ſo wie die Geſchwindigkeit der Planeten
in der Sonnennaͤhe und Sonnenferne, nur dem ein-
fachen Verhaͤltnis der Entfernungen folgen koͤnne. Er
hebt dieſen Einwurf, der ihm aus der rechten Erkennt-
niß der Wahrheit ſelber entgegen kam, zuletzt dadurch,
daß er durch verſchiedne unrichtige Saͤtze zu beweiſen
ſucht, daß dieſes Verhaͤltnis auch nur bey der Erleuch-
tung eigentlich Statt finde.
So hat, kann man ſagen, Kepler das Geſetz der
Schwere nicht blos geahndet, ſondern woͤrtlich und
klar ausgeſprochen, wie der erwaͤhnte Innhalt des
36ſten Capitels ſeines Werks uͤber Mars noch viel
deutlicher zeigt, als die gewoͤhnlich aus ſeiner Harmo-
nie der Welten angefuͤhrte Stelle uͤber die Anziehung
welche der Mond gegen das Meerwaſſer ausuͤbt, wo-
durch er Ebbe und Fluth bewirkt. *) Die Wahrheit
des Geſetzes, die ihm aber fuͤr die Anſicht, die ſich
ſchon fruͤher in ihm uͤber das 2te von ihm entdeckte
Geſetz gebildet hatte, nicht guͤnſtig ſeyn konnte, war
ihm demohnerachtet ſo einleuchtend, daß ihm nach
ſeinem eignen Ausdruck dieſer Streit des wahren Ge-
ſetzes gegen eine fruͤher gebildete Anſicht, wirklich
quaͤlend war, und daß er ihn deshalb auf alle Wei-
ſe auszuweichen geſucht. Es wird dieſes hoͤchſt be-
greiflich, wenn man ſieht, wie der Schluß, den er
aus ſeinem 2ten Geſetz, das ſich, wie Neuton gezeigt
hat, ſehr gut auch aus dem Geſetz der Schwere erklaͤ-
ren laͤßt, gezogen, daß naͤmlich die durch die Kraft
der Sonne bewirkte Geſchwindigkeit der Planeten bey
ihrem Umlauf um dieſelbe, in den verſchiednen Thei-
len der Bahn, dem einfachen Verhaͤltnis der Entfer-
nung folgen muͤſſe, aus der freylich viel weniger kuͤnſt-
lichen von ihm gewaͤhlten mathematiſchen Methode
nothwendig folgte. Er hielt ſich, indem er das, was
er mit tiefen und wahrhaften Schluͤſſen uͤber das Ge-
ſetz der Schwere gefunden verwarf, nach ſeiner Ueber-
zeugung mehr an das, was ihm die Natur unmittel-
bar zu lehren ſchien, und es wuͤrde wohl jeder aͤchte
Naturforſcher, wo in einem aͤhnlichen Fall zwiſchen
den auch noch ſo wohl zuſammenhaͤngenden Schluͤſſen
des Verſtandes, und dem unmittelbaren Zeugniß der
Natur gewaͤhlt werden muß, auf dieſelbe Weiſe
handeln.
So weit war Kepler ohne Vorgaͤnger, fuͤr ſich ſelbſt
gekommen, zu einer Zeit, wo man noch nicht angefangen,
die Mathematik auf die Geſetze der Bewegung anzu-
wenden, waͤhrend Neuton nicht blos von Kepler alle
Materialien, ſondern in Galilei, Huyghens, Hoo-
ke u. A. ſelbſt Vorgaͤnger in der Methode der Ausfuͤh-
rung gehabt hatte.
Wenn man daher Neutons großes Verdienſt, das wir
ja mit aller Achtung anerkennen, von einer Seite etwas
zu ſehr und uͤber Gebuͤhr uͤber das Kepleriſche erhoben, ſo
kann es auf der andern Seite nicht fehlen, daß ſich
Einzelne durch ein natuͤrliches Gefuͤhl von Billigkeit
zum Widerſpruch geneigt fuͤhlen. Und weit entfernt
„vor der Gruͤndlichkeit der Neutoniſchen Werke,“ die ſie
ja nicht an ſich ſelber, ſondern nur die Alles hemmen-
de, ſich aller lebendigen Totalanſicht entgegenſetzende
Beſchraͤnktheit, die daraus auf die Zeitgenoſſen uͤber-
gegangen, bekaͤmpfen moͤchten, „zu erſchrecken“,
ſetzen ſie dieſer Drohung eines uͤbrigens ehrwuͤrdi-
gen Phyſikers, die eines andern wenigſtens eben
ſo ehrwuͤrdigen entgegen: „Noch konntet ihr
Worte ohne Anſchauung nachreden. Gienge auch heu-
te der Sinn der Natur auf, ihr wuͤrdet erſchrecken,
und die Haͤlfte wenigſtens fliehen von der heiligen
Staͤtte.“
Zwar iſt ſelbſt von Keplers aſtronomiſchen Ar-
beiten, *) ein großer Theil noch nicht bekannt, und
noch viel weniger wie er es verdiente, gewuͤrdiget, be-
ſonders enthaͤlt meines Beduͤnkens nebſt einigen ſeiner
letzten Werke, ſein Buch uͤber die Harmonie der Welten
unſchaͤtzbare noch ganz verſaͤumte Wahrheiten, doch ſind
diejenigen ſeiner Arbeiten, die allerdings fuͤr die ganze
hoͤhere Naturkunde von den wichtigſten Folgen waren,
und noch vielmehr ſeyn werden, die 3 nach ihm be-
nannten Geſetze des Umlaufs der Planeten, allgemein
bekannt genug.
Es gruͤndet ſich das erſte von ihm entdeckte, die
elliptiſche Geſtalt der Bahnen, wie ich dieſes in mei-
ner oͤfters erwaͤhnten Schrift aus verſchiedenen Gruͤn-
den hergeleitet habe, auf die allgemeine Nothwendig-
keit der Wechſelwirkung der Gegenſaͤtze, und Kepler
ſelbſt ſcheint dieſes, wie ſich aus Vielen ſchließen laͤßt,
ſchon anerkannt zu haben. Die Wechſelwirkung
der Gegenſaͤtze hat zur Folge, daß der untergeordnete,
weibliche, in ſeiner Art zu einer aͤhnlichen (zeugenden)
Thaͤtigkeit beſtimmt wird, wie die war, die der hoͤhere
Gegenſatz an ihm geuͤbt. Hierdurch wird die Baſis
auf ihre Weiſe dem hoͤheren Gegenſatz gleich, unab-
haͤngig von ihm, und dieſer, dem ſich ſeine Baſis,
das Material ſeiner Thaͤtigkeit entzogen, iſt hierdurch
nicht allein außer Stand geſetzt aktiv zu ſeyn, ſon-
dern er wird auch nun zu ſeiner Baſis, die gerade dann
den hoͤchſten Gipfel ihrer Activitaͤt erreicht hat, paſ-
ſiv. So folgt, wo die Gegenſaͤtze in laͤngerer und
innigerer Wechſelwirkung vereinigt ſind, uͤberall auf die
Einwirkung des hoͤheren Gegenſatzes ein Moment der
verhaͤltnißmaͤßigen Zuruͤckwirkung der Baſis. Hier-
durch aber wird dem hoͤheren Gegenſatz ſelber jene Le-
beusempfaͤnglichkeit zuruͤckgegeben, ohne welche das
Leben und die laͤngere Wechſelwirkung in ihrer weiteren
Fortdauer nicht beſtehen koͤnnten.
Die weitere Ausfuͤhrung dieſer Anſicht des erſten
Kepleriſchen Geſetzes, durch mehrere analoge Thatſa-
chen aus verſchiedenen Naturwiſſenſchaften, kann man
an dem angefuͤhrten Orte leſen, wo man auch das 2te
Kepleriſche Geſetz, daß die elliptiſchen Sectoren, wel-
che die Planeten bey ihrem Umlauf, um die Sonne be-
ſchreiben, den Zeiten, worin ſie beſchrieben ſind,
proportional ſind, aus gleichen Gruͤnden hergeleitet
finden wird.
Das 3te Kepleriſche Geſetz, daß die Quadrate der
periodiſchen Umlaufszeiten verſchiedner Planeten ſich
verhalten: wie die Kubikzahlen der großen Axen ihrer
Ellipſen, erklaͤrt ſich bekanntlich aus dem Geſetz der
Schwere, daß naͤmlich die Schwere im umgekehrten
Verhaͤltnis des Quadrats der Entfernung iſt. *) Die
Neutoniſche Theorie hat ſogar aus dieſem Geſetz einen
ihrer Hauptbeweiſe genommen.
Das Geſetz der Schwere iſt bekannt genug, und
wie ſeine Form auch auf andre Naturkraͤfte uͤbergeht.
Es laͤßt ſich daſſelbe mathematiſch, ſchon aus der el-
liptiſchen Geſtalt der Bahnen herleiten, und ich habe
zugleich anderwaͤrts den Verſuch gemacht, es auf die
noch allgemeinere und verſtaͤndlichere Form der Wech-
ſelwirkung zuruͤckzufuͤhren. Denn daß dieſe bey den
Bewegungen der Weltkoͤrper nicht blos ein leeres Wort
ſey, ſondern recht eigentlich ſtatt finde, koͤnnen unter
andern einige neuerlich entdeckte Verhaͤltniſſe, die an
den Groͤßen und Eccentricitaͤten der Planeten ſtatt
finden, deutlicher beweiſen, als bisher moͤglich war.
Ich habe dieſe Verhaͤltniſſe, welche freylich ihrer ganzen
Natur und ihrer Form nach nicht zu dem gehoͤren koͤn-
nen, was vor der Hand auf allgemeineren Beyfall hof-
fen kann, etwas unvollkommen im 2ten Band m. A.
mitgetheilt. Die falſche Vorausſetzung, daß in jenem
Verhaͤltnis eine geometriſche Progreſſion ſtatt finde,
auf welche ich erſt (nachdem ich vorher der Wahrheit
naͤher geweſen) durch die Entdeckung der Veſta gekom-
men, hatte verurſacht, daß ich bey Beſtimmung des
Veſtahalbmeſſers einen 8 mal groͤßern Werth angege-
ben, und derſelbe Irrthum hatte den Uebergang, der
von der erſten Reihe zur zweyten gefunden wird, und
den Anfang der letzteren zu ſehen gehindert, obgleich
dieſes ſpaͤter die vorzuͤglichſten Stuͤtzen jenes Verhaͤlt-
niſſes geworden ſind. Ich habe deshalb in einem An-
hange zu dieſen Vorleſungen, beſonders das Verhaͤltnis
der Groͤßen noch einmal gruͤndlicher und in ſich ſelber
zuſammenhaͤngender durchgearbeitet, als es in meiner
erwaͤhnten Schrift geſchehen, und obgleich hierbey nur
erſt die gewoͤhnliche Annahme der Sonnenparallaxe vor-
zuͤglich gewaͤhlt iſt, da vielleicht bei einer geringen Ver-
aͤnderung der mittlern Entfernung der Erde, ſich vieles
noch beſſer fuͤgen wuͤrde, leuchtet doch ſchon aus die-
ſer vorlaͤufigen Anordnung, ein Geſetz der Groͤßen deut-
lich genug hervor.
Ich zweifle auch nicht, daß man es anerkennen
wuͤrde, wenn nicht das Daſeyn der beyden Reihen die
ſich ja auch nicht in dem von Planetenbahn zu Plane-
tenbahn beſtaͤndig bleibenden Geſetz der Schwere fin-
den, Vielen zuwider waͤre. Man moͤchte gar zu gern
auch dieſe Verhaͤltniſſe, damit ſie nur aus der Neu-
tonſchen Theorie der Schwungkraͤfte erklaͤrt werden
koͤnnten, auf einerley Weiſe von Mercur bis zum Ura-
nus ablaufen laſſen, wobey es freylich recht bequem
„beym Alten“ bleiben koͤnnte. Doch wollte dieſes
diesmal nicht wohl gehen, da dieſe Verhaͤltniſſe noch
auf eine etwas allgemeiner durch die ganze Natur ver-
breitete Nothwendigkeit zuruͤckfubren als ſelbſt das Ge-
ſetz der Schwere.
Wenn nun das Daſeyn der beyden Reihen, wie
ich ſchon anderwaͤrts gezeigt habe und noch zeigen wer-
de, auch in den Verhaͤltniſſen der Eccentricitaͤten, Ro-
tationen und andrer hiermit verwandten Erſcheinungen
wieder gefunden wird, wenn daſſelbe die Lage der Ko-
meten und Planetenbahnen auf der Ebne des Sonnen-
aͤquators, und der Sonnennaͤhenpunkte bezeugen,
wie ſchon aus dem Anhang erhellen wird, wenn end-
lich auch die Neigungen der Axen und Bahnen und al-
le andre hieher gehoͤrigen Verhaͤltniſſe das Daſeyn der
beyden Reihen beſtaͤtigen, ſo gehoͤrt ein ſehr ungerechter
Widerwille gegen alle Uebereinſtimmung der ſogenann-
ten anorganiſchen Natur mit der Organiſchen dazu, um
Alles zu laͤugnen.
Und auf dieſe Uebereinſtimmung brauchte hiebey
noch gar nicht einmal Ruͤckſicht genommen zu werden,
wenn man nur an die ſelbſt nach Neuton der allgemei-
nen Schwere ſo nahe verwandten Phaͤnomene des
Magnetismus und aͤhnliche Naturwirkungen denken
wollte, aus denen ſich das Daſeyn der beyden Reihen
im Planetenſyſtem eben ſo nothwendig ableiten laͤſſet,
als aus der hoͤheren organiſchen Natur. Ja es laͤßt
ſich vielleicht in der Folge bey einer andern Gelegenheit
zeigen, daß ſchon aus den Kepleriſchen Geſetzen, und
aus dem der Schwere, obgleich dieſe allgemein und
unveraͤndert auf alle Koͤrper unſers Syſtems, ſelbſt
auf das Verhaͤltnis der Trabanten zu ihrem Hauptkoͤr-
per anzuwenden ſind, wenn man ſie nur recht verſteht,
das Daſeyn zweyer Reihen im Planetenſyſtem noth-
wendig folgt.
Daß die Rotationsperioden, die bey den 4 der
Sonne am naͤchſten ſtehenden Planeten uͤbereinſtim-
mend nahe an 24 Stunden ſind, bey den 3 letzten
(wenn man Herſchels neuen Entdeckungen uͤber die Ro-
tation des Uranus hinzunimmt) eben ſo uͤbereinſtim-
mend nahe an 10 Stunden; daß die 3 letzten ſo wie
jene 4 erſten in Hinſicht der Seltenheit der Monde auf
der einen, *) der Menge derſelben auf der andern Sei-
te; daß die Zonenartigen atmosphaͤriſchen Streifen,
die ſtarke Abplattung und die geringere Neigung der
Axe auf der Bahn die 2te, das Daſeyn von mehr
Wolkenartigen nach allen Richtungen bewegten Flecken,
die aͤußerſt geringe Abplattung und die groͤßere Nei-
gung der Axe auf der Bahn, die erſte Reihe auszeich-
nen; Erſcheinungen, welche gleich auf den erſten
Blick Jedem auffallen muͤſſen, hat ſchon laͤngſt den
tiefer Forſchenden jenen Gegenſatz verrathen. Zwi-
ſchen beyden ſich entgegenſetzten Reihen, im Indiffe-
renzpunkt ſind nun jene merkwuͤrdigen 4 neuen Plane-
ten entdeckt, die ihre Kleinheit und Naturbeſchaffen-
heit von den andern Planeten des Syſtems ſo ſehr un-
terſcheidet, daß man ſie Anfangs gar nicht mit dieſen
zuſammenſtellen, ſondern (als Aſteroiden) in eine
ganz neue Ordnung ſetzen wollte. Dieſe 4 Weltkoͤr-
per ſind uns erſt der Schluͤſſel zu jenen tieferliegenden
Verhaͤltniſſen des Planetenſyſtems geworden, und oh-
ne ſie waͤre hierinnen kein Fortſchritt moͤglich ge-
weſen.
Einige der von uns bis jetzt ſchon durchgearbeite-
ten Verhaͤltniſſe, koͤnnen von den allgemeiner bekann-
ten Kepleriſchen Geſetzen und von dem der Schwere,
den Uebergang zu jenen machen, wo die beyden Rei-
hen ſchon vollkommen entwickelt hervortreten. Zu den
letzteren, wo ſich jener Gegenſatz der ſich unter den Pla-
neten ſelber findet, in ſeinem ganzen Gewicht darſtellt,
gehoͤren die Verhaͤltniſſe der Groͤßen und Eccentricitaͤ-
ten, die ich beyde im Anhange auffuͤhren werde. Aus
jenen aber, welche den Uebergang zur Erkenntniß der
beyden Reihen machen koͤnnen, indem ſie in gewiſſer
Hinſicht allen Gliedern des ganzen Syſtems gemein-
ſchaftlich, vom Mercur bis Uranus dieſelben ſcheinen,
wie das Geſetz der Schwere, zugleich aber von einer
andern Seite ſehr deutlich ſchon den Gegenſatz zwiſchen
den Gliedern der erſten und zweyten Reihe, und zwi-
ſchen dieſen im Ganzen hervorblicken laſſen, werde ich
diesmal nur das Verhaͤltnis der Neigungen und des
Orts der Sonnenfernen herausheben, indem ich an-
derwaͤrts dieſe Arbeit noch vielſeitiger und vollſtaͤndi-
ger, als ein vollkommneres Ganze aufzuſtellen ge-
denke.
Die ausfuͤhrliche Aufſtellung einiger dieſer Verhaͤlt-
niſſe, wird demnach im Anhange erfolgen, auf welchen
ich mich auch hier bey einigen allgemeinen Bemerkun-
gen uͤber das Verhaͤltnis der Halbmeſſer berufe.
Man findet den Halbmeſſer des naͤchſtfolgenden
Planeten nach Meilen, wenn man die weiteſte Ent-
fernung des vorhergehenden von der Sonne nach Son-
nenhalbmeſſern mißt, dieſe Zahl mit einer andern, deren
Urſprung in der weiteren Ausfuͤhrung angegeben iſt,
multiplieirt, und alsdann mit der erhaltnen Summe
in die Sonnenferne des zu beſtimmenden Planeten nach
Meilen, dividirt. Man braucht hierbey in der erſten
Reihe nur die Groͤße des erſten Gliedes (des Mercurs)
zu kennen, und die Elemente der Entfernungen; in
der 2ten Reihe muß aber außer den Elementen der
Bahn zugleich die Groͤße des naͤchſtvorhergehenden Glie-
des bekannt ſeyn.
Denn hierin beſteht der Unterſchied der beyden Rei-
hen, daß in der einen die Halbmeſſer durch eine Zahl
beſtimmt werden, welche aus dem Verhaͤltnis des er-
ſten Gliedes zur Sonne hervorgeht, und die mithin
von der Sonne aus erhalten wird, waͤhrend in der an-
dern dieſe Zahl aus den Verhaͤltniſſen der Halbmeſſer
der Planeten ſelber zu ihrer Entfernung erhalten wird.
Dieſes iſt aber auch zugleich der Unterſchied der Son-
nennaͤhe und Sonnenferne bey jedem einzelnen Plane-
ten. Es erſcheint naͤmlich in einem Verhaͤltnis der
Eccentricitaͤten, das wir mit dem der Groͤßen zugleich
ausfuͤhrlich mittheilen werden, an der Sonnennaͤhe je-
des einzelnen Planeten das Verhaͤltnis dieſer Entfer-
nung zum Sonnenhalbmeſſer bedeutend, waͤhrend die-
ſes in der Sonnenferne das Verhaͤltnis der Zunahme
der Entfernung zum Halbmeſſer des Planeten iſt; ſo
daß die in jenem Verhaͤltnis noͤthigen Zahlen in der
Sonnenferne der Planet, in der Sonnennaͤhe die Son-
ne hergiebt.
In den einzelnen Planetenbahnen bezeichnet naͤm-
lich der Punkt der Sonnennaͤhe den der vor-
herrſchenden Aktion der Sonne, der der Sonnenferne
den der vorherrſchenden Reaction des Planeten, wie
im Ganzen die Glieder der 2ten Reihe eben ſo wie das
Aphelium in der einzelnen Bahn, eine vorherrſchende
Reaction, die der erſten eine uͤberwiegende Aktion der
Sonne auszeichnet.
Die Weiſe, wie die Groͤßen der einzelnen Halb-
meſſer von einem vorhergehenden Glied zum naͤchſtfol-
genden beſtimmt werden, laͤßt noch auf eine viel inni-
gere und tiefere Vereinigung aller einzelnen Glieder
unſers Syſtems zu Einem Ganzen ſchließen, als die
Gemeinſchaftlichkeit der Centalkraft. Es wird hier
ſogar in den Verhaͤltniſſen der entfernteren Planeten,
das Daſeyn der vorhergehenden Glieder ſchon als noth-
wendig vorausgeſetzt, und der Halbmeſſer eines Pla-
neten hat gerade dieſes Verhaͤltnis zu ſeiner weite-
ſten Entfernung von der Sonne, weil dieſes letztere
Element bey dem naͤchſt vorhergehenden gerade jenes
beſtimmte war. Dagegen waͤre (naͤmlich dem aͤußern
Anſchein und der gewoͤhnlichen Meynung nach) bey den
Kepleriſchen Geſetzen und dem der Schwere bey irgend
zwey einzelnen Planeten, oder ſelber bey einem allein
das Verhaͤltnis daſſelbe, wenn auch weder das
naͤchſtvorhergehende noch das naͤchſtfolgende Glied vor-
handen waͤren, und dieſem aͤußern Anſchein nach, koͤnn-
te ſehr wohl ein einzelner Weltkoͤrper in ſeinem Ver-
haͤltniß zur Sonne beſtehen, ohne daß dabey das Da-
ſeyn der andern nothwendig waͤre.
Es wird in dem Verhaͤltnis der Groͤßen noch außer
dem was die Sonnenferne des naͤchſtvorhergehenden
Gliedes hierzu beytraͤgt, ein nach beſtimmten Geſetz
fortgeſetztes Steigen jener Zahl, welche die Reaction
der Planeten auszudruͤcken ſcheint, deutlich gefunden,
ſo daß dieſe Summe in einem folgenden Gliede nicht
gerade dieſe beſtimmte ſeyn koͤnnte, wenn ſie nicht
ſchon in dem vorhergehenden Glied jene beſtimmte gewe-
ſen waͤre. Dem Anſchein nach waͤchſt dieſe Zahl von
Glied zu Glied in dem Verhaͤltnis der Dimenſionen,
oder der Potenzen, und ſie iſt bey dem naͤchſtfolgen-
den Glied das Quadrat, oder in einem Fall der einzig
bey der Veſta gefunden wird, der Wuͤrfel jener des
naͤchſtvorhergehenden Gliedes.
Es ſcheint ſich dieſes alles darauf zu gruͤnden,
daß (da die Sonnenferne den Moment der Reaction
der Planeten bezeichnet) die Reaction des naͤchſtfolgen-
den Planeten um ſo viel ſtaͤrker zu ſeyn vermag, je-
mehr die Action der Sonne ſchon in der Wechſelwir-
kung mit dem naͤchſtvorhergehenden Glied vermindert
war. Aus dieſem Grunde muß, damit die Verhaͤlt-
niszahl des Halbmeſſers der Planeten zu ihrer weite-
ſten Entfernung von der Sonne erhalten werde, jene
in dem Verhaͤltnis der Potenzen wachſende Zahl mit
einer andern multiplicirt werden, welche den Grad
bezeichnet, bis zu welchem die urſpruͤngliche Summe der
Action des gemeinſchaftlichen Centralkoͤrpers ſchon
durch das vorhergehende Glied vermindert iſt. Es iſt
dieſe Zahl keine andre, als die weiteſte Entfernung des
naͤchſt vorhergehenden Gliedes, nach Halbmeſſern des
Centralkoͤrpers, weil in dieſer Entfernung die Action
des letzteren um ſo viel geringer iſt als an ſeiner Ober-
flaͤche, je vielmal groͤßer der Abſtand eines in die-
ſem Punkte ſtehenden Koͤrpers iſt, als der eines an
ſeiner Oberflaͤche ſtehenden. Wie naͤmlich Venus
in ihrer weiteſten Entfernung von der Sonne
157 Halbmeſſer derſelben entfernt iſt, findet ſie auch
an dieſem Punkt nur eine 157 mal geringre Action
der Sonne, als wenn ſie an der Oberflaͤche derſelben
ſtuͤnde. Der naͤchſtfolgende Planet Erde findet nun
außer der ihm eigenthuͤmlichen Summe der Reaction,
auch nur den 157 ſten Theil der urſpruͤnglichen Wir-
kungskraft des Centralkoͤrpers u. ſ. w.
Ich habe dieſes alles an dem oͤfter erwaͤhnten Ort
ſchon ſo weit auseinander geſetzt, daß ich mich hier
einſtweilen (bis ich eine andre Weiſe der Darſtellung
verſuchen werde) darauf berufen kann.
Es kommen alle jene Verhaͤltniſſe und Geſetze auf
Eins zuruͤck, das eigentlich nicht mehr Geſetz, ſondern
innre, allen Weſen auf mehr oder minder vollkommne
Weiſe eingebohrne Nothwendigkeit des Lebens und Da-
ſeyns iſt. Ueberhaupt erſcheint uns in der hoͤheren Na-
tur jene innre Nothwendigkeit nur von einem unterge-
ordneten Standpunkt aus als Geſetz, als Etwas den
Dingen von außen Aufgedrungenes, waͤhrend uns,
wenn wir weiter gehen, der Begriff von Geſetzen hier
ganz verſchwindet. Nicht weil die Schwere im umge-
kehrten Verhaͤltnis des Quadrats der Entfernung ab-
nimmt, muͤſſen die Weltkoͤrper ſich in elliptiſchen Bah-
nen bewegen, oder umgekehrt, nicht weil die beſchleu-
nigende Centralkraft die Weltkoͤrper „zwingt“ gerade
dieſe geometriſche Figur um den Centralkoͤrper zu be-
ſchreiben, muß ſie ſich verkehrt wie die Quadrate der
Entfernung verhalten; ſondern beydes, die elliptiſche
Geſtalt der Bahn und das Geſetz der Schwere gehen,
wie ich anderwaͤrts gezeigt habe, aus einer allgemeinen
Nothwendigkeit der Wechſelwirkung hervor.
Das Beduͤrfnis eines hoͤheren Einfluſſes, aus wel-
chem das Einzelne hervorgegangen, und durch welchen
es beſteht, vermag bey dem pofitiven Gegenſatz allein
durch die Ruͤckwirkung der Baſis, (die ihm neue Le-
bensempfaͤnglichkeit zuruͤckgiebt) befriedigt zu werden.
So wird durch dieſe Wechſelwirkung der Gegenſaͤtze al-
lein eine Fortdauer des Lebens und Daſeyns derſelben
moͤglich, und es loͤſen ſich auf dieſe Weiſe alle Verhaͤlt-
niſſe, alle Geſetze der in Wechſelwirkung begriffenen
Natur, in das Verhaͤltnis des Einzelnen zu ſeinem hoͤ-
heren Urſprung auf.
Wenn die Materie, je naͤher ſie ihrem Urſprung,
jenem Zuſtand der reinen Lebensempfaͤnglichkeit der ſie
bey ihrem Entſtehen auszeichnet, ſtehet, einer um ſo
vollkommneren und hoͤheren Lebenswirkung faͤhig,
wenn ſie auf dieſer fruͤhern Stufe ihres Daſeyns einer
viel innigeren Gemeinſchaft mit dem hoͤheren Einfluß
theilhaftig iſt; ſo finden wir ſie dagegen in jenem Zu-
ſtand, worinnen wir den groͤßten Theil der uns um-
gebenden Natur erblicken, dem Anſchein nach aller
ſelbſtſtaͤndigen Thaͤtigkeit nach außen beraubt, und
gleichſam gefuͤhllos fuͤr alle hoͤheren Einfluͤſſe. Nur
in Einem beſtaͤndigen Streben, dem der Schwere, der
innigen Vereinigung mit der Geſammtmaſſe des Pla-
neten, ſehen wir jede andre Thaͤtigkeit verſchlungen,
und die Welt der anorganiſchen Koͤrper ſcheint zu be-
kennen, daß ſie nur in Beziehung und Wechſelwirkung
mit dem Planeten uͤberhaupt etwas iſt.
Wenn man dieſen Zuſtand der anorganiſchen Welt
mit jenem urſpruͤnglichen vollkommneren vergleicht, er-
ſcheint derſelbe als ein tiefes Herabſinken von einer hoͤ-
heren und fruͤheren Stufe; und ſchon jene chemiſchen
Gegenſaͤtze, wenn ſie vorher fluͤſſig, und mit den er-
ſten Spuren einer hoͤheren ſelbſtſtaͤndigen Thaͤtigkeit,
jetzt in der gegenſeitigen Vermiſchung ſich zu einem fe-
ſten Koͤrper geſtalten, verlieren alle ihre fruͤhere Thaͤ-
tigkeit nach außen.
Es iſt, wie anderwaͤrts gezeigt worden, jeder le-
bendigen Natur, ſo wie auf der einen Seite der hoͤhere
Einfluß, ſo auf der andern ein untergeordnetes Mate-
rial, eine Baſis noͤthig, an welcher ſie das innre Le-
ben ſchaffend (nach dem Vorbild des hoͤheren Einfluſſes)
uͤbt und vollendet. Zu dieſer Baſis verhalten ſich je-
ne ſchon untergeordneten Naturen wie hoͤherer Einfluß;
und wenn ſich nun ſo die Natur bis ins Unendliche aus
ſich ſelber entfaltet, und das Bild des hoͤheren Einfluſ-
ſes ſich immer mehr in endlichen Formen darſtellt,
truͤbt und „verfinſtert“ ſich zuletzt die Klarheit des
urſpruͤnglichen Zuſtandes, in dem der Materie.
Wir ſehen die Koͤrper der anorganiſchen Welt nur
dann wieder zu einer ſelbſtſtaͤndigeren Thaͤtigkeit und
Empfaͤnglichkeit nach außen zuruͤckkehren, wenn ſie
auf irgend eine Weiſe dem Erdganzen, dem ſie als un-
ſelbſtſtaͤndige Theile untergeordnet ſind, gleich, und
hierdurch von der Abhaͤngigkeit von demſelben frey ge-
worden ſind. Auf der einen Seite geſchieht dieſes (wie
anderwaͤrts gezeigt iſt) in dem Magnetismus und der
Electricitaͤt, auf der andern, jener entgegengeſetzten
Seite, nach dem Uebergang in den fluͤſſigen und endlich
am meiſten in den luftfoͤrmigen Zuſtand, im chemiſchen
Proceß. In dieſen „kosmiſchen Momenten“ des Da-
ſeyns werden die Einzelnen in die innige Vereinigung
des Ganzen, und in das Geſammtleben der hoͤheren
Natur aufgenommen, und das magnetiſche Eiſen zeigt
nun dieſelben Perioden des Daſeyns und der Wechſel-
wirkung, welche das Erdganze in ſeinem Zuſammen-
hange mit andern Weltkoͤrpern zeigt, und es wird an
allen, in dem Moment der Wechſelwirkung begriffnen
Gegenſaͤtzen die lebendige Harmonie des Ganzen wahr-
genommen. — — *)
Wenn uns auch die jetzige irdiſche Natur in einem
großen Theil ihres Umfanges nur einen ſtarren und
unwirkſamen Zuſtand der Koͤrper zeigt, ſo iſt ihr doch
dieſer Zuſtand nicht immer eigenthuͤmlich geweſen, und
es finden ſich von allen Seiten Spuren eines viel bild-
ſameren, und an den Einfluͤſſen des hoͤheren Ganzen
theilnehmenderen Zuſtandes: jenes der allgemeinen Auf-
loͤſung und Fluͤſſigkeit.
Denn es liegt die Entſtehung der Erde durch Nie-
derſchlag aus dem Fluͤſſigen den Augen ſo nahe, daß
ſchon eine kurze Beobachtung derſelben den Menſchen
davon uͤberzeugen mußte. Das allgemeine Gewaͤſſer,
das wir jetzt in ſeinen ungleich engeren Graͤnzen, als
Meer kennen, hat Anfangs uͤber dem Gipfel der hoͤch-
ſten Gebirge geſtanden. Die Gebirgsmaſſen, aus
welchen der feſte Erdkoͤrper beſteht, ſind ſaͤmmtlich auf
dem ſogenannten naſſem Wege gebildet, wie ihre Ge-
ſtalt im Einzelnen und Ganzen, ihr Gehalt an Waſſer
und alle andre Eigenſchaften zeigen. Es ſieht der
Menſch auf den Gipfeln der Gebirge, welche jetzt
mehr als 13000 Fuß uͤber der Meeresflaͤche erhoͤht ſind,
die Ueberreſte von Thieren und Pflanzenartigen Weſen,
welche den Grund des ehemaligen Meeres bewohnt ha-
ben. Verſteinerungen von ſolchen Meerthieren, fand
Ulloa auf einem uͤber 13000 Fuß hohem Gebirge der
peruaniſchen Cordilleren, und Molina auf dem Gipfel
des noch viel hoͤheren Deſcabeſado, welcher in der
Mitte der großen amerikaniſchen Gebirgskette ſteht.
Nicht minder hat man ſolche ehemalige Bewohner
des Meergrundes auf dem Gipfel einiger der hoͤchſten
ſavoyiſchen Alpen, und auf den hoͤchſten Gebirgs-
ſpitzen der Pyrenaͤen, ſo wie auf den Hoͤhen des ſuͤdli-
chen und noͤrdlichen Afrikas gefunden. Zuweilen in
ungeheurer Menge, ſelten oder nie einzeln, wie vom
Zufall dahin gefuͤhrt, und ſtets in eine harte Stein-
maſſe, welche der Schlamm des ehemaligen Gewaͤſſers
geweſen, feſtgekittet. Wie jene Thiere oder Thierpflan-
zen, welche noch zu unſrer Zeit jenen jetzt untergegan-
genen Weſen entſprechen, ſich in großer Menge und in
ganzen Kolonien an Einem Ort verſammlet finden, ſo
ſcheint auch jenes ſonderbare Geſchlecht der unterge-
gangenen Vorwelt, in ganzen Schaaren den gewe-
ſenen Meeresgrund bedeckt zu haben. Am ausgezeich-
netſten ſieht man dieſes in dem bekannten Thale des
Trento, das von maͤchtigen Kalkgebirgen gebildet wird.
Es liegen daſelbſt wie von der Hand eines kuͤnſtleriſchen
Rieſen geordnet an der Oberflaͤche des ganzen Grundes,
und an der Seite der kahlen Gebirge hinauf, Tauſende
von Ammonsmuſcheln, von einer Rieſengroͤße, zum Theil
wie in Reihen oder Strahlenweis, kleinere um die
Großen verſammlet. Dieſe ungeheure Taͤfeley reicht
bis 500 Fuß hoch an den Abhang der Berge hinan,
wo in einer wilden Unordnung, wie nahe am Stran-
de, wo die Bewegung der an der Kuͤſte anbrandenden
Wellen, die ruhige Anhaͤufung an dem Boden hindert,
eine Menge Muſcheln und Pflanzenthiere von jetzt un-
tergegangnen Geſchlechtern gefunden werden. Endlich
verraͤth an dem Gipfel der Gebirge, ein in ruhiger Ord-
nung liegendes Heer von Lenticuliten, daß auch hier
in noch fruͤheren Zeiten ruhiger Meeresgrund ge-
weſen.
Von andern Bergen, welche oft viel niedriger
ſind als die vorhin erwaͤhnten, hat die Fluth, wel-
che nach verſchiedenen Richtungen hin einen lebhafte-
ren Zug genommen, die ehemaligen Meeresproduckte
hinweggeriſſen, und dieſe, von den Fluthen ſelbſt der
juͤngern Gebirgsarten, welche ſonſt von allgemeiner
Verbreitung, auch uͤber ihnen ſich abſetzen mußten ent-
bloͤſt, bieten wie nackte Geſchiebe, welche oͤfters in
Fluͤſſen und Baͤchen unmittelbar neben kleinen Anhaͤu-
fungen und Inſeln von Schlamm, und niedriger als
dieſe gefunden werden, dem Auge den unmittelbaren
Anblick der Urgebirge dar. Wir haben ein Beyſpiel
davon ganz in der Nachbarſchaft dieſer Stadt, wo
das aͤlteſte Urgebirge, der Granit, in niedrigen Berg-
kuppen hervortritt.
Wie aber noch jetzt die Thiere, welche in unſern
Meeren jenen erwaͤhnten Ueberreſten der ehemaligen
Thierwelt entſprechen, gewoͤhnlich nur an dem tiefſten
Grund des Meers gefunden werden, ſo iſt es wahr-
ſcheinlich, daß jene Gebirgsgipfel, die von ſolchen Meer-
thieren bedeckt ſind, vorhin an dem tiefſten Grund des
ehemaligen ungeheuren Meeres gelegen waren. — So
iſt da ehedem tiefes Weltmeer geweſen, wo jetzt in
ungeheurer Hoͤhe uͤber dem Meere Waͤlder ſtehen, oder
die hohen Felſenſcheitel ein ewiger Schnee bedeckt.
Wenn jenes ehemalige Meer, wie hernach gezeigt
werden wird, von dem jetzigen an Gehalt ungemein
verſchieden war, ſo finden ſich doch an ſehr vielen Or-
ten der Erde noch deutliche Spuren, daß ſie von einem
Meere bedeckt waren, das dem unſrigen an Gehalt
vollkommen glich. So ſtehen jetzt an der ſuͤdlichen
Spitze von Afrika Waͤlder von Mimoſen an Thon und
Salzgebirgen, welche in allen ihren Beſtandtheilen
dem Bodenſatz der jetzigen Meere gleichen. Zwiſchen
den Huͤgelreihen von ſolcher Beſchaffenheit, welche
wie Mauern die immer hoͤher und hoͤher hinter einander
ſtehen, die Ebenen der Suͤdſpitze von Afrika in mehre-
re große Felder abſchneiden, liegt wuͤſte, und nur
nach einigen Gegenden von durchziehenden Stroͤmen,
deren Waſſer jedoch der ſtarke Salzgehalt fuͤr Menſchen
und Thiere ungenießbar macht in etwas befeuchtet,
der Meeresſand, aus einer ſehr jungen Zeit.
Die große Wuͤſte Saarah in der noͤrdlichen Haͤlfte
von Afrika, iſt offenbar auch der Grund eines Meeres
von der Beſchaffenheit des jetzigen geweſen. Mitten
in dieſer, an einigen Stellen faſt 100 Meilen breiten
Sandebene, liegen einzeln zerſtreut ganze Berge von
Seeſalz, aus deren Mitte ein klarer Quell entſpringt,
um welchen her ſich oͤfters wie Inſeln mitten im Meer
kleine Palmenwaͤlder gebildet haben, welche innerhalb
eines ungeheuren Umfangs, der kein kleines Gras,
kein Geſtraͤuch hervorbringt, dem Auge wieder den Ge-
nuß des Gruͤnen gewaͤhren. Auf der mehr als 12 taͤ-
gigen Reiſe durch eine traurige Oede, finden hier, wo
kaum einige verirrte Voͤgel hinkommen, die Carava-
nen, welche vom noͤrdlichen Afrika der Goldſtaub der
ſuͤdlichen Laͤnder herablockt, einige Erquickung, und das
Salz, welches den Gegenſtand ihres Handels aus-
macht.
Ohngefaͤhr von aͤhnlicher Beſchaffenheit, und ent-
weder der jetzt ausgetrocknete Grund eines ehemaligen
ungemein großen Landſees, oder eines abgeſonderten
Mittelmeeres, iſt die Wuͤſte Shamo, oder Cobi in
Aſien. Jone faſt unerſchoͤpflichen Salzmaſſen, wel-
che ſich noch jetzt in einigen Theilen von Pohlen z. B.
bey Wilizka finden, ſind es nicht allein, welche uns
verrathen, daß dieſes Land vor nicht gar fernen Jahr-
tauſenden Meeresgrund geweſen, ſondern es zeigen
uns eine Menge ſehr ſichre Thatſachen, daß nicht allein
der Aralſee mit dem Caspiſchen, und dieſes mit dem
ſchwarzen Meer in Verbindung ſtund, ſondern dieſes
Meer hieng durch die moraſtig tiefen Ebenen von Poh-
len und einiger Theile des europaͤiſchen Rußlands mit
dem Ocean der noͤrdlichſten Welt zuſammen.
So iſt in den fruͤheren Zeiten, wie es ſcheint,
ſchneller, das allgemeine Gewaͤſſer Schritt vor Schritt
zuruͤck getreten, und dieſem iſt die juͤngere organi-
ſche Welt auf dem Fuße nachgefolgt. Wir ſehen ein
ſolches deutliches Zuruͤcktreten des Meeres an ei-
nigen Stellen ſchon im Verlauf von wenigen Jahr-
hunderten merklich. So finden ſich in Nordamerika
und in einigen nordlichen europaͤiſchen Laͤndern, unter
andern in Weſtgothland, in einer ziemlichen Entfernung
von der Meereskuͤſte, ganze Huͤgel, welche aus Mu-
ſcheln von der Art beſtehen, wie ſie noch jetzt jene
Meere hervorbringen, und oͤfters eine Lage von Sand,
von einer Dicke von 30 Fuß uͤber ſich haben. So iſt
Preußen, wie an dem Bernſtein erkannt wird, welcher
oft gegen 20 Meilen von der Kuͤſte entfernt gegraben
wird, groͤßtentheils neu aus dem Meer hervorgegan-
gen (das Meer ſoll nach einer allgemeinen Sage bis
Culm gereicht haben) und Schweden, von welchem
nach alten Sagen vor Zeiten nur der hoͤchſte Ruͤcken
des Hochlandes aus dem Meer hervorſtund, zeigt uns
noch jetzt Staͤdte auf, welche nun faſt in der Mitte
des Landes gelegen, vor wenig Jahrhunderten an der
Kuͤſte ſtunden. Es ſollen dahin alle die Staͤdte gehoͤ-
ren, die den Beynahmen Sund fuͤhren, welchen ſie nur
von ihrer Lage am Ufer erhalten konnten. Paͤſſe in
den Scheeren, welche kaum vor einem Menſchenalter
große Schiffe hindurch ließen, ſind kaum noch Boten
gangbar, und jene Gegend von Fellbaka die zu der
naͤmlichen Zeit noch Meerbuſen war, iſt jetzt fruchtbare
Wieſe. Ehemalige Buchten an einigen lapplaͤndiſchen
Staͤdtchen, liegen jetzt tief im Meer, anderwaͤrts ſte-
hen Eiſenhaͤmmer wo ſonſt Meeresgrund war. Der ehe-
malige Hafen zu Aiguemortes in dem ſich Ludwig der
Heilige einſchiffte, liegt jetzt eine Stunde vom Meer,
und ſelbſt das tiefer gelegne Pſalnodie lag ehehin an
der Kuͤſte. Der arabiſche Meerbuſen hat ſeit einigen
Jahrhunderten an Ausdehnung ungemein viel verloh-
ren, und die ehemalige Communication wuͤrde ſchon
aus Mangel der Waſſerhoͤhe nicht mehr gelingen, ja
das benachbarte Damiate, das noch im 13ten Jahr-
hundert an einem Hafen lag, ſteht jetzt 10 Meilen
vom Lande entfernt. Eine Menge aͤhnliche Beyſpiele
ließen ſich aus allen Weltgegenden anfuͤhren.*)
Freylich ſcheint auch anderwaͤrts das Meer noch
bey ſeinem jetzigen niedrigen Stand, dem feſten Lan-
de Abbruch zu thun, und die Ausdehnung der Kuͤſten
zu vermindern. Es geſchieht dieſes an Stellen, wo ei-
ne beſtimmte Stroͤmung das Waſſer mit vorzuͤglicher
Gewalt gegen das Land treibt, wodurch Auswaſchun-
gen entſtehen, welche die allmaͤlig untergrabenen Ebe-
nen und Huͤgel durch ihre eigene Laſt einbrechen ma-
chen. So ſtuͤrzen, wie es ſcheint, an der Kuͤſte von
Daͤnnemark einige Anhoͤhen, allmaͤlig unterwuͤhlt ins
Meer. Die Inſel Ruͤgen ſo wie andre benachbarte
Gegenden, hat das Meer durch Hinwegſpuͤlen und Unter-
graben bedeutend verringert. An den Kuͤſten Dalina-
tiens iſt das Meer an einigen Stellen, wie es ſcheint,
weiter eingedrungen als vor Alters, daſſelbe findet ſich
bey Venedig und an den Ufern von Crain. Ueber-
haupt ſcheint erſt in neuerer Zeit die Anſtroͤmung des
Meeres nach dieſen Gegenden hin an Gewalt zugenom-
men zu haben, welches wahrſcheinlich auch von der
allgemeinen Abnahme der Gewaͤſſer herruͤhrt.
Solche Verwuͤſtungen des Meeres, welche uͤbri-
gens weder ſo allgemein noch von ſo weitem Umfange
ſind als der Anbau eines neuen Landes aus demſelben,
entſtehen wohl vorzuͤglich da, wo eine juͤngere lockere und
leichter aufloͤsbare Gebirgsart, zu B. Kalk oder Kreide-
gebirge, auf aͤlteren und feſteren aufliegen. Das nahe
Meer draͤngt ſich allmaͤlig an der Auflagerungsflaͤche
hinein, und zerſtoͤrt ſo ſein eignes Werk an verſchiede-
nen Orten wieder.
Obgleich die Abnahme des allgemeinen Gewaͤſſers,
die aus Vielem zu ſchließen, in den aͤlteſten Zeiten
viel ſchneller vor ſich gegangen ſeyn muß, jetzt nur
ſehr langſam geſchieht, ſo iſt ſie doch deutlich vorhan-
den. Und dieſe muß unſrer Phantaſie zu Huͤlfe kom-
men, wenn dieſe nun in jene Zeiten zuruͤckkehrt, wo
noch die ganze Oberflaͤche der Erde, ſelbſt die hoͤchſten
Gebirgshoͤhen derſelben, tiefer Grund einer unermeßli-
chen Fluth geweſen, und wo jene Gebirge, wo die
ganze Ausdehnung des feſten Landes, aus dem Waſſer
niederſank.
So ſieht das Auge in jenen Gebirgsmaſſen, in de-
nen ſich der Bildungstrieb der Erde zuerſt ausgeſpro-
chen, den Boden und die zu Stein erſtarrten Wogen
eines ungeheuren Meeres. Es ſehen dieſe Haͤupter
der Gebirge, mit einem traurigen Unwillen auf das
friſche Leben, das ſich zu ihren Fuͤßen verbreitet und
das ſie zuletzt uͤberall aus dem unmittelbaren Anblick
des Lichts hinwegzudraͤngen droht, hernieder. Einſt
haben ſie auch, lebendige Theile der Erde, mitten in
dem froͤlichen Kreiſe der Wechſelwirkung und des allge-
meinen Lebens geſtanden, als ſie, noch nicht zu dieſen
einzelnen Maſſen erſtarret, Theile der von dem Geiſt
des allgemeinen Lebens bewegten Fluth waren. Als
aber die Erde, zur Selbſtſtaͤndigkeit und dem beſon-
dern Daſeyn erwachend, immer mehr aus der Ab-
haͤngigkeit und der unmittelbaren Verbindung mit dem
hoͤheren Weltganzen hervorgetreten, als das aͤußere Zei-
chen und Mittelglied dieſer Vereinigung, der fluͤſſige
Zuſtand und die allgemeine Waſſermenge, immer mehr
abnahmen, da geſtalteten ſich aus dem abnehmenden
Gewaͤſſer die erſten Bildungen des Planeten, die Ge-
birge.
Wie die Pflanze, in einem unendlich kleineren
Maasſtabe die Verſchiedenheit der Zeiten (beſonders
der Tage und des Jahres) und der aͤußeren Einfluͤſſe,
welche die Zeiten charakteriſiren, in ihrer Form und gan-
zen Weſen ausſprechen, ſo zeugen uns auch die Gebir-
ge in ihren ſo ungemein charakteriſtiſchen Geſtalten von
den verſchiedenen Weltaltern, und dem Geiſt des hoͤ-
heren Einfluſſes, welcher in ihnen geherrſcht. Auch
in ihnen muß ſich ſchon die nothwendige Aufeinander-
folge der Formen, und der Stufe der Entfaltung, wel-
che der Bildungstrieb des Planeten uͤberall von den
tieferen zu den hoͤheren Bildungen durchgehen muß, er-
kennen laſſen. Wir wollen deshalb, ehe wir die Ge-
ſtalten und aͤußern Eigenſchaften der Dinge im Ein-
zelnen und Kleinen betrachten, die Grundformen der
planetariſchen Schoͤpfung, und die Geſtalten der Erd-
oberflaͤche, wie ſie fuͤr ſich allein iſt, zuerſt ſchnell
uͤberblicken, hernach zu der Welt der einzelnen Ge-
ſtalten zuruͤckkehren. Wir wollen bey dieſer Beſchrei-
bung der einzelnen Gebirgsformen, nach der Folge des
vermuthlichen Alters gehen, und hierbey blos auf die
allgemeinſte Vegetation der Gebirge, und nur ſo
weit ſie fuͤr dieſe charakteriſtiſch iſt, Ruͤckſicht
nehmen.
In haͤufig zerſprungenen maſſiven Klippen, in
rundlichen Felſenmaſſen, welche wie zu einem Rieſen-
bau uͤbereinander gehaͤuft liegen, kuͤndigt ſich das aͤl-
teſte Gebirge der Erde das wir kennen, das Granit-
gebirge, ſchon von ferne an. Nicht ſowohl die chemi-
ſche Beſchaffenheit des Bodens, der durch Verwitte-
rung aus dieſem Geſtein entſteht, als vielmehr die Hoͤ-
he, in welcher der Granit aus den uͤbrigen Urgebirgen
hervorragt, ſcheint die Urſache jener Unfruchtbarkeit,
welche dieſem Gebirge gewoͤhnlich zugeſchrieben wird.
Doch ſehen wir in unſern Gegenden die Granitberge
meiſt mit Waͤldern von hohen Tannen und Fichten be-
deckt, uͤber deren Gipfel die Felſenwaͤnde wie die
Truͤmmer alter Burgen hervorſehen. Das von oͤftern
Riſſen und Kluͤften haͤufig zerſpaltene Granitgebirge,
welches noch uͤberdies durch die haͤufige Neigung ſeiner
Felſenmaſſen zu der kugelfoͤrmigen Abſondrung zu ei-
ner Trennung der einzelnen Stuͤcken geneigt iſt, findet
ſich, bis zu ſeinem Fuß hinab, von losgeriſſenen, un-
ordentlich umhergeſtreueten Felſenſtuͤcken umgeben,
welche ſeinen Thaͤlern, die nur ſelten große Fluͤſſe,
meiſt nur Bergſtroͤme in ſich enthalten, ein wildes und
wuͤſtes Ausſehen giebt. Die hoͤchſten Punkte des ſaͤch-
ſiſchen Ergebirges, und ein Theil des angraͤnzenden
Boͤhmen, zeigen dieſe eigenthuͤmliche Geſtalt und Um-
gebung der Granitgebirge deutlich, und die meiſten
unſrer Gebirgsgegenden danken ihre eigenthuͤmlichen
romantiſchen Umriſſe, den Granitgebirgen, zwiſchen
welchen ſie liegen. So iſt der Hauptcharakter des
Granitgebirges, der zu ſeiner jetzigen aͤußeren Geſtalt
das Meiſte beytraͤgt, die Tendenz der Hauptmaſſe zur
Kugelform, die ſich ſelbſt noch an dem meiſt nur noch
uͤbrig gebliebnen feſteren Kern, deſſen weichere Schaa-
le durch Verwitterung zerſtoͤrt iſt, zeigt. Doch wird
ſchon mitten in dieſer Kugelgeſtalt des Ganzen, eine in-
dividuellere Ausbildung der einzelnen Beſtandtheile
wahrgenommen.
Schon ungleich weniger ausgezeichnet, von min-
der auffallender und mahleriſcher Geſtalt, erſcheinen
die darauf folgenden Urgebirge des Gneißes, Glim-
mer- und Urthonſchiefers. Meiſt ſchieferartig ge-
ſchichtet, ſchließen ſich dieſe den Formen des aͤlteren
Gebirges an, und der emporſtrebende kuͤhnere Geiſt,
der ſich im Granit in eigenthuͤmlicher Wildheit, der
allgemeinen Schwere durch eine beſondere trotzend er-
hoben, ſcheint in dieſen ſpaͤteren Gliedern ſchon zu un-
terliegen, und in jenen Schichten, wo ſich alle ein-
zelnen Theile mit gleicher Staͤrke nach dem allgemei-
nen Mittelpunkte draͤngen, ſchließen ſie ſich, ſo innig
als moͤglich, der Oberflaͤche der Erde an.
Meiſt in niedrigeren Bergen als der Granit, wel-
cher als Regent aus den hoͤchſten Punkten hervorſieht,
zeichnet dieſe Gebirgsarten die Neigung Ebenen zu bil-
den, mitten uͤber den Gebirgsruͤcken hinweg oder zu
ſeiner Seite, dem Auge von fernen aus. Hervorſtehen-
de ſteile Klippen ſind in ihnen ſeltener, ſeltener die
einzeln herumgeſtreuten Felſenſtuͤcke, an welchen ſich
der Lauf der ſchon groͤßeren Nebenfluͤſſe, die in ihren
Thaͤlern gehen, brechen koͤnnte. Nur die ſchwarzen,
von ferne glaͤnzenden Felſenwaͤnde des Thonſchiefers,
werden zuweilen durch umherliegende in laͤngliche Plat-
ten geſpaltene Steine, welche aus der eigenthuͤmlichen
Abſondrung dieſer Gebirgsart entſtehen, etwas unzu-
gaͤnglich gemacht, doch ſind dieſe Geſteinſtuͤcke bey
weitem weder ſo groß noch ſo kuͤhn und weit umher ge-
ſtreut wie die des Granits. Das Gneisgebirge iſt in
unſren Gegenden, vielleicht aus aͤhnlichen Gruͤnden
als der Granit, meiſt blos mit Schwarzwald bedeckt,
und wo dieſer ausgerottet worden, erſcheint der Bo-
den, dem Ackerbau weniger guͤnſtig, in einer eigen-
thuͤmlichen oͤden Geſtalt. Meiſt fruchtbarer und in
unſrer Zeit ſchon mehr angebaut, ſind die Gegenden,
deren Boden die beyden zuletzt genannten Gebirgsarten
bilden.
So erſcheint ſchon in den zunaͤchſt auf den Granit
folgenden Gliedern, die kraͤftig entwickelte Individua-
litaͤt des aͤlteſten Urgebirges, das in ſeinen runden
Formen das Streben der Maſſe, eine ſelbſtſtaͤndige
kleinere Erde, mitten in der groͤßeren zu bilden aus-
ſpricht, der allgemeinen Schwere wieder ganz unterle-
gen, und es ſcheint uͤberhaupt die Hauptmaſſe der anor-
ganiſchen Welt im Granit, oder auf der weſtlichen
Erde im Porphyr, das Maximum ihrer Vollendung,
und zugleich die maͤchtigſte koͤrperliche Hoͤhe erreicht zu
haben, waͤhrend im Einzelnen und nach der einen Sei-
te hin, ein neues Maximum des Anorgiſchen, in den
Trappgebirgen der Floͤzzeit erreicht iſt.
Ausgezeichneter fuͤr das Auge, und zum Theil
kuͤhner und romantiſcher, treten die darauf folgenden
Bildungen des Porphyrs und Sienits auf. Es bilden
dieſe Gebirge, unter denen der Urzeit, zu welcher ſie
gehoͤren, eine zweyte merkwuͤrdige Reihe, und wir ſe-
hen ſie mit einem viel hoͤherem Niveau uͤber einen großen
Theil, (beſonders der weſtlichen) Erde verbreitet, als
die zuletzt erwaͤhnten Glieder der Urzeit.
Von neuem, in der Hauptmaſſe zerſtreut, wird
die Kriſtallgeſtalt einzelner Beſtandtheile, die ſich in
den vorhergehenden Gliedern verlohren, wieder haͤu-
figer, und die hohen Felſen des Porphyr, der ſich
nach einigen neueren Beobachtungen auf der weſtlichen
Erde ſo hoch erhebt wie keine andre Gebirgsart, und
daſelbſt die Gipfel der hoͤchſten Gebirge bildet, zeigen
zum Theil jene Geſtalt der hohen Saͤulen und Pfeiler,
welche einigen juͤngeren Gebirgsarten eigenthuͤmlich
iſt. In den Gebirgen von hoͤheren Alter zerſtreut,
und meiſt in einzelnen Huͤgelgruppen hervortretend,
bildet der Porphyr mitten in den Bergen anderer Art,
einſam hervorſtehende Kuppen, welche das Auge, mit-
ten aus einer gerade fortlaufenden Gebirgsflaͤche vor-
ragend, und die Einfoͤrmigkeit der alten Bildungen
unterbrechend, leicht auf ſich ziehen. Das Porphyr-
gebirge ſcheint den zerſtoͤrenden Einfluͤſſen der Zeit und
ihrer ſpaͤteren Waſſerfluthen an vielen Stellen unter-
legen, und wie ſeine Bildungen ſehr oft in abgeriſ-
ſenen, von einander durch weite Entfernungen getrenn-
ten Huͤgeln erſcheinen, werden ſeine Gebirge ſelber von
haͤufigen Riſſen zerſpalten geſehen, die ſich als erzfuͤh-
rende Gaͤnge zum Theil wieder ausgefuͤllt haben, oͤf-
ters aber noch offen ſtehen. Die gewaltigſten Kluͤfte
des Porphyrgebirges, und uͤberhaupt wohl die maͤch-
tigſten unſers Planeten, ſind die beyden bekannten
amerikaniſchen, welche neuerlich wieder von Humbold
beſchrieben. Jene von Chota, deren ſteil und glatt
emporſteigende Mauern gegen 5000 Fuß, mithin halb
ſo hoch ſind, als der Gotthard, laͤuft mehrere Meilen
weit mitten durch den zerſpaltenen Bergruͤcken hin-
durch, und das kaum 2000 Fuß breite Thal, durch
die Ausfuͤllung von Gebirgsſtuͤcken Sand und Damm-
erde entſtanden, ſteht mit ſeinen einſamen Chinawaͤl-
dern einen großen Theil des Tages vor dem Sonnen-
licht verborgen, in einer tiefen Nacht, waͤhrend zu
andrer Zeit die Hitze zwiſchen dieſen engen Felſen-
mauern unertraͤglich faͤllt. Der Unterſchied der ſuͤd-
amerikaniſchen und der europaͤiſchen Alpengebirge, in
Hinſicht der Geſtalt, wird darinnen gefunden, daß
dieſe in ihren hoͤchſten Punkten aus Granit, jene aus
Urporphyr beſtehen. Nicht jene ungeheuren hoch em-
porſtehenden Klippen, welche in der deutſchen Schweiz
den einzelnen Bergen den Beynahmen Horn erworben
haben, ſondern ein runder Umriß ſelbſt der hoͤchſten
Gebirgshaͤupter, zeichnet die hoͤchſten americaniſchen
Alpen im Ganzen vor denen der Schweiz aus.
Auch der Sienit, faͤllt wieder mit kuͤhnen ſchrof-
fen Felſenwaͤnden ins Auge, ſo wie auch der einſam
ſtehende, durch ſchneeweiſe Farbe und den eigenthuͤm-
lichen Glanz, nicht minder als durch ſeine zerſprun-
genen und zerriſſenen Waͤnde charakteriſirte Quarz-
felſen.
Wir finden, wenn wir die aͤußere Geſtalt, wel-
che ganze Gebirgsarten angenommen, ferner verglei-
chen, um zuerſt mit der ganzen Maſſe von dem Um-
riß des unfoͤrmlichen Felſen, bis zu der Geſtalt der
organiſchen Koͤrper aufwaͤrts zu ſteigen, die Gebirge
der zweyten Periode, der ſogenannten Uebergangszeit,
wenig vor andern Gebirgen ausgezeichnet. Dagegen
zeigen die der Floͤzzeit faſt alle einen eigenthuͤmlichen
Charakter. Mit ſchroff emporſtehenden Bergwaͤnden,
oben ſelten zugerundet, oder ſpitz, ſondern eben, voller
Hoͤhlen und Kluͤfte, mit Thaͤlern, deren Seiten ſel-
tener ſanft emporſteigen, oͤfterer hohen geraden
Mauern gleichen, haͤufig in faſt viereckten Felſen,
welcher hier einer und dort einer hohen Rieſengebaͤuden
gleichen, zeichnet ſich das Sandſteingebirge gleich auf
den erſten Blick aus. Wir haben ein ſolches in der
Naͤhe, an der ſogenannten ſaͤchſiſchen Schweiz. Doch
verdankt der Sandſtein dieſe ausgezeichneten Geſtalten
nicht der Feſtigkeit ſeines Charakters allein, wie der
Granit, ſondern das Waſſer mußte ſeiner Anlage zur
verticalen Zerkluͤftung zu Huͤlfe kommen, indem es,
bey einem hoͤheren Stand mitten durch die zerkluͤfteten
und erhaͤrteten Sandmaſſen hindurchbrechend, nach
zerriſſener Verbindung, die einzelnen ſchroffen Felſen-
maſſen zuruͤckließ.
In ſteil aufſteigenden nach oben oͤfters ſcharf zu-
ſammenlaufenden Bergen, welche nicht wie das Sand-
ſteingebirge in einzelne abgerißne Felſenwaͤnde zertheilt
ſind, ſondern in langen Reihen zuſammenhaͤngen,
nicht mehr mit jenem etwas runderen und doch ſcharfen
Umriß des Porphyrgebirges, tritt nun das Kalkge-
birge auf.
In weißen Felſen, welche, meiſt an der Seekuͤſte
gelegen, dem Schiffer wie ferne Schneeberge erſchei-
nen; uͤber das tiefe Gruͤn der nordiſchen Eichenwaͤlder
einſam hervorragend, oͤfters mit ſchroff abgeſchnittnen
aber in laͤngeren Zuge zuſammenhaͤngenden Waͤnden, er-
ſcheint das noch juͤngere Kreidegebirge, wie hohe Gra-
besſteine einer untergegangenen Rieſenwelt, und uͤber
ihm die Graͤber der Huͤnen. Ein Naturmahler unſrer
Zeit, deſſen Gemuͤth mit dem innerſten Sinn der Na-
tur tief vertraut ſcheint, hat in einigen ſeiner Ge-
maͤhlde, welche meinen Zuhoͤrern hinlaͤnglich bekannt
ſind, den Charakter der Kreidegebirge ſo meiſterhaft
dargeſtellt, daß ich mich hierin blos auf ihn berufen
darf.*)
Endlich, nachdem in einigen andern Gebirgen,
unter andern im Gipsgebirge, der eigenthuͤmliche Cha-
rakter ſchwaͤcher geworden, und dieſe den kraͤftigeren
Bildungen der uͤbrigen Gebirge gleichſam nachahmend,
dieſen nur untergeordnet erſcheinen, zeigt ſich wieder
in den Trappgebirgen der Floͤzzeit, ein ſo deutlicher
und beſtimmter Charakter als nur ſonſt irgendwo. Wer
kennt nicht die ausgezeichneten Kegelgebirge des Ba-
ſalts, welche unter andern durch einen Theil von Boͤh-
men gefunden werden. Auch die Baſaltberge unſres
Erzgebirges zeichnen ſich unter allen andern Bergen
deſſelben, wenn es fern von Norden her betrachtet wird,
aus. Von haͤufigen Nebel und Hoͤhenrauch bedeckt,
weil der Baſalt, vermoͤge ſeiner bedeutenden Dichtigkeit
die Duͤnſte ſehr anzieht, an ſeinem Fuß von Moor und
Quellen umgeben, ſchwarz von Farbe, kahl, nur ſel-
ten von einigen einſamen Straͤuchern bekraͤnzt, tragen
die kegelfoͤrmig zugerundeten Baſaltberge ſtatt der uͤppi-
gen Vegetation andrer Gebirge, oben auf ihren Hoͤhen
jene haͤufigen hohen Saͤulen, welche wie die Ueberre-
ſte alter Naturtempel bald uͤbereinander geſchichtet,
bald einzeln umhergeworfen liegen. Dieſe eigenthuͤm-
liche Neigung zur Saͤulenform, bildet in den Baſalt-
gebirgen bald jene Hoͤhlen mit hohen maͤchtigen Pfei-
lern, wie die merkwuͤrdigen Hoͤhlen in Schottland und
Irrland, bald beſtreut ſie ganze Thaͤler mit abgebroch-
nen gewaltigen Saͤulen, deren untere Haͤlfte noch auf-
recht aus dem Boden hervorſteht. Zuweilen beſtehen,
wenn eine — jedoch ſeltnere — Neigung zur kugelfoͤr-
migen Abſondrung mitwirkt, die einzelnen Saͤulen,
aus rundlich uͤbereinandergehaͤuften Gliedern.
Doch verſucht, nach dieſen vielfachen Geſtalten,
welche der Baſalt angenommen, die Natur noch eine
kuͤhnere und romantiſchere Form, in dem noch juͤngeren
Porphyrſchiefer. Den Werken der Menſchenhaͤnde
nachahmend, gleich hohen feſten Thuͤrmen, von gro-
tesker abentheuerlicher Form, ſtehen die ungeheuren
Klippen des Porphyrſchiefers hoch uͤber den runden
Gebirgshaͤuptern und den Schneehauben der ſuͤdamerika-
niſchen Alpen empor. Die Porphyrſchieferklippen
(welche auch einen Theil des boͤhmiſchen Mittelgebir-
ges bilden) zeigen ſich ſo wie der Baſalt, oͤfters in
Saͤulen zerſpalten. Aus dieſer Gebirgsart, wenn es
nicht Sandſtein iſt, wie die Adersbacher Felſengrup-
pen, ſcheinen jene abentheuerlichen Gebirge im nordweſt-
lichen China zu beſtehen, welche an Geſtalt in andern
Weltgegenden nichts Gleiches haben ſollen. Wir ken-
nen ſie vorzuͤglich aus Neumanns Reiſe. Die Geſetze
der allgemeinen Schwere und der Gebirgsbildung,
gleichſam im abentheuerlichen Spiel verletzend, ſehen
wir dieſe Berge, an deren unzugaͤnglichen Waͤnden die
Aloe mit purpurnen Bluͤthen herabhaͤngt, bald nach
der Spitze zu faſt breiter als gegen den Fuß hin, bald
krumm uͤberhaͤngend, jeden Augenblick Einſturz dro-
hend, und dieſe abentheuerlichen Thurmartigen Felſen-
maſſen durch die ſich der große Strom oft muͤhſam hin-
durchdraͤngt, ſcheinen den Chineſen zuerſt ein Vorbild
jener ſonderbaren Geſtalten gegeben zu haben, welche
ſie durch muͤhſame Bearbeitung einigen ihrer Berge zu
geben pflegen.
Faſt ganz charakterlos, nur zu kleinen Huͤgeln,
deren kleinliches Emporſtreben gleich im Entſtehen wie-
der platt niedergedruͤckt ſcheint, zeigen ſich die letzten
Bildungen der Fluthen, die der aufgeſchwemmten
Zeit.
Dieſes waͤre das Angeſicht der Erdoberflaͤche, oh-
ne Pflanzen und Thierwelt. Jede vorzuͤgliche Ge-
birgsart hat ihren beſtimmten, von denen der andern
weſentlich verſchiedenen Charakter, ihre beſtimmte
Grundgeſtalt, der ſie ſich in der Form der Berge und
der einzelnen Felſenmaſſen zu naͤhern ſtrebt. Wir ſe-
hen gegen Ende der Urzeit, im Porphyr, endlich aber
noch vielmehr zu Ende der Floͤzzeit, und hiermit der
groͤßern Fluthen uͤberhaupt, die Neigung der Gebirge
zur Saͤulenform ganz vorzuͤglich maͤchtig.
Von dem Symbol der allgemeinen Schwere, und
der Vereinigung aller Theile zu einem einſtimmigen
Ganzen, von der Kugelform, geht zuerſt in der Grund-
geſtalt der Erde, dann im Einzelnen in der Abſondrung
des Granits, die bildende Natur aus. Hierauf wen-
det ſie ſich in den darauf folgenden Gliedern zur Flaͤche,
bis ſie endlich zuerſt als Annaͤherung, in der Geſtalt der
ganzen Gebirge, dann immer vollkommener, auch in den
einzelnen Theilen der Maſſe, die der allgemeinen
Schwere entgegen, emporſtrebende, laͤngliche Geſtalt
des Pfeilers erreicht. Dieſe iſt wiederum Symbol des
Magnetismus oder uͤberhaupt des Gegenſatzes. So
finden wir ſelbſt in den Geſtalten der ganzen Maſſe
die Naͤhe der angraͤnzenden organiſchen Welt voraus-
verkuͤndiget, die Saͤulenform der Baͤume und die For-
men in denen ſich zuerſt das Thierreich ausſpricht.
