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Lampertheim-Hofheim - Gräber im Garten

2019, hessenArchäologie

2019 informieren Landesarchäologie, kommunale Einrichtungen für Bodendenkmalpflege, Museen, Universitäten, unabhängige Forschungsinstitute, Fachfirmen sowie Karbon im Ederbergland. – UNESCO-Welterbe Messel: Pflanzen, Insekten und ein In Kommission bei Hinweis: Eine Veröffentlichung dieser Datei im Internet ist vor dem 01.11.2022 nicht autorisiert 2019 Jahrbuch für Archäologie und Paläontologie in Hessen Herausgegeben von hessenARCHÄOLOGIE des Landesamtes für Denkmalpflege Hessen zusammengestellt von Udo Recker In Kommission bei Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http.//dnb.ddb.de abrufbar. Umschlagbild: Vordergrund: eisenzeitliche Armringe aus Lampertheim-Hofheim (Foto: P. Odvody, hA) Hintergrund: Fragmente einer Marmorplatte des Toraschreins von der zerstörten Synagoge am Börneplatz in Frankfurt am Main (Foto: Th. Flügen, Archäologisches Museum Franklfurt) Links: Detail einer mittelalterlichen Spielmanns-Tonfigur von der Tannenburg bei Seeheim-Jugenheim (Foto: P. Odvody, hA) Karte S. 7: Grafik, rjm medienservice GmbH, Lampertheim, Kartierung: P. Hanauska, hA © Landesamt für Denkmalpflege Hessen, Wiesbaden Alle Rechte vorbehalten In Kommission bei wbg Theiss, Darmstadt 2020 Schriftleitung: Stefan Thörle, hA Redaktion: Petra Hanauska, hA; Stefan Thörle, hA Bildkorrekturen: Katrin Pfeil, Büro für Visuelle Gestaltung, Mainz Satz, Layout, Umschlaggestaltung: Stefan Thörle, hA Druck und Bindung: Krüger Druck + Verlag GmbH & Co. KG, Merzig Printed in Germany ISBN 978-3-8062-4224-9 ISSN 1610-0190 4 Hessen-Archäologie 2019 (2020) Ausschnitt eines eisenzeitlichen Friedhofes im Landkreis Bergstraße Becker / Mayer / Sagl, LampertheimHofheim – Gräber im Garten Lampertheim-Hofheim – Gräber im Garten Die von politischer Seite angestrebte Nachverdichtung von Ortschaften führt häufig dazu, dass auch die Zuständigkeitsbereiche der Bodendenkmalpflege von den Maßnahmen berührt werden. Denn handelt es sich dabei um historische Ortskernlagen, besteht eine hohe Erwartung hinsichtlich der Existenz von Bodendenkmälern. Dagegen sind die Prognosemöglichkeiten für Areale, die erst im 20. Jahrhundert aufgesiedelt wurden, deutlich schwieriger, wenn aus der direkten Umgebung keine Hinweise auf Bodendenkmäler vorliegen. Während bei Neubeplanungen von unbebauten Flächen, also der klassischen Umwandlung von Ackerland in ein Neubaugebiet, eine Prospektion in der Regel keine besonderen Schwierigkeiten bereitet, ist eine solche in bebauten Bereichen ungleich komplizierter. Eine solche Situation war im Osten des Lampertheimer Stadtteils Hofheim gegeben, wo das Areal einer ehemaligen Gärtnerei innerhalb eines bereits umbauten Quartiers für eine Nachverdichtung vor- gesehen war. Im Rahmen des vorgeschalteten Bebauungsplanverfahrens musste geklärt werden, ob das in südöstlicher Richtung bekannte merowingerzeitliche Gräberfeld, von dem in 250 m Entfernung Gräber nachgewiesen sind, bis in das beplante Areal hineinreichte. Nach der Kampfmittelsondierung auf dem Gelände wurde in einem ersten Schritt im Frühjahr 2018 entlang des Bibliser Weges ein etwa 60 m langer Suchschnitt angelegt, in dem insgesamt neun Befunde in Form von rundlichen oder rechteckigen Gruben zutage traten (Abb. 1). Der überwiegende Teil dieser Gruben enthielt moderne Abfälle bestehend aus Keramikscherben, Plastikmüll, Stacheldraht oder Bauschutt. Hingegen als archäologisch relevant waren mindestens vier Befunde zu erachten. Dazu zählen drei Pfostenlöcher, die sich von Norden her über den Schnitt verteilten. Zudem wurden mit Befund 6 die Überreste einer zerstörten Erdbestattung erfasst. Thomas Becker, Dominik Meyer, Linda Sagl 1 Lampertheim-Hofheim. Gesamtplan der Untersuchungsfläche mit den aufgedeckten Befunden (Plan: D. Meyer, ms terraconsult GmbH & Co. KG). Hessen-Archäologie 2019 (2020) 111 2 Lampertheim-Hofheim. Übersichtsaufnahme vor Untersuchungsbeginn (Foto: L. Sagl, ms terraconsult GmbH & Co. KG). 