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I. Filmtheorie und Wissenschaftsgeschichte

Im Kino der Humanwissenschaften

I.฀Filmtheorie฀und฀Wissenschaftsgeschichte I.1.฀Visuelle฀Kultur,฀฀ Bildwissenschaften฀und฀Bewegtbilder In฀den฀Diskussionen฀um฀die฀methodische฀und฀institutionelle฀Perspektivierung฀ der฀ Bildwissenschaften฀ und฀ der฀ Visuellen฀ Kultur฀ wurden฀ bis฀ heute฀ Bewegtbilder฀und฀audiovisuelle฀Medien฀eher฀als฀Randphänomene฀betrachtet฀ (eine฀ Ausnahme:฀ Vacche฀ 2003).฀ Diese฀ Fokussierung฀ auf฀ den฀ Gegenstandsbereich฀erstaunt฀angesichts฀des฀Umstands,฀dass฀Massenmedien฀wie฀ etwa฀Film฀und฀Fernsehen฀bis฀in฀die฀Gegenwart฀visuelle฀Erinnerungskulturen฀ auf฀ unterschiedliche฀ Weise฀ schichten-฀ und฀ klassenspezifisch฀ geprägt฀ haben.฀ Nach฀ dem฀ Leitsatz฀ der฀ Theorie฀ der฀ Visuellen฀ Kultur฀ präformiert฀ Visualität฀kulturell฀bestimmende฀Bedeutungen฀und฀dominiert฀die฀Möglichkeiten฀historischer฀und฀sozialer฀Wahrnehmung.฀Doch฀wenn฀es฀darum฀ging,฀ das฀ Gegenstandsfeld฀ innerhalb฀ der฀ methodischen฀ Beschränkungen฀ der฀ jeweiligen฀Fachdisziplinen฀abzustecken,฀rückten฀oft฀die฀Medien-฀und฀Methodengrenzen฀ überschreitenden฀ Fragestellungen฀ in฀ den฀ Hintergrund.฀ Von฀ Crary฀wurde฀die฀methodenkritische฀Frage฀aufgeworfen,฀ob฀nicht฀das฀Visuelle฀bloß฀ein฀»Effekt฀andersartiger฀Kräfte฀und฀Machtverhältnisse฀sei«฀(Crary฀ 2002:฀14).฀Nach฀seiner฀Argumentation฀sei฀Visualität฀eine฀in฀der฀Forschung฀ privilegierte฀Kategorie,฀die฀oft฀als฀»ein฀autonomes฀und฀sich฀selbst฀begründendes฀ Problem฀ verstanden฀ worden฀ sei«฀ (ebd.).฀ Demgegenüber฀ geht฀ es฀ ihm฀ um฀ den฀ Nachweis,฀ dass฀ »das฀ Sehen฀ lediglich฀ eine฀ Schicht฀ im฀ Körper฀ darstellt,฀ der฀ von฀ einer฀ Reihe฀ externer฀ Techniken฀ ergriffen,฀ geformt฀ und฀ kontrolliert฀werden฀kann,฀der฀jedoch฀auch฀imstande฀ist,฀sich฀einem฀institutionellen฀Zugriff฀zu฀entziehen฀und฀neue฀Formen,฀Affekte฀und฀Intensitäten฀ zu฀ erfinden«฀ (ebd.,฀ S.฀15).฀ Den฀ Einwand฀ von฀ Crary฀ nehme฀ ich฀ als฀ vorläufigen฀ Hinweis฀ für฀ eine฀ umfassendere฀ Frage฀ nach฀ dem฀ historischen฀ Stellenwert฀von฀Wahrnehmung฀und฀Subjektivierung,฀mit฀der฀die฀Hegemonie฀des฀ Sehens฀zu฀relativieren฀ist.฀Betreffend฀das฀Kino฀als฀Medium฀gehe฀ich฀davon฀ aus,฀ dass฀ das฀ Kino฀ wie฀ andere฀ Medien฀ auch฀ eine฀ plurale฀ Referentialität฀ impliziert฀ und฀ in฀ ein฀ Gefüge฀ unterschiedlicher฀ Diskursfelder฀ zwischen฀ Kunst,฀Naturwissenschaft,฀Technik,฀Unterhaltung฀und฀Ästhetik฀verflochten฀ ist฀ (dieser฀ Ansatz฀ wird฀ in฀ Kapitel฀ I.5฀ »Mediale฀ Dispositive฀ und฀ Wissensarchäologie«฀ entlang฀ der฀ Analysekategorie฀ des฀ Dispositivs฀ fortgeführt).฀ Hinsichtlich฀einer฀transdisziplinären฀Verflechtung฀gilt฀es฀im฀ersten฀Schritt,฀ 17 IM฀KINO฀DER฀HUMANWISSENSCHAFTEN die฀ Konzepte฀ der฀ Bildwissenschaften฀ und฀ der฀ Visuellen฀ Kultur฀ mit฀ den฀ film-฀ und฀ fernsehwissenschaftlichen฀ Forschungstraditionen,฀ die฀ das฀ BildTon-Verhältnis฀ untersuchen,฀ zu฀ bereichern.฀ Vieles฀ scheint฀ für฀ diese฀ Argumentation฀ zu฀ sprechen.฀ So฀ entspricht฀ es฀ einem฀ faktischen฀ Sachverhalt,฀ dass฀ das฀ Medienzeitalter฀ des฀ 20.฀ Jahrhunderts฀ vorrangig฀ von฀ audiovisuellen฀Medien฀geprägt฀wurde.฀Der฀Einwand,฀dass฀die฀visuelle฀Kommunikation฀ relevanter฀als฀die฀auditive฀Kommunikation฀sei,฀kann฀mit฀dem฀Hinweis฀abgegolten฀werden,฀dass฀damit฀noch฀nicht฀der฀Ausschluss฀des฀Auditiven฀aus฀ dem฀ Bild-Ton-Verhältnis฀ gerechtfertigt฀ sein฀ kann.฀ Wenn฀ davon฀ ausgegangen฀ wird,฀ dass฀ kollektive฀ Erinnerung฀ ein฀ geschichtlicher฀ und฀ diskursiver฀ Prozess฀ist,฀der฀mit฀den฀Produktionsmitteln฀und฀-methoden฀medialer฀Vermittlung฀ ermöglicht฀ und฀ verhandelt฀ wird,฀ dann฀ ist฀ es฀ für฀ transdisziplinär฀ ausgerichtete฀ Studien฀ unabdingbar฀ notwendig,฀ audiovisuelle฀ Medien฀ und฀ damit฀ die฀ Bild-Ton-Relation฀ in฀ das฀ Zentrum฀ ihrer฀ Analyse฀ zu฀ stellen.฀ Gegenwärtig฀ beherrscht฀ hingegen฀ das฀ Forschungsparadigma฀ des฀ Pictorial฀ Turn฀ die฀ Debatten฀ der฀ unterschiedlichsten฀ Fachbereiche.1฀ Zahlreiche฀ Studien฀wurden฀bis฀heute฀durchgeführt฀und฀öffentlichkeitswirksame฀Debatten฀ haben฀ sich฀ vermittels฀ der฀ von฀ ihnen฀ angestrengten฀ Perspektivierung฀ der฀ jungen฀Forschungsrichtung฀etablieren฀können.2฀Dennoch฀wurde฀bisher฀der฀ Film฀als฀Medium฀und฀das฀Kino฀als฀Institution฀in฀fächerübergreifenden฀Studien฀kaum฀als฀Forschungsgegenstand฀erwählt.฀Die฀Zweitreihung฀von฀Film,฀ Fernsehen฀ und฀ Video฀ widerspricht฀ jedoch฀ ihrer฀ Repräsentanz฀ und฀ ihrem฀ 1.฀ Der฀ Begriff฀ Pictorial฀ Turn฀ wurde฀ vom฀ Kunsttheoretiker฀ William฀ J.฀ T.฀ Mitchell฀ 1992฀in฀die฀kulturwissenschaftliche฀Diskussion฀eingeführt.฀Der฀begriffsprägende฀Essay฀ findet฀sich฀in฀überarbeiteter฀Fassung฀in฀Mitchell฀(1994:฀11–34). 2.฀ Für฀ einen฀ Überblick฀ über฀ das฀ äußerst฀ heterogene฀ und฀ sich฀ transdisziplinär฀ ausdifferenzierende฀ Feld฀ der฀ Visuellen฀ Kultur฀ vgl.฀ exemplarisch฀ Nicholas฀ Mirzoeff฀ (Hg.)฀ (1999):฀ »The฀ Visual฀ Culture฀ Reader«,฀ London/New฀ York:฀ Routledge;฀ Nicholas฀ Mirzoeff฀ (1999):฀ »An฀ Introduction฀ to฀ Visual฀ Culture«,฀ London/New฀ York:฀ Routledge;฀ Jessica฀Evans/Stuart฀Hall฀(Hg.)฀(2004):฀»Visual฀Culture:฀The฀Reader«,฀London:฀Sage.฀ Den฀Konnex฀von฀Visueller฀Kultur,฀Visualisierung,฀Ikonologie,฀Wissenschafts-฀und฀Mediengeschichte฀untersuchen:฀Jonathan฀Crary฀(1990):฀»Techniques฀of฀the฀Observer:฀On฀ Vision฀and฀Modernity฀in฀the฀Nineteenth฀Century«,฀Cambridge,฀Mass.:฀Cambridge฀Univ.฀ Press;฀Paula฀A.฀Treichler/Lisa฀Cartwright/Constance฀Penley฀(Hg.)฀(1998):฀»The฀Visible฀ Woman:฀Imaging฀Technologies,฀Gender฀and฀Science«,฀New฀York:฀New฀York฀Univ.฀Press;฀ Caroline฀ A.฀ Jones/Peter฀ Galison฀ (Hg.)฀ (1998):฀ »Picturing฀ Science,฀ Producing฀ Art«,฀ New฀York/London:฀Routledge;฀Timothy฀Lenoir฀(Hg.)฀(1998):฀»Inscribing฀Science:฀Scientific฀Texts฀and฀the฀Materiality฀Of฀Communication«,฀Stanford,฀Calif.:฀Stanford฀Univ.฀ Press;฀Hans-Jörg฀Rheinberger/Michael฀Hagner/Bettina฀Wahrig-Schmidt฀(Hg.)฀(1997):฀ »Räume฀des฀Wissens.฀Repräsentation,฀Codierung,฀Spur«,฀Berlin:฀Akademie฀Verlag;฀Michael฀ Wetzel/Herta฀ Wolf฀ (Hg.)฀ (1994):฀ »Der฀ Entzug฀ der฀ Bilder.฀ Visuelle฀ Realitäten«,฀ München:฀ Fink;฀ vgl.฀ das฀ vom฀ Kunsthistoriker฀ Horst฀ Bredekamp฀ und฀ Gabriele฀ Werner฀ herausgegebene฀und฀seit฀2003฀periodisch฀erscheinende฀Kunsthistorische฀Jahrbuch฀für฀ Bildkritik฀mit฀dem฀Haupttitel฀»Bildwelten฀des฀Wissens«,฀Berlin:฀Akademie฀Verlag. 18 I.฀FILMTHEORIE฀UND฀WISSENSCHAFTSGESCHICHTE Stellenwert฀ als฀ Massenmedien.฀ Mit฀ dem฀ Isolationismus฀ der฀ visuellen฀ Medien฀wird฀das฀Sehen฀als฀kognitive฀Blickmacht฀mehr฀oder฀weniger฀fraglos฀ aufgewertet,฀ reproduziert฀ und฀ damit฀ auch฀ legitimiert฀ –฀ ohne฀ heuristische฀ Alternativen฀ eines฀ Perspektivwechsels฀ respektive฀ eine฀ intermediale฀ Anreicherung฀des฀Visuellen฀anbieten฀zu฀können.฀Eine฀der฀zentralen฀Thesen฀im฀ Rahmen฀ der฀ Bilderdebatte฀ ist฀ die฀ Aussage฀ des฀ Kunsthistorikers฀ Gottfried฀ Boehm฀ über฀ die฀ Logik฀ von฀ Bildern,฀ die฀ »Sinn฀ aus฀ genuin฀ bildnerischen฀ Mitteln«฀ (Boehm฀ 2004:฀ 28)฀ generieren.฀ Boehm฀ und฀ neuere฀ Ansätze฀ der฀ Bildtheorie฀insistieren฀also฀auf฀der฀Unvergleichbarkeit฀von฀Wort฀und฀Bild.฀ Damit฀ trennt฀ Boehm฀ Bildlichkeit฀ kategorisch฀ von฀ sprachlichen฀ Verfahren฀ und฀behauptet฀schließlich฀eine฀»ikonische฀Differenz«฀(ebd.:฀32),฀die฀er฀der฀ Wahrnehmung฀ der฀ Bilder฀ unter฀ der฀ Federführung฀ der฀ Kunstwissenschaft฀ zuordnet.฀ Mit฀ der฀ Anbindung฀ des฀ Ikonischen฀ an฀ die฀ Deutungsmacht฀ der฀ Kunstwissenschaft฀ werden฀ entweder฀ der฀ Bereich฀ der฀ Bewegtbilder฀ dem฀ Fachbereich฀ der฀ Kunstwissenschaft฀ subsumiert฀ oder฀ Bewegtbilder฀ per฀ se฀ aus฀ der฀ Sphäre฀ der฀ Ikonologie฀ ausgegrenzt.฀ Der฀ Bildtheoretiker฀ William฀ J.T.฀ Mitchell฀ argumentiert฀ gegenüber฀ dem฀ Ansatz฀ der฀ »ikonischen฀ Differenz«,฀dass฀die฀Differenz฀von฀Bild฀und฀Wort฀theoretisch฀nicht฀verallgemeinerbar฀ ist.฀ Für฀ den฀ Film฀ trifft฀ jedenfalls฀ eine฀ ikonisch฀ begründbare฀ Differenzierung฀ nicht฀ zu,฀ da฀ etwa฀ die฀ Verflechtung฀ mit฀ literarischen฀ Verfahren฀ zu฀ den฀genuin฀filmischen฀Verfahrenstechniken฀–฀man฀denke฀nur฀an฀das฀Prinzip฀ der฀Titelgebung฀im฀Vorspann฀–฀zählt.฀Mit฀der฀Einbeziehung฀des฀Bild-TonVerhältnisses฀ und฀ weiterer฀ multimedialer฀ Verfahrensweisen฀ als฀ Forschungsfeld฀ der฀ audiovisuellen฀ Wissenschaftskultur฀ kann฀ der฀ Film฀ als฀ eingebunden฀in฀andere฀mediale฀Wahrnehmungen฀beschrieben฀werden,฀sodass฀ mit฀William฀J.T.฀Mitchell฀von฀der฀Prämisse฀ausgegangen฀werden฀kann,฀dass฀ »all฀ media฀ are฀ mixed฀ media,฀ all฀ representations฀ are฀ heterogeneous«฀ (Mitchell฀1994:฀5).฀Wie฀Medien฀im฀Allgemeinen฀ist฀auch฀der฀Film฀kein฀isoliertes฀ Phänomen,฀ sondern฀ steht฀ in฀ einem฀ andauernden฀ Verweisungszusammenhang฀ mit฀ anderen฀ Medien.฀ Wissenschaftliche฀ Filme฀ bilden฀ kein฀ abgeschlossenes฀Genre,฀noch฀können฀sie฀als฀ein฀isoliertes฀Medium฀betrachtet฀ werden,฀ weil฀ sie฀ in฀ komplexe฀ Visualisierungsprozesse฀ eingebunden฀ sind,฀die฀es฀ermöglichen,฀dass฀filmische฀Bilder฀interpretierbar฀werden:฀»Ein฀ isoliertes฀wissenschaftliches฀Bild฀ist฀bedeutungslos,฀es฀beweist฀nichts,฀sagt฀ nichts,฀zeigt฀nichts,฀es฀hat฀keinen฀Referenten.«฀(Latour฀2002:฀67) Historische฀Referenzbilder฀definiert฀der฀Kunsthistoriker฀Martin฀Hellmold฀ als฀diejenigen฀Bilder,฀»die฀sich฀als฀Symbole฀für฀einen฀historischen฀Ereigniszusammenhang฀etabliert฀haben«฀(Hellmold฀1999:฀36).฀Mit฀Referenzbildern฀ konzentriert฀ sich฀ die฀ kunst-฀ und฀ kulturwissenschaftliche฀ Lektüre฀ auf฀ die฀ ikonische฀ Qualität฀ des฀ Bildes฀ und฀ dechiffriert฀ gemeinsame฀ ästhetische฀ Merkmale,฀ deren฀ Kenntnis,฀ Verweise฀ und฀ Zitate฀ oft฀ alleine฀ die฀ im฀ jeweiligen฀ Fachbereich฀ Beheimateten฀ miteinander฀ teilen.฀ Doch฀ das฀ kunst-฀ und฀ kulturwissenschaftliche฀ Aufzeigen฀ von฀ syn-฀ und฀ diachronen฀ Referenzbildern฀zur฀Sicherung฀des฀eigenen฀epistemologischen฀Hegemonie-Anspruchs฀ versagt฀da,฀wo฀es฀darum฀geht,฀das฀diskursive฀Geflecht฀der฀filmischen฀Argu19 IM฀KINO฀DER฀HUMANWISSENSCHAFTEN mentation฀ zu฀ untersuchen.฀ Denn฀ es฀ muss฀ auch฀ die฀ Frage฀ beantwortet฀ werden,฀ was฀ es฀ bedeutet,฀ wenn฀ Bilder฀ absent฀ sind,฀ wenn฀ Visibilität฀ unerwünscht฀ ist,฀ unterdrückt฀ und฀ ausgeschlossen฀ wird.฀ Im฀ Bereich฀ der฀ Toposforschung฀ ist฀ es฀ hier฀ relevant,฀ die฀ Gewichtung฀ narrativer,฀ rhetorischer฀ oder฀ metaphorischer฀ Topoi฀ seriell฀ zu฀ untersuchen,฀ um฀ Streuungen฀ und฀ Asymmetrien฀auf฀der฀Bild-Ton-Ebene฀erkennbar฀zu฀machen. Durch฀seine฀Funktionen฀als฀Übertragungs-,฀Speicher-฀und฀Verbreitungsmedium฀hat฀Film฀(und฀Fernsehen)฀bis฀heute฀einen฀dominanten฀Anteil฀an฀ der฀ Produktions-฀ und฀ Rezeptionsgeschichte฀ von฀ Wissenschaft.฀ Wenn฀ also฀ vom฀ Stellenwert฀ der฀ audiovisuellen฀ Medien฀ im฀ Kontext฀ der฀ Konstruktion฀ von฀ Wissen฀ gesprochen฀ werden฀ soll,฀ dann฀ muss฀ der฀ mediale฀ Diskurs฀ in฀ seiner฀intermedialen฀Bezugnahme฀zur฀Kenntnis฀genommen฀werden.฀Erst฀in฀ dieser฀ kategorischen฀ Erweiterung฀ des฀ Medienbegriffs฀ kann฀ die฀ Medialität฀ der฀ Verwissenschaftlichung฀ von฀ Wissen฀ angemessen฀ untersucht฀ werden.