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Ausgrabungen an der Kälbermahdhalde im Lonetal

2021

Fundortes an, die für jungpaläolithische Gruppen günstiger war. Die ersten Spuren der magdalénienzeitlichen Besiedlung wurden in Schicht GH 9 gefunden. Es waren mehrere Magdalénien-Fundhorizonte an der Fundstelle vorhanden, die sich bis zur Basis des GH 4 fortsetzten. Der GH 5 stellt die reichste dieser Schichten dar mit sechs Befunden, die Einflüsse von Feuer zeigen und zahlreiche Steinartefakte und organische Funde enthielten. Die ausgesprochen vollständige Stratigraphie zusammen mit den besonderes gut erhaltenen Magdalénienhorizonten verleiht dem Fundplatz Langmahdhalde seine einmalige Bedeutung für die Eiszeitarchäologie in Südwestdeutschland. Wir bedanken uns beim Verein für Eiszeitkunst im Lonetal, der Hans-Voigt-Stiftung und dem Ministerium für Wissenschaft und Kunst Baden- Württemberg für die langjährige Finanzierung unserer Arbeiten. Der Stadt Niederstotzingen, dem Archäopark Vogelherd und dem Urgeschichtlichen Museum danken wir für Unterstützung und Zusammenarbeit. Unser besonderer Dank gilt Michael Bolus für die Redaktion des Beitrages und Paul Goldberg und Christopher Miller für ihre anregenden Gespräche zur Geoarchäologie des Fundplatzes. Nicholas J. Conard, Alexander Janas, Elisa Luzi LITERATURHINWEIS N. J. Conard/A. Janas/M. Zeidi, Ausgrabung der Magdalénien-Horozonte und Testschnitt in tiefere Schichten an der Langmahdhalde. Arch. Ausgr. Baden-Württemberg 2020, 68–72. ! NIEDERSTOTZINGEN-STETTEN OB LONTAL, KREIS HEIDENHEIM Ausgrabungen an der Kälbermahdhalde im Lonetal Seit dem Abschluss der Ausgrabungen am Vogelherd im Jahr 2012 führt die Abteilung für Ältere Urgeschichte und Quartärökologie der Universität Tübingen Prospektionen und Forschungsgrabungen im Lonetal durch. Die Forschungsergebnisse an der Fetzershaldenhöhle, Lindenhöhle, Wolftalhöhle und an der Langmahdhalde wurden regelmäßig in diesem Jahrbuch präsentiert. Die Untersuchungen an der Kälbermahdhalde sollen als eine Fortsetzung dieser Forschung verstanden werden. Das Ziel der Geländearbeit ist vielfältig. Es geht einerseits um eine bessere Erfassung der Siedlungsgeschichte im Lonetal, wobei die Eiszeitarchäologie im Vordergrund steht. Anderer- 80 seits versuchen wir, bessere Paläoklima- und Umweltdaten zu gewinnen, damit die urgeschichtlichen Quellen aus dem Lonetal und der weiteren Umgebung in einen vollständigeren Zusammenhang gestellt werden können. Hier stehen die Anpassungen in den Lebensweisen der Neandertaler und der frühen modernen Menschen unserer Region im Mittelpunkt der Forschung. Der Fundplatz Entlang des Lonetals befinden sich zahlreiche Höhlen und Felsdächer, die möglicherweise von eiszeitlichen Jägern und Samm- STEINZEIT AABW_2021_INHALT.indd 80 14.06.22 12:33 lern benutzt und bewohnt wurden. Seit vielen Jahren prospektiert unser Institut zusammen mit interessierten Laien diese Orte, um eine Auswahl zu treffen, welche davon für nähere Untersuchungen in Frage kommen. In diesem Zusammenhang haben wir von den Ratschlägen und Ortskenntnissen des verstorbenen Friedrich Seeberger und von Hermann Glatzle profitiert. Im Jahr 2021 wurde im Lonetal die Kälbermahdhalde 300 m stromabwärts der laufenden Grabung an der Langmahdhalde untersucht (Abb. 54). Der Fundplatz ist gekennzeichnet durch eine steile Felswand, die stellenweise leichte Überhänge beinhaltet. Insgesamt betrachtet hat die Lage starke Ähnlichkeiten zur Langmahdhalde, die auf derselben Talseite gelegen ist. Nur liegt die Grabungsstelle ca. 3 m oberhalb der Talsohle, während sich die fundreiche Langmahdhalde ca. 5 m über der