Doch liegt dieſe Annaͤherung hier nur in dem allgemei-
nen aͤußern Umriß, ein deutlicherer Uebergang wird
gefunden, wenn wir die einzelnen Bildungen betrachten,
wovon ich hier nur noch einige Worte hinzufuͤgen will.
Der Quarz, welcher ſchon einen Beſtandtheil des
Granits ausmacht, pflegt als Kriſtall in ſcharfen
ſechsſeitigen Saͤulen, und in Pyramiden aufzutreten,
waͤhrend der Glimmer, welcher der 3te Beſtandtheil
des Granits iſt, die Flaͤche in der Tafelform ſucht.
Doch beginnen ſchon in dem Schoͤrl, und noch
mehr in den angraͤnzenden Geſchlechtern, jene
mehr abgerundeten, ſchilfartigen Kriſtalle, wel-
che eine innigere Annaͤherung an die Geſtalt der
Pflanzen ſcheinen. Es bleibt auch hierbey die im Ein-
zelnen bildende Natur nicht ſtehen, wir ſehen die Ge-
ſtalten der Oberwelt in dem Reich der Metalle noch
vollkommener abgeſpiegelt. Ueberhaupt muß, wie
ich anderwaͤrts gezeigt habe, der Uebergang aus dem
Steinreich in das der Pflanzen und Thiere, in jeder
Hinſicht in den Metallen geſucht werden. Die ſchoͤnſten
Farben, von dem Purpurroth der Granaten oder dem
Roſenroth des Rubins bis zu dem ſchoͤnen Gruͤn des
Schmaragds, treten im Steinreich blos durch die Ein-
miſchung der Metalle auf. Das Brennbare, im
Phosphor oder einigen dieſem nahe verwandten Metal-
len, im Arſenik und Zink, dann im Schwefel, im
Kohlenſtoff, der wenigſtens im geſaͤuerten Zuſtand ge-
funden wird, begleiten die Metalle von ihrem Entſte-
hen in dem aͤlteren Urgebirge, bis zu ihren letzten und
juͤn gſten Bildungen, und bezeugt auch hierdurch ihre
chemiſche Verwandſchaft mit dem Organiſchen. Die
Baumfoͤrmigen, Blaͤtterartigen, unter einander ge-
webten und hierin dem Bau des Thieriſchen Zellgewe-
bes aͤhnlichen Bildungen einiger, beſonders der gedie-
genen Metalle, ahmen die hoͤhere organiſche Welt, oft
bis zur Taͤuſchung nach. Das ganze Reich der Me-
talle, ſcheint an den Graͤnzen der beyden Welten, aus
dem Untergang und einer der Verweſung aͤhnlichen
Vernichtung des Anorganiſchen entſtanden, und in ſich
den Keim der neuen, organiſchen Zeit zu tragen.
Die Natur ſteht in der organiſchen Welt wieder
aus einem Grabe und einem der Verweſung aͤhnlichen
Zuſtande auf, und der Grund ihres Entſtehens iſt zu-
gleich der des Unterganges der anorganiſchen Welt gewe-
ſen. So bauet ſich froͤlich eine neue Zeit aus den
Truͤmmern der verſunkenen alten auf, hoffend wenn
auch nicht durch die Dauer der koͤrperlichen Maſſe,
doch durch die Kraft des Geiſtes das Werk ihrer Haͤnde
feſter in die Tiefe der fernſten Zeit zu gruͤnden, als je-
ne untergangne Vorzeit.
Wenn uns auch, bey dem Eintritt in das Reich der
Kriſtalliſationen, ganz andre Geſetze und Weiſen des
Daſeyns zu begegnen ſcheinen, als in dem Syſtem der
Welten; ſo iſt doch nirgends ein Mangel an Beruͤh-
rungspunkten, an Uebereinſtimmungen, ja an unmit-
telbaren Uebergaͤngen. Es gehoͤrt dahin jenes ſchoͤne
von Kepler entdeckte Verhaͤltnis einiger Grundgeſtal-
ten der Kriſtalle, das in ſeinem Werk uͤber die Har-
monie der Welten ſteht, und lange Zeit ganz vergeſſen
ſchien. Er zeigt naͤmlich daſelbſt zwiſchen 5 Grund-
geſtalten der Kriſtalliſation daſſelbe Verhaͤltnis, was
zwiſchen den 5 damals bekannten Planetenbahnen ſtatt
findet.*) Dieſes fuͤhrt aber, wie ich in meiner fruͤher
erwaͤhnten Schrift gezeigt habe, in ſeiner Form und
Bedeutung auf jene allgemeine Nothwendigkeit der
Wechſelwirkung zuruͤck, aus welcher ſich alle Geſetze
des Planetenſyſtems herleiten laſſen, und es folgt das
Daſeyn aller dieſer Geſetze ſchon aus jenem oft ver-
kannten Verhaͤltnis der Bahnen. Wir duͤrften alſo
auch in den Kriſtalliſationen und jenen merkwuͤrdigen
Reihen (Suiten) die ſie oft bey einer einzigen Steinart
bilden, den Spuren, die uns aus jenem Verhaͤltnis
entgegen kommen, mit Sicherheit folgen, um bald eine
tiefe und allgemeine Uebereinſtimmung, auch aller an-
dren Verhaͤltniſſe zu finden. Es wird dieſe Arbeit durch
einen meiner Freunde geſchehen, der hierin die Ent-
deckungen der beyden vorzuͤglichſten Schulen (der Wer-
neriſchen und Hauyſchen,) zu verbinden ſtrebt.
Ja dieſe Uebereinſtimmung geht noch weiter in die
Lebensverhaͤltniſſe der organiſchen Welt hinuͤber, wo
ich ſie anderwaͤrts aufzuzeigen angefangen habe. So
zeigt ſich uͤberall derſelbe Geiſt des Daſeyns und Le-
bens, uͤberall Eine Nothwendigkeit, unter welcher
ſeine Aeußerungen ſtehen.
Der Uebergang zum organiſchen Leben wird in den
kosmiſchen Momenten der anorganiſchen Koͤrper gefun-
den, in denen wir an einem andren Orte jenen Zuſtand
derſelben erkannt haben, wo das Einzelne in die Ge-
meinſchaft des Lebens und Daſeyns eines hoͤheren Gan-
zen tritt.
Es ſtellt in der gegenſeitigen Wirkung der hoͤhere
Gegenſatz dem niederen die belebende Urſache dar, wie
in der Schwere die Sonne den Planeten, die Erde den
einzelnen Koͤrpern. Hierdurch wird an ihnen der Geiſt
des Ganzen wie an dem Menſchen in den Momenten ei-
ner aͤhnlichen geiſtigen Wirkung das Goͤttliche offenbart,
und was dort als Magnetismus, Licht u. ſ. w. erſcheint,
wird hier als Begeiſterung geſehen.
Die organiſche Welt iſt, wie es ſcheint, mit der
jetzigen Atmosphaͤre zugleich aufgetreten. Dieſe iſt
erſt das hoͤhere und vollkommnere Mittelglied einer
Wechſelwirkung der beſondern irdiſchen Natur mit dem
hoͤheren Weltganzen, und wenn es auch den Einfluͤſ-
ſen deſſelben zuzuſchreiben iſt, daß ſchon in den fruͤhe-
ren Zeiten der Gebirgsbildung, wo die Atmosphaͤre
wenigſtens noch nicht mit der Erdflaͤche (die noch vom
Waſſer bedeckt war) in Beruͤhrung ſtund, die Nieder-
ſchlaͤge der verſchiednen Perioden von ſo ganz verſchie-
dener Beſchaffenheit gefunden werden, ſo daß mit
Recht auf einen in andren Zeiten ganz veraͤnderten Ge-
halt der Fluthen geſchloſſen wird; ſo hat ſich wenig-
ſtens vor dem Auftreten der Atmosphaͤre, bei einem
noch fluͤſſigeren Zuſtand des Erdkoͤrpers, jener Einfluß
eines hoͤheren Ganzen nicht an die Einzelnen ſondern
an die Geſammtmaſſe wenden muͤſſen. Erſt die At-
mosphaͤre laͤßt auch die einzelnen irdiſchen Dinge un-
mittelbar in Gemeinſchaft mit jenem hoͤheren Einfluß
treten, und macht hierdurch das beſondre, organiſche
Leben moͤglich.
Es wird naͤmlich auch ſchon in den kosmiſchen
Momenten der anorganiſchen Natur, jenes momenta-
ne Leben des Einzelnen durch die Vermittlung eines
hoͤheren Ganzen erhalten.
Im Magnetismus ſind es die beyden phyſicali-
ſchen Erdpole, oder die beyden erregbarſten Punkte
des Planeten, durch deren Vermittlung der Magnet,
deſſen herrſchender Pol ſich ſtets nach dem naͤchſten von
jenen Punkten hinwendet, den hoͤheren Lebenseinfluß
empfaͤugt, und auch in der Elektricitaͤt iſt es der Erd-
koͤrper, aus deſſen mittelbarer oder unmittelbarer Ge-
meinſchaft die Koͤrper den Schimmer des erſten ſelbſt-
ſtaͤndigen Lebens empfangen. In beyden Proceſſen iſt
es der eine, der poſitive Pole, welcher dem andern
das Erdganze in ſich darſtellt, deshalb iſt der herr-
ſchende Pol des Magnets durch eine unmittelbarere
Abhaͤngigkeit von dem Planeten, die ſich in ſeiner
Neigung als groͤßere Schwere ausdruͤckt, der poſitiv
elektriſche Koͤrper durch groͤßere Cohaͤrenz, welche
daſſelbe, naͤmlich eine innigere Gemeinſchaft des Ein-
zelnen mit dem Ganzen ausſpricht, vor dem negati-
ven ausgezeichnet. Im chemiſchen Proceß ſchon,
kehrt ſich dieſes Verhaͤltniß, wie Ritter gezeigt hat,
gaͤnzlich um, und die Koͤrper, welche in der Elektri-
citaͤt poſitiv waren, werden nun negativ und umge-
kehrt. Gerade die minder ſchweren und minder feſten
Koͤrper ſtellen nun in der Wechſelwirkung den hoͤheren
Einfluß in ſich dar, bis dieſer endlich im Verbren-
nungsproceß als Atmosphaͤre auftritt. Der poſitive
Gegenſatz, in der Elektricitaͤt und im Magnetismus,
repraͤſentirte die Erde in ſich, im chemiſchen Proceß,
beſonders aber erſt beym Verbrennen, wird von dem po-
ſitiven Gegenſatz das hoͤhere Weltganze, zu welchem
ſich wieder die Erde als Theil verhaͤlt, die Sonne dar-
geſtellt. Es iſt mithin uͤberall derſelbe Grund des Le-
bens, daß naͤmlich das Einzelne durch die Wechſel-
wirkung der Gegenſaͤtze, in die Harmonie des allgemei-
nen Lebens hineintrit, nur das hoͤhere Mittelglied iſt
verſchieden. Schon das Waſſer, oder uͤberhaupt das
Fluͤſſige, vertritt im chemiſchen Proceß die Stelle der
Atmosphaͤre, endlich aber mit dem vollkommenen Ein-
treten des Luftkreißes in die Wechſelwirkung mit der
feſten Maſſe, wird in dem Licht die aͤußerſte Graͤnze
der Wirkſamkeit der anorganiſchen Natur erreicht, es
tritt nun, ein Bildniß der auf der Erde einheimiſch
gewordnen Soune, das organiſche Leben mit ſeinen
mannichfaltigen Geſtalten auf.
Dieſes iſt der Weg, welchen das Leben, uͤberall
daſſelbe, von den Lebensbewegungen des Magnets bis
zu denen des Thieres, nimmt. Ich werde die innre
Uebereinſtimmung des organiſchen Lebens mit den kos-
miſchen Momenten der anorganiſchen Natur noch an-
derwaͤrts deutlicher entwicklen, zugleich mit der Be-
ſtaͤtigung, daß jene große Verwandlung, durch welche
daſſelbe Leben, das ſich vorhin als Wechſelwirkung des
Anorganiſchen gezeigt, nun als Organiſches auftritt,
durch das Hinzukommen des jetzigen Luftkreißes be-
wirkt iſt. Dieſes gleichzeitige Hervorgehen der orga-
niſchen Welt und der Atmosphaͤre, zeigt ſich auch im
Großen, in der Geſchichte des Erdkoͤrpers.
Obgleich naͤmlich ſchon in der Urzeit, in welcher
angenommen wird, daß die Erde, noch ganz von
Waſſer bedeckt, von der unmittelbaren Beruͤhrung des
Luftkreißes ausgeſchloſſen war, das noch kuͤnftige
Erſcheinen des Thier und Pflanzenreichs ſchon vorbe-
reitet erſcheint, finden wir doch die Spuren einer ge-
weſenen organiſchen Welt erſt in der 2ten Periode,
wo, nach zum Theil verſchwundenem Gewaͤſſer, ein
Theil des Erdbodens frey in die Luft hervorragte.
Von jenen Spuren, welche die Pflanzen und Thier-
welt der ſpaͤteren Perioden ſchon in der Urzeit voraus-
verkuͤnden, treten die des Pflanzenreichs zuerſt auf,
und ſchon der Schoͤrl, welcher in einigen Gegenden
im Granit ſehr haͤufig iſt, ſcheint in ſeiner Geſtalt, inn-
ren Textur und Farbe auf die kuͤnftige Vegetation hin-
zudeuten.
Wir ſehen jedoch gleich das erſte Glied der neuen
Periode, wo der Uebergang zu der Zeit des Organi-
ſchen gefunden wird, voller Ueberreſte von Pflanzen-
thieren, von jenen Mittelweſen, welche weder Thiere
noch Pflanzen, ſondern auf eine unvollkommene Weiſe
beydes ſind. Sie haben nur einige ſehr entfernte Aehn-
lichkeit mit Thierarten, die noch jetzt in den Tiefen der
Meere gefunden werden, jedoch ſind die Geſchlechter,
zu welchen ſie gehoͤrten, als untergegangen zu betrach-
ten. Wenn zu derſelben Zeit die Erde an einigen hoͤ-
her liegenden Stellen Gewaͤchſe getragen, ſo waren es
vorzuͤglich Waſſerpflanzen, und jene Rohrgewaͤchſe
die in der Grauwacke der Uebergangszeit verſteinert lie-
gen, erzaͤhlen von einem uͤppig gruͤnenden Kuͤſtenland.
Gleich die erſten Fluthen der 3ten Periode, naͤmlich
die der Floͤzzeit, fanden jedoch ſchon ein gruͤnendes
und von bluͤhenden Waͤldern bedecktes Land, welches
ſie in das von neuem anſtroͤmende Gewaͤſſer begruben.
Die haͤufigen Kalkgebirge dieſer Zeit, enthalten in ih-
ren aͤlteſten Gliedern die Verſteinerungen von Meerthie-
ren, deren Geſchlechter auch untergegangen ſcheinen,
ſpaͤter naͤhern ſich dieſe Denkmaͤhler einer fruͤheren
Thierwelt in Hinſicht ihrer Form den noch jetzt vorhan-
denen Thierarten. Zuletzt ſehen wir gegen Ende die-
ſer Periode, die Geſchichte einer ſehr vollkommenen
Thierwelt, welcher nichts mehr zu fehlen ſcheint als die
hoͤchſte Bluͤthe — der Menſch, in den ſteinernen Urkun-
den jener voruͤbergegangenen Fluth aufbewahrt, und
dieſe melden von hohen Palmenwaͤldern, in Gegenden,
wo jetzt ſelbſt ein niedriges Gebuͤſch ſich zu wachſen
weigert, von Elephanten und Nashoͤruern, Tapiren,
Giraffen und Antilopen, von ehemaligen Fluͤſſen voller
Flußpferde und Krocodile, da wo jetzt nur noch der
noͤrdliche Eisbaͤr und das Rennthier wohnen.
Es iſt naͤmlich aus dem Vorhandenſeyn jener haͤu-
figen Ueberreſte organiſcher Weſen, in der Naͤhe der
Pole, wovon wir hernach reden werden, gewiß, daß
jene Gegenden in der fruͤheſten Zeit, und wie es ſcheint,
fruͤher als alle andre Erdſtriche, der Aufenthalt und
das Geburtsland einer ſehr vollkommenen organiſchen
Welt waren. Die im Allgemeinen viel geringere Hoͤ-
he der Gebirge nach den Polen hin, im Vergleich mit
denen der Aequatorealgegenden, und verſchiedne andre
Thatſachen machen es wahrſcheinlich, daß die Po-
le bey der allmaͤligen Abnahme des (uͤber ihnen ungleich
niedriger ſtehenden) Gewaͤſſers, aus dieſem ſchon her-
vortraten, als die, vermoͤge des taͤglichen Um-
ſchwungs nach dem Aequator angehaͤufte Fluth, da-
ſelbſt noch hoch uͤber den Bergen ſtund. Die duͤnnere
Luftſchicht in der Hoͤhe der Schneeregion, die dichtere
in den tiefen Thaͤlern, ſind bekanntlich die Urſache des
Temperaturunterſchieds der zwiſchen dem Gipfel der
hohen Berge und den Ebenen ſtatt findet. Eine groͤße-
re allgemeine Waſſermenge in fruͤheren Zeiten, hatte
auch eine groͤßere Dichtigkeit der Atmosphaͤre zur noth-
wendigen Folge, dieſe aber mußte wiederum eine viel
ſtaͤrkere (Waͤrmeerzeugende) Wirkung der Sonnenſtrah-
len bewirken. Bey einer ungeheuer viel groͤßeren Waſ-
ſermenge und mithin eben ſo viel dichteren Atmosphaͤre
in den fruͤheren Weltperioden, mußte mithin die Wir-
kung der auch damals ſchon an den Polen nur ſenkrecht
auffallendern Sonnenſtrahlen, ohne daß wir deshalb ei-
ne veraͤnderte Neigung der Erdaxe zu Huͤlfe zu nehmen
brauchten, ſo heftig ſeyn, als bey dem jetzigen Zu-
ſtand des Luftkreißes zwiſchen den Wendekreißen.
Die Pole waren mithin, in den erſten Weltperio-
den, ſowohl wegen des noch vom Waſſer bedeckten Zu-
ſtandes der Erdoberflaͤche, nach den Wendekreißen hin,
als auch vielleicht ſelbſt wegen des zu hohen Waͤrme-
grades jener Gegenden, nicht allein der Geburtsort, ſon-
dern der vorzuͤglichſte und einzige Aufenthalt organiſcher
Weſen. Ja nicht allein die Thier- und Pflanzenwelt,
ſondern ſelbſt der Menſch ſcheint nach Einigen mehr von
der Naͤhe der Pole als der Wendekreiße, ausgegangen,
und der Aufenthalt jenes vorzuͤglich gebildeten Urvolks,
von dem wir fruͤher ſprachen, wird von Bailly, Rud-
beck u. A. weit hinauf nach dem Nordpol verſetzt. Wir
wollen wenigſtens einige der Gruͤnde die dafuͤr zu ſpre-
chen ſcheinen, vernehmen.
Wie die Lehren und der Kultus der alten Prieſter
der noͤrdlichen Welt, vornehmlich der Schweden, mit
denen der Egypter in Vielen uͤbereinſtimmen, wurde
auch von den alten Schweden ein Feſt, das wie das
des Oſiris in Egypten 40 Tage dauerte, und dieſem
in verſchiedenen Umſtaͤnden glich, gefeyert. Statt des
Oſiris wurde aber die in jenem noͤrdlichen Himmel 40
Tage abweſende Sonne beklagt, und hierauf am 40ſten
das Wiedererſcheinen der Sonne, wie in Egypten
das Wiederaufleben des Oſiris gefeyert. Oſiris war
ein Sinnbild der Sonne, und die aͤußere Form dieſes
Cultus ſcheint demnach unter dem 68ſten Grade der
Breite, mithin noͤrdlicher als Umba am weißen Meere
entſtanden. Die Fabel vom Vogel Phoͤnix, vom Her-
cules, der Gottesdienſt des Janus, ſind von Bailly
und Andern ſaͤmintlich aus jenem noͤrdlichen Himmels-
ſtriche hergeleitet worden, wo die Sonne einige Zeit
abweſend iſt. Die Verehrung des Saturn, ja der Iſis
und des Oſiris, ſind, wie es ſcheint, aus Norden ge-
kommen, und die des Saturn hatte ſich bis zu den
ſpaͤteren Zeiten auf den noͤrdlichen europaͤiſchen Inſeln
erhalten. *) Ich koͤnnte, wenn es hier am rechten
Orte ſchiene, noch eine Menge Thatſachen anfuͤhren,
welche alle Daſſelbe bewieſen; doch will ich nur noch
eine in dieſer Hinſicht ganz vorzuͤglich merkwuͤrdige Sa-
ge der Mexicaner hinzufuͤgen.
Die Halbgoͤtter, mit welchen der Himmel und die
Erde nach ihrer dritten Verwandlung bevoͤlkert worden,
und von denen das jetzige Menſchengeſchlecht abſtammt,
befanden ſich Anfangs in einem Lande wo keine Sonne
war, das heißt, in der langen Polarnacht. Als ein
junger Held dem erſehnten Licht ſich ſelber zum Opfer
gebracht, wird ihnen die Gewißheit der Wiederkehr der
Sonne. Hierauf, in einer langen Daͤmmerung, wie
ſie an den Polen herrſcht, wird der Aufgang bald da
bald dort erwartet, und die Helden ſtellen mit verſchie-
denen Thieren eine Wette an, wo die Sonne ſich zu-
erſt zeigen wuͤrde, und der Irrthum des thieriſchen
Vorgefuͤhls wird mit dem Tode beſtraft. Endlich als
die Sonne, wo ſie noch jetzt aufgeht, ſich gezeigt,
erhebt ſie ſich, wie dies an den Polen geſchieht, nur
in einem ſehr niedrigen Bogen, und die Helden uͤber
den ſcheinbaren Stillſtand ungedultig, finden durch
Citlis Kuͤhnheit einen fruͤhen Untergang. Einer von
den Dienern, heißt es in jener Sage ferner, wird hin-
ab in das Haus der Sonne geſendet. Es wandelt die-
ſer mit dem Geſange eines Liedes, das ihm der Halb-
gott gelehrt, auf einer Bruͤcke von Wallfiſchen und
Schildkroͤten hinab, womit die Sage anzudeuten
ſcheint, daß der Suͤden noch vom Meere bedeckt war.
Doch verſetzen auch viele andre wichtige Thatſa-
chen, den Wohnſitz jenes Urvolks unter den 49° der
Breite, aus welcher Gegend viele aſtronomiſche Beob-
achtungen, die uns Ptolemaͤus u. A. aufbehalten ha-
ben, und unter andern das aͤlteſte Urbild des Zend
Aveſta herſtammen. *) Es koͤnnte demnach ſehr wohl
ſeyn, daß unſer Geſchlecht im mittlern Aſien (wie Vie-
le behaupten) entſtanden, erſt ſpaͤter, wo die ganze or-
ganiſche Schoͤpfung der fruͤhern Welt ſchon unter den
neuentſtandnen Sandwuͤſten des noͤrdlichen Aſiens be-
graben war, in jenen Gegenden, die nicht auf einmal
ſondern nur in ſehr allmaͤligen Uebergaͤngen kaͤlter wur-
den, ſeinen Aufenthalt nahm.
Es laͤßt ſich deshalb aus jenen Thatſachen weder et-
was fuͤr noch gegen die Vermuthung ſchließen, ob der
Menſch zu jener Zeit, wo jene maͤchtige organiſche Welt
gegen Ende der 3ten Weltperiode unter den (meiſt me-
chaniſchen) Niederſchlaͤgen der neuen Fluth begraben
wurde, *) ſchon auf der Erde vorhanden war, und
ob auch ſeine Geſchichte ſchon in die 3te Weltperiode
(die Floͤzzeit) hinaufreicht?
Gewiß iſt es, daß man bisher unter den vielen
Ueberreſten groͤßerer Landthiere noch keine gefunden,
welche Menſchen zugeſchrieben werden koͤnnten, aͤltere
Naturforſcher hatten, von einer leichten Aehnlichkeit
getaͤuſcht, bald die Knochen von Elephanten fuͤr Ge-
beine von ungeheuren Rieſen, bald Schildkroͤtenſchaa-
len, ja den breitgedruͤckten Kopf eines Wels fuͤr Men-
ſchenſchadel gehalten, doch will noch neuerlich Spal-
lanzani auf einer Inſel des mittellaͤndiſchen Meeres
zahlreiche Menſchengebeine gefunden haben, an welche
noch unſichere Beobachtung jene aus der Gegend von
Cadix ſich anſchließt. Aber geſetzt auch, es faͤnden
ſich in ganz Europa, welcher Welttheil, und zwar
nicht einmal ganz, ſondern nur zum Theil, bisher
allein gruͤndlich durchforſcht worden, gar keine Ueber-
reſte von Menſchen, ſo waͤre dieſes noch immer nicht
hinlaͤnglich, um zu beweiſen, daß zu jener Zeit noch
gar keine vorhanden waren. Das Geburtsland des
Menſchen ſcheint aus verſchiedenen Aſien, wohin unſre
Forſchungen bisher doch nur wenig eingedrungen ſind.
Vielleicht daß das damalige Geſchlecht der Menſchen
ſich nur erſt uͤber einen geringen Theil der alten Welt
ausgebreitet hatte, und daß jenes große Grab, das
die Gewaͤſſer dem untergegangenen Urvolk erbaueten,
dereinſt an den bluͤhenden Quellen des Ganges oder In-
dus gefunden wird.
Außer dieſem hat vielleicht auch die leichtere Zer-
ſtoͤrbarkeit des menſchlichen Koͤrpers, worinnen ſich
dieſer vor allen groͤßern Thieren auszeichnet, die Ueber-
reſte jener fruͤheren Voͤlker ſpaͤteren Nachforſchungen
entzogen. Man hat zwar allerdings menſchliche Koͤr-
per zu Mumien ausgetrocknet, lange Jahrtauſende
aufbewahrt, bey einiger Beguͤuſtigung aber von
außen, wie die des Waſſers oder der feuch-
ten Luft, verweſt der Leichnam des Menſchen viel
ſchneller als der der Thiere, unter Knochen von ver-
ſchiedenen Arten, zerfallen die menſchlichen am erſten,
und die Natur ſcheint durch den groͤßeren Phosphorge-
halt ſeines Koͤrpers, fuͤr ihren Liebling, den Men-
ſchen, die Zeit der letzten Verwandlung verkuͤrzt zu
haben. Ja es ſcheinen jene aͤußeren Einfluͤſſe, welche
die Verweſung von den thieriſchen Koͤrpern der fruͤhern
Weltperioden, ſo lange Jahrtauſende abgehalten ha-
ben, nicht hinreichend, um der Zerſtoͤrung des menſchli-
chen eine viel kuͤrzere Zeit zu wehren. In dem Gips
und Salzgebirge des noͤrdlichen Frankreichs, ſind die
Gebeine einiger Landthiere noch ziemlich wohl erhalten,
dagegen ſahe man jenen im Salzburgiſchen gefundenen
menſchlichen Koͤrper, der vielleicht ſeit einigen Jahr-
hunderten in einer aͤhnlichen Salz und Gipsaufloͤſung,
als die, woraus die erwaͤhuten Gebirge entſtunden,
gelegen, ſchon nach einigen Tagen an der Luft zer-
fließen.
Auf gleiche Weiſe zerfiel auch jener merkwuͤrdige
Leichnam, von welchem Huͤlpher, Cronſtedt und die
ſchwediſchen gelehrten Tagebuͤcher erzaͤhlen, in eine
Art von Aſche, nachdem man ihn, dem Anſcheine
nach in feſten Stein verwandelt, unter einem Glas-
ſchrank vergeblich vor dem Zutritt der Luft geſichert
hatte. Man fand dieſen ehemaligen Bergmann, in
der ſchwediſchen Eiſengrube zu Falun, als zwiſchen
zween Schachten ein Durchſchlag verſucht wurde. Der
Leichnam, ganz mit Eiſenvitriol durchdrungen, war
Anfangs weich, wurde aber, ſo bald man ihn an die
Luft gebracht, ſo hart als Stein. Funfzig Jahre
hatte derſelbe in einer Tiefe von 300 Ellen, in jenem
Vitriolwaſſer gelegen, und niemand haͤtte die noch un-
veraͤnderten Geſichtszuͤge des verungluͤckten Juͤnglings
erkannt, niemand die Zeit, ſeit welcher er in dem
Schachte gelegen, gewußt, da die Bergchronicken ſo
wie die Volksſagen bey der Menge der Ungluͤcksfaͤlle in
Ungewißheit waren, haͤtte nicht das Andenken der ehe-
mals geliebten Zuͤge eine alte treue Liebe bewahrt.
Denn als um den kaum hervorgezogenen Leichnam, das
Volk, die unbekannten jugendlichen Geſichtszuͤge be-
trachtend ſteht, da koͤmmt an Kruͤcken und mit grauem
Haar ein altes Muͤtterchen, mit Thraͤnen uͤber den ge-
liebten Toden, der ihr verlobter Braͤutigam geweſen,
hinſinkend, die Stunde ſegnend, da ihr noch an den
Pforten des Grabes ein ſolches Wiederſehen gegoͤnnt
war, und das Volk ſahe mit Verwunderung die Wie-
dervereinigung dieſes ſeltnen Paares, davon das Eine,
im Tode und in tiefer Gruft das jugendliche Ausſehen,
das Andre, bey dem Verwelken und Veralten des Leibes
die jugendliche Liebe, treu und unveraͤndert erhalten
hatte, und wie bey der 50jaͤhrigen Silberhochzeit der
noch jugendliche Braͤutigam ſtarr und kalt, die al-
te und graue Braut voll warmer Liebe gefunden
wurden.
Andre Beyſpiele von lange unverweſten Leichnamen,
welche an der Luft ſehr ſchnell zerſtoͤrt wurden, kann
man in meiner Geſchichte der Verweſung leſen. Es
muß daher ſelbſt dieſe leichtere Verwesbarkeit der
menſchlichen Koͤrper, dieſe, wenn in den Niederſchlaͤ-
gen der Fluthen- welche ihr Grab fanden, viel ſelt-
ner gemacht haben, als die der Thiere, und wir duͤr-
fen es aus einigen wenigen negativen Beobachtungen
nicht geradezu laͤugnen, daß zu jener Zeit Menſchen
vorhanden waren. Um ſo mehr da ſich viele von jenen
Thieren, welche wie es ſcheint, dem Menſchen in der
Reihe der Weſen am naͤchſten ſtehen, in den Gebirgen
und Sandlagern jener Perioden finden. So iſt der
Elephant, wie aus den vielen Ueberreſten dieſes Thier-
geſchlechts erhellet, in jenen Zeiten ungemein haͤufig
verbreitet geweſen. Mit ihm zugleich findet fich das
Nashorn und der indiſche Buͤffel, der Tapir und das
Flußpferd, Antilopen und andre vierfuͤſſige Thiere der
Wendekreiße unter den juͤngern Gebirgsſchichten der
noͤrdlichen Welt begraben. Einige von den Thierar-
ten, welche mit dieſen als Verſteinerung gefunden wer-
den, ſind nun untergegangen. So jenes merkwuͤrdi-
ge Thier von Cuvier beſchrieben, das in einigen Zuͤ-
gen, beſonders in dem Bau und Verhaͤltnis ſeiner
Zaͤhne, welches bekanntlich in der Charakteriſtik der
Thiere von hoͤchſter Wichtigkeit und Bedeutung iſt,
eine ſo nahe Aehnlichkeit mit dem Menſchen hat, wie
kein andres jetzt lebendes Thier, ſelbſt die Affen nicht.
So ſind auch jene merkwuͤrdigen Thierarten unterge-
gangen, welche in der Einrichtung ihres Gerippes dem
Faulthier gleichen, und deren einige von der Groͤße des
Nashorns, andre von der Groͤße des Pferdes, andre
noch kleiner waren. Wir ſehen von allen dieſen zahl-
reichen, und in Hinſicht ihres Baues einzigen Thier-
gattungen, in der ganzen Natur nichts Aehnliches mehr,
außer in dem Ai und Unau, und ein neuerer Natur-
forſcher bemerkt mit Recht, daß dieſe ungluͤckſeelig-
ſten und traͤgeſten Thiere unter allen, darum mit dem
Angeſicht und der Kraftloſigkeit der Greiſe gebohren
wuͤrden, weil ihr Geſchlecht, ein trauriger und veral-
teter Ueberreſt einer fruͤheren Zeit, in die Reihe der jetzi-
gen Weſen nicht hineinpaſſe, und gleichſam unwillig,
wie Greiſe, denen unter den Zeitgenoſſen keine Gefaͤhr-
ten und Zeugen ihrer Jugend mehr uͤbrig geblieben, in
dieſe fremdartige Natur hineinſaͤhe.
Merkwuͤrdig iſt es, daß alle, oder doch faſt alle
Landthiere, deren Gerippe aus jener Zeit uͤbrig geblie-
ben, Pflanzenfreſſende ſind. Denn jene Gebeine von
Baͤren, die man in den Kalkhoͤhlen zu Gaͤylenreuth,
Scharzfeld und anderwaͤrts gefunden hat, ſind offen-
bar aus einer viel juͤngeren Zeit, und wenn ſie uͤber-
haupt durch eine Fluth umkamen, ſo war dies eine
viel ſpaͤtere, blos oͤrtliche. Denn ſie liegen weder
verſteinert noch ſelbſt zum Theil nur von dem herabſin-
ternden Waſſer incruſtirt, frey in den Hoͤhlen, wohin
ſich die Thiere vielleicht bey einer ſolchen oͤrtlichen Fluth
wie die Cimbriſche, gerettet hatten. Zwar hat man
die Ueberreſte einer Art von Elephanten gefunden,
welche ſich im Bau der Zaͤhne den fleiſchfreſſenden Thie-
ren naͤherte, allein man hat mit Recht bemerkt, daß
ſowohl die Schwerfaͤlligkeit des Baues, als der Ruͤßel,
der doch das einzige Organ iſt, mit deſſen Huͤlfe der
Elephant Speiſe nehmen kann, dieſes Thier hoͤchſtens
zum Fiſchfang faͤhig gemacht haben. Die Gebeine
aus der Scharzfelder Hoͤhle, die man fuͤr die einer Art
von Loͤwen gehalten, werden neuerdings fuͤr die eines
Seehunds oder eines aͤhnlichen Thieres anerkannt. Es
waͤre doch zu verwundern, wenn unter den vielen
Ueberreſten von großen Landthieren einer ſuͤdlichen Zo-
ne, welche jetzt an Raubthieren Ueberfluß hat, nicht
von einem einzigen Fleiſchfreſſenden Thiere jener Clima-
ten Spuren gefunden wuͤrden, wenn uͤberhaupt welche
vorhanden geweſen waͤren. Wir werden aber ſpaͤter
noch andre Thatſachen anfuͤhren, die es wahrſcheinlich
machen, daß die Pflanzeneſſenden Thiere vor dem
Menſchen, die Fleiſchfreſſenden ſammt den Affen nach
dem Menſchen entſtanden ſind, und daß der Menſch
zwar das oberſte Glied der ganzen Schoͤpfung ſey,
daß es aber eben ſowohl von ihm hinabwaͤrts eine
gleichſam zuruͤckſinkende Thierreihe gaͤbe, als es eine
zu ihm hinaufſteigende giebt. Jene anjetzt ganz un-
tergegangene Menſchenart, von welcher noch einige
Individuen unter den egyptiſchen Mumien erhalten
ſind, unterſcheidet ſich nicht blos im Bau der Stirne,
der Naſe, der Backenknochen und durch die wie nach
Galls Schaͤdellehre bey den Pflanzenfreſſenden Thie-
ren, weiter nach voruen und hoͤher liegenden Ohren vor
allen Varietaͤten des jetzigen Menſchengeſchlechts, ſon-
dern ſelbſt darin, worin ſich die Menſchen in allen Zo-
nen gleich ſind, und was fuͤr den natuͤrlichen Charak-
ter des ganzen Geſchlechts gehalten wird, in dem Bau
der Zaͤhne, weichen ſie gaͤnzlich ab. Es ſind naͤhm-
lich die Eckzaͤhne, die wir mit den Raubthieren gemein
haben, von den Backzaͤhnen nicht zu unterſcheiden,
und auch die Schneidezaͤhne haben platte Kronen.
Dieſes, wahrſcheinlich aͤlteſte Menſchengeſchlecht, iſt
demnach blos Pflanzeneſſend geweſen, und auch in der
Geſchichte des Menſchen wie in der der vollkommneren
Thiere, iſt das Leben von Vegetabilien aͤlter geweſen als
das vom Raube.
So wie jene Pfianzenfreſſenden Thiere an koͤrper-
licher Groͤße und Maſſe das juͤngere Geſchlecht der
Raubthiere weit uͤbertreffen, ſo zeichnen ſich uͤberhaupt
alle Bildungen jener fruͤheren Zeit durch eine viel groͤße-
re Maſſe vor den jetzigen aus. Wo kann die jetzige
Natur Elephanten von jener ungeheuren Groͤße auf-
weiſen, wie diejenigen, deren Ueberreſte noch in den
Gebirgen der noͤrdlichen Welt gefunden werden? Jene
Hirſche, deren Geweihe ſich, wie an den in Irrland
gefundenen Schedeln, gegen 11 Fuß ausbreiteten, oder
von denen das Geweih, wie jenes bey Worms gefun-
dene, gegen 50 Pfund wog, jene Tapire, welche das
Nashorn noch um den 4ten Theil an Groͤße uͤbertref-
fen, jene indiſchen Buͤffel, die noch viel groͤßer gewe-
ſen ſeyn muͤſſen, als der amerikaniſche Biſon, haben
jetzt unter ihren Geſchlechtern nichts aufzuweiſen, das
ihnen gliche. Man wird faſt bewogen, auch in der
Vorwelt unſres Geſchlechts an Rieſen zu glauben, und
obgleich viele von den Faͤllen, die man in neuerer Zeit,
unter andern bey Calmet aus der alten Geſchichte ge-
ſammlet findet, ſehr zweifelhaft ſcheinen, ſo laͤßt ſich
doch nicht gegen alle etwas Gruͤndliches einwenden.
Von ſehr zweifelhafter Art iſt die Geſchichte jenes Rie-
ſengerippes, welches wegen einer nahen Inſchrift dem
altdeutſchen Koͤnig Theutobochus zugeſchrieben wurde,
und das den Denkſchriften von Trevour zu Folge gegen
13 Ellen lang und um die Schultern 5 Ellen breit war,
obgleich dieſer Rieſe gegen jenen, deſſen Gerippe in der
Gegend von Smyrna hinter einer Mauer ausgegraben
ſeyn ſol[lte,] und den man im franzoͤſiſchen Mercur vom
Jahr 1727 beſchrieben findet, nur ein kleiner Zwerg
geweſen waͤre.
Auch an Menge der Individuen hat das Thierreich,
an Ueppigkeit der Vegetation, das Pflanzenreich jener
Zeit, vor denen jetzigen einen ungemeinen Vorzug ge-
habt. Wo faͤnden ſich jetzt noch ſolche ungeheure Heer-
den von Elephanten, wie die, deren Gebeine im noͤrd-
lichen Amerika und in Sibirien ganze kleine Berge bil-
den, wo jene unzaͤhligen indiſchen Buͤffel und Nashoͤr-
ner, aus deren Ueberreſten, mit denen der Elephan-
ten vermiſcht, Cap. Billings im noͤrdlichen Eismeer
ganze Inſeln gebildet fand? Ueberall wo, beſonders
in dem noͤrdlichſten Theil von Sibirien, das jetzt nur
an der Oberflaͤche aufthauende Land etwas entbloͤſt
wird, ſieht man Ueberreſte von jenen Thieren hervor-
ragen; ſo daß das Volk ſie fuͤr die Gebeine von Unge-
heuern haͤlt, welche wie der Maulwurf und einige
Wuͤrmer, tief unter der Erde lebten, und ſich nur zu-
weilen nach der Oberflaͤche herauf wuͤhlten. Das mei-
ſte und beſte Elfenbein das in Europa verarbeitet wird,
kommt von den in dem noͤrdlichſten Sibirien ausgegra-
benen Elephantenzaͤhnen. — So findet ſich auch jetzt
in den Waͤldern großer Laͤnderſtriche nicht ſo viel Holz
mehr, als nur einzelne Berge derſelben in Steinkohlen
verwandelt enthalten. Dieſe Bemerkung hat man un-
ter andern von Heſſen gemacht. Wo finden ſich auch
jetzt, ſelbſt in den fruchtbarſten Gegenden der Wende-
kreiße, ſolche unermeßliche Waldungen, wie die gewe-
ſen ſeyn muͤſſen, deren Kohlen ganz Island bis zu ei-
ner ungemeinen Tiefe erfuͤllen? Einen großen Theil
dieſer verkohlten Holzmaſſen, die ſich in allen Laͤndern
der noͤrdlichen Welt finden, haben Erdbraͤnde verzehrt,
andre ſtreben aus ihren Graͤbern, die ſie in vulkani-
ſchen Bergen gefunden, durch gewaltſame Ausbruͤche
hervor, doch hat uns nach dieſem allen die Vorwelt
noch einen ſo großen Vorrath ehemaliger Waͤlder auf-
bewahrt, daß dieſe in einigen Laͤndern dem bloßen Be-
duͤrfniß der Einwohner auf viele Jahrhunderte hinrei-
chen koͤnnen.
Alle Ueberreſte von Pflanzen, welche in den noͤrd-
lichen Laͤndern wirklich aus jener Zeit herruͤhren, und
nicht etwa durch ſpaͤtere, blos oͤrtliche Fluthen im
Sand verſchlemmt worden, ſind denen aͤhnlich, die
wir jetzt nur zwiſchen den Wendekreißen finden.
Baumartige Farrenkraͤuter, hohe Palmenbaͤume, wer-
den als ehedem einheimiſche Gewaͤchſe nicht allein in
Deutſchland und beſonders in den Rheingegenden, ſon-
dern bis hinauf an den noͤrdlichen Polarkreis gefunden.
Ja ſelbſt Sibirien hat Ebenholz und Zuckerrohrartige
Gewaͤchſe, anjetzt Verſteinerungen geworden, aufzu-
weiſen. Die ganze Natur der noͤrdlichen Welt hat ſeit-
dem eine veraͤnderte Geſtalt angenommen. Wir fin-
den in Frankreich, der Schweiz und Deutſchland,
Fiſch- und Schneckenverſteinerungen, deren Originale
jetzt nur im indiſchen Meere wohnen, die Fluͤſſe von
Deutſchland ſo wie ſelbſt die des noͤrdlichen Sibiriens,
haben Crocodile und Flußpferde enthalten; in Deutſch-
land weideten ſo haͤufige Heerden von Elephanten, daß
man, unter andern in der obern Grafſchaft Katzenel-
lenbogen, in einem Umkreiß von wenig Stunden die Ge-
rippe von mehr als 50 Stuͤck gefunden. Irrland und
England, Pohlen, Island, das noͤrdliche Rußland
und Sibirien, ſo wie das noͤrdlichſte Amerika, ſind voll
geweſen von den meiſten Pflanzenfreſſenden Thieren
der Wendekreiße, und wo jetzt ſelbſt die Birke nicht
mehr gut gedeihen will, finden ſich die Ueberreſte von
Palmenwaͤldern. Dieſe Thiere koͤnnen nicht durch Zu-
fall dahin gerathen ſeyn, am wenigſten durch Kriege,
da niemand noch gehoͤrt hat, daß Krocodile, Fluß-
pferde, Nashoͤrner und aͤhnliche Thiere im Krieg ge-
braucht worden waͤren. Oefters hat man Spuren ge-
funden, daß jene Thiere in ganzen Heerden, die Al-
ten mit den Jungen, von der ſchnell uͤberhandnehmen-
den Fluth auf der Weide ergriffen wurden. Jener
Kalktuff mit vielen Abdruͤcken auslandiſcher Sumpf-
gewaͤchſe, wo man in Sibirien oͤfters die Gerippe von
ganzen Elephantenheerden gefunden hat, iſt damals
Sumpf geweſen, wo dieſe Thiere noch jetzt zu weiden
pflegen.
Auch von einer Fluth die von Suͤden herkam,
koͤnnen jene Weſen der ſuͤdlichen Laͤnder nicht nach Nor-
den heraufgefuͤhrt ſeyn. Es iſt gaͤnzlich falſch anzu-
nehmen, daß die Fluthen aus Suͤden gekommen waͤ-
ren, vielmehr haben ſie, wo ſie nicht durch beſondre
Umſtaͤnde von dieſer Richtung abgelenkt worden, ei-
nen faſt umgekehrten Lauf, den von Nordoſt nach Suͤd-
weſt genommen. Denn der ſteile Abfall nicht blos al-
ler großen, ſondern auch der meiſten mittleren und klei-
nen Gebirge iſt nach Suͤdweſt, das allmaͤlige Anſtei-
gen nach Nordoſt, welches Verhaͤltniß, beylaͤufig,
auch auf dem Monde beobachtet wird. Man findet
im noͤrdlichen Aſien die Ueberreſte der ehemaligen Thier
und Pflanzenwelt, blos unter den obern Lagern der
Steppen und Ebenen, bis hinan zu dem huͤglichen
Land, das die letzte Graͤnze des noͤrdlichen Abfalls des
hohen Gebirgsruͤckens bildet; ein ſehr großer Theil des
mitlern Aſiens, der meiſt aus reinen Urgebirgen be-
ſteht, iſt von jener Fluth gar nicht beruͤhrt worden,
ſondern hat frey uͤber dieſelbe emporgeſtanden, ſo wie
auch anderwaͤrts die Gewaͤſſer, aus welchen die Floͤz-
gebirge gebildet ſind, nicht an die hoͤheren Gebirgsruͤ-
cken hinanreichten. Ein mehr als hundert Meilen
breiter Damm hinderte mithin das Anſtroͤmen einer
Fluth aus dem ſuͤdlichen Aſien ins noͤrdliche. Ueber-
dies iſt es ganz unwahrſcheinlich, daß ſich bey einem
ſolchen langen Umherfluthen jene Thiergerippe ſo wohl
erhalten haͤtten, wie ſie noch oft gefunden werden,
daß Mutter und Junges, ſo wie ganze Heerden bey-
ſammen geblieben waͤren, oder daß ſich ſogar einige
von ihnen, wie das junge Nashorn, das man in Si-
birien ausgrub, noch mit Fell und Haaren, und mit
dem nur zum Theil verdorbenen Fleiſch haͤtten erhalten
koͤnnen.
Auch die Erdaxe kann, dieſes iſt die letzte Hypo-
theſe, durch welche man jene Thatſachen zu erklaͤren
geſucht hat, ihre Lage nicht ſo ſehr veraͤndert haben,
daß der Aequator durch die Gegend der jetzigen Pole
gieng.
Die Erde wird auch, ſeit ihrem Entſtehen, nie
ohne eine der jetzigen aͤhnliche Neigung ihrer Axe gewe-
ſen ſeyn, und dieſe kann in gewiſſen großen Perioden
nur wenig zu oder abnehmen. Wir haben geſehen,
daß die Richtung der Erdaxe ſeit den aͤlteſten aſtrono-
miſchen Beobachtungen, mithin ſeit etwa ſechstauſend
Jahren, ſich nur um anderthalb Grad veraͤndert hat,
und es iſt wahrſcheinlich, daß die Abnahme der Schie-
fe der Eclipfik ihre Graͤnzen habe, jenſeit welcher ſie
wiederum zunimmt. Ich habe ſchon anderwaͤrts darauf
aufmerkſam gemacht, daß die Neigung der Erdaxe mit
andern Naturverhaͤltniſſen unſers Planeten in einer in-
nigen Harmonie ſtehe, und daß, wenn dieſes aſtrono-
miſche Element ein andres werden ſollte, auch das
Verhaͤltnis der Erde zur Sonne und zum Mond ſich zu-
gleich veraͤndern muͤßte.
Außer dieſem muͤßte ſich der ehemalige Aequator
ſo wie der jetzige durch jene groͤßere Hoͤhe der Gebirge
auszeichnen, welche durch den taͤglichen Umſchwung
der noch fluͤſſigen Maſſe erzeugt wird, und die Abplat-
tung an den Polen, welche ſchon den aͤlteſten Urgebir-
gen, die viele Weltenalter vor jener Naturbegebenheit
vorhanden waren, eingedruͤckt iſt, koͤnnte nicht ſtatt
finden.
Es bleibt uns mithin nichts anders zur Erklaͤrung
uͤbrig, als die Annahme, daß die Erde vor Zeiten
waͤrmer geweſen ſey. Wir haben ſchon fruͤher den
Grund davon in einer dichteren Atmosphaͤre gefunden.
Die Schneelinie, welche jetzt in jenem Clima ſchon
durch die Hoͤhe von 8000 Fuß erreicht iſt, muß vor
Zeiten in der Schweiz uͤber ein halbmal ſo hoch gelegen
haben, mithin dieſes Land um mehr als ein halbmal waͤr-
mer geweſen ſeyn, da man mehr als 4000 Fuß uͤber der
Region, wo jetzt noch Baͤume wachſen koͤnnen, er-
hoͤht, große, noch unveraͤnderte Baumſtaͤmme findet.
Dieſe Thatſache iſt unter andern von dem Alpenberge
Stella bekannt. — Das Eis der Gletſcher nimmt
auch nach einer durchgaͤngigen Erfahrung der Einge-
bohrnen mit jedem Jahre zu, und ehehin gruͤne Wie-
ſen ſind jetzt von Eisflaͤchen verdraͤngt, ſo wie das
noch vor einigen Jahrhunderten bluͤhende Groͤnland,
jetzt eine traurige Wildniß voller Schnee und Eis iſt,
wie die noch vor einem Menſchenalter freyen Haͤfen
noͤrdlicher Kuͤſten jetzt von Eis verſperrt ſind, und
von Norden abwaͤrts, ein Wald nach dem andern aus-
ſtirbt, ohne daß die Beduͤrfniſſe des Menſchen der ver-
nichtenden Natur vorgriffen.
Es muß auch nach dem Suͤdpol hin vor Zeiten
das Land von uͤppiger Vegetation und einer reichen
Thierwelt geſchmuͤckt geweſen ſeyn. Zwar hat man
auf dem Feuerland und den angraͤnzenden Gegenden
nach Verſteinerungen noch nicht nachſuchen koͤnnen, da
ſelbſt in den langen Sommertagen dieſes traurige
Land, das die ſchaffende Natur zu verlaſſen anfaͤngt,
von oͤfteren Schnee erſtarrt, man hat aber faſt auf
jeder Seereiſe in dieſes Clima, die ſchwarzen und kah-
len Klippen jener Wildniß von haͤufigen vulkaniſchen
Feuer rauchen ſehen, und das zerſpaltene jaͤhe Ausſe-
hen der Felſen ſpricht von einer langen Arbeit der Vul-
kane. Dieſes Eyland ſcheint mithin an Brennmate-
rialien, und an Fuͤlle der Vorraͤthe, die aus einer fruͤ-
heren Vegetation erhalten ſind, Island nichts nachzu-
geben.
Der Menſch allein, wenn die Weſen aller Art der
veraͤnderten Welt entfliehen, und die ganze lebende Natur
ſich zum Hinwegziehen ruͤſtet, bleibt noch zuletzt auf
den einſamen Truͤmmern zuruͤck, weil die Liebe und die
alte Anhaͤnglichkeit des Gemuͤths die ſtarren Felſen ver-
ſchoͤnern. Andre Weſen ſehen die Welt nur in ihrem
natuͤrlichen Reiz, der Geiſt des Menſchen fuͤgt dieſem
noch einen neuen Schimmer hinzu. So iſt jetzt jene
nordiſche Nachtigall, deren einfach klagende Toͤne die
Reiſenden fruͤher Jahrhunderte beſchrieben, ſammt den
dunkelgruͤnen Waͤldern, und den Roſenlauben, aus
Island verſchwunden. Auf oͤdem Gebirge, welchem
der Sommer jetzt kein gruͤnes Laub ſondern nur Gras
und Blumen zuruͤckbringt, ſingt der Menſch noch im-
mer froͤlich, den allgemeinen Verfall nicht bemerkend,
die alten Lieder ſeiner Vaͤter, von jenen anjetzt ver-
ſchwundenen Lauben, dem tiefen Gruͤn und dem Geſang
der Nachtigall.
Wenn ſich auch in einigen aͤußeren Verhaͤltniſſen zwi-
ſchen dem wie es ſcheint, zunaͤchſt anſtehenden Pflan-
zenreich, und der anorganiſchen Welt der Gebirge, ge-
wiſſe Aehnlichkeiten faͤnden, ſo zeigt ſich doch gleich
in einer Hinſicht, welche zuerſt in die Sinnen faͤllt,
eine ſehr tiefgehende Verſchiedenheit.
Es iſt die anorganiſche Koͤrperwelt nichts fuͤr ſich
allein, ſondern nur in Beziehung auf das Erdganze,
und wo ſie ihre ſchoͤnſten Bluͤthen entfaltet iſt es doch
nur ein Schein von ſelbſtſtaͤndiger Individualitaͤt, zu
welchem ſie zu gelangen vermag. Wenn auch die Ver-
ſchiedenheit der aͤußern Einfluͤſſe, welche von dem
Weltganzen auf die Erde geſchahen, ſich in den
verſchiednen Gebirgsbildungen der einzelnen Weltpe-
rioden verkuͤndet; ſo konnten doch jederzeit dieſe
hoͤheren Einfluͤſſe ſich der einzelnen Maſſe nur durch
das Erdganze mittheilen; es war die Erde, welche
afficirt worden, und das Einzelne nahm nur mittelſt
der Vereinigung mit ihr an jener Affection Theil. Es
wird daher in allen Theilen der Erde, von den Kuͤſten
des Feuerlandes bis an die Groͤnlaͤndiſchen Huͤgel, von
den ſuͤdlichſten Inſeln des indiſchen Meeres bis an die
noͤrdlichſte Kuͤſte von Aſien, derſelbe Granit oder Gneis,
derſelbe Baſalt auf Ceylon und auf Island u. ſ. w.
gefunden, ein Zeichen, daß uͤberall nur durch dieſelbe
Erde, durch dieſes Eine Ganze gewirkt wurde. Ja
ſelbſt wo noch jetzt große Veraͤnderungen dem Anſchein
nach in einem einzelnen Theil der anorganiſchen Welt
vor ſich gehen, ſehen wir ſogleich das Erdganze daran
Theil nehmen, und kein einzelner Theil vermag fuͤr
ſich allein, ſondern nur in Verbindung mit dem Gan-
zen bedeutende Veraͤnderungen zu erleiden. Wir ſehen
dieſes vornehmlich bey bedeutenden Ausbruͤchen der
Vulkane, wo durch eine tiefe Sympathie die zu aͤhnli-
chen innern Bewegungen geneigten Gegenden der ent-
fernteſten Erdſtrecken zugleich mit afficirt werden, wel-
che Mitleidenſchaft, nur zum Theil durch die Atmos-
phaͤre, durch die jenem Oxydationsproceß guͤnſtiger ge-
wordne Stimmung derſelben, bewirkt werden kann.
Dagegen zeigt ſich in der organiſchen Welt die Er-
de auf einmal wie von einem neuen fremden Willen,
von dem Einfluß der Sonne ergriffen. Schon die Ve-
getation gehoͤrt nicht mehr der Erde allein, ſondern
dem Einfluß eines hoͤhern Weltganzen an, der ſich nun
vermittelſt der Atmosphaͤre nicht mehr blos der gan-
zen Erde, ſondern dem einzelnen Daſeyn unmittelbar
mittheilt. Waͤhrend daher die Bildungen der anorgani-
ſchen Welt uͤberall als dieſelben erſcheinen, iſt die
Pflanzenwelt in jedem Theil, ja faſt in jeder kleinen
Gegend der Erde eine andre. Nur in Gegenden wo
der Einfluß der Sonne geringer iſt, nach den Polen
hin, oder auf hohen Gebuͤrgsruͤcken, ſieht man, wie noch
neuerlich Humbold erinnert, einfoͤrmig, in unzaͤhli-
gen Individuen, einzelne Pflanzengeſchlechter ganze
Erdſtrecken ausſchließend bewohnen; naͤher nach dem
Aequator, oder nach den waͤrmeren Gegenden des Fuſ-
ſes der Gebirge hin, ſtehen die mannigfaltigſten Pflan-
zenarten untereinander gemiſcht, und jeder Huͤgel, je-
des Thal, traͤgt ſeine eignen Kraͤuter.
So ſpricht ſich die Verſchiedenheit der einzelnen
Gegenden, gegruͤndet auf die verſchiednen Modificatio-
nen, welche die Einwirkung der Sonne durch die Um-
gebungen der Berge und des Waſſers, und im Allge-
meinen durch ihre Lage unter verſchiednen Graden der
Breite erleidet, deutlich in den verſchiednen Pflanzen
aus, welche ſie tragen.
Aber nicht blos die Beziehung einzelner Gegen-
den der Erde auf die Sonne im Allgemeinen, ſondern
jene beſondre und in jedem Augenblick ſich veraͤndernde,
in welcher dieſelben in verſchiednen Zeiten mit der Son-
ne ſtehen, oder mit andern Worten die nie fuͤr die gan-
ze Erde ſondern nur fuͤr einzelne Theile gleichzeitig ſtatt
findende Veraͤndrung der Tages- und Jahreszeiten, zu-
gleich aber auch wie aus einigen ſcheint, ſelbſt die der
groͤßern Weltperioden, wie ſie ſich einzelnen Erdſtri-
chen darſtellen, ſpricht ſich in den Bildungen des Pflan-
zenreichs aus. So wird in der ganzen Pflanzenwelt
uͤberall derſelbe hoͤhere Einfluß der Sonne, in allen
ſeinen verſchiedenen Geſtalten, in allen ſeinen Modifi-
cationen durch Raum und Zeit ausgeſprochen.
Bekanntlich haben viele Blumen die Eigenſchaft,
ihre Kronen zu gewiſſen Stunden des Tages zu ſchlieſ-
ſen und zu oͤffnen. Die Stunden des Erwachens und
des Wiedereinſchlummerns (was ſich damit ausſpricht)
ſind bey verſchiednen verſchieden, einige oͤffnen ſich
ſchon gegen Sonnenaufgang und ſchließen ſich ſpaͤt,
andre oͤffnen ſich nur den Strahlen der heißeſten Mit-
tagsſtunden, noch andre ſchließen ſich dann ſchon wie-
der. Man hat hieraus eine Blumenuhr zuſammenge-
ſetzt, wo aus dem allmaͤligen Erwachen und Wieder-
einſchlummern der einzelnen Blumen auf die verſchied-
nen Tageszeiten geſchloſſen wird. So hat auch jeder
Monat, ja in Jahren von beſtaͤndiger Witterung bey
uns, ſtets aber zwiſchen den Wendekreißen, jede Woche
ihre beſondern Kraͤuter, welche dann in der Bluͤthe ſte-
hen, und man wuͤrde in jenen Gegenden einen einfa-
chen und untruͤglichen Blumenkalender bilden koͤnnen.
Wir ſehen in vorzuͤglich feuchten oder heißen Jahren
gewiſſe Gegenden voller Kraͤuter, von denen in andern
Jahren keine Spur da war. Man hat dieſes be-
ſonders auf Aeckern, an einigen Arten von Unkraut be-
merkt. Einige ſind wenigſtens in Hinſicht der Haͤufig-
keit, in welcher ſie erſcheinen, an die allgemeine Stim-
mung der Witterung einzelner Jahre gebunden, und
ſo wird in der Vegetation, und in den bunten Zuͤgen
ihrer Blumen die Geſchichte der Zeiten und der in ihnen
herrſchenden Stimmung beſchrieben.
Ja ſelbſt die Modificationen des Einfluſſes der
Sonne auf gewiſſe Gegenden, die noch kuͤnftig geſche-
hen ſollen, werden oͤfters ſchon durch das Pflanzenreich
voraus verkuͤndigt. Man erkennt in der Weiſe des
Bluͤhens einiger Pflanzen die Witterung der noch kuͤnf-
tigen Jahreszeiten. So wiſſen die Jaͤger und Land-
leute aus dem Bluͤhen des Heydekrauts im Herbſte,
die Strenge des darauf folgenden Winters zu beſtim-
men, und irren ſich hierinnen ſelten. Jener empfind-
liche Strauch in Suͤdamerika, von welchem Humbold
erzaͤhlt, verkuͤndigt durch das Oeffnen oder Zuſammen-
falten ſeiner Blaͤtter ſicherer als irgend ein Wetterglas
die kuͤnftigen Witterungsveraͤnderungen voraus.
Aber auch groͤßere Zeitraͤume, ſcheinen wie die
kleineren durch das Erſcheinen oder Verſchwinden ge-
wiſſer Pflanzengattungen angezeigt zu werden. Man
hat hierauf ſchon von mehreren Seiten aufmerkſam ge-
macht, und jene Pflanzen zum Beyſpiel angefuͤhrt,
welche von den ſorgfaͤltigſten Botanikern auf den gan-
zen beſuchten Theil der Erde nur einmal gefunden wor-
den ſind. Merkwuͤrdiger als die gewoͤhnlich angefuͤhr-
ten kleinen Kraͤuter, davon einige die man in ſehr ent-
legenen und wenig beſuchten Laͤndern gefunden, viel-
leicht ſchon deshalb ſo ſelten ſcheinen koͤnnten, ſind je-
ne Baͤume, von denen es wahrſcheinlich nur Ein In-
dividuum auf der Erde giebt.
Es gehoͤrt hierhin der ungeheure Baum von Tolu-
ea der in ſeinem Bau und den Verhaͤltniſſen ſeiner
Bluͤthentheile ſich ſo ſehr vor allen bekannten Pflanzen
auszeichnet, und in der jetzigen Pflanzenwelt eben ſo
als Fremdling, als Uebriggebliebner einer fernen Vor-
zeit daſteht, als das Faulthier in der Thierwelt. Dieſer
merkwuͤrdige Baum, iſt, ſeiner Rieſengroͤße nach zu
ſchließen, von einem ungeheuren Alter, und nebſt dem
bekannten Baume Bacbab in Senegambien, und zwey
andern Rieſenbaͤumen der bekannten Welt, gehoͤrt er un-
ter die aͤlteſten Bewohner unſers Planeten. Nahe an
den Mauern von Toluca, in einer Hoͤhe wo jetzt keine
hohen Baͤume mehr wachſen koͤnnen, ſteht dieſer Fremd-
ling einer fernen Vorzeit, noch einzig in ſeiner Art.
Und wenn jene juͤngeren Individuen, die man, wie-
wohl in allen nur zwey, in Guatimala gefunden, von
derſelben oder einer aͤhnlichen Art ſind, ſo verkuͤnden
ſie vielleicht nur, daß dieſes alte, ſchon einmal ver-
draͤngte Geſchlecht, von neuem in dem Kreiße der or-
ganiſchen Welt wieder erſcheine, den es vielleicht in
großen Perioden verlaͤßt und wieder betritt.
So iſt das Erſte, was uns im Pflanzenreich, und
uͤberhaupt in der Welt des Organiſchen begegnet, jene
Uebereinſtimmung der Lebensperioden der Einzelnen
und ganzen Geſchlechter derſelben, mit den kleinern
und groͤßern Naturperioden. Wie der Stand der Son-
ne von den Blumen durch die Zeiten ihres Erwachens
und Wiedereinſchlummerns angezeigt wird, einige in
den Stunden der Nacht, andre in beſtimmten Zeiten
des Tages das ſtille Feſt ihrer Blumenliebe feyern, ſo
verkuͤndigen ſie auch durch ihr Wiedererſcheinen die Zei-
ten des Jahres, ja den Verlauf groͤßrer Perioden, wel-
che uͤber das Alter des Menſchen, und vielleicht uͤber
die Beobachtungen eines einzelnen Jahrhunderts weit
hinausreichen. Auf dieſe Weiſe knuͤpfen wir das orga-
niſche Leben ſchon von einer Seite, obgleich nur aͤußer-
lich, an die Erſcheinungen des Magnetismus, der Elek-
tricitaͤt und des Lichtes an, von welchen wir eine aͤhn-
liche Uebereinſtimmung der Perioden, an welche ihre
Veraͤnderungen gebunden ſind, mit den Zeitraͤumen der
ganzen Natur, fruͤher erwaͤhnt haben.
Das Leben zeigt ſich ſo zuerſt als kosmiſche Er-
ſcheinung, bey welcher ſich das Einzelne ſelbſtſtaͤndig
und unmittelbar von demſelben Geiſt des Lebens ergrif-
fen zeigt, welcher die ganze Natur bewegt. Das
Einſtimmen in die Harmonie der allgemeinen Wechſel-
wirkung der Weltkraͤfte, iſt das Leben.
Die einzelne Pflanze iſt nicht in jedem Moment ih-
res Daſeyns in einer gleich deutlichen Harmonie mit
dem hoͤheren Weltganzen. Am ſchoͤnſten zeigt ſich die-
ſe, in der Zeit ihrer Liebe, in der Zeit des Bluͤhens,
und wir ſehen dann auch zugleich die Pflanzen nach ei-
ner andern Seite hin in eine merkwuͤrdige Beziehung
und Sympathie mit ihren Umgebungen treten, welche
noch mehr die Selbſtſtaͤndigkeit ihres Lebens und die
unmittelbare Wechſelwirkung mit dem aͤußern Einfluß
bezeugen. Erſt die Bluͤthen empfangen bey den mei-
ſten Pflanzen die Eigenſchaft des Schlummers, und
die Empfindlichkeit gegen Beruͤhrungen. Erſt in der
Zeit des Bluͤhens tritt jene merkwuͤrdige Sympathie
mit dem Thierreich, vornehmlich mit dem Reiche der
Inſekten ein, welche, wenn ſie den Blumenſtaub der
einſam ſtehenden maͤnnlichen Bluͤthen geſammlet ha-
ben, dieſen den ferneſtehenden weiblichen uͤberbringen,
und hierdurch die Befruchtung bewirken. Eben ſo er-
wacht dann die Sympathie zwiſchen den verſchiednen
Pflanzen und Pflanzentheilen ſelber. Um nur eines
Beyſpiels der Art zu gedenken: ſo iſt bey der merk-
wuͤrdigen Waſſerpflanze, Vallisneria, welche in eini-
gen franzoͤſiſchen Fluͤſſen und Seen waͤchſt, der Stiel
der maͤnulichen Bluͤthe ganz kurz, ſo daß die noch un-
aufgeſchloßne Bluͤthe tief am Boden des Waſſers ſitzend,
nur wenig Zoll uͤber den ſumpfigen Grund hervorragt.
Wenn ſich aber die Bluͤthe oͤfnet, und ihre Blaͤtter,
welche unaufhoͤrlich Luft entwicklen, ausbreitet, wird
ſie durch ihre eigene Leichtigkeit emporgezogen, und
der leicht zerbrechliche Stiel zerreißt. Die weibliche
Bluͤthe, welche von Natur einen ſtaͤrkeren und laͤnge-
ren Stiel, der von dem Boden bis zur Oberflaͤche des
Waſſers heraufreicht, beſitzt, hat zu gleicher Zeit, oͤf-
ters in großer Entfernung von jenen, ihre roͤthlichen
Blumen entfaltet. Zu dieſen ſchwimmen die losgeriſ-
ſenen maͤnnlichen Bluͤthen, von einer innern Sympa-
thie getrieben, hinan, und auf dieſe ſonderbare Weiſe
geſchieht hier die Befruchtung.
Es pflegen alle ausgepreßten Pflanzenſaͤfte, de-
nen die Moͤglichkeit einer Gaͤhrung nicht ganz genom-
men iſt, zu jener Zeit, wenn die Pflanzen von denen
ſie herkommen, bluͤhen, eine neue Gaͤhrung zu erlei-
den, und viele koͤnnen nur bis zu dieſer Zeit aufbe-
wahrt werden.
