Z Politikwiss
https://doi.org/10.1007/s41358-022-00312-8
ARTICLE
Technik als Weltbezug, Affordanzen als
Reflexionsbegriff
Zum Verhältnis von Theorie und Technik in der digitalen
Konstellation
Tim König
Angenommen: 12. Januar 2022
© Der/die Autor(en) 2022
Zusammenfassung Der Artikel beleuchtet das Verhältnis von Technik und Politischer Theorie in der digitalen Konstellation, indem auf Hubigs technikphilosophische Konzeption von Technik als Medium zurückgegriffen wird. Der mediale
Charakter technischer Systeme besteht dabei in der Strukturierung des Möglichkeitsraums, in welchem Handlungen erst vorstellbar werden. In diesem Sinne kann
Technik als Weltbezug gefasst werden, welcher mit den Akteur:innen eigenen epistemischen Dispositionen in einem dialektischen Verhältnis steht. Anhand des Beispiels
digitaler Öffentlichkeit wird illustriert, inwiefern diese Strukturierung epistemischer
Möglichkeitsräume durch Technik Gegenstand einer präzisen politiktheoretischen
Analyse sein muss. Für die Reflexion des dialektischen Verhältnisses epistemischer
Dispositionen und technischer Vermittlung wird weiterhin der Begriff der Affordanzen vorgeschlagen, dessen Mehrwert mit Blick auf die Plattform Twitter aus
öffentlichkeitstheoretischer Perspektive illustriert wird. Der Beitrag knüpft somit einerseits an die Diskussion um die Theoretisierung digitaler Technologien an, indem
er Perspektiven der Politischen Theorie, der Technikphilosophie und der Science
and Technology Studies verbindet. Andererseits greift er Diskussionsstränge um
die Epistemologie der digitalen Konstellation auf, indem er auf das Verhältnis zwischen Politischer Theorie und digitalen Phänomenen eingeht. Überlegungen zu der
spezifischen Messbarkeit dieser Phänomene knüpfen darüber hinaus an Fragen der
Vereinbarkeit von Theorie und Empirie an.
Schlüsselwörter Technikphilosophie · Epistemologie · Digitale Öffentlichkeit ·
Hubig · Science and Technology Studies
Tim König ()
Institut für Sozialwissenschaften, Universität Hildesheim, Hildesheim, Deutschland
E-Mail:
[email protected]
K
T. König
Technology as relation to the world, affordances for reflexivity
Considering the relationship between theory and technology in the digital constellation
Abstract This article considers the relationship between technology and political theory in the digital constellation by utilizing the conception of technique as
a medium. In Christoph Hubig’s philosophy, the mediality of technology structures
the realm of both possible and conceivable actions. In this sense, technology can
be considered as relation to the world, which has a dialectical relationship with an
actor’s epistemic dispositions. Choosing the digital public sphere as an example,
the article shows how this structuration of epistemic realms of possibility through
technology is necessarily the subject of any precise theoretical analysis. In order to
reflect on this dialectical relationship between epistemic dispositions and technical
mediation, the concept of affordances is suggested. By analysing the platform Twitter from a public sphere perspective, the benefits of such a conceptualisation are
made apparent. Therefore, the contribution of this article is twofold. For one, it adds
to the ongoing discussion on the theorization of digital technologies by bridging
the gap between political theory, philosophy of technology and science and technology studies. Second, it reflects on the epistemology of the digital constellation by
analysing the relationship between political theory and digital phenomena. Furthermore, it links to questions on the reconciliation of theory and empirical analyses by
considering the specific measurability of digital phenomena.
Keywords Philosophy of technology · Epistemology · Digital public sphere ·
Hubig · Science and technology studies
1 Einleitung
Die Bewertung technologischen Wandels stellt die Politische Theorie vor besondere Herausforderungen. In jüngeren Jahren manifestiert sich diese Schwierigkeit
in der wechselhaften Bewertung des demokratischen Potenzials digitaler Technologie, welche — je nach theoretischer Perspektive und aktuellen politischen wie
technischen Entwicklungen — als Wiederbelebung der Demokratie oder ihr Ende,
als Ära einer neugefundenen Rationalität demokratischer Regierbarkeit oder totaler, autoritärer Überwachung bewertet wird (Ess 2018; Berg, et al. 2020). Kaufmann und Jeandesboz (2017) identifizieren das Problem der Singularität, welches
den digitalen Strukturwandel als eine autonome, politischen und gesellschaftlichen
Prozessen äußerliche Kraft verortet, deren Neuartigkeit jede theoretisch herleitbare
Kontinuität zu verneinen scheint. Rammert (2016) spricht in diesem Zusammenhang
auch von dem technikdeterministischen Paradigma, das Technik als bestimmende
Größe gesellschaftlicher Entwicklungen identifiziert. Eine unzureichende Reflexion
des komplexen Verhältnisses von Technik und Gesellschaft und ein unterkomplexer
Technikbegriff führen so zu einem Mangel an Spezifität in der Analyse des Gegenstands. Besonders deutlich treten diese Probleme in Theorien digitaler Öffentlichkeit
hervor, deren Interpretation des digitalen Wandels häufig in eine technikdeterminis-
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Technik als Weltbezug, Affordanzen als Reflexionsbegriff
tische Richtung tendiert (exemplarisch: Dahlberg 2011; Ritzi 2019; Kaya 2020).
Die damit einhergehende Tendenz, Phänomene in bestehende theoretische Gebäude einzuordnen und identische Entwicklungen so gänzlich heterogen zu beurteilen
(vgl. Borucki und Oswald 2020), mag aus der Perspektive einer normativen Bewertung gerechtfertigt sein. Es stellt sich jedoch die Frage, inwiefern die Wahl der
Theorie selbst bereits die Sicht auf ihren empirisch-analytischen Gegenstand prägt.
Alexander (1990) nennt dies das „epistemische Dilemma“: Die Sicht auf ein Phänomen wird unweigerlich durch die spezifische Weltsicht einer angelegten Theorie
bestimmt, ohne deren Verallgemeinerungsleistung jede Analyse jedoch auf singuläre, nicht systematisch erfass- und einordbare Beobachtungen beschränkt bliebe.
Somit ist es neben dem Verhältnis von Gesellschaft und Technik auch das Verhältnis von Technik und Theorie, welches der Reflexion bedarf, um sicherzugehen, dass
die angelegte Theorie nicht notwendigerweise zu einem Mangel an Spezifizität in
der Analyse führt.
Einen Ansatz, um diese Reflexionsebene einzuholen, bietet der Affordanzbegriff.1
Als soziomaterialistisch-relationale Perspektive auf Technik hat das Konzept der
Affordanzen das Potenzial, Dualismen zwischen Subjekt und Objekt, Struktur und
Agency, technologischem Determinismus und Voluntarismus zu überwinden und
Blackboxing-Effekte in der Analyse von Technik und Gesellschaft aufzulösen (Faraj und Azad 2013). Auch neuere Arbeiten zur „digitalen Konstellation“ greifen
auf den Begriff der Affordanzen zurück, um die spezifische Situiertheit digitaler
Phänomene einerseits in ihrer Materialität, andererseits in ihrer sozialen und politischen Geformtheit zu analysieren (Hofmann 2019b; Berg et al. 2020). So kann
es gelingen, den Formwandel der Demokratie nicht als einseitig-kausalen Prozess
anzusehen, bei dem digitale Technik wahlweise durch gesellschaftliche Veränderungen geprägt wird oder diese bedingt, sondern als „umfassende[n], vielgestaltige[n]
Prozess, in dem sich Gesellschaft und Technik in einer konkreten Weise dynamisch
und fortlaufend in Beziehung setzen“ (Berg et al. 2020, S. 182). Hofmann (2019a,
b) verwendet darüber hinaus die Luhmann’sche Unterscheidung von Medium und
Form, um die Kontingenz technischer Entwicklungen hervorzuheben und diese historisch zu verorten. Jedoch verpassen es diese Ansätze zu reflektieren, inwiefern die
neuen „Möglichkeitsräume“ digitaler Technik (Hofmann 2019b, S. 36; Berg et al.
2020, S. 183) auch nach einer Reflexion ihrer theoretischen Verortung verlangen.
So ist unklar, wie theoretische Zugänge auch angesichts sich wandelnder epistemischer Möglichkeitsräume fähig bleiben können, ihrem Gegenstand angemessene
Analyseergebnisse zu liefern. Um weder in einen unspezifischen Theorieperspektivismus noch in Technikdeterminismus zu verfallen, scheint es daher notwendig,
mittels einer geschärften Analytik das zu entwickeln, was als eine den Funktionslogiken digitaler Phänomene angemessene Perspektive gefordert wird (vgl. Borucki
et al. 2020). Erst so kann zwischen den Ansprüchen von analytischer Spezifität und
theoretischer Anschlussfähigkeit vermittelt werden.
Der vorliegende Artikel trägt auf zweierlei Weise zur aktuellen Diskussion bei.
Zum einen wird an Schnittstellen der Politischen Theorie, der Science and Tech1 Dieser wird auch von Kaufmann und Jeandesboz (2017) für die Analyse digitaler, stets in Wechselwirkung mit politischen und gesellschaftlichen Konfigurationen stehender Phänomene vorgeschlagen.
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nology Studies und der Technikphilosophie angeknüpft, um bestehende Konzepte
und Überlegungen zu Theoriebildung in der digitalen Konstellation zu erweitern.