Talsohle befindet. Vorgehensweise und Stratigraphie Die Grabung wurde mit einer kleinen Mannschaft vom 3. Mai bis zum 11. Juni durchgeführt und im Anschluss daran folgten bis zum 13. August umfangreiche Schlämm- und Sortierarbeiten auf dem Gelände von HeidelbergCement in Gerhausen. Die Grabungsmannschaft legte zwei Schnitte an, die unterhalb zweier kleiner Überhänge platziert waren und jeweils 1 m × 3 m maßen. Die Schnitte waren Nord–Süd orientiert und verliefen lotrecht zur Felswand. Beide erreichten eine maximale Tiefe von knapp 1,5 m, bis das Grundgestein erreicht wurde (Abb. 55). Das Sediment des südwestlichen Viertelquadrates jedes Quadratmeters wurde für das Schlämmen durch grob-, mittel- und feinmaschige Siebe aufbewahrt. Letzteres hatte eine Maschenweite von 1 mm, wodurch die Bergung derjenigen Fundgattungen ermöglicht wurde, die eventuell beim Graben übersehen worden waren. Die Sedimente unterhalb einer dünnen Schicht von Laub und Humus wurden in beiden Schnitten in drei Haupteinheiten gegliedert. Der geologische Horizont (GH) 1 ist reich an Humus, besitzt eine dunkelbraune Farbe und beinhaltet sehr viel schlecht sortierten, leicht verrundeten Kalkschutt. Der Kalkanteil variiert zwischen 50 % und 90 %. Nach einem fließenden Übergang folgte GH 2, der im westlichen Schnitt in zwei Untereinheiten und im östlichem Schnitt in drei Untereinheiten gegliedert wurde. Weil das Grundgestein stark nach Süden zur Lone hin abfällt, ist dieser Komplex im Norden dünn und im Süden etwa 75 cm mächtig. Der Schichtkomplex variiert in der Farbe von gräulich in den oberen Bereichen zu dunkelbraun in den tieferen Bereichen. Der Kalkschuttanteil variiert stark und liegt oft im Bereich zwischen 20 % und 40 %. Die Matrix ist schluffig, der Übergang zum GH 3 ist fließend. Die Sedimente wer- 54 " Das Lonetal mit Lage der Fundstellen Kälbermahdhalde und Langmahdhalde. AUSGRABUNGEN AN DER KÄLBERMAHDHALDE IM LONETAL AABW_2021_INHALT.indd 81 81 14.06.22 12:33 Funde vom Neolithikum bis zur Neuzeit 55 " Niederstotzingen, Kälbermahdhalde. Übersicht der zwei Grabungsschnitte mit Blick nach Westen. den im GH 3 toniger und der Schuttanteil steigt auf rund 80 %. Die Kalksteinfragmente sind klein, meist 1 cm und kleiner, scharfkantig und liegen oft Stein an Stein. Diese Schicht wird zur Lone hin mächtiger, scheint aber von rein geogener Herkunft zu sein. Während die GH 1 und 2 archäologische Funde beinhalten, wurden weder beim Graben noch beim Schlämmen Funde aus dem GH 3 geborgen. Obwohl zurzeit noch keine Radiokohlenstoffdatierungen vorliegen, vermuten wir durch unsere Erfahrung an der Langmahdhalde, dass GH 3 in das Pleistozän gehört. Es wäre theoretisch denkbar, die Grabungsflächen weiter nach Süden fortzusetzen und das untersuchte Volumen von GH 3 zu erhöhen, aber wir entschieden uns dagegen, weil wir keine Funde aus diesem feinen scharfkantigen Kalksplitt bergen konnten. 82 Auch wenn die kleinen Grabungsflächen an der Kälbermahdhalde keine paläolithischen Funde lieferten, waren die Schichten keineswegs fundleer. Aus dem GH 1 stammen elf Knochenfragmente und elf Keramikscherben. GH 2 und seine Untereinheiten erbrachten 35 Knochenfragmente, 56 Keramikscherben und 18 größere Holzkohlefragmente, die mit der Hand geborgen werden konnten. Nur drei eindeutige Steinartefakte wurden geborgen, alle stammen aus GH 2. Keines von diesen – Kratzer, Trümmer und Klinge – lässt sich genauer datieren, aber eine Stellung innerhalb des Neolithikums scheint wahrscheinlich zu sein. Von den Keramikfragmenten, die über mehrere Zeitstufen und Gefäßeinheiten streuen, konnten nur wenige Stücke aneinandergefügt werden. Die