Eben in der Zeit, wenn die Bluͤthen, von denen
ſie ſich zu naͤhren pflegen, ſich eroͤffnen, ſieht man
auch die verſchiedenen Arten der Inſekten aus ihren
Graͤbern hervorgehen. Die ſchoͤne Sympathie der
Nachtigall und der Roſe, iſt von den Perſern in unzaͤh-
ligen Liedern beſungen, wie in dem bluͤhenden Hayn
der kleine Saͤnger von der Liebe zur ſchoͤnen Blume er-
griffen, die ferne Kluft, welche die Natur zwiſchen
der Bluͤthe und dem Thiere befeſtiget, beklagt. Die
Sympathie zwiſchen den verſchiedenen Pflanzen iſt be-
kannt genug. Einige nuͤtzliche Pflanzenarten haben
irgend ein beſtimmtes Unkraut bey ſich, welches ge-
woͤhnlich in keinen andern Pflanzungen gedeiht. Vie-
le Rankengewaͤchſe werden zwar vermiſcht, bald um
dieſen bald um jenen Baum geſchlungen geſehen, ei-
nige ſchoͤne Windenarten der ſuͤdlichen Welt, pflegen
ſich aber nur an gewiſſe Baͤume zu halten, und wer-
den ſonſt nirgends gefunden. Die hohen einſam ſtehen-
den Palmen, haben faſt ſtets einige Arten von Lilien
um ihren Stamm verſammlet, welche in der gemein-
ſchaftlichen Zeit der Bluͤthe an Duft und Farben-
pracht, mit dem bunten Bluͤthenſchaft der Palmen
wetteifern.
Ja eine ſolche Sympathie der Bluͤthen mit der
aͤußern Natur, geht oft noch viel weiter. Die Bewoh-
ner von Kamtſchatka, ein duͤrftiges verlaſſenes Volk,
haben faſt keine andre Nahrung, als die Fiſche, die ſie
an den langen Sommertagen aus den Fluͤſſen nehmen,
welche kaum den 4ten Theil des Jahres von Eiſe frey
ſind, und außer dieſem die Zwiebeln eines purpurro-
then Liliengewaͤchſes, das unter den wenigen Graͤſern
und Schneeblumen die einzige Zierde ihrer bemoſten
Thaͤler iſt. Steller der ſich nothgedrungen ziemlich
lange dort aufhalten mußte, fand aus eigner Erfah-
rung die Naturregel, welche allen Eingebohrnen be-
kannt iſt, beſtaͤtigt, daß naͤmlich gerade dann, wenn
die Jahre dem Fiſchfang unguͤnſtig ſind, und wenn
die Fluͤſſe ihrer gewoͤhnlichen Bewohner entbehren, je-
nes Zwiebelgewaͤchs in ganz vorzuͤglicher Menge
waͤchſt, und umgekehrt, wenn die Fluͤſſe reicher als
gewoͤhnlich an Fiſchen erſcheinen, und der Vorrath an
dieſen haͤufiger eingeſammlet wurde, gedeiht jene Li-
lie nur ſparſam und duͤrftig, ſo daß die Natur ſtets
den Mangel auf der einen Seite, durch den Ueberfluß
auf der andern erſetzt, und guͤtig fuͤr die Ernaͤhrung
der Bewohner in dem langen Winter ſorgt.
Gewiſſe Kraͤuter, unter andern das Heydekraut,
welche im Herbſte bluͤhen, und von der Natur zur
Ernaͤhrung des Wildes und der Voͤgel beſtimmt ſind,
bluͤhen nach einer allgemeinen Erfahrung des Landvol-
kes, wenn ein milder Winter bevorſteht, nur ſehr
ſparſam, und die Natur verſpricht alsdann fuͤr die
Nahrung der Thiere durch andre Kraͤuter, und durch
einen vom Schnee freyen Boden zu ſorgen.
Einige Pflanzen, deren Saamen mitten im Win-
ter reifen oder die alsdann bluͤhen, ſtimmen hierinnen
mit einigen Thierarten uͤberein, deren Bruͤtezeit oder
Zeit des Gebaͤhrens um dieſelbe Zeit faͤllt, und ſie
dann eines reichlicheren Futters beduͤrftig macht.
So iſt es hier wie uͤberall, die Zeit des Bluͤhens,
und der ſchoͤnſte Moment des Lebens, wenn die Weſen
am innigſten in den Einklang mir der ganzen Natur
einſtimmen, wie wir dieſes kuͤnftig noch deutlicher ſe-
hen werden, und das Einzelne erkennt dann den hoͤ-
heren Einfluß unmittelbar und ohne die (der Mannig-
faltigkeit und Individualitaͤt widerſtrebende) Vermitt-
lung des Erdganzen.
Die erſten Anfaͤnge des organiſchen Lebens, entſte-
hen vor unſren Augen faſt uͤberall, wo brennbare und
gaͤhrungsfaͤhige Stoffe, in Waſſer aufgeloͤſt, mit der
Atmosphaͤre in Wechſelwirkung treten. Jene kleinen
organiſchen Weſen, erſcheinen gleich Anfangs mit thie-
riſcher Beweglichkeit, bald als kleine Kugeln, die ſich
unaufhoͤrlich umkreißen, bald als laͤnglichte faſernar-
tige Koͤrper, deren beyde Enden ſich immer einander
naͤhern und ſich wieder entfernen, und noch außer dieſem
in ſo vielartigen, mannigfaltigen Formen, daß unter
den unzaͤhligen Infuſionsthierchen, von denen jene
Aufloͤſungen wimmeln, nur ſehr wenige ſich gleichen.
Wenn jene vielbelebte Fluͤſſigkeit fich ſelber uͤberlaſſen
bleibt, und die Verduͤnſtung derſelben uͤberhand nimmt,
verſchwinden jene kleinen beweglichen Koͤrper allmaͤlig,
und die Oberflaͤche des Waſſers nimmt, indem ſie ei-
nigen Zuſammenhang gewinnt, die Geſtalt kleiner,
pflanzenartiger Weſen an. So findet ſich am erſten
Anfange aller Organiſation, fruͤher eine ſehr unvoll-
kommene Thierwelt, ehe die erſten Keime der Pflan-
zenwelt ſich entwicklen, und auch im Großen ſcheint
die Natur wenigſtens zum Theil einen aͤhnlichen Gang
genommen zu haben, indem an verſchiedenen Orten einige
Geſchlechter der Wuͤrmer und Pflanzenthiere, fruͤher
die allgemeine Fluth belebten, ehe ſich Pflanzen aus
ihr erzeugten.
Wir ſehen aber auch anderwaͤrts die Natur einen
hiervon ganz verſchiednen Gang nehmen. Der Feld-
ſpath beſonders, welcher einen Gemengtheil vieler Ge-
birgsarten ausmacht, enthaͤlt einen Antheil von Kali,
welcher ihn zum Verwittern geneigt macht. Wo nun
die nackten Felſen, den Einwirckungen der Luft und des
Waſſers ausgeſetzt, an ihrer Oberflaͤche durch Verwit-
terung in Staub zerfallen, pflegen ſich jene gelben,
rothen oder ſonſt auf eine auffallende Weiſe gefaͤrbten,
oͤfters faſt lederartigen Weſen zu erzeugen, die wir
Flechten nennen. Wir finden dieſes Pflanzengeſchlecht,
welches die naͤchſte Graͤnze der Vegetation und des
Steinreichs bildet, an den Rinden der Baͤume, und
an der Oberflaͤche der Steine ſehr haͤufig. Die unvoll-
kommenſten Flechtenarten werden auf den erſten Blick
kaum von […]einigen Formen des Steinreichs unter-
ſchieden, und weichen zum Beyſpiel von den Salzbluͤ-
then, blos durch eine etwas andre Form ab. Noch
findet ſich hier kein zellichter Bau, keine Faſern und
ſonſt nichts was ſie im innern Bau mit andern organi-
ſchen Koͤrpern gemein haͤtten. Wo dagegen das Geſchlecht
der Flechten bey ſeinem Wachsthum hinlaͤnglich von
Feuchtigkeit beguͤnſtigt, ſeine vollkommenſten Formen ent-
wicklet, ſehen wir es durch die Lebermooſe in die gewoͤhnli-
chen Laubmooſe uͤbergehen, welche wiederum mit vielen
Polarpflanzen von viel vollkommneren Pflanzenge-
ſchlechtern, eine genaue aͤußre Verwandſchaft zeigen. So
findet ſich von den Flechten aus, ein Uebergang in die
ſtarren Geſtalten des Steinreichs auf der einen, in die des
vollkommneren Pflanzereiches auf der andern Seite,
ohne daß von Weſen mit thieriſcher Beweglichkeit be-
gabt, etwas wahrgenommen wuͤrde.
So ſcheint der erſte Schritt der bildenden Natur,
von den ſteinernen Formen des Anorganiſchen, zu
der belebten Welt der Pflanzen und Thiere, zufaͤlli-
gen Abaͤnderungen unterworfen, und unter verſchiede-
nen aͤußern Umſtaͤnden, ſich bald mehr der thieriſchen
bald der vegetabiliſchen Welt zu naͤhern. Die unvoll-
kommenſten Thiere graͤnzen eben ſo nahe an die anor-
giſche Welt als die unvollkommenſten Pflanzen, und
die gewoͤhnliche Vorſtellung einer in der Natur vo[m]
Steine bis zu den vollkommenſten Formen des Lebens
aufſteigenden Reihe, irrt darinnen, daß ſie den Ueber-
gang des Pflanzen- in das Thierreich ſo darſtellt, als
ob die Natur erſt von den Flechten bis hinauf zu den
Palmen bildend fortſchritte, dann von dieſen wieder
in die unvollkommenſten und niedrigſten Stufen des
Thierreichs herabſaͤnke, oder als ob uͤberhaupt das
ganze Pflanzenreich mit allen ſeinen majeſtaͤtiſchen For-
men vorausgehen muͤßte, ehe das Thierreich, ſelbſt
nur im erſten Keime, ſich entwickeln koͤnnte.
Die unvollkommenſten Thiere, jene, welche die
korallenartigen Meeresprodukte bilden, und ihre Ver-
wandten, ſind allerdings halb von thieriſcher halb von
pflanzenartiger Natur, und werden deshalb Thier-
pflanzen genannt. Auf der einen Seite laͤßt ſich aus
ihnen durch verſchiedene Geſchlechter der Wuͤrmer ein
Uebergang in das vollkommnere Thierreich finden, auf
der andern graͤnzen ſie an gewiſſe unvollkommene, gal-
lertartige Seepflanzen, welche in einigen ihrer voll-
kommenſten Formen unter andern einen Uebergang zu
den Farrenkraͤutern zu bilden ſcheinen. Die Farren-
kraͤuter, welche bey uns ſich nur ein wenig uͤber den
Boden erheben, erſcheinen nach dem Aequatar hin, wo
ihre Arten, ſo bald ſich nur hinlaͤnglich feuchter Bo-
den findet, ungemein haͤufig werden, in hohen baum-
artigen Formen, welche unmittelbar an die vollkom-
menſten Pflanzen unter allen, an die Palmen, unter
andern an die Sagopalmen angraͤnzen.
Wenn, wie es ſcheint, die Palmen nebſt den Pi-
ſanggewaͤchſen, den hoͤchſten und vollendetſten Gipfel
der Vegetation bilden, ſo wird in dieſer Reihe, welche
in Mittelweſen zwiſchen Thier und Pflanze, unmittel-
bar an das Anorgiſche angraͤnzend, beginnt, und mit
den Palmen endigt, der Gipfel ſehr ſchnell erreicht.
In dieſe einfache Reihe, griffen keine andern Pflan-
zeng ſchlechter, mit denen die Farrenkraͤuter faſt durch-
aus in keiner Verwandſchaft ſtehen, ein.
Wenn wir aber auf der andern Seite die Palmen
und mehrere ſehr vollkommene Baͤume, in der Ge-
ſtalt der Bluͤthen, und ſelbſt im ganzen Bau, ſich
wieder an andre Pflanzen anſchließen ſehen, welche
durch anders bluͤhende Baͤume und Straͤucher, bis hin-
ab zu den kleinen Feldblumen, und hiermit wie es
ſcheint, durch die Mooſe bis zu den Flechten, ſchein-
bare Uebergaͤnge bilden; ſo gewinnt hierdurch die bil-
dende Natur vielmehr das Anſehen einer in Kreißen,
oder in einem Bogen fortſchreitenden Kraft, als das-
jenige einer in gerader Linie von dem tiefſten bis zu
dem hoͤchſten aufwaͤrtsſtrebenden. Das Pflanzenreich
erhebt ſich erſt an der Graͤnze des Steinreichs von den
Flechten bis hinauf zu den Palmen, in langen und
allmaͤlig aufſteigenden Reihen, dann kehrt es auf ein-
mal ſchneller als es hinaufgeſtiegen wieder herabſin-
kend, durch die Farrenkraͤuter zu den unvollkommen-
ſten Waſſerpflanzen und hiermit von neuem zu den
Graͤnzen der anorganiſchen Welt zuruͤck, wie auch die
Weltkoͤrper, beſonders bey einer bedeutenden Eccentri-
citaͤt, den Theil ihrer Bahn, welcher naͤher an dem
allgemeinen Mittelpunkt liegt als der andre, in viel
kuͤrzerer Zeit zuruͤcklegen als dieſen.
Und vielleicht nicht von einer, ſondern von vie-
len Seiten naͤhert ſich das Pflanzenreich ſeinen hoͤchſten
Formen, und entfernet ſich hernach auf der andern
Seite wieder eben ſo weit von denſelben. Die niedri-
gen Grasarten, welche einen großen Theil unſrer nor-
diſchen Ebenen und Huͤgel bedecken, ſind mit andern
Grasarten der ſuͤdlichen Laͤnder verwandt, welche
von baumartiger Geſtalt erſcheinen, und oͤfters von
einer Hoͤhe ſind, welche die unſrer Eichen uͤbertrift.
Dieſe ſcheinen, durch einige Mittelglieder, Uebergaͤnge
wiederum in die vollendetſten Pflanzenformen zu bil-
den, ſo daß vielleicht auch hier von den unvollkommen-
ſten Grasarten, die kaum eine Stufe hoͤher zu ſtehen
ſcheinen als die niedrigen Mooſe, eine ſtettige Reihe,
bis hinauf zu den Palmengewaͤchſen aufgezeigt werden
koͤnnte.
So muͤſſen wir ſchon im Pflanzenreich, bey einer
genauen Betrachtung ſeiner Formen, die Meynung von
der in nur einer ununterbrochner Richtung fortgehen-
den Ausbildung von unvollendeteren Formen zu immer
vollkommneren aufgeben, und wir werden daſſelbe her-
nach auch im Thierreich muͤſſen.
Wenn aber Uebergaͤnge von der Pflanze zum Thier
ſollen aufgezeigt werden, ſo laſſen ſich dieſe faſt von
jeder oder doch vielen Pflanzen von vollkommnerer Art
finden. Nicht blos die empfindlichen Mimoſen, deren
Blaͤtter bey jeder aͤußeren Beruͤhrung, wie ein em-
pfindliches Thier ſich zuſammenziehen, nicht jene ziem-
lich zahlreichen Pflanzen aus ſehr verſchiednen Ge-
ſchlechtern, welche den Mimoſen an Empfindlichkeit
gleichen, bilden die einzige Annaͤherung der Pflanzen-
natur an die thieriſche, ſondern in den meiſten Bluͤthen
der vollkommener organiſirten Kraͤuter, wird, in den
hoͤchſten Augenblicken des Bluͤhens, welche zugleich die
des Abſterbens der Blume ſind, eine thieriſche Reiz-
barkeit und wie von einem Inſtinkt getriebene Beweg-
lichkeit, wenigſtens einzelner Theile gefunden.
Die Spuren einer ſolchen thieriſchen Reizbarkeit,
laſſen ſich in der Pflanzenwelt ziemlich weit herab ver-
folgen. Wir muͤſſen jedoch mit denen eigentlich dahin
gehoͤrigen Erſcheinungen nicht die Bewegungen ver-
wechſeln, die wir ſchon bey einigen moosartigen Ge-
waͤchſen, oder bey den ſogenannten Kryptogamiſten
finden, weil dieſe auf eine ſonderbare Weiſe nach me-
chaniſchen Geſetzen geſchehen. So wuͤrde die vollkom-
menſte Mechanik kaum jene merkwuͤrdigen Vorrichtungen
hervorbringen, welche Sprengel an den reifen Fruͤch-
ten der Jungermannien, einer Art von Aftermoos be-
ſchreibt. Die reifen Fruchtkoͤrner erſcheinen dem un-
bewaffneten Auge, nur als brauner Staub, durch das
Vergroͤßerungsglas geſehen, findet ſich jedes einzelne
mit einer kettenfoͤrmigen Schleuder verſehen, welches,
wie es ſcheint wegen ſeiner hygrometriſchen Beſchaf-
fenheit, bey jedem Hauche ſich windet und huͤpfet,
wodurch die Saamen ausgeſtreut werden, Eine aͤhn-
liche Vorrichtung beſchreibt derſelbe Beobachter bey ei-
ner Flechtenart. Der Bluͤthenſtaub der meiſten Pflan-
zen nimmt nach neuen Verſuchen, eine gewiſſe huͤ-
pfende Bewegung an, wenn man ihn mit Weingeiſt
benetzt, und von dieſem Verſuch kann man ſich leicht
ſelber uͤberzeugen. Bey jenen Gewaͤchſen wo die Bluͤ-
then von entgegengeſetzten Geſchlecht getrennt ſind, und
oͤfters in einer gewiſſen Entfernung, wenn auch bey-
de auf derſelben Pflanze ſtehen, ſieht man an heitern
Tagen den Staub der maͤnnlichen Bluͤthen, welcher
durch die Elaſtizitaͤt der haͤutigen Behaͤltniſſe in denen
er ſich befindet, ausgeſtreut wird, in kleinen Wolken
um die Pflanze ſchweben, doch iſt noch nicht durch Er-
fahrung hinlaͤnglich bewieſen, obgleich wahrſcheinlich,
daß die weiblichen Bluͤthen eine ſichtbare beſondre An-
ziehung dagegen ausuͤben. Deutlicher dagegen iſt ei-
ne der thieriſchen aͤhnliche Reizbarkeit und Beweglich-
keit, bey den entgegengeſetzten Bluͤthentheilen ſelber.
Nicht allein bey der Berberis, richten ſich die Staub-
faͤden wenn ſie mit einer Borſte, oder einer feinen Na-
del an ihrer innren Seite beruͤhrt werden, ſchnell em-
por, und naͤhern ſich dem Piſtill, ſondern bey einigen
andern, wie bey der Chondrilla, ſoll dieſe Reizbarkeit
ſo weit gehen, daß ſie noch an denen von der Bluͤthe
getrennten Staubfaͤden wahrgenommen wird. Daſ-
ſelbe verſichert ein italiaͤniſcher Schriftſteller von den
Filamenten der Artiſchoken, Kugeldiſteln, und einiger
Arten von Centaureen. Bey einer Art von Marchan-
tia, findet ſich nach Murray, innerhalb der maͤnnli-
chen Bluͤthentheile eine zarte Wolle, die ſich, in der Zeit
wo der Bluthenſtaub ausgeſtreut wird, unaufhoͤrlich
und willkuͤhrlich bewegt.
Bey vielen Blumen, wie bey der Glorioſa, bey
der perſiſchen Kaiſerkrone, dem Steinbrech, der Kal-
mia und andren, gelangen die Antheren nicht alle zu
gleicher Zeit zur Reife. Man ſieht dieſe hier einzeln,
ſo bald ſie den hoͤchſten Augenblick des Bluͤhens erreich-
ten, durch eine eigenthuͤmliche und freywillige Bewe-
gung dem Piſtill ſich naͤhern, von welchem ſie nach
verlohrenem Bluͤthenſtaub wieder zuruͤckſinken, und
waͤhrend ſie ſchon verwelken, wird ihre Stelle von
juͤngeren Antheren erſetzt. Bey dem großen gelbbluͤ-
henden Cactus aus Jamaica, deſſen ſchoͤne Bluͤthen,
welche einen Fuß im Durchmeſſer halten, ſich erſt ge-
gen Abend aufſchließen, und ſchon vor Sonnenauf-
gang verbluͤhen, bey den lieblichen aber eben ſo ſchnell
vergaͤnglichen Ciſtusbluͤthen, ſieht man, ſo lange die
kurze Zeit der Liebe dauert, unaufhoͤrlich einige Anthe-
ren in Beruͤhrung mit dem Piſtill.
Doch ſind es nicht allein die maͤnnlichen Blumen-
theile, welche in der hoͤchſten Zeit des Bluͤhens eine
ſolche thieriſche Beweglichkeit zeigen; bey einigen Blu-
menarten wird dieſe auch an dem Piſtill bemerkt. Das
der Collinſonia bewegt ſich erſt nach dem einen, dann
nach einiger Zeit nach dem andern Staubfaden hin.
So koͤmmt auch in allen jenen Blumen, deren Fila-
mente von ungleicher Groͤße ſind, das Piſtill den auch
zu ungleicher Zeit reifenden Antheren, wenigſtens durch
allmaͤlige Ausdehnung entgegen.
Ja es zeigen bey vielen vollkommneren Pflanzen
ſelbſt noch die Behaͤltniſſe der reifen Fruͤchte eine ſol-
che thieriſche Reizbarkeit. So bey der Impatiens,
wo die einzelnen Kapſeln bey der leiſeſten Beruͤhrung
die Fruͤchte in weiter Entfernung ausſtreuen, bey eini-
gen Geranien, und ſelbſt bey der gemeinen Gerſte, de-
ren Bart ſich bey feuchtem Wetter ausdehnt, und ſo
die Fruͤchte aus dem Boden ihres Behaͤltniſſes hervor-
zieht, bey trocknem Wetter ſich verkuͤrzt, und ſie ſo
zuruͤckhaͤlt. Ueberhaupt finden wir bey allen dieſen,
dem Anſcheine nach reizbaren Fruchtbehaͤltniſſen, jene
hygrometriſche Beſchaffenheit, vermoͤge welcher ſie,
gerade nur in feuchtem Wetter, wo die ausgeſaͤeten
Fruͤchte allein einen guͤnſtigen Boden finden, das
Ausſtreuen derſelben befoͤrdern, bey trocknem ſich ver-
ſchloſſen halten.
Es ſind dieſe Erſcheinungen, in der Geſchichte des
allgemeinen Lebens von einer tiefen Bedeutung. Ge-
rade in dem hoͤchſten Moment des Bluͤhens, welcher
auch zugleich der des Verwelkens und des Todes iſt,
zeigt ſich im Pflanzengeſchlecht eine Vorahndung des
hoͤheren thieriſchen Daſeyns. Es erwacht auf einmal
eine vollkommnere Naturkraft, als Empfindlichkeit und
Bewegung ſich aͤußernd, welche bisher nie an der
Pflanze hervorgetreten war. So hat die Bluͤthe,
noch in dem Augenblick ihres Sterbens, ein deutliches
Vorgefuͤhl, und ſelbſt den lebendigen Ausdruck eines hoͤ-
heren Lebens, wie ſich auch bey dem Menſchen gerade
in den hoͤchſten, geiſtigſten Augenblicken ſeines Da-
ſeyns, welche fuͤr dieſes zugleich die zerſtoͤrendſten
ſind, die Vorahndung eines hoͤheren kuͤnftigen Zuſtan-
des zu entfalten ſcheint. Es werden in ſolchen Mo-
menten das Organ und die bisher tief im Innern ver-
borgnen Kraͤfte eines vollkommneren Lebens aufgeweckt
und belebt, und wir erkennen ſie oͤfters in jenen Aeuße-
rungen, welche wunderbar uͤber die gewoͤhnlichen Graͤn-
zen unſrer Natur hinuͤberreichen. Die einmal erwach-
te Pſyche des hoͤheren Lebens, bildet ſich nun mitten
in der alten Huͤlle aus, und zerſtoͤrt dieſe, wie die
wachſenden Fluͤgel des Schmetterlings die ihrige, bald
ſchneller bald allmaͤliger. Auf ſolche Weiſe wirken die
hoͤchſten Momente des individuellen Daſeyns, fuͤr
dieſes ſelber zerſtoͤrend, weil in ihnen ein kuͤnftiger
hoͤherer Zuſtand, in dem vorhergehenden unvollkomm-
neren eingreift. Hierinnen bezeugt die Natur oͤfters,
durch deutliche Thatſachen, die Unſterblichkeit der inn-
ren Lebensurſache, und wir ſehen ein Daſeyn in das
andre uͤbergehen, ein kuͤnftiges in das vorhergehende
hineinreichen, worauf wir noch kuͤnftig zuruͤckkommen
werden.
Wir ſehen dem zu Folge faſt jede vollkommnere
Pflanze, wenigſtens in ihrer Bluͤthe, an das Thierreich
angraͤnzen. Und zwar ſcheint aus Verſchiednen die
benachbarte Graͤnze des Thierreichs hier durch die Welt
der Inſekten und zum Theil der Wuͤrmer gebildet zu
werden. Einige haben die Inſekten loßgeriſſene, gleich-
ſam nun erſt vom Boden frey und ſelbſtſtaͤndig beweg-
lich gewordne Theile der Blumen genannt, und man
hat noch neuerlich die Meynung vertheidigt, als ent-
ſtuͤnden zuweilen die Inſekten auch außer dem gewoͤhn-
lichen Wege durch eine zufaͤllige Hervorbringung, aus
den krankenden Pflanzentheilen unmittelbar. Als Be-
weis hat man einige auslaͤndiſche Inſekten angefuͤhrt,
welche mit dem Anbau der Pflanzen, die ſie zu bewoh-
nen pflegen, und die man durch Saamen aus fernen
Welttheilen zu uns brachte, zugleich bey uns er-
ſchienen.
Es haben faſt alle vollkommneren Pflanzen ihre
beſondern Inſekten, die ſich im Raupenzuſtande von
ihnen naͤhren, und als gefluͤgelte Pſyche ihre Bluͤthen
beſuchen. Unvollkommnere Pflanzen ernaͤhren und
hegen nur ſelten Inſekten oder Wuͤrmer, doch fand
Sprengel, außerdem daß die Schwaͤmme unzaͤhligen
Wuͤrmchen zur Wohnung dienen, ſogar in den maͤnn-
lichen Bluͤthentrieben eines kleinen Mooſes, der Barbu-
la unguicularis, gegen den Herbſt eine Menge kleiner
Wuͤrmchen, die den aalartigen Vibrionen des Eſſigs und
Mehlkleiſters glichen. Der Nutzen oder vielmehr die
Bedeutung dieſer kleinen Wuͤrmchen in dem Daſeyn je-
ner Pflanze, iſt noch unbekannt. Wahrſcheinlich abor
ſtehen ſie mit dieſem in einer eben ſo nothwendigen Be-
ziehung, als ſo viele Inſekten mit dem der vollkommne-
ren Blumen, welche die Natur im Pflanzenreich, wo
die maͤnnlichen und weiblichen Bluͤthen an weit ent-
fernten Baͤumen ſtehen, als Boten der Liebe braucht,
die der einſam, mitten in der Sandwuͤſte ſtehenden
weiblichen Palme, den Bluͤthenſtaub der maͤnnlichen
uͤberbringen, und ſo dem Araber, der ſich daſſelbe zum
Geſchaͤft macht, zu Huͤlfe kommen.
Sehr merkwuͤrdig, und wie es ſcheint, nicht ohne
tiefe Bedeutung, iſt die große Aehnlichkeit einiger Blumen,
welche Blumenhonig hervorbringen, mit den Inſekten die
ſie gewoͤhnlich zu berauben pflegen. Einige Orchisarten,
unter andern die, welche deshalb Bienenorchis heißt,
verſchiedene Arten des Ritterſporns, gleichen in ge-
wiſſen Theilen ihrer Bluͤthe, nicht allein an Farbe,
ſondern auch an Geſtalt, vollkommen den Inſekten,
die ſich im gefluͤgelten Zuſtand gewoͤhnlich zu ihnen ge-
ſellen. Die Fruchtbehaͤltniſſe jener veraͤnderlichen Art
des Medicago, gleichen in einigen ihrer Metamorphoſen
ganz einer Raupe, die ſich oͤfters auf ihm aufhaͤlt,
und dieſe thieriſche Geſtalt nehmen auch die Saamen
der Calendula an. Der untere Theil der Blumenkro-
ne einer perſiſchen Irisart, gleicht in ſeinen bunten
Farben und in der fluͤgelartigen Ausbreitung ſeiner bey-
den Haͤlften, vollkommen einem Schmetterling jener
Gegenden. Die Nectareen einer ſuͤdamerika iſchen Art
von Frauenſchuh (Cypripedium) ſind in Geſtalt, Far-
Farbe und Groͤße ſehr genau einer großen Spinne je-
nes Landes aͤhnlich, die ſich, auf Beute lauernd, oͤf-
ters unter den Blumen verbirgt. Nicht minder bemerkt
man, daß das Gruͤn der gruͤnen Raupen ſich nach dem
Gruͤn der Pflanzen richtet, von denen ſie ſich naͤhren,
doch geſchieht dieſes wahrſcheinlich durch eine aͤhnliche
Uebereinſtimmung, wie diejenige iſt, die wir auch noch
im hoͤheren Thierreich finden, wo viele die Farbe ih-
res gewohnlichen Aufenthalts tragen, wie die Polar-
thiere waͤhrend des langen Winters ſogar die Farbe des
Schnees annehmen.
Jene genauere Uebereinſtimmung der aͤußern Ge-
ſtalt einiger Pflanzentheile, mit der gewiſſer Inſek-
ten, von der ich nur einige Beyſpiele angefuͤhrt habe,
nebſt jenen Spuren eines Zuſtandes der Bluͤthentheile,
welcher gleichſam die Vorahndung des thieriſchen iſt,
ſcheinen auf eine naͤhere Verwandſchaft der Pflanzen
und der Inſekt[en] hinzudeuten, und auf eine andre, als
die iſt, welche aus der gewoͤhnlichen Annahme einer
aufſteigenden Naturreihe hervorgienge. Die Blume
ſcheint in dem hoͤchſten Augenblick ihres Bluͤhens, wel-
cher zugleich das Ende ihres ſtillen Daſeyns iſt, das
ſcheidende Leben den Inſekten zu uͤbertragen, und in
dieſe auszuhauchen, welche gerade in der Zeit ihrer Lie-
be und ihrer eignen Vermaͤhlung den Kelch der Blume
beſuchen, und ſo, keines langen Zwiſchenzuſtandes
beduͤrftig, ſcheint der entweichende Geiſt, durch neue
Zeugung ſchnell in ein hoͤheres Daſeyn hinuͤber zu ge-
hen. Den Schmetterling mitten in dem Koͤrper der
Raupe, haben Schwammerdamm und andre geſchickte
Anatomen aufgezeigt, vielleicht daß noch kuͤnftig,
nicht zwar die Anatomie, ſondern vielmehr die tiefere
Geſchichte des Lebens, ſchon in der Bluͤthe der Pflan-
zen, die nahe Verwandſchaft und Angraͤnzung an den
Zuſtand des Raupeneyes nachweiſen wird.
Gewiß iſt es, daß wenn wir dem erſten Anſchein nach
urtheilen, keine groͤßere Verſchiedenheit ſeyn koͤnne,
als die zwiſchen dem Bau des Thieres und der Pflan-
ze. Lang gedehnte, mit einander verbundene Zellen,
bilden die Laͤngengefaͤße. Die einzelnen Zellen ſind
nach der Wurzel zu breiter gedruͤckt, und minder lang,
ſo daß ſie, beſonders bey unvollkommneren Pflanzen,
faſt den Bienenzellen gleichen; weiter nach der Bluͤthe
zu, dehnen ſie ſich mehr in die Laͤnge, und wechslen
nun mit andern Gefaͤßen ab, die ſich in Geſtalt der
Schrauben mitten unter jenen hinaufwinden. Mit
Recht hat man dieſen Bau der Pflanzentheile, die zur
Geſtalt gewordenen innern Bewegungen des Thiers ge-
nannt, indem ſich die Oscillationen der innren thieri-
ſchen Theile, der beſtaͤndige Wechſel von Ausdehnung
und Zuſammenziehung, welcher das Leben derſelben
unterhaͤlt, hier in dem beſtaͤndigen Wechſel der beyden
Gegenſaͤtze, die uͤberall daſſelbe ausdruͤcken, dem
Raume nach, dem Auge darſtellt. Jede kleine Ab-
theilung jener Laͤngengefaͤße, iſt gleichſam ein kleiner
Magnet, deſſen oberer oder poſitiver Pol, ſtets wie-
der den untern oder negativen des naͤchſtfolgenden her-
vorruft. Dieſelbe Oscillation, die ſich in der Bewe-
gung der beyden thieriſchen Haͤlften ausdruͤckt, wird in
dem Bau jener Spiralgefaͤße wiedergefunden.
So ſcheint ſich, was ſich im Thier noch uͤberdies
als Bewegung aͤußert, in der Pflanze ſchon allein im
Wachsthum auszuſprechen. Nur bey einigen weni-
gen Pflanzen tritt dieſer lebendige Geiſt, der ſich ſonſt
nur in dem ſtillen Werk des Vegetirens erſchoͤpft, auch
als wirkliche, nach außen ſichtbare Bewegung auf.
Zu dieſen gehoͤrt vorzuͤglich das merkwuͤrdige Hediſa-
rum gyrans, welches in unſern Gewaͤchshaͤuſern nicht
eben ſelten iſt. Man ſieht die groͤßern Blaͤtter dieſer
Pflanze, ohne daß ſie das leiſeſte Luͤftchen beruͤhrt,
ganz von ſelber und mit einander abwechſelnd, bald ſich
erheben bald wieder ſinken, waͤhrend andere kleinere
Blaͤtter ſich unaufhoͤrlich in kreisfoͤrmiger Bewegung
ſchwingen. Die Bewegung der Blaͤtter nach jedem
aͤußern Reiz, iſt, wie ſchon erwaͤhnt, nicht allein bey
den Mimoſen, ſondern auch bey einigen andern Pflan-
zen nichts ſeltnes. Noch weniger iſt es jene Bewe-
gung der Bluͤthen, die ſich nach dem Stand der Son-
ne richtet.
Ja gerade bey einer der unvollkommenſten Pflan-
zenarten, bey den Conferven, einem kleinen faſt
durchſichtigen Weſen, das oͤfters nur aus einigen zar-
ten Faͤdchen beſteht, und an feuchten Orten waͤchſt,
findet ſich noch eine wahrhaft thieriſche Beweglichkeit,
die ſie, ſo bald das Licht auf ſie faͤllt, unaufhoͤrlich zu
einem unregelmaͤßigen Zittern und Schwanken nach al-
len Seiten treibt.
Ueberhaupt wird jener Gegenſatz zwiſchen der
Thier- und Pflanzenwelt, erſt in den hoͤheren Ge-
ſchlechtern ausgebildet. Der Kohlenſtoff und ſeine
Verbindungen, welche die chemiſchen Beſtandtheile
der vollkommneren Pflanzen ausmachen, ſind bey den
Flechten und Mooſen, mithin auf den tiefſten Stufen
des Pflanzenreichs, ſeltener, dagegen findet ſich bey den
letzteren haͤufige Kalkerde, welche ſonſt das Thierreich
auszeichnet, und die Flechten gleichen in ihren Be-
ſtandtheilen, ſo wie auch in ihren bunten, praͤchtigen
Farben, den Bluͤthen und Fruͤchten der vollkommenen
Pflanzen, welche auch in Hinſicht der Beſtandtheile
die naͤchſte Graͤnze des Thierreichs bilden.
Die Natur geht uͤberall, ehe die vollkommneren
Gegenſaͤtze ſich ausbilden, von unvollkommenen Mit-
telweſen aus, welche jedoch von der hoͤchſten Wichtig-
keit ſind, weil ſie die nahe Verwandſchaft der beyden
entgegengeſetzten Richtungen bezeugen, und hierdurch
auf das gemeinſchaftliche Eine, welches beyden zu
Grunde liegt, hindeuten. Es wird ſpaͤter im Thier-
reich, daſſelbe in der Zeit, in einer Aufeinander-
folge von verſchiedenen Bewegungen ausgedruͤckt, was
ſich im Pflanzenreich nebeneinander, im Raume zu er-
kennen giebt.
Die erſten Anfaͤnge des Thierreichs gleichen eben
ſo ſehr den Pflanzen als den Thieren, wie bey den er-
ſten Anfaͤngen des Pflanzenreichs dieſelbe Unentſchie-
denheit ſtatt gefunden. Gallertartig, durchſichtig,
gleichſam aus kleineren und groͤßeren Koͤrnern unregel-
maͤßig zuſammengeſetzt, erſcheinen die Polypen, an
dem Pflaͤnzchen oder ſonſt feſten Gegenſtand worauf
ſie ſitzen, noch feſt gewachſen, und in ihm pflanzen-
artig wurzelnd. Ein bloßer Darmkanal mit Armen,
pflegen ſie immer begierig nach den kleinen Gegenſtaͤn-
den, welche im Waſſer umherſchwimmen, zu haſchen,
und das Verzehrte geht ſchnell und unmittelbar in die
allgemeine Maſſe des kleinen Koͤrpers uͤber. Die Jun-
gen wachſen, wie Zweige und Sproͤßlinge bey den
Pflanzen, aus dem Koͤrper des alten Polypen hervor,
und erreichen oͤfters dieſelbe Groͤße wie der alte, ehe ſie
ſich von dieſem trennen. Oefters ſieht man aus den
noch im vaͤterlichen Koͤrper feſtſitzenden Jungen, wie-
derum neue Junge hervortreiben, und dem mit Kind
und Enkel verbundenen Alten, wird von ſeiner Nach-
kommenſchaft das Futter, nach welchem alle zugleich
haſchen, ſtreitig gemacht. Bekannt ſind die Verſuche
des Bonnet und Anderer, die ſeitdem unzaͤhlig oft wie-
derholt ſind, daß man den Polypen nach allen Rich-
tungen zerſchneiden, ja umwenden kann wie einen
Handſchuh, ſo daß die innre Hoͤhle des Leibes heraus-
koͤmmt, ohne daß ſich derſelbe in allen Gewohnheiten
ſeines Lebens ſtoͤren laͤßt. So iſt dieſe ſonderbare Thier-
art den Pflanzen eben ſo verwandt als den Thieren,
und nur darinn, daß ſie Futter von außen nimmt,
wird ſie den letztern aͤhnlich.
Bekanntlich findet ſich auch bey dem Polypen, und
dieſes iſt der merkwuͤrdigſte Theil ſeines Lebens, in
der Naͤhe ſeines Todes, im Herbſt, wenn die Pflan-
zen an denen er wohnte und er ſelber der uͤberhandneh-
menden Kaͤlte weichen muͤſſen, eine Vorahndung des
hoͤheren thieriſchen Daſeyns. Er legt alsdann nach
Bonnets Beobachtungen ein Ey, wie vollkommne
Thiere, die ſich nicht durch Sproſſen fortpflanzen. Auch
bey den meiſten Aphisarten, welche die Blattſtiele
unſrer Pflanzen oͤfters bedecken, findet ſich eine aͤhnli-
che merkwuͤrdige Erſcheinung. Dieſe Thiere, indem
ſie lebendige Junge gebaͤhren, gleichen hierinnen den
durch lebendige Sproſſen ſich fortpflanzenden, indem
ſie eigentlich Geſchlechtslos ſind. Erſt im Herbſt,
nahe vor dem gemeinſchaftlichen Untergang, bemerkt
man, daß die zuletzt lebende Generation aus Maͤnn-
chen und Weibchen beſteht, und dieſe pflanzen ſich
nach der Weiſe der vollkommnen Thierklaſſen, durch
Eyer fort.
So wird auch hier, wie in einigen Erſcheinungen,
die wir ſpaͤter aus der vollkommneren Thierwelt an-
fuͤhren werden, das Eingreifen eines naͤchſtfolgenden
Daſeyns in das vorhergehende wahrgenommen, und
dieſe ſind ſo wie die Glieder einer Kette verbunden.
Wenn wir den Weg, welchen die bildende Natur
auf den erſten Stufen des Thierreichs nimmt, genau
beobachten, ſehen wir, wie in der Geſchichte des ein-
zelnen Thieres, gleichſam das Herz zuerſt auftreten.
Denn das ganze Daſeyn einiger microſcopiſchen Thie-
re, von der Art jener aus Aufguͤſſen erzeugten, be-
ſteht in einer beſtaͤndigen Aufeinanderfolge von Aus-
dehnung und Zuſammenziehung, was ſich oͤfters als
ein beſtaͤndiges Umkreißen ſelbſt noch bey den Raͤder-
thierchen andeutet. Noch iſt bey vielen dieſer Thier-
chen kein thieriſches Nahrungsnehmen beobachtet, und
ſie ſcheinen wie kleine Pflanzen durch ein unmerkliches
Einſaugen der Fluͤſſigkeit in der ſie leben, zu vegetiren.
Obgleich bey den zunaͤchſt angraͤnzenden Zoophyten und
einigen Wuͤrmern, weder Nerven noch Muskelartige Or-
gane zu beobachten ſind, laͤßt ſich der Gegenſatz zwi-
ſchen Nerven und Muskeln doch ſchon in ihnen vermu-
then, weil ſie, wie Humbold in einem ſeiner fruͤheren
Werke gezeigt hat, ſich gegen den Metallreiz auf die-
ſelbe Weiſe empfindlich zeigen, wie hoͤher ausgebilde-
te, und offenbar mit Nerven und Muskeln verſehene
Thiere. Dieſer Gegenſatz ſcheint mithin im Thierreich
ſehr fruͤhe, und faſt mit ihm zugleich einzutreten.
Der Sinn fuͤr das Licht wird ſchon bey den Polypen,
und aͤhnlichen unvollkommenen Thieren ſehr deutlich
bemerkt, ohne daß doch irgend ein Organ vorhanden
waͤre, welches einem Auge gliche. Es ſcheint die gan-
ze Oberflaͤche des Koͤrpers jener Thiere, die Empfind-
lichkeit fuͤr das Licht zu beſitzen, welche bey andern nur
dem Auge eigenthuͤmlich iſt. Nicht minder wird bey
einigen, wie ſchon erwaͤhnt, ein unvollkommenes Ver-
dauungsſyſtem gefunden.
Bey den Wuͤrmern, welche hierauf folgen, ſehen
wir in allmaͤligen Uebergaͤngen ein deutlicheres Nerven-
ſyſtem, mit jenen vielen Abſaͤtzen hervorgehen, wel-
che fuͤr kleine fuͤr ſich beſtehende Gehirne koͤnnten gehal-
ten werden. Die Organe der Verdauung ſind vollkom-
mener ausgebildet, und es zeigt ſich, noch ohne Spu-
ren eines Kreißlaufs, das Beduͤrfnis des Athmens,
welches vermoͤge kleiner Oefnungen an den Seiten
des Koͤrpers, befriedigt wird. Unter den Sinnesorga-
nen iſt das erſte, welches in ſeinen unvollkommenſten
Spuren auftritt, das Auge. Fuͤr dieſe, oder fuͤr Re-
praͤſentanten derſelben, werden naͤmlich von Cuvier und
Andern jene kleinen dunkel gefaͤrbten Huͤgel gehalten,
die an dem Kopfe vieler articulirter Wuͤrmer, da wo
bey den Inſekten die Augen liegen, gefunden werden.
Einige Arten von Blutigeln haben 2, andre 4, 6
oder 8, und eine aͤhnliche gleichſam zufaͤllige Abaͤndrung
der Zahl, findet ſich auch bey den Augenartigen Organen
der verſchiedenen Nereiden, waͤhrend die Naiden und
andre Wuͤrmer nur 2 beſitzen.
Auch bey den Inſekten, welche ſchon um eine Stu-
fe hoͤher ſtehen als die Wuͤrmer, finden ſich unter allen
Sinnesorganen die des Geſichts am vollkommenſten,
und dem Auge der hoͤheren Thierklaſſen am analogeſten
ausgebildet. Denn ob es gleich gewiß iſt, daß die
Antennen an dem Kopf derſelben ihnen zum Fuͤhlen
gegeben ſind, weicht doch bey ihnen die Natur, in der
Lage und Anordnung dieſer Theile, aus den Graͤnzen
der Analogie mit der hoͤheren Thierwelt heraus. Ein
ſcharfer Geruch ſehr entfernter riechbarer Gegenſtaͤnde,
iſt bey verſchiedenen Inſekten bemerkt worden, ohne
daß die Organe deſſelben entdeckt waͤren. So zieht
die Bienen der Geruch der bluͤhenden Linden in einer
bedeutenden Entfernung an, und jene auslaͤndiſchen
Inſekten, die ſich ſeitdem bey uns eingefunden haben,
ſeitdem die Pflanzen, auf denen ſie ſich gewoͤhnlich
aufhalten, bey uns ausgeſaͤet wurden, koͤnnte nur
dieſer Sinn aus jenen großen Fernen hergefuͤhrt haben,
wenn man ihre ſelbſtſtaͤndige Erzeugung aus den Pflan-
zen nicht zugeben will.
Noch vollkommener organiſirt als die Inſekten,
ſind die Mollusken, zu denen die Schnecken, die
Muſcheln und andre Schaalenthiere, und die Tinten-
fiſche gehoͤren. Mit Recht hat Cuvier dieſe Thierar-
ten von den Wuͤrmern, zu denen ſie andre Naturfor-
ſcher geſellten, getrennt, und eine eigne Thierklaſſe
aus ihnen gebildet, welche einen vollkommnen Ueber-
gang von den Fiſchen zu den unterſten Thierklaſſen, den
Inſekten und Wuͤrmern macht. Das Nervenſyſtem
nimmt auf einmal eine ganz andre Geſtalt an, die vie-
len Abſaͤtze deſſelben, welche kleinen Gehirnen gleichen,
haben ſich faſt bis auf 2 vermindert, und waͤhrend
noch bey den Inſekten kein eigentlicher Kreißlauf der
Saͤfte entdeckt iſt, und uͤber jenen laͤnglichten, beſtaͤn-
dig oscillirenden Kanal, am Ruͤcken derſelben, den
man fuͤr ein Herz gehalten, noch immer viele Unge-
wißheit herrſchet, findet ſich bey den Mollusken ſchon
ein vollkommenes Herz, mit großen Blutgefaͤßen, die
in der Anordnung ſowohl als im Bau ihrer einzelnen
Theile, dem Herzen und den Gefaͤßen der vollkommneren
Thiere gleichen. Auch die uͤbrigen Eingeweide, der
Magen, die Leber, zeigen eine große Aehnlichkeit mit
denen der hoͤheren Klaſſen. Aber ohngeachtet dieſer
vollkommnen Ausbildung in den innern Theilen, fin-
den wir bey verſchiedenen Geſchlechtern dieſer Thier-
klaſſe, keine Spuren mehr von jenen Sinnesorganen,
die ſich auf den vorigen Stufen wenigſtens ſchon an-
gekuͤndigt hatten. Bey den Auſtern, Ascidien, En-
ten- und Perlenmuſcheln, ſo wie bey vielen andern
Schaalenthieren, fehlt der Kopf ganz, und mit ihm
zugleich alle Sinnesorgane, welche ſich bey vollkomm-
neren Thieren an dieſem finden. Man hat dieſe Ge-
ſchlechter unter dem Nahmen der Acephalen oder
Hauptloſen zuſammengefaßt. Hierauf gleich in jenen
zunaͤchſt angraͤnzenden Schaalenthieren, welche zu dem
Geſchlecht der Schnecken gehoͤren, oder dieſen aͤhnlich
ſind, finden ſich wieder die erſten Spuren eines Au-
ges, welches endlich in den Tintenfiſchen faſt ſo voll-
kommen ausgebildet iſt, wie bey den Fiſchen. Zu-
gleich findet ſich bey dieſer Thierart ein Gehoͤrorgan,
welches zwar in ſeinem ganzen Bau dem der Fiſche
ziemlich nahe ſteht, jedoch nicht ſo vollkommen aus-
gebildet erſcheint, als das Auge.
So tritt auch hier, nachdem in einigen Geſchlech-
tern, wo ſich die bildende Kraft ganz auf die Vollen-
dung der innern Theile gewendet, und die Ausbildung
der aͤußern verſaͤumt zu haben ſcheint, die Sinnesor-
gane gaͤnzlich verſchwunden waren, zuerſt wieder das
Auge, und naͤchſt ihm das Ohr auf.
Ueberhaupt erkennen wir deutlich in der merkwuͤr-
digen Klaſſe der Mollusken einen Wendepunkt, an
welchem ſich die Klaſſen der Thiere mit rothen kalten
Blut (Fiſche und Amphibien) von denen der Thiere mit
weißen kaltem Blut, ohne eigentlichen Kreißlauf,
ſcheiden. Ein Theil der Schaalenthiere, mit noch un-
vollkommenem Kreißlauf, gehoͤrt noch herunter zu den
tiefer ſtehenden Thierklaſſen der Inſekten, Wuͤrmer
und Pflanzenthiere, bey dieſen ſehen wir allmaͤlig
die Sinnorgane, welche bey den Inſekten ſchon vor-
handen waren, wieder verſchwinden, und es bleibt
bey den Hauptloſen nur noch der Sinn des Geſchmacks,
als der, welcher ſich, wie wir ſehen werden, zuletzt
ausbildet, zuruͤck. Dagegen zeigen ſich die Eingewei-
de, welche mit dem Syſtem der Sinnen und des Em-
pfindens in einem beſtaͤndigen Gegenſatz ſtehen, und
welche dann am lebendigſten wirken, wenn jene unthaͤ-
tiger oder ohnmaͤchtiger ſind, auf eine Weiſe ausgebil-
det, wie in keinem der fruͤhern Geſchlechter. So er-
reicht die erſte Thierreihe ihren hoͤchſten Gipfel in We-
ſen, welche allen Eindruͤcken der Außenwelt, dem
Licht und den Toͤnen verſchloſſen ſind, und der Geiſt
der Natur ſcheint ſich, ermuͤdet von dem erſten Tage-
werk, in ſich ſelber zu vertiefen, betrachtend, und zum
neuem Werke ſich bereitend. Eine ſolche Stille und
Abgeſchiedenheit gegen die Außenwelt, ſcheint uͤber-
haupt oͤfters den letzten Ausgang des bisherigen und
die Vorbereitung zu dem hoͤheren Daſeyn zu bezeich-
nen, und auch das Gemuͤth des Menſchen, ermuͤdet
von dem Streben nach außen, ruhet zuletzt in ſich ſel-
ber aus.
Hierauf jenſeits dieſes erſten Wendepunktes des
Thierreichs, begruͤßt die neuentſtandene hoͤhere Reihe
zuerſt wieder das Licht, jedoch mit vollkommneren Or-
ganen, als in den tiefer ſtehenden Weſen. Es wird
nun von der abentheuerlichen Geſtalt der Sepien der
Uebergang zu den Fiſchen gefunden, und jenes ſonder-
bare Geſchlecht der Knorpelfiſche, das unter dem all-
gemeinen Nahmen der Meernadeln zuſammengefaßt
wird, und zu welchem unter andern das Meerpferd-
chen gehoͤrt, bey dem die Naturforſcher lange in Un-
gewißheit geweſen, ob ſie es zu den Fiſchen oder zu
den Wuͤrmern zaͤhlen ſollten, ſteht wenigſtens nicht fern
von der Graͤnze der niedrigeren Organiſationen. Noch
finden wir hier die Ueberreſte jenes fleiſchigen Mantels,
welcher den Tintenfiſchen eigenthuͤmlich iſt, in einer
Haut, welche von dem hintern Theil des Kopfes nach
dem Rumpfe hinlaͤuft, und nur einen kleinen Zwi-
ſchenraum fuͤr die Kiemenoͤfnung uͤbrig laͤſſet.
Die Natur erringt nun in den Fiſchen, durch all-
maͤliges Weiterbilden, die erſten Anfaͤnge eines wirk-
lichen Gehirns, die ſich noch in einigen kleinen Kuͤgel-
chen, meiſt 5 an der Zahl, darſtellen, und ein voll-
kommneres in ſeiner Anordnung dem der Saͤugethiere
aͤhnlicheres Nervenſyſtem. Der Kreißlauf naͤhert ſich
nicht minder, beſonders in den hoͤheren Geſchlechtern,
dem der Saͤugethiere immer mehr, und das Blut hat
bey allen die vollkommenere rothe Farbe, waͤhrend bey
den Schaalenthieren blos in der gefaͤrbten Fluͤſſigkeit
des ſogenannten Purpurbeutels, der ſich faſt bey allen
findet, und bey den Sepien die ſchwarze Fluͤſſigkeit
enthielt, eine Annaͤherung an das rothe Blut der hoͤ-
heren Thiere gefunden wird. Es finden ſich bey den
Fiſchen alle Sinnesorgane, außer dem des Geſchmacks,
in ziemlicher Vollendung, noch fehlen aber dem Rumpf
die aͤußeren Glieder, die ſich bey den Schaalenthieren
faſt gaͤnzlich verlohren, waͤhrend ſie bey den Inſekten
ſchon ſehr ausgezeichnet hervortraten, und nur die Floſ-
ſen deuten auf die aͤußern Glieder der darauf folgenden
hoͤheren Geſchlechter hin.
Aus jener Abtheilung der Knorpelfiſche, welche
feſtgewachsne Branchien hat, findet ſich der Ueber-
gang in die Klaſſe der Amphibien. Es tritt hier wie-
der als der zuletzt ausgebildete Sinn, ein vollkomm-
neres Organ des Geſchmacks zu den ſchon fruͤher vor-
handnen Sinnen. Einige Amphibien, unter andern
einige groͤßere Eydexenarten und Schildkroͤten, zeigen
in dem Bau der innern Theile, eine große Verwand-
ſchaft mit dem Bau der Voͤgel, und ſo wird hier ein
zweyter, hoͤherer Wendepunkt gefunden, welcher die
Klaſſen der Thiere mit kalten rothen Blut, von den
hoͤheren der Thiere mit warmen rothen Blute ſcheidet.
Jenes ſtille in ſich gekehrte Leben, die Stumpfheit der
Sinnen, bey einigen die Langſamkeit der Bewegungen,
bezeichnen auch hier die Vorbereitung zu einem hoͤheren
vollkommneren Daſeyn. Abermals hat ſich, wie bey
den Mollusken, die ganze Lebenskraft nach der Aus-
bildung der innern Theile des Rumpfes hingewendet,
und es ſcheint bey vielen Amphibien der Kopf und der
Vereinigungspunkt des Nervenſyſtems nicht der leben-
digſte und nothwendigſte Mittelpunkt des Daſeyns zu
ſeyn, wie bey andern Thieren, woher auch die erſtaun-
liche Ausdauer dieſer Thiere koͤmmt. Man hat Schild-
kroͤten lange Zeit leben, und Speiſe nehmen ſehen, de-
nen man den Schedel geoͤffnet, und das Gehirn her-
ausgenommen hatte, andre lebten und bewegten ſich noch
Wochen lang, nachdem man ihnen den Kopf abge-
ſchnitten.
Wie uͤberall, finden ſich in der neubeginnenden
hoͤheren Thierreihe, welche durch die Klaſſe der Voͤgel
an die Amphibien anſchließt, zuerſt die Sinnen, und
vornehmlich das Auge und Ohr, und naͤchſt ihnen der
Geruch ausgebildet. Die meiſten Voͤgel beſitzen dieſe
Sinnen in einer anderwaͤrts beyſpielloſen Schaͤrfe.
Mit einem vollkommneren Athmen, zeigt ſich hier ein
vollkommnerer Blutumlauf verbunden, der Bau der
innern und aͤußern Theile iſt nun faſt gaͤnzlich dem der
Saͤugethiere analog. Durch den merkwuͤrdigen Ornitho-
rinchus paradoxus, jenes ſonderbare neuerlich entdeck-
te Thier, das durch ſeinen Entenſchnabel und Enten-
fuͤße ſo wie im Bau einiger innren Theile den Voͤ-
geln, uͤbrigens den Saͤugethieren gleicht, findet ſich
deutlich der Uebergang von der Geſtalt des Vogels, in
die des Saͤugethieres. Zu den uͤbrigen Sinnesorganen
tritt nun auch wieder die Zunge, deren hoͤchſte Bedeutung
erſt im Menſchen, wo ſie als Sprachorgan erſcheint, er-
kannt wird. Ueberhaupt findet ſich dieſes merkwuͤrdige
Organ bey dem Menſchen, und hoͤchſtens nur noch bey ei-
nigen Affengeſchlechtern zu einer Vollkommenheit ausge-
bildet, wie ſonſt nirgends, und gerade die Zunge iſt das
einzige Sinnesorgan das der Menſch in einer groͤßern
Vollendung beſitzt als die uͤbrigen Thiere, *) waͤhrend
er an Schaͤrfe des Geſichts, des Gehoͤrs und Geruchs
und an der Vollkommenheit des Baues dieſer Organe
ſelber, von andern Thiergeſchlechtern vielfaͤltig uͤber-
troffen wird.
Es iſt die Gabe des Sprechens, welche zugleich
mit jener der Vernunft, den hohen Vorzug unſrer Na-
tur vor der der andern Weſen bildet.
Dieſes iſt, nur in einigen duͤrftigen Zuͤgen, der
Gang des allgemeinen Lebens von einer geringeren
Vollendung zu immer hoͤherer. Das Leben des gan-
zen Thierreichs ſcheint ſich durch ein ſtetes Vorwaͤrts-
ſtreben nach dem des Menſchen hinzudraͤngen, und
nach dieſem gleichſam zu ſehnen. In einzelnen lichten
Blicken ſehen wir die Vorahndung des menſchlichen Da-
ſeyns an dem thieriſchen voruͤbergehen, und oͤfters
wird dieſes noch im Scheiden gleichſam durch ein fer-
ne daͤmmerndes Bewußtſeyn verklaͤrt, wovon ich noch
kuͤnftig reden werde. Endlich tritt unſer Weſen in die
lange Reihe der Lebendigen ein, wir wiſſen nicht woher,
noch wohin? wir eilen. Der Weg hinter uns iſt dun-
kel, und nur zuweilen wird er durch Traͤume von ei-
ner ſonderbaren Innigkeit und Klarheit, die wohl un-
tereinander, nicht aber mit dem jetzigen Daſeyn in Be-
ziehung ſtehen, aufgehellt. Wir muͤſſen in dieſen,
noch mehr aber in dem tiefen und dunklen Geheimniß
der Sympathien und Antipathien, oͤfters die Erinn-
rung an einen vorhergegangnen Zuſtand anerkennen.
Endlich tritt noch die tiefere Naturwiſſenſchaft, Auf-
ſchluͤſſe und gewiſſe Merkzeichen gebend hinzu, ſo daß
der zuruͤckgelegte Weg wie ein ferner dunkler Schatten
von der Seele wahrgenommen wird. Was aber jen-
ſeit iſt, wird uns nicht in dunklem Traum, nicht in
dumpfen Vorahndungen verkuͤndigt, ſondern nur in
dem klaren lichten Werk des Lebens, in dem tiefen und
heitren Streben des Gemuͤths verſtanden, und aus
dieſem faͤllt ein ſeeliger Schimmer auf die dunkle Kluft
jenſeits, welcher uns mit froͤlichem Vertrauen hinuͤber-
ſchauen laͤſſet.
Wir haben jenes geiſtige Band, welches die Natur
von Glied zu Glied gehend, um alle Lebendige ge-
ſchlungen, und wodurch die einzelnen Zuͤge zu einer
großen Schrift voll tiefen Sinnes werden, in einigen
aͤußeren Umriſſen des Naturreichs, kaum geahndet,
und es kann daſſelbe auch in den ferneren Unterſuchun-
gen, die wir nun an jene anknuͤpfen wollen, nicht ſo
dargeſtellt werden, wie es nur bey einem tieferen und
laͤngeren Verweilen bey dieſem Gegenſtand moͤglich waͤ-
re; doch wollen wir, ſo weit unſer Plan es erlaubt,
noch ferner in andren Naturverhaͤltniſſen auf jenen
großen Zuſammenhang aller Einzelnen hindeuten.
Das Pflanzenreich nimmt ſeine Nahrung noch ein-
zig aus dem Boden, in welchem es wurzelt, und aus
der feuchten Luft, oder dem Waſſer, welche es umge-
ben, und lebt ſo noch unmittelbar von dem Anorgi-
ſchen. Wie immer die darauf folgende hoͤhere Stufe
gaͤnzlich auf der vorhergehenden niedrigeren ruht, und
erſt durch dieſe moͤglich wird, ſo wird die Vegetation
noch gaͤnzlich von der anorganiſchen Welt des Plane-
ten getragen. Die Flechten und einige andre unvoll-
kommene Pflanzen, ſcheinen noch Theile des vewitter-
ten Felſen den ſie bedecken.
Das Waſſer iſt es vornehmlich, welches der Ve-
getation zum Nahrungsmittel dient. Dieſer merkwuͤr-
dige Stoff geht, wenn man ihn auch noch ſo ſehr von
fremden Beſtandtheilen gereinigt, durch die Vegetation
in einen Zuſtand der Verwandlung uͤber, welchen man
an ihm dem Anſchein nach, ſchwerlich fuͤr moͤglich gehal-
ten haͤtte. Die bekannten Verſuche einiger Chemiker,
welche Pflanzenſaamen in deſtillirtem Waſſer und in
verſchloſſenen, der Sonne ausgeſetzten Gefaͤßen keimen
und aufwachſen ließen, lehrten: daß die ſo erhaltenen
Pflanzen alle jene Erden und ſonſtigen Beſtandtheile
enthielten, welche in der Aſche der freywachſenden ge-
funden werden. Das Waſſer waͤre mithin in dieſen
Verſuchen durch die Vegetation in Stoffe von feſter
Natur uͤbergegangen, von denen es vorhin keine Spur
zeigte. Doch waͤre dieſer Fall nicht einzig. Wenn,
wie die Geſchichte der Erde lehrt, einſt die Bildung der
ganzen jetzigen feſten Maſſe aus dem Fluͤſſigen moͤglich
war, wenn die Beſtandtheile dieſer feſten Maſſe, nicht
alle zugleich in dem fluͤſſigen Chaos enthalten ſeyn
konnten, ſondern der Gehalt der allgemeinen Fluthen
zu verſchiedenen Zeiten verſchieden ſeyn mußte, ſo zei-
gen ſich ſchon hierinnen eine Menge Erſcheinungen,
welche unſre jetzige Chemie noch nicht zu loͤſen vermag,
und welche fuͤr die Moͤglichkeit des Ueberganges einer
fuͤr einfach gehaltnen Grundform in die andre ſprechen.
Auch ſelbſt im Thierreich muß das Waſſer in ge-
wiſſen Faͤllen noch ernaͤhrend wirken, wie im Pflan-
zenreich, ja ſelbſt fuͤr die Natur des Menſchen ſcheint
ihm dieſes Vermoͤgen nicht ganz abzuſprechen, und wir
finden in den Buͤchern der Aerzte mehrere Beyſpiele
verzeichnet, in denen ohne einigen Genuß von Nah-
rungsmitteln, durch bloßes Waſſertrinken das Leben
lange Zeit gefriſtet wurde. Vier und zwanzig Tage
erhielt ſich jener Schwermuͤthige, welcher aus Duͤrf-
tigkeit und Lebensuͤberdruß den Hungertod erwaͤhlt hat-
te, blos bey dem Genuß des Waſſers kraͤftig, und als
nach dieſer Zeit die hinzukommenden Freunde ihn von
neuem Speiſe zu nehmen noͤthigten, geſchahe der Ueber-
gang zu der gewoͤhnlichen Weiſe des Lebens leicht, und
in wenigen Tagen. Jener Wahnſinnige zu Haarlem,
der ſich in ſeinem Wahn, an einen einſamen Ort be-
geben, lebte hier noch laͤngere Zeit blos vom Waſſer-
trinken, wozu er noch Tabak geraucht. Mehrere aͤhn-
liche Faͤlle kann man in Smiths Werk uͤber die Tugen-
den des gemeinen Waſſers leſen. Zur See ſind Etli-
che, ſelbſt nicht einmal durchs Waſſertrinken, ſondern
blos durch das Anfeuchten der Kleider mit Seewaſſer,
das von der Haut eingeſogen worden, mehrere Tage
bey Kraͤften erhalten u. ſ. w.
In der Klaſſe der Wuͤrmer, der Thierpflanzen
und ſelbſt noch der Mollusken, iſt es nichts ſeltenes
einzelne Gattungen ganz, oder doch groͤßtentheils vom
Waſſer leben zu ſehen, welches dann durch den Ver-
dauungsproceß einer aͤhnlichen Verwandlung faͤhig ſeyn
muß, als durch den der Vegetation. Nur in dieſen
unterſten Klaſſen des Thierreichs findet man auch jene
Gattungen, welche wie die Pflanzen noch ganz von
der anorganiſchen Koͤrperwelt leben, und ſich nebſt dem
Waſſer blos von Steinen ernaͤhren. Es gehoͤren dahin
unter andern jene Bohrmuſcheln, die ſich mitten in den
haͤrteſten Felſen, wie Wuͤrmer in eine weiche Maſſe
hineinzehren, ſo wie jene kleinen Thiere, welche blos
von der feuchten Erde leben. In dem hoͤheren Thier-
reich erlaubt die Natur eine ſolche Genuͤgſamkeit nicht
mehr, oder doch nur in ſeltnen Faͤllen, und dieſes
kann auch hierinnen eine hoͤhere Potenz des Pflanzen-
reichs oder der vorhergehenden organiſchen Welt ge-
nannt werden, weil es blos von dieſer ſich naͤhrt.
Wenn die erſte Stufe eines hoͤher organiſirten
Thierreichs die Klaſſe der Inſekten iſt, ſo finden wir
hier, zugleich mit der vollkommneren Organiſation,
beſonders der Eingeweide, die Ernaͤhrung von organi-
ſchen Koͤrpern, von Pflanzen. Die vollkommneren
Waſſerthiere, welche ſich in Hinſicht der Organiſation hier-
an anſchließen, leben in den unterſten Geſchlechtern von
Wuͤrmern, hernach jenſeit des erſten Wendepunktes,
in dem Reiche der Fiſche, finden wir, daß die kleine-
ren und ſchwaͤcheren Geſchlechter, den groͤßeren und
ſtaͤrkeren zur Nahrung dienen, und wirklich folgen ſich
auch in Hinſicht der Ausbildung die Glieder einiger
Reihen dieſer Klaſſe, ſo wie in der Groͤße.
Endlich ſo iſt auch in den hoͤheren Klaſſen wieder
der eine Theil an die Pflanzen, ein anderer an thieri-
ſche Nahrung angewieſen; ſo daß wir in Hinſicht der
Nahrung 3 Hauptabtheilungen finden, davon die eine
noch blos von der anorgiſchen Welt, vornehmlich vom
Waſſer lebt, die andre von Pflanzen, eine dritte am
andern Ende gelegene von Thieren.
Die Nahrung, welche jeder Thierklaſſe angewieſen
iſt, wird uns von der groͤßten Wichtigkeit, wenn wir,
wie jetzt geſchehen ſoll, die große Verſchiedenheit, wel-
che in allen Verhaͤltniſſen an den Thiergeſchlechtern der
verſchiednen Abtheilungen gefunden wird, betrachten.
Wir wollen uns dabey nur an die von Pflanzen- und
Thieren lebenden Weſen und zwar vorzugsweiſe wieder
nur an die aus der Klaſſe der Saͤugethiere halten. Wir
ſehen in dieſer Klaſſe die von Pflanzen und die vom
Raube lebenden Thiere, ſowohl ihrem jetzigen Beſtand
als auch der Zeit des Entſtehens nach, zwey verſchiedne
Reihen bilden.
Der gemeinſchaftliche hoͤchſte Gipfel der Vollen-
dung beyder, iſt der Menſch, waͤhrend auch die aͤußer-
ſten Enden beyder, welche in die Klaſſe der Voͤgel
uͤbergehen, in gewiſſer Hinſicht uͤbereinſtimmen. —
Es lehrt naͤmlich ſchon die Geognoſie, daß vor jener
großen Revolution, welche faſt die ganze damalige
Organiſation unter ihren Niederſchlaͤgen begrub, ent-
weder gar keine oder nur wenige Raubthiere vorhan-
den waren. Denn obgleich in allen Welttheilen, ſo
weit man die juͤngſten Gebirge der Floͤzzeit, oder die
aͤlteſten der aufgeſchwemmten durchforſcht hat, die
Ueberreſte von unzaͤhligen Saͤugthieren, deren Ge-
ſchlechter von Vegetabilien leben, gefunden werden,
hat man doch von Raubthieren bisher faſt nur in den
Hoͤhlen, wie es ſcheint aus einer ſehr ſpaͤten Zeit, Ueber-
reſte gefunden. Die vielen Baͤrenknochen, nur ſelten
vermiſcht mit einigen vom Geſchlechte der Hunde, die
man meiſtens unverſteinert, und auf dem Boden frey
liegend, zum Theil aber durch das kalkhaltige Waſſer,
das an den Waͤnden jener Hoͤhlen beſtaͤndig niederſin-
tert incruſtirt gefunden, ruͤhren offenbar von Baͤren
her, welche lange Jahrtauſende nach jener Naturbege-
benheit, durch welche Elephanten und andre Thiere
der Wendekreiße in denſelben Gegenden ihren Untergang
fanden, die deutſchen Waͤlder bewohnten, und bey
einer ſehr ſpaͤten oͤrtlichen Ueberſchwemmung, in die, zum
Theil noch jetzt offenen Hoͤhlen fluͤchteten. Die Natur
erlaubt nicht, daß der nordiſche Baͤr und die Thiere der
heißeſten Laͤuder in einer Gegend wohnen. Schon die-
ſes macht einen gleichzeitigen Urſprung der Ueberreſte
ſo verſchiedener Thiergattungen unwahrſcheinlich. Doch
verſchwindet der Irrthum gaͤnzlich, wenn wir die Ge-
birgsarten, in denen das aͤltere Thierreich begraben
liegt, mit dem offenbar ſpaͤt entſtandenen, allem An-
ſchein nach von keiner jener großen Fluthen beruͤhr-
ten knoͤchernen Tafelwerk jener Hoͤhlen vergleichen.