Dies betrifft insbesondere eine technikphilosophische Erschließung des Begriffs des
Möglichkeitsraums von Technik und die systematische Verbindung des Begriffs der
Affordanzen mit der Medium-Form-Unterscheidung. So soll zum anderen ein Reflexionsraum eröffnet werden, welcher die spezifischen epistemischen Bedingungen
politiktheoretischer Analysen in der digitalen Konstellation anhand von Theorien
digitaler Öffentlichkeit in den Fokus nimmt. Der vorliegende Artikel soll so Lücken
in den bestehenden Arbeiten zur Epistemologie der digitalen Konstellation schließen
und begriffliche Vorarbeiten für zukünftige empirisch-analytische Untersuchungen
leisten. Dazu werde ich auf Christoph Hubigs Konzeption von Technik als Medium
zurückgreifen, mittels derer Technik als Handlungen strukturierender Möglichkeitsraum und somit als Weltbezug verstanden werden kann. Den Mehrwert dieser Konzeptualisierung technischer Möglichkeitsräume demonstriert Seibel (2016) in seiner
Analyse kybernetischen Regierungshandelns, welches sich an eben jenen Vorstellungen der Verfügbarkeit von Regierungstechnologien mitherausbildete. Auch in
Hofmanns (2019b) Überlegungen zu den performativen Rahmenbedingungen technischer Formationen wird Hubigs Begriffsschema strukturierter Möglichkeitsräume
verwendet, jedoch nicht systematisch für die Theoriebildung erschlossen. Um diese
Lücke zu schließen, werde ich im Anschluss an die Vorstellung des Technikbegriffs
zeigen, wie dieser Möglichkeitsraum politiktheoretische Analysen digitaler Öffentlichkeiten mitstrukturiert und so die Reflexion des Verhältnisses von Theorie und
Technik notwendig macht. Dies betrifft insbesondere die Lesart des Technikdeterminismus, die spezifische Messbarkeit digitaler Phänomene und die Möglichkeit des
Theoriedeterminismus. Für eine Neubetrachtung wird das Konzept der Affordanzen
als Reflexionsbegriff eingeführt, um sowohl die Materialität technischer Systeme als
auch die Handlungsfähigkeit ihrer Nutzer:innen zu berücksichtigen. In der Vereinbarung der Medium-Form-Unterscheidung mit dem Begriff der Affordanzen wird
sich zeigen, wie ein solcher Ansatz die eigene Theorieperspektive an der Spezifität
seines Untersuchungsobjekts reflektieren kann. Schlussendlich wird die so entwickelte reflexive Epistemologie am Beispiel politischer Öffentlichkeitstheorie und
der Plattform Twitter skizziert.
2 Die Medialität von Technik
Alle unsere Welt- und Selbstbezüge sind vermittelt, sowohl in ontologischer als
auch in epistemischer Hinsicht (Hubig 2006, S. 145)
Soll Theoriebildung in der digitalen Konstellation sowohl einer technikdeterministischen wie auch einer theorieperspektivistischen Lesart entgehen, braucht es zuvorderst einen Technikbegriff, welcher die spezifische Vermittlungsleistung digitaler
Technologie reflektiert. Ein Begriff von Technik als zweckgebundenem Mitteleinsatz, wie etwa Webers „Inbegriff der Mittel“ (Weber 2002, S. 32), welcher der Rationalisierung ihr vorgelagerter Prozesse dient, kann dies nicht abbilden, bleibt er doch
auf die einseitige Formung technischer Systeme durch die Vorstellungen menschli-
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Technik als Weltbezug, Affordanzen als Reflexionsbegriff
cher Akteur:innen beschränkt. So vermag es ein solches Technikverständnis nicht zu
reflektieren, inwiefern Technik selbst den Möglichkeitsraum strukturiert, in dem ihr
Einsatz vorstellbar wird – und so definiert, welche Handlungen überhaupt als möglich gelten.2 Aber auch ein deterministisches Verständnis von Technik, welches von
einer einseitigen Formung der Handlungsfähigkeit menschlicher Akteur:innen durch
Technik ausgeht, verkennt, dass diese immer vor dem Hintergrund spezifischer Vorstellungen von Mittel, Zweck und Machbarkeit intentional geschaffen wurden (vgl.
Rammert 2016, S. 22). In Abgrenzung zu solchen Verständnissen von Technik greife
ich stattdessen auf Christoph Hubigs technikphilosophische Konzeption zurück, die
Technik „als System der Dienlichkeit und Herbeiführbarkeit, als Ermöglichung des
Gelingens instrumenteller Vollzüge“, mithin also als „Potenzialfunktion“ für konkrete Handlungszusammenhänge versteht (Hubig 2013, S. 121). In seiner dialektischen
Technikphilosophie untersucht Hubig eben diese Möglichkeitsräume, indem die Performativität und Disponibilität von Technik reflexiv erschlossen werden (vgl. Hubig
2006, S. 12 f.).
Zur Theoretisierung der Potenzialität von Technik verwendet Hubig in Anlehnung
an Luhmann den Begriff des Mediums.3 Luhmann versteht unter einem Medium den
Bestand an lose gekoppelten Elementen, welcher die Herausbildung konkreter Formen ermöglicht, ohne sich dabei selbst zu verbrauchen. Das Medium bildet das
Substrat, durch deren feste Kopplung identifizierbare Formen entstehen. Es besteht
dabei nicht aus physischen, systemexternen Eigenschaften, sondern wird durch das
System, das es verwendet, selbst erzeugt. Für Sprache, die als Grundlage für weitere
Medienbildungen wie Wahrheit, Macht oder Geld dient, stellt sich diese Medialität als feste Kopplung zu einzelnen Wörtern und Sätzen dar. Diese setzt zwar die
physische Möglichkeit der Laut- oder Schrifterzeugung voraus. Es ist jedoch das
Kommunikationssystem, welches Sprache als Medium produziert und reproduziert,
damit mögliche Formen vorgibt und so den Sinnaustausch zwischen Kommunikationsteilnehmenden mittels dieser Formen ermöglicht (Luhmann 2015, S. 53 f.).
Während Luhmann Technik jedoch nicht als Medium, sondern als „Entlastungsvorgang“ sieht, welcher mittels präziser Konditionierung komplexere Systembildungen ermöglicht (Luhmann 2015, S. 197) und sich so dem Weberschen Technikbegriff
annähert, sieht Hubig technische Systeme selbst als Medien, deren lose Kopplungen
feste Formen annehmen können:
Im Gegensatz zu Luhmann ist Technik freilich nicht bloß als feste Kopplung
zum Zweck des „Kontingenzmanagements“ der Systeme zu erachten, denn eine solche feste Kopplung betrifft nur den Charakter der Mittel als hinreichenden
Bedingungen der Realisierung von Zwecken. Vielmehr müssen technische Systeme überhaupt auch als Medien, also als (ihrerseits geformte) lose Kopplungen verstanden werden, die den zielführenden Einsatz von Mitteln ermöglichen.
(Hubig 2013, S. 122)
2 Zur vertieften Diskussion um eine solche „technizistische Verkürzung des Handelns“ vgl. Hubig 2006,
Kap. 4.
3 Hubig bezieht sich zwar auf Luhmanns Begriff des Mediums als Menge loser Kopplungen, kritisiert
diesen jedoch für seinen „Medienmaterialismus“, welcher es versäumt, den dialektischen Charakter innerer
und äußerer Medialität als „erfahrenen Widerspruch“ zu reflektieren (Hubig 2006, S. 160).
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Über die Konzeptualisierung von technischen Systemen als Medien liegt der Fokus der Analyse bei Hubig dabei nicht wie bei Luhmann auf sozialen Systemen, sondern auf der Art und Weise, wie Technik deren Möglichkeiten der Welterschließung
strukturiert. Technische Systeme sind dabei die „realen[n] Strukturen und Ordnungen“, die Handlungen ermöglichen und durch ihre Medialität Möglichkeitsräume
grundlegend strukturieren (Hubig 2006, S. 156). Da Technik sich für Hubig nicht
in der „Realtechnik“ der Maschinen erschöpft, sondern sich ebenso auf die Intellektualtechnik mit ihren Codes (etwa von wahr/unwahr) und die Sozialtechnik als
Ermöglichung von Tauschhandlungen (etwa im Geldverkehr) erstreckt, wird sie zur
grundlegenden Kategorie, welche die „Rahmenordnung“ sozialer Interaktion vorgibt
(ebd.). Es ist dieser mediale Charakter von Technik, welcher sich in technischen
Systemen konkretisiert und die „[...] bestimmte Art und Weise aus[macht], in der
die realen, intellektualen und sozialen Möglichkeitsräume strukturiert sind.“ (ders.,
