Academia.eduAcademia.edu

V. Kazakevičius/R. Sidrys, Archaeologica Baltica

2018

Rezension zu: V. Kazakevičius/R. Sidrys, Archaeologica Baltica. - Institute of Lithuanian History; Vilnius, Lithuania. Vilnius: Alma littera 1995. 198 Seiten mit 62 Abbildungen, 9 Tabellen und 13 Karten. Ganzleinen. ISBN 9986-02- 116-2.

Nachrichten aus Niedersachsens Urgeschichte Band Seite Stuttgart 1996 NNU 65(1) 195-222 Konrad Theiss Verlag V. Kazakevicius/R. Sidrys, Archaeologica Baltica. - Institute of Lithuanian History; Vilnius, Lithuania. Vilni­ us: Alma littera 1995. 198 Seiten mit 62 Abbildungen, 9 Tabellen und 13 Karten. Ganzleinen. ISBN 9986-02116-2. Die archäologischen Kulturen des Baltikums erscheinen uns fremd und exotisch. Nur gelegentlich werden diese Materialien für übergeordnete Untersuchungen genutzt und interpretiert (z. B. Kazanski, Germania 70, 1992, 70-122). Hierfür lassen sich verschiedene Gründe finden: So ist die deutsche Archäologie in diesem Raum tra­ ditionell auf das ehemalige Ostpreußen konzentriert. Wichtiger ist jedoch die Tatsache, daß über viele Jahre hin Neufunde aus dem Bereich des Baltikums in baltischen oder russischen Publikationen vorgelegt wurden, die nur von ganz wenigen sprachlich bewältigt werden konnten. Dieses Manko wollen die Herausgeber des hier zu besprechenden Bandes bewußt ausgleichen: Alle Beiträge sind auf deutsch oder englisch verfaßt. So wird für Interessierte ein archäologisches Fundmaterial in Ausschnitten er­ schlossen, daß in seiner Bedeutung für die mitteleuropäische Vor- und Frühgeschichte vielfach unterschätzt wird. Die insgesamt 15 Beiträge des Bandes erstrecken sich vom Neolithikum und der Bronzezeit (sechs Beiträge) bis hin zur römischen Kaiserzeit und dem Mittelalter (acht Beiträge). Mit dem letzten Abschnitt wird ein litauisch­ englisches Glossarium zu archäologischen Fachausdrücken vorgelegt. Im folgenden soll nur eine Auswahl von Beiträgen kurz besprochen werden. R. Rimantiene eröffnet die Reihe der Beiträge mit einem Aufsatz über den frühneolithischen Aalstecher aus Sventoji. Das interessante Stück, das durch l4C-Datierung in das 4. Jahrtausend vor Chr. datiert werden kann, gehört zu den ganz wenigen annähernd vollständig erhaltenen Exemplaren (vgl. auch Meurers-Balke, Offa 38, 1981, S. 131-151). Es sei hier nur darauf hingewiesen, daß entsprechende Fanggeräte aus mitteleuropäischem Zusammenhang vor einigen Jahren als Wurfhölzer interpretiert wurden (Capelle, Bonner Jahrbücher 182, 1982, 277 ff.). Für die anthroplogische Forschung war das Baltikum schon immer ein besonders interessantes Feld, scheinen die ethnischen Verhältnisse in diesem Raum doch über viele Jahrtausende stabil. Auf einen Einzelaspekt dieses For­ schungszweigs geht R. Jankauskas in einem Beitrag über traumatische Läsionen bei dem relativ begrenzten neolithischem Skelettmaterial ein. Sog. „Parierfrakturen“, aber auch andere Verletzungstypen zeigen, daß die neolithischen Gemeinschaften Litauens, wie auch die Mitteleuropas (z. B. Talheim, Kr. Heilbronn; Wahl/König, Fundberichte aus Baden-Württemberg 12, 1987, 65-193), häufigen Konfliktsituationen ausgesetzt waren. J. Stankus stellt in seinem Beitrag das Pectoral aus dem Grab 74 von Banduziai (Distr. Klaipeda) vor, das sich durch Nadeln mit blauen Glaseinlagen, in opus interasile gearbeitete Zierplatten und feingliedrige Zwischenket­ ten auszeichnet. Das reiche Ensemble