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Kampfsemantik

2022, «Ev’ry prayer a powerful weapon». Kampfsemantik im Praise & Worship-Liedgut

Abstract

«Ev’ry prayer a powerful weapon». Kampfsemantik im Praise & Worship-Liedgut - eine Untersuchung, wie in Worshipliedern von Kampf und Sieg gesprochen wird.

130 KERSTIN MENZEL 4. FAZIT: SPANNUNGEN HALTEN Schweyer, Stefan, «Ev’ry prayer a powerful weapon». Kampfsemantik im 57 Praise & Worship-Liedgut, Deeg, Christian (Hg.), Krieg Inzwischen gehen wirin:durch dieAlexander/Lehnert, fünfte Welle der Pandemie, manche und Frieden. Metaphern der Gewalt und der Versöhnung im christlichen Diskrepanzen habenzu sich vertieft, Konfliktlinien bei EVA, einer MinGottesdienst (Beiträge Liturgie und Spiritualität verhärten 34), Leipzig: 2022, derheit zum Widerstandsgestus, neue Gerechtigkeitsfragen, insbesonde131–159 [Vorschau 131–133] re verbunden mit dem Impfstatus, haben sich aufgetan. Es werden auch in den kommenden Monaten wohl Gottesdienste zu feiern zu sein, die das Pandemiegeschehen und die damit einhergehenden gesellschaftlichen Konflikte in besonderer Weise aufnehmen. Existenzielle Generalisierung und damit die Betonung der gemeinsamen Menschlichkeit in der Krise einerseits, exemplarische Konkretion und damit die Betonung der Widersprüchlichkeit und Pluralität andererseits scheinen mir zwei Richtungen zu sein, die es auszubalancieren gilt. Wo die Gemeinsamkeit zu groß gemacht wird, droht sie faktische Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten zu verschleiern, wo die Diskrepanz der Erfahrungen ohne eine gemeinsame Rahmung bleibt, stellt sich die >>Gemeinschaft der Leidenden<i nur schwer ein. Gleiches gilt für die Spannung zwischen Hoffnung und Klage. Die Kirche darf den Zuspruch, der ihr mit den biblischen Texten und den Glaubenstraditionen über die Zeiten anvertraut ist, nicht verschweigen. Und dennoch gilt es, auch die Vorläufigkeit des Glaubens auszuhalten und die Agonie dieser Zeiten zu beklagen. Das jedenfalls könnte der spezifisch christliche Beitrag zur Krisenbegleitung durch den Gottesdienst sein: dass dort von einer Hoffnung die Rede ist, die das Leiden nicht einfach negiert und vom Tisch wischt, sondern dem Schmerz Ausdruck verleiht. Und dass dort Raum ist für die unterschiedlichen Erfahrungen, deren Widersprüchlichkeit durch einen Größeren gehalten wird - einer Hoffnung, die sich im Raum und im Ritual manifestiert und die ins Gebet zieht. 57 Dieser Text wurde im Februar 2022 abgeschlossen. >>Ev'RY PRAYER A POWERFUL WEAPON<< Kampfsemantik im Praise- & Worship-Liedgut Stefan Schweyer I. ANNÄHERUNG We want to see Jesus lifted high banner that flies across this land that all men might see the truth and know He is the way to heaven A We want to see we want to see We want to see Jesus Ilfted high Step by step we're moving forward Llttle by little taking ground Ev'ry prayer a powerful weapon Strongholds come tumbling down And down and down and down Die Kampfsemantik ist offensichtlich: Es gibt ein Feldzeichen, unter dem sich der Zug der Sängerinnen und Sänger sammelt. Mit der Waffe des Gebets geht man Schritt für Schritt vorwärts, nimmt Land ein, bis Hochburgen in sich zusammenfallen. Es sind alles Bilder, die an einen Eroberungszug denken lassen. Dieses Lied hat eine recht große Verbreitung gefunden und wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt, auch ins Deutsche: >>Wir wollen dich hoch erhoben sehnii und ins Schweizerdeutsche: DougHorley, We wantto seeJesus lifted high (1993), CcLI-Liednummer: 1033408 [CCLI= Christian CopyrightLicensing, ccli.com. Die Liednummern dienen derexakten Identifizierung des Liedes unter songselect.ccli.com]. CCLI-Liednummer: 5291593, deutscher Text von Cornelia Lutzweller, Matthlas Lutzweiler, Albert Frey und Cary Buraty. 