฀ Damit฀einhergehend฀verlängert฀sich฀die฀Fragestellung฀nach฀dem฀epistemologischen฀Stellenwert฀der฀Laufbilder฀in฀eine฀transdisziplinäre฀und฀eine฀kulturwissenschaftliche฀ Forschungsperspektive.฀ Eine฀ kulturwissenschaftliche฀ Perspektivierung฀der฀Wissenschaften฀als฀Mediengeschichte฀geht฀davon฀aus,฀ dass฀erstens฀geschichtliche฀Diskurse฀eng฀mit฀dem฀Projekt฀der฀medialen฀Historiographie฀verknüpft฀sind.฀Kollektives฀Erinnern฀ist฀demnach฀immer฀auch฀ als฀eine฀ Medien-฀ und฀ Wahrnehmungsgeschichte฀ aufzufassen.฀ Zweitens฀bedingt฀ diese฀ methodologische฀ Erweiterung฀ eine฀ transdisziplinäre฀ Verflechtung฀ unterschiedlicher฀ Fachdisziplinen.฀ Filmgeschichte฀ wird฀ heute฀ nicht฀ mehr฀ausschließlich฀als฀Geschichte฀der฀Filmkunst฀angesehen.฀Dennoch฀ist฀ auch฀in฀der฀neueren฀Filmgeschichtsschreibung฀dem฀Wissenschaftsfilm฀nur฀ geringe฀Aufmerksamkeit฀zuteil฀geworden.฀Wie฀auch฀immer,฀eine฀transdisziplinäre฀ Positionierung฀ des฀ Films฀ im฀ Feld฀ der฀ visuellen฀ Kultur฀ ist฀ somit฀ gleichbedeutend฀ mit฀ seiner฀ Dezentrierung฀ innerhalb฀ der฀ Grenzen฀ der฀ Filmgeschichte฀ und฀ -theorie฀ als฀ einer฀ einheitlichen฀ und฀ eigenständigen฀ Disziplin.฀ Mit฀ der฀ medienarchäologischen฀ Fragestellung฀ eng฀ verknüpft฀ ist฀ daher฀ drittens฀ der฀ Anspruch฀ auf฀ eine฀ grundlegende฀ Entkanonisierung฀ der฀ Filmgeschichtsschreibung฀ und฀ der฀ damit฀ zusammenhängenden฀ Erschließung฀ von฀ den฀ aus฀ der฀ hegemonialen฀ Historiographie฀ ausgeschlossenen฀ Filmkulturen;฀das฀ist฀im฀vorliegenden฀Kontext฀die฀Filmkultur฀des฀Wissenschaftskinos.฀Gleichzeitig฀verweist฀diese฀disziplinäre฀Zwischenstellung฀zwischen฀ Filmwissenschaft฀ und฀ Wissenschaftsgeschichte฀ auf฀ die฀ Ausweitung฀ des฀Kulturbegriffs฀der฀Cultural฀Studies฀(Williams฀1958;฀Hall฀1979;฀Thompson฀ 1987). Die฀Cultural฀Studies฀untersuchen฀die฀Reproduktion฀von฀sozialer฀und฀politischer฀ Identität฀ qua฀ Macht฀ im฀ Feld฀ der฀ Kultur.฀ Speziell฀ entlang฀ der฀ Begriffsbestimmung฀ von฀ Kultur฀ als฀ Konfliktfeld฀ und฀ Kultur฀ als฀ einer฀ Kategorie฀ von฀ Macht฀ und฀ Machtverhältnissen฀ gilt฀ es,฀ dokumentarisierende฀ Modi฀in฀die฀Filmgeschichtsschreibung฀und฀in฀die฀Filmtheorie฀einzuführen.฀ Bisher฀wurde฀der฀hegemoniale฀Filmkanon฀von฀den฀Meisterwerken฀der฀Kinogeschichte฀geschrieben.฀Dokumentarische฀Formate฀wie฀etwa฀der฀Forschungs20 I.฀FILMTHEORIE฀UND฀WISSENSCHAFTSGESCHICHTE film฀oder฀der฀Lehrfilm฀wurden฀als฀kulturell฀wertlose฀Auftragswerke฀für฀wissenschaftliche฀ oder฀ industrielle฀ Zwecke฀ geächtet฀ und฀ –฀ mit฀ wenigen฀ Ausnahmen฀–฀aus฀der฀Geschichte฀des฀Films฀ausgeschlossen.฀In฀die฀großen฀ Geschichten฀des฀Films฀wie฀auch฀in฀den฀Filmkanon฀selbst฀sind฀demzufolge฀ kulturelle฀ Identitäten฀ eingeschrieben,฀ die฀ auf฀ implizite฀ Machtverhältnisse฀ verweisen.฀Kulturelle฀Kodierungen฀(Identität)฀und฀Spezifikationen฀(wertvoll/ wertlos)฀ subordinieren฀ Filme฀ und฀ erstellen฀ Ranglisten฀ der฀ bedeutenden฀ Meisterwerke฀ und฀ der฀ nutzlosen฀ Bastarde.฀ Filme฀ stehen฀ folglich฀ nicht฀ in฀ einem฀ gleichberechtigten฀ Nebeneinander,฀ sondern฀ werden฀ in฀ Form฀ von฀ Dominanz-฀und฀Unterordnungsverhältnissen฀in฀ihre฀geschichtliche฀und฀soziale฀Welt฀eingeschrieben฀–฀nämlich฀mit฀den฀Mitteln฀kultureller฀Kompetenz.฀ Forschung฀ und฀ Literatur฀ zum฀ Stellenwert฀ der฀ medialen฀ Konstruktion฀ wissenschaftlicher฀ Performativität฀ haben฀ seit฀ den฀ frühen฀ 1990er฀ Jahren฀ eine฀ behutsame฀ Adaption฀ kultur-฀ und฀ bildwissenschaftlicher฀ Methoden฀ vorgenommen฀ und฀ sukzessive฀ werden฀ seither฀ audiovisuelle฀ Medien฀ als฀ »Gegenstand«,฀ »Quelle«฀ und฀ »Material«฀ der฀ Geschichtsschreibung฀ von฀ Wissenschaft฀thematisiert฀(vgl.฀Cartwright฀1995;฀Hediger฀2005/06).฀Davon฀ ausgehend,฀dass฀die฀Genese,฀Herstellung฀und฀Distribution฀von฀Wissen฀ein฀ geschichtlicher฀ und฀ diskursiver฀ Prozess฀ ist,฀ der฀ mit฀ den฀ Produktionsmitteln฀ und฀ -methoden฀ medialer฀ Vermittlung฀ verhandelt฀ wird,฀ ist฀ es฀ also฀ für฀ eine฀fächerübergreifende฀Forschung฀unabdingbar฀notwendig,฀audiovisuelle฀ Medien฀ in฀ die฀ historische฀ Analyse฀ miteinzubeziehen.฀ Im฀ Rahmen฀ dieser฀ Fragestellung฀ kommt฀ der฀ Filmwissenschaft฀ ein฀ nicht฀ unbedeutender฀ Stellenwert฀ zu,฀ insofern฀ sie฀ selbst฀ aus฀ einer฀ ausdifferenzierten฀ Wissenschaftstradition฀ hervorgeht฀ und฀ daher฀ über฀ Methodenvielfalt,฀ kanonisierte฀ Analysebegriffe฀ und฀ systematisierte฀ Theoriemodelle฀ in฀ der฀ Untersuchung฀ von฀spezifisch฀filmischen฀Modi,฀Techniken฀und฀Verfahrensweisen฀verfügt. I.2.฀Medialisierung,฀Medienarchäologie,฀฀ Wahrnehmungsgeschichte Die฀These฀der฀Medialisierung฀der฀Wissenschaft฀verweist฀auf฀die฀aktive฀Rolle฀ der฀Medien฀bei฀der฀Produktion฀von฀Wissen.฀Wissen฀ist฀untrennbar฀verbunden฀ mit฀ medialen฀ Repräsentationsformen.฀ Hinsichtlich฀ ihrer฀ wissenschaftlichtechnischen฀ Voraussetzungen฀ und฀ kulturellen฀ Praktiken฀ ändern฀ sich฀ Veranschaulichungsmethoden฀ der฀ Wissensrepräsentationen฀ kontinuierlich.฀ Im฀ Selbstverständnis฀ der฀ wissenschaftlichen฀ Praxis฀ sind฀ die฀ in฀ Forschung฀ und฀ Entwicklung฀ zum฀ Einsatz฀ kommenden฀ Medien฀ jedoch฀ lange฀ Zeit฀ als฀ Instrument฀ oder฀ Werkzeug฀ angesehen฀ worden.฀ Dabei฀ wurde฀ generell฀ von฀ einem฀ technisch-apparativen฀ Medienbegriff฀ ausgegangen,฀ mit฀ welchem฀ Medien฀als฀behelfsmäßige฀Erweiterung฀der฀menschlichen฀Sinnesvermögen฀ begriffen฀worden฀sind.฀»Registrir-Apparate«฀(Marey฀1985:฀2)฀nannte฀man฀im฀ 19.฀Jahrhundert฀mediale฀Anordnungen฀und฀instrumentelle฀Messverfahren,฀ durch฀die฀Beobachtungen฀von฀Naturphänomenen฀mit฀den฀entsprechenden฀ 21 IM฀KINO฀DER฀HUMANWISSENSCHAFTEN Beobachtungszeiten฀ synchron฀ aufgezeichnet฀ wurden.฀ Mit฀ der฀ Integration฀ des฀Kinematographen฀in฀das฀wissenschaftliche฀Theater฀der฀Repräsentation฀ am฀ Ende฀ des฀ 19.฀ Jahrhunderts฀ wurde฀ auch฀ der฀ Film฀ als฀ ein฀ interesseloser฀ Zeuge฀ für฀ den฀ Realitätsgehalt฀ des฀ Bildes฀ begrüßt.฀ Der฀ Kinematographie฀ wurde฀ als฀ ein฀ »Meßfilmverfahren«฀ (vgl.฀ Lassally฀ 1919:฀ 12)฀ angesehen฀ und฀ den฀anderen฀Geräten฀im฀Labor฀–฀wie฀dem฀Sphygmographen,฀dem฀Hydrometer,฀ dem฀ Tachistoskop฀ oder฀ dem฀ Mikroskop฀ –฀ gleichgesetzt฀ (Winston฀ 1993:฀41). Begreift฀man฀demgegenüber฀die฀medialen฀Diskurse฀als฀Bedingung฀der฀ Möglichkeit฀ von฀ Wissen,฀ kann฀ das฀ Verhältnis฀ von฀ Medien฀ und฀ Wissenschaft฀ auf฀ andere฀ Weise฀ beschrieben฀ werden.฀ Die฀ zur฀ Verwissenschaftlichung฀ von฀ Wissen฀ herangezogenen฀ Medien฀ sind฀ zwar฀ erheblich฀ von฀ der฀ verwendeten฀ Technik฀ abhängig,฀ bleiben฀ jedoch฀ immer฀ auch฀ den฀ historischen฀ Bedingungen฀ der฀ Möglichkeit฀ ihrer฀ Herstellung฀ verhaftet:฀ »Die฀ Art฀ und฀ Weise,฀ in฀ der฀ die฀ menschliche฀ Sinneswahrnehmung฀ sich฀ organisiert,฀ das฀Medium,฀in฀dem฀sie฀erfolgt,฀–฀ist฀nicht฀nur฀natürlich,฀sondern฀auch฀geschichtlich฀ bedingt.«฀ (Benjamin฀ 1977:฀ 14)฀ Die฀ rein฀ technisch-apperative฀ Möglichkeit,฀ Bilder฀ als฀ epistemische฀ Artefakte฀ herzustellen,฀ ist฀ eingebunden฀ in฀ eine฀ kulturell,฀ sozial฀ und฀ historisch฀ formierte฀ Praxis,฀ die฀ ihnen฀ einen฀ bestimmten฀ Stellenwert฀ zuweist.฀ Dabei฀ geht฀ es฀ um฀ Bedeutungszuschreibungen฀ im฀ Sinne฀ der฀ Auswahl฀ nützlicher฀ Bilder฀ vor฀ dem฀ Hintergrund฀ von฀ Publikationsstrategien฀ und฀ persönlichen฀ Karrierezielen.฀ Diese฀ Perspektivierung฀ der฀ medialen฀ Bedingtheit฀ von฀ Wissensherstellung฀ kann฀ auch฀ auf฀ den฀ Bereich฀ der฀ medialen฀ Repräsentationen฀ erweitert฀ werden฀ –฀ von฀»Repräsentationen«฀im฀Plural฀spricht฀auch฀William฀J.T.฀Mitchell฀(1994:฀ 11ff ),฀ um฀ damit฀ auszudrücken,฀ dass฀ Repräsentationen฀ gemischt฀ auftreten฀ und฀ etwa฀ aus฀ visuellen฀ und฀ textuellen฀ Anteilen฀ bestehen.฀ In฀ der฀ wissenschaftlichen฀ Praxis฀ etabliert฀ sich฀ mit฀ dem฀ ersten฀ Aufstellen฀ der฀ Kamera฀ und฀ dem฀ Kalkül฀ der฀ erfolgreichen฀ Filmaufnahme฀ ein฀ eigenständiges฀ mediales฀ Setting,฀ in฀ welchem฀ sich฀ die฀ Herstellung฀ von฀ Wissen฀ und฀ jene฀ des฀ Films฀ wechselseitig฀ beeinflussen.฀ Mit฀ dem฀ medialen฀ Setting฀ der฀ Filmaufnahme฀ werden฀ experimentelle฀ Versuchsanordnungen฀ jedoch฀ auf฀ eine฀ entscheidende฀ Weise฀ transformiert,฀ mit฀ ihnen฀ wird฀ der฀ gesamte฀ Wissensprozess฀formatiert฀und฀modifiziert. Mit฀der฀kulturtheoretischen฀Perspektivierung฀der฀Wissenschaftsgeschichte฀ orientieren฀ sich฀ die฀ zentralen฀ Problemstellungen฀ nicht฀an฀den฀großen฀Erzählungen฀ der฀ naturwissenschaftlichen฀ Entdeckungen฀ und฀ ihrer฀ Pioniere,฀ die฀ innerhalb฀ der฀ Beschränkungen฀ der฀ Fachgrenzen฀ tradiert฀ werden.฀ Vielmehr฀ setzt฀ man฀ Experimentalkulturen฀ dem฀ ›eigentlichen‹฀ wissenschaftlichen฀Kerngeschäft฀voraus,฀die฀als฀intra-฀und฀interdiskursive฀Netzwerke฀bestimmt฀werden฀können.฀Mit฀dem฀Begriff฀der฀Experimentalkultur฀kommen฀ historische฀ und฀ soziale฀ Bedingungen฀ der฀ Möglichkeit฀ in฀ den฀ Blick,฀ die฀ maßgeblich฀ dafür฀ sind,฀ dass฀ u.a.฀ dem฀ Bewegtbild฀ überhaupt฀ ein฀ Erkenntniswert฀zuerkannt฀werden฀kann฀(Latour/Woolgar฀1979;฀Gooding฀1990).฀In฀ ihrer฀ Eigendynamik฀ überformen฀ diskursive,฀ institutionelle฀ und฀ apparative฀ 22 I.฀FILMTHEORIE฀UND฀WISSENSCHAFTSGESCHICHTE Systeme฀ wissenschaftliche฀ Konzepte฀ und฀ sind฀ maßgeblich฀daran฀beteiligt,฀ epistemische฀ Produkte฀ zu฀ konstituieren฀ (vgl.฀ Hagner/Rheinberger฀ 1993;฀ Hagner/Rheinberger/Wahrig-Schmidt฀ 1994).฀ Dabei฀ ist฀ man฀ insbesondere฀ der฀Einwirkung฀unterschiedlicher฀Experimentalkulturen฀auf฀die฀Wahrnehmung฀und฀Diskursivierung฀des฀menschlichen฀Körpers฀nachgegangen,฀der฀ zusehends฀ als฀ »epistemisches฀ Ding«฀ (Rheinberger฀ 2001)฀ wahrgenommen฀ wird.฀ Mit฀ diesem฀ Untersuchungsfeld฀ hat฀ sich฀ ein฀ neuer฀ Blick฀ auf฀ die฀฀ Geschichte฀ der฀ Wissenschaften฀ vom฀ Menschen฀ eröffnet,฀ die฀ sich฀ am฀ Schnittpunkt฀ von฀ experimenteller฀ Apparatur,฀ Medientechnologie฀ und฀ Begriff฀des฀Lebens฀ausbildet.฀(Vgl.฀Rieger฀2001;฀Rieger฀2002;฀Hahn/Person/ Pethes฀2002) Um฀ den฀ epistemischen฀ Status฀ von฀ wissenschaftlichem฀ Wissen฀ nicht฀ bloß฀im฀Hinblick฀auf฀das฀›Endprodukt‹฀und฀dessen฀Kommunikation฀im฀Bereich฀der฀Fachdisziplinen฀oder฀in฀der฀Öffentlichkeit฀zu฀untersuchen,฀ist฀es฀ notwendig,฀den฀Blick฀auf฀die฀Transformationsprozesse฀des฀Wissens฀zu฀richten฀ (vgl.฀ Latour฀ 1990:฀ 26).฀ Somit฀ kann฀ das฀ ›fertige฀ Produkt‹฀ als฀ rhetorisches฀ Element฀ der฀ Wissenschaftsinszenierung฀ interpretiert฀ werden.฀ Davon฀ ausgehend฀ können฀ die฀ Prozeduren฀ der฀ Filmherstellung฀ in฀ der฀ Konzeptphase฀ experimenteller฀Anordnungen฀in฀die฀Analyse฀einfließen.฀In฀dieser฀Herangehensweise฀ist฀es฀möglich,฀den฀epistemischen฀Status฀von฀Film฀im฀Prozess฀ der฀Forschung฀zu฀verstehen฀und฀dementsprechend฀den฀Status฀von฀präsentablen฀ Endprodukten,฀ wie฀ sie฀ in฀ öffentlichen฀ Ritualen฀ vorgeführt฀ werden,฀ angemessen฀einschätzen฀zu฀können฀(Hagner฀1996:฀261). Bereits฀im฀Prozess฀der฀Forschung฀ist฀Film฀als฀Medium฀der฀Aufzeichnung฀ und฀Speicherung฀in฀eine฀Vielzahl฀wissensgenerierender฀Techniken฀verstrickt:฀ das฀ sind฀ etwa฀ lokale฀ Rahmenbedingungen,฀ divergierende฀ Rezeptionskontexte,฀ inszenatorische฀ Praktiken,฀ Forschungstraditionen,฀ soziale฀ Machtbeziehungen฀ der฀ Forscher,฀ narrative฀ Elemente฀ oder฀ Kontingenzen,฀ die฀ unterhalb฀ der฀ Wahrnehmungsschwelle฀ der฀ Forscher฀ angesiedelt฀ sind฀ (Rheinberger฀ 1992:฀ 54).