S. 155).
Diese Medialität von Technik besteht dabei aus drei Ebenen: dem Möglichkeitsraum, dem Wirklichkeitsraum und der instrumentellen Handlung. Möglichkeits- und
Wirklichkeitsraum weisen jeweils eine „innere“, vorgestellte Medialität und eine
„äußere“, im Realitätsvollzug erfahrene Medialität auf (Hubig 2013, S. 121). Erst
diese beiden Ebenen mit ihrer je inneren und äußeren Medialität ermöglichen die
instrumentelle Handlung, die spezifische Zwecke realisiert. So beschreibt die erste
Ebene die allgemeine Konzipierung, „den Möglichkeitsraum der Realisierung möglicher Zwecke“, dessen innere Medialität aus den „epistemischen Möglichkeiten,
disponible Ursachen zu unterscheiden“ besteht (ebd.). Die äußere Medialität dieses
Möglichkeitsraums besteht in der „notwendig vorauszusetzende[n] (technische[n])
Möglichkeit einer Trennung jener Dispositionen“, also der realen Möglichkeit der
Identifikation (vorgestellter) „Ursachen“ (ebd.). Die zweite Ebene der Medialität
von Technik besteht nach Hubig in den „Wirklichkeitsräume[n] der Realisierung
möglicher Zwecke“ (ebd.), welche unter der Maßgabe des Möglichkeitsraums technische Systeme schaffen. Ihre innere Medialität besteht in dem Katalog konkreter Funktionsideen und Erwartungen der Konstrukteur:innen, Entwickler:innen und
Nutzer:innen, welche sich wiederum als äußere Medialität in den „Infrastrukturen
der technischen Systeme“ niederschlagen (ders., S. 122). Während die erste Ebene
also Technik als Potenzialfunktion beschreibt, beschreibt die zweite Ebene deren
zweckgerichtete Umsetzung als Realfunktion – ihre „Performanz“ (ebd.). Auf der
dritten Ebene schließlich werden in Form instrumentellen Handelns die möglichen
Mittel-Zweck-Relationen des Wirklichkeitsraums aktualisiert und „die Erfahrung
der Differenz zwischen vorgestelltem und realisiertem Zweck gezeitigt, über die die
Technik als Medium eine ,Spur von ...‘ in Gestalt von unerwarteten (positiven oder
negativen) Effekten hinterlässt.“ (ebd.) In der instrumentellen Handlung korrigiert
sich somit das Verhältnis der inneren und äußeren Medialität nicht nur auf der Ebene
der Performanz, also im Verhältnis von Funktionsideen und Erwartungen zu der real
existierenden Infrastruktur, sondern auch auf Ebene des Möglichkeitsraumes, in dem
epistemische Dispositionen angesichts ihrer technisch vermittelten Unterscheidbarkeit beständig korrigiert werden und der so erst festlegt, welche Zwecke überhaupt
als technisch realisierbar, als möglich, gelten. Aus diesem dynamischen Verhältnis
von innerer und äußerer Medialität auf Ebene des Möglichkeits- und Wirklichkeits-
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Technik als Weltbezug, Affordanzen als Reflexionsbegriff
raumes bedingt sich somit der dynamische Charakter von Technik, welcher – im
Gegensatz zum Verständnis von Technik als „Inbegriff der Mittel“ – nie einer abschließenden Vorstellung unterliegen kann (ders., S. 121). Die innere Medialität
als Voraussetzung unserer Handlungsplanung „wächst umgekehrt proportional zu
den Einschränkungserlebnissen, über die wir etwas über ihre Möglichkeit erfahren.“
(Hubig 2006, S. 158).
Technik stellt eben eine Menge an lose gekoppelten Elementen, ein Medium,
dar, deren Aktualisierung in routinisierten Handlungen diese Elemente fest koppeln,
also die Form innerhalb des Mediums herstellen, ohne damit die potenziellen Möglichkeiten weiterer Kopplungen (und damit Handlungen) zu begrenzen.4 Die Mittel
und Zwecke dieser Handlungen sind dabei stets korrelativ: Zwecke lassen sich nur
auf Grundlage dessen bestimmen, was nach Maßgabe der inneren Medialität von
Möglichkeits- und Wirklichkeitsraum als „machbar“ erscheint. Mittel zur Realisierung dieser Zwecke erscheinen nur insofern als solche, wie sie auf Grundlage der
äußeren Medialität als deren technisch vermittelte Ermöglichung erscheinen. Anders gesagt: Es erscheint machbar, was möglich erscheint und es erscheint möglich,
was machbar erscheint. Die Erfahrung der Differenz zwischen dem, was als Zweck
innerlich konzipiert und äußerlich mithilfe technischer Mittel realisiert werden kann
erlaubt dabei die Optimierung und Verstetigung technischer Systeme (Hubig 2013,
S. 122). Es ist also die stets technisch vermittelte Realisierbarkeit von Zwecken
mit ihrer je spezifischen Verbindung von Ermöglichung und Einschränkung, welche
reflexiv auf die Konzeption der Zwecke selbst zurückwirkt. Und dies gilt nicht nur
auf der Ebene der Performanz von Technik, also der Ermöglichung instrumenteller
Handlungen, sondern auch epistemisch, da Technik strukturiert, welche Handlungen
überhaupt vorstellbar werden (vgl. auch Seibel 2016, S. 35). Die Medialität technischer Systeme besteht auf einer epistemischen Ebene also darin, dass sie kontingente
Handlungen in einem technisch vermittelten (äußeren) Möglichkeitsraum anbietet,
welcher wiederum auf einem hypothetisch konzeptualisierten (inneren) Möglichkeitsraum basiert. Real existierende technische Systeme sind durch diesen Möglichkeitsraum informiert, wirken durch spezifische Einschränkungs- und Ermöglichungserfahrungen in der instrumentellen Handlung jedoch wiederum auf diesen
zurück. In diesem Sinne wird Technik zu einem Weltbezug, deren Mittel nicht nur
Steuerung, sondern auch die Aktualisierung der epistemischen Dispositionen, welche die Vorstellung möglicher Handlungen strukturieren, erst ermöglichen (Hubig
2011, S. 5). In dem von Hubig verwendeten weiten Technikverständnis (vgl. Hubig
2006, S. 27 f.) erscheint Technik so als Vermittlungsleistung, welche unsere Wahrnehmung grundlegend strukturiert: „Jenseits unserer theoretischen und praktischen
Weltbezüge, die wir technisch realisieren, können wir uns keine Welt vorstellen.“
(Hubig 2006, S. 15). Erst das dialektische Verständnis der Beziehung von innerer
4
Hubig konzeptualisiert die Unterscheidung von Medium und Form dabei, im Gegensatz zu Luhmann,
„eher [als] ein Dispositionsgefälle“ (Hubig 2006, S. 156). Er konstatiert jedoch, ebenso wie Luhmann,
dass Medialität nie gänzlich, sondern immer nur anhand konkreter Aktualisierungen in Formen fassbar ist.
Realität kann somit als „Gesamtheit der Formen, mit denen wir interagieren“ verstanden werden (Hubig
2006, S. 159 f.).
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und äußerer Medialität der Möglichkeits- und Wirklichkeitsräume erlaubt es uns,
den technischen Aspekt dieser Weltbezüge freizulegen.
3 Theorien digitaler Öffentlichkeit und die Möglichkeitsräume digitaler
Technik
Mit fortschreitender Digitalisierung kommt der technischen Vermitteltheit politischer Prozesse zwar insbesondere im Hinblick auf neue Plattformen (Lovink 2017;
Gerbaudo 2019), Formen der Repräsentation (Keane 2011; Hofmann 2019a; Urbinati 2019) und Techniken der Sortierung und Kuratierung (Yeung und Lodge 2019;
Amoore 2020; Rieder 2020) erneute Aufmerksamkeit zu. Die Bearbeitung dieser
Fragestellungen nach den Auswirkungen digitaler Technologie bleibt jedoch trotz
elaborierter technikpragmatischer Konzeptionen auf die Ebene der Performanz, also
die konkreten Formen und Resultate der Wechselwirkung von Technik und Gesellschaft, beschränkt (vgl. Hofmann 2019b). Das dialektische Verhältnis zwischen
technischer Ermöglichung und dem vorgestellten, inneren Raum von Machbarkeit
und Verfügbarkeit bleibt so bisher nur wenig reflektiert.
Mit den Begriffen Hubigs basiert Politische Theorie jedoch, wenn sie das spezifisch Neue der digitalen Konstellation zu fokussieren versucht, in besonderem
Maße auf dem Möglichkeitsraum technisch vermittelter, politischer Handlungen.
Während die empirische Analyse eines einzelnen Sachverhalts mit der Performanz
von Technik beschäftigt ist, zielen die normative Verortung der Analyseergebnisse, deren gesamtgesellschaftliche Einordnung oder die Problematisierung möglicher
Ursachen und Folgen stets auf Verallgemeinerung und die Identifikation pfadabhängiger Entwicklungspotenziale. Zwar ist es dabei auch die Performanz, welche den
Möglichkeitsraum über Einschränkungs- und Ermöglichungserfahrungen dialektisch
mit formt. Die politiktheoretische Deutung von Technik ist jedoch auch die Analyse
ihres Potenzialcharakters, wenn anerkannt wird, dass diese über den zweckgerichteten Mitteleinsatz hinaus selbst strukturierend wirkt (s. oben; dazu auch: Hubig
2006, S. 143). Insbesondere normativ ausgerichtete Theorien digitaler Öffentlichkeit treffen dabei teils starke Annahmen über die epistemischen Dispositionen der
untersuchten Technik, indem sie die ihrer Nutzung zugrundeliegenden Zwecke aus
theoretischen Prämissen ableiten. Dies betrifft nicht nur die notwendige Einschränkung ihres Untersuchungsgegenstands auf einzelne Handlungsaspekte, etwa in der
Annahme, dass Akteur:innen digitale Medien zum Zweck der politischen Willensbildung nutzen. Es betrifft vor allem die Annahme, dass die (häufig aus prä-digitalen
Theorien abgeleiteten) Zwecke der Techniknutzung durch neue technische Möglichkeitsräume selbst keinerlei Veränderungen unterliegen. Dies ist etwa dann der Fall,
wenn davon ausgegangen wird, dass digitale Medien für dieselben Zwecke, auf dieselbe Art und mit denselben Intentionen genutzt werden wie analoge Medien der
Meinungs- und politischen Willensbildung. So wird verkannt, inwieweit sich im
Medium digitaler Technik neue politische Handlungsformen und Rationalitäten herausbilden, welche nach einer Neudefinition der spezifischen Merkmale politischer
Öffentlichkeiten in der digitalen Konstellation verlangen. Wird, im Gegenteil, jedoch von einer einseitigen Adaption der technischen Möglichkeiten ausgegangen,
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Technik als Weltbezug, Affordanzen als Reflexionsbegriff
laufen Theorien Gefahr, eine technikdeterministische Deutung anzulegen – etwa,
wenn das Potenzial algorithmischer Filterung notwendig zu einer eingeschränkten
Informationsdiät zu führen scheint, ohne die Möglichkeit ihrer gezielten Nutzung
für spezifische Zwecke in Betracht zu ziehen. In beiden Fällen wird nicht ausreichend reflektiert, inwiefern epistemische Dispositionen und technischer Möglichkeitsraum sich dialektisch strukturieren und die korrelativen Zweck-Mittel-Relationen mit technologischem Wandel so ebenfalls wandelbar werden. So zeigt sich
einerseits das epistemische Dilemma, durch welches die Analyse Gefahr läuft, ihren
Gegenstand zugunsten einer theoretischen Anschlussfähigkeit zu verkennen (vgl.
