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Neue Erfahrungen brasilianischer Kulturarbeit in Deutschland

2018

Tiago de Oliveira Pinto Neue Erfahrungen brasilianischer Kulturarbeit in Deutschland 1 Einleitung Maßnahmen brasilianischer Kulturpolitik in Europa, insbesondere auch in Deutschland, sind nicht neu, sie erleben jedoch eine neue Entwicklung seit Gründung des Brasilianischen Kulturinstituts in Berlin vor vier Jahren. Bereits im 19. Jahrhundert wurde seitens der brasilianischen Kaiser der Austausch von Künstlern als wichtig für das Land und fiir sein Image im Ausland angesehen. Im Jahrhundert darauf, von 1958 bis 1964, schickte die brasilianische Regierung sogenannte Kunstkarawanen (caravanas artisticas) durch verschiedene europäische Städte, um die neuen Musikstile des Landes bekannt zu machen. Das seit 1970 bestehende Kulturabkommen zwischen beiden Ländern hat sich bisher im wesentlichen auf den Bildungsbereich beschränkt. Mit der Gründung eines Kulturinstituts ist schließlich eine neue Phase in der Geschichte auswärtiger Kulturarbeit Brasiliens, insbesondere auch in Deutschland, eingeleitet worden. Vier Jahre Brasilianisches Kulturinstitut in Deutschland Mit Beginn des Jahres 1995 wurde in der Kulturabteilung des brasilianischen Außenministeriums die juristische Loslösung von 24 Centras de Estudos Brasileiros (Brasilianische Studienzentren) im Ausland betrieben. Diese Studienzentren waren bisher stets einer jeweiligen brasilianischen Botschaft angegliedert und unterstellt. Davon abwei- Der vorliegende Vortrag ist die erweiterte Fassung eines im Juli 1999 in der Zeitschrift für Kulturaustausch veröffentlichten Berichtes. 112 Tiago de Oliveira Pinto chend operieren Kulturinstitute unabhängig von der Botschaft als gemeinnützige, im jeweiligen Land eingetragene Einrichtungen. Das Brasilianische Kulturinstitut in Deutschland (ICBRA) wurde von Präsident Fernando Henrique Cardoso am 20. September 1995 eingeweiht. Die Eintragung des Instituts als gemeinnütziger Verein beim Amtsgericht Berlin-Charlottenburg erfolgte erst im April 1996. Wichtiger Bestandteil der Rechtsgrundlage des Brasilianischen Kulturinstituts in Berlin ist ein mit dem brasilianischen Außenministerium abgeschlossenes Abkommen. Hierdurch definiert sich das ICBRA als Institution, die die kulturellen Belange Brasiliens in Deutschland mit eigenverantwortlicher Programmgestaltung vertritt. Das ICBRA unterscheidet sich von den anderen, mittlerweile auch als unabhängige brasilianische Kultureinrichtungen funktionierenden Instituten in folgenden Punkten: 1. Als juristisch unabhängige Einrichtung ist das ICBRA als erstes Brasilianisches Kulturinstitut in einem Land gegründet worden, das bereits sehr viel für die Verbreitung seiner eigenen Kultur in Brasilien getan hat. Vor dem Hintergrund der fünf Goethe-Institute und der zwei dem DAAD unterstellten deutschen Sprachzentren in Belern und Fortaleza stellt das ICBRA also eine schon seit langem fällige Initiative der brasilianischen Seite dar. 2. Das ICBRA ist das erste juristisch unabhängige brasilianische Kulturinstitut, das in einem Land gegründet wurde, dessen Wirtschaft der brasilianischen überlegen ist. Die wirtschaftliche Bedeutung, die den jüngsten Beziehungen zwischen Brasilien und Deutschland zukommt, läßt eine Vertiefung im kulturellen Bereich als gerechtfertigt erscheinen. In Brasilien sind mehr als 1.000 deutsche Unternehmen unterschiedlichster Branchen vertreten. Außerhalb Europas und der USA ist Brasilien das wichtigste Empfängerland deutscher Direktinvestitionen: Im Jahre 1997 flossen ca. 7% der deutschen Auslandsinvestitionen von US$ 20 Milliarden nach Brasilien, und die Tendenz ist steigend. Umgekehrt ist auch die Bundesrepublik Deutschland Brasiliens wichtigster Wirtschaftspartner in Europa. 