฀ Wie฀ andere฀ Bildmedien฀ auch฀ durchläuft฀ Film฀ in฀ der฀wissenschaftlichen฀Kommunikation฀komplexe฀Transformationsprozesse: »Visual฀documents฀are฀used฀at฀all฀stages฀of฀scientific฀research.฀A฀series฀of฀representations฀of฀renderings฀is฀produced,฀transferred,฀and฀modified฀as฀research฀proceeds฀from฀ initial฀observation฀to฀final฀publication.฀At฀any฀stage฀in฀such฀a฀production,฀such฀representations฀constitute฀the฀physiognomy฀of฀the฀object฀of฀the฀research.«฀(Lynch฀1990:฀ 154) Die฀Auswahl฀und฀der฀Aufbau฀eines฀Drehortes,฀die฀Herstellung฀der฀geeigneten฀ Apparaturen฀und฀der฀Kulissen,฀das฀Aufstellen฀der฀Kamera,฀die฀Konfiguration฀ des฀Bildfeldes,฀das฀Arrangement฀der฀epistemischen฀Dinge,฀die฀Kalkulation฀ der฀ Abläufe,฀ die฀ Momente฀ der฀ Überraschung,฀ die฀ Unterbrechungen,฀ Störfälle฀und฀Pausen,฀das฀fehlerhafte฀Material,฀das฀Einüben฀und฀das฀Wiederholen฀ der฀ Versuche,฀ dabei฀ die฀ Anwesenheit฀ der฀ Kamera,฀ das฀ Entwickeln฀ des฀ Films,฀die฀Rituale฀der฀Aufführungen,฀die฀Publikationsstrategien,฀die฀Arbeit฀ 23 IM฀KINO฀DER฀HUMANWISSENSCHAFTEN am฀Material฀–฀diese฀unvollständige฀Liste฀nennt฀einige฀Elemente฀einer฀komplexen฀Strategie,฀die฀im฀Rahmen฀der฀Durchsetzung฀wissenschaftlichen฀Wissens฀ zur฀ Anwendung฀ kommt.฀ Sie฀ sind฀ Versatzstücke฀ einer฀ umfassenden฀ Medialisierung฀von฀Wissen.฀Damit฀bilden฀sie฀die฀Voraussetzung฀für฀die฀Bedingung฀ der฀ Möglichkeit,฀ die฀ Genese,฀ die฀ Verbreitung฀ und฀ die฀ Akzeptanz฀ von฀Wissen.฀Visuelle฀Strategien฀gehen฀aus฀einem฀komplexen฀Geflecht฀von฀ unbewussten฀ Praktiken,฀ diskursiven฀ Strategien,฀ technologischen฀ Innovationen฀ und฀ Kontingenzen฀ hervor฀ und฀ verlängern฀ damit฀ die฀ Krise฀ der฀ Repräsentation฀ in฀ das฀ Darstellungsmedium฀ selbst.฀ Der฀ Film฀ als฀ ein฀ Darstellungsmedium฀ ist฀ zwar฀ an฀ der฀ Konstitution฀ der฀ Objekte฀ des฀ Wissens฀ beteiligt,฀bleibt฀jedoch฀ein฀Effekt฀offener฀Transformationsprozesse. Der฀ Befund,฀ dass฀ Film฀ in฀ der฀ Erkenntnisgewinnung฀ der฀ Humanwissenschaften฀ eine฀ signifikante฀ Rolle฀ spielt,฀ unterstreicht฀ die฀ Notwendigkeit,฀sich฀über฀den฀historischen฀Kontext฀und฀die฀Herstellungsweisen฀des฀ filmisch฀ generierten฀ Wissens฀ klar฀ zu฀ werden.฀ Wissenschaftliche฀ Phänomene฀ sind฀ Strategien฀ der฀ Visualisierung฀ unterworfen,฀ die฀ sie฀ erst฀ wissenschaftsfähig฀ machen.฀ In฀ diesem฀ Prozess฀ der฀ Herstellung฀ ist฀ es฀ das฀ mediale฀ Setting฀ der฀ Filmaufnahme,฀ der฀ Film฀ als฀ Aufzeichnungs-฀ und฀ Speichermedium฀ und฀ die฀ Medien฀ wissenschaftlicher฀ Archivierung฀ und฀ Kommunikation,฀welche฀die฀Strukturen฀der฀Erkenntnis฀auf฀entscheidende฀ Weise฀konstituieren.฀Filmische฀Repräsentationen฀sind฀in฀diesem฀Zusammenhang฀ ein฀ wichtiger฀ Bestandteil฀ der฀ Strategien฀ zur฀ Durchsetzung,฀ Stabilisierung฀und฀Legitimation฀wissenschaftlichen฀Wissens.฀Mit฀der฀Ästhetisierung฀ von฀ Wissen฀ knüpft฀ eine฀ wissenschaftsvermittelnde฀ Lehrfilmdidaktik฀ an฀ bestimmte฀ Sehgewohnheiten฀ an.฀ Bestimmte฀ Darstellungskonventionen฀ werden฀ genutzt,฀ um฀ Erkenntnisse฀ massenwirksam฀ zu฀ kommunizieren฀ und฀ als฀ maßgebliches฀ Wissen฀ (z.B.฀ die฀ Bildung฀ eines฀ Kanons)฀ durchzusetzen.฀ Die฀ in฀ forschenden฀ Realfilmaufnahmen฀ produzierten฀ Unsicherheiten฀ und฀ Unbestimmtheiten฀ werden฀ in฀ der฀ Lehrfilmdidaktik฀in฀filmische฀Techniken฀übersetzt,฀die฀Wissen฀verdichten฀und฀ es฀auf฀einen฀Blick฀sichtbar฀machen฀(Tricktechnik,฀Blickführung).฀In฀filmästhetischen฀ Transformationsprozessen฀ wird฀ wissenschaftliches฀ Wissen฀ von฀ einem฀ Medium฀ in฀ andere฀ übertragen:฀ Bildstatistiken฀ visualisieren฀ numerische฀ Darstellungsformen,฀ mikroskopische฀ Realfilmaufnahmen฀ werden฀in฀tricktechnischen฀Diagrammen฀erfassbar. Der฀ Gebrauch฀ von฀ Film฀ im฀ Rahmen฀ wissenschaftlicher฀ Versuche฀ gilt฀ im฀ Selbstverständnis฀ der฀ Scientific฀ Community฀ als฀ vage฀ und฀ heterogen.฀ In฀ diesem฀Zusammenhang฀spricht฀man฀von฀einer฀experimentellen฀Situation,฀ welche฀ opportunistische฀ Adaptionen฀ im฀ Bereich฀ der฀ technischen฀ Apparatur฀ erfordert฀–฀ Filmstile฀ und฀ Erzähltechniken฀ finden฀ in฀ diesem฀ Konnex฀ aber฀nur฀ausnahmsweise฀Erwähnung.฀Der฀Stellenwert฀der฀kognitiven฀Funktion฀ der฀ Filmaufnahme฀ ist฀ bis฀ heute฀ mit฀ dem฀ Pionier-Narrativ฀ eng฀ verknüpft:฀ sogenannte฀ »Erfinder-Pioniere«฀ bauen฀ eigenverantwortlich฀ und฀ autonom฀ ihre฀ bildgebenden฀ Medien฀ und฀ entwickeln฀ situativ฀ angepasste฀ Verfahren฀ der฀ filmischen฀ Aufzeichnung฀ und฀ ihrer฀ Auswertung฀ (vgl.฀ Wolf฀ 24 I.฀FILMTHEORIE฀UND฀WISSENSCHAFTSGESCHICHTE 1975).฀ Dabei฀ wird฀ die฀ Argumentation฀ der฀ situativen฀ und฀ lokalspezifischen฀ Abhängigkeit฀von฀Forschung฀und฀Entwicklung฀stark฀gemacht,฀die฀von฀»historischen฀Persönlichkeiten«฀getragen฀wird฀(vgl.฀den฀Film฀The฀Pioneers.฀The฀ Origins฀of฀Scientific฀Cinematography฀von฀Virgilio฀Tosi,฀1989).฀ Peri-฀ und฀ paratextuelle฀ Kontextualisierungen฀ des฀ wissenschaftlichen฀ Films฀dienen฀der฀Selbstverständigung฀der฀Scientific฀Community฀und฀werden฀ oft฀mit฀Laboraufnahmen฀plausibilisiert,฀die฀das฀Argument฀der฀opportunistischen฀ Adaption฀ technischer฀ Apparaturen฀ stärken฀ sollen.฀ Andererseits฀ ist฀ die฀ Kinematographie฀ und฀ der฀ Film฀ mit฀ historisch฀ und฀ sozial฀ bedingten฀ Wahrnehmungskulturen฀ verflochten,฀ die฀ wiederum฀ an฀ der฀ Konstruktion,฀ Organisation฀ und฀ Validierung฀ von฀ Wissen฀ beteiligt฀ sind.฀ Sowohl฀ der฀ Film฀ als฀ mediales฀ Setting฀ als฀ auch฀ das฀ Kino฀ als฀ Schauplatz฀ öffentlicher฀ Aufführungen฀haben฀dazu฀beigetragen,฀eine฀neue฀Kultur฀der฀Visibilität฀und฀der฀ Visualisierung฀in฀die฀wissenschaftlichen฀Diskurse฀einzuführen฀und฀dort฀zu฀ institutionalisieren.฀ Damit฀ einhergehend฀ rücken฀ medial฀ hergestellte฀ Wissensformen฀in฀das฀Zentrum฀einer฀über฀die฀engeren฀Fachgrenzen฀argumentierenden฀Untersuchung. So฀ unterschiedlich฀ die฀ diversen฀ wissenschaftlichen฀ Diskurse฀ auch฀ sind:฀ die฀Prozeduren฀wissenschaftlicher฀Produktion,฀Konsumtion฀und฀Distribution฀ von฀ Film฀ folgen฀ spezifischen฀ Regelsystemen,฀ in฀ denen฀ es฀ vereinfacht฀ gesagt฀ darum฀ geht,฀ Verfahren฀ bereit฀ zu฀ stellen,฀ mit฀ denen฀ gewährleistet฀ werden฀ kann,฀ das฀ filmische฀ Material฀ zu฀ objektivieren.฀ Oft฀ betrachtet฀ man,฀ ohne฀ die฀ Frage฀nach฀dem฀medialen฀Setting฀in฀den฀Forschungsbericht฀zu฀integrieren,฀ in฀wissenschaftlichen฀Diskursen฀Film฀und฀Video฀als฀Dokumente,฀die฀eine฀außerfilmische฀ Wirklichkeit฀ abbilden.฀ Im฀ wissenschaftlichen฀ Gebrauch฀ wird฀ das฀filmische฀Dokument฀–฀wie฀auch฀andere฀visuelle฀Beweismittel฀einer฀Wirklichkeit฀außerhalb฀der฀Bilder฀–฀hauptsächlich฀benutzt,฀um฀»einen฀bestimmten฀ bildexternen฀ Sachverhalt฀ aufzuklären.«฀ (Boehm฀ 2001:฀ 51)฀ In฀ der฀ Evaluation฀wird฀filmisches฀Material฀gesichtet฀und฀sondiert฀und฀schließlich฀binären฀ Kriterien฀ zugeordnet,฀ die฀ –฀ in฀ Bezugnahme฀ auf฀ empirische฀ Sachverhalte฀ –฀ wahr/falsch฀oder฀eindeutig/unbestimmbar฀u.a.m.฀sein฀können.฀ Für฀ die฀ Anerkennung฀ des฀ Dokumentarfilms฀ als฀ dokumentarisierendes฀ Medienformat฀war฀der฀Bezug฀zur฀Wissenschaftlichkeit฀von฀entscheidender฀ und฀zentraler฀Wichtigkeit,฀denn฀»the฀centrality฀of฀this฀scientific฀connection฀ to฀documentary฀is฀the฀most฀potent฀(and฀sole)฀legitimation฀for฀its฀evidentiary฀ pretentions.«฀ (Winston฀ 1993:฀ 41)฀ Wissenschaftliches฀ Kino฀ erhält฀ das฀ Prädikat฀ »sehenswert«฀ vor฀ allem฀ aufgrund฀ seines฀ Realitäts-฀ und฀ Wahrheitsgehaltes;฀sein฀ontologischer฀Status฀als฀Abbild฀der฀Natur฀wurde฀dabei฀nicht฀ in฀ Frage฀ gestellt.฀ Im฀ Unterschied฀ zur฀ wissenschaftlichen฀ Beweisführung฀ soll฀hier฀der฀Nachweis฀erbracht฀werden,฀dass฀die฀Glaubhaftigkeit฀des฀Wissens฀ von฀ filmischen฀ Darstellungstechniken฀ abhängig฀ ist;฀ ein฀ Ansatz,฀ der฀ sich฀mit฀Konzepten฀der฀Visual฀Culture฀überschneidet:฀»on฀croit฀le฀supposé฀ vérifiable฀ du฀ documentaire฀ […]฀ avec฀ la฀ confiance฀ propre฀ à฀ l’apprentissage«฀ (Joly฀2002:฀156).฀ Hattendorf฀ nennt฀ die฀ Glaubwürdigkeit฀ der฀ Vermittlung,฀ das฀ ist฀ die฀ 25 IM฀KINO฀DER฀HUMANWISSENSCHAFTEN formale฀ Gestaltung฀ des฀ Films฀ als฀ »kommunikativer฀ Instanz«฀ zwischen฀ »Autor«฀ und฀ »Rezipient«,฀ als฀ den฀ entscheidenden฀ Aspekt฀ für฀ die฀ »authentische฀ Wirkung฀ eines฀ Filmes«฀ (Hattendorf฀ 1999:฀ 81f ).฀ Demzufolge฀ berufen฀ sich฀ z.B.฀ filmische฀ Dokumente,฀ die฀ auf฀ Wahrheitseffekte฀ abzielen,฀ vor฀ allem฀ auf฀ die฀ Indexikalität฀ des฀ fotografischen฀ Bildes฀ in฀ der฀ Kopplung฀mit฀der฀synchron฀aufgenommenen฀Tonspur.฀Die฀plausible฀Korrespondenz฀von฀Bild฀und฀Ton฀bilden฀hier฀eine฀Komponente฀heuristischer฀ Reliabilität.฀Die฀für฀die฀wissenschaftliche฀Forschung฀einen฀extrem฀hohen฀ Stellenwert฀ repräsentierende฀ Prädikation฀ »Glaubwürdigkeit«฀ und฀ »Zuverlässlichkeit«฀beantwortet฀aber฀weder฀produktionskontextuelle฀Aspekte,฀ noch฀ die฀ diskurs-฀ und฀ machtgeschichtlichen฀ Strukturbeziehungen,฀ die฀ den฀ gesamten฀ Prozess฀ der฀ Medialisierung฀ von฀ Wissen฀ tragen.฀ Ein฀ zentrales฀Merkmal฀von฀Authentisierungsstrategien฀ist฀die฀Ausblendung฀des฀ Prozesses฀ der฀ Herstellung฀ des฀ Bildes.฀ Der฀ Grad฀ an฀ Selbstreferentialität฀ wird฀ damit฀ minimiert.฀ Hinsichtlich฀ ihrer฀ Adressierungsleistung฀ besteht฀ die฀List฀authentischer฀Visibilität฀vor฀allem฀in฀ihrer฀Augenblickshaftigkeit฀ und฀ Spontaneität.฀ Diese฀ Merkmalszuschreibungen฀ treffen฀ auch฀ auf฀ die฀ Lektürepraxis฀zu,฀insofern฀authentische฀Bilder฀auf฀schnelle฀Verarbeitung฀ abzielen฀und฀dadurch฀einen฀Kognitions-฀und฀Entscheidungsdruck฀auf฀die฀ Adressaten฀ausüben.฀ »Glaubwürdigkeit«฀und฀»Realismus«฀(vgl.฀Bazin฀1975:฀24)฀sind฀relevante฀ Markierungen,฀ welche฀ die฀ wissenschaftliche฀ Anerkennung฀ dem฀ dokumentarisierenden฀Modus฀des฀Forschungsfilms฀entgegenbringt.฀Gänzlich฀anders฀verhalten฀ sich฀ die฀ genannten฀ Kriterien฀ von฀ Wissenschaftlichkeit,฀ wenn฀ es฀ um฀ die฀ Anerkennung฀ didaktisch฀ verfahrender฀ Filme฀ in฀ offenen฀ Milieus฀ geht.฀ Im฀ Lehrfilm฀zählen฀rhetorische,฀narrative฀und฀metaphorische฀Verfahrenstechniken฀zum฀populären฀Jargon฀wissenschaftlicher฀Veranschaulichung฀und฀gelten฀ als฀ legitime฀ Strategien.฀ In฀ Frage฀ steht,฀ ob฀ die฀ Sphärentrennung฀ zwischen฀ »reiner«฀ Wissenschaft฀ und฀ ihren฀ Derivaten฀ nicht฀ doch฀ durchlässiger฀ und฀ wechselwirksamer฀ist,฀als฀man฀sich฀seitens฀der฀Wissenschaft฀zugesteht?฀ Filme฀ fixieren฀ keinen฀ zwangsläufigen฀ Lektüremodus,฀ generieren฀ aber฀ durch฀ ihre฀ Gestaltungsweisen฀ Lektüreanweisungen,฀ mit฀ denen฀ sie฀ den฀ Status฀ ihres฀ audiovisuellen฀ Bild-Ton-Verhältnisses฀ zur฀ »außerfilmischen฀ Welt«฀verfestigen฀wollen.฀Während฀Befunde฀zur฀Indexikalität฀und฀Authentizität฀lediglich฀einen฀Tatbestand฀beglaubigen,฀setzt฀die฀Frage฀nach฀den฀Verfahrensweisen฀ im฀ Vorfeld฀ an.฀ Hier฀ geht฀ es฀ konkret฀ darum,฀ die฀ Modalitäten฀ dokumentarisierender฀ Verfahren฀ zu฀ analysieren฀ und฀ in฀ referentielle฀ Kontexte฀ zu฀ versetzen฀ (theatralischer฀ Modus,฀ literarischer฀ Modus,฀ grafischer฀ Modus฀ etc.).฀ Die฀ Frage฀ nach฀ den฀ modalen฀ Verfahren฀ der฀ Beglaubigung,฀ Authentisierung,฀Objektivierung฀und฀dergl.