Alexander 1990). Andererseits zeigt sich das Problem der Singularität, bei welchem
eine technikdeterministische Interpretation den digitalen Wandel als autonome, akteursunabhängige Kraft verortet (Kaufmann und Jeandesboz 2017). Wollen Theorien
digitaler Öffentlichkeit jedoch der Spezifizität digitaler Technologien gerecht werden, müssen die der Technologie zugrundeliegenden epistemischen Dispositionen
freigelegt und gegebenenfalls mit jenen durch die Theorie vorgegebenen in kritische
Reflexion gesetzt werden. Wie sich zeigen wird, gilt dies insbesondere dann, wenn
empirische Studien herangezogen werden, um das Potenzial von Technik anhand ihrer Performanz analytisch zu erschließen. Hubigs differenzierter Technikbegriff hält
Ressourcen bereit, um dieses Verhältnis von Technik und Theorie in der digitalen
Konstellation genauer zu fassen. So ist es gerade Technik als Weltbezug, der Mittel
bereitstellt, welche die Umsetzung und Adaption von Zwecken ermöglichen, jedoch
nicht bedingen. Es ist eine Fokussierung dieser Korrelativität – nicht Kausalität –
von Mittel und Zweck, epistemischer Disposition und technischem Möglichkeitsraum, die eine präzise Analyse der Phänomene der digitalen Konstellation ermöglicht. Im Folgenden wird dies anhand einer Kritik des Technikdeterminismus, der
empirischen Untersuchung digitaler Phänomene sowie des Theorieperspektivismus
veranschaulicht. Als Beispiele dienen dabei jeweils Thesen und Beiträge zur Debatte
um digitale Öffentlichkeiten.
3.1 Technikdeterminismus
An einem Beispiel aus der Theorie digitaler Öffentlichkeiten zeigt sich besonders,
wie die spezifische Wirkung technischer Erwartungen den epistemischen Möglichkeitsraum auch in der Theoriebildung mitstrukturiert. Wie Bruns (2019b) bemerkt,
halten sich Theoretisierungen von Filterblasen, Echokammern und Algorithmen als
Helfershelfer antidemokratischer Akteur:innen trotz fehlender empirischer Belege
hartnäckig in der Diskussion um die politischen Effekte des Internets. Der technisch vermittelte (äußere) Möglichkeitsraum einer potenziellen Fragmentierung wird
positivistisch interpretiert, indem er die epistemischen Dispositionen (den inneren
Möglichkeitsraum) nicht nur informiert, sondern bestimmt. Das dialektische Verhältnis innerer und äußerer Medialität des Möglichkeitsraumes, welches epistemische
Dispositionen und technische Machbarkeit gegeneinander abwägt, bleibt unreflektiert und „kippt“ zugunsten einer Bestimmung der Dispositionen durch die Technik.
Nicht nur betrifft dies im Falle der Filterblasen und Echokammern die politische
Diskussion um die Regulierung digitaler Öffentlichkeiten, es verstellt auch den Weg
zu einer fundierteren Diskussion über die Ursachen der beschriebenen Phänomene:
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If there is a filter at all, then, it is not the algorithmic filter postulated by the
„filter bubble“ concept, which prevents us altogether from seeing „different“
content that runs counter to our own worldviews – rather, the more critical filter
exists (more weakly formed perhaps in the societal mainstream, more strongly
developed on the extreme fringes) in our heads, and variously leads us to adopt
dominant, negotiated, and oppositional stances (cf. Hall 1980) towards the information we encounter from a multitude of sources in our daily engagement
with a hybrid, multifaceted, multi-platform media environment. (Bruns 2019b,
S. 10)
Wird die Kontingenz des Möglichkeitsraumes von Technik, welcher Handlungen
zwar nach Maßgabe der ihm eigenen Regeln ermöglicht, jedoch nicht bedingt, vernachlässigt, läuft die Analyse so Gefahr, in Technikdeterminismus zu verfallen. Die
Vorstellung technisch vermittelter Fragmentierung als notwendig eintretendes Ereignis strukturiert so die von der Analyse identifizierten epistemischen Dispositionen.
Eine Gegenthese formuliert weiter Bruns, indem er die Ursache der Fragmentierung nicht in den Algorithmen, sondern bei den sie nutzenden Akteur:innen sucht.
Mit Hubig formuliert: Technische Systeme ermöglichen die Umsetzung von Handlungen auf Grundlage ihnen äußerer epistemischer Dispositionen. Auf der Ebene
der Performanz ermöglichen es Algorithmen so, Informationsflüsse auf die eigene
Weltsicht anzupassen, insoweit es den epistemischen Dispositionen der Nutzer:innen
entspricht. Das technische System, das Informationsströme so kuratiert und als ein
Teil der digitalen Öffentlichkeit interpretiert werden kann, ermöglicht die kontingente Aktualisierung spezifischer Handlungen – sie bedingt sie nicht. Und es lässt
sich ergänzen: Diese Handlungen werden nur in dem Maße umsetzbar, wie sie als
technisch möglich erscheinen. Gerade die Vorstellung technischer Möglichkeit ist
es jedoch, welche nicht nur die Techniknutzung, sondern auch eine theoretische
Verortung von Technik mitstrukturiert. Es ist erst die Reflexion dieses dialektischen
Verhältnisses von (inneren) epistemischen Dispositionen und technisch vermitteltem
(äußeren) Möglichkeitsraum, welche es gestatten kann, die ermöglichten Handlungen zu antizipieren, ohne die epistemischen Dispositionen, die sie anleiten, aus dem
Blick zu verlieren.
3.2 Die spezifische Messbarkeit digitaler Phänomene
Diese Überlegungen gelten insbesondere auch für den historischen Vergleich. Soll
dieser der Identifikation des (wie auch immer gearteten) transformativen Charakters
digitaler Technologie dienen, muss er, will er sich auf empirische Erkenntnisse
stützen, deren epistemische Grundlagen sowohl im Sinne der Dispositionen (Was
wird warum untersucht?) als auch im Sinne der Verfügbarkeit von Messinstrumenten
(Wie kann und konnte es untersucht werden?) reflektieren. Und diese Reflexion
muss sowohl für das neue, digitalisierte Phänomen als auch den War-Zustand prädigitaler Vergangenheit erfolgen, wenn eine Idealisierung dieser Vergangenheit als
epistemischer blinder Fleck der Messbarkeit vermieden werden soll.
Dies betrifft, um bei dem Beispiel zu bleiben, insbesondere die Nachweisbarkeit
von Echokammern auf sozialen Medien. Nicht nur differenziert sich deren Bewer-
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Technik als Weltbezug, Affordanzen als Reflexionsbegriff
tung je nach demokratietheoretischem Ausgangspunkt. Auch ist ihre empirische
Evidenz deutlich abhängig vom politischen, nationalen und zeitlichen Kontext – um
von der Repräsentativität selbst-selektierter Nutzer:innen auf sozialen Medien ganz
zu schweigen (Rau und Stier 2019). Gleichzeitig bleibt ein substanzieller Nachweis,
dass analoge Öffentlichkeiten in prä-digitalen Zeiten grundlegend weniger fragmentiert waren und sind, bisher noch aus. Dies bedingt sich nicht nur durch das Problem
einer retrospektiven Messung, sondern auch durch den Umstand, dass die spezifischen Beschränkungen der technischen Vermitteltheit dessen, was gemeinhin unter
einer analogen „öffentlichen Meinung“ mit ihren bilateralen Gesprächen, Umfragen
und Leitartikeln verstanden wird, eine Messung nicht in demselben Maße zulässt
wie das Medium digitaler Technik. Der empirische Nachweis von fragmentierten
digitalen Öffentlichkeiten (bzw. die Erwartbarkeit eines solchen Nachweises) baut
hingegen auf den Möglichkeiten auf, diese Handlungen im digitalen Raum nachzuvollziehen und zu analysieren. So lässt sich danach fragen, welche Phänomene durch
die Möglichkeit ihrer Messung überhaupt erst sichtbar werden und wie die Auswahl
von Daten und Methoden die Ergebnisse mitbestimmt.5 Es ist also die (implizite)
Konzeptualisierung von Technik auf Grundlage ihres (spezifisch technisch vermittelten) Möglichkeitsraums, welche eine Analyse von Technik in ihrer Performanz
dialektisch mitstrukturiert. Gleichzeitig sind es gerade die in der empirischen Analyse freigelegten spezifischen Einschränkungs- und Ermöglichungserfahrungen der
Performanz eines technischen Systems, welche in der Verallgemeinerung und möglichen normativen Verortung explizit die Möglichkeitsräume von Machbarkeit und
Verfügbarkeit informieren. Über die korrelativen Mittel-Zweck-Relationen epistemischer Dispositionen und technischen Möglichkeitsraums lässt sich jedoch reflektieren, welche Rolle der spezifisch technischen Vermitteltheit der Analyse – nicht
nur der Nutzung – technischer Systeme zukommt.