Ein einziges Thier, aus einer Gattung, von wel-
cher es, wie wir eben ſehen werden, mehr als zwei-
felhaft iſt, ob ſie zu der einen oder der andern Reihe
muͤſſe geſtellt werden, naͤmlich aus der der Beutelthie-
re, iſt offenbar von ſehr altem Urſprung, und dieſes
hat unter andern mit den Tapiren und andren Ver-
wandten des Elephanten das damals ſehr heiß gelege-
ne Frankreich bewohnt. Waͤhrend ſo, von allen Ge-
ſchlechtern der Raubthiere, ſo wie von denen der Af-
fen, in der aͤltern Geſchichte der Erde keine Spuren
gefunden werden, zeigen ſich dagegen die Ueberreſte
von allen vollkommneren Pflanzenfreſſenden Thieren,
vornehmlich von einer Menge, zum Theil gaͤnzlich
ausgeſtorbener Gattungen der ſogenannten Pachyder-
men, wohin der Elephant ſammt dem Rhinoceros, ſo
wie alle Schweinartigen Thiere gehoͤren.
Außer dieſem, abgeſehen von der Geognoſie, de-
ren Ausſpruch hier allerdings von der hoͤchſten Bedeu-
tung iſt, verhalten ſich ſchon zoologiſch beyde Reihen
ganz verſchieden, und in einiger Hinſicht ganz entge-
gengeſetzt. Wir finden naͤmlich, um nur Eins
zu erwaͤhnen, daß die Zahl der Ruͤckenwirbel bey
den von Vegetabilien lebenden Saͤug thieren immer zu-
nimmt, je vollkommner die Organiſation der innern
Theile iſt, umgekehrt aber nimmt ſie bey den Raub-
thieren immer mehr ab, je vollkommener ſie ſind. So
finden ſich bey den meiſten Nagethieren, unter andern
bey den Haaſengeſchlechtern, wie bey vielen maͤuſearti-
gen Thieren, nur 12 Ruͤckenwirbel, bey andren Thie-
ren dieſer Abtheilung, wie bey dem zunaͤchſt angraͤn-
zenden wiederkaͤuenden Thieren, finden wir 13, bey
den ſchon vollkommner organiſirtem Schweine, und
einigen ſeiner Verwandten 14, endlich 18 bey dem
Zebra, 19 bey dem Rhinoceros, 20 bey dem noch
vollkommneren Tapir und Elephanten. Umgekehrt fin-
den wir bey allen Raubthieren von hoͤherer Vollkom-
menheit, bey dem Loͤwen, Tiger, ſo wie bey den an-
dern vornehmſten Katzengeſchlechtern, nicht minder bey
den vollkommenſten Geſchlechtern der Hundeartigen Thie-
re, nur 13 Wirbelbeine, waͤhrend die unvollkomme-
nen Raubthiere von dem Geſchlechte der Marder und
Fiſchottern, ſo wie die unvollkommenſten Gattungen
der Hunde und Baͤrenartigen Thiere 14—15 und 16
beſitzen. Zugleich nimmt bey den Pflanzenfreſſenden
Thieren der Darmkanal an Ausdehnung und Laͤnge im-
mer mehr zu, je vollkommner die Gattungen werden,
bey den Ranbthieren findet gerade das Umgekehrte
ſtatt. Der Menſch befindet ſich an dem Uebergange
beyder Reihen, wo beyde an ihrem hoͤchſten Gipfel
zuſammentreffen. Er hat nur 12 Ruͤckenwirbel, und
der Sprung von der bey dem Elephanten bemerkten
Zahl, zu dieſer geringen, waͤre zu groß, wenn nicht
ſehr deutlich ein Herabſinken jener Zahl durch Mittel-
glieder, von denen einige Geſchlechter nur noch aus
Verſteinerungen bekannt, andre wie wie hernach ſehen
werden, vielleicht noch vorhanden ſind, bemerkt
wuͤrde. Bey den meiſten und vollkommenſten Affen-
geſchlechtern, in denen, von dem gemeinſchaftlichen
Gipfel wieder abwaͤrts, die zweyte Reihe beginnt, fin-
det ſich dieſelbe Zahl wie bey dem Menſchen; wir ſe-
hen dieſe aber in dem boshaften und ungelehrigen Ge-
ſchlecht der Macaquen, wozu der haͤßliche chineſiſche
Affe gehoͤrt, noch weiter, bis auf 11 herunter ſinken,
waͤhrend ſie in andern Geſchlechtern, die zunaͤchſt an
die Raubthiere angraͤnzen, ſchon wieder auf 13 ſteigt.
So wird ſelbſt ſchon in dieſem an ſich unwichtig ſchei-
nenden Zahlenverhaͤltnis, das Daſeyn jener beyden Rei-
hen wenigſtens wahrſcheinlich, es wird daſſelbe aber
ganz gewiß und klar, wenn wir die Verwandtſchaften
der verſchiedenen Geſchlechter unter einander, die
Uebergaͤnge und das allmaͤlige Aufwaͤrtsſteigen derſelben
betrachten.
Bekanntlich graͤnzt in ſeinem innren und aͤußren
Bau unter allen Voͤgeln der Strauß zunaͤchſt an die
Saͤugethiere an, und es kommen ihm hierinnen, wie
wir hernach ſehen werden, nur einige Waſſervoͤgel
gleich, bey denen ſich jedoch dieſe Annaͤherung auf ei-
ne ganz andere Weiſe aͤußert. Es giebt unter den
Saͤugethieren einige Geſchlechter, die in ihrer Geſtalt
wie zum Theil noch im innren Bau, eine auffallende
Aehnlichkeit mit dem Strauße haben, auf welche Aehn-
lichkeit ſchon von Anderen aufmerkſam gemacht iſt.
Sie gehoͤren, wenigſtens hat man ſie bisher dahin gerech-
net, zu den merkwuͤrdigen Geſchlechtern der Beutel-
thiere, mit denen ſie jedoch nur durch das Organ,
wornach dieſe ganze Abtheilung genannt iſt, uͤberein-
ſtimmen, anderwaͤrts aber ganz abweichen. Vorzuͤg-
lich ſind es die Phalangiſten, wozu der Coscoes von
Amboina gehoͤrt, und die Neuhollaͤndiſchen Kaͤnguruhs,
welche dieſe Aehnlichkeit zeigen. Eine Uebereinſtim-
mung, welche von viel tieferer Bedeutung iſt, als auf
den erſten Anblick ſcheint, naͤhert dieſe Thiere dem
Strauß und den ihm naheſtehenden Voͤgelgeſchlechtern
noch mehr. Waͤhrend naͤmlich bey den meiſten Voͤgeln
die Jungen nach dem Ausbruͤten zuerſt nackt und huͤlf-
los erſcheinen, und einer langen Vorſorge der Alten
beduͤrfen, ſehen wir die Jungen der vollkommner orga-
niſirten Voͤgel von dem Geſchlecht der Huͤner, und dem
zunaͤchſt angraͤnzendem der Straußen, ſogleich vollkom-
men ausgebildet, faͤhig ſich ſelbſt, unter der Anfuͤhrung
der Mutter die Nahrung zu ſuchen, aus dem Ey her-
vorgehen, und das muͤtterliche Neſt verlaſſen. Es iſt
nun nur noch ein Schritt bis dahin, wo auch die Noth-
wendigkeit des Bruͤtens allmaͤlig verſchwindet, und die
Jungen ſogleich lebend, nicht mehr als Ey gebohren
werden. Noch graͤnzt aber der nur halb vollendete,
unreife Zuſtand, in welchem die Jungen der Phalan-
giſten und Kaͤnguruhs auf die Welt kommen, zunaͤchſt
an jenen der in Eyern eingeſchloſſenen, und des Aus-
bruͤtens beduͤrftigen, an. Ungeſtaltet und uͤberaus
klein gebohren, kaum noch mit Spuren der Vorder-
und Hinterfuͤße, und hierinnen faſt in jenem Zuſtand,
in welchem das junge Huͤhnchen im Ey am vierten
Tage des Bruͤtens iſt, werden die Neugebohrnen von
der Mutter in jene haͤutige Taſche, darinnen ſich die
Bruͤſte befinden, gelegt, worinnen ſie zugleich ausge-
bruͤtet und ernaͤhrt werden. Endlich faͤllt bey voll-
kommneren Saͤugethieren, dieſer dem Ausbruͤten der
Voͤgel in etwas aͤhnliche Mittelzuſtand der Jungen,
allmaͤlig hinweg; die der zunaͤchſt angraͤnzenden Ge-
ſchlechter, werden zwar noch blind und zum Laufen
noch unfaͤhig gebohren, doch zeigen ſich ſchon alle Thei-
le vollkommen entwickelt.
So beduͤrfen die Jungen der meiſten Voͤgel, nach-
dem ſie als Eyer gebohren worden, nicht blos des Aus-
bruͤtens, ſondern auch nach demſelben noch, erſchei-
nen ſie unvollkommen entwicklet und der aͤußern Pfle-
ge beduͤrftig. Bey den Huͤnern und Straußenartigen
Voͤgeln, wird das Junge zwar auch noch als Ey, und
ohne Spuren des innern Lebens gebohren, doch zeigt
ſich daſſelbe, unmittelbar nach dem Ausbruͤten, voll-
kommen entwicklet, und ſeiner ſelber maͤchtig. End-
lich graͤnzen hieran Thiere, deren Junge ſchon mit al-
len Zeichen des Lebens, nicht mehr als Ey gebohren
werden, aber nur noch zum Theil ausgebildet ſind,
waͤhrend von Stufe zu Stufe immer mehr die Thiere
nicht blos lebendig, ſondern auch vollkommen entwick-
let zur Welt kommen.
Von den Geſchlechtern der Phalangiſten und Kaͤn-
guruhs finden wir einen deutlichen Uebergang zu den
Nagethieren. Der gelblich weiſe Coscoes von Amboi-
na hat die Groͤße eines Pferdes, das große Kaͤngu-
ruh, das ſchon in ſeinen ungemein langen Hinter-
fuͤßen, die ihm allein zum Laufen dienen, waͤhrend
die muͤßig herabhaͤngenden kleinen Vorderfuͤße, hier-
bey eben ſo unthaͤtig ſind, wie die kleinen Fluͤgel beym
Strauße, den Anſtand dieſes zunaͤchſt angraͤnzenden
Vogels nachahmt, uͤbertrifft oͤfters noch den Strauß
an Hoͤhe. Die uͤbrigen Geſchlechter der Phalangiſten
und Kaͤnguruhs, von denen erſt vor kurzem einige
neue entdeckt wurden, ſind kleiner. Einige von ihnen
naͤhern ſich auch noch dadurch den Voͤgeln, daß ſie
durch die lange Haut, welche, wie bey den Fleder-
maͤuſen von den vordern und hintern Fuͤßen ausge-
ſpannt iſt, noch vom Baum zu Baum zu flattern ver-
moͤgen. So der fliegende Phalangiſt des Cuvier. Ei-
nige kleinere Geſchlechter der Kaͤnguruhs, unter an-
dern das bekannte Potoru, ſind nur wenig groͤßer als
eine Ratte, und naͤhern ſich auch ſchon im Bau und
Zahl der Zaͤhne, ſo wie in der aͤußern Geſtalt, den Na-
gethieren. Aus dieſer Thierabtheilung graͤnzen zunaͤchſt
die maͤnſeartigen Nagethiere an. Viele von ihnen ſind
bekanntlich zum Fliegen oder wenigſtens zum Flattern
faͤhig, doch gehoͤren wahrſcheinlich von ihnen zu der
erſten Reihe nur die Fledermaͤuſe im engſten Sinne,
das heißt, die außer der Flughaut gaͤnzlich den maͤuſe-
artigen Thieren gleichen, waͤhrend die groͤßeren und
anders geſtalteten Fledermaͤuſe an die Glieder der 2ten
Reihe, wo dieſe ſich der Klaſſe der Voͤgel naͤhert, an-
ſchließen. Es gehen jene Geſchlechter durch die der
Eichhoͤrnchen, unter denen es noch ein fliegendes giebt,
wie es ſcheint, in die der Cabiais, endlich in die der
Haaſen uͤber, aus welchen ein Uebergang zu den wie-
derkaͤuenden Thieren gefunden wird. Nicht allein die
kleinen Geweihe, die man zuweilen, wenn auch nur
in ſeltenen und abnormen Faͤllen, an dem Kopf der
Haaſen gefunden hat, ſondern andre Verhaͤltniſſe im
Bau, naͤhern die Geſchlechter der Haaſen einigen Ar-
ten von wiederkaͤuenden Thieren, und zwar ſind die,
welche zunaͤchſt angraͤnzen, die Moſchusthiere. Kaum
von der Groͤße eines Haaſen, mit hervorſtehenden
Hundezaͤhnen, noch ohne Geweih, erſcheint dieſes Ge-
ſchlecht zuerſt in dem kleinen indiſchen Memina, dann
im eigentlichen Moſchusthier. Die Uebergaͤnge in die
Geſchlechter der Hirſche, Giraffen, Antilopen, Zie-
gen und Stiere, liegen dem Auge ſehr nahe. Nicht
minder deutlich iſt der Uebergang von den wiederkaͤuen-
den Thieren zu den Schweineartigen, und nicht allein
der Hirſcheber naͤhert ſich an Geſtalt den Hirfchen,
ſondern das merkwuͤrdige Schwein Tajaſſu, hat ſchon
den innren Bau des Magens, welcher aus mehreren
Abtheilungen beſteht, mit dem einiger wiederkaͤuenden
Thiere, die bekanntlich 4 Maͤgen beſitzen, gemein.
Der Elephant iſt in der Abtheilung der Saͤugethiere,
welche mit den Schweineartigen beginnt, der hoͤchſte
Gipfel. Es treten nun in dem Verlauf der Reihe, die
untergegangenen Geſchlechter der Palaͤotherien und
Anoplotherien ein, von denen Cuvier viele Arten unter
den Verſteinerungen von Montmartre entdeckt hat, doch
iſt es von den erſteren wahrſcheinlich, daß ſie zwiſchen
Rhinoceros und Tapir geſtanden haben. Durch ein
nicht minder verlohren gegangenes Geſchlecht, je-
nes Rieſenthier, das Cuvier Megatherium nennt, und
das in ſeinem Bau von allen jetzt vorhandenen Thier-
gattungen ungemein weit abweicht, ſieht man in vie-
len der erwaͤhnten Verhaͤltniſſe, ein Weiterſchreiten
der Reihe. Dieſes Thiergeſchlecht, von welchem die
Ueberreſte mehrerer Arten vorhanden ſind, iſt ſeinem
ganzen Bau nach nicht minder ungeſchickt zum Gehen
geweſen als das Faulthier, und bey der Groͤße ſeines
Koͤrpers, welche die natuͤrliche Beſchwerde noch ver-
mehren mußte, iſt es von der Natur auf einen engen
Raum, auf oas Thal oder den Sumpf, in welchen
es gebohren worden, beſchraͤnkt geweſen. Es giebt
uns die ganze merkwuͤrdige Familie der Faulthierartigen
Geſchlechter, von welcher alle, bis auf einige wenige
untergegangen ſind, ein Beyſpiel von einem nach einer
Seite uͤber die Graͤnze hinausgehenden, und darum
mislingenden Streben der bildenden Natur. Die gan-
ze Lebenskraft ſcheint ſich in den zuletzt aus der erſten
Reihe hervorgehenden Geſchlechtern, mehr nach innen
zuruͤckzuziehen, die Thaͤtigkeit nach außen nimmt ab,
ja wie wir nachher ſehen werden, verſchwinden zuletzt
ſelbſt die zu dieſer Thaͤtigkeit noͤthigen Glieder. Die
Natur bereitet ſich, gleichſam tief in ſich gekehrt, zu
ihrem letzten, hoͤchſten Werke vor, damit aber uͤber-
haupt dieſer neue Schritt moͤglich werde, muß ſie in
das Element, aus welchem Alles hervorgegangen, zu-
ruͤckkehren. Die Graͤnze der auf dem Lande lebenden
Thiere der erſten Reihe, ſcheint in den Elephantenarti-
gen, von da ſchließt ſie an die Cetaceen an. Dagegen
hat die Natur in den Faulthierartigen Geſchlechtern, die
erſte Reihe nach der einen Seite hin noch fortzufuͤhren
geſucht, und wir ſehen in dieſen z. B. die Zahl der
Ruͤckenwirbel auf 23 ſteigen. Es ſtrebt der Bildungs-
trieb der Erde, ohne erſt in das Meer und die alte In-
differenz der Geſtaltungen zuruͤckzukehren, gleich in der
Richtung der erſten Reihe das hoͤchſte Ziel — den
Menſchen zu erreichen. Vergeblich, ſie bringt es mit
ihrer letzten Anſtrengung nur zur Affenaͤhnlichkeit (in
den noch jetzt lebenden Faulthieren) und die Glieder, die
ſie dem hoͤheren Geſetz entgegen hartnaͤckig behauptete,
find dieſen armſeeligen Thieren voͤllig unbrauchbar.
Bis zuletzt in dieſen Geſchlechtern, jener falſche Bil-
dungstrieb der Natur, der ſich auf dem Lande, und
in der einmal eingeſchlagenen Richtung behaupten wol-
len, kraftlos, in zwergartigen, gleich mit der Kraft-
loſigkeit der Greiſe gebohrenen Weſen erliſcht.
Dieſes Beyſpiel eines ſolchen einſeitigen, und des-
halb verungluͤckten Strebens der bildenden Natur, iſt
nicht einzig. Wir ſehen nach mehreren Richtungen hin
die Natur einſeitig von dem allgemeinen Geſetz ihrer
Bildungen abweichen, und ſtatt aufwaͤrts zu ſteigen,
ſich allezeit in unvollkommnere Formen verirren. Eigent-
lich iſt die ganze zweyte Reihe der Saͤugethiere, die
der Raubthiere, ein ſolcher Abweg *) wie ſich an ei-
nem andern Ort deutlicher zeigen wird, und im Gan-
zen genommen eben ſo ſehr nur das Einzelne angehend,
als alle ſolche Abweichungen (man denke nur an die
ungeheure Zahl der Geſchlechter ſowohl als Individuen
in der erſten Reihe, an die geringe Zahl in der zwey-
ten.) Eigentlich iſt die Schoͤpfung der Lebendigen mit
dem Menſchen geſchloſſen, doch gehoͤrt dieſes zweyle-
bige Weſen der Erde kaum noch halb an. Es verſucht
nun aber auch die Erde (gleichſam ohne jene hoͤhere
Beyhuͤlfe, die ihr bey der Schoͤpfung des Menſchen
noͤthig war, durch ihre eignen Kraͤfte) die einmal ſo weit
gerathene Schoͤpfung immer weiter (einſeitig) fortzu-
fuͤhren. Doch das an dem Gipfel der erſten Reihe
voruͤbergegangene Ideal war uͤber die Natur des Pla-
neten erhaben. Es gelingen nur Affen ſtatt der Ge-
ſtalt des Menſchen, und auch von dieſen muß der in-
nere noch in ſeiner Einſeitigkeit beharrende Bildungs-
trieb immer tiefer herab ſinken.
Die Geſchlechter der Meerthiere von den Verwand-
ten des Seehundes ſcheinen ein aͤhnlicher Abweg von
den Formen der Cetaceen aus, wenn ſie nicht ganz in
die zweyte Reihe gehoͤren. Ueberhaupt ſcheinen die
haͤufigen Verwandtſchaften, und vielleicht ſelbſt Ueber-
gaͤnge die ſich bey vielen Geſchlechtern der erſten Reihe
in ſolche der zweyten (beſonders in den niedern Klaſſen)
finden, haͤufig durch eine ſolche Verirrung entſtanden.
Vielleicht daß ſo angeſehen einige Glieder noch in die
erſte Reihe (als Ausartungen) heruͤber gehoͤren, die
wir hernach in die zweyte aufnehmen werden. Solche
Uebergaͤnge machen vornehmlich die Rattenartigen und
Nagethiere und ſie finden ſich am haͤufigſten gleich beym
Beginnen der Saͤugethiere, in der Naͤhe der Klaſſe der
Voͤgel, mithin in den zweydeutigen Fledermausge-
ſchlechtern, und ihren ungefluͤgelten Verwandten.
So ſcheint denn, wie oben erwaͤhnt, das Stre-
ben der bildenden Natur, welches die erſte Reihe in
ihrer Aufeinanderfolge hervorgerufen, in den letzten
Geſchlechtern allmaͤlig zu ermatten, und was ſich in den
vorhergehenden Geſchlechtern jugendlich und kraͤftig
in raſchen Bewegungen geregt, iſt hier zu der Gebrech-
lichkeit und Traͤgheit des ſpaͤten Alters herabgeſunken.
Die Natur muß ſich nach einem neuen und hoͤheren
Ideal umſehen, welches die ſchon erſtorbene Gluth
von neuem anfacht, und die verlohrene Jugend hoͤher
und kraͤftiger zuruͤckgiebt. Endlich tritt der Menſch
auf, und es erringt mit ihm die Natur das hoͤhere Gei-
ſterreich. Hoͤheres vermag ſie nun nichts mehr, es
ſinkt die bildende Kraft von dem Gipfel den ſie errun-
gen, wieder abwaͤrts, und wir ſehen hernach nicht
minder eine abwaͤrts ſinkende Thierreihe, wie wir eine
aufſteigende geſehen.
Ehe wir aber zu den Gliedern der zweyten Reihe
uͤbergehen, iſt es noͤthig, eines aͤußerſt problemati-
ſchen Umſtandes bey der erſten zu gedenken, den wir
ſchon oben beruͤhrt haben.
Schon die zuletzt erwaͤhnten Glieder der erſten
Reihe, faſſen lauter ſolche Thiere in ſich, welche
Suͤmpfe und waſſerreiche Gegenden lieben. Alle
Schweineartigen, alle dem Elephanten verwandten Ge-
ſchlechter zeigen dieſe Neigung zu feuchten Plaͤtzen. End-
lich findet ſich in dem dem Tapir und den Geſchlechtern
der Elephantenartigen Thiere ungemein nahe verwand-
ten Flußpferd oder Hippopotamus ein Thier, welches faſt
ſchon ganz im Waſſer lebt. Schon verkuͤrzen ſich die
Vorder- und Hinterfuͤße ſo ſehr, daß der Leib beym Ge-
hen an der Erde ſtreift, die ganze Geſtalt iſt geſchick-
ter zum Schwimmen als zum Gehen. An dieſe jetzt
blos in Afrika lebende Thierart, graͤnzen nun unmit-
telbar die indiſchen und amerikaniſchen Geſchlechter der
Seekuͤhe, vornehmlich die der Duͤgongs und Lamanti-
ne an. Das zuletzt genannte ſinnreiche Thier, das
blos von Pflanzen lebt, und oft am Ufer weidet,
liebt die Geſellſchaft der Menſchen und die Muſik in ei-
nem hohen Grade, und die Amerikaner gewoͤhnen es
ſehr leicht an ſich.
Schon ſind in dieſen Thierarten die Hinterfuͤße
gaͤnzlich verſchwunden, welche mit dem fiſchartigen
Schwanz des nach hinten ſpitzig zulaufenden Leibes,
unter der Haut zu einem Stuͤck verwachſen ſind. Es
ſchließen ſich nun unmittelbar die Cetaceen oder Wall-
fiſchartigen Thiere an, welche keine Spur der Hinter-
fuͤße mehr zeigen.
Bekanntlich gehoͤren nicht allein die Wallfiſche und
Cachelotten, ſondern auch die Delphine und Narwhals
zu jenen im Waſſer lebenden warmbluͤtigen Thieren,
welche lebendige Junge gebaͤhren, die ſie an ihren Bruͤ-
ſten groß ſaͤugen, und welche ſonſt im ganzen Bau mit
den vollkommenſten Saͤugethieren uͤbereinſtimmen.
Der Wallfiſch iſt noch immer nicht hinlaͤnglich anato-
miſch unterſucht, dagegen hat die Zergliederung bey
dem Delphin, einige der merkwuͤrdigſten Thatſachen
der Zoologie entdeckt.
Dieſes ſinnreiche Thier, deſſen beſtaͤndige Liebe zu
dem Menſchen und zur Muſik, ſchon von den Alten
geprieſen war, geſellt ſich wirklich im Meere immer zu
den Schiffen, und das vom feſten Lande verbannte
Geſchlecht ſcheint ſich in ſeiner oͤden nur von einer un-
vollkommenen Natur bewohnten Heimath, der Naͤhe
des Menſchen vor allen andern Thieren zu freuen.
Im Bau ſeines Gehirns zeigt ſich dieſes Thier dem
Menſchen naͤher verwandt als alle andre Thiere, naͤ-
her als der Elephant und die Affen. Wenigſtens zeigt
ſich dieſe nahe Verwandſchaft in einigen Hauptzuͤgen.
Waͤhrend naͤmlich bey den unvollkommneren Thieren, die
Form des Gehirns mehr in die Laͤnge, von vorne nach
hinten gedehnt erſcheint, waͤhrend der hintere Abſchnitt
des großen Gehirns bey den meiſten ganz verſchwindet,
und das kleine Gehirn unmittelbar nach dem Hinweg-
nehmen des Schedels ſichtbar wird, findet ſich bey
dem Menſchen eine vollkommnere Entwicklung nach den
beyden Seiten (der Durchmeſſer nach dieſen, nimmt im
Ganzen und in den einzelnen Theilen zu) und das kleine
Gehirn zeigt ſich voͤllig von den Fortſaͤtzen des großen
nach hinten bedeckt. Bey dem Delphin hat die Aus-
bildung des Gehirns nach beyden Seiten den hoͤchſten
Gipfel erreicht, und nicht minder findet ſich, wie bey
dem Menſchen, das kleine Gehirn von den Fortſaͤtzen
des großen bedeckt. Ferner ſind es die tieferen und
zahlreicheren Windungen, welche das Gehirn des Men-
ſchen ſchon aͤußerlich vor dem aller andern Thiere aus-
zeichnen. Schon die Affen haben bey weitem weniger
Windungen, die hintern Theile des Gehirns bey den
meiſten gar keine. Ja man hat bey dem Gehirn der
verſchiednen Menſchen ſelber, je nachdem es von mehr
oder minder geiſtreichen Menſchen war, mehrere oder
mindere Windungen gefunden, und die Bloͤdſinnigen
zeigten an ihrem Gehirn die wenigſten und flaͤchſten.
Deshalb iſt es hoͤchſt merkwuͤrdig, daß gerade an dem
Gehirn des Delphins, und wahrſcheinlich an dem der mei-
ſten andern Cetaceen, eine ſo große Menge und ſo tiefe
Windungen beobachtet werden. Man kann dieſe und
andre Eigenſchaften, welche das Gehirn des Delphins
auszeichnen, in Cuviers vergleichender Anatomie nach-
leſen.
Es erhaͤlt, wenn wir jene natuͤrliche Beſchaffen-
heit vorausſenden, eine andre Thatſache, welche Au-
tenrieth in ſeiner Phyſiologie erzaͤhlt, eine um ſo tiefe-
re Bedeutung. Der ſterbende Delphin ſoll ſeine Jaͤ-
ger, in deren Naͤhe ihn ein unwiderſtehlicher Natur-
trieb gefuͤhrt, und an welche ihn ſeine eigne Zunei-
gung verrathen, mit einem Blicke anſehen, in welchem
ſich der Schmerz und gleichſam ein ſanfter Vorwurf
oder ein Flehen um Mitleid ſo tief ausdruͤcken, als
in dem menſchlichen, und in welchem durchaus keine
Spur des Thieriſchen iſt. Es hat dieſer tiefe, ſinnige
Blick, den man ſonſt noch an keinem Thiere ſo deutlich
bemerkt hat, viele Beobachter in Staunen geſetzt, da
man ihn am wenigſten bey einem Weſen erwartet, das
die Natur der beſchraͤnkteſten haͤßlichſten Thierklaſſe, den
Fiſchen, aͤußerlich aͤhnlich gemacht hat. Vielleicht
daͤmmert auch hier, in der Natur des ſterbenden Thie-
res der erſte Strahl eines Bewußtſeyns, und die Vor-
ahndung eines kuͤnftigen hoͤheren, — des menſchlichen
Lebens.
Bey den Alten war der Delphin heilig, und noch
iſt er es bey einigen heydniſchen Kuͤſtenvoͤlkern der alten
Welt.
Jener Uebergang der Elephantenartigen Thiere,
durch das Flußpferd und die Lamantine in die Ge-
ſchlechter der Cetaceen, von denen noch einige, die
Narwhalls naͤmlich, das Hervorſtehen der Eckzaͤhne,
die von einer dauerhafteren Maſſe ſind als das Elfen-
bein, jenen vollkommenſten Landthieren aͤhnlicher macht,
der hoͤchſt merkwuͤrdige, Menſchenaͤhnliche Bau des
Gehirns, andrer Uebereinſtimmungen der innren Thei-
le gar nicht zu gedenken, laſſen uns die Cetaceen als
eine merkwuͤrdigere Abtheilung der Saͤugethiere betrach-
ten, als ſie gewoͤhnlich ſcheinen. Vielleicht daß auch
hier, wie in andern Thierklaſſen, die Natur, ehe ſie
ihr hoͤchſtes Werk beginnt, einer Wiedergeburt aus dem
Element, aus welchem im Anfang Alles ward, be-
darf. Doch will ich mich aller weiteren Folgerungen
uͤber dieſe Thatſachen enthalten, da das, was die
Zoologie vielleicht in wenig Jahren unwiderſprechlich
wird beweiſen koͤnnen, jetzt allerdings paradox und laͤ-
cherlich erſcheinen muß.
Wenn auch die letzten Glieder, welche zwiſchen
den Elephantenartigen Thieren und dem Menſchen mit-
ten innen liegen, etwas dunkel ſind, es ſey nun daß
einige durch voruͤbergegangene Naturrevolutionen, ſo
wie die oben genannten Geſchlechter, untergegangen
ſind, oder daß wirklich erſt noch ein Uebergang in die
Cetaceen noͤthig iſt; ſo iſt doch die zweyte Reihe von ih-
rem Beginnen, bis zu den letzten Gliedern, durchaus
deutlich und verſtaͤndlich. Sie ſcheint, wie ſchon er-
waͤhnt, ſpaͤter entſtanden, als die erſte, und wir ver-
miſſen nirgends ein vielleicht verlohren gegangenes Glied
in ihr, wie in der erſten. Die Geſchlechter der Affen
bilden die erſten zunaͤchſt an den gemeinſchaftlichen Gi-
pfel angraͤnzenden Glieder der zweyten Reihe. Die
Natur vermag in ihnen ihrem hoͤchſten Werk nur noch
nachzuahmen, und wie die einzelnen Fluthen, nachdem
ſie erſt allmaͤlig ſtiegen, dann wieder ſchneller abnah-
men, nimmt die Vollkommenheit ihrer Gebilde, nach-
dem ſie von den tieferen Stufen bis zu der hoͤchſten ge-
ſtiegen, ſchneller wieder ab als ſie gewachſen. Von
einigen Affengeſchlechtern findet ſich der Uebergang in
die Hundeartigen Thiere, von andern in die Katzenar-
tigen. An die zuerſt genannten ſchließen ſich die Baͤ-
ren an, die ſchon durch das Geſchlecht der Mangu-
ſten, oder Ichneumons, welches Cuvier aus Gruͤn-
den unter die Verwandten des Baͤrengeſchlechtes ſtellt,
einen Uebergang zu den Mardern und Fiſchottern ma-
chen. Gegen das Ende der Reihe erſcheinen wieder
jene Arten von Beutelratten, welche deutlich zu den
Raubthieren gezaͤhlt werden muͤſſen, wie auch am An-
fange der erſten Reihe Thiere von der Verwandſchaft
der Beutelthiere, jedoch von Pflanzen lebend, erſchie-
nen. Einige von ihnen, unter dem Nahmen der flie-
genden Katzen bekannt, ſind mit Flughaͤuten verſehen.
Es ſchließen ſich von einer andern Seite wieder in ge-
wiſſer Hinſicht faſt den Maͤuſeartigen aͤhnliche Ge-
ſchlechter an, meiſt groͤßer von Koͤrper als die der er-
ſten Reihe, und die groͤßten von ihnen gehoͤren als
Vampire, Phylloſtomen und Rhinolophen zu den Fle-
dermaͤuſen. So kuͤndigt ſich von dieſer Seite die aber-
malige Naͤhe der Klaſſe der Voͤgel, durch die Eigen-
ſchaft des Fliegens an. Von der andern Seite machen
aber den Beſchluß der zweyten Reihe, jene Raubthie-
re, die man ihres langgedehnten Koͤrpers wegen,
Wurmfoͤrmige genannt hat. Es gehoͤren dahin die
Geſchlechter der Wieſel, Marder, Iltiſſe und Fiſch-
ottern. Aus dieſen findet ſich endlich in dem merk-
wuͤrdigen Schnabelthier, das ſeinem Entenſchnabel
und dem Bau der Fuͤße nach, ſo wie durch den Nath-
loſen Schedel, und durch die knoͤcherne Scheidewand
zwiſchen beyden Hirnhaͤlften, ſchon den Waſſervoͤgeln,
ſonſt aber den Fiſchottern oder aͤhnlichen Thieren gleicht,
ein deutlicher Uebergang aus den vierfuͤßigen Thieren
zu den Waſſervoͤgeln. So graͤnzt die Klaſſe der Saͤu-
gethiere zweymal an die der Voͤgel an, einmal durch
die Kaͤnguruhs und Phalangiſten an die Straußenar-
tigen, ein andresmal durch das Schnabelthier an die
Waſſervoͤgel. Ein bemerkenswuͤrdiger Umſtand ſcheint
es, daß dieſe beyden von ſo verſchiednen Seiten an ei-
ne andre Klaſſe anſchließenden Thiergeſchlechter, davon
das eine aus einer Menge verſchiedner Arten beſteht,
beyde blos in Neuholland und den benachbarten Welt-
gegenden gefunden werden, und dieſer auch in andrer
Hinſicht merkwuͤrdige Welttheil, den ſeine Lage durch
weite Meere von beyden Continenten trennt, ſo daß
keine Einwandrung fremder Thiergattungen moͤglich
war, bildet durch ſeine einfoͤrmige Thierwelt die Ver-
einigung zwiſchen den Voͤgeln und Saͤugethieren, und
lehrt zugleich, daß bedeutende Erdſtrecken, wenn ſie
von andern voͤllig abgeſchnitten ſind, in den Thierge-
ſchlechtern die ſie bewohnen jene Mannigfaltigkeit der
Bildungen und Kraͤfte nicht zeigen, welche durch die
Einmiſchung fremder Gattungen moͤglich wird.
Auch Frankreich, und ein geringer Theil des an-
graͤnzenden Landes, hat, wie Cuvier bemerkt, in je-
nen Zeiten, wo die Thiere lebten, deren Reſte jetzt in
den Gipsbruͤchen zu Montmartre gefunden werden,
eine eben ſo einfoͤrmige Thierwelt gehabt, als Neuhol-
land, und die 20 oder 30 jetzt untergegangenen Thier-
arten von den obengenannten Geſchlechtern, waren ſich
alle in ihrer Bildung und in der Stufe die ſie in der
Thierreihe einnahmen, ſo aͤhnlich, wie die verſchiede-
nen Arten der Kaͤnguruhs und Phalangiſten von Neu-
holland. Alle ſtunden an der Graͤnze jener bedeuten-
den Kluft, die zwiſchen den Elephantenartigen Thie-
ren und dem Menſchen iſt.
Auch bey den Voͤgeln ließen ſich jene merkwuͤrdigen
zwey Reihen, mit leichter Muͤhe nachweiſen. Nur
zeigen jene beyden Enden, womit ſie an die Saͤugethie-
re angraͤnzen, auf gleiche Weiſe eine dieſer hoͤheren
Thierklaſſe aͤhnliche, und hiermit nach dem gewoͤhnli-
chen Maasſtab vollkommnere Organiſation. Man
koͤnnte ſomit verſucht werden, zwey Gipfel der Aus-
bildung anzunehmen. Die Zahl der Halswirbel (denn
dieſe druͤckt hier das Verhaͤltnis der beyden Reihen am
leichteſten aus) waͤchſt in der einen Reihe von den un-
terſten Gliedern bis zum Strauß, von 11 bis auf 18,
waͤhrend ſie in der andern, von einem der vollkommen-
ſten Waſſervoͤgel, dem Schwan, bis zu dem letzten
Glied dieſer Reihe, das in die Amphibien uͤbergeht,
von 23 bis auf 9 herabſinkt.
Die obige Aufſtellung jener beyden Reihen bey den
Saͤugethieren, wird aber fuͤr unſern diesmaligen Zweck
ſchon hinreichen, beſonders da ſich eine Gelegenheit
finden wird, dieſen Gegenſtand der fuͤr die ganze Zoo-
logie ohnſtreitig ſehr wichtig und bisher noch ſehr im
Dunkeln geblieben iſt, etwas ausfuͤhrlicher zu be-
handeln.
Wir finden zuerſt, wenn wir nun den Hauptcha-
rakter der beyden Reihen betrachten, daß die Geſchlech-
ter der erſten eine auffallend viel groͤßere Koͤrpermaſſe
vor denen der andern auszeichnet. Die groͤßten Thie-
re der zweyten Reihe ſind der Eisbaͤr und der große
bengaliſche Tieger, waͤhrend ſich die koͤrperliche Groͤße
in der erſten Reihe, nachdem ſchon fruͤher die Geſchlech-
ter der Stiere und des Roſſes, das Kameel und die
Giraffen, ja gleich beym Beginnen das Rieſenhafte
Kaͤnguruh, das zuweilen gegen 10 Fuß Hoͤhe hat,
aufgetreten, noch bis zu dem Elephanten, ja bis zu
dem groͤßten bekannten Thier der Erde, (wenn wir den
fabelhaften Kraken ausnehmen) zum Wallfiſch erhebt.
Die Glieder der erſten Reihe leben, wie ſchon erwaͤhnt,
faſt blos von Pflanzen, und nur einige Geſchlechter
an beyden Graͤnzen, davon die einen an die Klaſſen
der Voͤgel angraͤnzen, die andern nach dem Ende der
erſten Reihe hinſtehen, naͤhren ſich, jene von Inſekten,
dieſe von kleinen Meerthieren. Der große Wallfiſch
ſelber begnuͤgt ſich, eine in den nordiſchen Meere un-
gemein haͤufige Schaalenloſe Molluske, die Clio borea-
lis zur Nahrung zu nehmen. Dagegen ſind die Ge-
ſchlechter der zweyten Reihe, welche gleichſam eine
zweyte neue Thierwelt mitten in der alten iſt, und das
ſchon vorhergegangene Thierreich eben ſo zu ſeiner Ba-
ſis hat, als die erſte Reihe die Vegetation, eben ſo
durchgaͤngig fleiſchfreſſende.
Bey den Gliedern der erſten Reihe finden wir im
Verhaͤltniß zu ihrer bedeutenden Koͤrpergroͤße, ein nur
ſchwaches Muskelſyſtem, waͤhrend die Muskeln bey
den Geſchlechten der zweyten, im Verhaͤltniß zu der
viel geringeren Koͤrpergroͤße, zum Theil ganz vorzuͤg-
lich ſtark find. Ein viermal ſo kleines Raubthier be-
zwingt und toͤdtet oͤfters ein Pflanzenfreſſendes, das
gegen ihm ein Rieſe ſcheint. Dagegen ſind die von
Vegetabilien lebenden Thiere im Durchſchnitt ſinnvol-
ler, gelehriger und kluͤger.
Die aͤußren Sinnen nehmen in der erſten Reihe,
gegen den Gipfel hin, an Schaͤrfe ab, die Bewegun-
gen werden langſamer oder doch durch den ſchwerfalli-
gen Bau des Koͤrpers gehinderter, waͤhrend ſich die
Geſchlechter der zweyten Reihe durch eine muntre un-
ermuͤdete Beweglichkeit, Leichtigkeit und Schnelle aus-
zeichnen.
So ſcheint es ein allgemeines Naturgeſetz, dem
wir in der Geſchichte alles Irdiſchen von neuem wie-
der begegnen, daß die Weſen von einer groͤßeren Ab-
haͤngigkeit von dem Planeten, von einer innigeren Ein-
heit mit demſelben ausgehen muͤſſen, ehe ſie, wie
nachher auf einer zweyten Stufe geſchicht, von jener
Abhaͤngigkeit zur Selbſtſtaͤndigkeit, und zu einem ei-
genthuͤmlichen Daſeyn gelangen. Die Schieferartig
geſchichteten Gebirgsarten, welche in der erſten Haͤlf-
te der Urzeit ſo haͤufig ſind, zeigen den großen und
faſt ausſchließenden Einfluß der Schwere auf die Bil-
dung derſelben, waͤhrend ſich erſt in der zweyten Haͤlf-
te der Urzeit die Gebirge zu etwas freyeren und ſelbſt-
ſtaͤndigeren Formen erheben, uͤberhaupt aber in der juͤng-
ſten Hauptperiode, in der der Floͤzzeit, dieſe freyeren
und kuͤhneren Formen am haͤufigſten werden. So
zeichnet auch die Pflanzenwelt im Ganzen vor dem
Thierreich ihre Abhaͤngigkeit von dem Planeten,
und die Einheit mit demſelben aus. Erſt das
Thier wird vom Boden frey und ſelbſtſtaͤndig be-
weglich, waͤhrend die Pflanze gleichſam nur noch ein
Theil des Bodens iſt, in welchem ſie wurzelt. Es
geht alſo auch in der organiſchen Welt jener paſſivere
Zuſtand, wo das Einzelne nur noch in unmittelbarer
Vereinigung mit ſeinem Ganzen beſteht, jenem vor-
aus, wo das Einzelne ein Ganzes in ſich, und unab-
haͤngig wird. Endlich haben wir im Thierreich, und
zwar vorzuͤglich in der Klaſſe der Saͤugethiere ſowohl
der Zeit nach als dem Gange der allmaͤligen Ausbil-
dung der Formen, eine Reihe vorausgehen ſehen, wo
die Geſchlechter durch ihre groͤßere Koͤrpermaſſe und
Schwerfaͤlligkeit, durch die Langſamkeit ihrer Bewe-
gungen, ja wie zum Beyſpiel die untergegangenen Rie-
ſenthiere von dem Bau der Faulthiere, durch die Un-
faͤhigkeit zum eigentlichen Gehen, ſtatt deſſen nur ein
muͤhſames Kriechen moͤglich war, von dem Boden ab-
haͤngiger, der allgemeinen Schwere mehr unterworfen
waren, welches ſich auch in dem durchgaͤngig paſſiven
Weſen und in der Pflanzennahrung ausſpricht. Erſt
in der zweyten Reihe zeigt ſich der thieriſche Charakter
freyer und ſelbſtſtaͤndiger entwicklet. Darum iſt es je-
nem allgemeinen Naturgeſetz gemaͤß, daß auch in der
Geſchichte des Menſchen zuerſt eine lange Periode der
Hingebung und der Abhaͤngigkeit von der aͤußren Na-
tur, jener der Freyheit und Selbſtſtaͤndigkeit voraus-
gieng. Wie die Kunſttriebe, die ſich blind und be-
wußtlos in dem Bau kunſtreicher Hoͤhlen und andrer
Wohnungen aͤußern, am vollkommenſten gleich am
Anfang der erſten Reihe, und hiermit der ganzen Klaſ-
ſe der Saͤugethiere, in dem Biber und einigen andern
Nagethieren erſcheinen, ſo zeigt ſich auch in der Ge-
ſchichte des Menſchen gleich Anfangs jener mathema-
tiſch aſtronomiſche Kunſttrieb, den wir noch jetzt in
den wiſſenſchaftlichen Denkmaͤhlern der aͤlteſten Vor-
welt bewundern.
Die hoͤchſte Vollkommenheit ſcheint in der Mitte
zu ſchweben, und wenn auch der Menſch in ſeinem
ganzen Bau ſich mehr nach der erſten Reihe heruͤber-
neigt, deren Gipfel er iſt, ſo ſcheint doch auch die
hoͤchſte Bluͤthe der zweyten, die Vollendung des Mus-
kelſyſtems und der innren Theile, in ihm zugleich ent-
faltet. Die vollkommenſte Harmonie des Nervenſy-
ſtems und der Sinnen, mit dem Muskelſyſtem, iſt
es, welche den Menſchen vor allen Thieren auszeich-
net. Es iſt die hoͤchſte Thaͤtigkeit und Wirkung des
Einen, nicht ohne die Ruͤckwirkung des andern moͤg-
lich, und aus dieſem Geſetz der Wechſelwirkung, ge-
hen jene großen und bedeutungsvollen Erſcheinungen
hervor, die uns in der natuͤrlichen Geſchichte des Men-
ſchen beſchaͤftigen werden.
Wir ſprachen in einigen der vorhergehenden Vorle-
ſungen von Reihen organiſcher Weſen, davon wir noch
in der letzten die eine bis wenigſtens in die Naͤhe des
Menſchen hinauffuͤhrten. Nicht ohne Bedeutung war
hierbey das Wort aufſteigend, denn es ſcheint mehr
als wahrſcheinlich, daß das allgemeine Leben wie aus
einem tiefen Schlaf an der Graͤnze des Anorgiſchen
erwachend, aus der Tiefe des Materiellen, in wel-
cher es der Planet dem es vorhin untergeordnet gewe-
ſen, mit ſich hinabgezogen, eines allmaͤligen Hinauf-
ſteigens und mannigfaltiger Uebergaͤnge bis zum Da-
ſeyn des Menſchen beduͤrfe. Vielleicht daß in kurzen
wiſſenſchaftliche Beweiſe andrer Art fuͤr den tiefen Zu-
ſammenhang des (z. B. thieriſchen) Daſeyns auf einer
niedern Stufe mit dem auf einer hoͤheren, und wie ſich
dieſes ſchon aus jenem nothwendig herleiten laſſe, ge-
geben werden koͤnnen, hier aber ſey es erlaubt, einige
Worte von einem Zuſammenhange andrer Art, der
zwiſchen einem kuͤnftigen hoͤheren und einem vorherge-
henden niederen Daſeyn ſtatt findet, zu reden, wie
naͤmlich das, was in dem kuͤnftigen als wahrhaftes
Vermoͤgen, als Kraft in Erfuͤllung gehet, in einem
vorhergehenden ſich als unbefriedigtes, ja ſelbſt fuͤr jetzt
zweckloſes Streben voraus verkuͤndigt. So iſt deutlich
der Keim eines kuͤnftigen Lebens (gleichſam als Embryo)
ſchon in dem vorhergehenden enthalten.
Es werden zwar die noch ungebohrnen Kraͤfte ei-
nes kuͤnftigen Daſeyns vornehmlich in einem krankhaf-
ten oder ohnmaͤchtigen Zuſtand des jetzigen ſichtbar,
wie ich dieſes in der naͤchſten Vorleſung zeigen werde,
doch ſoll uns die heutige ſolche Vorboten eines neuen
noch zukuͤnftigen Lebens auch im geſunden Zuſtand der
lebendigen Weſen zeigen.
Fuͤr das menſchliche Gemuͤth iſt die Betrachtung
eines ſolchen Zuſammenhanges der verſchiednen Stu-
fen des Daſeyns von einem ganz vorzuͤglichen Intereſ-
ſe, da ſich nirgends ſo deutlich und innig als in ſeiner
Natur, eine kuͤnftige Welt, mit ihren tiefen noch un-
enthuͤllten Kraͤften, als bloßes Streben, und eine jetzi-
ge als bluͤhender froͤlicher Genuß vermiſcht zeigen.
Wir erkennen dieſe verſchiedenartige Miſchung nur zu
deutlich in der Bildungsgeſchichte unſrer Natur, wo
ſich dieſe etwas vielſeitig zu entfalten ſtrebt. Hiermit
muͤſſen wir beginnen.
Wie kann ich aber hierbey beſſer thun, als wenn
ich mich treu an die Arbeit eines meiner Freunde (des
Landſchaftsmahlers Friedrich) anſchließe, und treu-
lich die Bildungsgeſchichte unſrer Natur, wie ſie von
ihm in den 4 Jahres- und Lebenszeiten dargeſtellt iſt,
erzaͤhle; ſollte es auch geſchehen, daß die Worte hinter
ſeinem Pinſel weit zuruͤckblieben.
Wir wiſſen nicht, welcher tiefe Reiz uͤber der er-
ſten Kindheit ruhet. Sey es daß ein Nachklang jenes
unbekannten Traumes, aus welchem wir kamen,
oder daß jener Abglanz des Goͤttlichen ſie verherrlicht,
welcher am reinſten uͤber dem Stillen und Kindlichen
ſchwebet. Wir finden uns da, wo wir aus jenem
Traum erwachen, wie in der Morgenroͤthe eines be-
ſtaͤndigen Fruͤhlingstages, deſſen heitres Gruͤn keine
Spur eines ſchon voruͤbergegangnen Herbſtes unter-
bricht. Am klaren Quell des Lebens, in welchem ſich
der ewige Himmel noch in der erſten Reinheit abſpie-
gelt, unter Blumen erwachen wir. Noch ſtrebt der
Sinn nicht uͤber den Saum der nahen Huͤgel hinaus,
wir ſuchen und erkennen in der Natur nur die Bluͤthen,
und das Leben erſcheint uns noch unter dem Bild der
ſpielenden, unſchuldigen Laͤmmer. Da beruͤhrt ein
fruͤhe aufbluͤhendes Gemuͤth der erſte Strahl jenes Seh-
nens *) das uns von der Wiege bis zum Grabe fuͤhrt,
und unbewußt der unendlichen Ferne, die uns von dem
ewigen Quell des Lichtes trennt, breiten ſich die kind-
lichen Arme aus, das nahe geglaubte zu umfaſſen.
Doch ſchon die erſten Schritte ſind ein Irrthum, und
wir eilen von dem einſamen Huͤgel der kindlichen Traͤu-
me, auf dem wir die erſten aufgehenden Strahlen
empfiengen, hinabwaͤrts, in das tiefe Gewuͤhl des Le-
bens, wo uns neue Daͤmmerung umfaͤngt.
Der klare Quell wuchs bald zum Fluſſe an, das
innre Streben, ſtaͤrker und kraͤftiger geworden, fuͤhr-
te uns immer ferner mit ſich hinaus. Zwar voruͤber
waren ſchnell die Stunden der Morgenroͤthe, es blie-
ben fern hinter uns die gruͤnen Huͤgel der Kindheit, mit
ihren Fruͤhlingsblumen und dem Traum von ſpielenden
Laͤmmern; doch heitrer und herrlicher ſcheint die zum
Scheitel ſteigende Sonne, und der gruͤnende Pfad iſt
noch durch keine Klippen unterbrochen. Wenn ſich
dann, in den Stunden des glaͤnzenden Mittags, die
Welt ſo frey und bluͤhend dem innern Sinne oͤffnet,
wenn dem kuͤhnen Gemuͤth, das noch nirgends die
Graͤnze ſeines Strebens gefunden, das ferne hohe Ge-
woͤlk noch als fernes Gebuͤrge erſcheint, das es zuletzt
noch leicht zu erreichen waͤhnt, da ſcheint in der ſuͤßen
Zeit der Roſen alles tiefe Sehnen ſein Ziel gefunden zu
haben. Dort wo die Lilie der Roſe ſich vermaͤhlt, wo
jene ſchlanken Baͤume mit dunkelgruͤnen Zweigen ſich
umfaſſen, ſchlingt die jugendliche Liebe ihren Arm um
uns. Da bedarf der alsdann vollkommen ſeelige
Sinn nicht mehr der Welt außer ſich, wir traͤumen nur
von der ſtillen einſamen Huͤtte auf gruͤnem Huͤgel, von
dem laͤndlichen Liede der Turteltaube, und dem einſa-
men Thale; vergeſſen iſt auf Augenblicke alles fernere
Streben, und wir ruhen zum erſten, und vielleicht
wohl zum letzten Male aus, in einer gaͤnzlich ſeeligen
Gnuͤge. Denn ſiehe unter den Roſen und Lilien, ſtund
auch die hohe Sonnenblume, welche mit treuem Haupt
dem Gange des ewigen Lichtes folgt. Ein tieferes Seh-
nen in uns ward noch nicht befriedigt, und mit ernſtem
Ruf weckt es das ewige Ideal von neuem auf.
Da gieng unter dem vielfaͤltigen Streben, die Stun-
de des Mittags voruͤber, voruͤber die Zeit der Roſen
und Lilien. Der Abend laͤßt die Flur in ihrer letzten,
kraͤftigſten Geſtalt, in der Zeit der Reife ſehen. Die
Bluͤthen, welche einſt das Gemuͤth erfreuten, ſind vor-
uͤber, nur einige haben Fruͤchte getragen, die meiſten
waren fruchtlos, und auf dem herbſtlichen Boden bluͤ-
het nur noch einſam, mit der Farbe des Abendroths,
die ſpaͤte Zeitloſe, deren Fruͤchte erſt in einem andern
Fruͤhling reifen. Die Traͤume von ſtillen Huͤtten auf
bluͤhenden Huͤgel, das Lied der Turteltauben, hat das
wuͤſte Geraͤuſch der Stadt verdraͤngt. *) Endlich aber
iſt, jenſeit des Mittags, dem Gemuͤth klar geworden,
was jenes tiefe Streben, jenes Sehnen in uns
begehrt. Siehe mit dreygetheiltem Gipfel, erhaben
uͤber den Flug der Wolken, von ewigen Schnee ver-
huͤllt, blickt dort ein Sinnbild des Ueberirdiſchen und
Unvergaͤnglichen, das Alpengebuͤrge heruͤber. Zwar
die ehehin friedliche Blaͤue des Himmels iſt verhuͤllt, je-
ne unvergaͤnglichen Hoͤhen ſtehen aber noch in ungetruͤb-
ter Heiterkeit, von dem Glanz der Sonne ſtrahlend,
ein hohes Sinnbild des ewigen Lichts. Da ſtrebt das
Gemuͤth mit ſeinen hoͤchſten Kraͤften nach dem unver-
gaͤnglichen Gipfel; doch der Drang der Leidenſchaften
in uns iſt zum Strom geworden, welcher Schiffe
mit ſich hinabfuͤhrt. Wir ringen oͤfters fruchtlos mit
ſeinen Wellen, hinuͤber nach dem jenſeitigen Ufer und
dem hohen Gebuͤrge, und nur in den Stunden der Be-
geiſterung hebt ſich das Gemuͤth, wie jener Adler, wel-
cher die Wolken und den Strom ferne zuruͤckgelaſſen,
nach den unvergaͤnglichen Hoͤhen. Wenn nun das inn-
re Streben ermattete, von dem letzten Theil des Weges,
welcher voller Felſen war und Klippen, da wird hier,
am dieſſeitigen Ufer, ein Ruheort gefunden, unter dem
Kreuz, welches friedlich uͤber Felſen ſteht. Endlich
erkennt das Gemuͤth an, daß die Heymath jenes Seh-
nens, das uns bis hieher gefuͤhrt, nicht auf der Erde
ſey. Eile dann hinab Strom! wo deine Wogen in
das ewige Meer gehen, an ferner Kuͤſte, vernahmen
wir von einem letzten Ruheort. Wird doch dort die
innre Gluth ſich kuͤhlen, die tiefe Wunde heilen! Bluͤ-
he dann ab arme Zeitloſe, wenn der Winter naht, ein-
zige ſpaͤte Bluͤthe, welche keine Fruͤchte traͤgt. Deine
Fruͤchte, du wunderbare Blume! wird jenſeit des
Winters ein neuer ferner Fruͤhling reifen.
Endlich ſiehe, die Sonne der hohen Mannskraft
iſt hinunter. Des Weges letzter Theil war oͤde und
einſam. Alle Bluͤthen waren voruͤber, und ſelbſt die
Fruͤchte die ſie uns getragen! denn was wir fuͤr unſer
ewiges Eigenthum gehalten, hat das Schickſal, deſſen
freye Gabe es geweſen, zuruͤckgenommen. Noch vor
unſren Augen iſt in Truͤmmer geſunken ein Theil unſres
Tagewerks, das fuͤr die Ewigkeit gebaut ſchien, und
von der jungen Welt vergeſſen. Nur der Wille, das
Streben in uns, das ſich bis ans Grab nur immer rei-
ner und beſſer geworden, erhalten, war unſer, und
an dieſem haͤlt ſich das innre Vertrauen feſt. Erreicht
iſt die ſtille Kuͤſte, wo ſich der einſt ſo maͤchtige Strom
ins Meer verlohren, und der graue Wandrer ſiehet ſich
einſam unter Graͤbern. Noch iſt das tiefe Sehnen,
das uns bis hieher gefuͤhrt, nicht geſaͤttigt, ach ſelbſt
die Hofnung des Sommers, welcher es reifen ſollte,
iſt nun voruͤber, und die Zeit des Schnees bedeckt die
Saat eines kuͤnftigen Fruͤhlings. Da blickt durch die
Truͤmmer einer alten hohen Vergangenheit, der Mond
mit vollem Licht herein. Der Himmel oͤffnet ſich dort
uͤber dem Meer, und zeigt ſich noch einmal in ſeinem
klaren Blau, wie in der fruͤhen Kindheit. Da wird
in prophetiſchem Schimmer, jenſeit des Meeres die Kuͤ-
ſie eines fernen Landes geahndet. Von ſeinem ewigen
Fruͤhling haben wir vernommen, und wie in ihm jenes
tief im Innern wohnende, das wir als Knospe hin-
uͤberbringen, reifen wird. Nimm dann hinweg Zeit,
auch die letzten Truͤmmer unſers Daſeyns, nimm hin-
weg auch die Erinnrung des zuruͤckgelegten Weges,
und laß uns, wenn dein ewiges Geſetz es ſo gebent,
ſchlummernd in dem lang erſehnten Vaterland an-
kommen!
So wird, wenn wir die Bildungsgeſchichte des
menſchlichen Gemuͤths, wenn wir ſeine Entwicklung von
der Wiege bis zum Grabe betrachten, mitten in dem
Gang des irdiſchen Strebens, ein andres hoͤheres er-
kannt, welches mit jenem faſt in Widerſpruch zu ſte-
hen ſcheint, oder welches wenigſtens in dem Gedraͤng
des Lebens, ſelten oder nie aufzubluͤhen vermag. Die
hohe Welt der Poeſie und des Kuͤnſtlerideals, noch mehr
die Welt der Religion, vermag in dem irdiſchen Da-
ſeyn nie ganz einheimiſch zu werden, und pflegt der
Vermiſchung mit den Elementen deſſelben zu widerſtre-
ben. Auch ſehen wir nicht ſelten auf einzelne Momen-
te, oͤfters durch gewaltſamer Weiſe, gewiſſe tiefe Kraͤf-
te unſres Weſens hervorſchimmern, welche an geiſti-
gem Umfange weit uͤber die Graͤnzen unſrer jetzigen Faͤ-
higkeiten hinausgehen, und die wir uns doch vergeblich
bemuͤhen, im Gang des gewoͤhnlichen Lebens feſt zu
halten.
Es wird uns nicht an Beyſpielen, aus allen Theilen
der Naturwiſſenſchaft mangeln, welche vielleicht eben
uͤber dieſe dunkle und tief liegende Eigenſchaft unſres
Gemuͤths, einiges Licht verbreiten koͤnnen. Mit Recht
iſt dieſelbe das Beginnen eines hoͤheren uͤberirdiſchen
Daſeyns, und der Menſch ein zweylebendes Weſen,
welches auf dem hoͤchſten Gipfel der irdiſchen Natur,
zugleich die erſten Anlagen der uͤberirdiſchen in ſich ver-
einte, genannt worden. Wir ſehen in ihm jenes Stre-
ben nach geiſtiger Vollendung kaum erwachen, waͤh-
rend des kurzen Daſeyns aber nie erfuͤllt werden. So
greift aber in der ganzen Natur, ein hoͤheres kuͤnftiges
Daſeyn, in das vorhergehende unvollkommnere ein, bald
als Vorahndung, bald ſchon deutlich in ſeinem erſten
lebendigen Beginnen ſich regend. Moͤge es jetzt mei-
nen Zuhoͤrern gefallen, mir auch zu einigen andern
Thatſachen, aus andren Gebieten der Natur zu folgen.
Es ſcheinen in gewiſſen Verhaͤltniſſen, welche ich
anderwaͤrts entwickelt habe, die Planeten unſres Sy-
ſtems in einer ſo innigen Beziehung auf einander zu ſte-
hen, daß gewiſſe Eigenſchaften des naͤchſtfolgenden,
entferntern Gliedes, aus denen des vorhergehenden be-
ſtimmt werden koͤnnen, ſo daß ein fortſchreitendes Ver-
haͤltniß von dem naͤheren zu dem entfernteren Nachbar-
planeten gefunden wird, und daß der entferntere eine
hoͤhere und vollkommnere Entwicklungsſtufe des allge-
meinen planetariſchen Charakters, ein hoͤheres Daſeyn
deſſelben genannt werden kann. Merkwuͤrdig iſt es,
daß wenn man blos die Zahlen der Entfernung des
naͤchſtfolgenden Planeten in Sonnenhalbmeſſern, mit
der Zahl der eignen Tage des vorhergehenden waͤhrend
eines ſeiner Jahre vergleicht, beyde nahe uͤbereinſtim-
mend gefunden werden. So betraͤgt die weiteſte Ent-
fernung der Erde von der Sonne, gegen 220 Sonnen-
halbmeſſer, und von dieſer Zahl iſt die der eignen Tage
des naͤchſtvorhergehenden Gliedes — der Venus —
waͤhrend eines ihrer Jahre, nur wenig verſchieden. Die
Zahl der Erdentage waͤhrend eines Jahres, betraͤgt
bekanntlich etwas uͤber 365, die der weiteſten Entfer-
nung des naͤchſtfolgenden Gliedes, des Mars von der
Sonue, etwas uͤber 360, mithin iſt zwiſchen beyden
Zahlen nur wenig Unterſchied. Nun bezeichnet aber,
wie ich dieſes auch an einem andren Orte entwickelt ha-
be, die weiteſte Entfernung der Planeten von der Son-
ne, nach Halbmeſſern derſelben ausgedruͤckt, das
Maas der ſelbſtſtaͤndigen Vollendung der Planeten, und
der Zuruͤckwirkung auf den Centralkoͤrper, waͤhrend der
Gegenſatz der beyden Seitenhaͤlften, welcher die Be-
wegung um die eigne Axe bewirkt, und hiermit auch
die Zahl der eignen Tage der Planeten, auf ein viel
tieferes und geiſtigeres Verhaͤltniß derſelben, auf jenes
zu dem hoͤheren Einfluß hindeuten, wodurch ſie nicht
allein mit dem hoͤheren Centralkoͤrper, ſondern durch
dieſen mit einem viel hoͤheren Ganzen in einen geiſti-
gen und harmoniſchen Zuſammenhang treten. So be-
zeichnet die Zahl der Sonnenferne nach Sonnenhalb-
meſſern, bey dem naͤchſtfolgenden Glied, die ſchon
wirklich erreichte Vollendung, das wirklich vorhandene
Maas der innern Kraͤfte, waͤhrend die der eignen Tage
des vorhergehenden durch eine uͤber das jetzige Daſeyn
hinausgehende Gabe des hoͤheren Einfluſſes beſtimmt
iſt, ſo daß ſie mit Recht eine Vorahndung der wirkli-
chen Vollendung auf der naͤchſtfolgenden hoͤheren Stu-
fe genannt werden muß, und daß, was auf dieſer in
wirkliche Erfuͤllung gegangen, auf einer vorhergehen-
den ſich als bloßes Streben voraus verkuͤndigt.
Es wird noch aus dem, was ich uͤber Geognoſie
geſagt, erinnerlich ſeyn, daß in den aͤlteren Perioden
der Erdbildung vornehmlich die Kieſelerde enthaltenden
Gebirgsarten gefunden werden, waͤhrend in den ſpaͤte-
ren die haͤufigen Maſſen der Kalkgebirge vorherrſchen.
Nahe aber an dem vollkommenſten und hoͤchſten Gipfel
der alten Zeit der Kieſelbildung, kuͤndigt ſich im Gnei-
ſe die darauf folgende ſpaͤtere Welt in den Lagern des
erſten Urkalks an, ſo daß, dem Streben der aͤlteren
Zeit noch untergeordnet, nahe an dem hoͤchſten Mo-
ment jener fruͤhern Schoͤpfung ſchon eine Vorahndung
der ſpaͤteren gefunden wird.
So kuͤndigt ſich auch in der Elektricitaͤt, ja viel-
leicht ſchon im Magnetismus, die tiefere chemiſche
Wechſelwirkung der vollkommneren Koͤrper an. Jedoch
blos als Streben, als Vorahndung. Wenn naͤmlich
die in der Cohaͤrenz und Schwere unbewegt ruhenden
Koͤrper, eine ſtaͤrkere Kraft als die ihrer Schwere iſt,
gegen einander bewegt, wenn auf dieſe Weiſe gleich-
ſam eine hoͤhere geiſtigere Welt in die groͤbere des jetzi-
gen Daſeyns eingreift, wird als Elektricitaͤt, die wech-
ſelſeitige Anziehung, das Streben nach Vereinigung
erregt, und ſelbſt das, was auf den hoͤchſten Stufen
des chemiſchen Proceſſes, als wirkliches innres Weſen
der Koͤrper hervortritt, das Licht, wird im elektriſchen
Proceß ſchon als Funke geſehen. Doch iſt die Verei-
nigung in der Elektricitaͤt nur an der Oberflaͤche moͤg-
lich, ſie bleibt bey dem bloßen Streben ſtehen, waͤh-
rend die innigſte Vereinigung der ganzen Maſſe, in al-
len ihren Theilen, das eigenthuͤmliche Weſen des che-
miſchen Proceſſes iſt. Dagegen greift hier, abermals
nur als Streben, die erſte Vorahndung der darauf
folgenden hoͤheren Welt, des organiſchen ein, die ſich von
den Geſtalten des an dem Gipfel der anorganiſchen
Welt ſtehenden Waſſers, welche dieſes beym Gefrieren
annimmt, bis zu der Ritterſchen Lehre der Perioden
des Verbrennungsproceſſes, deutlich zeigt.
Hoͤchſt merkwuͤrdige, und hieher vorzuͤglich paſ-
ſende Thatſachen ſind es, welche Sprengel aus der Ge-
ſchichte der Laubmooſe aufgeſtellt hat, um damit die
Hedwigſche Befruchtungstheorie zu widerlegen. Jene
kleinen laͤnglichten Koͤrper, die man fuͤr Antheren gehal-
ten hat, und die ſich in den Bluͤthemtheilen einiger
Moosarten finden, ſind dieſes in gewiſſer Hinſicht
wirklich, ſie ſcheinen aber zu jener Beſtimmung, die ſie
bey den vollkommneren Pflanzen haben, noch unfaͤ-
hig. Die Fruͤchte reifen bey den meiſten Mooſen, ohne
daß ſich bey ihnen, oder ſelbſt bey andern in der Naͤhe
ſtehenden Individuen, eine Spur jener Koͤrper gefun-
den haͤtte, ja was noch merkwuͤrdiger iſt, Sprengel
bemerkte, daß in einigen Geſchlechtern jene Theile
vorzuͤglich nur ſolchen Individuen eigenthuͤmlich waren,
welche aus Schwaͤchlichkeit fruͤher zu verwelken pfleg-
ten als andre, ohne Fruͤchte zu reifen. Der Gegen-
ſatz, der ſich in vollkommnen Blumen ſpaͤter in ſo bun-
ter und herrlicher Mannichfaltigkeit entwicklet, iſt
demnach hier in den Laubmooſen nur eben angedeutet,
er tritt nur als unvollkommneres Streben nach der ei-
gentlichen Beſtimmung der hoͤheren Gegenſaͤtze auf, oh-
ne daß er je dieſe Beſtimmung wirklich zu erfuͤllen ver-
moͤchte. Ja das deutliche Hervortreten jenes hoͤheren,
uͤber das jetzige Daſeyn hinausgehenden Strebens, iſt
wie auch meiſt bey dem Menſchen, nur in einem krank-
haften Zuſtand moͤglich, oder wirkt vielleicht ſelber erſt
zerſtoͤrend.