฀stützt฀sich฀weitgehend฀auf฀narratologische฀Ansätze: »Die฀Narratologie฀verfolgt฀also฀weitgehend฀eine฀interne฀Analyse฀auf฀der฀Ebene฀des฀ Textes,฀ihr฀Anliegen฀ist฀ein฀formal-poetologisches.฀[…]฀Diese฀Forschungsrichtung฀stellt฀ sich฀primär฀die฀Frage,฀wie฀das฀Narrative฀entsteht,฀wie฀Texte,฀also฀auch฀Filme,฀erzählen.฀ 26 I.฀FILMTHEORIE฀UND฀WISSENSCHAFTSGESCHICHTE Sie฀kann฀diese฀Frage฀auf฀der฀Ebene฀der฀semantisch-logischen฀Tiefenstruktur฀verfolgen,฀ indem฀sie฀die฀Organisation,฀den฀Aufbau฀und฀letztlich฀das฀System฀einer฀Erzählung฀erforscht,฀unabhängig฀vom฀Medium,฀in฀dem฀sich฀dieses฀aktualisiert.«฀(Tröhler฀2002:฀ 25) In฀der฀Filmtheorie฀wird฀der฀unmittelbare฀mimetische฀Bezug฀des฀Films฀zur฀ außerfilmischen฀Welt฀oft฀als฀assertive฀Aussage฀(oder฀auch:฀repräsentionale฀ Aussage)฀ bezeichnet.฀ Mit฀ assertiven฀ Aussagen฀ wird฀ eine฀ Behauptung฀ gesetzt,฀ informiert฀ und฀ festgestellt.฀ Mit฀ diesem฀ Aussagetypus฀ lässt฀ sich฀ ein฀ stereotypes฀Verfahren฀der฀Absicherung฀von฀Argumenten฀im฀Räsonnieren฀der฀ Wissenschaftler฀beschreiben.฀Im฀Kinodispositiv฀des฀wissenschaftlichen฀Diskurses฀ wird฀ die฀ ontologisch-assertive฀ Aussage฀ mit฀ dem฀ »Realitätsparadigma«฀ des฀ fotografischen฀ Bildes฀ verknüpft฀ (vgl.฀ zur฀ deutschsprachigen฀ Diskussion฀ über฀ das฀ Kinodispositiv฀ Winkler฀ 1992).฀ Verschwiegen฀ wird฀ meist,฀dass฀es฀sich฀dabei฀weniger฀um฀eine฀kognitve฀Aussage฀über฀die฀faktisch฀ gegebene฀Wirklichkeit,฀sondern฀um฀einen฀bestimmten฀Stil฀filmischer฀Gestaltungsmöglichkeiten฀handelt. Der฀ allgemeine฀ Begriff฀ der฀ Indexikalität฀ garantiert฀ keine฀ Annähe-฀ rung฀ an฀ eine฀ konkrete฀ Beschreibung฀ der฀ im฀ Bild฀ aufgezeichneten฀ Phänomene฀ (diese฀ Problematik฀ gilt฀ gleichermaßen฀ für฀ den฀ Ton).฀ Die฀ modalverfahrenstechnische฀ Frage฀ »Wie฀ wird฀ ein฀ wissenschaftliches฀ Bild฀ gemacht฀ und฀als฀solches฀anerkannt?«฀bedarf฀einer฀phänomenologischen฀Sondierung฀ des฀Bildes,฀die฀der฀prädikative฀Befund฀der฀Indexikalität฀oft฀stillschweigend฀ voraussetzt.฀ Eine฀ »dichte฀ Beschreibung«฀ (Geertz฀ 2003)฀ der฀ wissenschaftlichen฀Kinematographie฀hat฀aber฀nicht฀das฀Ziel,฀zu฀allgemeinen฀Aussagen฀ zu฀ kommen,฀ vielmehr฀ werden฀ Generalisierungen฀ im฀ Studium฀ des฀ Einzelfalls฀ untersucht฀ und฀ problematisiert.฀ Es฀ geht฀ um฀ eine฀ Thematisierung฀ filmischer฀ Strategien฀ wie:฀ Schärfe฀ und฀ Unschärfe,฀ Bildvordergrund฀ und฀฀ -hintergrund,฀ Dekonstruktion฀ des฀ Orientierungsraumes;฀ um฀ eine฀ Auseinandersetzung฀mit฀der฀Frage,฀was฀ein฀klares฀und฀was฀ein฀störendes฀Bild฀ist,฀ mit฀ der฀ Inszenierung฀ wissenschaftlich฀ relevanter฀ Handlungen฀ im฀ Bildzentrum,฀mit฀der฀Konstruktion฀spezifischer฀Handlungsfolgen,฀mit฀der฀Suggestion฀ eines฀ raumzeitlichen฀ Kontinuums฀ u.a.m.฀ In฀ Bezugnahme฀ auf฀ die฀ »dichte฀ Beschreibung«฀ von฀ Geertz฀ können฀ konkrete฀ Techniken฀ und฀ Praktiken฀entziffert฀und฀dargestellt฀werden฀–฀ohne฀dabei฀aber฀den฀verallgemeinernden฀ Kausalitätsbezug฀ zwischen฀ Einzelsituation฀ und฀ Mentalität฀ herzustellen. Um฀ wissenschaftliche฀ Filme฀ überhaupt฀ als฀ authentische฀ und฀ evidente฀ Quelle฀wahrzunehmen,฀müssen฀nicht฀nur฀ihre฀strukturellen฀Eigenschaften,฀ sondern฀ auch฀ ihr฀ Umfeld,฀ die฀ paratextuellen฀ Bedingungen,฀ glaubwürdig฀ sein.฀Daher฀stellen฀»gefährliche«฀Elemente฀wie฀Fiktionalisierung฀oder฀subjektive฀Stile฀nicht฀nur฀den฀Film฀als฀Dokument,฀sondern฀den฀gesamten฀Forschungsaufbau฀radikal฀in฀Frage.฀Über฀die฀Restriktion฀des฀objektivierenden฀ Modus฀im฀wissenschaftlichen฀Film฀bemerkt฀Odin: 27 IM฀KINO฀DER฀HUMANWISSENSCHAFTEN »Was฀den฀Film฀angeht,฀wird฀man฀zunächst฀bemerken,฀dass฀es฀Gebiete฀gibt,฀wo฀der฀ästhetische฀und฀der฀Kunst-Modus฀ganz฀offenbar฀nichts฀zu฀suchen฀haben:฀etwa฀bei฀der฀ naturwissenschaftlichen฀oder฀der฀angewandten฀Forschung฀oder฀bei฀der฀Verwendung฀des฀ Films฀als฀Dokument.฀In฀diesen฀Zusammenhängen฀findet฀die฀Anerkennung฀des฀Enunziators฀ in฀einem฀anderen฀institutionellen฀Rahmen฀statt฀(naturwissenschaftliche฀Forschung฀und฀ Praxis฀oder฀Geschichte฀als฀innerhalb฀der฀Institution฀Kunst,฀und฀die฀aufgebotenen฀Werte฀ Objektivität,฀Informationsgehalt,฀praktische฀Effizienz฀sind฀keinesfalls฀ästhetischer฀Art.)«฀ (Odin฀2002:฀49) Die฀hier฀behauptete฀Sphärentrennung฀samt฀den฀Kunst฀und฀Wissenschaft฀ zugehörigen฀ Modi,฀ Stilen฀ und฀ Werten฀ ist฀ in฀ zweierlei฀ Hinsicht฀ problematisch.฀Erstens฀übernimmt฀Odin฀eine฀idealtypische฀Kategorisierung฀des฀ Films฀ als฀ »wissenschaftliches฀ Produkt«,฀ zweitens฀ sind฀ die฀ Werte฀ »Objektivität,฀ Informationsgehalt,฀ praktische฀ Effizienz«฀ jedenfalls฀ »ästhetischer฀ Art«,฀wenn฀wir฀wissenschaftliche฀Lehrfilme฀in฀Betracht฀ziehen,฀in฀denen฀ standardisiertes฀ Wissen฀ unterhaltend,฀ spektakularisierend฀ und฀ fiktionalisierend฀aufbereitet฀wird. Zur฀ künstlerischen฀ Approbiation฀ wissenschaftlicher฀ Filme,฀ die฀ innerhalb฀ der฀ künstlerischen฀ Praxis฀ als฀ found฀ footage฀ Verwendung฀ finden,฀ erwähnt฀Odin: »Das฀bedeutet฀nicht,฀dass฀die฀Filme,฀die฀für฀diese฀Bereiche฀gemacht฀werden,฀nicht฀auch฀ unter฀dem฀ästhetischen฀Modus฀betrachtet฀werden฀können,฀doch฀dies฀erfordert,฀dass฀ man฀sie฀aus฀dem฀›Rahmen‹฀(Goffman)฀herausnimmt,฀für฀den฀sie฀gemacht฀worden฀sind,฀ wie฀es฀bei฀gewissen฀experimentellen฀found฀footage-Produktionen฀der฀Fall฀ist.«฀(Ebd.) Grundsätzlich฀ist฀die฀Entnahme฀wissenschaftlicher฀Filme฀aus฀ihrem฀Rahmen฀ kein฀ ausschließliches฀ Privileg฀ künstlerischer฀ Praxis,฀ sondern฀ stellt฀ eine฀ Analysemethode฀dekonstruierender฀Lektüreverfahren฀dar,฀mit฀der฀etwa฀kulturelle฀ Kodes,฀ die฀ der฀ ursprünglichen฀ Kodifizierung฀ entgangen฀ sind,฀ aufgezeigt฀werden฀können.฀Im฀Unterschied฀zu฀Odin,฀welcher฀der฀Meinung฀ist,฀ dass฀das฀»Dokument฀nicht฀nach฀dem฀Kunst-Modus฀verlangt«฀(ebd.),฀denke฀ ich,฀ dass฀ ein฀ weiter฀ Begriff฀ von฀ Inszenierung฀ wichtig฀ ist,฀ um฀ alle฀ möglichen฀Formen฀der฀Wissensrepräsentationen฀zu฀analysieren.฀Vor฀allem฀muss฀ die฀Analyse฀lokale฀und฀historische฀Bedingungen฀der฀dokumentarisierenden฀ Filmverfahren฀ berücksichtigen.฀ Bezogen฀ auf฀ die฀ Zeit฀ des฀ frühen฀ Kinos฀ muss฀ die฀ offene฀ und฀ bewegliche฀ Beziehung฀ zwischen฀ fiktiven฀ und฀ nichtfiktiven฀Filmen฀geltend฀gemacht฀werden: »Gerade฀in฀den฀ersten฀Jahren฀nach฀der฀›Erfindung‹฀des฀Films฀gab฀es฀keine฀institutionalisierte฀ Trennung฀zwischen฀›fiction‹฀und฀›nonfiction‹.฀Alle฀Filme฀waren฀unabhängig฀von฀ihren฀ Inhalten฀und฀Darstellungsformen฀für฀das฀Publikum฀interessant.«฀(Jung฀2005:฀224) Ferner฀muss฀auch฀die฀gängige฀Periodisierung฀des฀frühen฀Kinos฀oder฀»Early฀ Cinema«,฀die฀von฀1895฀bis฀1907฀(Kino฀der฀Attraktionen,฀Anfänge฀des฀nar28 I.฀FILMTHEORIE฀UND฀WISSENSCHAFTSGESCHICHTE rativen฀ Films)฀ respektive฀ bis฀ 1917฀ (Konsolidierung฀ des฀ Erzählkinos)฀ datiert฀ wird,฀ kritisch฀ hinterfragt฀ werden.฀ In฀ diesem฀ Kontext฀ ist฀ es฀ vor฀ allem฀ die฀ feministische฀ Filmtheorie,฀ welche฀ die฀ Kategorien฀ der฀ hegemonialen฀ Filmgeschichtsschreibung฀einer฀kritischen฀Sondierung฀unterzieht.฀Ausdrücklich฀ haben฀Jennifer฀M.฀Bean฀und฀Diane฀Negra฀aufgezeigt,฀dass฀sich฀die฀Charakterisierung฀des฀frühen฀Kinos฀hauptsächlich฀auf฀ein฀westliches฀Kino฀bezieht฀ und฀ dabei฀ osteuropäische,฀ asiatische฀ oder฀ afrikanische฀ Kinokulturen฀ vollkommen฀ausblendet฀(Bean/Negra฀2002:฀10f ). Einen฀ inhomogenen฀ und฀ vielschichtigen฀ Stellenwert฀ weist฀ ebenso฀ das฀ Dokumentarische฀ selbst฀ auf;฀ so฀ hat฀ das฀ Dokument฀ im฀ biologischen฀ Film฀ einen฀anderen฀Stellenwert฀als฀im฀ethnographischen฀Film,฀der฀auf฀die฀Selbstdarstellung฀der฀gefilmten฀Personen฀angewiesen฀ist.฀In฀diesem฀Konnex฀kann฀ erneut฀ auf฀ das฀ Analyseprinzip฀ der฀ »dichten฀ Beschreibung«฀ (Geertz฀ 2003)฀ rekurriert฀werden,฀das฀vermittels฀der฀seriellen฀Analyse฀respektive฀der฀Einzelfilmanalyse฀ um฀ das฀ Aufzeigen฀ unbeständiger฀ Performativität฀ und฀ unzuverlässigen฀ Erzählens฀ von฀ Wissen฀ bemüht฀ ist.฀ Wissenschaftliches฀ Erzählen฀ im฀Film฀kann฀demnach฀als฀elliptisch,฀flüchtig฀und฀widersprüchlich฀erfasst฀ werden,฀ es฀ spielt฀ mit฀ Erwartungen฀ der฀ Allwissenheit฀ und฀ Wahrhaftigkeit฀ des฀auktorialen฀ Erzählers฀ (vgl.฀ Liptay/Wolf฀ 2005).฀Das฀kardinale฀Problem,฀ das฀ Odin฀ im฀ Umgang฀ mit฀ wissenschaftlichen฀ Filmen฀ vermittelt,฀ ist,฀ dass฀ er฀ jedes฀ Dokument฀ dem฀ Bereich฀ Wissenschaft/angewandte฀ Forschung฀ zuordnet.฀ Damit฀ differenziert฀ er฀ den฀ vielfältigen฀ Einsatz฀ und฀ Gebrauch฀ des฀ Films฀nicht,฀homogenisiert฀das฀gesamte฀Feld฀dokumentarischer฀Äußerungen฀und฀tradiert฀die฀klassische฀Gegenüberstellung฀von฀Kunst฀und฀Wissenschaft.฀ Eine฀ der฀ zentralen฀ Fragen฀ Odins฀ lautet฀ paraphrasiert:฀ »Was฀ heißt฀ es,฀ einen฀ Film฀ als฀ Dokumentarfilm,฀ Spielfilm฀ oder฀ Kunstwerk฀ zu฀ sehen?«฀ Üblicherweise฀ wird฀ darauf฀ folgende฀ Antwort฀ gegeben:฀ »Die฀ Antworten฀ werden,฀ abhängig฀ von฀ den฀ jeweiligen฀ historischen฀ Kontexten,฀ durchaus฀ unterschiedlich฀ausfallen.«฀(Kessler฀2002:฀105)฀Die฀Fragestellung฀von฀Odin฀ setzte฀jedoch฀bereits฀feststehende฀Genregrenzen฀voraus,฀d.h.฀er฀setzte฀mit฀ der฀ Frage฀ nach฀ dem฀ einen฀ Film,฀ der฀ entweder฀ als฀ Dokumentarfilm,฀ Spielfilm฀ oder฀ Kunstwerk฀ gesehen฀ wird,฀ stillschweigend฀ einen฀ Genretypus฀ voraus,฀der฀entweder฀zutrifft฀oder฀nicht. Im฀ Unterschied฀ zur฀ Praxis฀ der฀ Verwissenschaftlichung฀ von฀ Bewegtbildern฀ lohnt฀ es฀ sich,฀ andere฀ Szenarien฀ der฀ Deutung฀ zu฀ entwerfen.฀ Dabei฀ geht฀es฀nicht฀darum,฀dem฀jeweiligen฀Film฀seinen฀Realitäts-฀und฀Wahrheitsgehalt฀abzusprechen,฀sondern฀um฀die฀Frage฀nach฀den฀jeweiligen฀Verfahren,฀ Stilen฀und฀Erzählweisen,฀mit฀denen฀»Realität«,฀»Objektivität«฀und฀»Wahrheit«฀konstruiert฀wird.฀Dies฀bedeutet,฀dass฀auch฀nicht-fiktionale,฀dokumentarisierende฀Medienformate฀dem฀Begriff฀des฀Erzählens฀subsumiert฀werden฀ können฀ (zur฀ medienspezifischen฀ Analytik฀ der฀ dokumentarisierenden฀ Erzählform฀siehe฀Kapitel฀I.3฀»Narratologie฀und฀Dekontextualisierung«). Ein฀ weiterer฀ Aspekt฀ der฀ filmischen฀ Medialisierung฀ von฀ Wissen฀ ist฀ der฀ Umstand,฀ dass฀ das฀ auf฀ dem฀ Filmstreifen฀ gespeicherte฀ Wissen฀ über฀ das฀ engere฀ Fachpublikum฀ hinausgehend฀ distribuierbar฀ wird.฀ Filme฀ sorgen฀ 29 IM฀KINO฀DER฀HUMANWISSENSCHAFTEN demnach฀nicht฀nur฀für฀die฀vielbeschworene฀»Erweiterung฀der฀Sinne«฀(vgl.฀ Giedion฀1994:฀44;฀Benjamin฀1977:฀50),฀sondern฀auch฀für฀eine฀Wissensverknappung.฀Verfügbarkeit฀und฀Volatilität฀von฀Wissen฀sind฀stets฀auch฀begleitet฀von฀Restriktionen,฀mit฀denen฀der฀Film฀arbeitet.฀Diese฀beginnen฀mit฀filmspezifischen฀ Aufmerksamkeitssteuerungen฀ und฀ Konditionierungen฀ durch฀ Stile฀ und฀ Strategien฀ der฀ Wissensrepräsentation.฀Zirkulierende฀Filmkopien฀ machen฀ die฀ Idee฀ des฀ Originals฀ hinfällig.฀ Mit฀ Schnitt฀ und฀ Montage฀ gibt฀ es฀ kein฀Original฀mehr,฀sondern฀an฀seiner฀Stelle฀mehrere฀Versionen฀eines฀Experiments,฀ die฀ für฀ unterschiedliche฀ Zielgruppen฀ montiert฀ werden.฀ Dies฀ macht฀ die฀ Grenzen฀ zwischen฀ Kunst฀ und฀ Wissenschaft,฀ zwischen฀ Öffentlichkeit฀ und฀ Expertise,฀ zwischen฀ populären฀ und฀ szientifischen฀ Formen฀ porös฀und฀osmotisch.฀Das฀wird฀deutlich,฀wenn฀untersucht฀wird,฀wie฀Filme฀ zwischen฀ verschiedenen฀ Wissensräumen,฀ den฀ Laboratorien,฀ Archiven,฀ Museen฀ und฀ Sammlungen,฀ Bibliotheken,฀ sozialen฀ Forschungsfeldern฀ und฀ öffentlichen฀Räumen฀zirkulieren฀und฀dabei฀als฀Filter฀der฀Wissensrezeption฀ fungieren.