So scheint die zunehmende Polarisierung ein Phänomen zu sein, welches mit
Digitalisierung zumindest einhergeht. Es fehlt jedoch der eindeutige Nachweis, dass
sie durch diese bedingt ist. Stattdessen ist es möglich, dass Phänomene der Fragmentierung zwar durch digitale Technik sichtbar werden und sich in ihnen teilweise
realisieren, ihre Ursache jedoch in den epistemischen Dispositionen gesucht werden
muss, welche die Nutzung dieser Technik informieren – etwa langanhaltende gesellschaftliche Dekohäsionsprozesse, welche ein Bedürfnis nach Gemeinschaft wecken,
das sich in virtuellen Räumen auf neue Art entfalten kann. Dass die entstehende
Fragmentierung als genuin oder gar ursächlich digital eingeordnet wird, ist dabei
nicht zuletzt auf die spezifische, technisch vermittelte Messbarkeit dieser Phänomene im digitalen Raum zurückzuführen. Wollen Theorien digitaler Öffentlichkeit
für die Einordnung digitaler Phänomene also auf empirische Studien zurückgreifen,
müssen sie nicht nur die spezifische Sichtbarmachung von Dynamiken durch digitale
Technik, ihre Datengrundlage und Analysetechniken reflektieren. Sie müssen auch
Konzepte entwickeln, wie mittels digitaler Analysetechniken sichtbar gemacht werden kann, welche epistemischen Positionen der Nutzer:innen sich im Zusammenspiel
5 Diese Überlegungen schließen daran an, was in der Methodendiskussion der Sozialwissenschaften als
Paradigmenwechsel, respektive epistemische Herausforderung, angesichts der Verfügbarkeit umfassender
digitaler Daten diskutiert wird (Kitchin 2014; Resnyansky 2019; Kinder-Kurlunda 2020).
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T. König
von Erwartung an Technik und Realisierung von Handlungen mittels Technik realisieren. Erst so kann auf jene zugrunde liegenden gesellschaftlichen Veränderungen
rekurriert werden, welche mit der, nicht durch die, Digitalisierung eintreten.
3.3 Theorieperspektivismus
Die Kritik einer durch die technischen Möglichkeiten digitaler Phänomene strukturierten Epistemologie und Theorie kann jedoch nur einen ersten Schritt der Reflexion
darstellen. Parallel muss danach gefragt werden, wie die epistemischen Dispositionen spezifischer Theorien und ihrer Deutungsangebote – ihr vorgestellter, „innerer“
Raum von Machbarkeit und Verfügbarkeit (Hubig 2006, S. 121) – erst definieren,
was unter den Bedingungen des technisch Möglichen als Ursache identifiziert werden kann. Innere (epistemische) und äußere (technisch vermittelte) Medialität des
Möglichkeitsraumes stehen für Hubig in einem dialektischen Verhältnis, das sich
in der Handlung und den dabei entstehenden Irritationen aktualisiert (s. oben). So
ist es gerade die Materialität von Technik, welche als „Spur“ unerwartete positive
oder negative Effekte hinterlässt und so immer wieder neu definiert, was als möglich erscheint. Nachdem oben die Gefahr einer einseitigen Überhöhung der äußeren
Medialität des Möglichkeitsraumes von Technik in Form von Technikdeterminismus reflektiert wurde, muss nun die Gefahr einer Auslassung jener Materialität zugunsten einer Überhöhung seiner inneren Medialität behandelt werden. Eine solche
einseitige Strukturierung des Möglichkeitsraums durch die epistemischen Dispositionen möchte ich mit dem Begriff Theorieperspektivismus benennen. Ronald Giere
weist in seinem Programm des wissenschaftlichen Perspektivismus darauf hin, dass
Modelle und Theorien nicht am Maßstab der Wahrheit im Sinne einer (unerreichbaren) Deckungsgleichheit von Modell und Realität, sondern lediglich anhand ihrer
(zweckgebundenen) Ähnlichkeit mit einer wie auch immer gearteten Realität gemessen werden können (Giere 2006, S. 64–67). Ebenso spricht Hubig von Modellen als
„pragmatische[n] Abstraktionen“ im Sinne einer sinnvollen Vereinseitigung (Hubig
2006, S. 199). Es soll mit dem Begriff des Theorieperspektivismus also keineswegs in Abrede stehen, dass eine Fokussierung auf theoriebedingt hervorzuhebende
Aspekte der Potenzialität von Technik und technischen Systemen sowohl zielführend
im Sinne des Erkenntnisgewinns als auch zweckdienlich im Rahmen der Analyse
sein kann. Ich möchte dennoch den Fokus auf das Verhältnis von Theorie als einem gefassten Set epistemischer Dispositionen gegenüber dem Raum technischer
Möglichkeiten lenken, um die Theoretisierung von Technik als „moving target“ in
ihrer Spezifität im Sinne einer ausreichenden Realitätsähnlichkeit zu gewährleisten.
Erst eine solche Reflexion des Möglichkeitsraums kann eine Einordnung der Performanz von Technik informieren, welche nicht Gefahr läuft, technische Phänomene
theoretisch zu überformen und so in ihrer Materialität zu verkennen.
Bei Betrachtung der Theoretisierung digitaler Öffentlichkeit fällt auf, dass neben der oben genannten technikdeterministischen Vereinnahmung eine Tendenz vorherrscht, technische Neuerungen im Rahmen vorherrschender Paradigmen zu interpretieren und so starke Annahmen über die epistemischen Dispositionen der Techniknutzung zu treffen. Dies betraf und betrifft sowohl den Diskurs um die normative
Einschätzung des Internets (Dahlberg 2011), als auch die Interpretation durch Di-
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Technik als Weltbezug, Affordanzen als Reflexionsbegriff
gitalisierung im Wandel befindlicher politischer Öffentlichkeiten (Rasmussen 2014;
Ritzi 2019). Je nach demokratietheoretischer Position kann eine zunehmend fragmentierte Öffentlichkeit so, aus agonaler Sicht, sowohl als Bedingung der progressiven Anfechtung hegemonialer Diskurse, als auch, aus deliberativer Perspektive, als
existenzielle Bedrohung für die normative Basis der Demokratie gelten (Kaya 2020).
Unterschiedliche Auslegungen derselben technischen Systeme sind nicht zwingend
problematisch, weisen sie doch auf unterschiedliche theoretische Prämissen hin, welche die Grundlage für eine historische und kontextuale Einordnung bieten können.
Neben der oben genannten Problematik historischer Vergleichbarkeit digitaler Technik aufgrund ihrer spezifischen Messbarkeit sei jedoch auch auf das hingewiesen,
was Borucki et al. (2020) als die „Anerkennung digitaler Funktionslogik“ benennen:
[Die These], dass eine adäquate Theoretisierung und Auseinandersetzung mit
der Digitaldemokratie nur funktionieren kann, wenn man ihre neuen Funktionslogiken anerkennt, statt umgekehrt, die bekannten Konzepte aus der vordigitalen Zeit lediglich als „verstärkt“ oder „abgeschwächt“ durch die Digitalisierung
zu verstehen. (Borucki et al. 2020, S. 360)
Es sind gerade die epistemischen Dispositionen, welche, wenn sie aus theoretischen Prämissen abgeleitet werden, Gefahr laufen, die Zwecke und Rationalitäten prä-digitaler Strukturen unkritisch auf die Analyse digitaler Technologie zu
übertragen, anstatt deren Veränderlichkeit anzuerkennen. Die Konzeptualisierung
von Technik als strukturiertem Möglichkeitsraum, welcher sich im dialektischen
Verhältnis von epistemischen Dispositionen einerseits und technischer Machbarkeit
und Verfügbarkeit andererseits aktualisiert, erlaubt es hingegen, deren korrelatives
Verhältnis zu fokussieren. Anstatt ein technisches System unter bereits gesetzten
epistemischen Dispositionen zu lesen und ihm so eine Interpretation gewissermaßen
„überzustülpen“, kann eine Zerlegung des Verhältnisses von Theorie und Technik
gewährleisten, dass die Materialität der Technik als ihre theorieunabhängige Widerständigkeit identifiziert wird, welche ihrerseits die Rationalitäten und Zwecke der
Techniknutzung formt, jedoch nicht bestimmt. In einem zweiten Schritt kann dann
gefragt werden, inwiefern diese Materialität nach einer Adaption der theoriebedingt
unterstellten epistemischen Dispositionen verlangt, um eine gegenstandsangemessene Theoretisierung zu gewährleisten. Erst so kann die Analyse der Performanz
von Technik konkrete Phänomene theoretisch präzise einordnen und letztlich auch
normativ bewerten.