3 Lampertheim-Hofheim. Teilzerstörtes Körpergrab Bef. 15 mit Armring und Pinzette in Planum 2 (Foto: L. Sagl, ms terraconsult GmbH & Co. KG). Wenige Knochen des Oberkörpers, u. a. Arm- und Rippenknochen, lagen in anatomisch korrekter Position eingebettet in die Lössschicht und von einer nur schwach sichtbaren hellbraunen Verfärbung umgeben. Bei den Knochen kam ein kleines Eisenfragment zum Vorschein, das sich aufgrund der schlechten Erhaltung bislang noch einer Deutung entzieht. Mit dieser Voruntersuchung wurde die Existenz eines Bodendenkmals und dessen Ausdehnung ins Planungsareal belegt. Bei Abschluss der Voruntersuchung war allerdings noch nicht klar, ob es sich dabei um die Ausläufer des genannten frühmittelalterlichen Gräberfeldes handelte oder ob ein anderer Bestattungsplatz angeschnitten worden war. 112 Das Ergebnis zog im darauffolgenden Winter 2018/19 eine großflächigere Untersuchung des Geländes nach sich, die eine Fläche von knapp 1.900 m² umfasste (Abb. 1 – 2). Diesmal wurden sämtliche Bereiche, die später durch das Bauvorhaben tangiert werden sollten, flächig untersucht, wobei die Verkehrsflächen mit einbezogen werden mussten. Im Zuge dessen wurde das Grundstück fast vollständig auf das Vorhandensein von archäologischen Befunden hin überprüft. Als erste Maßnahme wurde ausgehend vom Suchschnitt des Jahres 2018 der Oberboden abgetragen. Hierbei stieß man bereits am ersten Tag auf menschliche Knochen im Humus und auf weitere Becker / Mayer / Sagl, Lampertheim-Hofheim – Gräber im Garten Befunde im darunterliegenden Löss. Das verlagerte Knochenmaterial belegte, dass durch die Vornutzung des Geländes als Gärtnerei die archäologischen Befunde bereits beeinträchtigt worden waren. Nahe dem Suchschnitt wurde nach dem Humusabtrag eine unregelmäßige dunkelbraune Verfärbung erfasst, in deren Bereich schon auf dem ersten Planum ein Knochenstück und ein Bronzearmring im Übergang zwischen humosem Oberboden und anstehendem Löss lagen. Aufgrund dieser oberflächennahen Lage von Befunden und Funden fanden die weiteren Baggerarbeiten unter Einhaltung noch größerer Sorgfalt statt. Im Nordwesten der Untersuchungsfläche wurden überdies mehrere Gräben festgestellt, die einander mehrfach überlagerten. Sie waren offensichtlich durchgehend als kurze Abschnitte ausgehoben worden und wurden im weiteren Verlauf der Ausgrabung auf dem gesamten Gelände angetroffen. Die nähere Untersuchung der Befunde ergab, dass hier moderne Gruben vorlagen, die auf die vormalige Nutzung des Geländes als Garten zurückzuführen waren. Diese könnten Gruben zur Lagerung von Rüben oder, wie im Fall der Befunde im südlichen Flächenbereich, Reste von einfachen Holzbauten, wie etwa Schuppen, gewesen sein, da in den Gruben Bauschutt nachweisbar war. In mehreren Fällen wurde eine Störung von älteren Befunden durch die Gräben festgestellt. Außerdem ist aufgrund der invasiven Nutzung des Geländes von einem Verlust von Gräbern auszugehen (Abb. 3), was durch die zahlreichen Lesefunde (Knochen, Armringe) aus dem Humus untermauert wird. Die Befunde kamen in allen Flächen unmittelbar unter dem Humus zutage, der z. T. nur eine Mächtigkeit von 15 – 20 cm aufwies und direkt auf dem Löss auflag. Insgesamt wurden im untersuchten Bereich 13 Körperbestattungen