฀ Mit฀ Auswahl,฀ Verdichtung฀ oder฀ Ausblendung฀ strukturieren฀ sie฀ multimediale฀ Vorstellungsräume,฀ entwerfen฀ Lektüreanweisungen,฀ orientieren฀ die฀ Blickrichtungen฀ und฀ sorgen฀ für฀ den฀ Takt฀ und฀ den฀ Rhythmus฀ beim฀ Konsumieren฀ von฀ Filmen.฀ So฀ entsteht฀ eine฀ neuartige,฀ narrative฀ Verdichtung฀ divergierender฀ visueller฀ Kulturen,฀ die฀ teils฀ zur฀ Ästhetisierung฀ des฀ wissenschaftlichen฀ Bildes,฀ teils฀ zu฀ konditionierenden฀ und฀ konditionierten฀ Wahrnehmungskulturen฀führt. Aus฀ der฀ erweiterten฀ Frage฀ nach฀ den฀ medienkulturellen฀ Verflechtungen฀ wissenschaftlicher฀ Praktiken฀ werden฀ Themenstellungen฀ der฀ Medienarchäologie฀ an฀ das฀ Gegenstandsfeld฀ herangetragen.฀ Aufgrund฀ der฀ Tatsache,฀฀ dass฀bildgebende฀Verfahren฀und฀Speichermedien฀zwar฀heterogene฀und฀divergierende฀Gegenstandsfelder฀fokussieren,฀jedoch฀übergreifende฀Medienkompetenzen฀ ausbilden,฀ orientieren฀ sich฀ medienarchäologische฀ Fragestellungen฀ intermedial฀ und฀ transdisziplinär:฀ »Archäologien฀ der฀ Gegenwart฀ müssen฀auch฀Datenspeicherung,฀-übertragung฀und฀-berechnung฀in฀technischen฀Medien฀zur฀Kenntnis฀nehmen.«฀(Kittler฀1987:฀429)฀Die฀Problemstellung฀ der฀ filmischen฀ Verfahren,฀ der฀ Materialitäten฀ und฀ der฀ Techniken฀ des฀ Wissenschaftskinos฀ generiert฀ eine฀ neue฀ Sichtweise฀ auf฀ die฀ historische฀ Dimension฀des฀wissenschaftlichen฀Films.฀Es฀kann฀hier฀sichtbar฀werden,฀dass฀ das฀Wissenschaftskino฀nicht฀bloß฀einen฀Einblick฀in฀die฀»Welt฀der฀Wissenschaft«฀ gewährt฀ und฀ »Bilder฀ der฀ Wissenschaft«฀ für฀ ein฀ breites฀ Publikum฀ popularisiert,฀ sondern฀ dass฀ es฀ die฀ vom฀ Wissenschaftsfilm฀ entwickelten,฀ eigenständigen฀Filmtechniken฀sind,฀welche฀bis฀heute฀in฀die฀populären฀Kulturen฀migrieren฀und฀dort฀etwa฀zur฀Ästhetisierung฀von฀Lebensstilen฀dienen.฀ Eine฀ der฀ großen฀ »Erfolgsstorys«฀ populärer฀ Rezeption฀ des฀ Wissenschaftskinos฀ ist฀ etwa฀ die฀ wissenschaftliche฀ Zeitlupenaufnahme,฀ die฀ sich฀ in฀ unterschiedlichsten฀Medienformaten฀–฀vom฀Musikclip,฀der฀TV-Sportreportage฀bis฀ zum฀Hollywood-Blockbuster฀Matrix฀ –฀wiederfindet. 30 I.฀FILMTHEORIE฀UND฀WISSENSCHAFTSGESCHICHTE I.3.฀Narratologie฀und฀Dekontextualisierung Bisher฀hat฀sich฀die฀Erzählforschung฀in฀der฀Filmwissenschaft฀hauptsächlich฀ auf฀ die฀ Erforschung฀ des฀ fiktionalen฀ Films฀ respektive฀ der฀ fiktionalen฀ Texte฀ konzentriert.฀ Diese฀ Schwerpunktsetzung฀ hatte฀ zur฀ Folge,฀ dass฀ der฀ Unterschied฀ zwischen฀ Fiktion฀ und฀ Narration฀ heruntergespielt฀ werden฀ konnte฀ (vgl.฀für฀die฀literaturwissenschaftliche฀Methode:฀Genette฀1991:฀65–94).฀Eine฀ Verlagerung฀der฀Methode฀kann฀dafür฀sorgen,฀dass฀fiktionale฀Filme฀künftig฀ ihre฀ narrative฀ Dominanz฀ verlieren.฀ Die฀ Erzählforschung฀ kann฀ mit฀ einem฀ erweiterten฀Gegenstandsblick฀auch฀nichtfiktionale,฀dokumentarische฀Medien฀ untersuchen฀und฀ihre฀narrativen฀Dynamiken฀aufzeigen฀(Nichols฀1991). Wie฀andere฀wissenschaftliche฀Bilder฀auch฀sind฀wissenschaftliche฀Filme฀ in฀theoretische฀Begründungszusammenhänge฀eingefügt.฀Die฀Wissenschaftssoziologin฀Karin฀Knorr-Cetina฀verwies฀in฀ihrer฀1981฀veröffentlichten฀Studie฀ »The฀Manufacture฀of฀Knowledge«฀auf฀die฀transepistemischen฀Faktoren,฀die฀ wesentliche฀Bereiche฀der฀Wissensproduktion฀und฀-vermittlung฀prägen.฀Ihr฀ Resümee฀ ist,฀ dass฀ sich฀ wissenschaftliche฀ Arbeiten฀ nicht฀ klar฀ und฀ einheitlich฀von฀Strategien฀und฀Rhetoriken฀der฀Selbstdarstellung,฀der฀willkürlichen฀ und฀vagen฀Selektion฀unwillkommener฀Laborergebnisse฀und฀des฀Geschichtenerzählens฀ abgrenzen.฀ Über฀ die฀ interdiskursiven฀ Verschiebungen,฀ die฀ sich฀im฀Wechsel฀der฀Medien฀ergeben,฀schreibt฀Knorr-Cetina:฀»Die฀Begründungsargumente฀des฀Labors฀werden฀durch฀ihre฀literarische฀Rekonstruktion฀ auf฀eine฀Diskursebene฀gehoben,฀die฀vom฀tatsächlichen฀Interaktionsgeschehen฀losgelöst฀erscheint.«฀(Knorr-Cetina฀1984:฀208f )฀In฀diesem฀Zusammenhang฀ kann฀ die฀ Frage฀ nach฀ der฀ rhetorischen,฀ narrativen,฀ metaphorischen฀ und฀ fiktionalisierenden฀ Konstitution฀ des฀ experimentellen฀ Wissens฀ gestellt฀ werden,฀d.h.฀der฀spezifischen฀›Poetologie‹฀des฀Wissens฀(vgl.฀Vogl฀1999:฀13f). Was฀den฀Film฀in฀seinem฀wissenschaftlichen฀Gebrauch฀betrifft,฀so฀plausibilisiert฀er฀die฀experimentelle฀Methode฀im฀Labor,฀bezeugt฀die฀Innovation฀des฀ wissenschaftlichen฀Produkts฀und฀firmiert฀als฀Augenzeuge฀des฀praktisch-wissenschaftlichen฀Handelns.฀Die฀dabei฀zur฀Anwendung฀kommenden฀Plausibilisierungsstrategien฀suggerieren฀dem฀Publikum฀auf฀ideale฀Weise฀eine฀exakte฀ und฀ungefilterte฀Aufzeichnung฀der฀›außerfilmischen฀Realität‹.฀Der฀Wissenschaftstheoretiker฀Hans-Jörg฀Rheinberger฀kritisiert฀die฀traditionelle฀Vorstellung฀einer฀wie฀immer฀gearteten฀Korrespondenzbeziehung฀zwischen฀Bildern฀ und฀ einem฀ von฀ ihnen฀ unabhängigen฀ Gegenstand฀ (vgl.฀ die฀ frühe฀ Kritik฀ am฀ Realismus฀des฀Repräsentationsbegriffs฀bei฀Derrida฀1974:฀27f): »Intuitiv฀verbinden฀wir฀den฀Ausdruck฀›Repräsentation‹฀mit฀der฀Existenz฀von฀etwas,฀ worauf฀die฀Darstellung฀verweist,฀mit฀einem฀Repräsentierten.฀Wir฀fassen฀Repräsentieren฀ als฀einen฀Vorgang฀auf,฀beim฀dem฀›etwas‹฀für฀etwas฀anderes฀gesetzt฀wird.«฀(Rheinberger฀ 1997:฀265) Die฀ von฀ Rheinberger฀ angesprochene฀ Problematik฀ kann฀ generell฀ auf฀ die฀ Diskussion฀der฀filmischen฀Dokumentation฀einer฀›außerfilmischen฀Wirklich31 IM฀KINO฀DER฀HUMANWISSENSCHAFTEN keit‹฀bezogen฀werden.฀Wenn฀wissenschaftliche฀Filme฀bei฀ihrer฀Herstellung฀ genuin฀ mit฀ den฀ von฀ Latour฀ erwähnten฀ »Inskriptionen«฀ (vgl.฀ Latour฀ 1990:฀ 44)฀konnotiert฀sind,฀eröffnet฀sich฀in฀dieser฀Hinsicht฀die฀Möglichkeit,฀filmische฀Wissensrepräsentationen฀nicht฀im฀Sinne฀von฀Wirklichkeitsbezügen฀zu฀ untersuchen,฀ sondern฀ vielmehr฀ im฀ Kontext฀ ihrer฀ Inszenierungspraktiken฀ und฀Erzähltraditionen:฀»Images,฀perhaps฀more฀than฀texts,฀provide฀infinite฀ opportunities฀ for฀ visual฀ exegesis,฀ thereby฀ functioning฀ to฀ keep฀ the฀ discussion฀open,฀not฀closed.«฀(Amann/Knorr-Cetina฀1990:฀115)฀ Die฀im฀Kontext฀der฀Verwissenschaftlichung฀des฀Wissens฀gebräuchlichen฀ theoretischen฀ Begründungen,฀ Erklärungen฀ und฀ Explikationen,฀ mit฀ denen฀ der฀Film฀kodiert฀wird,฀entbehren฀nicht฀eines฀gewissen฀artistischen฀Potentials,฀ das฀ die฀ narrative฀ Methode฀ freilegen฀ kann.฀ Wenn฀ Wissenschaft฀ und฀ Narration฀nicht฀als฀unerwünschte฀und฀sich฀gegenseitige฀ausschließende฀Gegensätze฀aufgefasst฀werden,฀kann฀ein฀Denken฀favorisiert฀werden,฀dass฀die฀Medialisierung฀wissenschaftlichen฀Wissens฀als฀eine฀grundlegende฀Bedingung฀ und฀produktive฀Ermöglichung฀wissenschaftlicher฀Praxis฀anerkennt.฀Donna฀ Haraway฀nennt฀die฀Narrative฀der฀Naturwissenschaften฀ein฀ »narratives฀Feld,฀das฀durch฀vielerlei฀Aktivitäten฀restrukturiert฀werden฀kann:฀die฀Methoden฀der฀Datenerhebung,฀die฀Veröffentlichung฀bestimmter฀Grundmuster,฀bevorzugte฀ Tiermodelle,฀aber฀auch฀durch฀eine฀Frauenbewegung,฀Entwicklungen฀in฀angrenzenden฀ Wissenschaften,฀komplexe฀Praktiken฀des฀Artenschutzes,฀oder฀neue฀nationale฀Regierungen฀in฀Ostafrika.«฀(Haraway฀1995:฀148)฀ Vor฀ dem฀ Hintergrund฀ der฀ neueren฀ Methoden฀ der฀ Filmnarratologie฀ (Bordwell฀ 1985;฀ Thompson฀ 1988;฀ Gaudreault/Jost฀ 1990;฀ Chatman฀ 1990;฀ Metz฀ 1997)฀ und฀ einem฀ erweiterten฀ Begriff฀ der฀ Narration฀ (Hickethier฀ 2001:฀ 111)฀ kann฀jene฀Bedeutungsproduktion฀von฀Wissenschaftsfilmen฀analysiert฀werden,฀ die฀ in฀ die฀ Genese฀ der฀ Wissensgewinnung฀ eingehen.฀ Dieser฀ erweiterte฀ Begriff฀der฀Narration฀beinhaltet฀nicht฀nur฀die฀Stiftung฀kausaler฀Beziehungen฀ des฀ einzeln฀ Wahrnehmbaren,฀ die฀ gestaltete฀ Abfolge฀ von฀ Handlungsereignissen,฀die฀Plausibilisierung฀von฀Kohärenz,฀die฀Ausschnitte฀und฀die฀Auslassungen฀ und฀ die฀ Choreographie฀ der฀ epistemischen฀ Gegenstände,฀ sondern฀ auch฀formale฀Elemente฀wie฀etwa฀Einstellungsgrößen,฀Kameraeinstellungen,฀ Mise฀en฀scène,฀Point฀of฀View฀u.v.a.m.฀Eine฀narratologische฀Fragestellung฀in฀ den฀als฀»nicht-fiktional«฀prädikatisierten฀»Wissenschaftsfilm«฀einzuführen,฀ spürt฀ gleichermaßen฀ dem฀ intratextuellen฀ Bedeutungsüberschuss,฀ der฀ im฀ Film฀angelegt฀ist,฀nach.฀ Filme,฀die฀strikt฀in฀den฀Context฀of฀Discovery฀eingebunden฀sind,฀sind฀auf฀ einen฀ realistischen฀ Aufzeichnungsmodus฀ geschaltet.฀ Dabei฀ dominiert฀ die฀ mehr฀ oder฀ weniger฀ stillschweigende฀ Annahme,฀ dass฀ Film฀ per฀ se฀ –฀ aufbauend฀auf฀der฀Analogie฀des฀fotografischen฀Abbildes฀–฀die฀objektiven฀Verhältnisse฀ der฀ außerfilmischen฀ Wirklichkeit฀ zeige.฀ Filmischer฀ Apparat฀ und฀ Film฀ als฀ Speichermedium฀ haben฀ demnach฀ eine฀ heuristische฀ Mission฀ zu฀ erfüllen:฀ sie฀ machen฀ »sensorielles฀ Wissen«฀ (Foucault฀ 1963:฀ 134–36)฀ ver32 I.฀FILMTHEORIE฀UND฀WISSENSCHAFTSGESCHICHTE fügbar.฀ Diesem฀ scheinbar฀ ›interesselosen‹฀ und฀ ›indifferenten‹฀ Zeigen฀ ist฀ das฀ Erzählen฀ diametral฀ gegenübergestellt.฀ Erzählformen฀ gelten฀ als฀ subjektiv฀ und฀ verfälschend฀ und฀ werden฀ gewöhnlich฀ aus฀ der฀wissenschaftlichtechnischen฀Praxis฀verbannt: »Entblößt฀er฀sich฀[der฀Dokumentarfilm]฀jedoch฀als฀Inszenierung,฀enthebt฀ihn฀das฀seiner฀ Glaubwürdigkeit.฀Es฀scheint฀so,฀als฀erwarteten฀noch฀immer฀viele฀Rezipienten฀vom฀Dokumentarfilm฀nichts฀anderes฀als฀die฀deskriptive฀Verdoppelung฀eines฀Ereignisses฀im฀Film.«฀ (Ballhaus฀1995:฀37) Während฀das฀Zeigen฀auf฀die฀Entdeckung฀(discovery)฀verweist,฀das฀ist฀das฀angebliche฀Vorfinden฀einer฀natürlichen฀Gegebenheit,฀die฀immer฀schon฀latent฀ vorhanden฀ war,฀ konnotiert฀ das฀ erzählerische฀ Erfinden฀ (invention)฀ die฀ konstruktiven฀und฀kreativen฀Aspekte฀wissenschaftlichen฀Handelns.฀Bisher฀wurde฀ die฀Wissenschaftsgeschichte฀der฀Kinematographie฀dem฀Context฀of฀Discovery฀ subsumiert.฀ Das฀ Prädikat฀ ›wissenschaftlicher฀ Film‹฀ konnte฀ ausschließlich฀ für฀das฀mechanische฀Registrieren฀des฀natürlich฀Gegebenen฀verbucht฀werden.฀ Inszenatorische฀Aspekte฀wurden฀mit฀der฀Aktivierung฀der฀Subjektivität฀des฀ Wissenschafters฀gleichgesetzt,฀obwohl฀aufwendige฀Experimentalanordnungen฀ein฀detailliertes฀Drehbuch฀artifiziell฀hergestellter฀Ereignisse฀verlangten฀ und฀ Forschungsfilme฀ in฀ langwierigen฀ Prozeduren฀ nachbearbeitet฀ wurden฀ (vgl.฀zum฀Färben,฀Tonen,฀Kolorieren฀des฀Films฀Polimanti฀1920:฀248–256). Fraglich฀ist฀aber,฀ob฀diese฀binär฀erwünschte฀Sphärentrennung฀von฀Zeigen฀ und฀ Erzählen฀ (vgl.฀ Odin฀ 2000:฀ 32ff,฀ der฀ die฀ Analysekategorie฀ telling/showing฀für฀die฀Filmtheorie฀adaptierte฀und฀weiterentwickelte)฀auch฀tatsächlich฀ zutrifft,฀ wenn฀ die฀ filmischen฀ Ausdrucksformen฀ näher฀ betrachtet฀ werden.฀ Damit฀ bezieht฀ sich฀ die฀ Analyse฀ wissenschaftlicher฀ Erzählformen฀ weniger฀ auf฀inhaltliche฀ Strukturen฀ und฀ auf฀ das฀ Endprodukt,฀sondern฀vielmehr฀auf฀ die฀ formalen฀ Handlungsweisen,฀ die฀ besonderen฀ Merkmale,฀ Stile฀ und฀ Ausdrucksformen฀ von฀ Wissenschaftlichkeit.฀ Mit฀ dieser฀ Sichtweise฀ beschreibt฀ die฀ Erzählanalyse฀ die฀ dekonstruierenden฀ Elemente฀ in฀ der฀ Wissenschaftskommunikation฀und฀siedelt฀diese฀in฀der฀filmischen฀Ebene฀an.