So erscheint es zunehmend wahrscheinlicher, dass es sich bei der Digitalisierung politischer Prozesse weniger um einen technikinduzierten „historic sea change“
(Keane 2011, S. 212) handelt, als um eine graduelle Adaption bestehender Rationalitäten, Techniken und Erwartungen an eine stets im Wandel befindliche digitale
Infrastruktur (Jungherr et al. 2020). Technologischer Wandel ist somit nicht Ursache
des Wandels politischer Prozesse, sondern dessen Ermöglicher unter spezifischen
Bedingungen – eine Veränderung der technischen Medialität, deren spezifische Formen erst Gegenstand der Analyse sein können. Dieser Sachverhalt wurde bereits
unter dem Begriff des Technikdeterminismus diskutiert. Gerade ein mangelndes Bewusstsein für die Korrelativität der Zwecke und (technischen) Mittel lässt technologischen Wandel jedoch als besonders einseitigen Treiber gesellschaftlichen Wandels
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T. König
erscheinen und unterschlägt, dass sich die Rationalität politischen Handels ebenso
graduell an ihren technischen Möglichkeitsraum anpasst wie sie ihn formt. Am Beispiel der Filterblasen zeigt sich so besonders deutlich, wie das Problem mangelnder
Spezifität, welches häufig mit Technikdeterminismus einhergeht, mit dem „epistemischen Dilemma“ und dem Problem des Theorieperspektivismus gemeinsam auftreten
kann: Vermeintlich notwendig eintretende Filterblasen werden anhand theoretischer
Kategorien verortet, welche die Spezifität digitaler Technik nicht ausreichend berücksichtigen. Die Vor- oder Nachteile digitaler Phänomene werden so anhand ihrer
Deckungsgleichheit mit (häufig idealisierten) analogen Phänomenen und Rationalitäten bewertet, ohne zu reflektieren, inwieweit digitale Technik nach einer Neuformulierung dessen verlangt, was politische Öffentlichkeit in modernen Gesellschaften
konstituiert (etwa bei: Dahlberg 2011; Rasmussen 2014; Ritzi 2019; Kaya 2020).
Im Gegensatz dazu verlangt ein Verständnis von technologischem Wandel als einer
Erweiterung des Möglichkeitsraumes nach einer Reflexion des Verhältnisses technologischer Möglichkeiten und epistemischer Dispositionen, um analytische – und
letztlich auch normative – Positionen angesichts, nicht entgegen, den Bedingungen
der digitalen Konstellation zu erarbeiten. Ansonsten läuft die Analyse Gefahr, das
spezifisch Neue, welches sich in der Materialität digitaler Technik niederschlägt,
zugunsten eines Narrativs theoretischer Kontinuität zu verkennen.
4 Affordanzen als Reflexionsbegriff
Die Herstellung einer solchen Responsivität zwischen Theorie und Technik verlangt
nach einem Reflexionsbegriff, welcher sich zugunsten eines praktischen Zugriffs auf
den Gegenstand von der Ebene der technikphilosophischen Reflexion als „theoretische Fokussierung auf einen Aspekt praktischer Welterschließung“ (Hubig 2006,
S. 25, meine Hervorhebung) lösen muss, ohne deren begriffliches Instrumentarium
aufzugeben. Reflexionsbegriff meint hier: die Herstellung von Responsivität zwischen zwei in dialektischer Beziehung stehenden Teilaspekten anhand eines die
Analyse anleitenden Konzepts. Es fragt sich allerdings, auf welcher Ebene eine solche Reflexion ansetzen sollte. Technik als konkretes Phänomen kann immer nur in
ihrer Form, der instrumentellen Handlung, erfahren werden. Ihre Medialität, welche
in den Kategorien des inneren und äußeren Möglichkeits- und Wirklichkeitsraum
analysiert wurde, muss Gegenstand einer theoretischen Reflexion bleiben. Um die
Spezifität der Untersuchung zu gewährleisten, muss jedoch notwendigerweise danach gefragt werden, welche konkreten Formen ein Phänomen annimmt. Ein solcher
Fokus auf die spezifische Form legt eine Verschiebung der bisherigen Diskussion
um die Vermittlungsrolle von Technik im Möglichkeitsraum hin zu einer näheren
Betrachtung des Wirklichkeitsraums von Technik, ihrer Performanz, nahe, da die instrumentelle Handlung stets in real existierenden technischen Systemen stattfindet.
Es braucht also weiterhin einen Reflexionsbegriff, welcher die Ebene der Performanz
in den Blick nimmt, ohne die Rolle von Technik in dem die Handlung informierenden Möglichkeitsraum zu leugnen.
Der Begriff der Affordanzen erscheint als geeignetes Mittel, eine solche Reflexion
technischer Vermitteltheit am konkreten Gegenstand zu leisten, ohne mit den bishe-
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Technik als Weltbezug, Affordanzen als Reflexionsbegriff
rigen Überlegungen zur Medialität von Technik im Widerspruch zu stehen. Davis
und Chouinard (2016) weisen zu Recht auf die zahlreichen, häufig widerstreitenden Definitionen des Begriffs hin. Mit seiner dedizierten Stellungnahme zwischen
deterministisch-realistischen und konstruktivistischen Positionen, in welcher er die
Verflechtung sozialer Prozesse und technischer Eigenschaften betont (Hutchby 2001,
S. 442), erscheint Hutchbys Definition von Affordanzen am geeignetsten, um die
vorliegenden Probleme zu bearbeiten. Im Anschluss an Gibson (1979) definiert dieser Affordanzen als
functional and relational aspects which frame, while not determining, the possibilities for agentic action in relation to an object (Hutchby 2001, S. 444).
Die soziale Vermitteltheit der Affordanzen bei Hutchby, insbesondere ihre Erlernbarkeit sowie die intentionale Geschaffenheit als Design (Hutchby 2001, S. 448f.),
korrespondieren mit der angeführten Konzeptualisierung der Möglichkeitsräume von
Technik, welche unsere Aufmerksamkeit auf die Interpretation materieller, auf Wiederholbarkeit ausgelegter Gegebenheiten lenkt. Die Widerständigkeit jener Gegebenheiten, die Hutchby mit seinem Affordanz-Begriff hervorhebt (Hutchby 2001,
S. 447), könnte ebenso als „Erfahrung der Differenz zwischen vorgestelltem und
realisierten Zweck“ (Hubig 2013, S. 122) beschrieben werden. In der Handlung
zeigt sich, welche realen Handlungsoptionen ein Artefakt gestattet und verweist
so die vorgestellte, innere Medialität von Möglichkeits- und Wirklichkeitsraum in
ihre Schranken. Der Begriff der Affordanzen steht dabei in keinem Widerspruch
zum medialen Charakter von Technik: Die äußere Medialität von Möglichkeits- und
Wirklichkeitsraum gibt den Raum loser Kopplungen vor, welche vorgestellt und real
als die fest gekoppelten Formen instrumenteller Handlungen auftreten können. Die
Analyse der Affordanzen erlaubt es, diese möglichen Formen auf Grundlage ihrer
Materialität zu spezifizieren, ohne den medialen Charakter der Technik und damit
die Kontingenz der Handlungen zu leugnen. Ein Hammer kann zum Einschlagen
eines Nagels und zum Graben eines Loches verwendet werden, jedoch ist eine dieser beiden Verwendungsweisen – je nach Zielsetzung und Handlungsalternativen –
wahrscheinlicher. Und dies nicht zuletzt, da die Nutzungsweise eines Hammers sozial vermittelt und erlernt ist. Dieser Aspekt der Wahrscheinlichkeit, das „Framing“
der Handlungsmöglichkeiten (Hutchby 2001, S. 444), erlaubt es uns, zu einem gewissen Grad die Formen vorauszusagen, die das Medium einer bestimmten Technik
tatsächlich annimmt. Die Analyse muss also nicht auf der Ebene aller möglichen
Handlungsoptionen verbleiben, sondern kann auf jene zugespitzt werden, welche in
einem spezifischen Kontext als wahrscheinlich erscheinen. Affordanzen gestatten es
somit, die spezifische Medialität einer spezifischen Technologie (etwa einer digitalen
Kommunikationsplattform) zu analysieren. Als Reflexionsbegriff des Wirklichkeitsraums dienen sie so dazu, die Performanz von Technik einerseits in ihrer sozialen
Vermitteltheit, als Funktionsideen und Erwartungen an Technik, andererseits in ihrer
Materialität, als real existierende, Handlungen ermöglichende und verunmöglichende Infrastrukturen, zu analysieren. So erlauben es Affordanzen als Bedingung intentionaler Handlungen („agentic action“, (Hutchby 2001, S. 444)), die Analyse auf die
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T. König
konkrete Ebene sozialer Interaktion als Gegenstand der Theorie zu fokussieren.6 Als
Reflexionsbegriff des Möglichkeitsraums erlauben sie es jedoch auch, die epistemischen Dispositionen einer Theorie an ihrer äußeren Medialität – also an dem, was
unter den gegebenen Bedingungen technisch möglich und wahrscheinlich erscheint –
zu reflektieren. Berg et al. sprechen in diesem Sinne auch von einer Generalisierbarkeit „praktisch realisierter Affordanzen“ (Berg et al. 2020, S. 184). Der Begriff
der Affordanzen verbindet somit die Ebene des Möglichkeits- und Wirklichkeitsraums und gestattet es, die epistemischen Dispositionen einer Theorie anhand der
im Wirklichkeitsraum stattfindenden instrumentellen Handlungen zu reflektieren.