Im Pflanzenreich beſonders, iſt es recht deutlich,
wie bey den ſogenannten aufwaͤrtsſteigenden Reihen,
deren Geſchichte ich mir einſt auf eine andre Gelegen-
heit vorbehalte, auf einer vorhergehenden Stufe das
als bloßes, nicht gelingendes Streben angedeutet iſt,
was auf einer darauf folgenden hoͤheren, wirklich als
Organ, und in ſeiner ganzen Erfuͤllung auftritt.
Faſt das ganze Pflanzenreich zeigt, wie ich ſchon
in einer fruͤheren Vorleſung erwaͤhnt habe, in dem hoͤch-
ſten Moment ſeines Daſeyns eine Vorahndung des thie-
riſchen Lebens, die erſten noch unvollkommenen Spu-
ren einer ſelbſtſtaͤndigen Beweglichkeit und Reizbarkeit,
und zugleich ſieht man bey dieſer erſten Daͤmmerung ei-
nes kuͤnftigen hoͤheren Daſeyns, das jetzige erkranken
und aufgeloͤst werden. Ich habe ebenfalls etwas aͤhn-
liches, als ich eben von den Laubmooſen erwaͤhnte,
auch von einigen unvollkommenen Thieren, die auf den
unterſten Stufen der Organiſation zu ſtehen ſcheinen
angefuͤhrt, daß ſie naͤmlich in der Naͤhe ihres Todes
die erſten unvollkommenen Uebereinſtimmungen mit voll-
kommneren Thieren zeigen.
Die Augen der hoͤheren Gattungen ſind bey einigen
Mollusken blos durch unvollkommene rundliche Koͤrper
angedeutet, welche zu nichts weniger als zu der eigentli-
chen Beſtimmung der Augen organiſirt ſcheinen. Dieſe
Augenartigen Koͤrper erſcheinen aber bey dieſer Thier-
klaſſe eben da, wenn ſie den Uebergang zu jenen Ge-
ſchlechtern zu machen im Begriff iſt, welche aller Sin-
nen, außer vielleicht des Geſchmacks beraubt ſcheint,
waͤhrend nun gleich darauf die Geſchlechter mit voll-
kommen organiſirten Augen, die ſich im Bau denen
der Fiſche naͤhern, auftreten. Jene Organe zeigen ſich
mithin, kurz vor ihrem voͤlligen Verſchwinden, noch
einmal in einer unvollkommenen Annaͤherung an die
hoͤhere Verwandlung, die ſie auf einer kuͤnftigen Stufe
erwartet.
Ich wuͤrde zu weitlaͤuftig werden, wenn ich, was
indeß anderwaͤrts geſchehen ſoll, auseinanderſetzte, wie
ſich im ganzen Thierreich, das was auf den hoͤheren
Stufen vollkommen, und zu ſeiner Beſtimmung taug-
lich hervortritt, in den fruͤheren als bloßes Streben,
als unvollkommene dem Anſchein nach zweckloſe Anlage
zeigt, wie ſich zum Beyſpiel, in den Geſchlechtern der
Fiſche, beſonders in jenen, welche dem egyptiſchen
Biſchir verwandt ſind, auf eine aͤhnliche Weiſe, die
erſten Anfaͤnge der kuͤnftigen Gliedmaſſen, wie ſie bey
den Amphibien hervortreten, unvollkommen voraus
verkuͤndigen. Nichts weniger als zu dem eigentlichen
Gebrauch der Glieder faͤhig, jedoch auch ſchon als
Floſſe nicht mehr ſo wie in fruͤheren Geſchlechtern taug-
lich. Bey den Amphibien ſind gerade die Theile, wel-
che ſchon Uebereinſtimmungen mit dem Bau der Voͤgel
zeigen, dem Anſcheine nach die nutzloſeſten, ſo wie die
Anlage der kuͤnftigen Finger die ſich bekanntlich ſchon
an dem Fluͤgel der Voͤgel zeigt, fuͤr das Daſeyn des
Vogels ſelber voͤllig zwecklos iſt.
Man wird ſich erinnern, wie ich in meiner letz-
ten Vorleſung von zwey entgegengeſetzten Reihen des
Thierreichs ſprach, die beſonders in der Klaſſe der
Saͤugethiere aufgezeigt wurden. Da wo die erſte Klaſ-
ſe, die der Pflanzenfreſſenden Thiere, ihrem Gipfel na-
he iſt, in dem Geſchlecht der Elephanten, hat in fruͤ-
heren Zeiten das jetzt untergegangene Thier geſtanden,
welches ſchon die erſten Anlagen der darauf folgenden
2ten Reihe zeigt. Allem Anſchein nach zwecklos. Denn
obgleich dieſe Elephantenart im Bau der Zaͤhne den
Fleiſchfreſſenden Thieren nahe ſteht, hat ſie doch nicht
allein die Schwerfaͤlligkeit des Baues, ſondern noch
mehr die Nothwendigkeit, alles vermittelſt des Ruͤßels
zu ſich zu nehmen, der Mangel an Klauen, und der
ganze uͤbrige Bau, zu einem hoͤchſt unvollkommenen
Raubthier machen muͤſſen. Wahrſcheinlich hat ſich
dieſes Thier hoͤchſtens auf die Nahrung von Schaal-
thieren und andern unvollkommenen Uferthieren einge-
ſchraͤnkt geſehen, wie auch der ungeheure Wallfiſch faſt
blos von einer kleinen Molluskenart lebt. So hat ſich
der Charakter der 2ten Reihe hier blos als Streben,
als unvollkommene Anlage angekuͤndigt, welche an ſich
ganz unerreicht geblieben ſcheint. In ſolcher Hinſicht
muͤſſen uns viele Naturanlagen, die uns in einzelnen
Weſen ohne Beſtimmung und unnuͤtz erſcheinen, eine
tiefere Bedeutung erhalten. Was ſcheint auf den er-
ſten Anblick zweckloſer als jene den Antheren aͤhnliche
Koͤrper bey den Mooſen, da ſie offenbar, ſelbſt bey
dem Streben nach der Beſtimmung der Antheren ſo-
wohl durch ihren Bau als durch ihre Stellung, endlich
durch die fruͤhere Vergaͤnglichkeit der Individuen, die
ſie trugen, zu derſelben ganzlich unfaͤhig ſind. Was
ſcheint ferner zweckloſer, als der ſogenannte Mittelkno-
chen der Sepien, der ohne allen bemerkbaren Nutzen,
und ohne einigen Zuſammenhang mit dem dermaligen
Daſeyn, da liegt, wo ſich in den hoͤhern Klaſſen die
Wirbelſaͤule findet. Wie ſcheint die kleine und unvoll-
kommene Lunge einiger Amphibien, die nicht wie voll-
kommnere Thiere dieſer Klaſſe durch Lungen, ſondern noch
durch Kiemen athmen, welche denen der Fiſche aͤhnlich
ſind, und welche das Thier behaͤlt, ſo lange es lebt,
ſo ohne allen Zweck! So die der amerikaniſchen Gat-
tung Proteus, und die der Sirene lacertina. Bey an-
dren Amphibien, wie bey den Fiſchen und Salaman-
dern, ſind zwar die Lungen in den erſten Tagen des Le-
bens, wo das Thier im Larvenzuſtande auftritt, auch
noch unnoͤthig, indem daſſelbe zugleich mit Kiemen ver-
ſehen iſt, durch welche es athmet, aber dieſe Kiemen
verſchwinden doch wenigſtens ſpaͤter, und das Thier
hat nun einen wirklichen Nutzen von ſeinen Lungen,
die ſich allmaͤlig vollkommen entwicklen; bey jenen
Thierarten dagegen, bleibt die kleine Lunge waͤhrend
des ganzen Lebens ohne alle Anwendung. Und doch
ſind eben jene dem Anſcheine nach nutzloſen Anlagen,
jenes bloße Streben das in dem dermaligen Daſeyn
durchaus ohne Befriedigung bleibt, vielleicht gerade
das Wichtigſte im ganzen Thier, indem ſie der unvoll-
kominne Keim des kuͤnftigen hoͤheren Daſeyns ſind, wel-
cher ſich mitten in der Huͤlle des alten ſchon zu regen
anfaͤngt.
Es ſcheint, daß in jedem Weſen zwey verſchiedene
und oͤfters entgegengeſetzte Naturen ſich beruͤhren. Das
jetzige Daſeyn, das ſich in allen ſeinen Beſtrebungen
vollkommen ausſpricht, und ſich voͤllig zu vollenden
vermag, und außer dieſem noch in bald deutlicheren
bald minder deutlichen Spuren, ein Streben, das in
dem jetzigen Daſeyn ohne Erfuͤllung bleiben muß, wohl
aber in einem kuͤnftigen ſich vollenden wird. Es greift
uͤberall die hoͤhere geiſtigere Welt eines kuͤnftigen Da-
ſeyns ein. Jener hoͤhere Keim, der noch ein Fremd-
ling in den jetzigen Lebensverhaͤltniſſen iſt, ſcheint ge-
rade in den hoͤchſten Augenblicken des jetzigen Daſeyns,
bey der Pflanze zum Beyſpiel in dem hoͤchſten Moment
des Bluͤhens, aufzuwachen, und dieſe Augenblicke ſchei-
nen deshalb, wie ich ſchon fruͤher erwaͤhnte, fuͤr das
individuelle Leben ſo zerſtoͤrend, weil der hoͤhere fremd-
artige Keim, die alte, fuͤr ihn gleichſam zu enge, zu
unvollkommene Huͤlle, ſelber aufloͤſt. Hierdurch wird
das Gemuͤth auch mit jenem tiefen Sehnen, mit jenem
Streben in ſeinem Innern ausgeſoͤhnt, was doch durch-
aus ein armer verwaiſter Fremdling in dem jetzigen Da-
ſeyn ſcheint, und welches in ihm nur ſelten oder nie
die geſuchte Gnuͤge findet. Es greift nur zu offenbar,
auch bey dem Menſchen, in das jetzige unvollkommnere
Daſeyn, ſchon die Anlage eines kuͤnftigen hoͤheren ein.
Wer hat nicht davon gehoͤrt, wie bey Bloͤdſinnigen,
wenn ſelbſt noch nach dem Tode das Geſicht jenes thie-
riſche Ausſehen, jene duͤſtere und gleichſam verſchloſ-
ſene Zuſammengezogenheit aller ſeiner Theile behielt,
die Mienen ſogleich ſich veredeln, und das ganze Ge-
ſicht ſich zuweilen faſt ſchoͤn entfaltet, ſobald man von
dem eingeengten Gehirn den oberen Theil des Schedels
hinweggenommen? Der Schedel, der ſich in der erſten
Haͤlfte des Lebens genau nach der Geſtalt des Gehirus
gebildet, war ſpaͤter dem in der Naͤhe eines hoͤheren Da-
ſeyns nach vollkommener Entfaltung ſtrebenden, gleich-
ſam zu eng geworden, und dieſes war vielleicht oͤfters
die naͤchſte Urſache des Todes.
Jene Sterbenden, von denen ich in der naͤchſten
Vorleſung erzaͤhlen werde, erhielten noch kurz vor dem
Tode einen freyeren Gebrauch der Zunge, der ihnen
waͤhrend des Lebens, ungeachtet aller Muͤhe die ſie zu
ihrer Bildung angewendet hatten, gaͤnzlich verſagt
war. Wie oͤfters ſehen wir in Menſchen, die ſich waͤh-
rend ihres ganzen Lebens in einem wuͤſten und freu-
denloſen Spiel der Leidenſchaften umhergetrieben, den
innigſten Wunſch, das lebhafteſte Streben nach ei-
nem in ſich vollenderen und beſſeren Zuſtand erwachen,
welches in dem jetzigen Daſeyn, das ſich aus ſeinem
tiefen Irrthum nicht mehr zu retten vermag, durch-
aus ohne Befriedigung bleibt. Bey Einigen ſcheint,
jenſeit der Mitte des Lebens, auf einmal ein neues
mit dem vorhergehenden faſt im Widerſpruch ſtehendes
Streben, mit einer ſolchen Heftigkeit hervorzubrechen,
daß wir noch faſt an der Graͤnze des Lebens eine hoͤhe-
re Metamorphoſe ihres Weſen eintreten ſehen. Die
Geſchichte einiger ſolcher Menſchen, hat Georg Muͤller
in ſeinen Lebensbeſchreibungen merkwuͤrdiger Maͤnner
aufbehalten. Bey den Meiſten aber ſcheint das Leben
erſt fern in der 2ten Haͤlfte, etwas klarer zu werden,
und das Gemuͤth will nun oͤfters erſt eine hoͤhere und
gluͤcklichere Richtung nehmen. Doch meiſt vergeblich.
Die Schranken der jetzigen Verhaͤltniſſe laſſen das ar-
me Streben nicht mehr zum Durchbruch kommen, und
die meiſten ſelbſt der gluͤcklicheren, gehen nur mit halb-
zerſprengter Chryſalide, aus welcher ſchon der Saum
der kuͤnftigen Fittiche hervorblickt, zu Grabe. Was
will ein ſolches, dem irdiſchen Leben ſo fremdartiges
Streben, was will jene Pflanze, die einen gluͤcklicheren
Sommer bedarf, um zu bluͤhen, in dieſem unguͤnſti-
gen Clima! Die Natur antwortet darauf wie wir zum
geringen Theil ſchon vorher ſahen, durch tauſend That-
ſachen.
Im Allgemeinen ſcheint ſich der Geiſt des hoͤheren
kuͤnftigen Daſeyns, jener geiſtigen Welt, welche an
die jetzige angraͤnzt, in dem meuſchlichen Weſen als
Religion oder als Begeiſterung, es ſey der Kuͤnſte oder
des Wiſſens auszuſprechen. Dieſes hoͤchſte und ſeelig-
ſte Eigenthum des Menſchen, ſcheint auf der Erde
nicht voͤllig einheimiſch zu ſeyn. Wir ſehen das tiefe
Streben nach religioͤſer Vollendung, und nach der Naͤ-
he des goͤttlichen Ideals, welches dem Gemuͤth beſtaͤn-
dig vorſchwebt, meiſt vergeblich mit der Zeit und Außen-
welt ringen, und dieſe Eigenſchaft unſrer Natur ge-
winnt auf Erden kaum die erſten Knospen, nur ſelten
einige fruͤhe Bluͤthen. Dieſes Sehnen aber iſt es eben,
welches, wenn es uns nur einmal mit ſeinen warmen
Strahlen anblickte, die Banden loͤſt, die uns an der
Erde gehalten, und von ihm durchdrungen, wird als-
bald das Gemuͤth von ſeiner eignen uͤberirdiſchen Leich-
tigkeit, wie die Flamme des brennenden Koͤrpers em-
porgetragen. Die Pſyche, von der Kaͤlte der langen
Nacht erſtarrt, ſchlief noch ihren tiefen Schlummer
unter den welken Blumen, bis der erſte Fruͤhlingsſtrahl
ſie beruͤhrte, und die gebundnen Schwingen ſich loͤſten,
und die Befreyte froͤlich zuruͤckkehrte in die alte Hey-
math.
So lange in der thieriſchen, oder vielleicht ſelbſt
der thieriſch menſchlichen Natur der hoͤhere Geiſt, wel-
cher uns uͤber die Kluft zwiſchen dem jetzigen und einem
kuͤnftigen Daſeyn hinuͤberfuͤhrt, noch nicht erwachte,
ſcheint es nach einer alten Meynung der Weltweiſen,
daß der Planet noch nicht ſein Recht verlohren, und
daß die Weſen durch den Tod nur in die Verwandlung
einer neuen irdiſchen Form eingehen. Aber die Augen-
blicke jener hoͤheren Begeiſterung, welche das menſch-
liche Daſeyn zu ſeinem hoͤchſten Gipfel zu fuͤhren, und
unſer eigentliches Weſen erſt zur Bluͤthe zu bringen
ſcheinen, ſind unſrer Natur nichts Fremdes, und oͤfters
werden ſie ſelbſt in einer ſonſt irren und wuͤſten Natur
geſehen. Wenn es auch nur ein Augenblick des Bluͤ-
hens waͤre, dieſer wird vielfaͤltig in der menſchlichen
Natur gefunden, und mit Recht fuͤr die beſte und ſee-
ligſte Zeit des Lebens gehalten.
Aber was iſt es, wenn wir hieruͤber ſelbſt nur das
Geſetz der aͤußeren Natur befragen, was in der Natur
der Weſen jene am tiefſten liegende Eigenſchaft, jenen
Keim eines hoͤhern Daſeyns hervorruft? Nichts anders,
als eine thaͤtige und kraͤftige Ausbildung des jetzigen,
in allen Anlagen. Nicht ein Verachten des irdiſchen
Tagewerks und ein unthaͤtiges unſrer Natur nicht zie-
mendes Schmachten nach dem hoͤheren, nicht die all-
zueinſeitig nach innen gerichtete Beſchauung, ruft jenes
aͤchte hohe Sehnen, jenes Streben, welches uͤber die
Graͤnzen der Zeit hinausgeht, in em Gemuͤth hervor,
vielmehr wird dieſes nur in einem froͤlichen Foͤrdern des
jetzigen Tagewerks gefunden. Denn ſo iſt es zwar der
negative Pol des naͤchſt vorhergehenden Magnets, wel-
cher in einer Reihe aneinanderſtehender Magnete, mit
dem poſitiven des naͤchſten in Beziehung ſteht, es iſt
gerade der negative Theil des vorigen unvollkommnen
Daſeyns, welcher mit dem ſelbſtthaͤtigen des Hoͤheren
in Beruͤhrung getreten. Oder mit andren Worten es
tritt oͤfters die tiefer liegende Anlage des kuͤnftigen Da-
ſeyns, vorzuͤglich nur in einem paſſiveren Zuſtand des
jetzigen hervor, und die wunderbare kaum geahndete
Tiefe unſrer Natur, offenbart ſich am meiſten in den
Augenblicken der gaͤnzlichen Hingebung oder ſelbſt des
Schlummerns des jetzigen Strebens. Dieſes mag uns
in der naͤchſten Vorleſung ſelbſt in einem andren Ge-
biet die Geſchichte des thieriſchen Magnetismus und
der Vorahndungen bezeugen, die ich dort ausfuͤhrli-
cher aufſtellen werde. Gewiß iſt es ferner, daß, wie
jenes unendliche Weltall das uns die Nacht mit ihren
Geſtirnen offenbart, in dem Licht des Tages verſchwin-
det, ſo auch die Stimme des hoͤheren Einfluſſes und
jener hoͤheren Welt, die ſich in der Tiefe des Gemuͤths
wiederſpiegelt, in den Augenblicken der hoͤchſten irdi-
ſchen Thaͤtigkeit unvernehmlich wird, aber ſo wie der
negative Pol des Magnets und uͤberhaupt jedes Gegen-
ſatzes um ſo ſtaͤrker iſt, je ſtaͤrker der poſitive, ſo wird
auch jene Hingebung, jene wahrhafte Paſſivitaͤt, wel-
che uns der hoͤheren Einwirkung fahig macht, erſt durch
vorhergegangene Selbſtthaͤtigkeit, und nur im Maaße
derſelben moͤglich. Ueberhaupt muͤſſen die krankhaf-
ten Zuſtaͤnde, von denen ich naͤchſtens reden werde,
nicht mit jener edlen und hohen Empfaͤnglichkeit und
wahrhaften Hingebung des ganzen Gemuͤths fuͤr den
goͤttlichen Einfluß zuſammengeſtellt werden, die nur
durch einen edlen Kampf nach außen zu erringen ſind,
vielmehr gleichen ſie jenen gewaltſamen Mitteln, durch
welche in dem Koͤrper der zerſchnittenen Raupe die Fluͤ-
gel des kuͤnftigen Schmetterlings ſichtbar gemacht
werden.
Endlich, wie in der Geſchichte des einzelnen Men-
ſchen, jener am tiefſten liegende Keim ſich in der 2ten
Haͤlfte des Daſeyns, und gegen das Ende des Lebens
immer deutlicher entfaltet, und um ſo ſchoͤner, je klaͤ-
rer der Menſch in der Wechſelwirkung mit der Außen-
welt ſich ſelber geworden, ſo ſcheint auch in der Ge-
ſchichte ſeines ganzen Geſchlechts jener Baum des Pa-
radieſes, wie ihn die Dichter nannten, jene unſterbli-
che Gabe einer hoͤheren Welt zuletzt immer froͤlicher und
allgemeiner gedeihen zu muͤſſen. Wie in jenem Maͤhr-
chen, von Goͤthe, *) deſſen tiefer Innhalt alle Ge-
heimniſſe unſter Natur umfaßt, liegt zwar der ewige
Tempel noch jenſeit des großen Stromes, welcher das
Irdiſche von dem Ueberirdiſchen, die Welt des Mate-
riellen von der Geiſterwelt trennt, und nur Ein Faͤhr-
mann faͤhret Alle hinuͤber, wo keiner wieder zuruͤck-
koͤmmt, waͤhrend nur in der Klarheit des Mittags die
tiefe Betrachtung, und in phantaſtiſcher Daͤmmrung
der Aberglauben auf unvollkommene Momente uͤber die
ewige Kluft hinuͤberſchauen. Ach noch pflegt die tie-
fe ewige Liebe in uns, jenes unſterbliche Sehnen, un-
ter dem Bild der ſchoͤnen Lilie nur zu toͤdten was ſie
ergriffen, ſie, welche doch alles Leben aus dem Schoos
der ewigen Nacht hervorgerufen. Aber ſiehe, ſchon
ward die Stimme im Tempel vernommen, es iſt an der
Zeit. Die ſchoͤne gruͤne Schlange — das klare Selbſt-
bewußtſeyn, die Reſtexion, jene, welche einſt den Geiſt
des Menſchen von der Unſchuld der erſten Kindheit her-
abgezogen, iſt in der Wechſelwirkung mit der Außen-
welt, und durch den edlen Egoismus, der nur, wo er
ausartet, als Eigennutz erſcheint, immer klarer und
ſich ſelber durchſichtiger geworden, und die in der Fel-
ſenkluft ſchlummernde, hat einſt der Klang des her-
einſtuͤrzenden Goldes geweckt. **)
Wenn nun der ſchoͤne Juͤngling mit deutſchem Ei-
chenlaube begraͤnzt, wenn der Geiſt jenes edlen Lan-
des den jetzt die innren Kraͤfte gelaͤhmt ſcheinen, dem
eignen hohen Streben erlegen, und durch die Hand der
ſchoͤnen Lilie, der er vor allen treu geweſen in Schlum-
mer verſenkt iſt, dann wird die Zeit naͤher kommen wo
der Tempel, welcher das Eigenthum einer andern Welt
geſchienen, uͤber den Strom heruͤber, in das jetzige
Daſeyn eintreten wird. Dann werden beyde Welten
tief im innern Weſen ſich vereinen, die ewige Bruͤcke
iſt gebaut, wenn die bloße Reflexion in der Zeit ihrer
ſchoͤnſten Bluͤthe in den Haͤnden der Lilie ſich ſelber auf-
opfern, wenn jene tief im Innern liegende ewige Lie-
be aus dem Daſeyn des Menſchen hervortreten, und
das irdiſche Streben verzehren wird. Dann erwacht
der ſchoͤne Juͤngling wieder, und wird herrſchen. Der
graue alte Faͤhrmann wird verherrlicht. Ja die
Stimme hat ſchon einmal gerufen, es iſt an der Zeit.
Schon erſchien der Mann mit der Leuchte im Tempel,
auch die Irwiſche kamen ſchon heruͤber, welche die
Banden dieſes letzten ſeltſam zuſammengemiſchten Welt-
alters zerſtoͤren, daß dieſes in ſich ſelber zuſammenfal-
len muß. Alsdann erſt, werden die beſſeren Genien
unſres Geſchlechts, welche die fruͤhere Welt beherrſcht,
wieder in dem alten Glanze hervortreten.
Ich weiß zwar wohl, daß die Gegenſtaͤnde meiner
heutigen Vorleſung, zu den am meiſten anſtoͤßigen und
verkannten gehoͤren, und daß man ſie, weil ſie aus
der gewoͤhnlichen Theorie nicht wohl zu erklaͤren ſind,
lieber gaͤnzlich abzulaͤugnen pflegt, ich werde mich je-
doch hierbey mehr an dasjenige halten was wahr iſt,
als an das was mit der gewoͤhnlichen Meynung uͤber-
einſtimmt.
Es iſt zwar gewiß, daß jede neue Entdeckung in
unſrer Wiſſenſchaft, welche uͤber die vorigen Graͤnzen
etwas ſchnell hinaustrat, Anfangs mit einem blinden
Enthuſiasmus uͤbertrieben iſt, und daß oͤfters erſt ſpaͤt
das was eigentlich beſtehend und wahr in ihr geweſen,
anerkannt wurde, ſo hat ſich auch der thieriſche Mag-
netismus, deſſen Geſchichte einen großen Theil meiner
heutigen Vorleſung ausfuͤllen wird, in den Haͤnden
ſeiner erſten Juͤnger, durch eine Menge laͤcherliche Ueber-
treibungen mit Recht verdaͤchtig gemacht. Denn was
konnte laͤcherlicher ſeyn als die vornehmen Perſonen einer
ganzen anſehnlichen Stadt, um eine ſogenannte Hellſe-
hende verſammlet zu ſehen, welche die voller Vertrauen
an ſie gerichteten Fragen mit einem ſich ſelber wider-
ſprechenden Unſinn beantwortete, waͤhrend jene die
verworrenen Recepte, welche ſie verordnet, die ſon-
derbaren Viſionen und Wahrſagungen der Traumredne-
rin, nicht ſelten mit einem blinden Glauben hinnah-
men. Doch leſe man nur die Schriften eines der wuͤr-
digſten Magnetiſeurs der damaligen Zeit, des aͤlteren
Gmelin, und man wird finden, wie die beſſeren An-
haͤnger jener neuen Entdeckung ſchon damals uͤber die-
ſen Misbrauch derſelben dachten. Fragen aus der Me-
taphyſik, deren Bedeutung von den Fragenden oͤfters
ſelber nicht verſtanden war, phyſikaliſcher Irthum,
uͤber welchen man Auskunft verlangte, Fragen uͤber
kuͤnftige politiſche Ereigniſſe, endlich ſelbſt die uͤber
Krankheiten gaͤnzlich fremder Perſonen, und ihre Hei-
lung, waren allerdings hier an ſehr unrechten Ort, man
verlangte von einem Inſtrument von beſtimmter Ein-
richtung, daß es nicht allein die Toͤne aller andren In-
ſtrumente in ſich vereinen, ſondern außer den Toͤnen
zugleich die Erſcheinungen des Lichts, der Waͤrme, ja
der Elektricitaͤt gewaͤhren ſolle. Meine Zuhoͤrer wer-
den hernach aus der Geſchichte des ſogenannten Som-
nambulismus und des Hellſehens ſelber entſcheiden
koͤnnen, wohin ſich der Geiſt in ſolchen Zuſtand ei-
gentlich und ausſchließend richte, und woruͤber man
fragen muͤſſe? Ich will nicht von einem noch ſchlim-
meren Misbrauch jener Entdeckung ſprechen, welchen
die Verdorbenheit und Sittenloſigkeit der Zeit und der
Gegenden, in welchen man zuerſt Gebrauch davon
machte, alsbald herbeyfuͤhrte. Man wird von ſelber
einſehen, wie wenig derſelbe mit dem Magnetismus
zuſammenhieng, wie wenig er dieſem ſelber zuzuſchrei-
ben ſey.
Jene unſchuldigen Uebertreibungen, — der et-
was uͤber die rechte Graͤnze gehende Enthuſiasmus,
werden uͤbrigens denjenigen nicht befremden, welcher
die Geſchichte der Naturwiſſenſchaften und ihrer Ent-
deckungen kennt. Als an der Graͤnze des Mittelal-
ters die Verſuche mit dem gewoͤhnlichen Magnet, un-
ter den Aerzten der damaligen Zeit allgemeiner und be-
kannter wurden, fehlte es nicht minder an jenem etwas
uͤbertriebenen Enthuſiasmus, welcher mit dieſer einen
Entdeckung alle Geheimniſſe der Natur erklaͤrt, das
verborgenſte Innre derſelben geoͤffnet glaubte. Die
Syſteme des Kircher, Helmont und einer Menge andrer,
ſonſt mit Recht beruͤhmter Naturforſcher der damaligen
Zeit, enthalten eine ſolche Menge wunderbare Eigen-
ſchaften, die man dem Magnet zugeſchrieben, ſo viele
ſeltſame Erſcheinungen, die man aus magnetiſchen
Kraͤften herleitete, daß die Zeit der erſten Entdeckung
des thieriſchen Magnetismus ſchwerlich mehrere aufzu-
weiſen hat. Und doch blieb die Haupterſcheinung ſel-
ber, auf welche die Phantaſie ſo Vieles gebaut hatte,
unwiderſprechlich und wahr, ja was noch mehr iſt,
man ſehe, ob nicht eine Menge jener Meynungen und
Vermuthungen, ob die Anſichten, welche damals er-
wachten, nicht zum großen Theil durch die Entdeckun-
gen der ſpaͤtern Zeitalter gerechtfertiget ſind. Viele
Erſcheinungen, welche damals ſchon anerkannt, ſpaͤter
wieder vergeſſen und verkannt wurden, ſind in der letz-
ten Zeit wieder ernſtlich zur Sprache gekommen, waͤh-
rend freylich, als der erſte Enthuſiasmus erloſchen
war, in dem Magnet nicht mehr, ſowohl der Schluͤſ-
ſel vieler Naturgeheimniſſe, als ein Eiſen, welches
andres Eiſen anzieht und abſtoͤßt, und ſich frey aufge-
richtet nach Nord und Suͤden wendet, mithin blos die
Erſcheinungen, nicht mehr ihre Bedeutung geſehen
wurde.
Man wird ſich noch erinnern, mit welchem Ent-
huſiasmus vor wenig Jahren die Entdeckung des Gal-
vanismus aufgenommen wurde, wie man nun alle Ge-
heimniſſe des thieriſchen Lebens geloͤſt, das Mittelglied
zwiſchen Seele und Leib, zwiſchen Nerven und Mus-
keln, und das Heilungsmittel der meiſten fuͤr unheil-
bar gehaltnen Krankheiten gefunden glaubte. Die
Haupterſcheinung indeß iſt geblieben, obgleich der erſte
Enthuſiasmus voruͤber iſt, und dieſe Entdeckung hat
allerdings ſo viele wichtige Folgen fuͤr die Naturwiſſen-
ſchaft gehabt, daß ſie, ſo lange dieſe beſteht, nie zu-
ruͤckgeſetzt werden wird. Einen aͤhnlichen blinden An-
hang hatten ſich ein Menſchenalter fruͤher diejenigen er-
worben, welche die damals in ihrer jetzigen Geſtalt
noch neue Elektricitaͤt auf eine aͤhnliche uͤbertriebene
Weiſe zu dem einzig wichtigen Mittelpunkt aller Na-
turweisheit machen wollten. Man hat in dieſem allen
nur darinnen gefehlt, daß man in dem einem gluͤcklich
gefundenem Punkte den ganzen Umfang der Naturwiſ-
ſenſchaft gegeben glaubte.
Doch wir taͤuſchen uns nur zu leicht, da wo wir
innig wuͤnſchen, mit uͤbertriebener Hoffnung, und
das Streben aller Jahrhunderte, endlich in das Innre
dieſer dunkelſten Wiſſenſchaft unter allen einzudringen,
hofft ſich in jeder neuen Entdeckung befriedigt zu ſehen.
Es moͤge daher auch der thieriſche Magnetismus, bey
welchem jene Hoffnung gerechter ſchien, als ſonſt je-
mals bey irgend einer andren Entdeckung, durch jenen
uͤbertriebenen Enthuſiasmus ſeiner erſten Juͤnger nicht
verkannt werden. Wie bey andern Entdeckungen, moͤ-
ge man auch hier das was bleibend und wahr iſt, end-
lich anerkenuen.
Damit ich bey einer treuen Erzaͤhlung der vorzuͤg-
lichſten Erſcheinungen, die man im Zuſtand des mag-
netiſchen Schlafs beobachtet hat, um ſo ſicherer gehe,
will ich aus allen Schriften der aͤltern Magnetiſeurs,
die noch in die Zeiten des erſten geiſtigen Aufruhrs, den
jene neue Entdeckung machte, hineinreichen, blos die
des Heilbronner Gmelin zu Grunde legen, der, ob-
wohl er nicht unter die ausgezeichnetſten Magnetiſeurs
ſeiner Zeit gehoͤrte, doch allgemein als einer der wahr-
haftigſten und ſtrengſten anerkannt wird. Vielmehr
will ich mich an die Schriften der Magnetiſeurs unſrer
Zeit halten, welche Muth genug hatten, dieſe ſchon
vergeſſene und zuruͤckgeſetzte Bereicherung der Wiſſen-
ſchaft, treulich zu benutzen und zu vermehren, theils
weil dieſe beſonnener und kuͤhler zu Werke giengen,
theils weil die aufgeklaͤrten und unglaͤubigen Zeugen
unter deren Augen ein großer Theil ihrer Verſuche ge-
ſchahe, dieſe um ſo ſichrer machen.
Einer der gelehrteſten und wahrheitsliebenden
Magnetiſeurs der ſpaͤtern Zeit, lebt in unſrer Stadt,
und ſeine Verſuche ſtehen in Reils Archiv. Ich wer-
de mich auch haͤufig auf Heineckens *) vor einigen Jah-
ren erſchienene vortrefliche Schrift berufen, da ſeine
Beobachtungen zu den vollſtaͤndigſten gehoͤren, die in der
neuen Zeit angeſtellt ſind: —
Reizbare und kraͤnkliche Perſonen vom andern Ge-
ſchlecht, beſonders ſolche, welche an unheilbaren Ner-
venkrankheiten leiden, ſind zum Magnetiſiren am ſchick-
lichſten, weil dieſes zugleich heilſamer auf ſie wirkt
als alle Mittel. Gewoͤhnlich bringt ſelbſt ein ſonſt
gluͤcklicher Magnetiſeur, in den erſten Tagen nichts
anders hervor, als eine gewiſſe Muͤdigkeit und Schwe-
re in den Gliedern, und einige Neigung zum Schlafe,
So erregte Heinecken bey ſeiner erſten Kranken, wo
ſich doch alle Umſtaͤnde vereinigten um die gluͤcklichſten
Wirkungen hervorzubringen, durch die lang anhalten-
den Bemuͤhungen des erſten Tages nur einige Muͤdig-
keit und Brennen in den beruͤhrten Daumen, der ei-
gentliche Somnambulismus trat erſt am 4ten Tage
ein. Ja bey der 2ten, nicht minder reizbaren Kran-
ken, dauerte es 14 Tage ehe das taͤglich und lang fort-
geſetzte Magnetiſiren nur den eigentlichen magnetiſchen
Schlaf bewirkte, und erſt am 18ten Tag trat von ſelbſt
der eraltirte Zuſtand des Somnambulismus ein, wo
die Kranke viel und lebhaft ſprach. Doch ſcheint hier-
bey die Conſtitution des Magnetiſeurs einen Unter-
ſchied zu machen. Gmelin und Pezold brachten oͤfters
gleich beym erſtenmal Magnetiſiren auffallende Wir-
kungen hervor.
Der Zuſtand des eigentlichen Somnambulismus
ſelber, tritt Anfangs mit jenen Zeichen ein, die dem
gewoͤhnlichen Schlaf, beſonders nach einer Anſtren-
gung vorausgehen. Die Glieder ſinken ermattet, die
Augenlieder koͤnnen nicht mehr offen gehalten werden.
Endlich ſchließen ſich die Augen, gemeiniglich mit ei-
nem tiefem Odemholen. Der Gefuͤhl- und bewußtloſe
Zuſtand, welcher jetzt zuerſt eintritt, iſt dem gewoͤhn-
lichen Schlaf ſehr aͤhnlich. Er dauert zuweilen nur
Minuten, zuweilen Stunden. Waͤhrend deſſelben
fragt man die Kranken eben ſo vergeblich als natuͤrlich
Schlafende. Wenn aber nach einer mehr oder minder
langen Dauer dieſes Zwiſchenzuſtaudes abermals ein
tieferes Odemhohlen bemerkt wird, wenn jetzt ſich auf
einmal die Geſichtszuͤge ungemein erheitern, und alle
Mienen eine gewiſſe hohe geiſtige Spannung verrathen,
iſt gewoͤhnlich der eigentliche Somnambulismus einge-
treten. Die Kranken beantworteten nun alle ihnen
vorgelegte Fragen mit einer Klarheit und Lebhaftigkeit
des Geiſtes, die man ſonſt nie an ihnen bemerkte. Sie
beſchreiben ihren Zuſtand ſelber als den ſeeligſten den
ſie jemals erfahren. Ihre Sprache veredelt ſich,
Maͤdchen, welche das Hochdeutſche nur aus Buͤchern
kannten, ſprachen es nun nach Heineckens Beobach-
tungen fertig, zugleich wird die wunderbare Eigen-
ſchaft des Vorherſehens koͤrperlicher Ereigniſſe erhalten,
wovon ich ſpaͤter ſprechen werde. Dieſer Zuſtand geht
zuletzt wieder in einen aͤhnlichen, von dem gewoͤhnlichen
Schlaf nicht mehr unterſcheidbaren uͤber, als der zu An-
fang war, aus welchem nundie Kranken erwachen. Zu-
weilen ſahe aber auch Heinecke ſtatt des Erwachens, nun
jenen noch mehr exaltirten Zuſtand eintreten, den er
Doppelſchlaf nannte, wovon ich hernach reden werde.
Bey dem Erwachen fuͤhlen ſich die Kranken wie neu be-
lebt. Alle Schmerzen ſind gelindert, die Verdauung
und Ernaͤhrung iſt ungewoͤhnlich erhoͤht und verbeſſert.
Die Kraͤfte nehmen bey laͤngerem Magnetiſiren taͤglich
zu, die Nervenzufaͤlle verliehren ſich, und ſehr oft be-
wirkt ſo der Magnetismus was kein andres Heilmittel
vermochte.
Dieſes ſind die fuͤr die Geſundheit ungemein wohl-
thaͤtigen Wirkungen des organiſchen Magnetismus, die
ihn zu einem der wirkſamſten Heilmittel gemacht haben.
Doch ſollen uns dieſe mediciniſchen Wirkungen hier zu-
naͤchſt nicht beſchaͤftigen, und wir gedachten ihrer blos
ſo fern ſie dienen koͤnnen, um uͤber das Weſen und die
Urſache der Haupterſcheinungen Aufſchluͤſſe zu geben;
vielmehr wenden wir uns zu jenen tiefer gehenden Wir-
kungen des thieriſchen Magnetismus, durch welche Ei-
genſchaften unſerer Natur erweckt werden, welche ſonſt
nie oder nur undeutlich hervortreten.
Der Somnambulismus kuͤndigt ſich ſogleich als
eine mit dem gewoͤhnlichen Daſeyn nicht unmittelbar zu-
ſammenhaͤngende Erſcheinung an. Denn obgleich die
Somnambuͤlen mit der groͤßten Lebendigkeit und Klar-
heit auf alle ihnen vorgelegte Fragen antworten, und
in jeder Hinſicht witziger ſinn - und geiſtreicher er-
ſcheinen als jemals im Wachen, ſo daß ſelbſt Naturen
von ſehr mittelmaͤßigem Umfang, in dieſem Zuſtand,
faſt uͤber die Graͤnzen der gewoͤhnlichen menſchlichen
Kraͤfte hinaustreten, bleibt doch von dieſem allen bey
dem Erwachen noch weniger zuruͤck, als von dunklen
Traͤumen.
Und doch iſt es ſo vielmehr als ein gewoͤhnlicher
Traum, daß man nicht in Verſuchung geraͤth, es da-
mit zu vergleichen. Die erſte Kranke des Heinecken
antwortete immer, wenn ſie gefragt wurde, ob ihr
jetziger Zuſtand einem Traum gliche, daß derſelbe da-
mit nichts gemein haͤtte, indem ſie vielmehr alles leb-
hafter und tiefer empfaͤnde, ſich ihrer ſelber viel klaͤrer
bewußt ſey, als jemals in Wachen. Ja der Som-
nambulismus ſcheint alles das was im Wachen unſer
iſt, in einem vorzuͤglich hohen Grade in ſich zu ver-
einigen. Die magnetiſch Schlafenden erinnern ſich
nicht allein aller Umſtaͤnde, die ihnen waͤhrend des
Wachens begegneten, mit einer ganz vorzuͤglichen Leb-
haftigkeit und Genauigkeit, ſo daß ſie in Zeiten zuruͤck,
wohin die gewoͤhnliche Erinnerung nicht reicht, die
kleinſten Begebenheiten, welche mit ihrer Krankheit
in Beziehung ſtehen, angeben koͤnnen; ſondern wir ſe-
hen ſie auch außer den zuſammenhaͤngenden Geſpraͤchen
wie ſie nur ein Wachender zu fuͤhren vermag, waͤh-
rend des Somnambulismus in dem Zimmer, und ſo-
gar außer dem Hauſe herumgehen, von allen Gegen-
ſtaͤnden die ihnen begegnen, Rechenſchaft geben, Be-
ſuche machen, und die gewoͤhnlichen Arbeiten verrich-
ten. Man kann alles dieſes in den beyden erſten Kran-
kengeſchichten des Bremer Heinecken leſen. Was das
wunderbarſte iſt, ſo haben ſie bey dieſem allen die Au-
gen eben ſo feſt verſchloſſen, als die gewoͤhnlichen
Nachtwandler, und wenn man die krampfhaft ver-
ſchloſſenen Augenlieder auch gewaltſam ein wenig oͤfnet,
ſieht man die Augenſterne wie im Schlaf weit nach oben
verdreht. Doch ich werde hiervon noch weiter unten
reden. —
Alle Sinnen ſind in dieſem Zuſtand in einer ſolchen
Schaͤrfe zugegen, wie ſonſt nie im Wachen. Magne-
tiſirtes Waſſer wird, wenn die Verſuche auch noch ſo
ſorgfaͤltig gemacht werden, ſogleich durch den Ge-
ſchmack erkannt, obgleich der Magnetiſeur nur das Ge-
faͤß von außen beruͤhrt hat; jemand der ins Haus hin-
eingieng, wurde von der erſten Kranken des Heinecken
ſogleich angemeldet, obgleich niemand andres ſein
Kommen bemerkt hatte. Der Geruch iſt ſo fein, daß
dieſelbe Kranke, die waͤhrend des Somnambulismus
mit ihrem Vater ausgegangen war, in der Naͤhe eines
Todtenackers nicht ausdauern konnte, obgleich die Be-
gleiter durchaus keinen uͤblen Geruch bemerkten. End-
lich ſo muß es auch einem vorzuͤglich reizbar gewordnen
Gefuͤhl zugeſchrieben werden, daß die Somnambuͤlen
nicht blos die unmittelbare Beruͤhrung, ſondern ſelbſt
die Annaͤherung von Metallen ſehr deutlich, und oft
ſchmerzhaft empfinden. Merkwuͤrdig iſt es hierbey,
daß das Gold, wenn es rein angewendet wird, den
magnetiſch Schlummernden immer ein angenehmes Ge-
fuͤhl macht, ohngefaͤhr wie die Beruͤhrung des Mag-
netiſeurs. Wir ſehen dieſes bey Gmelin und einigen
andern Aerzten immer, Heinecken aber erſchwerte ſich
den Verſuch dadurch, daß er eine goldne Uhr anwen-
dete, wo das innre Triebwerk von andrem Metall war.
Silber iſt wenigſtens in den meiſten Faͤllen nicht ſchmerz-
haft, dagegen verurſachen die ſogenannten unedlen Me-
talle, vorzuͤglich Eiſen und Zink, die lebhafteſten
Schmerzen, und werden hieran von den Somnambuͤ-
len, wenn man ſie ihnen auch noch ſo unvermerkt nahe
brachte, ſogleich erkannt. Dieſer Unterſchied der Me-
talle in ihrer Wirkung, wird aus vielen andren Ver-
haͤltniſſen beſonders auch aus dem Galvanismus be-
greiflich, wo die edlen Metalle, beſonders das Gold
an die aͤußerſte Graͤnze der einen, die unedlen Metal-
le, beſonders Zink und Eiſen, an die der andren Reihe
fallen, und wo beyde ſich voͤllig entgegengeſetzt verhal-
ten. Es iſt dieſes Gefuͤhl fuͤr Metalle, welches wie
ich hernach erwaͤhnen werde, in gewiſſen Faͤllen auch
an geſunden und wachenden Perſonen bemerkt wird,
um ſo merkwuͤrdiger, da es darauf hindeutet, daß je-
nes Wohlgefallen, welches der Anblick und die Beruͤh-
rung der edlen Metalle, beſonders des Goldes bey Vie-
len hervorbringt, vielleicht einen tieferen Grund in
den Eigenſchaften unſrer Natur hat, als gewoͤhnlich
geglaubt wird, und da der dunkle Trieb der die Men-
ſchen Metalle zu ſuchen, und ihren Werth beſtimmen
lehrte, ja ſelbſt der ſonſt raͤthſelhafte Geiz, hieraus be-
greiflich werden.
In dieſem allen hat jedoch der Somnambulismus
noch nichts, was mit den gewoͤhnlichen Eigenſchaften
des lebenden und wachenden Menſchen außer Bezie-
hung waͤre, jene ſcheinen nur in einem ganz vorzuͤgli-
chen Grad erhoͤht und verfeinert, ich wende mich aber
nun zu Eigenſchaften andrer Art, wovon ſich im ge-
woͤhnlichen Leben nichts Aehnliches zeigt.
Es gehoͤrt dahin zuerſt vornehmlich jene, welche
man einem geſchaͤrſten Gemeingefuͤhl zuſchreibt, und
welche außerdem auch zum Theil bey Nachtwandlern
gefunden wird, die Eigenſchaft aͤußere Gegenſtaͤnde zu
bemerken, ohne ſie zu ſehen. Die Augen ſind im ei-
gentlichen Somnambulismus immer ſo feſt verſchloſ-
ſen, daß ſie mit aller Gewalt kaum einige Linien weit
geoͤffnet werden koͤnnen. Die magnetiſch Schlafenden
haben vor denſelben einen lichten Schein, der zuwei-
len einem oͤfteren Blitzen gleicht. *) Zugleich aber ver-
moͤgen ſie mit ihnen durchaus nichts zu ſehen.
Das 16jaͤhrige Maͤdchen, das Heinecken faſt ein
ganzes Jahr lang magnetiſirte, und hierdurch vom
Tode rettete, hatte oͤfters, waͤhrend des magnetiſchen
Schlafs verſichert, daß ſie nichts mit den Augen ſehen
koͤnnte. Dennoch ſtund ſie, wie ſchon erwaͤhnt, mit
verſchloſſenen Augen auf, verrichtete weibliche Arbei-
ten, ſchrieb, ja ſie gieng ſogar aus, wußte auf der
Straße immer wo ſie war, und erkannte und bemerkte
alle Gegenſtaͤnde die ihr begegneten. Von dem Mag-
netiſeur oͤfters befragt, wie ſie dieſes vermoͤchte, ver-
ſicherte ſie immer, daß ſie zwar trotz jenem beſtaͤndi-
gen Licht vor dem Augen, dieſe nicht gebrauchen koͤn-
ne, daß ſie aber alles, was ihr begegnete und in ihrer
Naͤhe waͤre, auf eine andre Weiſe als durchs Geſicht,
aber eben ſo als wenn ſie es ſaͤhe, wahrnaͤhme, dieſe
Weiſe ſelber bliebe ihr uͤbrigens dunkel und unbegreif-
lich. „Ihr ganzer Koͤrper“ verſicherte ſie andre Ma-
le, ſey in jenem angenehmen Zuſtand „wie von Licht und
Waͤrme durchfloſſen.“ Dieſe ſeltſame Eigenſchaft,
die ſich uͤbrigens bey allen hoͤheren Graden des Som-
nambulismus findet, wurde bey Heineckens Kranken
oͤfters auf die Probe geſtellt. Man verband die oh-
nehin ſchon feſt verſchloſſenen Augen noch zum Ueber-
fluß mit einem Tuch, und dennoch erkannte ſie die
ſtillſchweigend in das Zimmer hereintretenden Perſonen
ſogleich. Beſonders wurde der Magnetiſeur ſelber,
wenn er ſo unkenntlich als moͤglich hereinkam, und von
den Anweſenden mit einem fremden Nahmen begruͤßt
ward, von ihr ſogleich erkannt.
Ich will hier nicht einmal jener raͤthſelhafteren
Verſuche gedenken, die uͤbrigens von einigen ſehr glaub-
wuͤrdigen Aerzten aufgefuͤhrt werden, wozu jener ge-
hoͤrt, wo ein in die Gegend der Herzgrube gehaltner
Brief von der magnetiſch Schlafenden geleſen wurde,
welcher Verſuch auch neuerlich in der Naͤhe von Jena
von einigen verdienſtvollen Maͤnnern wiederholt iſt.
Ohnehin iſt das allgemeiner bekannte Vermoͤgen der
magnetiſch Schlafenden, in das Innre ihres eignen
Koͤrpers zu ſehen, ſchon befremdend genug. Eine
vor wenigen Jahren in einer beruͤhmten Univerſitaͤts-
ſtadt magnetiſirte junge Baͤuerin, die von der innern
Beſchaffenheit ihres Koͤrpers auch nicht den mindeſten
Begriff hatte, beſchrieb dem Magnetiſeur alle innre
Theile der Bruſthoͤhle und des Unterleibes auf eine
zwar bildliche, aber leicht verſtaͤndliche Weiſe. Jene
oft erwaͤhnte junge Somnambuͤle des Bremer Heine-
cken, verſicherte, daß ſie waͤhrend des magnetiſchen
Schlafs, „wenn alle ihre Glieder, wie von Licht und
Waͤrme durchdrungen waͤren, das Blut in ihren Adern
fließen ſaͤhe, ja ſie beſchrieb deutlich das große Ner-
vengeflecht, welches den Magen und einen Theil der
andern Eingeweide mit Nerven verſorgt, und das beym
Magnetiſiren ganz vorzuͤglich afficirt ſcheint. Außer
dieſem bemerkte ſie auch nach ihrer Verſicherung meh-
rere vom Ruͤckenmark herkommende Nerven. Im Ko-
pfe ſelber waren ihr nur 2 Nerven ſichtbar, wahr-
ſcheinlich jene beyden gleichnahmigen Aeſte des merk-
wuͤrdigen 5ten Paares, welche mit dem großen ſympa-
thetiſchen Nerven in einigen Zuſammenhang ſtehen.
Wenn auch dieſes junge Frauenzimmer, das wahr-
ſcheinlich im Wachen nicht einmal wußte was ein Ner-
ve war, vielleicht einmal zufaͤllig bey dem Oeffnen ei-
nes Thieres die Eingeweide geſehen hatte, ſo hatte ſie
doch gewiß nie von der Geſtalt jener Nerven durch die
Sinnen eine Vorſtellung erhalten.
Nicht minder wunderbar als dieſe Eingenſchaft
des Nach- innen Sehens, iſt jene merkwuͤrdige des
Vorherſagens aller koͤrperlichen Veraͤnderungen, welche
auf die Krankheit Beziehung haben, und das Selber-
verordnen der Arzneyen. Waͤhrend naͤmlich die Som-
nambuͤlen, wie ſchon erwaͤhnt, bey dem Erwachen
ſich kaum erinnern koͤnnen, daß ſie geſchlafen haben,
wiſſen ſie jedesmal, wenn ſie ſich im magnetiſchen Schlaf
befinden, ſehr wohl, was ſie ſonſt in dieſem Zuſtand
geſagt und empfunden haben. Sie knuͤpfen deshalb
oͤfters ein Geſpraͤch an, das ſie erſt einige Zeit darauf
wenn ſie wieder im Somnambulismus ſind, fortfuͤh-
ren. Aber was dabey das Wunderbarſte iſt, und im
Wachen nichts aͤhnliches hat, dieſe Zuſtaͤnde haͤngen
nicht blos ruͤckwaͤrts, ſondern auch vorwaͤrts ungemein
unter ſich ſelber und mit allen ihnen verwandten koͤrperli-
chen Ereigniſſen zuſammen. Kaum war das junge Maͤd-
chen, deſſen Geſchichte uns hier vorzuͤglich beſchaͤftigt,
zum erſten Male durch das Magnetiſiren in jenen
Zuſtand des hoͤheren Bewußtſeyns verſetzt worden, wo
ſie aber anfaͤnglich noch nicht zu ſprechen vermochte,
als ſie durch Zeichen zu verſtehen gab, daß ſie nach
3 Wochen, waͤhrend des magnetiſchen Schlafes, wer-
de ſprechen koͤnnen. Dieſe Vorherſagung traf genau
ein, und der erſte Gebrauch, welchen ſie von dieſer
neuerlangten Gabe machte, war, daß ſie andre koͤr-
perliche Veraͤnderungen, und neue Perioden des mag-
netiſchen Schlafs vorausſagte, und ſich ſelber Mittel
verordnete, die bey der Anwendung uͤberaus wohlthaͤ-
tig befunden wurden. Ein andres Mal ſagte ſie voraus
daß die ſchlimmen Zufaͤlle ihrer Krankheit noch 4 Mo-
nate anhalten wuͤrden, daß ſie aber nur noch 3 Mona-
te lang anhaltend magnetiſirt werden muͤſſe. Oefters
ſagte ſie, voraus, daß ſie heute frey von Kopfſchmer-
zen ſeyn wuͤrde, und eben ſo oft kuͤndigte ſie bevorſte-
hende Ohnmachten genau bis auf die Minute voraus
an. Merkwuͤrdig war es in dieſer Hinſicht beſonders,
daß ſie, als einſt das von ihr ſelber verordnete Fußbad
vergeſſen war, ſich dieſes Vergeſſens im magnetiſchen
Schlaf erinnerte, und ſich ſchmerzlich daruͤber beklag-
te, weil ſie nun Abends um 8 Uhr fuͤrchterliche Kraͤm-
pfe mit Bewußtloſigkeit bekommen wuͤrde, die genau
eintrafen. Oefters, wenn ſie ſolche Krankheitsanfaͤl-
le vorausſahe, gab ſie zugleich Mittel an, ſie zu lin-
dern, welche dann wohlthaͤlig befunden wurden. Bey
dem Erwachen wußte ſie nie etwas von ihren Vorher-
ſagungen, und die Anfaͤlle, die ſie ihren Verwandten
ſo genau vorausgeſagt hatte, kamen ihr ſelber voͤllig
unerwartet.
Dieſe Vorherſagungen, die immer ſo puͤnktlich ein-
trafen, giengen oͤfters uͤber mehrere Monate hinaus.
So kuͤndigte ſie ſchon am 25ſten Maͤrz, mithin 7 Wo-
chen vorher an, daß am 14ten May ihr magnetiſcher
Schlaf ſeinen hoͤchſten Gipfel erreichen, und daß ſie dann
einen ganzen Tag ſchlafen wuͤrde, ja den Tag darauf,
als ſie wieder im Somnambulismus zum Sprechen
kam, beſtaͤtigte ſie nicht blos dieſes, ſondern fuͤgte
noch hinzu, daß ſie uͤber 18 Wochen wahrſcheinlich
zum letzten Mal in dieſem Jahr magnetiſch ſchlafen
wuͤrde, dann erſt wieder im kuͤnftigen Jahr am letzten
Oſtertage. Dieſes alles wurde genau erfuͤllt, und der
14te May war einer der merkwuͤrdigſten Tage in dieſer
ganzen Krankengeſchichte.
Zuweilen ſagen die Kranken nicht blos koͤrperliche
Veraͤnderungen, ſondern ſelbſt tieferliegende, geiſtige
voraus. So wußte das oft erwaͤhnte junge Maͤdchen
die Fragen des Magnetiſeurs beſonders ſolche, welche
die Beſchaffenheit ihres Zuſtandes angiengen, zu ge-
wiſſen Zeiten noch nicht zu beantworten, ſie vertroͤſtete
ihn dann aber immer auf irgend eine andre Zeit, die
ſie genau angab, wo ſie auch wirklich deutlicher dar-
uͤber zu ſprechen vermochte. Sie fieng dann immer
von ſelber an, den Faden des neulich abgebrochnen
Geſpraͤchs wieder aufzufaßen, und loͤſte mit wenig
Worten alles dunkel gebliebne auf. So wußte ſie vor-
aus, wenn ihr geiſtiges Vermoͤgen jenen Zuſtand einer
hoͤheren Klarheit erlangt haben wuͤrde, wo demſelben
tiefer liegende Gegenſtaͤnde deutlicher ſeyn muͤßten.
Nur einmal ſehen wir in Heineckens Krankenge-
ſchichten eine ſolche Vorherſagung unerfuͤllt geblieben,
doch war auch da wirklich der magnetiſche Schlaf, waͤh-
rend welchem ſie geſchahe, unvollkommner geweſen als
ſonſt. Als naͤmlich das junge reizbare Fraͤulein, de-
ren Krankengeſchichte die zweyte von ihm erzaͤhlte iſt,
eines Tages viele Stunden lang ſich in einem unvoll-
kommnen Somnambulismus befand, wo ſie die Au-
gen zuweilen geoͤffnet hatte wie beym Wachen, und
nur durch die eigenthuͤmliche Sprache, die ſie jedesmal
im magnetiſchen Schlaf zu ſprechen pflegte, dieſen Zu-
ſtand verrieth, ſahe ſie, waͤhrend eines ſolchen unvoll-
kommnen Zwiſchenzuſtandes, einen Schieferdecker, der
auf der Spitze des nahen Thurms arbeitete. Hier-
durch wurden in ihr ſo viele traurige Vorſtellungen von
Gefahren und ploͤtzlichen Todesfaͤllen erregt, daß ſie
ſich dieſer Gedanken bald nachher auch im vollkommnen
magnetiſchen Schlafe nicht entſchlagen konnte, wo ſie
wie eine Sterbende von ihren Verwanden Abſchied
nahm, und ihren Tod auf die naͤchſte Nacht voraus-
verkuͤndigte. Als ſie am andern Tag wo ſie geſund
und heiter, und von dem was ſie im magnetiſchen
Schlaf geſprochen nichts wiſſend, wieder erwacht war,
von neuem magnetiſirt wurde, gab ſie dieſe Urſache
ihrer geſtrigen Aengſtlichkeit ſelber an.
Unter die merkwuͤrdigſten Vorherſagungen gehoͤren
wohl die, wo die Kranken ſich auf einen gewiſſen Tag
Arzneyen verordneten, die auch dann wirklich indicirt
ſchienen. So verordnete ſich die zuerſt erwaͤhnte Kran-
ke einmal auf einen der naͤchſten Tage ein Brechmittel.
Als der beſtimmte Tag kam, waren wirklich jene Be-
ſchwerden da, welche das Erbrechen rathſam machten.
Die Wirkung der Arzneyen ward von ihr immer be-
ſtimmt vorausgeſagt, und zwar ſogar jene, welche
durchaus zufaͤllig ſcheint, z. B. wie oft eine Purganz
die ſie ſich nach einigen Tagen verordnet hatte, wirken
wuͤrde. Bey dem Erwachen wußte ſie wie von allem,
ſo auch von ihren eigenen Vorſchriften nichts, vielmehr
ſtraͤubte ſie ſich, die nie gern Arzneyen nahm, gegen
die Mittel um die ſie vorher ſo angelegentlich gebeten,
im Wachen ſo ſehr, daß ſie zuweilen Kraͤmpfe bekam.
Es bleibt nun vorzuͤglich nur noch eine Erſchei-
nung des magnetiſchen Schlafs uͤbrig, die ohnſtreitig
zu den merkwuͤrdigſten unter allen gehoͤrt, jene tiefe
Sympathie der Somnambuͤle mit dem Magnetiſeur
und andern mit ihr und ihm im Rapport ſtehenden Per-
ſonen. Die junge 12jaͤhrige Rathsherren Tochter,
von welcher der Heilbronner Gmelin erzaͤhlt, befand
ſich in jenem Zuſtand, deſſen ich nachher noch mit ei-
nigen Worten gedenken werde, wo ſie nur die Stimme
der mit ihr in Beziehung geſetzten Perſonen verſtund.
Mit ihrer aͤlteren Schweſter, einer Woͤchnerin, durf-
re ſie jedoch nicht erſt in dieſe Beziehung geſetzt werden,
vielmehr befand ſie ſich ſchon von ſelbſt darinnen, und
zwar in einer eben ſo innigen, oder faſt noch innige-
ren als mit dem Magnetiſeur. Als die neben ihr ſte-
hende Schweſter ihren kleinen Saͤngling an die Bruſt
legte, glaubte das junge Maͤdchen, vermoͤge dieſer
wunderbaren Sympathie, die hiermit verbundene Em-
pfindung an ihrer eignen Bruſt zu fuͤhlen. Als die
Schweſter unverſehens mit einer Nadel am Arm ver-
letzt worden, beklagte ſich die magnetiſch Schlafende,
daß ſie jemand an dem entgegengeſetzten Arm geſtochen
habe, und dieſer Verſuch zeigte, ſo oft man ihn mach-
te, dieſelbe Wirkung. — Die magnetiſch Schlafenden
wiſſen, vermoͤge dieſer Sympathie, um alle Bewegun-
gen, welche der Magnetiſeur ſelbſt hinter ihren Ruͤcken
vornimmt, ja es ſcheint zuweilen als ob ſie die tiefſten
Gedanken deſſelben erriethen. Zugleich ſcheint, wie
ſie dieſes ſelber bezeugen, waͤhrend jenes Zuſtandes ihr
Wille mit dem des Magnetiſeurs nur einer.
Es ſcheint hieraus unter andern jene unſchuldige
Zuneigung zu kommen, welche die Somnambuͤlen an
den Magnetiſeur und an Alles was ſein iſt, feſſelt.
Jene Sympathie mit dem Magnetiſeur geht oͤfters
ſo weit, daß die magnetiſch Schlafenden nur ſolches
Waſſer zu trinken verlangen, welches von ihm vorher
beruͤhrt war. Die oft erwaͤhnte Kranke wußte, ſo oft
auch die Verſuche damit gemacht wurden, das magne-
tiſirte Waſſer immer von dem gewoͤhnlichen zu unter-
ſcheiden. Ja Dinge, welche von dem Magnetiſeur
beruͤhrt waren, wirken, wenn die Empfaͤnglichkeit in
dieſen Zuſtand verſetzt zu werden, ihren hoͤchſten Grad
erreicht hat, gleich ihm ſelber magnetiſchen Schlaf.
So die magnetiſirten Flaſchen, bey Heineckens Kran-
ker, die ſie vorher aus vielen nicht magnetiſirten her-
aus zu finden wußte. Ja die ſchon wiedererwachte
Kranke, fiel von neuen in magnetiſchen Schlaf, als
ſie die noch zufaͤllig daſtehende Flaſche im Eifer des
Geſpraͤchs unvermerkt beruͤhrt hatte.
Ich weiß nicht ob aus dieſer ſonderbaren Sympa-
thie mit dem Magnetiſeur, nicht zum Theil das er-
klaͤrt werden muß, was die magnetiſch Schlafenden zur
Heilung ihrer Krankheit vorſchlagen. Heineckens Kran-
ke verlangten ſtets die Mittel, welche im Geiſt der
Heilmethode waren, die ſich ihr Arzt zu eigen gemacht
hatte. Aderlaͤſſe, Brechmittel und Abfuͤhrungen wa-
ren faſt der ganze Kreiß, um welchen ſich ihr Wiſſen
bewegte, und im Geiſt der Schule, zu welchen ihr
Magnetiſeur gehoͤrte, waren auch die Anſichten, die
ſie von ihrer Krankheit gaben. Dagegen wurde von
den Kranken, die man vor einigen Jahren auf einer
Academie magnetiſirte, wo der Magnetiſeur und alle ſei-
ne junge Gehuͤlfen einer andern Schule zugethan waren,
von den magnetiſch Schlafenden nie ein Vorſchlag zu
Brechmitteln oder Abfuͤhrungen gehoͤrt, vielmehr ver-
langten ſie immer ſogenannte ſtaͤrkende Mittel, welche
bey der Anwendung wenigſtens eben ſo vortheilhaft ge-
funden wurden, als die von andren Somnambuͤlen
verlangten Abfuͤhrungen. Auch aͤußerten ſie ſich uͤber
ihre Krankheit auf eine Weiſe, daß ihre Aerzte damit
zufrieden ſeyn konnten. Doch laͤßt ſich vielleicht fuͤr
dieſe Verſchiedenheit der Verordnungen der Somnam-
buͤlen ein noch andrer naͤherer Grund finden. Vielleicht
erfinden die magnetiſch Schlafenden, trotz der Klarheit,
mit welcher ſie ſich ihrer ſelber, und alles deſſen was
ſie zunaͤchſt angeht, bewußt ſind, niemals etwas das
uͤber die Graͤnzen ihres eigenen Weſens hinaus liegt.
Ueber ihre eigne Natur und uͤber das was ſie zunaͤchſt
beruͤhrt, wiſſen ſie dagegen auf eine bewundernswuͤr-
dige Weiſe Auskunft zu geben, und uͤber die Veraͤnde-
rungen, welche ſelbſtſtaͤndig in dieſer vorgehen, belehrt
ſie ein unerklaͤrliches dunkles Gefuͤhl, lange voraus.
Dagegen giebt ihnen vielleicht das, was durch eine zu-
faͤllige Kenntniß der entfernt liegenden aͤußern Natur
bey der Heilung hinzugethan wird, eine vorhergegang-
ne Erfahrung. Wie ſchon erwaͤhnt, weiß ſich die
Somnambuͤle an alles was ſie jemals im wachenden
Zuſtand in Beziehung auf ihre Krankheit erfahren,
mit einer beſondern Klarheit, und ungemein weit ruͤck-
waͤrts zu erinnern. Sie weiß wohl, wie alle bey ihr
angewendeten Mittel gewirkt haben, und vermoͤge die-
ſer Kenntniß ihrer Wirkungen, ſchlaͤgt ſie die Arzneyen
vor, die bey den koͤrperlichen Umſtaͤnden deren Annaͤhe-
rung ſie fuͤhlt, angewendet werden ſollen. Deshalb
koͤnnte auch jene junge neuerdings auf einer gewiſſen
Academie magnetiſirte Baͤuerin, ſtets hartnaͤckig auf
ſtaͤrkenden Mitteln beſtanden haben, weil ſie aus
Erfahrung, waͤhrend der vorhergehenden Behandlung,
keine andern kennen gelernt hatte, und aus demſelben
Grund konnten andre Kranke blos Abfuͤhrungen, Brech-
mittel und Blutlaſſen verlangen.
Doch wenn auch dieſer Fall noch anders als aus
der Sympathie der Somnambuͤle mit dem Magnetiſeur
erklaͤrt werden koͤnnte, ſo iſt doch dieſe ſelber in andern
Faͤllen, die ich ſchon oben anfuͤhrte, unverkennbar. Eben
ſo unverkennbar iſt die der Somnambuͤlen unter einan-
der ſelber, wenn ſie von demſelben Magnetiſeur behan-
delt ſind. Gmelins Patientinnen wurden durch eine
beſondre und unwiderſtehliche Zuneigung aneinander
gefeſſelt, und eben ſo fuͤhlten ſich die beyden erſten
von Heinecken magnetiſirten, innig aneinander ange-
zogen. Ihre Naͤhe wirkte, wenn ſie beyde im mag-
netiſchen Schlafe waren, ſo wunderbar, daß ſie bey-
de nicht aus demſelben zu erwachen vermochten, bis
man ſie getrennt hatte.
Jene tiefe Sympathie der magnetiſch Schlafen-
den mit dem ihr innig Befreundeten, und mit dem
Magnetiſeur, zeigt ſich in einem andern Zuſtand, der
von ihnen ſelber Doppelſchlaf genannt iſt, noch deutlicher.
Es ſcheint dieſer eine hoͤhere Potenz des gewoͤhnlichen
Somnambulismus, ſo wie dieſer eine hoͤhere Stufe des
wahren Zuſtandes der Seele iſt. So wie naͤmlich im Som-
nambulismus alle die Eigenſchaften, welche die menſch-
liche Natur beym Wachen beſitzt, in einem viel hoͤhe-
ren Grad zugegen ſind, wie in ihm alles was die See-
le wachend weiß, mit einer ganz beſondern Klarheit
uͤberblickt wird; ſo ſind im Doppelſchlaf alle Eigen-
ſchaften die ſich im gewoͤhnlichen Somnambulismus
zeigen, in einer vorzuͤglichen Staͤrke da, und die in
ihm Begriffenen wiſſen alles was ſie in jenem Zuſtand
gedacht und geſprochen haben. Dagegen findet ſich,
was wohl zu bemerken iſt, im gewoͤhnlichen
Wachen auch nicht die Spur einer Erinnerung an den
Zuſtand des Somnambulismus, eben ſo wenig als ſich
in dieſem eine an das zeigt, was im Doppelſchlaf mit
den Kranken vorgieng. Was uns hier dieſen Zuſtand
vorzuͤglich merkwuͤrdig macht, iſt, daß die im Dop-
pelſchlaf befindlichen, nur fuͤr ihren Magnetiſeur Sinn
haben, nur ſeinen Fragen antworten, und nur ſeine
Naͤhe mit dem gewoͤhnlichen Wohlgefallen ertragen,
waͤhrend ihnen andre Perſonen, ſelbſt wenn ſie ſich nur
unvermerkt naͤhern, Angſt und Schmerzen verurſachen.