wird in Bild und Zeichnung vorgelegt, dazu kommt eine Skizze mit der ex­ akten Fundlage. Entsprechende Brustgehänge müssen sicher als Beigaben reicher Frauenbestattungen interpre­ tiert werden. Die Nadeln (Beckmann Gruppe O; B. Beckmann, Saalburg-Jahrbuch 26, 1969, 109) bestehen aus einer runden Grundplatte mit außen angesetzten Rundein sowie einem zentralen tutulusförmigen Aufsatz, in des­ sen Mitte sich eine blaue Glaseinlage befindet. Es ist bemerkenswert, daß auch die Tutulusfibeln aus Haßleben Grab 8 (W. Schulz, Das Fürstengrab von Hassleben. Berlin/Leipzig 1933, Taf. 6) eine ganz ähnliche Anord­ nung der einzelnen Konstruktionselemente aufweisen. Ob sich hier Beziehungen zwischen dem baltischen Kul­ turkreis und den mitteldeutschen Skelettgräbern vom Typ Haßleben/Leuna nachweisen lassen, muß zunächst of­ fenbleiben. L. Vaitkunskiene beschäftigt sich in ihrem Beitrag mit der Entwicklung militärischer Eliten im 5. und 6. Jahr­ hundert n. Chr. Ausgangspunkt ihrer Untersuchung sind die Kriegergräber aus Pagrybis, einem Gräberfeld mit insgesamt 217 ausgegrabenen Bestattungen. Bemerkenswert ist zunächst die Tatsache, daß Frauen und Männer auf diesem Platz jeweils in unterschiedlicher Orientierung beigesetzt wurden: die Frauen mit dem Kopf in südli­ cher Richtung, die Männer in nördlicher Richtung. Bei den Waffengräbern können unterschiedliche Ausstattungs­ muster erkannt werden. Dabei heben sich die Gruppen 1 und 2 nach L. Vaitkunskiene mit reicheren Waffenaus­ rüstungen und der Beigabe von Pferden oder Pferdegeschirren deutlich von ärmeren Waffengräbern ab. Sicherlich sind hier Rangunterschiede erkennbar, die auf ein differenziertes hierarchisches System schließen lassen. Die in einzelnen litauischen Kriegergräbern beigegebenen Trinkhörner mit zoomorphen Ornamenten, die deutliche Be­ züge zu skandinavischen Stücken aufweisen, werden von L. Vaitkunskiene als einheimische Produkte interpre­ tiert. Nach Auffassung des Rez. könnten diese Stücke auf intensive Kontakte zwischen den skandinavischen und 195 baltischen Kriegereliten hindeuten (zu den Kontaktlinien im Bereich der südlichen Ostsee im 5. und 6. Jahrh. vgl. A. Bitner-Wröblewska, Fornvännen 86, 1991, 225 ff.). Eine besondere Gräbergruppe stellen die estnischen Tarand- und Steinkistengräber dar, die von V. Lang unter dem Gesichtspunkt sozialhistorischer Interpretationsmodelle diskutiert werden. Es handelt sich dabei um Nekro­ polen, die aus Steingebäuden bzw. unterirdischen Steinkisten bestanden, von denen gelegentlich mehrere neben­ einander aufgereiht waren (z. B. Jäbara). In diesen Anlagen wurde kollektiv insbesondere in der römischen Kai­ serzeit bestattet (Brand- und Körpergräber), so daß hier geschlossene Inventare nicht eindeutig identifiziert wer­ den können. Bislang wurden die Tarand- und Steinkistengräber als die Grabstätten von Großfamilien interpre­ tiert, wobei in den einzelnen Anlagen jeweils eine Kleinfamilie beisetzte. Anhand eines quantitativen Vergleichs versucht V. Lang eine Neuinterpretation. Er zeigt anhand einiger Tabellen, daß das Bild hier sicherlich weiter dif­ ferenziert werden muß. So sind im Tarand von Viimisi, für den eine anthropologische Untersuchung vorliegt, nur zwei Kinder gegenüber 30 Erwachsenen bestimmbar. Damit wurden sicherlich nicht alle Angehörigen der hier be­ stattenden Gemeinschaft auch in diesem Tarand beigesetzt. Zudem kann V. Lang