festgestellt. Diese lagen sowohl einzeln als auch in kleinen Gruppen über das Gelände verstreut. Die Verteilung der Lesefundknochen belegt, dass in den Zwischenbereichen ebenfalls Bestattungen vorhanden waren, die aber durch die Nutzung des Geländes bereits zerstört sind. Im südwestlichen Untersuchungsbereich befanden sich drei Bestattungen mit jeweils gleicher N-SAusrichtung der Grabgrube direkt nebeneinander. Die Orientierung der Verstorbenen variierte hierbei allerdings. So waren die Skelette in zwei Gräbern N – S ausgerichtet, während im dritten Grab der Schädel im Süden lag. Etwas östlich davon waren drei Grabgruben sowie eine Urnenbestattung in einer Linie in O-W-Richtung aneinandergereiht. Der Abstand der Gräber zueinander betrug hier circa 0,50 m. Andere Bestattungen lagen wiederum einzeln im Gelände. Bei einem Grab handelte es sich um eine zweiphasige Bestattung. Hier trat nach der Becker / Mayer / Sagl, Lampertheim-Hofheim – Gräber im Garten 113 4 Lampertheim-Hofheim. Fast vollständig erhaltene W–O ausgerichtete Körperbestattung Bef. 12 in Planum 2 (Foto: L. Sagl, ms terraconsult GmbH & Co. KG). 5 Lampertheim-Hofheim. Urne des Brandgrabes Bef. 55 in Planum 1 (Foto: L. Sagl, ms terraconsult GmbH & Co. KG). Entnahme der Knochen in derselben Grabgrube eine weitere, darunter befindliche Körperbestattung zutage. Die Knochen im tiefer liegenden Grab wurden durch die darüber eingebrachte Nachbestattung offensichtlich verlagert. Beide Verstorbene lagen mit dem Kopf im Süden. Bei insgesamt elf Skeletten konnte die Lage des Schädels bestimmt werden. Von diesen Bestattungen waren vier S – N ausgerichtet, während die übrigen eine individuelle Orientierung aufwiesen. Der Erhaltungszustand der Knochen in den Gräbern von Lampertheim war überwiegend schlecht, was Aussagen zur Lage der Knochen oft erschwerte. Am besten hatten sich diejenigen des Skelettes aus dem Grab erhalten, das eine Bestattung mit zwei Armringen enthielt (Abb. 4). Die Tiefe der Gräber betrug meist nur wenige Zentimeter, was aus der modernen Geländeveränderung resultiert. Ausnahmen bilden hier lediglich zwei Gräber, die als einzige Bestattungen eine Tiefe von 0,80 bis 0,90 m aufwiesen und in den anstehenden Sand hineinreichten. Die Größe der Grabgruben variierte erheblich, was allerdings dem schlechten Erhaltungszustand geschuldet ist. Meist waren die Grabgruben „ausgefranst“ und ihre Form kaum noch erkennbar. Im Bereich des Gräberfeldes kam zudem eine Brandbestattung (Abb. 5) zum Vorschein. Es handelte sich dabei um den unteren Teil eines Gefäßes mit Leichenbrand. Im südlichen Areal der Untersuchungsfläche wurde außerdem ein Teilstück eines Kreisgrabens festgestellt, der nach Süden hin in Richtung Nachbargrundstück weiterzog. Im Norden störte eine moderne Grube den Grabenverlauf. Der Graben war mit einer Tiefe von max. 0,30 m nur 114 noch sehr flach erhalten, was auch erklärt, weshalb die westliche Fortsetzung in der Grabungsfläche nicht mehr zu erfassen war. Die umschlossene Innenfläche wurde flächig untersucht, wobei dort keine Befunde oder Funde zutage kamen. Die wohl überhügelte zugehörige Bestattung war folglich ebenfalls bereits der modernen Geländenutzung zum Opfer gefallen. Die Existenz von mindestens einem weiteren Hügel legen die drei im Kreis angeordneten Bestattungen im Südteil der Grabungsfläche nahe, die sich als Nachbestattungen an einem Hügel zu orientieren scheinen. Auch die Nachbestattung in einem Grab deutet auf eine oberirdische Kennzeichnung der Grablege hin, wobei als Art der Kennzeichnung sowohl ein Hügel als auch eine einfache Überdeckung in Erwägung zu ziehen sind. Die singuläre Lage schließt