Wenn dieſe ſelbſt mit lauter Stimme und ganz nahe
ſtehend, die Schlafenden anreden, werden ſie von ihr
eben ſo wenig vernommen, als von einer feſt Schla-
fenden oder Ohnmaͤchtigen.
In Beziehung mit ihr geſetzt, ſcheinen ſie ihr aus
weiter Ferne und unvernehmlich, oder in einem unver-
ſtaͤndlichen Dialekt zu ſprechen. In dieſem Zuſtand
nimmt die Somnambuͤle nur durch jene innige Verbin-
dung der beyden Seelen, an dem Wachen des Magne-
tiſeurs Theil, fuͤr die uͤbrige Außenwelt iſt ſie im tie-
fen Schlaf. In Gmelins Krankengenſchichten ſehen
wir dieſen Zuſtand, wo die magnetiſch Schlafenden
nur noch fuͤr ihren Magnetiſeur, mit deſſen Seele die
ihrige Eins ſcheint, Sinn und Bewußtſeyn haben, oͤf-
ters eingetreten. Wahrſcheinlich blos deswegen, weil
ſich Gmelin das Magnetiſiren durch einen Iſolirtiſch
erleichterte, waͤhrend Heinecken der im freyen Zimmer
magnetiſirte, hierdurch die Verbindung der Schlafen-
den mit der Außenwelt unterhielt.
Wenn nun ſchon im thieriſchen Magnetismus, wie
offenbar in der oben erzaͤhlten Geſchichte der beyden
Schweſtern, eine ſolche innige Vereinigung zweyer
menſchlicher Weſen moͤglich iſt, wo das Eine an allen
Bewegungen und Gefuͤhlen des andern ſo Theil nimmt,
als ob es ihm ſelbſt geſchaͤhe; wenn dieſes tiefe Mitge-
fuͤhl das ſich zwiſchen Magnetiſeur und Somnambuͤle
zeigt, oͤfters noch in einiger Entfernung beyder wirk-
ſam iſt, und das was mit jenem in unmittelbarer Be-
ziehung war, auf dieſe einen eigenthuͤmlichen Einfluß
zeigt; ſo iſt von hieraus nur noch ein Schritt zu dem
wunderbaren Mitwiſſen eines Entfernten um die Schick-
ſale, vornehmlich aber um den Tod einer geliebten,
nahe verwandten Perſon. Wir ſahen die Moͤglich-
keit daß uͤberhaupt zwey getrennte menſchliche Weſen
in gewiſſer Hinſicht Eins zu ſeyn vermoͤgen. Das
Geiſtige in uns, ſelbſt wenn es hierin nur den koͤrper-
lichen Kraͤften des Anorgiſchen, z. B. dem Licht, dem
Magnetismus, der Elektricitaͤt gliche, wirkt durch kei-
ne Entfernung gehindert, auf Alles Verwandte hin-
uͤber. Oefters befinden ſich dabey die Perſonen denen
ein ſolcher ungewoͤhnlicher Zufall begegnet, in einem
dem magnetiſchen Schlaf ahnlichen Zuſtand. So war
ein Freund von mir, der als Schriftſteller be-
kannt iſt, von der gefaͤhrlichen Krankheit ſeiner
weit entfernten geliebten Schweſter nicht unter-
richtet. In derſelben Nacht aber wo ſie ſtarb, ſieht
ihn ſein in demſelben Zimmer ſchlafender Mitſchuͤler
mit verſchloſſenen Augen aufſtehen, und mit vielen
Klagen etwas niederſchreiben. Jener erinnert ſich am
andern Morgen an nichts mehr, ſelbſt nicht daß ihm
etwas Aehnliches getraͤumt habe. Das Papier das er
in der vergangnen Nacht beſchrieben, wird hervorge-
holt, um ihn mit den Zuͤgen ſeiner eignen Hand zu
uͤberzeugen, und man findet ein Gedicht auf den Tod
einer geliebten Schweſter. —
Es iſt bekannt, wie ſelbſt einer unſern Kantiſchen
Philoſophen, einen aͤhnlichen Fall, wo ein junger
Menſch den Tod ſeiner Geliebten durch eine Viſion vor-
aus wußte, ſelber bezeugt. Doch ungleich merkwuͤr-
diger als dieſe Faͤlle, deren es eine unzaͤhlige Menge
giebt, ſind die zum Theil von Aerzten bezeugten, wo,
beſonders Wahnſinnige oder Nervenkranke, zuweilen
aber auch geſunde Perſonen, ein ſeltſames Vorgefuͤhl
von dem nahen Tod andrer ganz fremder Menſchen
zeigten. Die Geſchichte jenes roͤmiſchen Moͤnches,
der dieſes Vorgefuͤhl auf dem Krankenlager hatte, und
deſſen Vorherſagung bey allen genau eintraf, iſt be-
kannt. Merkwuͤrdig iſt auch in dieſer Hinſicht die Peſt
zu Baſel (am Ende des 16ten Jahrhunderts) wo die
Anſteckung mit einer Art von Bewußtſeyn geſchahe,
und wo faſt jeder Sterbende, ſelbſt in den bewußtlo-
ſen Phantaſien der letzten Augenblicke, den Nahmen
deſſen anrief, der zunaͤchſt nach ihm ſterben mußte.
Jener Wahnſinnige, den Moriz anfuͤhrt, wußte auch
den nahen Tod fremder Perſonen voraus, und ſchien
die nahe Aufloͤſung ihres Koͤrpers an dem Geruch der
Ausduͤnſtungen zu bemerken. Dieſer dunkle, am we-
nigſten verſtandene Sinn, ſcheint es auch, der eini-
gen andern Perſonen, deren Geſchichte mir bekannt iſt,
noch ganz Geſunden, das nahe Ende vorausſagen
ließ.
Zwey von ihnen, davon ſich der eine in Berlin,
ſo viel ich weiß, noch lebend befindet, der andre Schul-
lehrer im Erzgebuͤrge war, hatten dieſe Gabe in vor-
zuͤglich hohem Grade, und erſchreckten oͤfters ſich und
ihre Verwandten durch eine ſolche ungluͤckliche Vorher-
ſagung. Obgleich, wie es ſcheint, durch den Geruch
erweckt, ſtellten ſich dieſe Phantaſien auch andern Sin-
nen dar.
Wenn die magnetiſch Schlafenden ſich ſelber den
Ausgang ihrer Krankheit, auf laͤnger als ein Jahr
vorausſagen, wenn ſie alles, ſelbſt was durchaus
zufaͤllig ſcheint, wenn es nur auf ihre Krankheit Be-
ziehung hat, genau voraus wiſſen, ſo muß auch das
dunkle Gebiet der Vorahndungen hierdurch einiges Licht
erhalten. Meiſtens empfaͤngt ſie die Seele im Trau-
me oder in einem dem Traume ahnlichen Zuſtand, und
es gleicht dieſer Zuſtand auch durch die Erhoͤhung aller
geiſtigen Krafte, und durch das Wonnegefuͤhl, wo-
mit er meiſtens begleitet war, dem magnetiſchen
Schlafe.
Ich koͤnnte auch aus dieſem dunklen Gebiet unſrer
Natur eine Menge auffallende Thatſachen anfuͤhren,
doch begnuͤge ich mich an einigen, welche die Verwand-
ſchaft mit dem thieriſchen Magnetismus am meiſten
zeigen.
Es geſchahen die meiſten und merkwuͤrdigſten Vor-
ahndungen dieſer Art, in den Augenblicken einer from-
men Begeiſterung, oder pflegten die Geſtalt einer ſol-
chen anzunehmen (recht nach der Meynung der Alten,
welche allen Blick in die Zukunft dem Geiſt des hoͤheren,
alle Dinge umfaſſenden Einfluſſes zugeſchrieben.) So
verkuͤndigte ſich dem Philipp Melanchton der nahe Tod
in einem alten Kirchengeſange, worin er im Traume
das Sehnen nach der letzten Aufloͤſung beſungen, dem
bekannten Hottinger auf aͤhnliche Weiſe in einem Spruch
aus der Bibel. Jene Woͤchnerinn *) ſo wie die Euphro-
ſine Elvers, und die Predigerstochter zu Schmoͤlln
haben die Naͤhe des Todes in dem Zuſtand einer nie ge-
fuͤhlten Wonne voraus geſehen, und nicht ſelten haben
ſelbſt Kinder in dieſem Zuſtand mit einer Klarheit und
Staͤrke, welche uͤber ihre Jahre erhaben war, den Ver-
wandten und andern Gegenwaͤrtigen, ſo wie ſich ſelber,
das kuͤnftige Schickſal voraus geſagt. **) Haͤufig iſt
beſonders eine ſolche Vorahndung des nahen Todes bey
unſchuldigen Kindern, wovon mehrere Faͤlle bekannt
ſind.
Dem alten Chryſoſtomus kuͤndigt ſich die nahe Be-
freyung aus den Banden des Irdiſchen durch ein from-
mes feuriges Geſpraͤch mit dem laͤngſt verſtorbnen Leh-
rer an, und ein aͤhnliches Gluͤck, nur ſanfter und jung-
fraͤulicher, wiederfaͤhrt dem jungen Maͤdchen, von wel-
chem Gregorius ſchreibt.
Vielen hat ſich die Naͤhe der letzten Aufloͤſung durch
eine ſuͤße Muſik offenbart. In den letzten Stunden
iſt dieſe Erſcheinung haͤufiger und allgemeiner bekannt.
Bey vollkommen Unpoetiſchen nimmt oͤfters eine ſolche
Offenbarung des Zukuͤnftigen die Geſtalt der Begeiſte-
rung und Poeſie an, und jenem Domherrn zu Werda
am Rhein, ſpricht ſich die Vorempfindung des unver-
muthet nahen Endes in Verſen aus.
Selbſt die Sprache und das klare Bewußtſeyn kehrt
bey ſolchen, welche ſie ſeit langer Zeit verlohren, in
ſolchen Augenblicken der Vorahndung wieder. So je-
nem kranken Greis zu Buzow, der ſeit 28 Jahren ge-
laͤhmt und gaͤnzlich ſprachlos war, und dem ein freu-
diger Traum, der ihm das Ende ſeiner langen Leiden
verkuͤndigte, die verlohrne Rede auf den letzten Lebens-
tag zuruͤckgab. Selbſt einem wirklichen Taubſtummen
(Krauſe) der vor einigen Jahren zu Jena ſtarb, hat
man gleich am Anfang der letzten Krankheit ſeinen na-
hen Tod mit einem von ihm noch nie ſo deutlich ver-
nommenen Wort verkuͤndigen hoͤren. Dieſer war naͤm-
lich in einen beruͤhmten Taubſtummeninſtitut zwar un-
terrichtet, hatte aber wegen eines fehlerhaften Organs
nie vernehmlich ſprechen gelernt; jetzt aber in der Be-
geiſtrung der letzten Stunden wurde die bis dahin ge-
bundne Zunge geloͤſt *) wie ſich auch bey Bloͤdſinnigen
nach dem Tode, und ſelbſt nach zerſtoͤrtem Schedel das
Geſicht noch auf einmal veredelt und verklart.
Eine andre Verwandſchaft zeigt der Somnambu-
lismus mit dem neuerlich ſehr zur Sprache gekommenen
Gefuͤhl fuͤr Metalle.
Wenn es naͤmlich unlaͤugbar iſt, daß die Metalle
auf alle magnetiſch Schlafenden, ſelbſt aus einiger Ent-
fernung, wie ſchon in Heineckens vielfaͤltigen, und bis
zur hoͤchſten Qual der Somnambuͤlen wiederholten Ver-
ſuchen ſichtbar wird, heftig einwirken, ſo wird hier-
aus dieſe Gabe, die ſich an gewiſſen Menſchen auch
im geſunden Zuſtand gezeigt hat, begreiflicher. Es
iſt ſchon aus Humbolds fruͤheren Verſuchen bekannt,
daß ſelbſt die vom Koͤrper getrennten, ſchon faſt toden
Nerven, bey der Wirkung der Metalle im Galvanismus,
eine Art von Atmosphaͤre um ſich zeigen, und daß des-
halb ſchon die angenaͤherten Metalle dieſelben Zuckungen
hervorbringen, wie in andern Faͤllen die unmittelbar
beruͤhrten. Auch iſt es bekannt, daß im Galvanis-
mus die edlen Metalle, die ſich von den unedlen ſchon
dadurch unterſcheiden, daß ſie unter der Einwirkung
der Luft und des Waſſers nicht ſo verkalken (roſten)
als die unedlen, ſich zu dieſen auf ganz entgegengeſetz-
te Weiſe verhalten, eben ſo wie im magnetiſchen Schlaf.
Jene Atmosphaͤre, wenn wir dieſen Ausdruck hier brau-
chen wollen, iſt nun bey einigen lebenden und ſonſt ge-
ſunden Perſonen von ſolchem Umfang, daß dieſe ſelbſt
von ziemlich entfernt unter ihren Fuͤßen, oder neben
ihnen verborgnen Metallen einige deutliche Empfindung
haben.
Jenes geſchaͤrfte Gemeingefuͤhl, durch welches die
magnetiſch Schlafenden außer ihnen befindliche Gegen-
ſtaͤnde erkennen, ohne ſie eigentlich zu ſehen, iſt, wie
ſchon erwaͤhnt, auch den gewoͤhnlichen Nachtwandlern
eigen. Auch dieſe ſieht man mit verſchloſſenen Augen
herumgehen, und dabey alle ihnen entgegenſtehende
Gegenſtaͤnde ſorgfaͤltig vermeiden, oder beym Klet-
tern, die feſten Stellen fuͤr den Fuß gluͤcklich heraus-
waͤhlen. Sie ſchreiben in dieſem Zuſtand ſo deutlich
als ſonſt, ſehen nach der Uhr, und ſagen genau die
Stunde an, und benehmen ſich in Allem, als ob ſie
ſaͤhen. Auch in Krankheiten iſt zuweilen, wenn ſonſt
alle Sinne unwirkſam wurden, noch ein ſolches ſehr
geſchaͤrftes Gemeingefuͤhl uͤbrig. So erkannte das
kranke Maͤdchen, deſſen Geſchichte der Irrlaͤnder Ec-
cles aufbehalten hat, nachdem auf dem laugen Kran-
kenlager das Geſicht, und zuletzt auch das Gehoͤr ver-
gangen waren, die eintretenden Bekannten eben ſo
durch ein gewiſſes dunkles Gefuͤhl, ſobald ſie in ihre
Naͤhe traten. Ein ſolches Gemeinfuͤhl wird auch zuwei-
len bey Ohnmachten, und vielleicht bey einem ihnen
verwandten noch tieferen Zuſtand, bey dem angehenden
Tod gefunden.
Vorzuͤglich merkwuͤrdig iſt aber jenes innre Licht,
welches nach der Ausſage der magnetiſch Schlafenden
ihren ganzen Koͤrper durchſtroͤmt, und das nicht min-
der in den zuletzt erwaͤhnten Zuſtaͤnden gefunden wird.
Es wird bey tiefen Ohnmachten oͤfters ein eigenthuͤmli-
ches Leuchten vor den Augen geſehen, und die aus tie-
ſen Ohnmachten und Scheintod Erwachenden, beſchrel-
ben den nach der Ausſage faſt Aller ungemein ſeeligen
Zuſtand, in welchem ſie ſich befanden, oͤfters ſo, daß
ſie von einem hellen glaͤnzenden Schein umfloſſen gewe-
ſen waͤren.
Ueberhaupt iſt es dieſe Verwandſchaft des thieri-
ſchen Magnetismus mit dem Tode, welche die vorzuͤg-
lichſte Aufmerkſamkeit verdient. Die Natur hebt ſol-
che ſonſt unheilbaren Krankheiten, die nur dem Mag-
netismus weichen, durch den Tod, und giebt ſo durch
eine vollkommene Umwandlung, der kranken menſch-
lichen Natur die verlohrne innre Harmonie zuruͤck. Der
Magnetismus, welcher nicht ſelten ein Erſtarren der
Glieder wie im Tode, und andre hiermit verwanden
Symptome zur erſten Wirkung hat, iſt auch hierin das
im Kleinen, was der Tod im Großen und auf eine voll-
kommnere Weiſe iſt. Auch Ohnmachten und der noch
tiefer mit dem eigentlichen Tod verwandte Scheintod
ohne Bewußtſeyn, zeigen ſich, ſo wie ſie von einem glei-
chen, oder vielmehr noch viel hoͤheren Wonnefuͤhl beglei-
tet ſind als der Somnambulismus, nicht minder heil-
ſam als der magnetiſche Schlaf, und die aus ihm Er-
wachenden ſind meiſt von der vorhergegangenen Krank-
heit, die ſie in dieſen Zuſtand verſetzt, vollkommen be-
freyt, ja auf eine unbegreifliche Weiſe geſtaͤrkt.
Ja ſelbſt jenes innre Licht und Hellſehen, erinnert
an den Phosphor und an den leuchtenden Zuſtand, wel-
chen die Verweſung an den toden organiſchen Koͤrpern
hervorruft. Von den Phaͤnomenen der Elektricitaͤt,
und wohl noch tiefer hinab, bis hinauf zu denen der
Vereinigung der Geſchlechter im Organiſchen, ſehen
wir uͤberall das brennbare Weſen auf dem hoͤchſten Gi-
pfel des Daſeyns und der Wechſelwirkung erſcheinen,
durch die hoͤchſte Thaͤtigkeit des Lebens hervorgerufen
werden. Zugleich werden in jenen Augenblicken, wo
der Phosphor in ihnen erwacht, die Weſen einer wei-
teren und allſeitigeren Wechſelwirkung mit der Außen-
welt faͤhig, und dieſe tritt den vorhin auf die naͤchſte
Beruͤhrung beſchraͤnkten Koͤrpern, dann erſt in wirkli-
che Anſchauung, faͤngt dann erſt an fuͤr ſie zu exiſti-
ren. So tritt der verbrennende Koͤrper, wie die Pflan-
ze und das Thier in der Zeit des Bluͤhens und der Be-
gattung (der Erſcheinung des Phosphors) mit einer
ſonſt fuͤr ihn nicht vorhandnen Außenwelt und mit ei-
nem hoͤheren Ganzen in innige Beziehung. Das Sehen
ſelber iſt, wie wir anderwarts ſahen, mit Recht ein
Selberleuchten des Auges genannt worden, welches
mithin blos durch die Eigenſchaft des Leuchtens mit
der Außenwelt in jene Beziehung tritt, die wir An-
ſchauen nennen.
Auf der andern Seite ſehen wir durch alles das,
was das brennbare Weſen erweckt, die Thaͤtigkeit des
Lebens erhoͤht, und in einem hoͤheren Maas das Leben
ſelber zerſtoͤrr werden. Auf die letzte Weiſe bewirken
die Gifte, von der Verwandſchaft des Phosphors, und
der Blitz, auf gleiche Weiſe als ein zu hoher Grad von
Leidenſchaften eine augenblickliche Vernichtung des
organiſchen Lebens, und bey vielen Weſen faͤllt der
Moment wo das thieriſche oder vegetabiliſche Leben am
maͤchtigſten erhoͤht iſt, der Moment der Begattung,
mit dem des Todes zuſammen. Wenn daher bey je-
nem unmaͤßigen Grade der Leidenſchaften oder der Er-
hoͤhung der Lebenskraͤfte, das brennbare Weſen deutlich
hervortritt, muß dieſes auch anderwaͤrts, bey jeder
vorzuͤglichen Erhoͤhung der Lebenskraͤfte, wenn auch
minder nach außen bemerkbar, erwacht ſeyn. Wie da-
her das Sehen bey dem Auge, ſcheint auch jenes Se-
hen der Somnambuͤlen nach Innen, und mit verſchloßnen
Augen nach außen, und alle andere Phaͤnomene des
Hellſehens, durch das Freywerden jenes merkwuͤrdigen
brennbaren Weſens bewirkt zu werden.
Auch bey jenen dem Tode oͤfters vorausgehenden
Erſcheinungen einer hohen Begeiſterung, der Vorahn-
dungen, und andern Zuſtaͤnden die dem Somnambu-
lismus und dem Hellſehen ſo nahe verwandt ſind,
ſcheint jenes brennbare Weſen, *) das im Tode und in
der erſten Periode der letzten Aufloͤſung ſo vorzuͤglich
bedeutend wird, ſchon Theilweiſe und auf Momente
frey zu werden, und jene Momente ſind daher nicht
Vorahndungen des Todes, ſondern der angehende, auf
Augenblicke, oder Theilweiſe ſchon eintretende Tod ſel-
ber. Sie ſind, wie wir in der vorhergehenden Vorle-
ſung ſahen, die Momente wo die menſchliche Natur
die Anker nach einer ſchoͤneren Heymath lichtet, und wo
die Schwingen des neuen Daſeyns ſich regen.
So bezeichnet das Erwachen des brennbaren We-
ſens, wie im Anorgiſchen das Erſcheinen des Lichts, *)
uͤberall den Moment, wo die irdiſchen Dinge ſich uͤber
die Natur des Planeten erheben, wo ſie von dieſem
frey werden, und in eine hoͤhere Ordnung der Dinge
eintreten. Auch fuͤr das menſchliche Daſeyn ſcheint
ſich zuletzt die Befreyung von dem Planeten auf eine
aͤhnliche Weiſe nach Außen kund zu geben, und viel-
leicht iſt die Geſchichte unſrer letzten Verwandlung,
ſchon mit dem Erſcheinen des Phosphors geendigt.
Es blieb uns noch Einiges zur Loͤſung der in der letz-
ten Vorleſung aufgeſtellten Erſcheinungen uͤbrig, viel-
leicht daß uns ſchon dieſes am Schluß des Ganzen noch
einmal zu dem Hauptinnhalt dieſer Unterſuchungen,
und zu ihren endlichen allgemeinen Folgen zuruͤckfuͤhrt.
Jene aͤußerliche Weiſe, wie der organiſche Magnetis-
mus in einem hierzu empfaͤnglichen Koͤrper hervorge-
bracht wird, ſcheint nur die natuͤrliche Wirkung des
Nervenſyſtems auf die untergeordneten Theile, in ei-
nem vorzuͤglichen Grade zu erhoͤhen. Die Bewegung,
welche der Magnetiſeur von dem Haupte des zu Mag-
netiſirenden nach den unteren Theilen deſſelben aͤußer-
lich macht, ſcheint der innern Wirkung des Gehirns
nach denſelben Theilen, welch in einer gleichen Rich-
tung geſchieht, zu Huͤlfe zu kommen, und die gewoͤhn-
liche Wirkung des Gehirns auf die Muskeln uͤber die
gewoͤhnliche Graͤnze hinaus zu verſtaͤrken. Nach dem
allgemeinen, fruͤher ſchon oft erwaͤhnten Geſetz, er-
folgt dann, wenn die Einwirkung des Nervenſyſtems
auf den untergeordneten Gegenſatz ihren hoͤchſten Gipfel
erreicht hat, die Ruͤckwirkung des letzteren, und in dieſem
Fall um ſo ſchneller und ſtaͤrker, jemehr die ſchwache
Lebenskraft des Nervenſyſtems der kraͤnklichen Som-
nambuͤle durch die uͤber das gewoͤhnliche Maas erregte
Wechſelwirkung erſchoͤpft war. Hieraus iſt anderwaͤrts
der Schlaf, und ſelbſt der Tod hergeleitet worden. Ei-
ne ſolche Ruͤckwirkung der untergeordneten Theile, be-
ſonders des Magens und der mit ihm zunaͤchſt verbund-
nen Organe auf das Gehirn, waͤhrend welcher ſich die-
ſes paſſiv verhaͤlt, iſt auch die Urſache des magneti-
ſchen Schlafs und ſeiner merkwuͤrdigen Erſcheinungen.
Es wird an dieſem, ſo wie an den mit ihm verwandten
Phaͤnomenen erkannt, daß eine gaͤnzliche Paſſivitaͤt,
gleichſam eine Abweſenheit der hoͤheren Kraͤfte in uns
noͤthig ſey, damit jene fremdartige, tief im Innern
ſchlummernde Natur ſichtbar werde.
Was zuerſt jene Sympathien angeht, die Wir-
kung entfernter und unter ſich verwander Weſen auf
einander, ſo gruͤndet ſich dieſe auf die verſchiedenen
Grade der geiſtigen Erregbarkeit der einzelnen Organe,
oder Individuen. Die unſelbſtſtaͤndigſten, wie dieſe
ſchon an ſich dem hoͤheren Einfluß am meiſten unterge-
ordnet ſind, werden auch fuͤr alle aͤußeren Einwirkun-
gen am leichteſten afficirbar ſeyn; in organiſchen Koͤr-
pern wird der unvollkommenere Gegenſatz dieſe groͤßere
Erregbarkeit beſitzen. Dagegen wird zwar die Leben-
digkeit des vollkommneren Gegenſatzes (des Nervenſy-
ſtems) minder leicht von außen erweckt, ſie iſt aber
alsdann auch um ſo ſtaͤrker, ſo daß vor ihr die des
untergeordneten verſchwindet. Es wirken aber in der
Koͤrperwelt nach einem bekannten Naturgeſetz, dieſel-
ben Weſen deſto ſtaͤrker auf einander, je naͤher ſie ſich
beruͤhren; je mehr ſie fich dagegen entfernen, deſto
ſchwaͤcher wird die Wechſelwirkung. Waͤhrend nun die
vollkommneren Organe die dem Geiſtigen in uns un-
mittelbarer und naͤher verwand ſind, von denſelben
Gegenſtaͤnden nur dann afficirt werden, wenn ſie ih-
nen naͤher ſind, wird auf die untergeordneten Organe,
die, wie wir anderwaͤrts ſehen, im Traume und den
ihm verwanden Zuſtaͤnden zum Gemuͤth ſprechen, auch
von den Entfernten gewirkt. Doch wird dieſe ſchwaͤ-
chere Wechſelwirkung dem Gemuͤth nur dann vernehm-
lich, wenn die ſtaͤrkere der vollkommneren Organe we-
nigſtens auf Momente, aufgehoben iſt oder ruhet. Es
geſchieht dieſes auf dieſelbe Weiſe, nach welcher jene
entfernten Sonnen die uns nur als Sterne erſcheinen,
erſt dann ſichtbar werden, wenn die unſrige, naͤhere,
untergegangen iſt. Es iſt daſſelbe allgemeine Geſetz,
nach welchem jene an ſich eben ſo ſtark oder noch ſtaͤrker
leuchtenden Sonnen, blos weil ſie viel entfernter ſind,
auf die Erde und unſre Augen ſchwaͤcher wirken, als
die naͤhere Sonne, und nach welchem die ſtaͤrkere Wech-
ſelwirkung derſelben mit der Erde am Tage, die ſchwaͤ-
chere der andern Geſtirne unvernehmlich macht. Wie
dieſe auch am Tage vorhanden iſt, mag auch im ge-
ſunden und wachen Zuſtand der vollkommneren Orga-
ne, jene dunklere Sympathie entfernter Weſen immer
wirkſamer ſeyn, ſie vermag aber erſt in ſolchen Mo-
menten wie die des magnetiſchen Schlafs, des Nacht-
wandlens, Wahnſinns und andern aͤhnlichen krank-
haften Zuſtaͤnden hervorzutreten.
Auch einige Phaͤnomene jenes von innen ausgehen-
den Lichts, laſſen ſich vielleicht hierans erklaͤren. Waͤh-
rend naͤmlich die Einwirkungen aͤußerer naher Gegenſtaͤn-
de, welche durchs Auge geſehen werden, zwar viel ſtaͤrker
ſind, als die, welche vermittelſt des Gemeingefuͤhls
zu uns gelangen, ſind doch auch dieſe, zugleich mit
jenen, immer vorhanden. Das Gemuͤth hat in der
Erinnerung die Einwirkungen der nahen Gegenſtaͤnde,
welche durchs Auge geſchahen, mit der gleichzeitigen
Wirkung derſelben aufs Gemeinfuͤhl ſo vereint, daß
jetzt, wenn im magnetiſchen Schlaf die Außenwelt blos
noch auf das allgemeine Gefuͤhl einwirkt, in der See-
le die gleichnahmigen Vorſtellungen, welche ehedem zu
derſelben Zeit durch das Sehen erweckt wurden, zu-
gleich hervortreten, ſo daß ſie das vermittelſt des Ge-
meinfuͤhls Erkannte zu ſehen glaubt. Ueberdies ſind
ſich die Weiſe wie wir mit aͤußern Gegenſtaͤnden ver-
mittelſt des allgemeinen Gefuͤhls in Wechſelwirkung
treten, und die, wie ſie uns bey dem Sehen afficiren,
viel naͤher verwandt als es ſcheint, und auch die Wir-
kungen des Gemeingefuͤhls geſchehen durch eine aͤhnli-
che Thaͤtigkeit des Brennbaren als die des Auges. Zu
wuͤnſchen waͤre es in dieſer Hinſicht ſehr, daß Verſu-
che mit dem organiſchen Magnetismus bey Blindge-
bohrnen gemacht wurden, weil hier vielleicht der Zu-
ſtand des Somnambulismus, in der erwaͤhnten Hin-
ſicht, ſonderbare Erſcheinungen zeigen wuͤrde.
Wie ſchon erwaͤhnt, erwachen aber auch zuweilen
in jenen von dem geſunden Leben abweichenden Zuſtaͤn-
den viel tiefer liegende Kraͤfte unſrer Natur, deren Wirk-
ſamkeit von einem viel erhabeneren Umfange iſt. Wir
haben in ihnen aus der Analogie des Ganzen die noch
unausgebildeten Organe eines kuͤnftigen hoͤheren Da-
ſeyns geſehen. Auch in ihnen pflegt das eigentliche
innre Leben noch ſo ſchwach zu wirken, daß es dann
wenn das ſtaͤrkere, des jetzt noch uͤbermaͤchtigen irdi-
ſchen Daſeyns, in voller Kraft wirkt, nicht zu erken-
nen iſt, und nur dann ſeine hohe Schwinge regt, wenn
dieſes gehemmt iſt.
Auch die Vorahndungen muͤſſen aus denſelben oder
aͤhnlichen Urſachen hergeleitet werden. Wir werden
dieſe dunkle Erſcheinung der Seelenlehre leichter ver-
ſtehen, wenn wir ſie mit verwandten Phaͤnomenen der
untergeordneten Koͤrperwelt zuſammenſtellen.
Veraͤnderungen des Wetters, die noch kuͤnftig ſind,
und von denen wir ſelbſt durch die beſten Werkzeuge in
der ganzen uͤbrigen Natur noch keine Anzeichen bemer-
ken, werden durch gewiſſe Pflanzen, unter welche der
merkwuͤrdige weſtindiſche Wetterſtrauch (Poriera hygro-
metrica) gehoͤrt, nicht minder als durch verſchiedne
ganze Thierarten, mehrere Tage vorher, ehe ſie ein-
treten vorausverkuͤndiget. Dieſe Thierarten gehoͤren
meiſt zu der Claſſe der Inſekten, und zwar was vor-
zuͤglich zu bemerken iſt, zu jenen Gattungen, wo die
meiſten Individuen geſchlechtslos ſind, oder doch von
unvollkommner Entwicklung des Geſchlechts. Solche
thieriſche Witterungsverkuͤnder, ſind naͤmlich vorzuͤg-
lich einige Arten von Ameiſen und Bienen. Da nun
in der ganzen organiſchen Natur, jene Ausbildung ein
ganz vorzuͤgliches Zeichen der innren, ſelbſtſtaͤndigen
Vollendung iſt, ſo wird hiermit jene Eigenſchaft, als
eine Gabe, gerade der unvollkommenſten Thiere er-
kannt. Unter den Voͤgeln ſoll es aus aͤhnlichen Gruͤn-
den vorzuͤglich der Kukuk ſeyn, an welchem eine ſolche
Vorempfindung der noch kuͤnftigen Witterungsveraͤnde-
rungen wahrgenommen wird, und es iſt bekannt, daß
dieſes Thier, vermoͤge einer minder vollkommnen Or-
ganiſation, ſelten, oder wie Einige behaupten, niemals,
die eignen Jungen auszubruͤten vermag.
Hiermit ſteht in Verbindung, daß eine aͤhnliche
Vorempfindung der nahen Wetterveraͤndrungen, auch
ſehr haͤufig an einzelnen kranken Theilen des lebenden,
und ſonſt geſunden Organismus wahrgenommen wird.
Es iſt naͤmlich bekannt, daß langwierige Wunden oder
Narben ehemaliger tiefer Verletzungen es mit einigen
andern organiſchen Fehlern des menſchlichen Koͤrpers ge-
mein haben, oͤfters einige Tage ſpaͤter eintretende
Kaͤlte oder auch eine ploͤtzliche Abnahme der Kaͤlte durch
Schmerzen vorauszuſagen. Dieſe Schmerzen bewirkt
auch eine zufaͤllige ſchnelle Abwechslung der Tempera-
tur, in welcher ſich jene Theile befinden, unmittelbar.
Es ſcheint demnach etwas, wovon noch keine einzige
Spur vorhanden iſt, auf dieſe Organe ſchon zu wirken,
welches ein Widerſpruch waͤre, wenn dieſe Naturer-
ſcheinung ſich nicht auf andre Weiſe loͤſen ließe.
Auch bey jenen allgemein verbreiteten Volkskrank-
heiten, welche eine Folge der in gewiſſen Jahren herr-
ſchenden Witterung ſind, ſieht man kraͤnklichere und
reizbarere Individuen fruͤher davon ergriffen werden,
ehe vielleicht ſelbſt jene Stimmung der Witterung oder
doch wenigſtens die allgemeine, vielen gleichzeitige
Seuche, eingetreten iſt. Andre vorzuͤglich unreizbare
Naturen, oder ſolche, bey denen wenigſtens die Orga-
ne, welche jene Krankheit am meiſten afficirt, im vor-
zuͤglichſten Grade unreizbar ſind, ſehen wir noch ſpaͤt
an der allgemeinen Krankheit darniederliegen, wenn
dieſe bey der Menge ſchon laͤngſt voruͤber iſt. — Nach
demſelben Geſetz ſehen wir auch, wenn dem Koͤrper ei-
ne allgemeine und heftige Krankheit bevorſteht, dieſe
zuerſt nur gewiſſe Organe, mehr oder minder afficiren,
und ſo ihre Annaͤherung dem Arzte durch gewiſſe einzel-
ne Vorboten vorausverkuͤndigen. Dieſer Theil der Leh-
re von den Symptomen haͤngt unmittelbar mit der Leh-
re von den Perioden der Ausbildung und der Funktio-
nen der einzelnen Organe zuſammen, denn es geſchieht
dieſes nach demſelben Geſetz, nach welchem die zarte-
ren und ſchwaͤchlichern Individuen derſelben Art, fruͤ-
her ſich entwicklen, und fruͤher wieder verbluͤhen, als
die ſtaͤrkeren und geſuͤnderen, oder nach welchem die
minder ſelbſtſtaͤndigen Organe fruͤher ausgebildet und
fruͤher wieder zu ihrer Beſtimmung untuͤchtiger werden,
als die vollkommneren, ſelbſtſtaͤndig entwickleten.
Wir erkennen naͤmlich aus einfachen Thatſachen,
von denen mehrere im Laufe dieſer Unterſuchungen auf-
geſtellt ſind, daß alle einzelne, ſelbſtſtaͤndig belebten
Weſen, untereinander und mit ihrem Ganzen in einer
eben ſolchen innigen vorherbeſtimmten Harmonie ſte-
hen, wo daſſelbe Leben in Allen zugleich, ohne daß
des von einem andern hierzu beſtimmt werden muͤßte ſich
vollendet, wie die einzelnen Theile eines lebenden or-
ganiſchen Koͤrpers. Bey dieſem wird, wenn ihm ei-
ne Krankheit, oder eine andre bedeutende Veraͤnderung
ſeiner Natur nahe iſt, die Dispoſition dazu in allen
einzelnen Theilen zugleich entwicklet, und nur bey eini-
gen fruͤher, bey andern energiſcheren ſpaͤter vollendet
und aͤußerlich ſichtbar, bey jenen mehr wichtigen Thei-
len nur als minder bedeutendes Symptom, bey dieſen
als Hauptcharakter der Krankheit. So zeigen ſich
auch die verſchiedenen Lebensperioden des geſunden Or-
ganismus, in allen Theilen auf gleiche Weiſe vorberei-
tet, obgleich ihnen einige fruͤher andre ſpaͤter entgegen-
reifen. Auf dieſelbe Weiſe ſind nun auch gewiſſe Na-
turveraͤnderungen, welche ſich den Sinnen vorzuͤglich
in der Atmosphaͤre, als Witterungswechſel ſichtbar ma-
chen, in allen Lebendigen ſelbſtſtaͤndig vorbereitet. Es
muͤſſen ſelbſt dieſe Naturbegebenheiten an ein nothwen-
diges Geſetz gebunden ſeyn, in einer nothwendigen
Aufeinanderfolge ſtehen, obgleich dieſes Geſetz nur erſt
durch die genaueren Forſchungen der neuen Zeit, aus
einzelnen Thatſachen geahndet wird. Derſelbe Lebens-
geiſt, der in der aͤußern Natur die einzelnen Veraͤnde-
rungen, in nothwendiger Aufeinanderfolge hervorruft,
wohnt auch in allen einzelnen organiſchen Weſen, und
erzeugt in ihnen, harmoniſch mit jenen, und nach
demſelben Geſetz der Aufeinanderfolge, jenen entſpre-
chende Veraͤnderungen; das was in den organiſchen
Weſen eine Folge der aͤußern Naturwechſel ſcheint,
wird in dieſen ſelbſtſtaͤndig, und ohne von jenen be-
ſtimmt zu ſeyn, entwicklet; die Pflanze oder das In-
ſect, deren Leben nur ein Jahr dauert, ſind auch, von
demſelben Geiſt, welcher die Wechſel der aͤußern Na-
tur leitet, beſeelt, ein Bild des Jahrs in welchen ſie
gebohren wurden, und die Perioden und Naturwechſel,
welche waͤhrend dieſem eine nach der anderen hervorge-
hen, werden auch ſelbſtſtaͤndig in dem kurzen Leben
jener Dinge entwicklet. So traͤgt jedes Leben die Zeit
und den Grund ihres Wechſels ſelbſtſtaͤndig in ſich,
wie die aͤußere Geſchichte des einzelnen Menſchen ei-
gentlich aus ſeinen innern Weſen hervorgeht.
Wie nun uͤberall das Leben der minder vollkomm-
nen Weſen ſich fruͤher entwicklet, die einzelnen Wech-
ſel deſſelben fruͤher eintreten und einen kuͤrzern Verlauf
halten, ſo geſchicht es, daß jene unvollkommnen Or-
ganismen von allen jenen Wechſeln, die in ihnen, wie
in der aͤußern Natur von den hoͤhern Einfluß geweckt
werden, fruͤher ergriffen werden, waͤhrend die voll-
kommneren mit der ganzen Natur gleichen Schritt hal-
ten, mit ihr zugleich jene allgemeine Veraͤnderungen
erleiden, und zugleich mit ihr wieder in den vorigen
gleichmaͤßigen Zuſtand zuruͤckkehren. Daſſelbe iſt der
Fall bey kranken Theilen des organiſchen Koͤrpers. So
erſcheint das als Vorempfindung der kuͤnftigen Witte-
rungswechſel, was ſchon die dieſen entſprechende und
unabhaͤngig von den Veraͤnderungen der Atmoſphaͤre
in jenen Weſen entſtehende Naturveraͤnderung ſelbſt iſt.
Auf dieſelbe Weiſe laſſen ſich nun auch die in der
vorhergehenden Vorleſung aufgeſtellten merkwuͤrdigen
Thatſachen der Vorahndungen und das Vorauswiſſen
bevorſtehender koͤrperlicher Veraͤnderungen im thieri-
ſchen Magnetismus erklaͤren. Ich habe daſelbſt noch
unterlaſſen zu erwaͤhnen, daß dieſe Erſcheinung dem
magnetiſchen Schlaf nicht allein eigenthuͤmlich iſt, ſon-
dern daß ſie ſich auch in einigen Nervenkrankheiten, vor-
zuͤglich in ſolchen die mit der Epilepſie verwandt ſind,
zeigt, wo ſie oft eben ſo merkwuͤrdig hervortritt, als
das ſchon einige Mal erwaͤhnte Vorauswiſſen des na-
hen Todes, von welchem eine Menge Faͤlle bekannt
ſind. — Nach dem ſchon erwaͤhnten Geſetz, muͤſſen ei-
nige unvollkommene Organe, die bevorſtehenden Ver-
aͤnderungen, die ſich dann, wenn von ihnen auch die
wichtigeren, dem Leben nothwendigeren Organe ergriffen
werden, als heftige Krankheitsanfaͤlle darſtellen, fruͤher
erleiden. Es ließen ſich hiervon viele Beyſpiele aus der
Lehre der Symptome und erſten Vorboten der Krankhei-
ten anfuͤhren. Da aber die eigenthuͤmliche Thaͤtigkeit
jener unvollkommneren Organe fuͤr das Ganze nur von
geringerer Bedeutung iſt, und mit dem Leben deſſel-
ben in keiner ſo nothwendigen Beziehung ſteht, werden
auch die an ihnen ſchon eingetretnen Veraͤndrungen
nicht bemerkt, vielmehr werden ſie durch die ſtaͤrkere,
noch unveraͤnderte Wechſelwirkung der wichtigeren Thei-
le, eben ſo unmerklich gemacht, wie ein fernes ſchwaͤche-
res Licht von einem maͤchtigeren naͤhern, ein leiſeres
Geraͤuſch von einem ſtaͤrkern. Wenn aber im thieri-
ſchen Magnetismus und den ihm verwanden Zuſtaͤn-
den, jene ſtaͤrkere Wechſelwirkung der innern Lebens-
kraͤfte momentan aufgehoben wurde, werden nun auch
jene Veraͤnderungen der ſchwaͤchern Organe, die nach
einem nothwendigen Geſetz gerade dann wachen, wenn
die hoͤheren Organe ſchlummern, der Seele vernehm-
lich. Nun hatte aber jenes fruͤhere Eintreten der
Krankheiten und koͤrperlichen Veraͤnderungen, bey ein-
zelnen reizbaren Organen, auch ſchon ſonſt, im ge-
woͤhnlichen Zuſtand des Lebens ſtatt, nur war ſich die
Seele deſſelben nicht klar bewußt geworden. Dieſe, wenn
auch nur dunkel gemachte Erfahrung, kommt derſelben
jetzt zu Huͤlfe, wenn ſie die Zeit, welche ſonſt ver-
ſtrichen, ehe das, was jene einzelnen ergriffen, ſich
des ganzen Organismus bemaͤchtiget, auch auf den jetzi-
gen Fall anwendet. Auf dieſe Weiſe ſcheint den mag-
netiſch Schlafenden jenes wunderbare, und fuͤr ſich al-
lein unglaublich ſcheinende Vorherwiſſen moͤglich. —
Selbſt jenes etwas lange Vorherwiſſen, von wel-
chem ich etliche Faͤlle Heinecken nacherzaͤhlte, welches
oͤfters uͤber mehrere Monate hinausreichte, wird uns
weniger befremden, wenn wir bemerken, wie einzel-
ne Organe anderen in Hinſicht der Entwicklung ſelbſt
um viele Jahre vorausgehen. Und zwar dieſes im ge-
ſunden Zuſtande des Koͤrpers. Es iſt daſſelbe Leben,
das ſich in den einzelnen Organen eines und deſſelben
individuellen Weſens ausſpricht, und in ihnen entwick-
let, und dennoch bildet ſich daſſelbe, wie ich ander-
waͤrts gezeigt habe, z. B. an dem Auge, ſchon in
den erſten Jahren der Kindheit aus, waͤhrend es ſich
an andern, z. B. an dem Magen, erſt gegen die Mitte
des Lebens, bey andern Organen noch ſpaͤter vollendet.
Daſſelbe individuelle Leben, das aus der ganzen Na-
tur des Individuums hervorgegangen, an allen Orga-
nen denſelben beſtimmten Charakter zeigt, haͤlt mithin
bey jenen fruͤher reifenden Theilen, von ſeinem Begin-
nen bis zu ſeinem hoͤchſten Gipfel, einen, wenig Jahre
dauernden Verlauf, waͤhrend welchem aber alles das,
mit ſeinem beſtimmten Charakter, und in ſeiner beſtimm-
ten Aufeinanderfolge hervortritt, was bey vollkomm-
neren Organen in dem langen Verlauf eines halben
Menſchenlebens entwicklet wird. Ein aufmerkſamer
Sinn koͤnnte in dem kurzen Lebenslauf jener einzelnen
Theile, den des ganzen Organismus, mit allen ſeinen
einzelnen Begebenheiten leſen, und wirklich iſt es be-
kannt, daß gewiſſe krankhafte Zufaͤlle, welche in fruͤ-
heren Jahren an einzelnen, minder wichtigen Organen
wahrgenommen werden, auf Krankheiten hindeuten,
von welchen andre wichtigere Theile in einem ſpaͤtern
Alter befallen werden. So erfolgen bey jenen, wel-
che Anlage zu den Haͤmorrhoiden haben, oͤfters in fruͤ-
hern Jahren Blutungen aus der Naſe, im Juͤnglings-
alter, wo die Lunge ihre hoͤchſte Ausbildung erreicht,
aus dieſer, bis endlich erſt ſpaͤter die Krankheit an an-
dre, langſamer ſich entwicklende Organe uͤbergeht. —
So behalten jene merkwuͤrdigen Thatſachen nichts
mehr, was mit den unveraͤnderlichen Geſetzen der Na-
tur, und mit andern Erſcheinungen derſelben in Wider-
ſpruch ſtuͤnde. Vielmehr koͤnnen ſie uns zu einem der
wichtigſten und klareſten Beweiſe jener vorherbeſtimmten
Harmonie des Lebens aller Einzelnen, mit dem ihres
Ganzen dienen, welche ein Hauptgegenſtand dieſer
Unterſuchungen geweſen. Dieſe wuͤrde aber ſelber oh-
ne jene tiefere Bedeutung bleiben, welche ihr eigen-
thuͤmlich iſt, wenn ſie uns nicht zuletzt auf ihren innern
Grund zuruͤckwieſe.
In dem Organiſchen iſt es die inwohnende Lebens-
urſache, die Seele, welche, indem ſie in allen einzel-
nen Theilen ihr eigenthuͤmliches Weſen, ihr eignes inn-
res Leben ausſpricht, jene Harmonie des Lebens aller
Einzelnen, und die tiefe Sympathie deſſelben moͤglich
macht. In der aͤußeren Natur iſt es nicht minder je-
ner allgemeine hoͤhere Einfluß, welcher bald mehr bald
minder mittelbar das Leben der Einzelnen hervorruft,
und in jedem Moment erhaͤlt. Dieſer iſt das unſicht-
bare Band, welches um alle Beſonderen geſchlungen,
den Uebergang von einem Daſeyn zu einem andern,
und das ewig harmoniſche Zuſammenwirken des Welt-
alls in allen ſeinen Theilen moͤglich macht. Er iſt die
Lebensſeele, welche von oben ausgehend, alle Natur
bis in das Aeußerſte und Kleinſte durchdringt.
Jenes allgemeine geiſtige Band, von einer gemein-
ſchaftlichen Lebensurſache nach Allen ausgehend, ver-
mag auch allein alles das zu loͤſen, was in jenen That-
ſachen, welche dieſe Unterſuchungen enthielten, noch
dunkel geblieben. Moͤge es vergoͤnnt ſeyn, den Inn-
halt derſelben noch einmal kurz zuruͤckzurufen, um aus
ihm ſelber jene letzte Aufloͤſung zu finden, welche wir
geſucht haben. Wir ſehen hiebey noch von dem In-
halt der Einleitung, welcher das aͤlteſte Verhaͤltniß
des Menſchen zur Natur war, einſtweilen ab, weil
wir ihn am Schluſſe wiederfinden werden.
Zuerſt ſahen wir am Anfange des naturwiſſen-
ſchaftlichen Theiles dieſer Unterſuchungen, wie im
ganzen unendlichen Weltall nirgends ein Stillſtand des
ſchaffenden, ſich immer neu wiedergebaͤhrenden Lebens
ſey. Jene Weltſyſteme, welche wie das wozu unſre
Sonne, mit allen jenen Millionen der Milchſtraße ge-
hoͤrt, im Vergleich mit dem kurzen enge beſchraͤnkten
Daſeyn des Menſchen, von ewiger und unendlicher Na-
tur geſchienen, ſind, wie aus vielen damals ange-
fuͤhrten Thatſachen ſchien, nicht alle von gleichem Al-
ter, oder von gleichem Stande der Ausbildung. Eini-
ge ſcheinen den Kraͤften der allgemeinen Anziehung
ſchon unterlegen, und die einzelnen Welten aus dem
gemeinſchaftlichen Untergange einer neuen hoͤheren Ver-
wandlung entgegen zu gehen, andre tragen das Anſe-
hen der ſchoͤnſten Bluͤthe eines noch jugendlichen Da-
ſeyns, an deſſen fruͤheſten Eingang noch andre ſtehen,
welche noch eben aus dem allgemeinen Element der Koͤr-
perwelt, in ihren erſten, noch undeutlichen Umriſſen her-
vortreten. Es ſcheinen aber auch die einzelnen Plane-
tenſyſteme, und in ihnen wieder die verſchiedenen
Weltkoͤrper, von einer aͤhnlichen ungleichen Vollen-
dung, und einige der letzteren ſind ſchon der aͤußerſten
Graͤnze des planetariſchen Daſeyns nahe, waͤhrend
andre noch in der erſten Ausbildung deſſelben begriffen
ſind. Es verhaͤlt ſich hiermit, wie mit den einzelnen
Theilen des lebenden organiſchen Koͤrpers, von welchen
ſich auch die minder ſelbſtſtaͤndigen viel fruͤher ausbil-
den, andre ſpaͤter, waͤhrend zuletzt doch alle zugleich
mit dem Ganzen untergehen.
So wurde aus dieſen zuerſt aufgeſtellten Thatſa-
chen erkannt, daß jener ſchaffende Lebensgeiſt, welcher
auch dieſe Welt einſt aus ihrem Element hervorgeru-
fen, nie ruhet; ſondern ewig in neuen Schoͤpfungen
begriffen, iſt ſein Tagewerk eben ſo ewig und endlos
der Zeit als dem Raume nach. Er iſt es, welcher
dieſe hier erweckend aus dem Schlummer der Elemen-
te, in jenen das Leben ſeiner letzten Vollendung, und
der neuen, immer hoͤheren Verwandlung entgegen
fuͤhrt.
Hierauf ſahen wir, wie die einzelnen Weltkoͤrper
unſres Syſtems einem allgemeinen Geſetz gehorchen,
und wie nicht allein jeder einzelne mit dem naͤchſt vor-
hergehenden und mit dem darauf folgenden in einem
genauen Zuſammenhang ſteht, ſondern wie alle Glie-
der des Syſtems, durch die Scheidung in zween Rei-
hen, in eine innige Beziehung und Wechſelwirkung tre-
ten. Hieraus mußte erkannt werden, daß nicht allein
Eine Urſache Alle zum Daſeyn hervorgerufen, ſondern
daß dieſe ewig allgegenwaͤrtig noch in ihnen wirkt, ſie
erhaͤlt, indem ſie die nur in ihr Lebenden unter ſich
vereint, und zu unaufhoͤrlicher Wechſelwirkung be-
wegt. Denn der hoͤhere Einfluß iſt es allein, deſſen
unaufhoͤrliche Gegenwart die Gegenſaͤtze erweckt, und
ihre Wechſelwirkung moͤglich macht, durch ihn allein
empfaͤngt, wie im lebenden organiſchen Koͤrper durch die
Seele, der hoͤhere Gegenſatz das Leben, welches er dem
untergeordneten mittheilt.
Die endlichen Weſen vermoͤgen das Unendliche und
Goͤttliche, aus welchem ſie ſind, nicht unmittelbar
anzuſchauen, nicht unmittelbar das Leben aus ihm zu
empfangen, ſondern dieſes wird ihnen, nach dem
Maaße ihrer Empfaͤnglichkeit, durch andre hoͤhere ver-
mittelt. Den einzelnen Koͤrpern, welche zu dem Pla-
neten gehoͤren, welchen wir bewohnen, ſtellt dieſer die
allgemeine Lebensurſache in ſich dar, welche ſie einſt
hervorgerufen, und in welcher ſie allein beſtehen und
erhalten werden. Es ſpricht ſich dieſes Verhaͤltniß
durch die Schwere aus, welche die Koͤrper unaufhoͤr-
lich nach dem gemeinſchaftlichen Mittelpunkte hintreibt,
worinnen dieſe zu erkennen geben, daß ſie nur in und
durch ihren Planeten ſind. Die Schwere iſt das erſte
und einzige, wodurch ſich auf den unterſten Stufen
der irdiſchen Bildung, der hoͤhere Einfluß in dem Da-
ſeyn der Dinge zu erkennen giebt. Wir bemerken noch
kein andres Streben in ihnen, als durch Schwere und
Cohaͤrenz, mit dem hoͤheren Ganzen, durch welches
ſie beſtehen, Eins zu ſeyn. — Nur eine Stufe hoͤher
ſehen wir aber den erſten Schimmer einer hoͤheren Welt,
im Magnetismus aufgehen. Es wird hier durch den
hoͤheren Gegenſatz, oder durch den poſitiven Pol, dem
andern, oder negativen, das Erdganze vermittelt.
Deshalb, ſo bald der Gegenſatz erwachte, werden die
Dinge nicht mehr allein von ihrem Planeten, ſondern
auch gegenſeitig von einander ſelber angezogen. Der
hoͤhere Einfluß wird ihnen nicht mehr allein aus dem
Planeten, ſondern auch einem aus dem andren. Zu-
gleich, wenn nun im Magnetismus ein einzelner Koͤr-
per dem andern das darſtellt, was ſonſt allen einzel-
nen Koͤrpern das Erdganze, tritt er in die Verhaͤltniſ-
ſe des Planeten, (deſſen Abbild er iſt,) zu andern Welt-
koͤrpern und zu dem hoͤheren Ganzen. Wir bemerken
deshalb die Bewegung nach den Polen der Erde, und
jene periodiſchen Veraͤndrungen, welche den groͤßern
Perioden des planetariſchen Daſeyns entſprechen. —
Daſſelbe Verhaͤltniß und dieſelbe Urſache der Wechſel-
wirkung, wurde in der Elektricitaͤt und im Galvanis-
mus erkannt.
Waͤhrend nun die Koͤrper um ſo mehr von dem Pla-
neten abhaͤngen, um ſo ſchwerer und cohaͤrenter er-
ſcheinen, je unvollkommner und unſelbſtſtaͤndiger ſie
in ſich ſelber ſind, ſehen wir ſie, je vollkommner der
Gegenſatz in ihnen erwacht, und je mehr ſie in der
Wechſelwirkung deſſelben dem Erdganzen gleich wer-
den, deſto unabhaͤngiger von dieſem, deſto leichter
werden. Jenſeit der Elektricitaͤt, als die hoͤchſte Bluͤ-
the des chemiſchen Proceſſes, tritt die Luftform her-
vor, jener Zuſtand der Koͤrper, wo ſie weder durch
Cohaͤrenz, noch durch jenen bedeutenden Grad der
Schwere, der die andren Koͤrper an ihrer Stelle feſt-
haͤlt, an den Planeten gebunden ſind. Dieſe Freyheit
und Selbſtſtaͤndigkeit wird dadurch erlangt, daß ſie
das Weſen des Planeten vollkommen in ſich ausſpre-
chen. Sie gehoͤren nun nicht mehr dieſem, ſondern
vielmehr einem hoͤheren Ganzen an, zu welchem ſich
der Planet ſelber als Theil verhaͤlt, und das ſich den
Sinnen als Sonne darſtellt. Endlich wird in dem
Licht des Verbrennungsproceſſes, welcher erſt durch
die Gegenwart der Atmosphaͤre moͤglich wurde, in
dem poſitiven Gegenſatz jenes hoͤhere Ganze, die Son-
ne ſelber dargeſtellt. Mit dem Eintritt des Lichts iſt
nun die aͤußerſte Graͤnze der anorgiſchen Welt erreicht,
und jenſeit derſelben erhebt ſich das organiſche Leben.
Die Gegenſaͤtze, aus deren Wechſelwirkung ſich
daſſelbe erhebt, ſind Anfangs faſt noch unveraͤndert
die, welche ſich im Verbrennungsproceß thaͤtig zeigen,
und an ſeinen erſten Anfaͤngen wenigſtens, laͤßt ſich das
organiſche Leben mit Recht mit ihm vergleichen, ob-
wohl dieſer Vergleich oͤfters zu weit getrieben worden.
Es wird im Organiſchen in dem hoͤheren Gegenſatz,
welcher zuletzt im Thierreich als Nervenſyſtem er-
ſcheint, die Urſache des allgemeinen Lebens immer hoͤ-
her und vollkommner dargeſtellt. Dieſe iſt es, wel-
che, als ſie ſich zuerſt den Dingen in dem Planeten,
vollkommner dann in der Sonne offenbarte, zuletzt
unmittelbarer und inniger, in dem Werk des Lebens und
der Wechſelwirkung ſeiner Gegenſaͤtze, endlich in dem
geiſtigen Ideal deſſelben angeſchaut wird. Es iſt die-
ſelbe, die hier als Schwere, dort als Licht, hier als
Leben, dort als Bewußtſeyn und Begeiſterung er-
ſcheint.
So zeigte ſich uns von den erſten Regungen einer
ſelbſtſtaͤndigeren Thaͤtigkeit im Anorgiſchen, ein unun-
terbrochner Weg zu der Geſchichte des organiſchen Le-
bens. In den Geſtalten der Gebirge, in den Haupt-
formen ihrer Maßen, wurde das Streben nach den
vollkommneren Formen des Organiſchen geſehen, und
wie die aͤlteſten, in der Kugelform noch ein Sinnbild
der allgemeinen Schwere waren, ſpaͤter in der Saͤu-
lenform der organiſche Gegenſatz, und der erſte dunk-
le Grundriß der Vegetation ſich ankuͤndigte. Bald
nach dieſer Zeit wurden die Spuren einer vollkommne-
ren organiſchen Welt gefunden, minder vollkommne
Weſen hatten ſchon in fruͤheren Perioden gelebt, und
waren unter ihren Gebirgen begraben. Es ſprach die-
ſe aͤlteſte Geſchichte der Erde, deren Urkunden unver-
gaͤnglich in Felſen geſchrieben ſtehen, von Weſen, de-
ren Geſchlechter theils ganz untergegangen ſind, oder
die doch an Groͤße und Maͤchtigkeit des Koͤrperbaues
unter ihren noch jetzt vorhandnen Geſchlecht, nichts
Gleiches haben. Zugleich wurden die Ueberreſte von
Thieren und Pflanzen einer fernen heißen Zone in Ge-
genden geſehen, welche in der Naͤhe der Pole, jetzt nur
eine duͤrftige Thier- und Pflanzenwelt in ſich gedeihen
laſſen. Jene gluͤckſeeligere und kraͤftigere Vergangen-
heit, von welcher dieſer Nachlaß der Vorwelt zu uns
ſpricht, war jedoch nicht in einer Veraͤndrung der aſt-
ronomiſchen Verhaͤltniſſe des Planeten gegruͤndet, die-
ſe ſcheinen vielmehr mit dem Daſeyn und dem eigen-
thuͤmlichen Weſen deſſelben unzertrennlich verbunden;
ſondern es hatte jener uͤppigere Zuſtand der Erdoberflaͤ-
che ſeinen Grund in der fruͤheren Beſchaffenheit der At-
mosphaͤre. Wie uͤberhaupt die Geſchichte des organi-
ſchen Lebens, mit der des Lichts im Verbrennungspro-
ceß beginnt, und dieſer ſelber erſt durch die Luftform
moͤglich wird, ſo begann auch das Daſeyn der voll-
kommneren organiſchen Welt, da, als der Luftkreis den
hoͤchſten Gipfel ſeiner Vollendung erreicht hatte. In
Zahl der Individuen und groͤßerer Koͤrpermaſſe, ſprach
ſich zuerſt jener ſchaffende Lebensgeiſt aus, welcher
ſpaͤter in edleren Formen, und in einem freyeren Stre-
ben ſich offenbarte.
Von jener organiſchen Vorwelt wendeten wir uns
hierauf zu der jetzt beſtehenden lebenden Natur. Es
wurde zuerſt in den Perioden des Pflanzen- und thie-
riſchen Lebens, jene innige Harmonie der Einzelnen mit
dem Leben des Ganzen erkannt, welche ſo oft der Ge-
genſtand dieſer Unterſuchungen war. Die Formen der
Pflanzenwelt ſchienen ſich dem hoͤchſten Gipfel derſel-
ben, durch zwey verſchiedene Wege, welche ohne Zu-
ſammenhang mit einander waren, zu naͤhern, und
wir ſahen von den unvollkommnen Geſtalten der Flech-
ten und Mooſe, durch die der vollkommneren Kraͤuter
und baumartigen Gewaͤchſe, ein Hinaufſteigen bis zu
den Palmen, waͤhrend auf kuͤrzern Wege eine andre,
mit jener nicht zuſammenhaͤngende Reihe, von den Pal-
men durch die Farrenkraͤuter, bis zu den unvollkommen-
ſten Seegewaͤchſen hinabreichte. Aehnliche zwey ent-
gegengeſetzte Reihen, wurden ſpaͤter auch in den ver-
ſchiedenen Klaſſen des Thierreichs anerkannt, doch
wurden ſie vorzuͤglich nur durch die der Voͤgel und
Saͤugethiere hindurchgefuͤhrt. Jener Gegenſatz, wel-
cher ſchon zwiſchen Thier und Pflanzenwelt beſteht,
ſprach ſich in den hoͤchſten Formen der Saͤugethiere in
den beyden entgegengeſetzten Thierbildungen der von
Pflanzen und der vom Raube lebenden aus. Auf der
Seite der einen war ein Uebergewicht der koͤrperlichen
Maſſe, und der Productionskraft uͤberhaupt, auf der
andren eine uͤberwiegende Ausbildung der Muskeln. Sey
es nun, daß, wie es wirklich aus einigen damals auf-
gefuͤhrten Thatſachen geſchienen, die Geſchlechter der
Pflanzenfreſſenden Thiere fruͤher entſtunden, als die
der Raubthiere, und daß ſchon die zahlreichen Ge-
ſchlechter der Seethiere, welche mit den jetzt lebenden
ſo wenig uͤbereinſtimmend, in den Gebirgen fruͤherer
Zeiten gefunden werden, der Anfang der erſten, hin-
aufwaͤrts ſtrebenden Reihe waren, waͤhrend die jetzigen
Geſchlechter jener unvollkommnen Thiere, das letzte
Werk der ihrem Verſchwinden nahen Productionskraft
der aͤußern Natur, und das letzte Ende der juͤngeren
zweyten Reihe ſind; oder ſey es, daß beyde ſich ent-
gegengeſetzte Reihen zu gleicher Zeit entſtunden, ſo
ſind ſie uns ein deutlicher Beweis fuͤr jene hoͤhere See-
le, welche uͤber allen einzelnen Geſchlechtern ſchwe-
bend, erſt durch die Vereinigung aller, ein vollende-
tes ſelbſtſtaͤndiges Ganze bildet. Denn indem ſich die
Kraͤfte der thieriſchen Natur in der tiefſten Reihe nur
nach der einen Seite ausbilden, entfalten ſie ſich doch
in der zweyten nur eben ſo unvollſtaͤndig nach der an-
dern Seite. Ja dieſe zweyte Reihe iſt nur in Beziehung
auf die erſte. Erſt in beyden Reihen zuſammen, ſcheint
ſich das innre Weſen der Thierwelt vollkommen aus-
zuſprechen, und ſelbſt in den aͤußerlichen Verhaͤltniſ-
ſen des Menſchen, ſtellte ſich dieſes, wenigſtens wie
er Anfangs auftrat, noch nicht vollkommen dar, ſon-
dern wir ſehen ihn in Hinſicht ſeiner koͤrperlichen Bil-
dung ſich mehr nach der einen Seite heruͤberneigen.
Nur in dem ſchaffenden Geiſt, aus welchem ſie alle
ſind, nur in dem hoͤheren Einfluß, in welchem das
Leben Aller erhalten wird und beſteht, ſind die Einzel-
nen die nur in Beziehung auf einander ſeyn koͤnnen,
ein vollſtaͤndiges Ganze, und in ihm allein loͤſt ſich der
Widerſtreit der entgegengeſetzten Richtungen, denen
wir in der aͤußern Natur begegnen, vollkommen auf,
wie auch jene Toͤne, welche einzeln zuſammengeſtellt,
Mistoͤne waͤren, erſt in dem Geiſt des Kuͤnſtlers, wo
ſie ſich harmoniſch vereinen, ein vollendetes Ganze,
voll tiefer innrer Bedeutung werden. So iſt auch das
hohe Ideal der menſchlichen Natur, in keinem Einzel-
nen vollkommen ausgeſprochen, ſondern es wird erſt
durch alle Individuen, ja durch die einzelnen Welt-
alter, in dem großen Werk der Geſchichte vollendet.
Nur der Genius, welcher uͤber den Schickſalen der
Einzelnen wie uͤber der Geſchichte des ganzen Ge-
ſchlechts waltet, wird die mannigfaltigen, und oͤfters
ſich wiederſtreitenden Beſtrebungen der verſchiednen Zei-
ten zuletzt in ſeeliger Harmonie vereinen. Jener uͤber-
all waltende hoͤhere Einfluß, welcher auf eine erhab-
nere Weiſe in dem Werk der Geſchichte ſich offenbart,
wurde auch in jenen tiefen Sympathien, in jener vor-
herbeſtimmten Harmonie, worinnen die einzelnen Ge-
ſchlechter der Pflanzen und Thiere mit der aͤußren Na-
tur ſtehen, anerkannt, nach welcher es geſchieht, daß
die Beduͤrfniſſe eben dann erwachen, wenn ihre Befrie-
digung nahe iſt, oder daß die Natur dem Mangel, wel-
cher auf der einen Seite entſteht, durch Ueberfluß auf
einer andern abhilft.
Am erhabendſten und ſchoͤnſten offenbart ſich aber
jener hoͤhere Einfluß, wo er als geiſtiges Band um
alle verſchiedenen Stufen des Daſeyns der Dinge ge-
ſchlungen, den Uebergang bildet von einem jetzigen
Daſeyn in ein hoͤheres kuͤnftiges. Wir ſahen aus vie-
len Thatſachen, welche eine der letzten Vorleſungen
aufſtellte, wie jedes Weſen, waͤhrend es ſich noch in
der Beſtimmung des gegenwaͤrtigen Daſeyns vollendet,
ſchon den Keim eines kuͤnftigen in ſich traͤgt, welcher
in den hoͤchſten Momenten des jetzigen erwachend, ſich
zuweilen auf kurze Augenblicke ſichtbar macht. Wie
derſelbe ſchon in jenen Zuſtaͤnden des noch lebenden
Koͤrpers, wo die noch uͤbermaͤchtigen Kraͤfte des ge-
genwaͤrtigen Lebens ſchlummern, oder gehemmt ſind,
ſich deutlich regt, ſo wird er noch vielmehr im Tode,
wenn das was ihn verdunkelte hinuntergegangen, auf-
leben. Es geſchieht, wie anderwaͤrts gezeigt iſt, der
Uebergang in ein neues Daſeyn, durch einen Zwiſchen-
zuſtand, welcher jener ſeltnen Zuſtaͤnden, wo ſich
ganz neue ſonſt nie geſehene Eigenſchaften unſrer Na-
tur entfalten, mehr verwand iſt. — Was vermoͤchte
aber in den Weſen jene mit dem jetzigen Leben in kei-
nem Zuſammenhang, ja oͤfters im Widerſpruch ſtehen-
den Eigenſchaften zu erwecken, als eben jener hoͤhere
Einfluß, in welchem alle einzelne, an ſich oft einſeitige
Zuſtaͤnde des Daſeyns der Dinge, erſt ein Ganzes wer-
den. Dieſer iſt es, welcher den Weſen in den hoͤchſten
Augenblicken ihres Lebens, am innigſten gegenwaͤrtig iſt,
und er, welcher ſie einſt zu dem jetzigen Tagewerk her-
vorgerufen, erzeugt ſie dann zu dem neuen hoͤheren.