132 >>Mir >>Ev'RY PRAYER A POWERFUL WEAPON<I STEFAN SCHWEYER wei Jesus über allem gsehi< Bevor wir zu den weiteren Analysen kommen, will ich in ganz knappen Zügen das Phänomen von Praise & Worship (P&W) skizzieren. P&W ist nicht ein klar definierbares musikalisches Genre, sondern eher ein vielfältiges globales Phänomen, das Facetten von charismatischer Spiritualität und von kulturellen Elementen aus der Pop-musik sowie einer liturgischen Dramaturgie mit ausgedehnten Lobpreiszeiten kombiniert 4 Hinsichtlich der Geschichte von P&W lassen sich drei große Phasen unterscheiden.5 In der ersten Phase der 1970er-Jahre war P&W stark durch die Jesus-People-Bewegung geprägt. Viele Lieder aus dieser Phase sind direkte Vertonungen von Bibeltexten und musikalisch einfach gehalten, mit oft nur einer Strophe und einer eingängigen Melodie. In der zweiten Phase ab ca. 1985 wurde die globale P&W-Szene besonders durch Vineyard geprägt. Die Lieder wurden wie Pop-Songs arrangiert. Inhaltlich rückte die persönliche Beziehung zu Gott in den Mittelpunkt. Das oben zitierte Lied kann dieser Phase zugeordnet werden und widerspiegelt Gedankengut der wesentlich durch Vineyard-Exponenten propagierten >)Spiritual Warfare<i-Bewegung (siehe dazu weiter unten unter 4.2.a). Die dritte Phase ab ca. 2000 ist internationalbesonders durch Hillsong sowie die Bethel Church geprägt. Es kommt zu einer Verschmelzung zweier bis zu diesem Zeitpunkt parallel nebeneinander laufender Bewegungen, nämlich der konzertanten Christian Contemporary Music (CCM) und dem liturgisch orientierten P&W. Das führt dazu, dass die Gottesdienste CCLI-Liednummer: 5781027, schweizerdeutscher Text von Jackie Leuenberger. Vgl. Guido Baltes, >)Praise & Worship<< - Musikstil oder mehr? Über Worte und Töne in einem wachsenden Randbereich derevangelischen Kirchenmusik, in: Wolfgang Kabus (Hrsg.), Popularmusik und Kirche. Ist es Liebe? _ das Verhältnis von Wort und Ton. Dokumentation des Dritten Interdisziplinären Forums i>Popularmusikund Kirche{< in Hildesheim vom l. bis 3. März 2005 (Frieds C 9), Frankfurt a. M. 2006, 99-120. Zur charismatischen Spiritualität vgl. Peter Zimmerling, Charismatische Bewegungen (UTB 3199), Göttingen 2009. Zur liturgischen Dramaturgie vgl. exemplarisch die Detailstudien bei Stefan Schweyer, Freikirchliche Gottesdienste. Empirische Analysen und theologische Reflexionen (APrfh 80), Leipzig 2020, 182-217. Zur Geschichte von P&W vgl. Swee Hong Lim/Lester Ruth, Lovin, on Jesus. A Concise History of Contemporary Worship, Nashville (TN) 2017; Lester Ruth, Essays on the History of Contemporary Praise and Worship, Eugene (OR) 2020. Zur Bedeutung von P&W im europäischen Kontextvgl. Guido Baltes, Worship-musik im europäischen Kontext, in: Jochen Arnold (Hrsg.), Gottesklänge. Musik als Quelle und Ausdruck des christlichen Glaubens, Leipzig 2013, 247-259. 133 einen konzertähnlichen Charakter erhalten und umgekehrt die Konzerte eine gottesdienstliche Atmosphäre inszenieren. Diese knappe Übersicht über P&W mag genügen, um das Phänomen grob einzuordnen, sodass wir uns nun der spezifischen Frage nach der Kampfsemantik in dieser Art von Liedgut stellen können. Ich beginne mit semantischen (2.) und inhaltlichen Analysen (3.) von ausgewählten Liedtexten, bevor ich eine Interpretation wage (4.) und dar~ aus ein Fazit ziehe (5.). Zuvor jedoch ein Wort zu den Grenzen dieser kleinen Studie: Mir ist sehr bewusst, dass bei der Fragestellung nach Krieg und Frieden im Gottesdienst die Art und Weise des Singens, also die Performanz der Aufführung, ebenso bedeutsam ist und vielleicht noch wichtiger als die Worte, die gesungen werden. Singen ist eine Macht, die im ganzen Spektrum von manipulativer Übergriffigkeit bis zu göttlicher Ergriffenheit erfahren werden kann. Wie bedeutsam der Erlebnisaspekt von Musik im Gottesdienst ist, zeigen anschaulich die Untersuchungen des Kollegen Jochen Kaiser.o In diesem Artikel lege ich nun, wie der Titel besagt, den Fokus nicht auf die Performanz der Lieder, sondern auf die Semantik im Liedgut. Mit dieser spezifischen und zugegebenermaßen eingegrenzten Sichtweise wenden wir uns den Liedtexten zu. 2. SEMANTISCHE ANALYSE VON LIEDTEXTEN 2.1 SAMPLE Ausgangspunkt flir die Auswahl derLiedtexte bildet Songselect/ccLI 7 Es handelt sich um eine internationale Datenbank und Lizenzierungsplattform von Liedgut, das von sehr vielen freikirchlichen oder auch charismatisch-großkirchlichen Gemeinschaften verwendet wird. Die Plattform erlaubt unter anderem, Liedtexte abzurufen und sie per Videoprojektor einzublenden, sodass heute viele dieser kirchlichen Gruppierungen ohne Liederbuch auskommen. Jochen Kaiser, Religiöses Erleben durch gottesdienstliche Musik. Eine empirisch-rekonstruktive Studie (APTLH 71), Göttingen 2012; ders., Singen in Gemeinschaft als ästhetische Kommunikation. Eine ethnographische Studie (Systematische Musikwissenschaft), Wiesbaden 2017. songselect.ccli.com [zuletzt abgerufen am 20.10.2021]. Vgl. die Beobachtungen bei Schweyer, Freikirchliche Gottesdienste (Anm. 4), Kap. 5.3: Singen & Musik, 182-217. In Freikirchen des konservativen Typs werden