Gleichzeitig erlauben sie es, Akteur:innen und ihre Agency innerhalb einer systemischen Darstellung von Technik zu verorten und so anschlussfähig für konkrete
politikwissenschaftliche Analysen zu bleiben.7
Das Konzept der Affordanzen ermöglicht es somit, die epistemischen Dispositionen einer Theorie in der Interpretation einer konkreten Technologie zu hinterfragen und gegebenenfalls zu justieren. Darüber hinaus erlaubt die Fokussierung auf
die wahrscheinlichen, sozial eingebetteten Handlungsoptionen einer Technologie es,
spezifisch mögliche Formen (d. i. Handlungen) zu kontextualisieren. Die Analyse
ist dem technischen Möglichkeitsraum somit nicht (epistemologisch) „ausgeliefert“,
sondern kann ihn daraufhin befragen, wie und in welchem Kontext die Formen dieser
Medialität auftreten. Anstatt die epistemischen Dispositionen (den inneren Möglichkeitsraum) mit dem äußeren Möglichkeitsraum technischer Vermittlung gleichzusetzen, wie es etwa Sunstein (2017) in der Proklamation technisch möglicher, aber
empirisch kaum nachweisbarer Echokammern auf digitalen Plattformen tut (Bruns
2019b), kann über die Reflexion der Affordanzen gefragt werden, welche konkreten
Formen des Mediums sich wahrscheinlich manifestieren und welche epistemischen
Dispositionen diese Formen der Nutzung informieren. Gleichzeitig bleibt die Theorie
so anschlussfähig für empirische Analysen, welche nicht mehr nur nach den möglichen Formen, also den potenziellen Ausprägungen eines Mediums, fragen, sondern
ihre tatsächlich auftretenden Formen als Manifestation konkreter (etwa kommunikativer) Handlungen im Rahmen der Möglichkeiten des Mediums untersuchen.
Mittels des Konzepts der Affordanzen können tatsächlich auftretende Handlungen
bereits auf Grundlage des Möglichkeitsraumes antizipiert werden, ohne in epistemologische Kurzschlüsse zu verfallen. Die Reflexion der wahrscheinlich auftretenden
Handlungen in einem spezifischen Kontext erlaubt es so, die unveränderliche Materialität unseres Gegenstands zu fassen und theoretische Erwartungen entsprechend
anzupassen. Erst so kann Theorie in der digitalen Konstellation eine ausreichende
Spezifität in der Analyse digitaler Phänomene erreichen.
6
Hutchbys Fokussierung auf menschliche Agency (vgl. Hutchby 2001, S. 444) schließt dabei an Hubigs
Kritik an Luhmanns Akteursvergessenheit an: „[...] die Autopoiesis von sozialen Systemen einschließlich
ihrer technischen Optimierung, wie sie Luhmann in Teilen nachgezeichnet hat, [ist] nicht ohne diejenigen
Akteure denkbar, die jeweils im Schnittpunkt zahlreicher Systeme stehen und im Zuge ihres Agierens feste
Kopplungen realisieren, die das jeweilige System mit neuen Formen anreichern.“ (Hubig 2006, S. 183).
7 Faraj und Azad sprechen in diesem Zusammenhang auch von einer Überbrückung des „structure-agency
split“ (Faraj und Azad 2013, S. 240).
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Technik als Weltbezug, Affordanzen als Reflexionsbegriff
5 Skizzen einer reflexiven Epistemologie
Um eine derart angelegte, reflexive Epistemologie für Theoriebildung in der digitalen Konstellation zu skizzieren, folgt nun eine kurze Interpretation technischer
Systeme unter dem Gesichtspunkt politischer Öffentlichkeit. Als Beispiel dient die
Plattform Twitter, die trotz geringer Durchdringung im deutschsprachigen Raum
(Newman et al. 2019, S. 87) mit am häufigsten untersucht und insbesondere mit
dem Konzept digitaler Öffentlichkeit in Verbindung gebracht wird. Dies lässt sich
neben der Rezeption von Tweets durch etablierte Medien (Ross und Dumitrescu
2018) und der zunehmenden Bedeutung für Wahlkämpfe (Jungherr 2016) auch auf
den vergleichsweise einfachen Zugriff auf umfassende Nutzungsdaten durch Forschende zurückführen – insbesondere, nachdem Facebook einen solchen Zugriff im
Rahmen des Cambridge Analytica-Skandals quasi verunmöglichte (Bruns 2019a).
Über die Affordanzen der Plattform soll ihr technischer Möglichkeitsraum analysiert und so die zugrundeliegenden epistemischen Dispositionen reflektiert werden.
Diese Reflexion hilft dabei, empirische Erkenntnisse im Rahmen der Theoriebildung
einzuordnen sowie theoretische Dispositionen kritisch zu hinterfragen. Erst so kann
einem Mangel an Spezifizität in der Analyse vorgebeugt werden.
Bei Betrachtung der Affordanzen von Twitter wird deutlich, dass die Plattform
sowohl Eigenschaften eines Informations- als auch eines sozialen Netzwerks aufweist. Die schnelle Diffusion kurzer Nachrichten (Tweets) durch Retweets wird
mittels Following-Verhalten realisiert, was die Verbreitung von Informationen auf
die Grundlage von Follower-Netzwerken stellt (Kwak et al. 2010). Aufgrund der
Plattformarchitektur ist eine Einflussverteilung zugunsten profilierter Accounts zu
beobachten (eine Power Law Verteilung), die als zentrale Weichen für die Informationsströme dienen. Gleichzeitig sind Möglichkeiten der Gemeinschaftsbildung durch
eigene Follower-Netzwerke gegeben (Myers et al. 2014). Die thematische Fokussierung der Inhalte wird mittels Hashtags realisiert, welche auch netzwerkübergreifend
Aufmerksamkeit generieren können (Bruns und Burgess 2015). Potenziell deliberative Prozesse werden durch öffentliche Kommentare, kommentierte Retweets und
direkte Erwähnungen anderer Nutzer:innen ermöglicht. Ein Zugriff auf die Daten
der Plattform durch Forschende erfolgt in der Regel durch einen von Twitter selbst
bereitgestellten und damit bereits verregelten API-Zugang.
Werden diese Affordanzen unter der Perspektive einer Theorie politischer Öffentlichkeiten betrachtet, fällt auf, dass die Hybridisierung von Informations- und
sozialem Netzwerk als technisches System ein Phänomen ist, welches zwar in sozialer Interaktion, analogen Räumen und Medien immer bereits realisiert wurde,
jedoch mittels Digitalisierung auf neue Art und in neuem Umfang technisch realisiert werden konnte. Die persönliche Kuratierung von Informationsströmen, die
durch das Folgen anderer Nutzer:innen auf Twitter realisiert wird, ist auf der technischen Seite „analoger“ Öffentlichkeiten (im Sinne von Zeitungen, öffentlichen
Debatten etc.) nur in dem Maße über räumliche und zeitliche Distanzen hinweg
möglich, wie sich zwischen vorhandenen Intermediären entschieden werden kann,
welche eine solche Kuratierungsleistung bereits teilweise vorwegnehmen. Mit der
digitalen Öffnung der Informationskanäle als Many-to-Many-Kommunikation und
dem Zugriff auf alle anderen Nutzer:innen als Informationsquellen wird die persön-
K
T. König
liche Kuratierung zur zentralen Anforderung an eine heterogene Medienlandschaft
(Thorson und Wells 2016). So bauen für Twitter alle weiteren Funktionen, etwa der
Gemeinschaftsbildung, Deliberation und Weiterverteilung von Informationen, auf
dieser Kuratierung auf. Es ist also jene Kuratierungsleistung, die durch die spezifisch digital ermöglichte Many-to-Many-Kommunikation technisch realisiert wird,
welche als gegenüber analogen Öffentlichkeiten entscheidend neue Affordanz digitaler Plattformen identifiziert werden kann. Eine Affordanz ist sie in dem Sinne, dass
sie sich performativ im Zwischenspiel von Nutzer:innenerwartungen und -verhalten
einerseits, der Ermöglichung durch real vorhandene technische Infrastrukturen andererseits, realisiert. Auf Ebene der inneren Medialität des Möglichkeitsraums (der
epistemischen Dispositionen) der Nutzenden wäre dies das Bedürfnis nach einer
Kuratierung der Informationsströme; dessen äußere Medialität die Vorstellung, dass
diese Leistung mittels der Plattform technisch möglich ist. Auf Ebene des Wirklichkeitsraums besteht die innere Medialität in den konkreten Kuratierungszielen
(etwa spezifischen Nachrichtenkategorien), die äußere Medialität in der konkreten
Infrastruktur der Plattform Twitter, welche die realen Mittel zur Umsetzung dieser
Zwecke bereitstellt. In der instrumentellen Handlung der Kuratierung von Nachrichtenströmen auf der Plattform realisiert sich so der Zweck anhand konkreter
Mittel. Gleichzeitig aktualisieren sich innere und äußere Medialität – etwa, indem
neue Funktionen entdeckt werden, welche neue Kuratierungsziele generieren oder
Erwartungen an die Funktionsweise der Plattform enttäuscht werden. So werden
auch Optimierungsleistungen möglich, welche die Plattformarchitektur weiter an
die Bedürfnisse und Erwartungen der Nutzer:innen anpassen.