฀Dieser฀methodische฀ Ansatz฀ hat฀ weitreichende฀ Folgen,฀ wenn฀ er฀ die฀ Machtstabilisation฀ der฀ wissenschaftlichen฀ Argumentation฀ in฀ eine฀ Machtdestabilisation฀ transformiert฀und฀den฀Nachweis฀führt,฀dass฀Wissenschaftern฀die฀Kontrolle฀über฀ihr฀ eigenes฀Kommunikat฀entgleitet฀und฀dass฀sich฀die฀Mehrdeutigkeit฀des฀filmischen฀Systems฀nicht฀disziplinär฀regeln฀lässt฀(vgl.฀Reichardt฀1991:฀217).฀ Schließlich฀ muss฀ aber฀ auch฀ die฀ klassische฀ aristotelische฀ Dichotomie฀ von฀ Zeigen฀ (Mimesis)฀ und฀ Erzählen฀ (Poeisis)฀ in฀ ihrer฀ Anwendung฀ auf฀ den฀ Film฀neu฀überdacht฀werden.฀Beginnen฀wir฀mit฀den฀elementarsten฀Elementen฀der฀Herstellung฀des฀Bildfeldes฀und฀seiner฀Komposition.฀Angenommen,฀ die฀Art฀und฀Weise,฀den฀Rahmen,฀den฀Aufbau฀und฀das฀Beziehungsfeld฀des฀ Bildes฀ zu฀ gestalten,฀ liefe฀ bereits฀ darauf฀ hinaus,฀ eine฀ wissenschaftliche฀ Bühne฀für฀den฀Auftritt฀der฀epistemischen฀Gegenstände฀und฀der฀Probanden฀ als฀ die฀ Figuren฀ eines฀ Dramas฀ zu฀ konstruieren.฀ –฀ Dann฀ kann฀ bereits฀ das฀ 33 IM฀KINO฀DER฀HUMANWISSENSCHAFTEN Zeigen฀ als฀ eine฀ Art฀ Ermöglichung฀ des฀ wissenschaftlichen฀ Erzählens฀ (z.B.฀ Anfang,฀Mitte,฀Ende)฀betrachtet฀werden;฀ein฀Zeigen,฀das฀dem฀Erzählen฀als฀ seine฀ immanente฀ und฀ explizite฀ Bedingung฀ vorausgeht.฀ Vor฀ allem฀ ist฀ es฀ damit฀möglich,฀eine฀Phänomenologie฀des฀wissenschaftlichen฀Bildes฀zu฀entwickeln,฀die฀sich฀etwa฀mit฀Fragen฀des฀Bildfeldes฀beschäftigt฀(optische฀Mitte,฀ Linien,฀Kurven,฀Flächen,฀Formen,฀Bewegungen,฀Zwischenräume,฀Rahmen,฀ Fokussierung,฀Vordergrund-Hintergrund,฀Vertikalität-Horizontalität,฀Beleuchtung฀etc.).฀Mit฀der฀Auffassung฀des฀Zeigens฀als฀Stilmittel฀filmischer฀Rhetorik฀ und฀als฀Stilmittel฀wissenschaftlicher฀Verfahren฀zur฀Sicherung฀von฀Evidenz,฀ Authentizität฀ etc.฀ kann฀ der฀ objektreferentielle฀ Status฀ des฀ Bildes฀ als฀ aufgehoben฀ betrachtet฀ werden.฀ Für฀ die฀ Ethnologin฀ und฀ Filmemacherin฀ Trin฀ T.฀ Min-ha฀ wird฀ mit฀ dem฀ dokumentarisierenden฀ Modus฀ gleichermaßen฀ eine฀ Definitionsmacht฀ ausgesprochen,฀ »die฀ Realität฀ ›da฀ draußen‹฀ für฀ uns฀ ›hier฀ drinnen‹฀ einzufangen.«฀ (Min-ha฀ 1993:฀ 281)฀ Damit฀ kann฀ die฀ sogenannte฀ »Medienkompetenz«฀ des฀ Wissenschafters฀ gleichermaßen฀ kritisch฀ befragt฀ werden.฀Denn฀mit฀der฀Benennungsmacht฀verknüpft฀ist฀die฀Inbesitznahme฀ eines฀ sozialen฀ Rangs,฀ von฀ dem฀ ausgehend฀ ein฀ privilegierter฀ und฀ elitärer฀ Blick฀ in฀ die฀ Geheimnisse฀ und฀ dunklen฀ Flecken฀ der฀ außerfilmischen฀ Welt฀ geworfen฀ wird.฀ Mit฀ dieser฀ visuellen฀ Ermächtigung฀ verknüpft฀ sich฀ schließlich฀ das฀ zweite฀ tragende฀ Element฀ des฀ Wissenschaftskinos,฀ nämlich฀ die฀ didaktischen฀Kodes,฀die฀der฀Wissenschafter฀setzt,฀um฀zu฀beweisen,฀dass฀er฀ alleine฀fähig฀ist,฀die฀Welt฀des฀Wissens฀für฀uns฀zu฀erklären. Auch฀der฀Wissenschaftsfilm,฀der฀im฀»harten«฀Fact฀Finding-Prozess฀des฀ Context฀ of฀ Discovery฀ eingesetzt฀ wird,฀ erzeugt฀ ein฀ Raum-Zeit-Gefüge,฀ mit฀ dem฀ ein฀ begrenztes฀ Handlungsfeld฀ konstituiert฀ wird,฀ das฀ etwa฀ Erzählordnungen฀ wie฀ Anfang,฀ Mitte,฀ Höhepunkt฀ und฀ Ende฀ aufweist฀ (vgl.฀ Gardies฀ 1993:฀ 59ff ).฀ Dabei฀ werden฀ etwa฀ Handlungsträger฀ (z.B.฀ ein฀ pathologischer฀ Organismus฀ wie฀ der฀ Syphilis-Erreger฀ im฀ menschlichen฀ Körper)฀ verfolgt฀ (Kameraschwenk,฀ Zeitraffer)฀ und฀ fokussiert฀ (Zoom).฀ Damit฀ wird฀ das฀ Geschehen฀ als฀ ein฀ kausales,฀ zeiträumliches฀ Bezugssystem฀ erzählt฀ und฀ mit฀ Handlungen,฀Interaktionen฀und฀Intentionen฀bereichert.฀Unter฀Berücksichtigung฀dieser฀Aspekte฀können฀etwa฀Forschungsfilme฀eine฀diegetische฀Welt฀ aufbauen฀und฀Mikroben฀den฀Stellenwert฀einer฀handelnden฀Figur฀zuweisen.฀ Sie฀verkörpern฀als฀Handlungsträger฀eine฀Orientierung฀der฀zeitlich-kausalen฀ Ordnung,฀ die฀ kameratechnisch฀ in฀ Szene฀ gesetzt฀ wird.฀ Im฀ geschickten฀ Einsatz฀von฀filmischen฀Techniken฀sollte฀die฀Inszenierung฀selbst฀nicht฀wahrgenommen฀werden;฀auch฀sorgten฀institutionelle฀Rahmenbedingungen฀wie฀etwa฀ der฀ Wissenschafter-Status฀ oder฀ Aufführungskontexte฀ und฀ peri-฀ und฀ paratextuelle฀Formen฀wie฀etwa฀Vorankündungen,฀Rezensionen฀oder฀schließlich฀ der฀Vorspann฀für฀zusätzliche฀Beglaubigungen. Nach฀der฀Auflösung฀einer฀originären฀Wahrnehmung฀und฀der฀Evidenz฀der฀ Anschauung฀stellt฀die฀Filmlektüre฀in฀jedem฀Fall฀eine฀komplexe฀Herausforderung฀für฀den฀interpretativen฀Prozess฀dar.฀Merleau-Ponty฀beschreibt฀in฀seiner฀ »Phänomenologie฀ der฀ Wahrnehmung«฀ diese฀ Problematik฀ für฀ den฀ Wahrnehmungsprozess:฀»Nichts฀ist฀schwerer฀zu฀wissen,฀als฀was฀wir฀eigentlich฀sehen.«฀ 34 I.฀FILMTHEORIE฀UND฀WISSENSCHAFTSGESCHICHTE (1966:฀ 82)฀ In฀ ihrer฀ komplexen฀ Machart฀ lösen฀ sich฀ filmische฀ Darstellungs-฀ und฀ Erzählweisen฀ von฀ ihrer฀ »zweiten฀ Natur«฀ und฀ können฀ als฀ zeichen-฀ und฀ bedeutungstheoretische฀ Gebilde,฀ die฀ in฀ einem฀ Netz฀ dichter฀ Assoziationsketten฀verwoben฀sind,฀verstanden฀werden.฀Film฀kann฀nun฀als฀ein฀Wissensgegenstand฀untersucht฀werden฀–฀jedoch฀ohne฀auf฀die฀Differenz฀von฀Zeigen฀und฀Erzählen฀ abzuheben.฀ Zeigen฀ und฀ Erzählen฀ bilden฀ auch฀ keine฀ epistemischen฀ Gegensätze฀mehr,฀wenn฀davon฀ausgegangen฀wird,฀dass฀das฀Erzählen฀als฀eine฀ audiovisuelle฀Kompetenz฀im฀Wissensprozess฀zu฀figurieren฀vermag. Mit฀der฀Erzählanalyse฀eng฀verbunden฀ist฀eine฀dekontextualisierende฀Lektüre฀des฀Wissenschaftsfilms.฀Als฀Dekontextualisierung,฀Kontextmodifizierung฀ oder฀Kontextmodifikation฀bezeichnet฀man฀den฀Vorgang฀des฀Aus-฀oder฀Herauslösens฀des฀Zusammenhanges฀einer฀Handlung,฀eines฀Objekts฀oder฀eines฀ Textes฀ aus฀ seinem฀ Umfeld.฀ Mit฀ Erzählanalyse฀ und฀ Dekontextualisierung฀ geht฀es฀darum,฀eine฀subversive฀Lektüre฀zu฀forcieren,฀welche฀in฀der฀Lage฀ist,฀ die฀ impliziten฀ und฀ expliziten฀ Adressierungen฀ und฀ Normierungen฀ des฀ wissenschaftlichen฀ Dokumentarismus฀ aufzuzeigen฀ und฀ zu฀ unterlaufen.฀ Hierbei฀kann฀herausgestrichen฀werden,฀dass฀wissenschaftliche฀Filme฀vieldeutig,฀ polyfunktional฀ und฀ kulturell฀ kodiert฀ sind.฀ An฀ diesem฀ Punkt฀ ergeben฀ sich฀ Anschlüsse฀ an฀ die฀ Semiopragmatik,฀ die฀ widerspenstige฀ Lektürepraktiken฀ gegen฀die฀durch฀Autoren฀oder฀Institutionen฀intendierten฀Kodierungen฀eines฀ Films฀vorschlägt฀(Odin฀1983;฀1988;฀1995).฀ Auf฀ die฀ Dekontextualisierung฀ folgt฀ eine฀ Rekontextualisierung,฀ die฀ darauf฀abzielt,฀die฀filmischen฀Plausibilisierungsstrategien฀der฀wissenschaftlichen฀Filme฀(nicht-fiktional฀versus฀fiktional;฀faktisch฀versus฀inszenatorisch;฀ bedeutungsunterscheidend฀versus฀mehrdeutig;฀realistisch฀versus฀konstruktivistisch)฀ aufzuzeigen.฀ Dabei฀ wird฀ nicht฀ nach฀ dem฀ faktischen฀ Gehalt฀ von฀ Film฀als฀Dokument฀gefragt,฀sondern฀nach฀Strategien฀der฀Verwissenschaftlichung,฀ die฀ im฀ Bereich฀ der฀ formalen฀ Gestaltung฀ und฀ der฀ Rezeptionsbedingungen฀ untersucht฀ werden.฀ Die฀ Hereinnahme฀ des฀ popularisierenden฀ Medienformats฀ bereichert฀ den฀ dokumentarisierenden฀ Modus฀ der฀ Verwissenschaftlichung฀um฀weitere฀Modi฀des฀Erzählens฀und฀der฀Fiktionalisierung.฀Insgesamt฀gliedern฀modale฀Fragestellungen฀das฀Filmsample:฀Wie฀ werden฀ die฀ dementsprechenden฀ Modi฀ im฀ Film฀ aktiviert?฀ Welchen฀ Stellenwert฀haben฀sie฀bezüglich฀der฀filmischen฀und฀wissenschaftlichen฀Strategien?฀ Auf฀welche฀Weise฀unterscheiden฀sich฀die฀Modi฀der฀Popularisierung฀von฀den฀ Modi฀der฀Elitisierung?฀Für฀beide฀Modi฀gilt฀die฀generelle฀These:฀Mit฀der฀Verlagerung฀des฀inszenatorischen฀Moments฀in฀die฀basalen฀Elemente฀des฀medialen฀Settings฀(Rahmen,฀Format,฀Bildfeld,฀Komposition,฀Bilderfolge,฀Kameraperspektive,฀ Ton,฀ Geräusche,฀ Architektur-Sujet,฀ Lichtgestaltung฀ u.a.m.)฀ löst฀sich฀die฀bisherige฀Kanonisierung฀der฀Gattungen฀von฀Spiel-฀und฀Dokumentarfilm฀ auf.฀ Mit฀ der฀ hier฀ anknüpfenden฀ Verfahrensweise฀ der฀ Deterritorialisierung฀ der฀ Begründungskontexte฀ kann฀ das฀ Filmmaterial฀ aus฀ seiner฀ ästhetischen฀Beschränkung฀gelöst฀werden฀und฀die฀Grenzziehung฀zwischen฀ Wissenschaft฀ und฀ Kunst฀ auf฀ eine฀ filmimmanente฀ Strategie฀ (und฀ nicht฀ auf฀ eine฀ontologisch฀begründbare฀Identität)฀reduziert฀werden. 35 IM฀KINO฀DER฀HUMANWISSENSCHAFTEN Andererseits฀ kann฀ sich฀ in฀ diesem฀ Kontext฀ die฀ umgekehrte฀ Frage฀ nach฀ der฀ Experimentalisierung฀ der฀ Kultur฀ als฀ fruchtbar฀ erweisen.฀ (vgl.฀ Dierig/ Geimer/Schmidgen฀ 2004)฀ Filmische฀ Zeit฀ wird฀ im฀ Rahmen฀ der฀ szientifischen฀ Kontextualisierung฀ hauptsächlich฀ in฀ ihrer฀ formalistischen฀ Diskursivität฀ erörtert.฀ Die฀ beinahe฀ ausschließliche฀ Konzentration฀ auf฀ die฀ apparativen฀Filmtechniken฀des฀Zeitraffers฀und฀der฀Zeitlupe฀mit฀ihren฀narrativen฀ Möglichkeiten฀ der฀ Zeitsprünge฀ und฀ der฀ Vor-฀ und฀ Rückblende฀ haben฀ dazu฀ geführt,฀dass฀sich฀in฀der฀Historiographie฀des฀wissenschaftlichen฀Films฀eine฀ werkimmanente฀Betrachtungsweise฀durchsetzen฀konnte.฀Zeitlupe฀und฀Zeitraffer฀ können฀ nicht฀ nur฀ als฀ apparative,฀ sondern฀ auch฀ als฀ literarische฀ und฀ kognitive฀Stilelemente฀geltend฀gemacht฀werden฀und฀formieren฀Rezeptions-฀ und฀Wahrnehmungskulturen.฀So฀ist฀etwa฀Edmund฀Husserls฀eidetische฀und฀ transzendentale฀Phänomenologie฀von฀den฀zeitgenössischen฀Medientechniken฀wie฀der฀Photographie฀und฀der฀Kinematographie฀geprägt,฀wie฀Iris฀Därmann฀ (1995,฀ 311–322)฀ nachgewiesen฀ hat.฀ Husserl฀ adaptierte฀ den฀ wissenschaftlich-technischen฀Begriff฀der฀kinematographischen฀Zeitlupe฀für฀seine฀ Metapher฀ der฀ »phänomenologische[n]฀ Lupe«฀ (ebd.:฀ 277).฀ Diesem฀ Hinweis฀ folgend฀können฀die฀erwähnten฀filmischen฀Zeittransformationen฀als฀Matrix฀ gesehen฀werden,฀mit฀welcher฀die฀Diskurse฀der฀Wahrnehmung฀medial฀überformt฀werden. Dekontextualisierende฀Lektüreweisen,฀welche฀sich฀als฀eine฀widerspenstige฀Praxis฀begreifen฀und฀gegen฀die฀ursprünglichen฀Bedeutungszuweisungen฀ der฀Filmlektüre฀arbeiten,฀sind฀zwar฀ein฀erkenntnisbereicherndes฀Instrument฀ der฀ bildwissenschaftlichen฀ Analyse,฀ doch฀ sind฀ ihnen฀ epistemologische฀ Beschränkungen฀ inhärent:฀ »Damit฀ stellt฀ sich฀ jedoch฀ die฀ Frage,฀ inwieweit฀ solche฀Lektüremodi฀eine฀transhistorische฀Gültigkeit฀beanspruchen฀können,฀ bzw.฀ inwieweit฀ bei฀ der฀ Arbeit฀ an฀ historischem฀ Material฀ nicht฀ auch฀ andere฀ (graduell฀oder฀gar฀fundamental)฀verschiedene฀Rezeptionsweisen฀postuliert฀ werden฀ müssen.«฀ (Kessler฀ 2002:฀ 106f )฀ Für฀ die฀ Einschätzung฀ der฀ historischen฀Relevanz฀von฀Medienformaten฀und฀einzelner฀Filme฀scheint฀es฀daher฀ ergänzend฀ zur฀ oben฀ dargestellten฀ Methode฀ angebracht,฀ den฀ historischen฀ Kontext฀ der฀ Filme฀ zu฀ rekonstruieren฀ und฀ dabei฀ etwa฀ zu฀ fragen,฀ ob฀ es฀ für฀ Gattungen฀wie฀etwa฀den฀»Wissenschaftsfilm«฀spezifische฀historische฀–฀institutionell฀verbindliche฀ –฀Definitionen฀gab. Wissenschaftskritische฀ Diskurse฀ formulieren฀ stets฀ auch฀ konkrete฀ Relevanzansprüche฀ für฀ gesellschaftliche฀ Diskurse.฀ Insofern฀ sucht฀ die฀ vorliegende฀ Arbeit฀ weitere฀ Anschlüsse฀ an฀ die฀ feministische฀ Wissenschaftskritik฀ und฀die฀Visuelle฀Kultur,฀die฀Wissenschaft฀als฀soziales฀und฀kulturelles฀Feld฀ äußerst฀ divergenter฀ Akteure,฀ Aktanten,฀ Verschiebungen฀ und฀ Umschreibungen฀verstehen,฀das฀durch฀methodologische฀Verfahren,฀Publikationsstrategien฀und฀politische฀Diskurse฀geprägt฀ist:฀ »Als฀eine฀Form฀narrativer฀Praxis฀oder฀des฀Erzählens฀von฀Geschichten฀war฀feministische฀ Praxis฀vielmehr฀dadurch฀wirksam,฀dass฀sie฀ein฀Feld฀von฀Geschichten฀oder฀möglichen฀ erklärenden฀Darstellungen฀änderte,฀dass฀sie฀die฀Verteidigung฀einiger฀Darstellungen฀ 36 I.