3. In der Bundesrepublik Deutschland existierte vorher kein der brasilianischen Botschaft angegliedertes Studienzentrum, das in ein Institut hätte umgewandelt werden können, wie es z. B. in Buenos Neue Erfahrungen brasilianischer Kulturarbeit in Deutschland 113 Aires, in Bogota, in Quito oder in Caracas geschehen ist. Das Panorama in den lateinamerikanischen Hauptstädten, wo in fast jeder eine brasilianische Kultureinrichtung existiert, sei es als Studienzentrum, sei es als Institut, weicht wesentlich von den Berliner Gegebenheiten ab. In vielen der lateinamerikanischen Hauptstädte ist die Präsenz einer brasilianischen Kultureinrichtung so bedeutend, daß sie oftmals zu den wichtigsten am Ort gehört. In Berlin, einer der herausragenden europäischen Kulturmetropolen, ist das ICBRA immerhin das erste unabhängige Kulturinstitut eines Landes aus der südlichen Hemisphäre und das dritte Institut eines Landes außerhalb Europas, nach den USA und Japan. Das Brasilien-Bild in Deutschland Kaum ein Land dürfte in Deutschland von so einschlägigen Klischees - positiven wie negativen - behaftet sein wie Brasilien. Obwohl dem Land eine grundsätzliche Sympathie entgegengebracht wird, zeigt eine vom brasilianischen Außenministerium in Auftrag gegebene und 1995 durchgeführte Umfrage, daß in Deutschland der Bedarf an sachlicher Information über Brasilien noch sehr groß ist. So hat sich herausgestellt, daß 59% der Befragten eine Reise nach Brasilien erwägen. Von denjenigen Deutschen, die bereits in Brasilien waren, wollen dann 88% wieder zurückkehren. Dieser hohe Prozentsatz verdeutlicht, daß erst der Besuch im Lande ein wirklich positives Bild erzeugt. Umfassend zu informieren ist also vordringliche Aufgabe in den nächsten Jahren. Die Bereitwilligkeit deutscher Unternehmer, Investitionen in Brasilien zu tätigen, hat direkt hiermit zu tun: Diejenigen, die bereits Geschäfte in Brasilien machen, sind zum überwiegenden Teil zufrieden und wollen weiter im Land investieren. 114 Tiago de Oliveira Pinto Die Darstellung eines differenzierten Brasilien-Bildes Jeder auswärtigen Kulturarbeit kommt die wichtige Rolle der Selbstdarstellung zu. 2 Erst in einer möglichst großen Differenziertheil wirdjedoch eine Selbstdarstellung im Ausland sinnvoll. In Deutschland trifft man in fast allen Bereichen auf wirkliches Interesse ftir Brasi I ien -die Meinungsumfrage von 1995 hat dies deutlich belegt. Hier erscheint es wichtig, das Land von einem Stigma der "3. Welt'' zu befreien, das in den Ländern, die sich zu denen der "1. Welt" rechnen, stets präsent ist. So sind Kulturveranstaltungen, Festivals oder Diskussionsreihen in Deutschland immer wieder von der simplistischen Vorstellung der Existenz dieser im vermeintlichen Gegensatz zueinander stehenden Welten geprägt. So stellt zwar die Kunstausstellung "Die Anderen Modemen", wie man sie 1997 im Haus der Kulturen der Welt erleben konnte, eine respektable Reaktion auf die große "Moderne"Ausstellung im Berliner Gropius-Bau dar, sie lief jedoch ernst Gefahr, beim Publikum die Assoziation mit "3. Welt-Kunst" zu festigen. Dabei zeigten gerade die brasilianischen Vertreter dieser Ausstellung, wie zeitgenössisch und zugleich universal die Kunst des Landes ist. Die Möglichkeit, dabei spezifisch brasilianisch zu bleiben, gibt ihr den Vorzug gegenüber deutscher Gegenwartskunst, der in der Regel das spezifisch Deutsche fehlt. Brasilianische Kunst, vor allem Musik, aber auch bildende Künste, Film und Theater sind die besten Beispiele ftir ein vorhandenes Potential an Modernität und global gültiger Aussagekraft, das eingesetzt wird, ohne jemals das Land selbst verleugnen zu müssen: Zahlreiche Kunstausstellungen des ICBRA und auch anderer Veranstalter, bei der Berlinale ausgezeichnete brasilianische Filme, verschiedene Konzertreihen, das Brasilien-Festival am Theater in Ludwigshafen im Mai 1999 oder der vom ICBRA betreute Brasilien-Schwerpunkt bei der WOMEX 99 (World Wide Music Expo) in Berlin sind nur einige Belege daftir. 2 Joachim Sartorius: "Für eine subversive Kultur", Interview in Die Zeit, Hamburg, vom 6.12.1996, S. 45-46. Neue Erfahrungen brasilianischer Kulturarbeit in Deutschland 115 Partnerschaften und brasilianische Präsenz in Deutschland Wichtig waren von Anfang an die Partnerschaften mit Institutionen in Deutschland. So hat es in der Vergangenheit Partnerschaften mit Universitäten, mit Kulturzentren wie z. B. dem Haus der Kulturen der Welt, mit städtischen Kulturämtern und auch mit Institutionen wie dem Ethnologischen Museum, dem Ibero-Amerikanischen Institut oder dem Goethe-Institut gegeben. Im Rahmen dieser vielfaltigen Kooperationen kam es zu gemeinsamen Ausstellungen, Konzertveranstaltungen, Vortragsreihen, Filmdarbietungen und Symposien. Die Zusammenarbeit mit deutschen Universitäten - wie sie besonders intensiv mit der Freien Universität Berlin, mit der