markantesten Stücke waren eine Wandscherbe mit durchlochter Knubbe, die beim Brand oder durch Gebrauch überfeuert wurde und mit Sand und Knochengrus gemagert war, sowie eine Wandscherbe mit schräg ausgeführtem, regelmäßigem Kammstrich und Knochengrus-Magerung. Scherben mit durchlochten Knubben finden sich häufig an mittel- oder spätneolithischen Fundplätzen. Dazu kamen einige feinkeramische, relativ hart gebrannte Stücke mit feinem Schlickerauftrag, Glimmermagerung und zum Teil mit feiner Strich- oder Kammverzierung. Sie dürften in einen späteisenzeitlichen Kontext einzuordnen sein und passen von der Machart zu der Scherbe einer latènezeitlichen Flasche aus der Langmahdhalde. Weiterhin fanden sich einige Stücke einer provinzialrömischen Schale aus Terra sigillata. Auch neuzeitliche Keramik war vorhanden. Die meis- STEINZEIT AABW_2021_INHALT.indd 82 14.06.22 12:33 ten Keramikfragmente sind aufgrund ihrer Kleinstückigkeit nur schwer einem Zeithorizont zuzuordnen. Die Keramikfunde und die vereinzelten Steinartefakte geben klare Hinweise auf mehrfache kurze Aufenthalte an der Basis dieser Felswand oberhalb der Lone. Die Funde belegen eine sporadische Nutzung dieser Stelle zwischen der Jungsteinzeit und der Neuzeit. Weder Befunde noch starke Konzentrationen von Funden wurden bei den Grabungsarbeiten dokumentiert. Um eiszeitliche Fundschichten zu finden, ist eine geringfügig höhere Position oberhalb der Lone, wie an der Langmahdhalde, vermut- lich vielversprechender. Nach der Ausgrabung wurden die Schnitte aufgefüllt und wir haben nicht vor, die Grabung an der Kälbermahdhalde fortzusetzen. Wir bedanken uns beim Verein für Eiszeitkunst, der Hans-Voigt-Stiftung, dem Ministerium für Wissenschaft und Kunst in Baden-Württemberg, dem Archäopark Vogelherd und der Stadt Niederstotzingen sowie bei Heike Würschem für die Anfertigung von Zeichnungen und Michael Bolus für redaktionelle Unterstützung. Nicholas J. Conard, Mohsen Zeidi, Alexander Janas, Saman Hamzavi ! HEUBACH, OSTALBKREIS Notbergung im hinteren Höhlenbereich der Kleinen Scheuer im Rosenstein Situation Nach Abschluss der beiden Grabungskampagnen in den Jahren 2018 und 2020 wurden im Zuge einer weiteren, eintägigen Sicherungsmaßnahme im hinteren Höhlenbereich der Kleinen Scheuer Sedimente geborgen, die bei der ursprünglichen Grabung durch R. R. Schmidt im Jahr 1916 unberührt geblieben waren. Dabei handelte es sich um die durch das starke Besucheraufkommen in diesem Bereich gefährdeten Teile einer bei Trockenheit harten Kalksteinbrekzie und einen vorgelagerten Schwemmfächer. Aus der Brekzie konnte bereits im Jahr 2020 ein anthropogen überprägtes Knochenfragment geborgen werden, das mittels Radiokohlenstoffmethode auf ein Alter von 37 000–31 000 cal BP datiert wurde und somit das älteste absolut datierte Artefakt in dieser Region der Schwäbischen Alb darstellt. Direkt vor dem Brekzienkeil erstreckt sich in Richtung Innenraum ein etwa 2 m langer und bis zu 1 m breiter Schwemmfächer aus umgelagertem, durch die häufige Frequentierung stark verdichtetem Sediment (Abb. 56). Aus diesem waren bei früheren Oberflächenbegehungen bereits Steinartefakte und pleistozäne Faunenreste geborgen worden. Im Rahmen der Aktion von 2021 wurden an dem Brekzienkeil und dem vorgelagerten Schwemmfächer sequenziell Abträge vorgenommen, um die archäologische Relevanz dieser Sedimente zu überprüfen. Ein weiteres Ziel der Maßnahme war der Schutz des Brekzienkeils vor der weiteren Zerstörung durch Höhlenbesucher. Insgesamt wurden 38 Liter Sediment NOTBERGUNG IM HINTEREN HÖHLENBEREICH DER KLEINEN SCHEUER IM ROSENSTEIN AABW_2021_INHALT.indd 83 83 14.06.22 12:33