฀FILMTHEORIE฀UND฀WISSENSCHAFTSGESCHICHTE erschwerte,฀die฀Glaubwürdigkeit฀mancher฀Erklärungsstrategien฀erschütterte.฀Jede฀Geschichte฀innerhalb฀eines฀Feldes฀verändert฀den฀Status฀aller฀anderen.฀Die฀ganze฀in฀sich฀ zusammenhängende฀Reihe฀von฀Geschichten฀ist฀das,฀was฀ich฀ein฀narratives฀Feld฀nenne.«฀ (Haraway฀1995:฀141) In฀ seinen฀ Textanalysen฀ zur฀ Historiographiegeschichte฀ hat฀ Hayden฀ White฀ aufgezeigt,฀auf฀welche฀Weise฀narrative฀Strukturen,฀rhetorische฀Figuren฀und฀ Metaphern฀ wissenschaftliche฀ Texte฀ organisieren.฀ Dabei฀ hat฀ White฀ auf฀ die฀ politische฀Dimension฀poetologischer฀Stilmittel฀hingewiesen: »Narrative฀is฀not฀merely฀a฀neutral฀discursive฀form฀that฀may฀or฀may฀not฀be฀used฀to฀ represent฀real฀events฀in฀their฀aspects฀as฀developmental฀processes฀but฀rather฀entails฀ ontological฀and฀epistemic฀choices฀with฀distinct฀ideological฀and฀even฀specifically฀political฀implications.«฀(White฀1987:฀35) Narrative,฀ Metaphern฀ und฀ rhetorische฀ Konventionen฀ prägen฀ jedoch฀ nicht฀ nur฀ die฀ Metaebene฀ der฀ Wissenschaftsgeschichtsschreibung,฀ also฀ jene฀ performative฀ Praxis,฀ in฀ welcher฀ Wissenschaft฀ als฀ homogene,฀ teleologisch฀ verlaufende,฀ kausalistisch฀ ineinandergreifende฀ Wissenserzählung฀ dargestellt฀ wird฀ –฀ vielmehr฀ sind฀ sie฀ impliziter฀ und฀ produktiver฀ Bestandteil฀ der฀ Wissenschaft฀ und฀ stiften฀ die฀ Bedingung฀ der฀ Möglichkeit฀ von฀ Wissensgenese฀ und฀ -produktion.฀ Demzufolge฀ markieren฀ sie฀ nicht฀ einen฀ Endpunkt,฀ ein฀ Außen฀ oder฀ parasitäre฀ Verhältnisse,฀ die฀ von฀ der฀ »eigentlichen«฀ wissenschaftlichen฀ Praxis฀ fern฀ gehalten฀ werden฀ könnten;฀ oder฀ ein฀ Supplement,฀ welches฀ die฀ Ergebnisse฀ der฀ Wissenschaft฀ vom฀ Zentrum฀ (Labor-Entität)฀ an฀ die฀ Ränder฀ (Wissenschafter-Gemeinschaft)฀ nach฀ außen,฀ an฀ die฀ breite฀ Öffentlichkeit฀(Gesellschaft),฀trägt.฀Entlang฀der฀Sichtbarmachung฀der฀im฀wissenschaftlichen฀Diskurs฀üblicherweise฀unterdrückten฀und฀verschwiegenen฀ narrativen฀ Strukturen,฀ rhetorischen฀ Figuren฀ und฀ Metaphern฀ können฀ wissenschaftliche฀ Aussagen฀ und฀ Aussageordnungen฀ repolitisiert฀ werden.฀ Mit฀ diesem฀Perspektivenwechsel฀kann฀der฀Einsatz฀des฀Films฀im฀technologischwissenschaftlichen฀ Diskurs฀ als฀ ein฀ Machtinstrument฀ ausgewiesen฀ werden฀ und฀die฀Möglichkeit฀der฀politischen฀Intervention฀eröffnen.฀ Die฀Verwissenschaftlichung฀von฀Wissen฀ist฀folglich฀getragen฀von฀einer฀ Bild-฀und฀Tonpolitik,฀die฀das฀Gezeigte฀und฀Gehörte฀als฀fraglos฀gegeben฀darstellt.฀Mit฀der฀selbstverständlichen฀Gegebenheit฀des฀Repräsentierten฀ontologisiert฀der฀Wissenschaftsdiskurs฀nicht฀bloß฀die฀»Realität«฀vor฀der฀Kamera,฀ sondern฀gleichermaßen฀den฀Kamerablick,฀den฀Apparatus฀und฀sämtliche฀die฀ Aufnahme฀ begleitenden฀ Vorannahmen.฀ In฀ der฀ Tradition฀ des฀ vielzitierten฀ Schlagworts฀vom฀»Pencil฀of฀Nature«3฀wird฀die฀»wissenschaftliche฀Kamera«฀ 3.฀ Mit฀ der฀ Formulierung฀ »Stift฀ der฀ Natur«฀ (1844)฀ kreierte฀ der฀ Fotograf฀ William฀ Henry฀Fox฀Talbot฀eine฀Bildmetapher,฀mit฀der฀er฀zum฀Ausdruck฀brachte,฀dass฀die฀Bilder,฀ die฀durch฀die฀optische฀Belichtung฀der฀chemischen฀Emulsion฀entstehen,฀nicht฀mehr฀vom฀ Künstler,฀ sondern฀ von฀ der฀ Natur฀ selbst฀ geschaffen฀ würden.฀ Mit฀ der฀ damit฀ gesetzten฀ 37 IM฀KINO฀DER฀HUMANWISSENSCHAFTEN in฀ der฀ Regel฀ als฀ ein฀ rein฀ mechanisches฀ Abbildungs-฀ und฀ Aufzeichnungsmedium฀angesehen.฀Beharrlich฀wurde฀in฀den฀Veröffentlichungen฀zur฀wissenschaftlichen฀Kinematographie฀hervorgehoben,฀dass฀ihre฀Bildproduktion฀ autonom฀ und฀ selbsttätig฀ sei฀ und฀ frei฀ von฀ manuellen฀ Interventionen฀ und฀ ästhetischen฀ Erwägungen.฀ Der฀ stereotyp฀ wiederholte฀ Gemeinplatz฀ von฀ der฀ Selbstabbildung฀ der฀ Natur฀ ist฀ angesichts฀ der฀ vielfältigen฀ Eingriffe฀ im฀ Prozess฀der฀Forschung฀und฀der฀Wissenschaftskommunikation฀nicht฀mehr฀ haltbar.฀ Vielmehr฀ muss฀ der฀ hohe฀ inszenatorische฀ Aufwand฀ zur฀ Schaffung฀ künstlicher฀Modellbedingungen฀in฀den฀Blick฀gerückt฀werden,฀um฀der฀kreativen฀und฀kunstfertigen฀Pluralität฀wissenschaftlicher฀Visualisierungen฀gerecht฀zu฀werden. Die฀»objektive฀Kamera«฀rekurriert฀immer฀auch฀auf฀eine฀stilistische฀Entscheidung฀–฀etwa฀der฀Weglassung฀oder฀der฀Reduktion;฀so฀spielt฀z.B.฀in฀Symptoms฀ in฀ Schizophrenia฀ (USA฀ ca.฀ 1945)฀ die฀ Kamera฀ bei฀ der฀ Aufnahme฀ von฀ »schizophrenen฀Patienten«฀im฀Garten฀einer฀Nervenklinik฀die฀Rolle฀des฀unbeteiligten฀ Beobachters.฀ Dieser฀ Eindruck฀ wird฀ in฀ einer฀ Bild-Bild-Montage฀ verstärkt฀ (ohne฀ jeglichen฀ Kommentar฀ im฀ Zwischentitel).฀ Die฀ Bild-BildMontage฀kann฀als฀eine฀Umsetzung฀der฀Evidenzstrategie฀verstanden฀werden,฀ in฀ der฀ es฀ darum฀ geht,฀ das฀ filmische฀ Bild฀ als฀ indexikalischen฀ Abdruck฀ des฀ filmischen฀Gegenstands฀in฀Szene฀zu฀setzen.฀ Eine฀weitere฀Forschungsperspektive฀der฀Erzählanalyse฀eröffnet฀die฀Historisierung฀ von฀ Wissensprozessen,฀ in฀ denen฀ Wissen฀ verwissenschaftlicht฀ wird.฀ Ein฀ zentrales฀ Element฀ in฀ historisch฀ sich฀ ausformenden฀ Wissenskulturen฀ sind฀ (inter-)mediale฀ Konstellationen,฀ in฀ denen฀ Visualisierungstechniken฀ produktiv฀ werden.฀ Lisa฀ Cartwright฀ hat฀ in฀ ihrer฀ Studie฀ zur฀ Mediengeschichte฀des฀menschlichen฀Körpers฀mit฀dem฀Titel฀»Screening฀the฀Body«฀ medizinische฀ Diskurse฀ über฀ den฀ weiblichen฀ Körper฀ des฀ 19.฀ Jahrhunderts฀ mit฀ ihrer฀ filmischen฀ Repräsentation฀ korreliert.฀ Die฀ filmischen฀ Visualisierungen฀des฀menschlichen฀Körpers฀modifizieren฀das฀gesamte฀diskursive฀Feld฀ des฀ weiblichen฀ Körpers฀ und฀ etablieren฀ qua฀ Visibilität฀ neue฀ Verfügungsmächte.฀ Demzufolge฀ begreift฀ Cartwright฀ Film฀ als฀ eine฀ kulturelle฀ Technik,฀ die฀ sich฀ in฀ den฀ traditionellen฀ Diskurs฀ der฀ medizinischen฀ Überwachung฀ und฀der฀Disziplinierung฀des฀menschlichen฀Körpers฀einfügt: »One฀of฀my฀primary฀claims฀here฀is฀that฀the฀cinematic฀apparatus฀can฀be฀considered฀as฀ a฀cultural฀technology฀for฀the฀discipline฀and฀management฀of฀the฀human฀body,฀and฀that฀ the฀long฀history฀of฀bodily฀analysis฀and฀surveillance฀in฀medicine฀and฀science฀is฀critically฀ tied฀to฀the฀history฀of฀the฀development฀of฀the฀cinema฀as฀a฀popular฀cultural฀institution฀ and฀a฀technological฀apparatus.«฀(Cartwright฀1995:฀3) Naturalisierung฀ der฀ fotografischen฀ Methode฀ wurde฀ der฀ Apparatus,฀ der฀ in฀ seinem฀ optisch-chemischen฀Prozess฀das฀Bild฀entstehen฀lässt฀und฀diesem฀auch฀seine฀technologiespezifischen฀Parameter฀als฀Determinanten฀der฀Gestaltung฀aufprägt,฀aus฀der฀Fotografiegeschichte฀ausgeblendet. 38 I.฀FILMTHEORIE฀UND฀WISSENSCHAFTSGESCHICHTE Während฀im฀Produktionskontext฀des฀Wissenschaftskinos฀Film฀als฀ein฀fraglos฀ gegebenes฀ Abbildungs-฀ und฀ Aufzeichnungsmedium฀ ohne฀ historischen฀ und฀sozialen฀Hintergrund฀zur฀Verfügung฀stehen฀scheint,฀unterminiert฀die฀ Auffassung฀ von฀ Film฀ als฀ kultureller฀ Institution฀ den฀ erkenntnisstiftenden฀ Funktionalismus฀der฀Kamera฀im฀Labor.฀Gegen฀das฀durch฀Visualisierungen฀ gewonnene฀ Wissen฀ kann฀ demnach฀ nicht฀ nur฀ ein฀ wissenschaftskritischer฀ Einwand฀ reklamiert฀ werden,฀ sondern฀ das฀ Objektivitätspostulat฀ und฀ das฀ Wahrheitsparadigma฀ der฀ Natur-฀ und฀ Humanwissenschaften฀ insgesamt฀ in฀ Frage฀gestellt฀werden.฀Entgegen฀der฀Tradierung฀von฀Wissenschaft฀als฀»wahrer฀ Geschichte«฀geht฀es฀hier฀nicht฀darum,฀die฀Wahrheit฀der฀Repräsentationen฀ zu฀untersuchen,฀sondern฀bloß฀ihre฀Effekte฀(vgl.฀zu฀den฀Signifikationspraktiken฀im฀Lektüreprozess฀Mirzoeff฀1999:฀14–26).฀In฀diesem฀Zusammenhang฀ steht฀ die฀ rhetorische฀ Floskel฀ der฀ Korrespondenzbeziehung฀ zwischen฀ Medium฀ und฀ unverzerrter฀ Wirklichkeit฀ für฀ eine฀ bestimmte฀ wissenschaftliche฀ Strategie,฀ mit฀ Hilfe฀ von฀ Bewegtbildern฀ die฀ eigene฀ soziale฀ Position฀ abzusichern.฀ Im฀ Namen฀ der฀ abstraktifizierten฀ und฀ empirisch฀ gültigen฀ Wahrheit฀ zu฀ sprechen฀ hat฀ folglich฀ weniger฀ mit฀ dem฀ außerfilmischen฀ Referenten฀ zu฀ tun,฀ als฀ mit฀ der฀ Reproduktion฀ männlich฀ dominierter฀ Machtstrukturen฀ im฀ wissenschaftlichen฀ Feld.฀ Soll฀ die฀ Analyse฀ des฀ wissenschaftlichen฀ Films฀ nicht฀ die฀ wissenschaftlichen฀ Machtstrukturen฀ affirmieren,฀ die฀ sie฀ letztlich฀ zu฀ kritisieren฀ beabsichtigt,฀ muss฀ sie฀ mit฀ genderbasierten฀ Problemstellungen฀ der฀ Politics฀ of฀ Representation฀ bereichert฀ werden.฀ Poststrukturalistische฀ und฀ geschlechtertheoretische฀ Ansätze฀ bewerten฀ Repräsentationen฀ als฀ kulturelle฀ Konstruktionen฀ und฀ nicht฀ als฀ Abbild฀ empirischer฀ Sachverhalte.฀ Nach฀Judith฀Butler฀sind฀weder฀die฀soziale฀noch฀die฀biologische฀Geschlechtsidentität฀die฀Widerspiegelung฀eines฀›natürlichen‹฀Zustandes฀(Butler฀1991:฀ 15–21),฀vielmehr฀handelt฀es฀sich฀dabei฀um฀Nachahmungen,฀die฀das฀Vorbild,฀ das฀sie฀abzubilden฀scheinen,฀selbst฀in฀einem฀Prozess฀der฀Wiederaneignung฀ hervorbringen:฀»Daher฀stellt฀das฀Geschlecht,฀das฀nicht฀eins฀ist,฀einen฀Ausgangspunkt฀für฀die฀Kritik฀der฀hegemonialen฀westlichen฀Repräsentation฀[…]฀ bereit«฀ (ebd.:฀ 28).฀ Auf฀ diese฀ Weise฀ gerät฀ das฀ jeder฀ Repräsentation฀ immanente฀Moment฀des฀Performativen,฀das฀die฀Einheit฀der฀beiden฀am฀Repräsentationsprozess฀beteiligten฀Teile฀konstituiert,฀in฀den฀Brennpunkt฀des฀theoretischen฀ Interesses.฀ Damit฀ rücken฀ die฀ Erzählanalyse,฀ die฀ Gebrauchsweisen฀ rhetorischer฀ Formen฀ und฀ die฀ narrativen฀ Strategien,฀ mit฀ denen฀ der฀ männlich฀dominierte,฀wissenschaftliche฀Diskurs฀Überzeugungen฀über฀den฀medialen฀ Raum฀ des฀ So-Seins฀ des฀ weiblichen฀ Körpers฀ herstellt,฀ in฀ den฀ Vordergrund.฀ Damit฀ können฀ seine฀ verschwiegenen฀ Plausibilisierungsstrategien฀ und฀Authentizitätsmarkierungen฀sicht-฀und฀sagbar฀gemacht฀werden.฀ I.4.฀Soziale฀Technologien฀und฀Performativität Um฀die฀historischen฀Diskurse,฀welche฀die฀»nützlichen«฀Bilder฀in฀den฀Wissenschaften฀ auf฀ unterschiedliche฀ Weise฀ kodieren,฀ kenntlich฀ zu฀ machen,฀ 39 IM฀KINO฀DER฀HUMANWISSENSCHAFTEN scheint฀ es฀ sinnvoll,฀ zwei฀ Gebrauchsweisen฀ des฀ wissenschaftlichen฀ Films฀ auseinander฀zu฀halten฀(vgl.฀Wolf฀1975:฀9): 1)฀ Die฀ Kinematographie฀ als฀ Registratur.฀ Im฀ Gebrauchszusammenhang฀ experimenteller฀ Anordnungen฀ erhält฀ Film฀ den฀ Status฀ eines฀ objektiv฀ gültigen฀ Mediums฀ und฀ firmiert฀ als฀ Beweisfunktion฀ von฀ Forschungsergebnissen.฀ ›Realaufnahmen‹฀ werden฀ mimetisch-authentische฀ Eigenschaften฀ zugeschrieben.฀ Nützliche฀ Filme฀ bezeichnen฀ Forscher฀ und฀ Experten฀ als฀ »Forschungsfilm«฀ oder฀ »Studienfilm«฀ und฀ verschmelzen฀ sie฀mit฀einen฀Diskurs฀der฀Wahrheit. 2)฀ Die฀ Kinematographie฀ als฀ Lektion.฀ Sie฀ gilt฀ dem฀ pädagogischen฀ Diskurs฀ als฀ effektive฀ und฀ sozial฀ wirksame฀ Definitionsmacht.฀ Eine฀ didaktisch฀ verfahrende฀ Kinematographie฀ bezeichnet฀ ihre฀ Filme฀ als฀ »Lehrfilm«,฀ »Unterrichtsfilm«฀ oder฀ »Erziehungsfilm«฀ und฀ verbindet฀ diese฀ mit฀ einem฀ Diskurs฀ der฀ rhetorischen฀ Strategien,฀ der฀ Dramaturgie฀ und฀ der฀ Erzählfiguren. Im฀didaktischen฀Modus฀verfahrende฀Filme฀setzen฀eine฀bestimmte฀Kompetenz฀der฀filmischen฀Lektüre฀voraus,฀die฀erlernt฀werden฀muss.฀In฀»Image฀et฀ pédagogie«฀ unterscheidet฀ Geneviève฀ Jacquinot฀ zwischen฀ den฀ Kategorien฀ des฀Didaktischen฀ (le฀ fait฀ didactique)฀ und฀ des฀ Pädagogischen฀(le฀fait฀pédagogique).