zumindest eine Überhügelung nicht aus. Alle archäologisch relevanten Funde stammen aus Gräbern. Zu diesen zählen Armringe, Ohrringe, Fibeln, ein Gürtelhaken aus Eisen und ein Toilettebesteck, die den Toten als Kleidungsbestandteile oder Schmuck mit ins Grab gegeben wurden. Außerdem traten aktuell nicht näher bestimmbare Eisenund Bronzefragmente in den Gräbern zutage. In zwei Körpergräbern hatte man den Toten Gefäße mit ins Grab gegeben, die jeweils zu Füßen abgestellt waren. Die Metallfunde aus den Gräbern befanden sich bis auf die massiven Armringe in einem schlechten Erhaltungszustand. Die Funde lassen sich jedoch aufgrund der Fibeln in die Frühlatènezeit datieren. Beim Ringschmuck handelt es sich vor allem um einfache offene Ringe mit plattenförmigen Enden, die chronologisch eher unspezifisch sind (Abb. 6). Becker / Mayer / Sagl, Lampertheim-Hofheim – Gräber im Garten Aufgrund ihres Auftretens in präziser einzuordnenden Kontexten scheinen sie eher zu frühlatènezeitlichen Bestattungen zu gehören. Dagegen kann zumindest ein Ringpaar, das als Lesefund aus dem Humus geborgen wurde und aufgrund der gleichartigen Verzierung sicherlich zur selben Bestattung gehört hatte, wegen seiner robusten Ausführung und seiner Verzierung näher eingeordnet werden. Der halbrunde Querschnitt, die ausgeprägten Stollenenden und das Linienmuster erlauben eine Zuweisung in die Stufe Hallstatt C oder vielleicht in einen wenig älteren Zeitsabschnitt, sodass die Ringe zu den ältesten Funden im Gräberfeld zählen. Auch wenn die Nekropole nicht vollständig erfasst werden konnte und ein Teil der Bestattungen durch die moderne Nutzung des Geländes verloren ging, erlaubt das freigelegte Areal doch einen seltenen Einblick in die Bestattungspraxis der Eisenzeit in der südhessischen Rheinebene. Mit Blick auf die Gemarkung Hofheim handelt es sich um den ersten Nachweis eines Gräberfeldes aus dem Übergangszeitraum zwischen Hallstatt- und Latènezeit und für die Phase des Übergangs von der Körper- zur Brandgräbersitte. Jüngere latènezeitliche Bestattungen sind bisher nur vom westlichen Ortsrand bekannt. Die Untersuchung zeigt auch das Problem hinsichtlich der Prognose von eisenzeitlichen Bestat- tungsplätzen auf, deren Entdeckung oft sehr vom Zufall abhängt, wenn die ursprüngliche obertägige Kennzeichnung der Bestattungen in Form von Grabhügeln aufgrund späterer Geländenutzung nicht mehr erkennbar ist. Vor diesem Hintergrund wird das Gräberfeld im Rahmen einer Kooperation zwischen der Professur für Vor- und Frühgeschichte der Universität des Saarlandes und der hessenARCHÄOLOGIE (Außenstelle Darmstadt) des Landesamtes für Denkmalpflege Hessen im Zuge einer Lehrveranstaltung archäologisch und anthropologisch untersucht. LITERATUR M. Hees, Siedlungsarchäologie der Hallstatt- und Frühlatènezeit im Raum Heilbronn. Dissertation Universität Tübingen 2002 (Online-Publikation [2009]: https://publikationen.uni-tuebingen.de/xmlui/handle/10900/49309 [Zugriff: 02.03.2020]). – S. Heun, Besiedlungsgeschichte der Latènezeit am Beispiel des Landkreises Offenbach. Siedlungsgeschichtliche Auswertung von Altfunden und neuen Fundstellen im Hinblick auf Kontinuitätsfragen. Dissertation Universität Marburg 1999 [OnlinePublikation: https://archiv.ub.uni-marburg.de/diss/z2004/0519/ [Zugriff: 02.03.2020]). – W. Meier-Arendt, Inventar der ur- und frühgeschichtlichen Geländedenkmäler und Funde des Kreises Bergstraße. Inventar der Bodendenkmäler 4 (Darmstadt 1968). Becker / Mayer / Sagl, Lampertheim-Hofheim – Gräber im Garten 115 6 Lampertheim-Hofheim. Zusammenstellung der Armringe aus verschiedenen Grab- und Lesefundkontexten (Foto: P. Odvody, hA).