Wird davon ausgegangen, dass die zentrale Affordanz der Selbstkuratierung notwendig in eine Fragmentierung von Öffentlichkeit mündet, wie es etwa Sunstein tut,
ignoriert dies nicht nur die Performanz des Technischen in Form empirischer Evidenz, sondern auch die Agency der Nutzer:innen, welche aufgrund persönlicher Präferenzen und der (vorgestellten) Möglichkeiten ihrer Realisierung mittels des technischen Systems Handlungen realisieren. Die Übertragung der Verantwortung für die
Kuratierung von Informationsflüssen auf die Nutzer:innen beinhaltet, dass lock-in
Effekte abgeschlossener Informationsumgebungen möglich sind, jedoch nur in dem
Maße auftreten, wie diese sich dafür (mehr oder weniger bewusst) auf Grundlage
ihrer epistemischen Dispositionen entscheiden. Neue Formen der Selbstselektion
von Informationsumgebungen können sich so auf digitalen Plattformen wie Twitter
realisieren, bedingen sich jedoch nur in dem Maße in deren Architektur, wie diese
bereits vorhandene Präferenzen ermöglicht. Die Frage ist also nicht, inwiefern digitale Plattformen neue Formen der Fragmentierung bedingt, sondern wie sich bereits
vorhandene Tendenzen im Verhältnis von Nutzer:innenpräferenzen und Funktionserwartungen neu realisieren. Diese neuen Formen informationeller Selbstkuratierung
müssen dabei auch im Rahmen einer multimedialen Informationsumgebung und
dem sich daraus ergebenden „multioptionale[n] Kontinuum“ (Borucki et al. 2020,
S. 369) analoger und digitaler Mediennutzung zur Realisierung divergenter Zwecke
eingeordnet werden. Es ist also das Konzept der Affordanzen, welches eine Rückbindung der theoretischen Konzeptualisierung von Technik an ihre spezifischen, real
auftretenden Nutzungsweisen ermöglicht und so eine technikdeterministische Lesart
vermeiden kann. Die Trennung in innere und äußere Medialität von Möglichkeits-
K
Technik als Weltbezug, Affordanzen als Reflexionsbegriff
und Wirklichkeitsraum erlaubt es dabei einerseits, auf der Ebene der Performanz
aufzuschlüsseln, wie sich spezifische Affordanzen im Nutzer:innenverhalten realisieren. Andererseits ist es so möglich offenzulegen, inwieweit diese Ebene der
Performanz durch die Möglichkeitsräume digitaler Technik strukturiert wird und
diese wiederum dialektisch mitbestimmt. So kann reflektiert werden, inwiefern die
durch eine spezifische Theorie unterstellten epistemischen Dispositionen, insbesondere die Zwecke der Techniknutzung, dem Gegenstand angemessen sind – oder eine
Revision benötigen.
Bei Betrachtung digitaler Öffentlichkeiten aus einer empirischen Perspektive wird
so deutlich, dass nur jene Phänomene zutage treten, die der untersuchten Plattform
spezifisch zu eigen sind und im Rahmen des (im Falle von Twitter spezifisch verregelten) Zugangs zu den ihr eigenen Daten analysiert werden können. Die Kuratierungsfunktion von Twitter beruht auf der Follow-Funktion der Plattform, welche es
Nutzer:innen ermöglicht, ihre spezifischen Interessen über den Konsum der Nachrichteninhalte anderer Nutzer:innen abzubilden. Diese Kernfunktion der Plattform
darf jedoch nicht verkannt werden und die, netzwerktheoretisch gesprochen, Nähe der Nutzer:innen zueinander mit analogen Prozessen der Gemeinschaftsbildung
gleichgesetzt werden, nur da die Plattform auch Möglichkeiten des sozialen Austauschs bietet. Die Analyse läuft sonst Gefahr, empirische Artefakte zu produzieren,
welche notwendigerweise auf eine Fragmentierung nicht nur der Informationsumgebungen einer Plattform, sondern der Gesellschaft als ganzer hinweisen. Stattdessen
muss danach gefragt werden, welche Dispositionen sich wie in der Plattformnutzung
niederschlagen, wie diese gemessen werden können und wie sich die Phänomene
einer Plattform zu einer diversen Medienlandschaft verhalten. Ohne eine solche Reflexion der Spezifität der zutage tretenden Phänomene muss jede Art des Vergleichs
unzulänglich bleiben.
Das, was normativ aufgeladen als „Disruption“ oder „Turbulenz“ einer Öffentlichkeit gefasst wird (Bennett und Pfetsch 2018; Margetts 2019), welche durch den
Wandel des technischen Möglichkeitsraums für ihre politische Kommunikation in
abnehmenden Maß auf tradierte Intermediäre zurückgreifen muss (vgl. Eldridge II
et al. 2019), lässt sich ebenso – unaufgeregter – als eine Veränderung der Medialität
der technischen Systeme fassen, welche ihre eigenen Regeln der Machtverteilung
produziert, ohne diese aufzulösen (vgl. Jungherr 2016; Engelmann et al. 2019).
Um die tatsächlichen gesellschaftlichen Auswirkungen der untersuchten Phänomene scharf zu stellen, sollten die Spezifika des Gegenstands analysiert und dessen
epistemische Dispositionen in ein kritisch-reflexives Verhältnis mit denen der angelegten Theorie gesetzt werden. Mit Blick auf Öffentlichkeitstheorien ist so nicht nur
fraglich, ob eine heterogene, debattierenden Öffentlichkeit wirklich zu einer weniger
polarisierten Gesellschaft beiträgt (Bail et al. 2018). Ebenso sollte gefragt werden,
was die Funktionslogik von Öffentlichkeit auf digitalen Plattformen unabhängig
aller Idealisierung konstituiert. Es scheint nicht das normative Ideal einer deliberierenden Gemeinschaft, sondern eher die Ratio einer Verbreitung von Informationen
auf Grundlage anhaltender Interaktion zu sein, welche sich in der spezifischen Architektur der Plattform Twitter niederschlägt. Das stellt die Frage in den Raum,
welcher theoretische Rahmen die für eine Einordnung digitaler Phänomene geeigneten epistemischen Dispositionen vorgibt. Das für empirische Analysen geeignetere
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T. König
theoretische Konzept scheint sich so tatsächlich weniger bei Habermas’ (1990) deliberativer Öffentlichkeitskonzeption zu finden als bei Warners (2002) Konzept einer
auf Zirkulation basierenden kommunikativen Öffentlichkeit, ist es doch gerade die
Verbreitung von Nachrichten, nicht der Austausch von Argumenten zum Erreichen
eines Konsens, welche in die Architektur der Plattform eingeschrieben ist. Eine
normative Bewertung und historische Einordnung der untersuchten Phänomene soll
damit keineswegs verneint werden. Theorie in der digitalen Konstellation muss, will
sie eine präzise Analyse liefern, jedoch zuallererst ihren Gegenstand mit geeigneten
Begriffen und Konzepten scharf stellen um dessen gesellschaftliche Auswirkungen
abschätzen zu können. Dies gilt in besonderem Maße für (digitale) technische Systeme, welche als Technik ihren eigenen Möglichkeitsraum definieren und so einen
spezifischen Weltbezug darstellen.
6 Fazit
Es wurde gezeigt, wie Technik in ihrer Medialität einen Weltbezug darstellt, welcher die Möglichkeitsräume und somit die korrelativen Mittel-Zweck-Relationen
von Handlungen in der digitalen Konstellation grundlegend strukturiert. Mit dem
Konzept der Affordanzen wurde ein Reflexionsbegriff eingeführt, welcher das dialektische Verhältnis zwischen epistemischen Dispositionen und technischen Möglichkeiten unter Achtung der Materialität technischer Systeme und der Agency ihrer
Nutzer:innen auseinanderlegt. Anhand der digitalen Plattform Twitter wurde daraufhin demonstriert, wie eine solche Reflexion eine präzisere Benennung und Einordnung digitaler Systeme durch Theorien digitaler Öffentlichkeiten ermöglichen
kann. Nicht nur sollte Politische Theorie in der digitalen Konstellation sich der herausgestellten Defizite bewusst sein, wenn diese Theorien mittlerer Reichweite als
Vorüberlungen oder Argumente in größere, etwa demokratietheoretische, Arbeiten
übernommen werden. Sie sollte sich ebenso der Rolle bewusst sein, die technische
Möglichkeitsräume und epistemische Dispositionen im Prozess der Theoretisierung
und Analyse spielen. So vertrete ich die These, dass die Reflexion von epistemischen Dispositionen und technischem Möglichkeitsraum, wenn sie mittels des Begriffs der Affordanzen an einem Gegenstand konkretisiert wird, die Theoretisierung
aller technischen Systeme anleiten kann. Mögliche Themenfelder wären hier die
Analyse digitaler Infrastrukturen als Systeme spezifischer Kontrolle oder ihre Auswirkungen auf den Formwandel der Demokratie im Zusammenspiel von normativer
Erwartung und technischer Ermöglichung. Gleichzeitig eröffnen die dargestellten
Überlegungen weitere metatheoretische und methodologische Anknüpfungspunkte,
indem sie es erlauben, das Verhältnis von Theorie und Technik jenseits eines einseitigen Rationalisierungs- und Ermöglichungsprozesses zu fassen. So lässt sich nicht
nur fragen, inwiefern Algorithmen der Auswertung empirische Untersuchungen digitaler Plattformen strukturieren und durch Theorieerwartungen strukturiert werden,
sondern auch, inwiefern die Konzeption von Politischer Theorie in der digitalen
Konstellation selbst mit diesen Prozessen in Wechselwirkung steht. In jedem Fall
kann erst eine reflexive Epistemologie die Spezifität digitaler Phänomene in den
Blick bekommen, indem sie die ihnen eigene, technische Strukturierung des Mög-
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Technik als Weltbezug, Affordanzen als Reflexionsbegriff
lichkeitsraums anerkennt. Somit ist das hier vorgestellte Begriffsschema weniger
eine ausgearbeitete Theorie von Technik denn eine Einladung, die aufgeworfenen
Probleme, welche als mangelnde Spezifität und dem damit häufig einhergehenden
Technikdeterminismus einerseits, als „epistemisches Dilemma“ und der Gefahr des
Theorieperspektivismus andererseits identifiziert wurden, auf eine spezifische Art
zu reflektieren und so präzisere Theoretisierungen der digitalen Konstellation anzuleiten. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Ergebnisse empirischer Analysen in
die Theoriebildung mit einbezogen werden sollen. Technik ist und war schon immer
Weltbezug. Politische Theorie in der digitalen Konstellation darf es nicht versäumen, das spezifisch digitale dieses Weltbezugs anzuerkennen, um analytisch – und
letztlich auch normativ – sprechfähig zu bleiben.
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