Technischen Universität Berlin und mit der Universität Leipzig erfolgt- erhält seit dem Sommersemester 1999 zusätzlichen Auftrieb, da das ICBRA als erste Institution in Europa vom brasilianischen Bildungsministerium (MEC) befahigt wurde, die Prüfung fiir das offizielle Sprachzertifikat fiir brasilianisches Portugiesisch (CELPE-Bras) auszuführen. Dieses Zertifikat kann am ICBRA, aber auch durch seine Vermittlung an deutschen Universitäten angeboten werden . Für ein Aufbaustudium oder ein Praktikum in Brasilien ist das CELPE-Bras nunmehr Voraussetzung, kann aber auch ftir den Antritt einer Stelle im Land wichtig sein. Neben den besagten Institutionen, die sich mit Brasilien befassen bzw. an der Förderung seiner Kultur in Deutschland teilhaben, verdient noch die brasilianische Präsenz außerhalb der akademischen und institutionellen Sphäre Erwähnung: Unter den 113 Musik- und Kostümgruppen, die mit großem Erfolg am 4. Berliner "Karneval der Kulturen" im Mai 1999 teilnahmen, produzierten zahlreiche Gruppen brasilianische Musik, obwohl in einigen davon kein Brasilianer vertreten war. Brasilianische Kultur hat sich folglich im populären Bereich in Deutschland vielfach verselbständigt und dabei eigene Entfaltungsräume gefunden. Beim Berliner "Karneval der Kulturen" des Jahres 1999 beschränkte sich der Beitrag des ICBRA darauf, die Durchführung eines Wettbewerbs unter den Gruppen auszuarbeiten. Mit einer komplexen Punktvergabe und Gruppenbewertung nach brasilianischem Vorbild konnten so erstmals drei Gewinner ermittelt werden, ein Experiment, das Dank seines großen Erfolges bei Teilnehmern, Politikern und Veranstaltern in den kommenden Jahren wiederholt werden soll. Brasilianisches Know-how hat hiermit also eine der wichtigsten Berliner ' )~ J•, ~ , .. I ! 116 Tiago de Oliveira Pinto Kulturveranstaltungen gefördert. Immerhin wohnten in diesem Jahr 300.000 Zuschauer der Veranstaltung bei. In Berlin nimmt das ICBRA an einem Arbeitskreis ausländischer Kulturinstitute teil, der zu einem regelmäßigen und fruchtbaren Austausch von Informationen und zu gemeinsamen Initiativen führt. Da das Institut das einzige seiner Art ist, das ein Land aus Lateinamerika in Deutschland vertritt, erlangt auch die Kooperation mit Kulturabteilungen lateinamerikanischer Botschaften große Bedeutung. Ein gemeinsam mit der mexikanischen Vertretung durchgeführtes Ausstellungsprojekt zeugt von dieser Initiative. Das Brasilianische Kulturinstitut in Deutschland in Zahlen In den vier Jahren Kulturarbeit in Deutschland hat das ICBRA 26 zeitgenössische Kunst- und Fotoausstellungen mit Arbeiten von 147 Künstlern realisiert; es veranstaltete ferner 21 Lesungen mit 27 Schriftstellern, 29 Vortragsreihen und Symposien mit 111 Vortragenden, 13 Filmreihen mit 72 Filmen (Spielfilme und Dokumentarfilme) und 35 deutsche Erstaufführungen von brasilianischen Dokumentarvideos. Außerdem wurden fünf brasilianische Musikfestivals mit verschiedenen Gruppen klassischer wie populärer Musik veranstaltet, ebenso wie Tanz- und Theateraufftihrungen . In seinem Veröffentlichungsprogramm hat das ICBRA 13 Projekte realisiert, darunter Bücher, Kataloge und CDs. Die Sprachkurse des ICBRA wurden bis Mitte 1999 von 324 Schülern besucht. Insgesamt waren in diesem Zeitraum 1 1 Sprachdozenten ftir das Institut tätig; darin nicht eingerechnet sind die besonderen Kurse in Literatur, Wirtschaft, Geschichte, Musik und Perkussion sowie die Deutschkurse ftir Brasilianer. Als Institution, die brasilianische Kultur in Deutschland verbreitet, hat das ICBRA in den vergangeneo Jahren maßgeblich dazu beigetragen, daß Meldungen in der lokalen Presse erscheinen, die nicht aus internationalen Presseagenturen stammen, um ausschließlich über Politik, Soziales und über die Wirtschaft Brasiliens zu berichten. Im Jahre 1998 war das Kulturprogramm des Instituts der Berliner und überregionalen deutschen Presse 52 Berichte wert. Im Schnitt war also Brasilien über das Jahr verteilt mindestens einmal in der Woche Thema einer positiven Neue Erfahrungen brasilianischer Kulturarbeit in Deutschland 117 und differenzierten Meldung. Diese Tatsache alleine dürfte dem brasilianischen Außenministerium reichen, um zu erkennen, wie positiv sich die Kosten-Nutzen-Rechnung beim ICBRA als Vermittler eines umfassenden Brasilien-Bildes in Deutschland darstellt.