zeigen, daß nur die Anzahl aller in den nebeneinander hegenden Tarand- oder Steinkistengräber bestatteten Toten auf ein stabiles überlebensfä­ higes Kollektiv schließen läßt. Der Autor kommt so zu dem Ergebnis, daß eine Rekonstruktion der Gesellschafts­ struktur auf der Basis der methodisch problematischen Tarand- und Steinkistengräber nur eingeschränkt möglich ist. Es deutet sich an, daß diese Nekropolen nur von einer einzigen Hausgenossenschaft oder einem Gehöft, nicht aber von Großfamilien, belegt wurden. Eine etwas ausführlichere Bearbeitung (evtl, mit einer Übersichtstabelle) wäre den römischen Münzen in den Grä­ berfeldern Litauens zu wünschen gewesen, die von M. Michelbertas in einem kurz, teilweise widersprüchlichen Beitrag zusammen gefaßt werden. Römische Münzen hegen aus insgesamt 150 litauischen Gräbern vor; wie auch in Ostpreußen (vgl. W. Nowakowski, Das Samland in der römischen Kaiserzeit und seine Verbindungen mit dem römischen Reich und der barbarischen Welt. Marburg 1996) sind dies überwiegend bronzene Stücke. Bei den äl­ testen handelt es sich um Prägungen des Nero (54-68), zu den jüngsten zählen solche des Trebonianus Gallus (251-253). M. Michelbertas konzentriert sich in seinem Beitrag auf die Lage der Münzen in den Gräbern und versucht so, deren Charakter (Geldmünze, Gebrauchsgegenstand, Schmuck, Charonspfennig) zu beschreiben. Den Ursprung dieser Beigabensitte leitet M. Michelbertas aus dem Mitteldonauraum ab, mit dem die baltischen Kulturen schon seit dem 1. nachchristlichen Jahrhundert in engem Kontakt gestanden hätten. Mit der Archaeologia Baltica ist den Autoren und den Herausgebern ein interessanter Einblick in die aktuellen Forschungstendenzen der baltischen Archäologie gelungen, der sicherlich nicht vollständig sein konnte. Zugleich dokumentiert dieser Band aber auch die Probleme, mit denen die baltischen Kollegen konfrontiert sind. So fehlen umfassende monographische Bearbeitungen wichtiger Gräberfelder (z. B. Dauglaukis oder aber die Tarandgräber von Jäbara; eine Ausnahme V. Kazakevicius, Plinkaigalio Kapinynas. Lietuvos Arch. 10. Vilnius 1993). Zum an­ deren zeigen die Verbreitungskarten dieses Bandes aber auch eine gewisse Beschränkung auf die heutigen Gren­ zen der baltischen Staaten. Ein umfassendes Bild von der Archäologie dieser so wichtigen Region und deren In­ tegration in ein gesamteuropäisches Modell vorgeschichtlicher Entwicklung wird aber nur in überregional ausge­ richteten Vergleichsstudien möglich sein. Anschrift des Rezensenten: Dr. Claus von Carnap-Bornheim Vorgeschichtliches Seminar der Philipps-Universität Marburg Biegenstr. 11 D-35032 Marburg Festschrift für Otto-Herman Frey zum 65. Geburtstag. Hrsg, von Claus Dobiat. Red.: Dirk Vorlauf. Marburger Studien zur Vor- und Frühgeschichte, Bd. 16. Marburg: Hitzeroth, 1994 und Marburg: Joh. Aug. Koch 1994. 715 Seiten mit zahlreichen Abbildungen. Gebunden 260,- DM. ISBN 3-89398-159-4 und 3-89616-157-1. Mit der Festschrift für O.-H. Frey liegt ein umfangreiches Opus vor. Die Liste der 143 Gratulanten, die große Zahl der abgeschlossenen Hochschularbeiten, für die der Jubilar als Mentor zeichnet, dessen vielfältiges Schrif­ tenverzeichnis und die Aufzählung seiner Mitgliedschaften in unterschiedlichen wissenschaftlichen Gremien legen Zeugnis davon ab, daß mit dem Jubilar eine Persönlichkeit geehrt wird, die in der Forschung einen festen Platz 196