In? ihm allein beginnt alles Leben, und in ihn kehret
nach vollendetem Laufe alles zuruͤck, auf daß es aus
ihm von neuem hoͤher wiedergebohren wuͤrde.
Offenbar deuten jene tieferen Eigenſchaften, wel-
che zuweilen wie hohe Fremdlinge, bey einem unvoll-
kommnen Daſeyn verweilen, auf Etwas, das uͤber die
eigenthuͤmlichen Graͤnzen der gegenwaͤrtigen Kraͤfte und
Beſtrebungen weit hinaus geht, und was nicht eine
Wirkung der jetzigen Umgebungen, welche weit un-
ter ihm ſind, ſeyn kann. Der hoͤhere Einfluß, wel-
cher uͤber dem jetzigen Daſeyn iſt wie uͤber dem kuͤnf-
tigen, vermag allein die neue Zeit mitten in der alten
vorzubereiten, und das was in dem Weſen der Dinge
von ewiger Natur iſt, unter den Truͤmmern aufrecht
zu halten.
So ſchwebt dieſer heilige Einfluß von oben, bele-
bend und erhaltend, allgegenwaͤrtig uͤber Allen. Nach
ſeiner innigen Vereinigung, und daß ſie ſeiner immer
inniger und unmittelbarer theilhaftig wuͤrden, ringen
alle Naturen, mit ihren tiefſten Kraͤften. Den Mei-
ſten aber offenbart ſich der hoͤhere Einfluß durch Ver-
mittlung, und dieſe ſchauen das, was ſie in ſeiner
hoͤheren Klarheit nicht zu ertragen vermoͤchten, in an-
dern endlichen Weſen von einer vollkommneren Natur
als ſie ſelber ſind, an. Den Planeten iſt es die Son-
ne, welche ihnen die ewige Urſache des Daſeyns dar-
ſtellt, geringeren irdiſchen Koͤrpern die Erdmaſſe. Nur
der Geiſt des Menſchen vermag ſich in den hoͤchſten
Augenblicken der Weihe, der unmittelbaren, geiſtigen
Anſchauung des Goͤttlichen zu naͤhern. Doch hat er
dieſes nicht immer ſo wie jetzt vermocht. Wir haben
am Anfang dieſer Unterſuchungen auf eine Periode der
Geſchichte unſers Geſchlechts gedeutet, wo der Menſch
jenes hoͤhere Licht nur noch in dem Geiſt jener Welt
anſchaute die er bewohnt. Aſtronomie, inniger Ein-
klang mit dem Leben ſeines Planeten und den Perio-
den deſſelben, war damals ſein Gottesdienſt gewor-
den, und das ewige Ideal ſeiner Natur ſprach nur
noch ſymboliſch, und in koͤrperlicher Huͤlle zu ihm,
den Sinnen vernehmlich.
Wie in der Geſchichte der irdiſchen Koͤrperwelt,
zuerſt die Maſſe des Planeten den einzelnen Koͤrpern
Vermittler des hoͤheren Einfluſſes wird, ſo ſtund am
Anfang der natuͤrlichen Geſchichte unſers Geſchlechts
(nur von dieſer haben wir gehandelt) das goͤttliche
Ideal, nur noch vermittelſt des Geiſtes der Natur mit
dem Menſchen in Beruͤhrung. Unmittelbar wird in
der Koͤrperwelt der hoͤhere Einfluß empfangen, wo die
Dinge ſich demſelben einander ſelber darſtellen, ſo ge-
langte auch der Menſch zu einer reineren und innigeren
Anſchauung des Goͤttlichen, als ſich ihm daſſelbe in
der hoͤchſten und ſeeligſten Bluͤthe ſeiner eignen Natur
ſelber darſtellte. Wie mit der Erſcheinung des Lichts,
als des erſten reinen Repraͤſentanten des hoͤheren Ein-
fluſſes, die fruͤhere Welt des Anorgiſchen ihre letz-
te Graͤnze erreicht hat, und nun von hier an
die hoͤhere des Organiſchen beginnt, war auch
in jenem hoͤchſten Moment der menſchlichen Ge-
ſchichte, die fruͤhere Zeit vollendet, und eine neue
hoͤhere begonnen. Doch wird, wie auch die Geſchich-
te unſers Geſchlechts in fruͤheren und ſpaͤteren Zeiten
ihren Gang genommen hat, und nehmen wird, wie
auch die des einzelnen Menſchen in ihren mannigfaltig-
ſten Beſtrebungen ſich ausſprechen moͤge, uͤberall, we-
nigſtens in einzelnen Spuren, das eigenthuͤmliche Stre-
ben unſrer Natur erkannt, das hoͤhere goͤttliche Ideal
immer inniger anzuſchauen, immer reiner und hoͤher in
ſich auszuſprechen.
Es ſcheint das hoͤchſte Ziel unſrer Bildung, daß
wir das eigentliche Weſen jenes tiefen innren Strebens,
und das wornach es unwandelbar gerichtet iſt, rein
und innig anerkennen, und daß wir alsdann nach jenem
innern Kampfpreiß unſers Daſeyns mit allen Kraͤften,
treulich und unermuͤdet ringen. Auf dieſe Weiſe allein
wird unſrem Geſchlecht, und zwar ſelbſtſtaͤndiger und
bleibender, jene heilige Unſchuld und hohe Vollendung
aller Kraͤfte wiederkehren, welche es am Anfang ſeiner
Geſchichte verherrlichte, und jene gluͤckliche Nachwelt
wird ſich das durch ihr eignes hohes Streben wieder
erringen, was der erſten Vorwelt ohne ihr Verdienſt,
von der Natur gegeben war.
Selbſt die uralte Eintheilung und Anordnung des Thier-
kreiſes, iſt viel tiefer in der Natur gegruͤndet, als man
wohl gewoͤhnlich glaubt. Der Punkt, wo wir in der Zeit
der Fruͤhlingsnachtgleiche die Sonne ſehen, und der noch
in der heutigen Aſtronomie der erſte Grad der Laͤnge iſt,
hat nicht blos fuͤr unſre Erde, ſondern fuͤr alle Planeten
unſres Syſtems, eine ſo tiefe Bedeutung, daß wir ſeine
Anwendung bey dieſer uralten Anordnung des Thierkreiſes
fuͤr mehr als zufaͤllig halten muͤſſen. Es faͤllt naͤmlich die-
ſer Punkt, nicht blos fuͤr eine gewiſſe Zeit, ſondern nach
einem unveraͤnderlichen Geſetz, und beſtaͤndig (m. ſ. hier-
uͤber ſchon den naͤchſtfolgenden Anhang gegen das Ende)
mit dem Knotenpunkt der Veſtabahn auf der Ebene des
Sonnenaequators zuſammen. Dieſer iſt aber (ſchon nach
den 3 letzten §. des folgenden Anhanges) in dem Verhaͤlt-
niß der Lage der Planetenbahnen gegen die Ebene des Son-
nenaequators von derſelben Wichtigkeit, als der Halbmeſ-
ſer des Mercur in dem Verhaͤltniß der Groͤßen (nach §. 4.)
Zwar betraͤgt nun der Unterſchied zwiſchen dem Knoten-
punkt der Veſtabahn und dem Aequinoctialpunkt unſres,
mit der Veſta in einer aͤußerſt merkwuͤrdigen Beziehung
ſtehenden Planeten, (m. ſ. den folgenden Anhang) noch
immer gegen ½ Grad; allein dieſer geringe Unterſchied,
der in der Natur, wie ſich kuͤnftig zeigen wird, wahr-
ſcheinlich gar nicht ſtatt findet, hebt ſich ganz, wenn man
den aus Beobachtungen doch immer nur ſehr ohngefaͤhr zu
beſtimmenden Knotenpunkt des Sonnenaequators auf der
Ebene der Erdbahn, aus welchem dann die der uͤbrigen
durch Rechnung gefunden werden, nur wenig veraͤndert.
(Wahrſcheinlich iſt derſelbe viel naͤher an dem Ort wo das
Aphelium der Veſta hinfaͤllt, als wir ihn geſetzt haben.)
Auch die Eintheilung des Thierkreiſes in zwoͤlf Theile,
davon jeder 30 Grad haͤlt, haͤngt nicht blos mit der Zahl der
Mondumlaͤufe waͤhrend eines Jahres zuſammen (dann
waͤre in andrer Hinſicht die Zahl der Zeiteintheilung der
Mexicaner der Wahrheit faſt eben ſo nahe gekommen);
ſondern wie ſchon im §. 27. des folgenden Anhanges er-
innert wird, iſt der Abſtand von 30 Graden, in den Ver-
haͤltniſſen der Neigungen der Bahn, und der Lage der
Knoten und Abſiden, fuͤr das ganze Planetenſyſtem ſehr
bedeutend.
Die Zahl 60, durch welche jeder Grad ſeit uralten
Zeiten getheilt wird, die daraus folgende der Minuten:
21600, ſcheinen ſich auf andre Naturverhaͤltniſſe der Pla-
neten zu gruͤnden, davon das eine beſonders p. 38 und 39
des vorſtehenden Werkes erwaͤhnt iſt. Zwanzig mal 21600
waͤre die oft erwaͤhnte, in der Geſchichte unſres Planeten
tief gegruͤndete indiſche Zahl 432000, waͤhrend die Zahl
der Secunden der noch jetzt gebraͤuchlichen Eintheilung des
Thierkreiſes — 1296000, der Zahl des zweyten indi-
ſchen Weltalters (3 mal 432000) entſpricht, aus welcher
Zeitperiode ſich vielleicht jene Eintheilung herſchreibt.
Ich habe in meinen Ahndungen einer allgemeinen
Geſchichte des Lebens (zweyten Theiles erſten Band,
Leipzig 1807) ein Verhaͤltniß der Halbmeſſer der Pla-
neten zu ihren Entfernungen von der Sonne aufge-
ſtellt, mittelſt welchem ſich die Groͤße des zunaͤchſt
entfernteren Planeten aus gewiſſen Verhaͤltniſſen des
vorhergehenden naͤheren Planeten genau beſtimmen laͤſ-
ſet. Jene erſte Darſtellung iſt jedoch nicht ohne bedeu-
tende Maͤngel geblieben, die vorzuͤglich aus der irri-
gen Meynung hervorgegangen, daß gewiſſe in jenem
Verhaͤltniß vorzuͤglich bedeutende Zahlen, von denen
wir hernach reden werden, von Glied zu Glied blos in
geometriſcher Proportion wuͤchſen. Jener Irrthum,
der erſt durch die Entdeckung der Veſta veranlaßt war,
hatte auch auf die Beſtimmung des Veſtahalbmeſſers
den vorzuͤglichſten Einfluß gehabt, und denſelben un-
verhaͤltnißmaͤßig viel groͤßer angeben laſſen als er wirk-
lich iſt. Er hatte ferner verhindert, die ſehr nahe lie-
gende, und zu vielen Aufſchluͤſſen fuͤhrende Weiſe, den
Jupiterhalbmeſſer aus den Verhaͤltniſſen der naͤchſtvor-
hergehenden Glieder zu beſtimmen, aufzufinden, wo-
durch die Entſtehung der ganzen (ſogenannten) 2ten
Reihe dunkel geworden, und außer allem Zuſammen-
hang mit der erſten geſetzt war. Ja ſelbſt in den zu-
gleich aufgeſtellten Eccentricitaͤtsverhaͤltniſſen, war durch
jene Annahme eine bedeutende Luͤcke entſtanden, da der
Uebergang, welchen jetzt die Veſta von der einen Sei-
te zur andren bildet, dadurch weggefallen. Aus die-
ſem Grunde habe ich es fuͤr noͤthig gehalten, jene Ver-
haͤltniſſe der Groͤßen und Eccentricitaͤten, hier noch
einmal vollſtaͤndiger und deutlicher aufzuſtellen.
Zuerſt wird es gut ſeyn, uns uͤber das eine, bey
jenen Verhaͤltniſſen vorzuͤglich noͤthige Element, uͤber
die Entfernungen zu vereinigen. Wir wuͤrden hierbey
eine leichtere Auskunft finden, wenn die Elemente aller
Planetenbahnen ſchon wie die der zuletzt entdeckten, auf
die Gaußiſche Weiſe berechnet waͤren, indem wir uns
dann ohne weitre Auswahl an dieſe Berechnungen hal-
ten wuͤrden; vor der Hand aber wird es gut ſeyn, bey
den 5 aͤlteren Planeten zwiſchen den faſt allgemein herr-
ſchenden La Placeſchen und La Landeſchen Angaben,
und jenen neueren, die ſich im 3ten Band des Traité
elementaire de Phyſique par L. Briſſon. Paris 1798
finden, *) ein Mittel zu waͤhlen.
Mittlere Entfernungen der Planeten in
Halbmeſſern der Erdbahn:
Bey den neuerdings zwiſchen Mars und Jupiter
entdeckten 4 neuen Planeten, legen wir dagegen un-
veraͤndert die neueſten Gauſſiſchen Elemente; bey dem
Uranus, weil bey dieſem die Differenz zwiſchen den
La Placeſchen und Briſſonſchen Angaben, beſonders
bey denen der Eccentricitaͤten zu unverhaͤltnißmaͤßig
groß iſt *) die gewoͤhnlichen, bey uns herrſchenden Ele-
mente zu Grunde. Hiernaͤchſt iſt die mittlere Entfer-
nung der:
Veſta **) 2,355135
Juno ***) 2,667153
Ceres †) 2,767405
Pallas ††) 2,768948 die des
Uranus 19,081800 was zugleich mit der Angabe
der mittleren Entfernung bey Briſſon uͤbereintrifft.
Auf dieſelbe Weiſe verfahren wir bey den Eccentri-
citaͤtsverhaͤltniſſen, wo wir wiederum bey den 5 aͤlte-
ren Planeten ein Mittel zwiſchen jenen beyden verſchie-
denen Angaben waͤhlen werden:
Verhaͤltniß der Eccentricitaͤt zur hal-
ben großen Axe.
Bey den 4 zuletzt entdeckten Planeten betraͤgt die
Eccentricitaͤt nach den angefuͤhrten Gauſſiſchen Elemen-
ten, bey der:
Bey Uranus iſt die gewoͤhnliche Angabe der Eccen-
tricitaͤt: 0,046683 wir werden aber in der naͤchſt-
folgenden Tabelle, aus Gruͤnden, die wir ſpaͤter an-
fuͤhren werden, dieſes Element einſtweilen 0,04461378
ſetzen.
Da wir nun die Groͤße der Planetenhalbmeſſer
nach Meilen beſtimmen werden, iſt es noͤthig, demnaͤchſt
auch das andre Element — die Entfernungen, in Mei-
len auszudruͤcken. Wir bleiben bey dieſer Beſtimmung
der Entfernungen der bey uns gewoͤhnlichſten mittleren
Angabe der Sonnenparallaxe, aus welcher die mittle-
re Entfernung der Erde zu 24266,44 Erdhalbmeſſern,
oder 20857008 Meilen folgt, getreu.
Entfernungen der Planeten nach deutſchen Meilen, funfzehn auf
einen Grad.
Wir ſuchen nun fuͤr jene Entfernungen einen na-
tuͤrlicheren Maasſtab, den Halbmeſſer der Weltkoͤrper
ſelber. Es moͤge hierbey als allgemeines, fuͤr alle
guͤltiges Maas, der Halbmeſſer des gemeinſchaftlichen
Centralkoͤrpers — der Sonne aufgeſtellt werden, waͤh-
rend wir zugleich bey jedem einzelnen Planeten, die
Entfernungen nach eignen Halbmeſſern beſtimmen
wollen.
Wir begegnen hierbey einer nicht geringen Schwuͤ-
rigkeit. Es kann bey den Planeten blos der eigentli-
che feſte Koͤrper in Anſchlag gebracht werden, dem ge-
maͤß ſollte auch bey der Sonne blos der Halbmeſſer
des feſten Kerns genommen werden. Nun wird aber
bekanntlich der eigentliche feſte Koͤrper der Sonne blos
da, wo ſich die ihn verhuͤllende leuchtende Atmosphaͤre
oͤffnet — nach dem Aequator hin — geſehen, und
was wir bey der Sonne meſſen, iſt nicht der Umfang
des feſten Koͤrpers allein, ſondern zugleich die ihn bis
zu einer nicht unbedeutenden Hoͤhe umgebende leuchten-
de Lufthuͤlle. Die Hoͤhe der letzteren muͤßte demnach
von dem Halbmeſſer, welcher aus den Meſſungen er-
halten wird, abgezogen werden, erſt dann werden
wir jenen wahren Halbmeſſer, den wir hier ſuchen,
erhalten. Alle Meſſungen muͤſſen hier freylich, wie
Schroͤter gezeigt hat, *) aͤußerſt unſicher, und bedeu-
tenden Irrthuͤmern ausgeſetzt ſeyn, da es ihnen an
ſicherem, bey aͤhnlichen Meſſungen unumgaͤnglich noͤ-
thigem Schatten fehlt, doch wollen wir uns einſtwei-
len an die hieruͤber vorhandnen Meſſungen des beruͤhm-
ten Herrſchel halten. Es ſetzt dieſer die Hoͤhe der leuch-
tenden Atmosphaͤre der Sonne zwiſchen 1843 und
2765 engliſchen Meilen, oder da ſich dieſe zu den
deutſchen Meilen verhalten, wie 826 zu 3811,6,
zwiſchen 399,4 und 599,2 deutſchen Meilen. Wir
halten uns naͤher nach der einen aͤußerſten Graͤnze als
der Mitte, und beſtimmen die Hoͤhe der leuchtenden
Lufthuͤlle zu 570 Meilen, mithin, da wir wie ge-
woͤhnlich, den Halbmeſſer der Sonne 96946 Meilen
ſetzen, den Halbmeſſer des eigentlichen feſten Kerns,
nach Abzug jener Hoͤhe der Atmosphaͤre, zu 96376. *)
Demnach ſind jene Entfernungen in Sonnenhalb-
meſſern:
Wenn wir beylaͤufig die Entfernungen in dieſem
letzteren Maasſtabe ausgedruͤckt, mit den Zahlen der-
ſelben Entfernungen, nach Halbmeſſern der jedesmali-
gen Planeten vergleichen, wird unſre Aufmerkſamkeit
zuerſt durch einige Verhaͤltniſſe erregt, welche freylich
nur ohngefaͤhr und mit geringer Genauigkeit ſtatt fin-
den. Wir ſehen naͤmlich, daß bey Venus, Erde
und faſt auch noch bey Mars, die Cubicwurzel der Ent-
fernung in eignen Halbmeſſern doppelt ſo viel iſt, als
die Quadratwurzel derſelben Entfernung nach Sonnen-
halbmeſſern, oder daß zwiſchen beyderley Zahlen das
Verhaͤltniß von a2 zu 2 a3 ſey. Waͤhrend naͤmlich
bey der Venus die Entfernung in Sonnenhalbmeſſern
das Quadrat einer Zahl iſt, welche nahe an 13 ſteht,
iſt dieſelbe in Venushalbmeſſern ausgedruͤckt, der Wuͤr-
fel von 2 mal 13 oder 26; bey der Erde iſt die erſte-
re Zahl das Quadrat von faſt 15 (14,711) waͤhrend
die Entfernung in Erdhalbmeſſern der Wuͤrfel von 29,
oder dem Doppelten dieſer Zahl iſt. Dagegen iſt ſchon
bey Mars jene Zahl das Quadrat von etwas mehr als
18, waͤhrend dieſe der Cubus von mehr als 2 mal
19 iſt (39,79).
Auf eine aͤhnliche Weiſe, und mit nicht groͤßerer
Genauigkeit, finden wir bey Jupiter, Saturn
und faſt auch noch bey Uranus, die Cubicwurzel der
Entfernung in Sonnenhalbmeſſern, gleich der Biqua-
dratwurzel derſelben Entfernung in Halbmeſſern des je-
desmaligen Planeten, oder zwiſchen den Zahlen des
Abſtands nach beyderley Maasſtaͤben, das Verhaͤltniß
von a3 zu a4. So iſt bey Jupiter die mittlere Ent-
fernung nach Sonnenhalbmeſſern, der Wuͤrfel von 10,4,
waͤhrend wenigſtens die Sonnenferne das Biquadrat
dieſer Zahl iſt; bey Saturn iſt 12,48 die Cubicwurzel
der Sonnennaͤhe nach Sonnenhalbmeſſern, waͤhrend
wenigſtens die Sonnenferne nach eigenen, das Biqua-
drat dieſer Zahl iſt (genauer von 12,47). Dagegen iſt
bey Uranus die Cubicwurzel der Zahl des Abſtandes
nach der erſteren Weiſe ausgedruͤckt, nur wenig mehr
als 16, waͤhrend die Biquadratwurzel der andren Zahl
faſt 18 iſt.
Von einer gewiſſen Seite bildet ein andres Ver-
haͤltniß dieſer Art, das bey dreyen der 4 zuletzt ent-
deckten Planeten ſtatt findet, zu jenem das wir bey
Jupiter, Saturn und Uranus fanden, den Uebergang.
Wir erkennen naͤmlich vorzuͤglich bey Ceres, in der Son-
nennaͤhe nach Sonnenhalbmeſſern, faſt die Quadratwur-
zel derſelben Entfernung nach Cereshalbmeſſern (jene
iſt 551,97 dieſe das Quadrat von 550,1). Eine
Annaͤherung an dieſes Verhaͤltniß wird auch bey Pallas
bemerkt, waͤhrend daſſelbe bey Juno in einem Theil
ihrer Bahn, der der mittleren Entfernung ziemlich
nahe liegt, genau ſtatt findet. Dieſes Verhaͤltniß a
zu a2 gleicht naͤmlich jenem von a3 zu a4 ſchon dar-
in daß a in a2 eben ſo viel mal enthalten iſt als a3
in a4, naͤmlich a mal.
So unbedeutend jene beylaͤufigen Verhaͤltniſſe fuͤr
ſich allein ſeyn wuͤrden, ſo wichtig und bedeutend wer-
den uns dieſelben in ihrer anderweitigen Anwendung.
Es leuchtet von ſelber ein, daß ſie auf dem Verhaͤltniß
der beyderſeitigen Halbmeſſer beruhen. Wenn wir
demnaͤchſt jenes erſtere Verhaͤltniß von a2 zu 2a3,
das wir bey Venus, Erde und Mars ſtatt finden ſa-
hen, auch fuͤr den erſten Planeten des ganzen Syſtems,
fuͤr Mercur ſuchen, wo daſſelbe zwar zwiſchen den
Zahlen der Entfernungen nicht vorhanden iſt; ſo fin-
den wir zwiſchen dem Halbmeſſer des Mercurs und der
Sonne das Verhaͤltniß von 39,13582)2 zu 78,27164)3
wobey wir den Halbmeſſer des Mercur nahe an dem Re-
ſultat der Schroͤterſchen Meſſungen, zu 307,8254 Mei-
len *) angenommen haben.
Wenn wir nun (einſtweilen abgeſehen von der Wei-
ſe, wie der Halbmeſſer der Venus von Mercur aus
beſtimmt wird) 2 mal 78,27164 mit der Zahl der
Sonnenferne der Venus nach Sonnenhalbmeſſern
(157,62347) multipliciren, ſo erhalten wir 24674,89
was genau die Sonnenferne des naͤchſtfolgenden Pla-
neten (Erde) nach eignen Halbmeſſern iſt. Oder an-
ders ausgedruͤckt, wenn wir mit der erhaltnen Zahl
24674,89 die mithin das Verhaͤltniß des Halbmeſſers
der Erde zu ihrer weiteſten Entfernung von der Sonne
ausdruͤckt, in die Sonnenferne derſelben nach Meilen
dividiren, erhalten wir fuͤr ihren Halbmeſſer genau
859½ Meilen.
Multipliciren wir ferner 4 mal 78,27164 mit der
Zahl der Sonnenferne der Erde nach Sonnenhalbmeſ-
ſern (mit 220,0555) ſo erhalten wir 68896,432, wel-
che Zahl, wenn wir damit in die weiteſte Entfernung
des naͤchſtfolgenden Planeten Mars, nach Meilen di-
vidiren, fuͤr den Halbmeſſer deſſelben 504,18473 Mei-
len giebt, waͤhrend derſelbe nach den vortreflichen
Schroͤterſchen Meſſungen 503 betraͤgt. *) Ferner
wird aus der Zahl der Sonnenferne des Mars nach
Sonnenhalbmeſſern (360,4270) multiplicrt mit 16
mal 78,27164, 451379,4 erhalten. Es faͤllt ſo-
gleich in die Augen, daß dieſe Zahl das Verhaͤltniß
des Halbmeſſers der Juno zu ihrer Sonnenferne aus-
druͤckt; denn wenn wir damit in die weiteſte Entfer-
nung der Juno nach Meilen dividiren, finden wir ih-
ren Halbmeſſer zu 154,6617 Meilen, waͤhrend derſelbe
wirklich nach Schroͤter 154,5625 mithin nicht ganz
1/10 Meile weniger betraͤgt. **)
Es bleibt uns nun noch ein Planet, allem An-
ſchein nach noch von Mars aus zu beſtimmen uͤbrig,
die zuletzt entdeckte Veſta. Dieſer kleine Planet nimmt
ſeine Stelle noch vor der Juno, zunaͤchſt an Mars
ein. Da nun ſonſt uͤberall der Halbmeſſer des naͤchſt-
folgenden Planeten aus der Sonnenferne des vorherge-
henden beſtimmt wird, ſo muß auch der der Veſta von
Mars aus gefunden werden, und auf die Sonnenfer-
ne dieſes Planeten muß ſich deshalb, da wir ſchon die
Verhaͤltnißzahl des Junohalbmeſſers durch ſie beſtimmt
ſahen, das Groͤßenverhaͤltniß nicht blos eines, ſondern
zweyer naͤchſtfolgenden Planeten gruͤnden.
Es ſind nun, nach den vorgehenden Gliedern zu
ſchließen, zwey Faͤlle moͤglich. Entweder die Zahl
78,27 waͤchſt von Glied zu Glied in geometriſcher Pro-
greſſion, (1 — 2 — 4 — 8 — 16,) und dann muß
der zwiſchen Mars und Juno gelegenen Veſta die Zahl
8 mal 78 u. ſ. w. zukommen, oder jene Zahl waͤchſt,
wie 4 das Quadrat von 2, 16 das von 4 iſt, in der
Progreſſion der Dimenſionen, was freylich aus andren
tiefer liegenden Gruͤnden wahrſcheinlicher waͤre. Das
erſtere wurde von mir im 2ten Band m. Ahnd. ver-
muthet, und deshalb der Veſtahalbmeſſer viel zu groß
gefunden; das letztere findet wirklich ſtatt. Da naͤm-
lich die 2te Potenz von 4 mal 78, ſich ſchon in Juno
darſtellt, ſo bleibt fuͤr Veſta, obgleich dieſem dem
Mars naͤheren Planeten eigentlich die geringere Zahl zu
gehoͤren ſchiene, *) nur noch die 3te. Wirklich aber
erhalten wir, wenn wir 64 mal 78,27164 mit 360,4270
(Sonnenferne des Mars) multipliciren: 1805518,
und dieſe Zahl, wenn wir damit in die weiteſte Ent-
fernung der Veſta nach Meilen dividiren, giebt fuͤr
den Halbmeſſer derſelben 29,532 Meilen, was ſchon
mit den erſten und einmaligen Schroͤterſchen Meſſungen
ſehr nahe uͤbereintrifft. Es fand derſelbe naͤmlich in
der bis jetzt einzig bekannt gemachten Meſſung vom
26ſten April 1807, den Halbmeſſer dieſes uͤberaus
kleinen Weltkoͤrpers, nicht einmal ½ Secunde, ſon-
dern ohngefaͤhr nur 0″,488 mithin bey der damaligen
Entfernung der Veſta von der Erde, ſehr nahe an un-
ſrer Angabe.
Mit 64 mal 78,27 ſcheint der aͤußerſte Gipfel je-
ner bis zur Veſta zunehmenden Progreſſion erreicht,
und wir ſehen nun bey den gleich nach Juno folgenden
Planeten Ceres und Pallas die Verhaͤltnißzahlen der
Halbmeſſer zu der weiteſten Entfernung, außer Zu-
ſammenhang mit der Zahl 78,27. Doch wird uns
auch hier das bey den fruͤheren Gliedern gefundene Ver-
haͤltniß treu bleiben, wie ſich hernach zeigen wird.
Ehe wir aber weiter gehen, blieb uns noch ein bisher
uͤbergangenes Glied uͤbrig, die Beſtimmung jener Ver-
haͤltnißzahl des Halbmeſſers bey der Venus, aus der
Sonnenferne des Mercur.
Es muß uns dieſes noch fehlende Glied vorzuͤglich
in einer Hinſicht ſehr wichtig ſeyn, indem uns daſſelbe
Aufſchluͤſſe verſpricht, die uns hernach auch zur Auffin-
dung des erſten Gliedes jener wahrſcheinlich *) von Ce-
res und Pallas an eintretenden zweyten Reihe, leiten
koͤnnen. Die Sonnenferne des Mercur nach Sonnen-
halbmeſſern betraͤgt 101,0057. Wenn wir dieſe Zahl
mit 101,0057 (mithin mit ſich ſelber) + 78,27164
(179,2773) multipliciren, ſo erhalten wir 18108,03,
und dieſe Zahl, wenn wir damit in die Sonnenferne
der Venus nach Meilen dividiren, giebt den Halb-
meſſer derſelben zu 838,916 Meilen, was zwiſchen den
Angaben zweyer beruͤhmten Aſtronomen — Schroͤters
und Bodes — davon jener den Venushalbmeſſer zu
834 dieſer zu 844 Meilen ſetzt, faſt mitten innen,
und nur wenig naͤher nach der Schroͤterſchen Angabe
ſteht. **) Jene Zahl 179,27 ſcheint, wie wir ſie auch
hier darſtellen, 1 mal 78,27 verbunden mit der Zahl
der Sonnenferne ſelber zu ſeyn, wiewohl ſich ihre
Entſtehung auch noch anderwaͤrts herleiten ließe. Es
iſt naͤmlich die weiteſte Entfernung des Mercur nach
eignen Halbmeſſern (31623,5) das Quadrat von faſt
178 (177,83) mithin eine Annaͤherung an die wirklich
vorkommende 101 + 78. Jedoch wuͤrde mit 177,8
der Halbmeſſer der Venus ſelbſt noch uͤber die Bode-
ſche Angabe etwas hinausfallen, und wir muͤſſen auch
aus andren Gruͤnden, die wir bey der Pallas finden
werden, jene Quadratwurzel der Verhaͤltnißzahl des
Mercurhalbmeſſers, fuͤr eine bloße Annaͤherung an die
auf andren Gruͤnden beruhende wirklich vorwaltende
Zahl halten.
Denn ſo iſt es nicht ohne tiefe Bedeutung, daß
bey den Monden, und vorzuͤglich bey den Jupiter-
monden, die Verhaͤltnißzahl des naͤchſtfolgenden aus der
Jupiterferne des vorigen nach Jupiterhalbmeſſern (die
ganz natuͤrlich hier das ſind, was in unſrem Verhaͤlt-
niß die Sonnenhalbmeſſer) ſo erhalten wird, daß dieſe
Zahl der Jupiterhalbmeſſer mit ſich ſelber multiplicirt
wird, (eben ſo wie bey Mercur 101 mit ſich ſelber)
wozu dann noch eine andre, ſich bey mehreren Gliedern
gleichbleibende Zahl tritt (eben ſo wie dort 78). Der
einzige Unterſchied, welcher ſich hierbey findet, iſt,
daß bey jenen Monden das Quadrat des Apojovii mit
jener andern Zahl, welche hier 4 iſt, multiplicirt wird
(die Verhaͤltnißzahl des Halbmeſſers eines naͤchſtfol-
genden Jupitermondes zu ſeiner Entfernung von dem
Centralkoͤrper iſt faſt genau das Quadrat des Apojovii
des vorhergehenden, 4 mal genommen). Dagegen
wird in unſrem bey Mercur erwaͤhnten Falle nicht das
Quadrat von 101, ſondern die einfache Zahl ſelber mit
78 multiplicirt, und alsdann dem Quadrat von 101
hinzugefuͤgt, und waͤhrend bey den Monden in der
Verhaͤltnißzahl des naͤchſtfolgenden Gliedes vorzuͤglich
nur das Quadrat jener erwaͤhnten Zahl vorherrſcht,
und die andre Zahl (4) dieſer nur untergeordnet er-
ſcheint, tritt hier ſchon die fuͤr die ganze eine Haͤlfte
des Planetenſyſtems charakteriſtiſche 78,27 ſelbſtſtaͤndig,
in unmittelbare Verbindung mit der Zahl der Sonnen-
ferne ſelber.
So erſcheint der zunaͤchſt an der Sonne ſtehende
Planet in einiger Hinſicht noch mit halbem Mondcha-
rakter, und die hier am kraͤftigſten wirkende Schwere
des Centralkoͤrpers ſtrebt etwas Aehnliches zu bewir-
ken, wie die der Hauptplaneten an den Monden.
Doch erwacht auch zugleich der eigenthuͤmliche Charak-
ter der Planeten in der ihnen, wie wir ſahen, bis zur
Veſta eigenthuͤmlichen Zahl 78. Durch dieſe tritt
Mercur wirklich als das erſte Glied in jene Reihe, die
mit Veſta endet, und es ſteigt dieſelbe von 1 mal 78
bis 64 mal 78.
Von Ceres und Pallas an ſcheinen uns, wie ſchon
erwaͤhnt, alle Spuren jenes Verhaͤltniſſes, das ſich
durch 5 Glieder ſo treu geblieben, zu verlaſſen, und
wir ſehen uns auf einmal wieder voͤllig im Dunklen.
Entweder war aber auch jenes erſterwaͤhnte Verhaͤlt-
niß ein bloßes Spiel des Zufalls, oder auf eine voͤl-
lig analoge Weiſe, muß ein ſolches Verhaͤltniß
bis zum Uranus fortgehen.
Wir nehmen hierbey unſre Zuflucht wieder zu je-
nen erſt erwaͤhnten ohngefaͤhren Verhaͤltniſſen, denen
wir ſchon das Auffinden der erſten Reihe *) verdank-
ten. Man wird ſich erinnern, daß, eben ſo wie ſich
bey den 3 der Sonne naͤheren Planeten, die Zahlen des
Abſtands nach Sonnen- und eignen Halbmeſſern ver-
hielten wie a2 zu 2 a3, dieſe bey den 3 letzten Pla-
neten in das Verhaͤltniß von a3 zu a4 traten. (nach
§. 3.) Die fuͤr die ganze erſte Reihe charakteriſtiſche
Zahl 78,27 wurde dadurch gefunden, daß wir das
Verhaͤltniß a2 zu 2 a3 zwiſchen dem Halbmeſſer des
erſten Gliedes der Reihe, des Mercur, und dem der
Sonne aufſuchten; auf dieſelbe Weiſe muͤßte hier das
Verhaͤltniß a3 zu a4 zwiſchen dem Halbmeſſer des er-
ſten Gliedes einer wahrſcheinlich nun beginnenden
zweyten Reihe, und dem der Sonne geſucht werden.
Wir haben aber, da a3 in a4 eben ſo wie a in a2 a
mal enthalten iſt, und a nichts anders ausdruͤckt, als
wie oft der Halbmeſſer des Planeten in dem der Son-
ne enthalten iſt, hierbey blos noͤthig mit dem Halb-
meſſer des erſten Gliedes dieſer wahrſcheinlichen zwey-
ten Reihe in den der Sonne zu dividiren, und die ge-
fundene Zahl wird die ſeyn, die wir ſuchten.
Allein es waͤre dann zuerſt noch ein weſentlicher
Umſtand zu beruͤckſichtigen. Es wurden von Mars
aus die Groͤßen zweyer Glieder beſtimmt. Hat kein
zufaͤlliger Irrthum uns getaͤuſcht, ſo muß die Groͤße
des naͤchſtfolgenden Hauptkoͤrpers jener vorausgeſetz-
ten zweyten Reihe (des Jupiter) aller Analogie
zu Folge auch nicht von einem ſondern von zwey
vorhergehenden Gliedern beſtimmt werden, und es
muͤſſen ſich nach der einen Seite hin auf den Jupiter
eben ſo 2 vorausgehende der Sonne naͤhere Planeten
beziehen, als nach der andern hin auf den Mars 2
folgende entferntere. Wir muͤſſen deshalb das Ver-
haͤltniß des Halbmeſſers zu dem der Sonne bey 2 Glie-
dern ſuchen, und aus den gefundenen Zahlen das Mit-
tel waͤhlen.
Jene 2 Planeten, welche ihrerſeits ſich auf den
Jupiter beziehen muͤſſen, koͤnnten, ſo weit unſre jetzi-
gen Entdeckungen reichen, keine andren ſeyn, als Ce-
res und Pallas, die ihre Stelle zwiſchen Juno und
Jupiter einnehmen. Der Halbmeſſer der Ceres, wenn
wir ihn nach Schroͤters Meſſungen zu 176 Meilen an-
nehmen, iſt in dem der Sonne 547,59 der der Pallas,
nach Schroͤter 227½ Meile, 423,63 mal enthalten.
Das Mittel aus beyden iſt 485,6.
Wirklich aber iſt die Zahl der Sonnenferne in Son-
nenhalbmeſſern bey der Juno, von welcher aus, als
dem naͤchſtvorhergehenden Glied, die Groͤße der Ceres
beſtimmt werden muͤßte, in der Verhaͤltnißzahl des
Halbmeſſers der letzteren (genau 176 Meilen ange-
nommen) zu ihrer Sonnenferne (724,36179 in
353648) 488,2201 mal enthalten, und eben ſo iſt die
Sonnenferne der Ceres, als des naͤchſtvorhergehenden
Gliedes, in der Verhaͤltnißzahl des Pallashalbmeſſers
(227½ Meile angenommen) zu ihrer weiteſten Entfer-
nung (645,8251 in 315992) 489,38058 mal enthal-
ten. Das Mittel aus 489,3805 und 488,2201 iſt
488,8003, welche Zahl, wenn wir ſie als die eigent-
lich ſtatt findende annehmen, mit 724,3618 multipli-
cirt, jene Verhaͤltnißzahl bey der Ceres zu 354068,28
bey Pallas zu 315679,58 giebt, wodurch wir, wenn
wir damit in die Sonnenfernen derſelben nach Meilen
dividiren, den Cereshalbmeſſer zu 175,79 den Pallas-
halbmeſſer zu 227,77 Meilen, mithin jenen nur 1/5 Mei-
le kleiner, dieſen 1/5 Meile groͤßer erhalten, als ſie die
ſorgfaͤltigen Schroͤterſchen Meſſungen geſetzt haben. *)
Es erregt von neuem unſre Aufmerkſamkeit, daß
die Zahl 488, oder wenn wir lieber jener aus den
Halbmeſſern erhaltenen folgen wollen, 486 (von dem
Unterſchied beyder ſpaͤter mehr) durch 2 Glieder hin-
durch dieſelbe bleibt, ohne wie doch in der ganzen er-
ſten Progreſſion geſchahe, zu ſteigen. Wir muͤſſen
uns, wenn wir weiter ſchließen, allmaͤlig auf das
Eintreten der 2ten Progreſſion, (Reihe) und auf den
Uebergang der erſten in ſie vorbereitet finden. Es
pflegen in der ganzen Natur die Kraͤfte nur zu ſteigen
oder zu ſinken, und ſo bald ſie nicht mehr ſteigen, ſe-
hen wir ſie ihrem Verſinken, ihrer Aufloͤſung nahen.
Aber welche Vermuthungen auch durch die Weiſe,
wie bey den beyden zuletzt betrachteten Gliedern die
Groͤßen beſtimmt wurden, in uns erwachten, ſo
ſcheint Anfangs doch keine vermoͤgend uns die Weiſe,
wie der Halbmeſſer des naͤchſtfolgenden Planeten, Ju-
piter, von Ceres und Pallas aus beſtimmt wird, auf-
zuſchließen. Denn wenn wir auch, wie aus dem Vor-
hergehenden nothwendig folgte, ein Mittel aus den
Sonnenfernen beyder ſuchen (dieſes wuͤrde aus 645,8251
und 746,0607=695,9429 ſeyn) eben ſo wie wir, von
dem zwiſchen Mars und den beyden auf ihn folgenden
Planeten beobachteten Verhaͤltniß geleitet, auch auf
der andern Seite aus den Groͤßen jener beyden zunaͤchſt
vor Jupiter ſtehenden Planeten die mittlere Zahl 488
fanden; ſo ſteht doch dem Anſcheine nach jene Mittel-
zahl beyder Sonnenfernen mit dem Verhaͤltniß des Ju-
piterhalbmeſſers, zu der weiteſten Entfernung dieſes
Planeten, in keiner ſolchen Beziehung, wie aus Allem,
was uns 8 vorhergehende Glieder gelehrt haben, zu
folgen ſchiene. Wir ſind genoͤthigt, jenes bey allen
vorhergehenden Gliedern beobachtete Verhaͤltniß, als
blinden Zufall aufzugeben, oder dieſes muß auf irgend
eine andre Weiſe auch zwiſchen Jupiter und ſeinen bey-
den Vorgaͤngern nachgewieſen werden koͤnnen.
In ſolcher Ungewißheit befragen wir wieder, wie
vorhin, den Anfang der erſten Progreſſion. Ihm
aͤhnlich in Allem wird auch der der 2ten ſeyn muͤſſen.
Was in der erſten Reihe Mercur iſt, ſind in der
zweyten die in allen Verhaͤltniſſen (wie in ihrer Ent-
fernung) enge verbundenen beyden Planeten Ceres und
Pallas; was in der erſten Venus, iſt in der zweyten
Jupiter. Es muß mithin auf eine analoge Weiſe wie
Venus von Mercur aus; ſo Jupiter, in Hinſicht ſei-
ner Groͤße, von Pallas und Ceres aus beſtimmt werden
koͤnnen. Nun ſehen wir, daß bey Mercur, wenn
wir das Verhaltniß des Halbmeſſers der Venus zu ih-
rer Sonnenferne finden wollten, die Zahl der Sonnen-
ferne (101) mit ſich ſelber multiplicirt werden mußte,
daß mithin die Sonnenferne dieſes erſten Gliedes der
erſten Reihe hierbey ſelbſtſtaͤndiger und freyer auftrat,
als ſonſt irgendwo; wir muͤſſen mithin vermuthen,
daß auch zur Beſtimmung des Jupiterhalbmeſſers, die
Zahl der Sonnenferne des vorhergehenden Doppelglie-
des, ſelbſtſtaͤndiger und mehr fuͤr ſich allein wirken wer-
de als bey den uͤbrigen Gliedern. Ferner wurde, wenn
wir den Halbmeſſer der Venus von Mercur aus her-
leiteten, zu dem Quadrat von 101 eine aus einmal
78 und 101 erhaltene Summe hinzuaddirt; vermuth-
lich wird deshalb auch 488 ſich auf eine aͤhnliche Wei-
ſe bey Jupiter thaͤtig zeigen. Wenn aber unſre oben
geaͤußerte Vermuthung, uͤber jenen ſonſt nur in dem
ſehr untergeordneten Gebiet der Monde ſtatt findenden
Fall, den wir auch bey Mercur beobachteten, wo
naͤmlich das Quadrat der Sonnenferne des einen Glie-
des zur Groͤßenbeſtimmung des andren hauptſaͤchlich
beytrug, ſich wirklich auf etwas wahres gruͤndete;
wenn dieſer halbe, untergeordnete Mondcharakter des
Mercur, wirklich von einer maͤchtiger als bey jedem
andren Gliede wirkenden Centralkraft der ihm naͤher
als allen ſtehenden Sonne herruͤhrte; ſo duͤrften wir
freylich am Anfange der 2ten Progreſſion, deren er-
ſte Glieder ſchon weiter von der Sonne entfernt, und
mithin einer geringeren Schwere ausgeſetzt ſind, als
ſelbſt die letzten Glieder der erſten Reihe, jene Eigen-
ſchaft der Monde, und der zunaͤchſt an der Sonne ſte-
henden, der Schwere am meiſten untergeordneten Pla-
neten, nicht wieder zu finden hoffen; vielmehr wuͤrde
eine mehr als 50 mal verringerte Anziehung des Cen-
tralkoͤrpers, den uͤbrigens fuͤr beyde aͤhnlichen Fall et-
was veraͤndern.
Einige Elemente mit ihren vermuthlichen Eigen-
ſchaften ſind uns jetzt zu der geſuchten Verhaͤltnißzahl
gegeben, noch mangelt jedoch die Kenntniß der Vermi-
ſchung jener Elemente. —
Die Natur kann ſich bey ſolchen Progreſſionen, wo
ſich ein Glied ſo nothwendig auf das naͤchſtvorherge-
hende und naͤchſtkuͤnftige bezieht, keinen Sprung er-
lauben, und wenn die in der erſten Reihe charakteriſti-
ſche Zahl 78 in den letzten Gliedern auf ihren 64 und
16 fachen Werth geſtiegen war, ſo kann in den zu-
naͤchſt angraͤnzenden Gliedern, die noch unbekannte cha-
rakteriſtiſche Zahl, nicht auf einmal auf den einmaligen
Werth heruntergeſunken ſeyn. Wenn wir um die oft-
erwaͤhnte Verhaͤltnißzahl bey der Erde zu finden, die
Sonnenferne der Venus (157,623) mit 156,543, um
die des Mars zu finden, die Sonnenferne der Erde
(220,05) mit 313,086, um die der Juno und Veſta
zu beſtimmen, die des Mars (360,427) mit 1252,344
und mit 5009,385 multipliciren mußten, ſo erkannten
wir in der erſten 2 mal, in der 2ten 4 mal, in der
3ten und 4ten 16 und 64 mal 78,27164. Jene Zah-
len ſaͤmmtlich waren mithin zuſammengeſetzte. Es iſt
deshalb zu vermuthen, daß auch die Zahl 488,8 zu-
fammengeſetzt ſey.
Es erhellt aber aus einem andren Verhaͤltniß, das
zwiſchen den Rotationsperioden und Eccentricitaͤten der
verſchiedenen Planeten ſtatt findet, (m. ſ. §. 13 bis 21)
daß, waͤhrend in der ganzen erſten Reihe bis zur Ju-
no die Zahl 39,135 und die doppelt ſo große 78,27
herrſchen, von Ceres und Pallas an ſtatt ihrer die Zah-
len 60 oder 59 und ihre Haͤlfte 30 oder 29 eintreten.
Ich will mich vorlaͤufig hierauf berufen.
Wie in jenem gleich Anfangs erwaͤhntem Verhaͤlt-
niß die Zahl 78 oder 2a dem Halbmeſſer des (groͤßeren)
Centralkoͤrpers — der Sonne, ihre Haͤlfte 39 oder a
dem kleineren Halbmeſſer des Planeten entſpricht, ſo
bezieht ſich auch hier, wie anderwaͤrts erhellen wird,
die Zahl 60 auf die Sonne, ihre Haͤlfte — 30 auf
den Planeten.
Aus jenen Zahlen iſt nun auch offenbar 488,8 zu-
ſammengeſetzt, ſey es nun, daß wir ſie als 8 mal
61,1 oder als 16 mal 30,5 betrachten wollen. Denn
wenn wir, wie die Groͤßenverhaͤltniſſe der Ceres und
Pallas erhalten werden, wenn man die Sonnenferne
des naͤchſtvorhergehenden Gliedes mit 8 mal 61, oder
was vielleicht der richtigere Ausdruck iſt, mit 16 mal
30,5 multiplicirt, jetzt das Mittel beyder Sonnen-
fernen (695,9429) 16 mal, oder die Summe beyder
Sonnenfernen (645,8 + 746,06 = 1391,88) 8 mal
nehmen, ſo erhalten wir auf beyde Weiſen
11135,0864. Wenn wir alsdann wiederum 8 mal
61 oder 16 mal 30,5 (488,8) hinzu addiren, erhal-
ten wir 11623,8867, was genau die Zahl iſt, wie
oft der Halbmeſſer des naͤchſtfolgenden Gliedes (Jupi-
ter) in ſeinem weiteſten Abſtand von der Sonne enthal-
ten iſt. Denn wenn wir mit jener Zahl in die Son-
nenferne des Jupiter nach Meilen dividiren, erhalten
wir ſeinen Halbmeſſer zu 9783,267 Meilen, was von
den Schroͤterſchen Meſſungen, an welche ſich die deut-
ſchen Aſtronomen ſaͤmmtlich halten, *) nur ¼ Meile
abweicht.
Wir ſind hier, bey dem Aufang der 2ten Reihe,
dem voͤllig analog verfahren, was uns der der erſten
gelehrt hatte. Waͤhrend die erſte Reihe von unten,
aus einem faſt Mondenaͤhnlichen Zuſtand, gleichſam
mit einem noch unentwickelten Planetariſchen Charak-
ter beginnt, entſpringt der Anfang der 2ten ſchon aus
dem hoͤchſten Gipfel der erſten. Waͤhrend dort die
charakteriſtiſche Zahl in ihrem einfachen Werth erſcheint,
tritt ſie hier, einen allmaͤligen Uebergang von dem
Ende der erſten zum Anfang der 2ten Progreſſion bil-
dend, gleich mit einem mehrfachen Werthe auf.
Waͤhrend dort, wie bey den Monden, die Sonnenfer-
ne des erſten Gliedes mit ſich ſelber multiplicirt wird,
muͤßte ſie hier einfach auftreten, wenn nicht derſelbe
Grund, welcher die Zahl 61,1 gleich aufs Achtfache
geſteigert erſcheinen laͤßt: die Naͤhe des Gipfels einer
vorhergehenden Reihe, ſie in demſelben Maaße ver-
mehrte. Endlich ſo wird, waͤhrend dort die hernach
von Glied zu Glied ſteigende, und durch die ganze
Progreſſion ſich treu bleibende Zahl 78,27, mit 101
multiplicirt werden mußte, die Zahl 488, die, wie
wir ſehen werden, blos aus dem Einfluß der nahen
erſten Reihe entſtanden, hier zum letzten Male auf-
tritt, blos gleichſam mechaniſch hinzugefuͤgt. **)
Obgleich 488,8 wie ſchon erwaͤhnt, auch als 8
mal 61 betrachtet werden koͤnnte, ſo wie 11135 als 8
mal die Summe beyder Sonnenfernen, ſo koͤnnte es doch
in einiger Hinſicht der oben gewaͤhlten Weiſe, die uns
das Mittel aus dem Verhaͤltniß der beyden Halbmeſſer
zu dem der Sonne waͤhlen ließ, angemeſſener ſcheinen,
wenn wir ſie als 16 mal 30,5 betrachteten. Alsdann
aber zeigte ſich hierinn, gleich bey ihrem Beginnen,
die zweyte Progreſſion ungemein bedeutend von der er-
ſten verſchieden. In dieſer herrſchte die Zahl 78 oder
2a, die wie erwaͤhnt, dem Sonnenhalbmeſſer entſprach,
in jener tritt dagegen die Zahl a (als 30,5) auf, die
dem Planetenhalbmeſſer entſpricht; ſo daß dort die
charakteriſtiſche Zahl von der Sonne, hier von den Pla-
neten aus erhalten wuͤrde.
Wenigſtens wird dieſer Charakter der zweyten Pro-
greſſion in dem Verhaͤltniß der nun folgenden Glieder
deutlich. Die Zahl 488 war ſchon von Juno zu Ce-
res, von Ceres zu Pallas ſich gleich geblieben. Bey der
Beſtimmung der Groͤße des Jupiter durch die beyden
letztern, war ſie vollends muͤßig, blos durch die ein-
fache Addition hinzugetreten. Wir muͤſſen ſie nun
wahrſcheinlich in den naͤchſtfolgenden Gliedern ganz
verſchwinden ſehen, *) und wie dieſe Zahl, den
Uebergang von der einen Reihe zur andren bildend,
mehr noch den Charakter der nahen erſten Progreſſion
trogt; ſo tritt nun der der zweyten deutlicher entwi-
ckelt auf.
Wir nehmen, indem wir unſre 2te Reihe weiter
fuͤhren, wieder zu dem gleich Anfangs an ihr bemerk-
tem beylaͤufigen Verhaͤltniß von a3 zu a4 unſre Zu-
flucht. Wie ſchon an dem Beginnen dieſer Reihe die
Zahl 488 als 16 mal 30 von der Seite der Plane-
ten aus gegeben wurde, ſo iſt es vielleicht Grundcha-
rakter der ganzen zweyten Progreſſion, daß die Zahlen
nicht von der Sonne aus, ſondern von den Planeten
erhalten werden. Die Sonne iſt nur eine, der Pla-
neten viele; jene Zahl muͤßte fuͤr jedes Glied eine ei-
genthuͤmliche andere ſeyn.
Nach jenem Verhaͤltniß a3 zu a4, iſt die Biqua-
dratwurzel der mittleren Entfernung des Jupiter nach
eignen Halbmeſſern, 10,262056. Da der Zahl der Glie-
der nach, Saturn in der zweyten Reihe der Erde in
der erſten entſpricht, (das 3te Glied iſt) wollen wir,
wie wir, um den Halbmeſſer der Erde zu finden, 2 mal
78,27 nehmen mußten, auch hier 2 mal 10,262056
nehmen. **) Wir multipliciren damit wie gewoͤhnlich
die Sonnenferne des Jupiter nach Sonnenhalbmeſſern
(1179,937 mit 20,524112) und erhalten faſt genau die
Verhaltnißzahl des Saturushalbmeſſers zum weiteſten
Abſtand dieſes Planeten — 24217,4576. Denn
wenn wir mit dieſer Zahl in die Sonnenferne des Sa-
turn nach Meilen dividiren, wird der Halbmeſſer deſ-
ſelben zu 8681,718 Meilen, mithin nur 7/10 Meilen
groͤßer, als ihn die gewoͤhnlichen Angaben ſetzen, ge-
funden.
Wir haben uns nicht getaͤuſcht. Denn wenn wir,
die Wahrheit unſres zuletzt gewaͤhlten Verfahrens pruͤ-
fend, auch aus der mittleren Entfernung des Saturn
nach eignen Halbmeſſern die Biquadratwurzel ſuchen,
(dieſe iſt 12,304196) und dieſe — ganz analog der er-
ſten Reihe, nun viermal genommen mit der Sonnen-
ferne deſſelben nach Sonnenhalbmeſſern (49,216784
mit 2181,5506) multipliciren, erhalten wir
107368,885 fuͤr die Verhaͤltnißzahl des naͤchſtfolgen-
den Gliedes — Uranus, zu ſeiner weiteſten Entfer-
nung. Wenn wir den Halbmeſſer dieſes Planeten
mit den franzoͤſiſchen Aſtronomen *) zu 3867 Meilen
ſetzen, und uns ganz an die gewoͤhnlichen Angaben ſei-
ner mittlern Entfernung und Eccentricitaͤt halten, ſo
finden wir jene Verhaͤltnißzahl 107724. Wenn wir
aber aus andern Gruͤnden, welche bey dem Verhaͤltniß
der Eccentricitaͤten angefuͤhrt werden ſollen, die Eccen-
tricitaͤt dieſes Planeten, von der man laͤngſt erwaͤhnt
hat, daß ſie noch einiger Correction beduͤrfen werde,
nur um 0,0002069 kleiner ſetzen, als nach De Lambre
und La Place *) naͤmlich zu 0,044613783 und alsdann
mit jener von Saturn aus erhaltenen Summe in die
weiteſte Entfernung des Uranus nach Meilen dividiren,
ſo finden wir ſeinen Halbmeſſer zu 3872,118 Meilen,
mithin nur 5 von jener Angabe verſchieden.
Nun ſetzten zwar die deutſchen Aſtronomen bekannt-
lich den Halbmeſſer des Uranus zum Theil viel gerin-
ger, aber es ſind auch uns viele Moͤglichkeiten, beſon-
ders gerade fuͤr den Halbmeſſer des Uranus uͤbrig, um
ihn bedeutend zu verkleinern. So laͤßt z. B. eine ſehr
geringe Veraͤnderung der von uns gewaͤhlten Sonnen-
parallare und mittlern Entfernung der Erde, eine ſehr
geringe Verminderung des Halbmeſſers des feſten Son-
nenkoͤrpers, den Halbmeſſer des Uranus, weil bey
dieſem entfernteſten Planeten dieſe Differenzen am mei-
ſten anwachſen, ganz ſo finden, wie ihn die deutſchen
Meſſungen gaben, zugleich bleiben hierbey die Groͤßen-
beſtimmungen fuͤr die uͤbrigen Planeten bis in die Ge-
gend des Jupiter oder Saturn bis auf unbedeutende
Bruͤche einer Meile, voͤllig unveraͤndert. Was
auch ſonſt noch fuͤr Mittel uͤbrig blieben, um
die Beſtimmung des Uranushalbmeſſers genau den
deutſchen Meſſungen anzufuͤgen; ſo wuͤrde dieſe Muͤ-
he doch vor der Hand ganz vergebens ſeyn, da ſich
vielleicht in kurzem, bey einer neuen Berechnung der
Uranusbahn, jene bis jetzt noch geringen Schwierlgkei-
ten, entweder vergroͤßern oder ganz verliehren koͤnnen,
und da wohl auch Meſſungen des Saturn, wie die Schroͤ-
terſchen, uns noch belehren muͤſſen, ob vielleicht (was
freylich ſehr unwahrſcheinlich iſt) auch die Cubicwurzel
der mittleren Entfernungen des Jupiter und des Saturn
nach Sonnenhalbmeſſern, bey Beſtimmung des naͤchſten
Gliedes in Anſchlag gebracht werden muͤſſen, *) was
freylich auch den Halbmeſſer des Saturn etwas kleiner
geben wuͤrde. (Auf der andern Seite wird dieſer auch
um 3 Meilen groͤßer, wenn wir ganz der La Place-
ſchen Angabe der Eccentricitaͤt folgen.
So haben wir in den aufgeſtellten Groͤßenverhaͤlt-
niſſen deutlich zwey Reihen oder Progreſſionen geſehen,
die beyde einen ſehr verſchiedenen Charakter zeigten.
Wir werden beyde Reihen mit ihrer eigenthuͤmlichen
Verſchiedenheit hernach auch in andern Verhaͤltniſſen
wieder finden, hier moͤgen uns nur noch einige vorlaͤu-
fige Bemerkungen uͤber dieſelben erlaubt ſeyn.
In der erſten Progreſſion wurde die charakteriſtiſche
Zahl aus dem Verhaͤltniß des Sonnenhalbmeſſers zu
dem erſten Glied gefunden, und dieſe Zahl blieb ſich
durch 6 Glieder unveraͤndert gleich, wie auch der Cen-
tralkoͤrper fuͤr alle derſelbe iſt. In der 2ten Reihe dage-
gen, welche uͤberhaupt die groͤßten, zugleich aber auch
die entfernteſten, (der Schwere gegen den Central-
koͤrper in dem mindeſten Grade ausgeſetzten) Plane-
ten unſers Syſtems enthaͤlt, wurde, wie es ſchien,
gleich Anfangs die charakteriſtiſche Zahl (30) dem Ver-
haͤltniß der Planetenhalbmeſſer zur Sonne hergenom-
men, und wie die Planeten ſelber immer von Glied zu
Glied wieder andre ſind, ſo blieb auch nun die charak-
teriſtiſche Zahl nicht mehr wie in der erſten Reihe be-
ſtaͤndig, ſondern ſie wurde von Glied zu Glied eine
andre. Wir mußten naͤmlich in der zweyten Progreſ-
ſion bey jedem einzelnen Hauptglied die Zahl nach dem
Anfangs bemerkten Verhaͤltniß a3 zu a4 aufſuchen,
und da dieſes Verhaͤltniß eben ſo wie das von a2 zu
2 a3 nicht der Sonnenferne allein, ſondern allen ver-
ſchiedenen Abſtaͤnden zugleich angehoͤrt, ſo mußte jene
Zahl aus der mittlern Entfernung geſucht werden. *)
Wir haben hierbey vor der Hand nur noch auf die
mittlere Entfernung nach Planetenradien Ruͤckſicht
genommen.
Hoͤchſt merkwuͤrdig erſchien in unſrem Verhaͤltniß
jener Punkt des Planetenſyſtems, wo beyde Progreſ-
ſionen zuſammentrafen. Es faͤllt dieſer in die 4 zu-
letzt entdeckten kleinſten Planeten, und wir haben an
ihm Verſchiedenes beobachtet, was ſonſt ohne Beyſpiel
iſt. Man koͤnnte ſagen, daß ſich hier die Charakte-
re der beyden Progreſſionen vermiſchen, und daß die
letzten Glieder der erſten Reihe (dieſes wird beſonders
aus den Eccentricitaͤtsverhaͤltniſſen erhellen) ſchon et-
was von dem Charakter der zweyten annehmen, waͤh-
rend die beyden erſten Glieder der zweyten Reihe noch
etwas von dem der erſten an ſich tragen. Hierhin ge-
hoͤrt die eigentliche Herleitung der zuſammengeſetzten
Zahl 488, aus 16 mal 30,5, oder was noch deutli-
cher iſt, die unveraͤndert ſelbſt noch in die Beſtimmung
des Jupiterhalbmeſſers eingehende Zahl 16, (oder
auch 8) die der Anfang der zweyten Progreſſion noch
von dem zunaͤchſt angraͤnzenden letzten Glied (der Ent-
fernung nach) der erſten Reihe, von der Juno, mit her-
uͤber genommen hat. Durch die Angraͤnzung der zwey-
ten Progreſſion iſt auch, wie ſich deutlich beweiſen ließe,
die merkwuͤrdige Ausnahme entſtanden, welche das
mehr geſteigerte Glied Veſta (als 64) der Entfernung
nach noch vor dem tiefer ſtehenden, (der Juno, als 16)
eintreten laͤßt, doch wird es zu Bemerkungen dieſer
Art noch dann Zeit ſeyn, wenn dieſer noch immer in
unſrem Verhaͤltniß ſehr problematiſche Planet, durch
die weiteren Unterſuchungen der Aſironomen noch mehr
beſtimmt ſeyn wird.
Wir haben nun, nachdem die Groͤßen beſtimmt
ſind, zur leichteren Ueberſicht nur noch die verſchiede-
nen Abſtaͤnde der Planeten nach eignen Halbmeſſern,
und den Werth der letztern nach Meilen hinzuzufuͤgen.
Es ſind uns nun nur noch einige beylaͤufige Bemer-
kungen uͤber ein aͤhnliches Verhaͤltniß bey den Monden,
und zwar ausſchließend bey den Jupitermonden uͤbrig,
obgleich jenes Verhaͤltniß, das ſich bey den Satur-
nusmonden findet (wenn man die Schroͤterſchen
Meſſungen zu Grunde legt) nicht minder merkwuͤrdig,
und zu vielen Aufſchluͤſſen fuͤhrend erſcheint. *)
Zwar findet ſich bey den Monden die große Schwuͤ-
rigkeit, daß, waͤhrend in unſrem Verhaͤltniß jedesmal
die weiteſte Entfernung eines Gliedes von dem Cen-
tralkoͤrper, in Halbmeſſern des letzteren zur Beſtim-
mung des naͤchſtfolgenden genommen werden muß, in
dieſem Falle nur die mittlern Entfernungen hinlaͤnglich
genau bekannt ſind; doch thut dies gerade bey den Ju-
pitermonden, wo die Eccentricitaͤten nicht ſehr bedeu-
tend ſind, beſonders wenn wir uns an die gewoͤhnliche,
etwas groͤßere Angabe der Entfernungen halten, wenig
Eintrag. Nach dieſer bekannten Angabe betragen die Ent-
fernungen der Jupitermonde von ihrem Hauptplaneten:
Wir wollen diesmal, um uns vielleicht deutlicher
zu machen, gleich mit dem zweyten Glied anfangen,
und das erſte bis zuletzt laſſen.
Es iſt das Quadrat von 9,494 = 90,136 und die-
ſes 4 mal genommen, giebt 360,544 fuͤr die Verhaͤlt-
nißzahl des Halbmeſſers des naͤchſtfolgenden 3ten Mon-
des zu ſeiner Entfernung. Es verhaͤlt ſich aber, wenn
wir den Halbmeſſer des 3ten Mondes mit Schroͤter zu
409 Meilen ſetzen, dieſer zu ſeiner Entfernung wie
1 zu 362, oder, weil hier bey dem ſehr geringen
Werth der Verhaͤltnißzahlen, ein ſehr geringer Unter-
ſchied derſelben den Werth des Halbmeſſers gleich ſehr
veraͤndern kann, giebt die aus unſrem Verhaͤltniß ge-
fundne Zahl 360,54 den Halbmeſſer des 3ten Mon-
des zu 410,84 Meilen, mithin faſt 2 Meilen groͤßer
als die Schroͤterſchen Meſſungen. Dieſes Verhaͤltniß
beſtaͤtigt ſich dann auch bey dem 3ten Glied. Es iſt
naͤmlich das Quadrat der Entfernung des 3ten Mon-
des in Jupiterhalbmeſſern (15,1412 = 229,25) 4
mal genommen, 917, und dieſe Zahl, wenn wir da-
mit in die Entfernung des 4ten nach Meilen dividiren,
giebt den Halbmeſſer deſſelben zu 284,11 Meilen,
waͤhrend dieſer nach Schroͤter 285, mithin keine gan-
ze Meile groͤßer iſt. Unterſchiede der Theorie und der
Meſſungen, die bey der Schwuͤrigkeit der letzteren,
wo vielleicht Centeſimalen einer Raumſecunde eine
merkliche Differenz geben koͤnnen, und bey der Unbe-
ſtimmtheit der Eccentricitaͤten, gering genug ſind.
Wir haben nun noch das Verhaͤltniß des erſten
zum 2ten Gliede, das wir vorhin uͤbergiengen, zu
betrachten uͤbrig. Hierbey iſt es freylich noͤthig, uns
zum Theil auf etwas zu beziehen, was erſt in der
Folge und an einem andern Ort wird weiter aus-
einander geſetzt werden koͤnnen. Wir finden auch bey
den Monden (beſonders iſt dieſes bey den Saturnus-
monden deutlich) gleich in Hinſicht der Groͤßen 2 ver-
ſchiedene Reihen angedeutet, und die groͤßeren Monde
finden ſich wie im Planetenſyſtem die groͤßten Plane-
ten, gegen Anfang der zweyten Reihe, waͤhrend die er-
ſte viel kleinere Koͤrper enthaͤlt. Bey der letztern muͤſ-
ſen mithin, wie im Planetenſyſtem bey den Gliedern
der erſten Progreſſion, die Zahlen, aus welchen, mit
der Entfernung des vorhergehenden Gliedes nach Halb-
meſſern des Centralkoͤrpers zuſammen, die Verhaͤltniß-
zahl des naͤchſten Gliedes gebildet wird, viel groͤßer
ſeyn. Was hoͤchſt bedeutend iſt, es findet ſich ſelbſt
bey den Jupitermonden der Anfang der zweyten Reihe
in derſelben Gegend, wie, nach dem was noch im
Verlauf dieſer Abhandlung hieruͤber geſagt werden wird,
im Planetenſyſtem.
Jene beyden Monde, deren Groͤße wir ſchon vor-
hin beſtimmten, bilden im Syſtem der Jupitermonde
die zweyte Reihe, und wir haben nun nur noch die er-
ſte zu betrachten. Doch iſt auch dieſe hoͤchſt einfach,
und der 2ten in ihrer ganzen Natur ſo nahe verwandt,
daß wir ſie unmittelbar aus dieſer herleiten koͤnnen.
Man wird ſich erinnern, daß im Planetenſyſtem
bey den erſten Gliedern beyder Progreſſionen, wenn
wir von ihnen aus die Verhaͤltnißzahlen der naͤchſtfol-
genden finden wollten, eine Zahl zu der andern aus
der Sonnenferne ſchon erhaltenen, hinzuaddirt wer-
den mußte. Dieſe wurde in der erſten Reihe von dem
gemeinſchaftlichen Centralkoͤrper — der Sonne her-
geleitet. Es muß dieſes eine allgemeine Eigenſchaft
der erſten Glieder aller Progreſſionen dieſer Art in un-
ſrem Planetenſyſtem ſeyn *) denn wir finden daſſelbe
auch in dem Verhaͤltniß des erſten Jupitermondes zum
2ten. Wir werden naͤmlich noch in den Graͤnzen die-
ſer Abhandlung, in andern Naturverhaͤltniſſen des
Jupiter, die Zahl 13, neunmal genommen, oder 117
(was jedoch etwas uͤberzaͤhlig als 117,755 erſcheint)
wichtig finden. Seine Sonnenferne nach eignen Halb-
meſſern iſt dagegen nur das Quadrat von 107,814,
was eben ſo eine Annaͤherung an 117 iſt, wie (nach
§. 24.) 78,27 an 84, 61 ja 58 an 63. Wir wiſ-
ſen nicht beſtimmt, welche von dieſen beyden, auf
gleiche Weiſe von dem gemeinſchaftlichen Centralkoͤrper
hergeleiteten Zahlen in jener Groͤßenbeſtimmung des
2ten Mondes aus dem erſten eigentlich thaͤtig ſey,
wenn wir aber aus beyden das Mittel (112,784) waͤh-
len, und dieſe Zahl zu dem Quadrat der Ent-
fernung des 1ſten Mondes nach Jupiterhalbmeſſern
(5,9652 = 284,649) hinzuaddiren, erhalten wir
397,433 fuͤr die Verhaͤltnißzahl des Halbmeſſers des
zweyten zu ſeiner Entfernung, was den Halbmeſſer zu
233,705 Meilen giebt, waͤhrend er nach den Schroͤter-
ſchen Meſſungen 232,5, mithin nicht viel uͤber eine
Meile weniger betraͤgt.
So hat uns die Analogie, der wir ſchon oͤfter ge-
folgt waren, auch hier nicht verlaſſen, und wir fin-
den das Verhaͤltniß der beyden Reihen im Planetenſy-
ſtem auch hier ausgedruͤckt. Nur freylich viel einfa-
cher, und ſtets dem Hauptcharakter der Monde treu.
Die erſte Progreſſion war von der zweyten nur darin
unterſchieden, daß in jener das Quadrat der Entfer-
nung des vorhergehenden 8 mal, in dieſer dagegen 4
mal genommen die Verhaͤltnißzahl des naͤchſtfolgenden
beſtimmte. *) Uebrigens fand ſich bey dem erſten
Glied ſelbſt die Nothwendigkeit jener merkwuͤrdigen
Addition wieder, die wir bey den erſten Gliedern jener
Progreſſionen im Planetenſyſtem beobachteten. So
bleibt ſich die Natur in den nothwendigſten Umriſſen
jenes Verhaͤltniſſes uͤberall eben ſo treu als in den Ge-
ſetzten der Umlaͤufe und Entfernungen.
Obgleich die nachſtehenden Unterſuchungen noch
nicht jene tiefer liegenden Verhaͤltniſſe der Eccentrici-
taͤten zu den Halbmeſſern der Bahnen unmittelbar,
nicht das eigentliche Verhaͤltniß der Rotationen be-
ruͤhren werden, welche Unterſuchungen, die ich an ei-
nem andern Ort zur oͤffentlichen Pruͤfung darlegen werde,
zu den ſchwuͤrigſten in ihrer Art gehoͤren; ſo haͤufen ſich
doch auch ſchon hier, in dem Verhaͤltniß der doppelten
Eccentricitaͤten nach Planetenhalbmeſſern zu der Son-
nennaͤhe nach Sonnenradien, die Schwuͤrigkeiten viel-
mehr, als in den Groͤßenverhaͤltniſſen, die wir eben ver-
laſſen. Bey dem geringen Werth der meiſten Plane-
tenhalbmeſſer im Vergleich mit ihren bedeutenden Ent-
fernungen, konnte (außer bey Jupiter und Saturn)
die Entfernung um ein Bedeutendes veraͤndert werden,
ohne daß dieſes auf die Beſtimmung der Groͤßen merk-
lichen Einfluß gehabt haͤtte, und es bewirkt, um nur
noch ein maͤßiges Beyſpiel zu waͤhlen, ſelbſt bey Mars
ein Unterſchied von 80000 Meilen (oder 159 eignen
Halbmeſſern), um welche wir ſeine Entfernung
groͤßer oder kleiner ſetzen, in der Beſtimmung ſeines
Halbmeſſers kaum 1 Meile Unterſchied, waͤhrend hier
in den Eccentricitaͤtsverhaͤltniſſen ſchon Unterſchiede
von wenig Planetenhalbmeſſern, ſehr merklich fallen.
Doch wollen wir uns bemuͤhen, unſer Verhaͤltniß der
Eccentricitaͤten, ohne durch jene Differenzen irre geleitet
zu werden, ſo genau als moͤglich darzuſtellen.
Wenn wir im §. 2. die Zahlen der Sonnennaͤhen
der Planeten nach Sonnenhalbmeſſern mit der doppel-
ten Eccentricitaͤt nach Planetenhalbmeſſern (§. 11.)
vergleichen, ſo faͤllt bey einigen Gliedern eine Verwand-
ſchaft zwiſchen beyden ſogleich in die Augen. So ver-
haͤlt ſich der Halbmeſſer des Jupiter zu der doppelten
Eccentricitaͤt deſſelben, wie 1 zu 1068, waͤhrend faſt
hiermit uͤbereinſtimmend, der Halbmeſſer der Sonne zu
der Sonnennaͤhe dieſes Planeten ſich wie 1 zu 1071 ver-
haͤlt. Bey der Juno betraͤgt die Sonnennaͤhe nach
Sonnenhalbmeſſern 430, waͤhrend die doppelte Ec-
centricitaͤt derſelben, nach eignen Halbmeſſern, das
Quadrat von 428,25 iſt. Bey Mercur iſt die Zahl
der Sonnennaͤhe nach Sonnenhalbmeſſern in der dop-
pelten Eccentricitaͤt nach eignen: 162 mal enthalten,
waͤhrend die Quadratwurzel ſeiner mittlern Entfernung
nach eignen Halbmeſſern 161,95 iſt u. ſ. w. Dieſe
beylaͤufigen Bemerkungen laſſen uns zwiſchen den Zah-
len der Sonnennaͤhe in Sonnenhalbmeſſern und der
doppelten Eccentricitaͤt nach Planetenradien, uͤberall ein
beſtimmtes Verhaͤltniß vermuthen, zu deſſen Auffin-
dung wir nun unſre ganze Aufmerkſamkeit wenden
wollen.
Wenn wir auf dieſe Weiſe jenes beylaͤufige Ver-
haͤltniß noch weiter uͤberblicken, finden wir bey Mars
zwiſchen der doppelten Eccentricitaͤt nach eignen, und
der Sonnennaͤhe nach Sonnenradien das von 1 zu 39.
Es ruft uns dieſes die in dem Verhaͤltniß der Groͤßen
beobachtete Zahl 78 und ihre Haͤlfte 39 ins Gedaͤcht-
niß, und wir fuͤhlen uns zu der Vermuthung gedrun-
gen, ob nicht auch in dieſem Verhaͤltniß eine jener bey-
den Zahlen thaͤtig ſeyn werde.
Hierdurch vorbereitet wenden wir uns wieder gleich
zuerſt (von Mercur einſtweilen abſehend) zu Venus.
Es erſcheint uns die doppelte Eccentricitaͤt derſel-
ben wie 1 mal 155,4528 (die Sonnennaͤhe nach Son-
nenhalbmeſſern) + 94 (93,9). Wir werden hernach
§. 23. die Abkunft dieſer Zahl des Ueberſchuſſes aus-
fuͤhrlich entwicklen. Jetzt wird ſie uns auch ohne daß
wir noch ihre Entſtehung kennen, gleich bey dem naͤchſt-
folgenden Gliede hoͤchſt wichtig. Denn wenn wir bey
der Erde von der Zahl der doppelten Eccentricitaͤt nach
Planetenhalbmeſſern (816,905) 94, oder genauer
94,525 (der Ueberſchuß iſt aus der Mangelhaftigkeit
unſrer gewaͤhlten Angabe der Eccentricitaͤt entſtan-
den) abziehen, bleibt uns 722,38, in welcher Zahl
die Sonnennaͤhe unſres Planeten nach Sonnenradien
(212,7702) genau 3,39514 mal enthalten iſt. Es iſt
aber 3,39514 die Cubicwurzel von 39,13582 oder der
Haͤlfte der fuͤr die ganze erſte Progreſſion charakteriſti-
ſchen 78,27.
Wenn wir von hier weiter zu dem naͤchſten Gliede,
dem Mars gehen, finden wir, wie ſchon erwaͤhnt,
zwiſchen der Sonnennaͤhe deſſelben nach Sonnenhalb-
meſſern, und der doppelten Eccentricitaͤt nach eignen,
das Verhaͤltniß von 1 zu 39,21978, was verhaͤltniß-
maͤßig ſo wenig von 39,13582 abweicht, daß eine ſehr
zulaͤßliche Veraͤnderung der Eccentricitaͤt von 0,000163
der Bahn, die Differenz ganz aufhebt. Man koͤnnte nun
jenes Verhaͤltniß ſo ausdruͤcken, daß ſich bey der Ve-
nus die Sonnennaͤhe in Sonnenhalbmeſſern zur dop-
pelten Eccentricitaͤt verhaͤlt wie 1 zu 1 (abgeſehen einſt-
weilen von der 94) bey der Erde wie 1 zu 12 mal
3,39514 mithin wie 1 zu einmal 3,39514, bey Mars
wie 3,39514) 2 mal 3,39514, oder dieſe Zahl in der
dritten Potenz.
Wenn wir wieder, wie bey den Groͤßenverhaͤlt-
niſſen, von Mars aus ſogleich auf Juno uͤbergehen,
finden wir zwiſchen ihrer Sonnennaͤhe in Sonnenhalb-
meſſern, und der doppelten Eccentricitaͤt nach eignen,
das Verhaͤltniß von 1 zu 426,454. Es iſt dieſe Zahl,
wenn wir ſie nach der Weiſe der vorhergehenden Glie-
der herzuleiten ſuchen, das Quadrat von 3,39514 in
der 2ten Potenz, mithin dieſe Zahl in der 4ten, mul-
tiplicirt nicht mehr wie vorhin mit 3,39514 ſondern nur
mit 3,2095, was die Cubicwurzel von 33,0613 iſt.
So ſehen wir die Zahl 39 die uns bis hieher begleitet,
allmaͤlig wieder verſchwinden, und den Uebergang in
eine andre, welche in der zweyten Reihe an ihrer Statt
auftritt, beginnen.
Wir wollen von dieſem merkwuͤrdigen Uebergange,
der ſich auch bey Veſta deutlich zeigt, einſtweilen noch
abſehen, und gleich von hier zur andern Reihe fortge-
hen, zu welcher uns die Verhaͤltniſſe der Rotationen
uͤberfuͤhren werden.
Bey den Gliedern der erſten Reihe zeigt ſich
39,13582 oder eine ihr nahe verwandte Zahl, auch noch
in dem Verhaͤltniß der Rotationsperioden thaͤtig. Es
erſcheint aus anderweitigen Gruͤnden dieſes Verhaͤltniß
mit dem der Eccentricitaͤten ſehr nahe verbunden *)
und wir ſehen ſchon beylaͤufig, daß die Planeten, wel-
che eine geringere Eccentricitaͤt haben, auch eine im
Vergleich mit ihren Nachbarn kuͤrzere Tagesdauer ha-
bén. Bey Mercur, deſſen Bahn ſehr eccentriſch iſt,
dauert ein Tag 24 Stunden 4 Minuten. Dagegen
dauert bey Venus, deren Bahn ſehr wenig eccentriſch
iſt, ein Tag nur 23 Stunden 20 Minuten, waͤhrend
die Erde, mit ſchon etwas mehr eccentriſcher Bahn,
einen 40 Minuten laͤngeren Tag beſitzt, eben ſo wie
Mars, wo die Eccentricitaͤt noch bedeutender iſt, noch
40 Minuten laͤngere Zeit zu einer Umwaͤlzung braucht,
als die Erde. Bey Juno, deren Eccentricitaͤt noch
bedeutender iſt, wird auch aus verſchiedenem eine noch
laͤngere Tagesdauer vermuthet. Eben ſo iſt bey Sa-
turn die Bahn eccentriſcher und die Dauer der eignen
Tage laͤnger als bey Jupiter.
Bey Mercur tritt auch in die Verhaͤltniſſe der Ro-
tation und Eccentricitaͤt etwas ein, was den uͤbrigen
Gliedern der erſten Reihe nicht eigenthuͤmlich iſt; da-
gegen verhaͤlt ſich bey Venus die Laͤnge eines Tages zu
der Laͤnge eines Erdentages wie 35,9 zu 36,9, ein
Erdentag zu einem Marstag, wie 36 zu 37, oder was
faſt daſſelbe waͤre: die Tagesdauer eines vorhergehen-
den Gliedes zu der des naͤchſtfolgenden verhaͤlt ſich wie
39,13 ÷ 3,3 zu 39,13 ÷ 2,3.
Außer dieſem erhalten wir beylaͤufig eine der Qua-
dratwurzel der Zahl der eignen Tage ziemlich verwandte
Zahl, wenn wir mit dem Quadrat von 3,395143 (was die
Quadratwurzel von 39,1358 war) mit 11,527 in die
Sonnennaͤhe der obenerwaͤhnten Planeten nach Sonnen-
halbmeſſern dividiren. Bey Mars erhalten wir naͤmlich
dann 25,9, waͤhrend die Quadratwurzel der eignen Ta-
ge waͤhrend eines Umlaufs 25,85 iſt. Bey der Erde
iſt zwar die Quadratwurzel der eignen Tage 19,11
waͤhrend jene Zahl in der Sonnennaͤhe nur 18,458 mal
enthalten iſt, ja bey der Venus iſt jene uͤber 15 dieſe
kaum 14, doch gruͤndet ſich dieſer Unterſchied beylaͤu-
fig, auf daſſelbe, was die ſchon bey den Eccentricitaͤten
bemerkten Differenzen (durch 94) bewirkte.
Wenn wir nun bey den Planeten der 2ten Progreſ-
ſion, ſo weit die Dauer ihrer Tage bekannt iſt, das
Verhaͤltniß derſelben unterſuchen, ſo finden wir die
Laͤnge eines Jupitertages zu der eines Saturntages,
wenn wir jenen 9 Stunden 55 Minuten 50 Secun-
den, dieſen 10 Stunden 16 Minuten ſetzen, wie
29,54 zu 30,54, oder wenn wir den letzteren nach
dem Mittel mehrerer Herſchelſchen Beobachtungen um
15″ laͤnger ſetzen, wie 29,179 zu 30,179. Es fin-
det ſich mithin ſchon hierin die Zahl 29 oder 30 ſtatt
der 39 der erſten Progreſſion ein, und wie dieſer 78,
entſpricht jener 60 oder 58.
Wir ſehen die Zahl 60 auch anderwaͤrts in der
2ten Progreſſion. Es enthaͤlt ein Tag der Sonne et-
was uͤber 60 Jupiter- und faſt genau 60 Saturntage,
waͤhrend zugleich ein Saturnjahr 7 mal 60 (420)
Sonnentage waͤhret. *)
Wenn wir nun, ganz dem bey der erſten Pro-
greſſion gewaͤhlten Verfahren analog, die Cubicwurzel
einer ziemlich mittleren Zahl zwiſchen den obenerwaͤhn-
ten 29,17 und 29,54, die der Zahl 29¼ = 3,08112
waͤhlen, ſo loͤſen ſich hierdurch auch in der 2ten die
Eccentricitaͤtsverhaͤltniſſe auf. Es verhaͤlt ſich naͤmlich
bey der Ceres die Sonnennaͤhe nach Sonnenhalbmeſſern
zu der doppelten Eccentricitaͤt nach eignen, wie
1 : 93,2109, bey der Pallas wie 1 : 274,642 waͤh-
rend 29¼ multiplicirt mit 3,08112 (ihrer eignen Cubic-
wurzel) oder dieſe Zahl in der 4ten Potenz = 90,12276
iſt, und 90,12276 wiederum multiplicirt mit 3,08112
= 277,679 was eben ſo nahe an 274 als 90 an 93
ſteht.
Wir ſehen demnach auch hierin, wie bey den
Groͤßenverhaͤltniſſen, die 2te Progreſſion ſich in ihren
erſten Gliedern noch auf derſelben Hoͤhe erhalten, wel-
che die erſte in ihren letzten Gliedern erreicht hatte.
Bey der Juno hatten ſich die Verhaͤltnißzahlen der Ec-
centricitaͤt, der 5ten Potenz der Cubicwurzel von 39
genaͤhert, (m. vergl. auch weiter unten §. 19.) bey
Ceres erreicht ſie die 4te, bey Pallas die 5te Potenz
der Cubicwurzel von 29¼, welche hier die Stelle der
39 vertritt.
Es entſpricht nun, wie bey dem Groͤßenverhaͤlt-
niß, der Zahl der Glieder nach in der 2ten Progreſ-
ſion Jupiter der Venus, und da hier die Gruͤnde weg-
fallen, die nach §. 23. bey der letzteren den Ueber-
ſchuß von 94 hervorbrachten, ſo verhaͤlt ſich die Zahl
ſeiner Sonnennaͤhe nach Sonnenhalbmeſſern zu der der
doppelten Eccentricitaͤt nach eignen, wie 1 zu 1.
Denn der geringe Unterſchied der ſich noch hierbey fin-
det, muß theils bey einer geringen Veraͤnderung der
Eccentricitaͤt verſchwinden, theils ſcheint er mit einem
andrem den wir welter oben, bey der Venus, an dem ge-
meinſchaftlichen Verhaͤltniß der Eccentricitaͤten und
Rotationen bemerkten (ſ. d. Rote zu §. 15.) in einer
merkwuͤrdigen Analogie.
Es muͤßte nun weiter in der 2ten Progreſſion Sa-
turn ſich verhalten wie die Erde in der erſten. Es iſt
bey dieſem Planeten die Zahl der Sonnennaͤhe nach
Sonnenhalbmeſſern (1947,7784) in der der doppelten
Eccentricitaͤt nach eignen, wenn wir die eben gewaͤhl-
te Angabe der Eccentricitaͤt beybehalten (2595,112)
1 mal +
[Formel 1]
enthalten. Waͤhlen wir dagegen die
La Placeſche oder La Landeſche Angabe der Eccentrici-
taͤt, ſo iſt der Unterſchied zwiſchen Sonnennaͤhe und
Sonnenferne nach Saturnushalbmeſſern = 2577,34
was einmal die Zahl der Sonnennaͤhe (1947) + 630
iſt. 630 oder genauer 632,4 iſt aber in 1947,778
3,08112 mal enthalten, und dieſe Zahl ſahen wir ſchon
in den Eccentricitaͤten der beyden erſten Glieder dieſer
Progreſſion thaͤtig, wo wir ſie als die Cubicwurzel
von 29¼ kennen lernten.
Waͤhrend daher in den Eccentricitaͤtsverhaͤltniſſen
der erſten Progreſſion, die doppelte Eccentricitaͤt des
2ten Gliedes zur Sonnennaͤhe ſich verhielt: wie
12 × 3,39 oder 1 mal 3,39 zu 1; ſo verhaͤlt ſie ſich
bey dem 2ten Glied der 2ten zu derſelben; wie 1 + 1,
dividirt durch 3,08112 (
[Formel 1]
) zu 1.
Dieſes Verhaͤltniß beſtaͤtigt ſich dann auch bey dem
naͤchſtfolgenden Glied. Es betraͤgt naͤmlich bey dem
Uranus die Sonnennaͤhe nach Sonnenhalbmeſſern
3945,31, oder wenn wir der gewoͤhnlichen Angaͤbe
folgen, 3936,767. Es iſt aber
[Formel 2]
waͤhrend
[Formel 3]
iſt. Auf der andren
Seite betraͤgt die doppelte Eccentricitaͤt dieſes entfern-
teſten Planeten, nach eignen Halbmeſſern 9171,1075
oder wenn wir der gewoͤhnlichen Angabe in Allem fol-
gen, 9609,17. *) Die letztere Zahl iſt 2 mal
3936,767 + 1735, welche Zahl von 1277,7 nur
noch um ⅓ differirt. Nehmen wir jene verhaͤltniß-
maͤßig ſehr geringe Abaͤnderung der Eccentricitaͤt im
Verhaͤltniß zur halben großen Axe vor, deren wir uns
ſchon oben vorlaͤufig bedient haben, ſo betraͤgt 0,0002
um welche wir die Eccentricitaͤt kleiner ſetzen, gerade
458 Uranushalbmeſſer. Die Sonnennaͤhe nach Son-
nenhalbmeſſern wird jetzt 3945,31, die doppelte Eccen-
tricitaͤt nach Uranusradien genau 9171,1075, was ſich
zu der erſten Zahl verhaͤlt wie 1 zu 2 +
[Formel 1]
.
Waͤhrend daher bey dem 3ten Glied der erſten Pro-
greſſion die Verhaͤltnißzahl des erſten (3,39514) in die
2te Potenz verſetzt wurde, wozu noch einmal 3,39514
womit jene Zahl noch multiplicirt wurde, trat, ſo
waͤchſt hier, bey dem 3ten Glied der 2ten Progreſſion,
die Verhaͤltnißzahl blos durch einfache Verdopplung,
wozu noch 1 dividirt durch 3,08112 hinzu addirt wird.*)
Statt daß wir die erſte Reihe ſich in dem Verhaͤltniß
der Dimenſionen verdoppeln ſehen, wozu noch das je-
desmal hinzukommende neue Moment multiplicirt
wird, vermehrt ſich die zweyte blos in einfachen Zah-
len, und das neue Plus tritt durch Diviſion hinzu.
Doch wird auch hierin zwiſchen beyden
Reihen eben ſo wiederum die vollkom-
menſte Analogie erkannt, wie bey den Groͤ-
ßenverhaͤltniſſen.
Wir ſahen in der erſten Abtheilung dieſer Abhand-
lung, wie da, wo beyde Progreſſionen, die eine an ih-
rem Gipfel, die andre an ihrem Anfange ſich begeg-
neten, in gewiſſer Hinſicht die Charaktere ſich ver-
miſchten, und die eine etwas von der Natur der andren
annahm. Wie ſich ſchon in der merkwuͤrdigen Aus-
nahme bey Veſta, nach welcher dieſe als das hoͤhere
Glied der Progreſſion, der Sonne wieder naͤher ſteht
als das zunaͤchſt niedere, der nahe Anfang einer 2ten
Reihe ankuͤndigt, wovon anderwaͤrts mehr, ſo wird
noch in den Verhaͤltnißzahlen des erſten Doppelgliedes
der 2ten Reihe, die Natur des angraͤnzenden Endes der
1 ſten Reihe erkannt.
Auf dieſelbe Weiſe haben wir auch ſchon in den
Eccentricitaͤtsverhaͤltniſſen, den Anfang der 2ten Pro-
greſſion noch ganz mit dem Ende der letzten uͤberein-
ſtimmend gefunden; noch zeigte ſich nichts von dem ei-
gentlichen Charakter dieſer Reihe, *) und blos die Zahl
58, welche fuͤr dieſelbe charakteriſtiſch iſt, wie fuͤr die
erſte die Zahl 78, verrieth uns ihr Daſeyn. Am merk-
wuͤrdigſten jedoch iſt in dieſer Hinſicht jener Uebergang
der erſten zur 2ten Progreſſion, der ſich bey Juno und
Veſta findet.
Wir ſahen, daß in den Eccentricitaͤtsverhaͤltniſſen
der Juno, die 4te Potenz der Zahl 3,395 nicht mehr mit
3,395, ſondern mit nur 3,2095 multiplicirt war. Es
iſt dieſes die Cubicwurzel von 33,0613, waͤhrend die
Mittelzahl zwiſchen 29,25 und 39,13 = 34,19 iſt.
Oder anders ausgedruͤckt: es iſt die bey dieſem Pla-
neten beobachtete Zahl 426,454 = 39,13 × 10,8968,
was das Quadrat der Cubicwurzel von 35,97 iſt. Auf
beyde Weiſen zeigt ſich eine allmaͤlige Annaͤherung der
bisher ſich gleich gebliebenen 3,395 an 3,08112.
Deutlicher noch iſt jedoch ſchon der Uebergang der
einen charakteriſtiſchen Zahl in die andre, bey Veſta.
Es iſt bey ihr die Sonuenferne nach Sonnenhalbmeſ-
ſern, in der doppelten Eccentricitaͤt nach eignen,
610,254 Mal enthalten, was nur noch wenig von
607,112 oder 39,13 multiplicirt mit dem Quadrat der
Cubicwurzel von 61,1 (dem 8ten Theil von 488,8)
oder 15,51294 abweicht. *)
Hiermit ſcheint auch im Zuſammenhang zu ſtehen,
daß bey Juno die Zahl 62 in der Zahl der Sonnenta-
ge waͤhrend eines Jahres, noch mehr aber, daß bey
Veſta die Zahl 122, oder 2 mal 61, als Cubicwurzel
der Verhaͤltnißzahl des Halbmeſſers zur weiteſten Ent-
fernung gefunden wird. **)
Es wird nun blos noch das Verhaͤltniß der Eccen-
tricitaͤt bey Mercur zu beruͤckſichtigen ſeyn, deſſen wir
vorhin nur beylaͤufig erwaͤhnt haben. Es iſt dieſes in
ſeiner Art nicht minder merkwuͤrdig, als jene Eigen-
ſchaften, welche Mercur in dem Verhaͤltniß der Groͤ-
ßen zeigt; doch wollen wir, da Vieles erſt in einigen
der naͤchfolgenden §. weiter auseinander geſetzt werden
kann, hier nur einige vorlaͤufige Bemerkungen vor-
ausſenden.
Es verhaͤlt ſich bey dieſem Planeten die Sonnennaͤ-
he nach Sonnenhalbmeſſern zu der doppelten Eccentri-
citaͤt nach eignen, wie 1 zu 162,161. Setzt man die
Eccentricitaͤt nur 0,0000235 der mittlern Entfernung,
oder um 7 Mercurhalbmeſſer kleiner, ſo erhaͤlt man
genau das Verhaͤltniß von 1 zu 161,9516 was die
Quadratwurzel ſeiner mittlern Entfernung nach eignen
Halbmeſſern iſt. Es ſey jedoch die Herleitung dieſer
Zahl, welche ſie wolle, ſo iſt ſie, wie §. 24. deutli-
cher werden wird, aus 78,27 + 83,7 oder der mitt-
lern Entfernung des Mercur nach Sonnenradien zu-
ſammengeſetzt. Es ſteht, wie wir nachher ſehen wer-
den, 78 ſelber ſtatt 84, und ſo erſcheint 162 als 1
mal 78, wozu noch unveraͤndert die Normalzahl, aus
welcher hernach 78 hergeleitet iſt — 84 tritt.
Nicht minder merkwuͤrdig als bey den Planeten,
muͤſſen, wie uns ſchon das was wir an unſrem Mond
beobachten, vermuthen laͤſſet, die Eccentricitaͤtsver-
haͤltniſſe bey den Monden erſcheinen. Denn wie es
nicht ohne Bedeutung iſt, daß die mittlere Entfernung
des Mondes von der Erde eben ſo viel nach Monden-
halbmeſſern betraͤgt, als die der Sonne nach Sonnen-
halbmeſſern, *) daß ein Tag des Mondes faſt eben ſo
lange dauert als ein Tag der Sonne von der Erde aus
geſehen, ja ſelbſt daß in den Entfernungen beyder
Weltkoͤrper von der Erde gerade das Verhaͤltniß beob-
achtet iſt, das ſie uns beyde im ſcheinbaren Halbmeſ-
ſer gleich groß erſcheinen laͤſſet; ſo iſt es auch nicht oh-
ne Bedeutung, daß die doppelte Eccentrici-
taͤt der Mondbahn nach Erdhalbmeſſern,
faſt genau ſo viel betraͤgt, als die der
Erdbahn nach Sonnenhalbmeſſern (jenes
7,75 oder wenn wir ein Mittel aus der Briſſonſchen
und der gewoͤhnlichen Angabe waͤhlen, 7,2, dieſes 7,28)
waͤhrend dieſelbe nach Mondenhalbmeſſern
faſt genau die Quadratwurzel der dop-
pelten Eccentricitaͤt der Erde nach Erden-
halbmeſſern iſt. (Die doppelte Eccentricitaͤt der
Mondbahn nach Mondenhalbmeſſern iſt nach der ge-
woͤhnlichen Angabe = 28,46, die Quadratwurzel der
doppelten Eccentricitaͤt der Erdbahn nach Erdenhalb-
meſſern, oder von 816,905 iſt 28,58, welche Zahl
auch beylaͤufig der in dem gleich anfaͤnglich erwaͤhnten
Verhaͤltniß a2 zu 2a3 vorkommenden Cubicwurzel der
mittlern Entfernung der Erde nach eignen Halbmeſſern
nahe ſteht.)
Verhaͤltniſſe der Art, wie die eben zwiſchen der
Erd- und Mondbahn erwaͤhnten, verdienen wohl die
groͤßte Aufmerkſamkeit, auch wenn ſie vor der Hand
aus unſern gewoͤhnlichen Theorien unerklaͤrlich ſchel-
nen koͤnnten. Auch iſt jenes Verhaͤltniß nicht einzig
in ſeiner Art, und wir wollen uns ſeiner nur bedienen,
um von ihm den Uebergang zu einigen andren aͤhnli-
chen zu machen, die wir ſchon jetzt auf das Dreyfache
vermehren koͤnnten, wenn unſer diesmaliger Plan es
erlaubte.
Wenn wir jenes bekannte Verhaͤltniß, nach wel-
chem, wenn wir die mittlere Entfernung des Mercur
4 nennen, die der Venus 4 + 1. 3 der Erde 4 + 2.
3 des Mars 4 + 4. 3 u. ſ. w. wird, nach der von
uns fruͤher gewaͤhlten Weiſe, in Sonnenhalbmeſſern
ausdruͤcken, ſo finden wir, daß die Zahl 3 durchgaͤn-
gig 63 Sonnenhalbmeſſern entſpreche, waͤhrend die
andre Zahl, welche in der mittleren Entfernung des
Mercur eigentlich als 84 erſcheint*) ſich bey mehreren
Gliedern in 94, bey andren in 78 u. ſ. w. ver-
aͤndert.
Denn ſo iſt die mittlere Entfernung der Venus 1
mal 63 + 94, die der Erde 2 mal 63 + 94, die des
Mars 4 mal 63 + 78 Sonnenhalbmeſſer. Die der
Veſta iſt ziemlich genau 8 mal 63, und das gewoͤhnlich
hinzuzuaddirende Moment verſchwindet faſt gaͤnzlich.
Dagegen zeigt es ſich bey der Juno wieder als 73, bey
Pallas und Ceres als 94; eben ſo wie gegen Anfang
des ganzen Syſtems. Bey Jupiter iſt die mittlere
Entfernung 16 mal 63 + 117, bey Saturn 32 mal
mal 63 + 49 endlich iſt ſie bey Uranus 64 mal 63
(mit 64 in der Veſta ſchloß ſich auch in den Groͤßen-
verhaͤltniſſen die erſte Reihe) und jener Ueberſchuß
ſcheint wieder 94 zu ſeyn, obgleich er, wenn wir den
Sonnenhalbmeſſer nur von der Groͤße ſetzen, wie hier
geſchahe, 97 iſt.
Fuͤr ſich allein betrachtet, mußte freylich dieſes
ſchoͤne, in der Natur tief gegruͤndete Verhaͤltniß, den
gewoͤhnlichen Mathematikern misfallen, da die mittle-
re Entfernung des Mercur, die man doch als das je-
desmal neu hinzukommende + vorausſetzte, auch nicht
ein einziges Mal genau als dieſelbe (als 84 Sonnen-
halbmeſſer) hierbey auftritt, ſondern bey einigen Glie-
dern dieſe, bey andern eine andre iſt.
Allein, abgeſehen davon, daß das Mittel aus
63 + 94 (wie jenes + am Anfang der erſten Pro-
greſſion erſcheint) unſre oft erwaͤhnte Zahl 78 iſt, und
daß dieſe es iſt, welche zu der ihr auf der einen Seite
liegenden 63 die auf der andern gelegne 94 hervorruft;
ſo haben wir auch die Zahl 94 in den Eccentricitaͤts-
verhaͤltniſſen gerade der Venus, der Erde, der Ceres
und Pallas, wo ſich dieſelbe auch bey der mittlern
Entfernung zeigt, thaͤtig gefunden. Es war dieſes
die Zahl, welche von der doppelten Eccentricitaͤt nach
eigenen Halbmeſſern, bey der Venus wie bey der Er-
de abgezogen werden mußte, wenn jene Progreſſion, von
der wir §. 14. ſprachen hervortreten ſollte. Bey der
Venus war ſie, wie ſich in den Rotationsverhaͤltniſſen
gezeigt (Note zum 15ten §.) noch ein nothwendigerer
Beſtandtheil der doppelten Eccentricitaͤt, welche eben
ſo 1 mal die Sonnennaͤhe nach Sonnenhalbmeſſern
+ 94 war, wie die mittlere Entfernung 1 mal 63
+ 94; dagegen fieng ſie an bey der Erde, wo ſie ſich
zum letztenmale zeigt, minder bedeutend zu werden,
bis ſie bey Mars zuletzt verſchwand, und die Zahl
39,13 rein hervortrat. Eben ſo findet ſich denn auch
bey der mittlern Entfernung des Mars nicht mehr die
Zahl 94 als + ſondern das Doppelte von 39, unſre
Zahl 78.
In der Entfernung der Venus (157) hat noch 94
uͤber die nur einmal vorhandne 63 das Uebergewicht,
in der der Erde verhaͤlt ſich doch 94 zu 126 noch wie
7 zu 9, haͤlt mithin jener noch faſt das Gleichgewicht,
waͤhrend in den entfernteren Gliedern jenes immer neu
hinzu zu addirende Plus, gegen das andre Element
immer mehr zuruͤcktritt, immer weniger bedeutend
wird. Aus dieſem Grunde zeigt ſich jener, hiermit
im offenbaren Zuſammenhange ſtehende Ueberſchuß
uͤber die der doppelten Eccentricitaͤt zu Grunde liegende
Zahlen, blos bey der Erde und bey Venus, und vor-
zuͤglich unentbehrlich bey der Venus. So wird uns
hierdurch aus jenem ſchoͤnen, ſo oft verkannten Verhaͤlt-
niß der mittlern Entfernungen, eine ſonſt unerklaͤrli-
che Erſcheinung bey den Eccentricitaͤten geloͤst.
Wir ſehen nicht minder bey der Ceres das Verhaͤlt-
niß der doppelten Eccentricitaͤt nach eignen zur Sonnen-
naͤhe nach Sonnenhalbmeſſern, wie 93,2109 zu 1, waͤh-
rend auch bey dieſen Planeten die doppelte Eccentrici-
taͤt nach Sonnenhalbmeſſern gegen 94 (93,8) iſt.
Bey der Pallas war jenes Verhaͤltniß wie 3 mal 91
zu 1, und auch die doppelte Eccentricitaͤt dieſes Plane-
ten nach Sounenhalbmeſſern, betraͤgt beylaͤufig gegen
3 mal 98. Endlich ſo erſcheint bey Uranus, wo
wiederum 94 zur mittlern Entfernung hinzutritt, die
Zahl 93 auch in andren Verhaͤltniſſen *) die uns kuͤnftig
beſchaͤftigen werden, und ſeine doppelte Eccentricitaͤt
nach Sonnenhalbmeſſern iſt 4 mal 92.
Noch inniger iſt die Zahl des Ueberſchuſſes bey
Jupiter und Saturn mit den andern Naturverhaͤltniſ-
ſen dieſer Planeten verbunden. Die Zahl der Sonnen-
tage waͤhrend eines Jahres des erſteren, iſt das Qua-
drat von 13, und dieſe Zahl erſcheint auch in dem
(uͤberall wichtigem) Verhaͤltniß der Entfernung des
Jupiter zu der des erſten Gliedes des ganzen Syſtems
(Mercur) wieder. Der Ueberſchuß der mittlern Ent-
fernung uͤber 16 mal 63, betraͤgt bey ihm 117,75, oder
9 mal die Quadratwurzel der Zahl der Sonnentage in
einem Jahr, waͤhrend 9 das Verhaͤltniß des Sonnen-
halbmeſſers zu dem des Jupiter bezeichnet. Wir ſahen
denn auch in dem Verhaͤltniß des 1 ſten Jupitermondes
zum 2ten (§. 12.) wie wichtig jene Zahl 117 in der
Geſchichte dieſes Planeten ſey. Endlich ſo iſt bey Sa-
turn die Zahl der Sonnentage 7 mal 60 (60 druͤckt
zugleich das Verhaͤltniß eines Sonnen- zu einem Sa-
turnustage aus) und die Zahl jenes Ueberſchuſſes
bey der mittlern Entfernung, iſt das Quadrat von 7,
welche Zahl, wie wir anderwaͤrts ſehen werden, ihre
Wichtigkeit auch in den Verhaͤltniſſen des Ringes und
der Monde zu erkennen giebt. *)
Wenn ſo die Zahl 7 mal 9 oder 63, ſchon in den
Verhaͤltniſſen der Entfernungen unverkennbar gefunden
wird; ſo muͤſſen wir eine gewiſſe tiefere Bedeutung der
Zahlen 7 — 9 — 12, auch in andren Thatſachen, die
uns die Geſchichte des Planetenſyſtems darbietet, an-
erkennen, und ſo ſehr man auch gewoͤhnlich eine ſolche
Bedeutung der Zahlen zu verlachen pflegt, ſo wenig
wird ſich gegen das unmittelbare Zeugniß der Natur
ſelber einwenden laſſen.
Wir haben, bis jetzt die Glieder beyder Progreſſio-
nen blos nach der Stufe, welche (der Zahl nach) je-
des in ſeiner Reihe einnimmt, einander gegenuͤber ge-
ſtellt. Ein tiefer liegendes Naturverhaͤltniß, das ich
in meiner oft angefuͤhrten Schrift weiter auseinander
geſetzt habe, laͤßt Jupiter mit Merkur, Venus mit
Saturn, Uranus mit Mars in Beziehung ſehen (die
Quadratwurzeln der Entfernungen des Jupiter, Saturn
und Uranus nach eignen, ſind z. B. nahe die Zahl der Son-
nenfernen nach Sonnenhalbmeſſern bey Mercur, Venus
und Mars). Es verhalten ſich aber dann dieſe gegen-
uͤberſtehenden Glieder, in Hinſicht der Umlaufszeiten,
wie 1 zum Quadrat von 7. Mit 7 mal 7 endigt auch
das letzte Glied des ganzen Syſtems, im Verhaͤltniß
zum erſten, und es iſt die mittlere Entfernung des Ura-
nus, 49 mal die des Merkur.
So fiel auch, wie wir ſahen, der wichtige Punkt
unſers Planetenſyſtems, wo die erſte Reihe endigt und
die 2te beginnt, in die 4 zuletzt entdeckten Planeten.
Das Gebiet der Entfernungen derſelben, faͤllt aber,
wenn wir die Sonnennaͤhen und Sonnenfernen zugleich
mit beruͤckſichtigen, in dem §. 22. aufgeſtellten Ver-
haͤltniß, gegen 7 bis 9 mal 63 Sonnenhalbmeſſer. Eben
ſo fieng nach §. 12. bey den Jupitermonden die zweyte
Reihe bey der Entfernung von neun Jupiterhalbmeſ-
ſern an. *)
Wenn die Zahl 58½ in der 2ten Reihe, die in
der aus der mittlern Entfernung der Pallas erhaltnen
Zahl 503,541 noch als 62,942, in der aus dem gemein-
ſchaftlichen Verhaͤltniß der erſten Glieder erhaltnen
Zahl 488,8 noch als 61,1, in der Zahl 486 ſchon nur
noch als 60,7, endlich in den Eccentricitaͤtsverhaͤltniſ-
ſen, Anfangs, (bey Ceres) noch als 59,996, dann nur
noch (worinn ſie ſich dann bis zum Ende gleich bleibt)
als 58,5 erſcheint, ſich deutlich, durch ſehr allmaͤlige
Uebergaͤnge, von 7 mal 9 oder 63 ableiten laͤſſet, ſo
laͤßt ſich in der 2ten Reihe eben ſo deutlich die Zahl
78,27 von 7 mal 12 oder 84 ableiten. Auch hier
iſt die aus der mittlern Entfernung des erſten Gliedes
erhaltne Zahl noch faſt genau 84 (83,77) wie die von
der Pallas erhaltne noch faſt genau 63 war. In der
nicht minder aus andern wichtigen Naturverhaͤltniſſen
des Merkur hergeleiteten Zahl 162, (aus 84 und 78
zuſammengeſetzt) erſcheint ſie, wenn wir das Mittel
aus den beyden Elementen woraus ſie beſteht waͤhlen,
noch als 81. In der Weiſe wie der Halbmeſſer der
Venus von Merkur aus beſtimmt wird, wahrſcheinlich
(nach der Note zum §. 10.) noch als 79,329, bey den
uͤbrigen Gliedern der Reihe nur noch als 78,27, end-
lich in den Verhaͤltniſſen der Notationen (als das Dop-
pelte von 37 und 36) und in der Eccentricitaͤt der
Juno, worin dieſe ſchon den Uebergang zu der charak-
teriſtiſchen Zahl der 2ten Reihe macht, nur noch als 74
und 73. (auch in der Zahl des Ueberſchuſſes der mitt-
lern Entfernung bey Juno iſt ſie nur noch 73.) So
ſcheint es wirklich, daß, wie ſchon die Meynung des
fruͤheſten Alterthums war, jene Zahlen in dem Plane-
tenſyſtem (wie denn wohl in der ganzen Natur) eine
viel tiefere Bedeutung haben muͤſſen, als man jetzt ge-
woͤhnlich waͤhnt.
Wenn auch bey dieſen beylaͤufigen Bemerkungen,
uͤber eine beſondre Bedeutung einiger Zahlen, der Zwei-
fel, ja ſelbſt der Widerwille, den ſie bey den meiſten
Mathematikern erregen muͤſſen, eine ganz natuͤrliche
Folge der jetzt herrſchenden Anſichten ſcheinen muß; ſo
ſollte man doch eigentlich weniger erwarten, daß das
Daſeyn zweyer verſchiedner Progreſſionen in den Groͤ-
ßen- und andern Naturverhaͤltniſſen unſers Planeten-
ſyſtems, in dieſer mathematiſchen Zeit etwas Anſtoͤßi-
ges haben koͤnnte. Und doch habe ich dieſes bisher
haͤufig, ſelbſt bey den vortreflichſten Mathematikern er-
fahren muͤſſen. Man ſcheint zu uͤberſehen, daß dieſe
2 Reihen aus demſelben nothwendigen Grund entſtehen
muͤſſen, welcher die elliptiſche Geſtalt der Bahnen her-
vorbringt, und daß ſie ſich ſehr wohl ſelbſt mit dem
Geſetz der allgemeinen Schwere werden muͤſſen in Zu-
ſammenhang ſetzen laſſen. Obgleich der Verfaſſer ſich
unvermoͤgend fuͤhlt, fuͤr dieſe letztere Behauptung den
mathematiſchen Beweis zu fuͤhren, wozu ein viel tie-
ferer mathematiſcher Geiſt gehoͤren wird, als der ſei-
nige, ſo hat er doch von einer andern Seite hinlaͤngli-
che Gruͤnde dazu, welche wohl anderwaͤrts ihren Ort
finden werden.
Einſtweilen koͤnnte es gut ſeyn, blos als eine nun
einmal vorhandne, nicht zu laͤugnende Thatſache (die
Erklaͤrung ſey welche ſie wolle) das Daſeyn jener
beyden Progreſſionen auch in verſchiedenen andern Ver-
haͤltniſſen der Weltkoͤrper, welche jenen der Groͤßen
und Eccentricitaͤten ſehr aͤhnlich ſind, nachzuweiſen.
Zwar wird uns hierzu vorzuͤglich eine 2te Abhandlung
Gelegenheit geben, welche dieſer erſten vielleicht bald
nachfolgen kann, und worin man auch die einzelnen
Planeten in den genauen Verhaͤltniſſen der Rotationen,
Neigung der Bahnen und der Axen, der Lage der Apſi-
den und Knoten u. a. in einem eben ſo nothwendigen
Zuſammenhang mit einander finden wird, als in dem
der Groͤßen; ſo daß dieſe Verhaͤltniſſe bey einem
naͤchſtfolgenden Glied eben ſo nothwendig aus denen
des vorhergehenden hergeleitet werden koͤnnen, als die
Halbmeſſer; doch will ich aus dem einen jener Verhaͤlt-
niſſe, welches die Lage der Knoten und Apſiden der
Planetenbahnen angeht, noch einige vorlaͤufige Bemer-
kungen hinzufuͤgen. Da dieſe Bemerkungen blos dazu
dienen ſollen, das Daſeyn jener beyden Progreſſionen
zu beweiſen, ſo werden ſie ſich vor der Hand auf kei-
ne Weiſe uͤber dieſe Graͤnze verbreiten, und ſelbſt das
eigentliche Verhaͤltniß, nach welchem ſich die
Neigung der Bahnen, die Lage der Kno-
ten und Apſiden des einen Planeten aus
denen des andern genau beſtimmen laſſen,
und welches beylaͤufig das einfachſte und am leichteſten
in die Augen fallende unter allen iſt, wird außerhalb den
nothwendigen Graͤnzen dieſer Abhandlung liegen.
Es wuͤrde der Natur der Sache eben ſo wenig an-
gemeſſen ſcheinen, wenn wir die Neigung der Plane-
tenbahnen und die Lage ihrer Knoten auf die Erdbahn
beziehen wollten, als wenn wir bey den Entfernungen
aller Planeten, als gemeinſchaftlichen Maasſtab, blos
den Halbmeſſer der Erde anwenden wollten. Wir
muͤſſen daher zuerſt jene Elemente auf die Ebene des
Sonnenaequators beziehen.
Es wird die Neigung deſſelben auf der Ecliptik
7½°, die Lage ſeiner Knoten neuerdings auf den 68ſten *)
und 248ſten Grad derſelben feſtgeſetzt. Vormals hat
Caſſini in den Memoir. de l’ Acad. royal. des ſc. fuͤr d.
J. 1734, dieſe Berechnung fuͤr die 5 aͤlteren Planeten
vorgenommen, wobey er die Neigung des Sonnenaͤqua-
tors ſo wie wir, die Lage der Knoten in den 70ſten
und 250ſten Grade der Ecliptic vorausgeſetzet; neuer-
dings aber hat der hieſige ſehr geſchickte Mathemati-
ker, Herr Ingenieurlieutnant Fiſcher, von welchem in
kurzem einige ſehr wichtige mathematiſche Arbeiten zu
erwarten ſind, dieſe Berechnung nach denſelben Grund-
ſaͤtzen, von neuem fuͤr die erſterwaͤhnte Annahme der La-
ge der Knoten vorgenommen, und auf die 5 ſpaͤter
entdeckten Planeten ausgedehnt. Zugleich werden die-
ſe ſeine Berechnungen in 2 Figuren, welche dieſer Ab-
handlung beygefuͤgt ſind, anſchaulich gemacht.
Wir ſetzen zur Vergleichung die Caſſiniſche Berech-
nung voraus, wobey zu bemerken iſt, daß aus ganz
einfachen Gruͤnden, die zum Theil in den Erlaͤuterungen
der 2ten Figur enthalten ſind, der Knoten der Bahnen
auf der Ebene des Sonnenaͤquators, der dem aufſtei-
genden Knoten auf der Ebene der Erdbahn entſpricht,
hier niederſteigender iſt, und umgekehrt.
Caſſinis Berechnungen der:
Wir ſetzen nun, bey den nachſtehenden neueren Be-
rechnungen, zugleich den Ort des aufſteigenden, oder noͤrd-
lichen Knotens, auf der Ebene des Sonnenaͤquators hin-
zu, um hierdurch eine leichtere Ueberſicht zu gewinnen,
die uns weiter unten noͤthig ſeyn wird.
Fiſchers Berechnungen der
Wir erkennen bey dem erſten Blick, den wir auf
die Tabelle, welche den Ort der Knoten auf dem Son-
nenaͤquator angiebt, richten, das beylaͤufige Verhaͤlt-
niß, daß der Knoten der Erdbahn faſt genau in die
Mitte zwiſchen beyde aͤußerſte Enden faͤllt. Denn
wenn wir das Mittel aus dem am weiteſten nach der
einen Seite gelegenen Knotenpunkt der Veſta, und
dem am weiteſten nach der andern liegenden des Mer-
cur ſuchen, erhalten wir 68° 41′ 54″,63. *) Eben
ſo erhalten wir 68° 32′ 47″,43 wenn wir das Mittel
aus den Knotenpunkten der zu beyden Seiten der Erde
(der Entfernung nach) gelegnen Planeten, Venus und
Mars ſuchen, und der Knotenpunkt der Venus iſt faſt
eben ſo weit abwaͤrts von dem des zunaͤchſt vorherge-
henden Gliedes Mercur entfernt, als der des Mars
von jenem des naͤchſtfolgenden Veſta (jener 74° 6′ die-
ſer 73° 48′).
Dagegen erhalten wir, wenn wir das Mittel aus
der Summe aller Knotenpunkte von dem einen aͤußer-
ſten — dem der Veſta aus gerechnet ſuchen, 51° 23′
33″ **) und eben ſo, wenn wir das Mittel aus der
Summe aller, von dem andren aͤußerſten Ende, von
dem des Mercur aus gerechnet, abwaͤrts gezaͤhlt, ſu-
chen, 84° 55′ 8″. Wir erhalten dann aber, wenn
wir im erſteren Falle 51° 23′ 33″ von dem Knoten-
punkte der Veſta aufwaͤrts zaͤhlen, 51° 56′ 7″ der
Laͤnge, und genau eben ſo, wenn wir 84° 55′ 8″ von
dem des Mercur abziehen, 51° 56′ 7″. *) Es faͤllt
aber in die Augen, daß dieſer ſo aus beyden Mitteln
erhaltne Punkt, mit dem Knotenpunkt des Saturn, der
in der andern Reihe das der Erde entſprechende Glied
iſt, ziemlich nahe uͤbereinſtimmt, eben ſo wie der aus
dem Mittel beyder Extreme erhaltne, mit dem Knoten-
punkt der Erde. **)
Es erhaͤlt dieſe vorlaͤufige Bemerkung, die ſich
uns bey der Betrachtung jener Tabelle aufgedrungen,
bald einige Bedeutung, wenn wir einen aͤhnlichen pruͤ-
fenden Blick auf die nachſtehende Tabelle, welche die
Orte der Apſidenpunkte enthaͤlt, richten wollen.
Wenn wir die Summe aller Sonnenfernen, von
dem Knotenpunkt der Veſtabahn auf dem Sonnen-
aͤquator an, welcher Punkt (der mit dem erſten
Grad der Laͤnge faſt uͤbereintrifft) **) uns ſchon einmal
von Wichtigkeit geweſen, zuſammen addiren, und her-
nach das Mittel aus allen ſuchen, finden wir auf die
gewoͤhnliche Laͤnge reducirt 248° 1′ 38″7. Zaͤhlen
wir dagegen die Entfernung der Aphelien von dieſem
Punkte aus nach der minus Seite hin, oder zuruͤck-
waͤrts, was natuͤrlicher ſcheint, da hier die meiſten (bis
auf 2) demſelben naͤher ſind, und ziehen alsdann, wie
nothwendig iſt, den Werth jener beyden, die nach der
+ Seite hin naͤher an dem gewaͤhlten Punkte fallen,
ab, (des Mars und der Veſta) ſo finden wir, wenn
wir durch Diviſion das Mittel aller ſuchen: 312° 56′
der Laͤnge. Umgekehrt aber, wenn wir von dem Kno-
tenpunkte der Veſta gerade aufwaͤrts gezaͤhlt, aus der
Summe der Perihelien das Mittel ſuchen, erhalten wir
den 312° 56′ auf der andern Seite ziemlich entſprechen-
den Punkt: 133° 29′, ſo wie wir, wenn wir uns der an-
dern Weiſe bedienen, den dem 248ſten Grad entſpre-
chenden 68ſten finden. *)
Addiren wir ferner alle Abſtaͤnde der Aphelien, die
dem 248ſten Grade nach der + Seite hin am naͤchſten
liegen, (noch innerhalb der Graͤnze von 180°), wel-
ches die von 7 ſind, ſo erhalten wir 347° 21′ 15″, **)
addiren wir dann die der viere, welche von dieſem
Punkt nach der ÷ Seite weniger als 180° entfernt
ſind, ſo erhalten wir auch 347° 2′ 14″. ***)
Wir ſehen demnach in dieſen Verhaͤltniſſen die bey-
den Knotenpunkte der Erdbahn auf dem Sonnenaͤqua-
tor, oder was daſſelbe iſt, die Apſidenpunkte der Ve-
ſta, unverkennbar ausgezeichnet; und mit Recht, da
der 69ſte Grad der Punkt iſt, wo von der Sonne aus
geſehen, faſt mehr als wahrſcheinlich jener Weltkoͤrper,
oder jene hoͤhere Subſtanz hinfaͤllt, zu welcher ſich die
Sonne wiederum verhaͤlt, wie die Planeten zu ihr.
Wenn wir nun zuerſt unterſuchen — und dieſes iſt
was uns hier vorzuͤglich noͤthig iſt, — welche Plane-
ten ſich von dieſen Punkten aus gezaͤhlt nach der einen
und der andern Seite hin entſprechen, ſo finden wir
gerade wieder, wie in den Verhaͤltniſſen der Groͤßen und
Eccentricitaͤten, daß der Venus auf der einen, Jupi-
ter auf der andern, dem Mars auf der einen, Uranus
auf der andern entſpricht. Denn ſo erhalten wir,
wenn wir das Mittel aus den Aphelien der Venus und
des Jupiter ſuchen, 248° 17′ 49″, aus den Perihelien
68° 17′ 49″ oder was daſſelbe iſt, das Aphelium der
Venus iſt eben ſo weit nach der einen Seite hin von
dem 248ſten Grad entfernt, als das des Jupiter nach
der andern (beyde gegen 60°). Eben ſo erhalten wir,
wenn wir den Punkt ſuchen, der, wo ſich die Aphe-
lien des Mars und des Uranus am naͤchſten ſtehen,
gleich weit von beyden abſteht (82° 10′ 45″) 68° 17′
29″; auf der andern Seite iſt das Mittel zwiſchen bey-
den 248° 17′ 29″.
Außer dem 248ſten und 68ſten Grade, erhielten
wir vorhin die Zahlen 133 und 313 als bedeutende:
Es ſind dieſe aber nicht blos den Knotenpunkten der
Bahn des Mercur auf der Ebene des Sonnenaͤquators
(136 und 316) nahe, ſondern noch naͤher, und faſt
genau jener Punkt, wo das Mittel aus den Apſiden-
punkten der Pallas und Ceres, welche, wie wir ſahen,
auch in allen andren Verhaͤltniſſen als das erſte (Dop-
pel) Glied der 2ten Reihe, dem Mercur in der erſten
entſprachen, hinfaͤllt. Denn wenn wir, wie wir bis-
her uͤberall thun mußten, dieſe beyden Glieder nur wie
ein einziges betrachten, und auch aus den beyden Ap-
ſiden nur eine (mittlere) waͤhlen, iſt dieſe fuͤr den ge-
meinſchaftlichen Sonnennaͤhenpunkt: 133° 50′ 35″
fuͤr den gemeinſchaftlichen Sonnenfernenpunkt 313°
50′ 35″. Umgekehrt ſteht nun auch das Aphelium
des Mercur dem 248ſten Grade unter allen am naͤch-
ſten, wie ſein Perihelium dem 68ſten u. ſ. w.
Wenn wir nun aber auch, wie wir vorhin bey den
Knotenpunkten thaten, eben ſo von dem auf dem an-
dern aͤußerſten Ende gelegnen des Mercur an zaͤhlen,
finden wir, um nur das zu erwaͤhnen, was uns jetzt
zunaͤchſt angeht, von ihm und jenem der Veſta aus
gemeinſchaftlich, den 273ſten Grad. Denn dieſer iſt
gerade eben ſo weit nach der andern Seite hin von dem
136ſten, oder dem Knotenpunkt des Mercur entfernt,
als dieſer von dem der Veſta (136°). Vorhin (§. 26.)
fanden wir gemeinſchaftlich von den Knotenpunkten der
Veſta und des Mercur aus, den der Erde und den des
ihr in der andern Reihe entſprechenden Saturn, jetzt
aber finden wir (man erlaube uns einſtweilen dieſen
Ausdruck) durch den abermals aus dem Verhaͤltniß der
Knotenpunkte der Veſta und des Merkur erhaltenen
273ſten Grad der Laͤnge, die Sonnenfernen dieſer bey-
den Planeten. Es iſt naͤmlich das Mittel aus 268°
9′ 7″ und 278° 37′ 16″ = 273° 23′ 11″,5, wel-
cher Punkt zugleich auch aus anderweitigen Gruͤnden faſt
derjenige iſt, wo das Maximum der Neigung
der Pallasbahn, die unter allen die groͤßte
iſt, hinfaͤllt.
Ein andrer Punkt, der von dem Knotenpunkte des
Merkur aus erhalten wird, wenn wir von ihm aus
gerade aufwaͤrts, (nach der + Seite) die Entfernung
aller Aphelienpunkte zaͤhlen, und aus der gefundnen
Summe das Mittel nehmen, iſt der 281ſte, oder aus an-
derwaͤrts anzufuͤhrenden Gruͤnden *) vielmehr faſt genau
der 283ſte, (der von den Apſidenpunkte der Erde und
dem 273ſten Grad, zugleich aber auch aus den Knoten-
punkten des Saturn und dem oben erwaͤhnten 313ten,
auf eine Weiſe, deren wir uns kuͤnftig bedienen wollen,
erhalten wird). Es iſt aber dieſer Punkt nicht allein
das Mittel zwiſchen den Aphelien des Merkur und je-
nem erwaͤhnten des erſten Doppelgliedes der 2ten Rei-
he, ſondern auch faſt das Mittel zwiſchen jenen Punk-
ten, wo die Bahnen der in allen Verhaͤltniſſen, ſo
wie Pallas und Ceres geſchwiſterlich verbundnen Pla-
neten, Veſta und Juno, das Maximum ihrer Neigung
erreichen.
Denn dieſe Vereinigung der Juno und Veſta, zeigt
ſich auch bey einer nur oberflaͤchlichen Betrachtung die-
ſer Verhaͤltniſſe. Wir ſahen, daß ſowohl die Groͤßen
als Eccentricitaͤtsverhaͤltniſſe der Veſta und Juno, ge-
meinſchaftlich von Mars aus beſtimmt wurden. Eben
ſo werden es denn auch die Apſiden, und es iſt das
Aphelium der Juno nach der einen Seite hin, faſt ge-
nau eben ſo weit von dem des Merkur aus entfernt,
als das der Veſta nach der andern (dieſes ÷ 81° 37′
42″ jenes + 81° 48′ 47″), Pallas und Ceres aber
zeigen ſich auch darin wieder verbunden, daß, wenn
man auf eine kuͤnftig anzufuͤhrende Weiſe, den Ort des
Apheliums des naͤchſten Gliedes von der Juno aus be-
ſtimmt, nicht der des Apheliums der Ceres, ſondern
faſt genau das Mittel aus beyden Aphelien, 313°
50′ 35″ erhalten wird, *) ſo wie auch die Entfernung
der Sonnenferne von dem Knotenpunkte, (welche Ent-
fernung uͤberall von der hoͤchſten Wichtigkeit iſt) **)
bey dem einen faſt eben ſo viel wie bey dem andern,
naͤmlich bey Ceres 62° 4 bey der Pallas 61° 15
betraͤgt.
So werden auch in dieſen Verhaͤltniſſen nicht blos
unverkennbar deutlich zwey verſchiedne ſich entgegen-
geſetzte Reihen im Planetenſyſtem erkannt, ſondern die
einzelnen Glieder derſelben ſtehen in derſelben Bezie-
hung auf einander, Merkur auf Pallas und Ceres,
Venus auf Jupiter, Erde auf Saturn, Mars auf Ura-
nus, wie in den Groͤßen- und Eccentricitaͤtsverhaͤlt-
niſſen. Erde und Saturn erſcheinen hierbey jeder in
ſeiner Reihe als die beyden wichtigſten Glieder, und
die Natur hat dieſes auch gleich aͤußerlich den Sinnen
bemerkbar gemacht, indem ſie unter allen Gliedern der
erſten Reihe bloß der Erde einen Mond, unter allen
Gliedern der Mondereichen 2ten Reihe, b[lo]s dem Sa-
turn einen Ring verliehen hat. *)
Ja ſelbſt, man erlaube mir hieruͤber nur noch ei-
nige Worte, jene, vielen Mathematikern mißfaͤllige
Wichtigkeit der Zahlen 63 — 7 — 9 — 12 u. ſ. w.
rechtfertigt ſich auch hier.
Denn ſo ſind nicht blos der Abſtand von 30 Gra-
den, oder der 12te Theil des Kreiſes, der von 60,
oder der 6te, der von 51° (ſelbſt ſchon nach §. 26.)
oder der 7te, der von 40, oder der 9te Theil des
Kreiſes, wie wir kuͤnftig ſehen werden, in einer
Menge von Faͤllen ausgezeichnet, ſondern wie man
ſchon bey einer beylaͤufigen Betrachtung der Lage der
Knotenpunkte und ihrer Abſtaͤnde ſehen wird, der Ab-
ſtand von 5° 42′ 51″, oder der 63ſte Theil des Krei-
ſes, zeichnet ſich bey jeder Gelegenheit aus. So viel
faſt betraͤgt der Unterſchied zwiſchen den Knoten der
Venus und der Erde, der Erde und des Mars; dop-
pelt ſo viel, der zwiſchen den Knotenpunkten des Sa-
turn und des Jupiter, der Juno und Ceres; vierfach
ſo viel, der zwiſchen den Knoten der Ceres und des Sa-
turn; (mithin ſechsfach ſo viel, der zwiſchen Ceres und
Jupiter) dreyfach ſo viel, der zwiſchen den Knoten des
Saturn und der Erde, der Veſta (oder der Pallas)
und der Juno, u. ſ. w. Doch iſt die merkwuͤrdigſte
Uebereinſtimmung der Verhaͤltniſſe der Lage der Apſi-
den, der Knoten und der Neigungen, mit jenen der Groͤßen
und Eccentricitaͤten, die, welche jenen Zuſammenhang
der einzelnen Planeten unter einander, und die ſtete
Beziehung eines vorhergehenden naͤheren Gliedes auf
ein kuͤnftiges entfernteres beweiſt. Dieſe Uebereinſtim-
mung wird ſich uns ſogleich, bey den weiteren Unter-
ſuchungen uͤber dieſen Gegenſtand, zu erkennen geben.
Doch verſparen wir alle weitere vorlaͤufige Bemerkun-
gen daruͤber, bis zur Aufſtellung jenes einfachſten
Verhaͤltniſſes unter allen (das ſich ſelbſt dem Anfaͤnger
in allen aͤhnlichen Unterſuchungen aufdringen muß) ſel-
ber, wo uns dann die leichteſte Rechnung den Ort der
Apſiden und des Knotens, ſammt der Neigung, des ei-
nen Planeten aus denen eines andren der Sonne naͤhe-
ren, ſoll finden laſſen, und von wo ſich uns ein einfacher
Weg, zu andern viel ſchwierigeren Unterſuchungen zei-
gen wird. Vielleicht daß dann auch der Innhalt die-
ſer Abhandlung, der jetzt nur noch zu ſehr als Frag-
ment erſcheint, in vielſeitiger Verbindung mit andren
beſtaͤtigenden Thatſachen, an Klarheit ſo wie an Be-
deutung viel gewinnen wird. *)
Es iſt der vorlaͤufige Zweck derſelben, die pag. 450
dieſes Anhanges mitgetheilten Berechnungen der Nei-
gung der Planetenbahnen auf der Ebene des Son-
nenaͤquators, anſchaulich zu machen; doch werden
wir uns, beſonders der 2ten Figur, in einer naͤchſt-
folgenden Abhandlung noch zu einer andern Abſicht
bedienen.
Fig. 1) Wir ſehen demnach auf der 1ſten Figur
die eine Halbſeite des Sonnenaͤquators, die man von
dem 60ſten bis zum 240ſten Grad der Laͤnge genom-
men, weil in dieſe Graͤnze, von der Sonne aus geſe-
hen, die ſuͤdliche Haͤlfte der Bahn der meiſten und
wichtigſten Planeten unſers Syſtems faͤllt. — Der
Beobachter wird in dieſer Figur außerhalb des ganzen
Syſtems, oder, was dieſelben Erſcheinungen giebt,
in ſeine Mitte, auf die Sonne geſtellt. Alsdann ſieht
er nach der gewaͤhlten Richtung, die Bahnen der Pla-
neten in dem hier ausgedruͤckten Verhaͤltniß nach Suͤ-
den von der Ebene des Sonnenaͤquators abgehen:
(ſich gegen dieſe neigen) naͤmlich Pallas, deren nie-
derſteigender Knoten ſchon in den 3ten Grad der Laͤnge,
mithin außerhalb dieſer Figur faͤllt, am weiteſten;
naͤchſtdem Juno, dann die Erde u. ſ. w.
Nur von den vier neu entdeckten Planeten, und
vom Saturn, faͤllt der niederſteigende Knoten außer-
halb, der aufſteigende innerhalb der Figur, wodurch
auf der linken Seite ein Theil der noͤrdlichen Haͤlfte
ihrer Bahn ſichtbar wird; waͤhrend auf der rechten
ein Theil der Bahnen der andern Planeten, beſonders des
Mercur, noͤrdlich gegen den Aequator geneigt erſcheint.
Fig. 2) Wenn auf der erſten Figur noch nicht
auf die Durchſchnittspunkte der andern Planetenbah-
nen mit der Erdbahn Ruͤckſicht genommen worden,
ſo hat man dieſes dagegen auf der 2ten Figur zu er-
reichen geſucht. Freylich iſt es nur unvollkommen
gelungen! da das Ganze perſpektiviſch entworfen wer-
den mußte, wodurch es, beſonders bey der Pallas-
bahn, unmoͤglich wurde, daß die Knoten auf der Eclip-
tik zugleich mit denen auf dem Sonnenaͤquator, genau
angedeutet werden konnten.
Um nur einige Beyſpiele zu geben: ſo fallen die
Knoten der Saturnusbahn auf dem Sonnenaͤquator,
nach pag. 450 in den 51ſten und 231ſten Grad, die auf
der Ecliptik gegen den 112ten und 292ſten; wirklich
wird man ſie auf der 2ten Fig. in den erſterwaͤhnten
Punkten in der Mitte des Sonnenaͤquators finden,
waͤhrend ſie in den letztern den Kreis der Erdbahn
durchſchneidet. Eben ſo ſieht man die Veſtabahn,
wie nach pag. 450 nothwendig iſt, im 1ſten und 181ſten
Grad in der Mitte des Sonnenaͤquators, waͤhrend die
Knoten auf der Ecliptik in den 103ten und 283ſten
Grad fallen u. ſ. w.
Es kann ſchon dieſe Figur dienen, ohngefaͤhr
zu zeigen: wo die Durchſchnittspunkte einer Planeten-
bahn mit irgend einer andern hinfallen. So z. B.
fallen die Knoten der Saturnus- auf der Marsbahn,
in die Gegend des 331ſten und des 151ſten Grades,
und wirklich ſieht man auch auf unſrer Figur in die-
ſer Gegend beyde Bahnen ſich durchſchneiden. Zu-
gleich lehrt dieſe Figur, wie ſchon die 1ſte, ſehr an-
ſchaulich: weshalb der zunaͤchſt an dem aufſteigenden
Knoten auf der Ecliptik fallende Knoten auf dem Son-
nenaͤquator, hier niederſteigender werden muß, u. ſ. w.
Auf der einen Seite der Figur, die fuͤr die mei-
ſten Planetenbahnen von der Gegend des 70ſten bis zu
der des 250ſten Grades geht, kann man ſich die ſuͤd-
lich vom Sonnenaͤquator abwaͤrts geneigten Bahnen
unterhalb, auf der andern Seite die nordwaͤrts ge-
neigten, oberhalb der Ebene des Papiers liegend denken.
Die Zahlen der Grade ſtehen auf der einen Seite
jedesmal oberhalb des zu bezeichnenden Grades, deſſen
Ende durch einen Strich angedeutet iſt.
Auf beyden Figuren iſt der Kupferſtecher bemuͤht
geweſen, die Bahnen der verſchiedenen Planeten auf
verſchiedene Weiſe dem Auge auszuzeichnen. P bedeu-
tet den Punkt, wo das Perihelium, À den, wo das
Aphelium, M auf der erſten Figur jenen, wo das
Maximum der Neigung der jedesmaligen Planeten-
bahn hinfaͤllt.
Wo mehrere Planetenbahnen zu nahe in einander
laufen, hat man vorzuͤglich eine vorherrſchen laſſen,
wogegen die andern an dieſen Stellen unſichtbar werden.
An einigen Stellen dieſer Abhandlung ſoll der Ausdruck:
geometriſche Progreſſion, ausſchließend die einfache geo-
metriſche Progreſſion bedeuten.