฀Das฀Didaktische฀definiert฀sie฀als฀die฀Verfahrensweisen฀und฀Techniken,฀mit฀denen฀die฀Ordnungen฀des฀Pädagogischen฀effektiv฀werden฀(Jacquinot฀ 1977:฀ 36f ).฀ Dieser฀ textbasierten฀ Analyseperspektive฀ widmen฀ sich฀ die฀ Kapitel฀VII฀(»Sozialhygienische฀Filme฀im฀›Dritten฀Reich‹«),฀VIII฀(»Zeichentrick฀ im฀ Effizienzfieber:฀ Industrial฀ Organization฀ [1951]«)฀ und฀ IX฀ (»Popularisierungsstrategien:฀Produktivitätsfilme฀1948–1952«)฀des฀vorliegenden฀ Buches.฀ Das฀ Verständnis฀ der฀ rhetorischen฀ Strategien฀ didaktisch฀ verfahrender฀ Filme฀ ist฀ von฀ der฀ pädagogischen฀ Sozialisation฀ seines฀ Publikums฀฀ abhängig: »Denn฀ohne฀eine฀wenigstens฀vage฀Kenntnis,฀wie฀die฀Schule฀funktioniert,฀wird฀der฀ Schüler฀nicht฀verstehen,฀was฀beispielsweise฀die฀Richtungspfeile฀sollen,฀die฀auf฀ein฀Detail฀ in฀einem฀Wissenschaftsfilm฀hindeuten.«฀(Masson฀2006:฀22) In฀»Didaktik฀vs.฀Pädagogik«฀(2006)฀spricht฀sich฀Eef฀Masson฀dafür฀aus,฀die฀ filmimmanente฀Analyse,฀die฀lediglich฀erklären฀kann,฀»wie฀das฀Zusammenspiel฀filmischer฀Kodes฀in฀einer฀bestimmten฀audiovisuellen฀Botschaft฀organisiert฀ist«฀(ebd.),฀mit฀einer฀kontextuell฀verfahrenden฀Untersuchung฀zu฀ergänzen.฀ Im฀ neunten฀ Kapitel฀ »Popularisierungsstrategien:฀ Produktivitätsfilme฀ 1948–1952«฀dieses฀Buches฀wird฀versucht,฀die฀pädagogischen฀Interaktionen,฀ die฀ sich฀ im฀ kontextuellen฀ Rahmen฀ der฀ Präsentation฀ von฀ Lehrfilmen฀ vollzogen฀haben,฀aufzuzeigen. »Forschungsfilme«฀ sind฀ in฀ eine฀ andere฀ Verwertungsökonomie฀ eingebunden฀ als฀ »Lehrfilme«.฀ Dokumentarische฀ Filme฀ im฀ didaktischen฀ Modus฀ 40 I.฀FILMTHEORIE฀UND฀WISSENSCHAFTSGESCHICHTE wurden฀auch฀im฀herkömmlichen฀Kino฀aufgeführt,฀womit฀sich฀eine฀zusätzliche฀Dimension฀spezifischer฀Adressierungsmodi฀etablierte,฀die฀auf฀die฀Popularisierung฀des฀Wissens฀zielte.฀Der฀»populäre฀Lehrfilm«฀ist฀in฀eine฀divergierende฀Verwertungsökonomie฀integriert,฀die฀sich฀filmimmanent฀vor฀allem฀ als฀ narrative฀ Verdichtung฀ anzeigt.฀ Im฀ Gebrauch฀ trickgrafischer฀ Aufnahmen฀ etabliert฀der฀didaktische฀Modus฀einen฀unverwechselbaren฀Stil฀der฀Wissensrepräsentation฀und฀eine฀neuartige฀Wahrnehmungskultur.฀Ein฀sich฀ausdifferenzierendes฀Feld฀vom฀Forschungsfilm฀bis฀zum฀kinotauglichen฀Infotainment฀ zeigt,฀dass฀der฀pragmatische฀Status฀von฀Wissen฀im฀Film฀breit฀gestreut฀ist. Mit฀ der฀ historischen฀ Diskursfigur฀ von฀ der฀ »Suggestivität«฀ des฀ Bewegtbildes฀haben฀sich฀bis฀heute฀Ansichten฀tradiert,฀die฀von฀der฀Disziplinierung,฀ Kontrolle฀ und฀ Regulation฀ des฀ Rezipienten฀ durch฀ eine฀ bestimmte฀ Art฀ und฀ Weise฀ der฀ Filmgestaltung฀ ausgehen.฀ In฀ diesem฀ Zusammenhang฀ möchte฀ ich฀ die฀ Frage฀ der฀ Effektivität฀ didaktischer฀ Filme฀ auch฀ jenseits฀ filmimmanenter฀ Untersuchungen฀ (z.B.฀ die฀ Theorie฀ der฀ »Lektüreanweisungen«฀ von฀ Odin฀ 1995:฀ 85–96)฀ aufwerfen.฀ Vor฀ dem฀ Hintergrund฀ macht-฀ und฀ geschlechtertheoretischer฀ Debatten฀ wurde฀ immer฀ wieder฀ auf฀ den฀ Ansatz฀ rekurriert,฀ das฀ Medium฀ »Film«฀ als฀ einen฀ Apparat฀ zu฀ verstehen,฀ der฀ über฀ soziale฀ Technologien฀ massiv฀ in฀ die฀ Produktion฀ und฀ Reproduktion฀sozialer฀ und฀geschlechtlicher฀Subjektivierung฀eingebunden฀ist฀(De฀Lauretis฀1987).4 Nach฀ der฀ These฀ Foucaults฀ werden฀ die฀ Konzepte,฀ Perzepte฀ und฀ Selbstwahrnehmungen฀ der฀ Menschen฀ durch฀ »soziale฀ Technologien«฀ geformt;฀ »Technologien«฀ bestimmt฀ Foucault฀ als฀ ein฀ »diskursives฀ Feld«,฀ darin฀ die฀ herrschende฀ Politik฀ »rationalisiert«฀ wird฀ (Foucault฀ 2000:฀ 66).฀ Dabei฀ wird฀ das฀Subjekt฀als฀eingelassen฀in฀ein฀Geflecht฀aus฀Technologien฀und฀Praktiken฀ gedacht,฀in฀denen฀es฀von฀anderen฀und฀sich฀selbst฀geformt฀wird,฀eingebunden฀ in฀ Machtverhältnisse฀ und฀ Wissensbeziehungen,฀ die฀ es฀ gestalten฀ und฀ zur฀Formung฀des฀Selbst฀erst฀befähigen.฀ Wenn฀ das฀ Verhältnis฀ von฀ Lehrfilm,฀ sozialen฀ Technologien฀ (Paratext,฀ Kinoerzähler)฀und฀des฀Selbst฀nicht฀als฀determinierte฀Lektürebeziehung฀verstanden฀ werden฀ soll,฀ sondern฀ als฀ strategische฀ Machtbeziehung,฀ die฀ offen฀ bleibt฀für฀ihre฀Abweichungen฀oder฀Veränderungen,฀dann฀muss฀der฀Beitrag,฀ den฀ die฀ Akteure฀ zur฀ Beglaubigung฀ des฀ Films฀ leisten,฀ auch฀ differenziert฀ werden.฀ Besteht฀ hingegen฀ der฀ Anspruch,฀ Subjektivierung฀ nicht฀ als฀ bloße฀ Ausführung฀überindividueller฀Normen฀oder฀als฀passive฀Aneignung฀zu฀verstehen,฀ ist฀ es฀ notwendig,฀ einen฀ differenzierten฀ Begriff฀ sozialer฀ Praxis฀ zu฀ entwickeln,฀ um฀ nach฀ dem฀ Gebrauch฀ fragen฀ zu฀ können,฀ der฀ in฀ der฀ Praxis฀ von฀den฀»Angeboten«฀des฀didaktischen฀Kinos฀gemacht฀wird. 4.฀ Vorraussetzung฀ für฀ die฀ mediale฀ Konstruktion฀ von฀ Geschlechterdifferenz฀ sind฀ »Gender-Technologien«.฀Darunter฀ist฀nach฀Teresa฀De฀Lauretis฀in฀Anlehnung฀an฀Foucault฀ eine฀ »komplexe฀ politische฀ Technologie«฀ zu฀ verstehen,฀ die฀ nötig฀ ist,฀ weil฀ Gender฀ eben฀ »keine฀ Eigenschaft฀ von฀ Körpern฀ ist฀ oder฀ etwas,฀ was฀ im฀ Menschen฀ originär฀ vorhanden฀ wäre,฀sondern฀ein฀Zusammenspiel฀von฀Effekten,฀die฀in฀Körpern,฀Verhaltensweisen฀und฀ gesellschaftlichen฀Beziehungen฀produziert฀werden«฀(De฀Lauretis฀1987:฀3). 41 IM฀KINO฀DER฀HUMANWISSENSCHAFTEN Film฀ als฀ eine฀ soziale฀ Technologie฀ aufzufassen,฀ thematisiert฀ folglich฀ didaktische฀ Elemente,฀ die฀ das฀ gesamte฀ Anwendungsprofil฀ des฀ Films฀ in฀ der฀ wissenschaftlichen฀ Forschung฀ umfassen.฀ Halten฀ wir฀ zunächst฀ fest,฀ dass฀der฀belehrende฀Film฀ein฀Scharnier฀zwischen฀Labor฀und฀Kino฀bildet.฀ Nach฀ ihrer฀ ursprünglichen฀ Definition฀ sind฀ wissenschaftliche฀ Lehr-฀ oder฀ Unterrichtsfilme฀für฀erzieherische฀Zwecke฀produzierte฀Filme.5฀Da฀die฀Debatten฀um฀die฀didaktische฀Effizienz฀des฀Lehrfilms฀bald฀um฀mnemotechnische฀ Aspekte฀ der฀ Aufmerksamkeitsteuerung฀ und฀ Gedächtnisleistung฀ kreisten฀ (Hennes฀1910:฀2),฀wurde฀der฀Lehrfilm฀bereits฀in฀der฀Ära฀des฀frühen฀Films฀ mit฀spektakulären฀Versatzstücken฀des฀»Cinema฀of฀Attractions«฀(Gunning฀ 1990:฀ 56–62)฀ angereichert.฀ Somit฀ wird฀ nachvollziehbar,฀ warum฀ der฀ dokumentarisierende฀ Lehrfilm฀ in฀ seiner฀ Gestaltung฀ entlang฀ eines฀ schmalen฀Grades฀zwischen฀Didaktik฀und฀Schaulust฀balanciert.฀Dabei฀ging฀man฀ davon฀aus,฀die฀Rezeptionsleistung฀durch฀Narrativierung,฀Fiktionalisierung,฀ Identifikation฀und฀Tricktechniken฀effektiv฀und฀effizient฀zu฀steuern.฀Es฀sind฀ die฀Grenzen฀des฀Lesens,฀mit฀denen฀die฀dokumentarisierenden฀Verfahren฀ der฀meisten฀Lehrfilme฀konfrontiert฀sind.฀In฀den฀seltensten฀Fällen฀fungieren฀ hier฀ Bilder฀ des฀ Lehrfilms฀ als฀ selbstevident฀ und฀ kognitiv฀ selbsterklärend.฀ Bild-Bild-Montagen฀sind฀selten฀und฀verifizieren฀und฀bestätigen฀keine฀wissenschaftliche฀ Aussage.฀ Selbst฀ in฀ jenen฀ Verwendungskontexten฀ in฀ der฀ Pionierzeit฀ der฀ wissenschaftlichen฀ Kinematographie,฀ in฀ denen฀ Bild-BildMontagen฀ohne฀Kommentar฀(Zwischentitel)฀aufgeführt฀werden,฀treten฀die฀ mit฀der฀sozialen฀Reputation฀des฀Zeugen฀ausgestatteten฀Versuchsleiter฀und฀ deren฀ Assistenten฀ als฀ Kinoerzähler฀ auf,฀ um฀ das฀ filmisch฀ Beobachtete฀ zu฀ beglaubigen฀ (Van฀ Gehuchten฀ 1907:฀ 208–32).฀ Der฀ Kinoerzähler฀ legitimiert฀ die฀ Wissenschaftlichkeit฀ wissenschaftlicher฀ Filme฀ damit,฀ dass฀ sie฀ von฀ Wissenschaftern฀gemacht฀werden.฀Er฀tritt฀nun฀selbst฀als฀extradiegetische฀ Figur฀ des฀ wissenschaftlichen฀ Beweises฀ auf,฀ um฀ zu฀ suggerieren,฀ dass฀ er฀ aufgrund฀ seiner฀ Ausbildung฀ in฀ der฀ Lage฀ sei,฀ das฀ hinter฀ der฀ Erscheinung฀ verborgene฀ Wesentliche฀ faktisch฀ zu฀ benennen.฀ Damit฀ stellt฀ er฀ klar,฀ dass฀ die฀ gezeigten฀ Bilder฀ lediglich฀ zur฀ »buchstäblichen«฀ Illustration฀ seiner฀ Thesen฀dienen,฀die฀er฀verbalsprachlich฀vorträgt,฀um฀das฀Polysemantische฀ der฀Bilder฀mit฀einer฀eindeutigen฀Lektüreanweisung฀zu฀versehen. Lehrfilme฀ werden฀ auch฀ heute฀ noch฀ ohne฀ Ton฀ gespielt฀ (Reichert฀ 2002:฀ 29–43).฀ Die฀ erläuternden฀ Erklärungen฀ werden฀ vom฀ Vorführer฀ selbst฀ vorgetragen,฀ der฀ damit฀ die฀ Figur฀ des฀ »Kinoerzählers«฀ tradiert.฀ Er฀ wird฀ zum฀ Erzähler฀und฀verbürgt฀selbst฀die฀Wahrheit฀der฀belehrenden฀Geschichte. Der฀ von฀ Roger฀ Odin฀ genannte฀ »argumentative฀ Modus«฀ (vgl.฀ die฀ den฀ Gattungstypen฀ zugeordneten฀ anderen฀ Modi฀ der฀ Bedeutungs-฀ und฀ Affekterzeugung฀ bei฀ Odin฀ 1994:฀ 34–37),฀ mit฀ dem฀ der฀ Lehrfilm฀ agiere฀ und฀ der฀ darauf฀ abziele,฀ mit฀ einem฀ bestimmten฀ Lektüremodus,฀ nämlich฀ der฀ dokumentarisierenden฀Lektüre,฀Lerneffekte฀zu฀erzielen,฀entspricht฀selbst฀nur฀ 5.฀ Zur฀Hervorhebung฀der฀Bandbreite฀des฀wissenschaftlichen฀Films฀ist฀in฀der฀Folge฀ ausschließlich฀vom฀»Lehrfilm«฀die฀Rede.฀ 42 I.฀FILMTHEORIE฀UND฀WISSENSCHAFTSGESCHICHTE einer฀ »idealtypischen฀ Beschreibung฀ der฀ Operationen,฀ die฀ Zuschauer฀ in฀ Gang฀ setzen,฀ damit฀ ein฀ bestimmter฀ Lektüremodus฀ […]฀ optimal฀ funktioniert«฀(Kessler฀2002:฀106f ).฀ Normierende฀ Adressierungs-Strategien฀ haben฀ im฀ Lehrfilm฀ eine฀ große฀ Bedeutung฀beigemessen.฀Dabei฀können฀zwei฀Modi฀unterschieden฀werden: 1)฀ Normative฀Visualisierungen฀weisen฀eine฀Tendenz฀zur฀Idealisierung฀auf.฀ Typisch฀sind฀prototypische฀Zeichnungen฀und฀Grafiken,฀mit฀denen฀Idealisierungsvarianten฀konstruiert฀werden฀oder฀Darstellungen,฀in฀denen฀empirische฀Komplexität฀reduziert฀und฀vereinfacht฀wird.฀In฀beiden฀Varianten฀ dominieren฀ etwa฀ Wissensrepräsentationen฀ typischer฀ und฀ durchschnittlicher฀ Merkmale.฀ In฀ diesem฀ Zusammenhang฀ werden฀ Körper฀ und฀ Subjekte฀ ihrer฀ Individualität฀ und฀ ihrer฀ Geschlechtsmerkmale฀ beraubt฀ und฀ abstrahiert. 2)฀ Normative฀Filmtechniken฀zielen฀auf฀die฀Konditionierung฀des฀Blicks฀des฀ idealtypischen฀ Betrachters:฀ der฀ Zuschauer฀ erhält฀ konkrete฀ Anweisungen฀zur฀Optimierung฀seiner฀Rezeption;฀die฀visuellen฀Tools฀sind฀zweckmäßig฀ organisiert,฀ die฀ Disposition฀ der฀ filmischen฀ Mittel฀ zielt฀ ausschließlich฀auf฀die฀Leistungssteigerung฀der฀Lektüre. Entlang฀ dieser฀ Perspektivierung฀ der฀ Medialisierung฀ wissenschaftlichen฀ Wissens฀ist฀es฀möglich,฀das฀wissenschaftliche฀Objektivitätsideal฀zu฀historisieren฀ und฀ in฀ seinem฀ sozialen฀ Gebrauch฀ zu฀ relativieren.฀ Frage-Modelle฀ nach฀ der฀ sozial฀ »wirksamen«฀ Rezeption,฀ nach฀ dem฀ faktisch-empirischen฀ Publikum,฀nach฀der฀»Auswirkung«฀und฀dem฀»Einfluss«฀von฀Filmen฀auf฀das฀ kollektive฀Erinnern฀bergen฀eine฀Reihe฀von฀Unschärfen฀und฀Unsicherheiten฀ und฀sind฀aus฀folgenden฀Gründen฀als฀problematisch฀zu฀beurteilen: 1)฀ Kausalistische฀ Modelle฀ konstruieren฀ eine฀ unmittelbare฀ Wirksamkeit฀ audiovisueller฀»Quellen«฀auf฀das฀Publikum฀und฀unterstellen฀einen฀ungestörten฀Informationsfluss฀zwischen฀Sender฀und฀Empfänger. 2)฀ Die฀Annahme฀einer฀bestimmten฀Beeinflussung฀unterstellt฀dem฀Film฀eine฀ einheitliche฀ und฀ widerspruchsfreie฀ »Richtung«,฀ »Tendenz«,฀ »Idee«฀ etc.฀ –฀ damit฀wird฀dem฀Film฀eine฀homogenisierende฀Wirkmächtigkeit฀unterstellt. Formale฀ Merkmale฀ plausibilisierender฀ Verwissenschaftlichung฀ können฀ aber฀ nur฀ unter฀ der฀ Bedingung฀ angemessen฀ beurteilt฀ werden,฀ wenn฀ diese฀ als฀ soziale฀ Strategien฀ ausgewiesen฀ werden฀ können.฀ Mit฀ dem฀ Konzept฀ der฀ sozialen฀ Strategie฀ geht฀ Pierre฀ Bourdieu฀ von฀ einem฀ strategischen฀ Gewinnstreben฀der฀sozialen฀Akteure฀aus฀(Bourdieu฀1987:฀50,฀519,฀528).฀Sogenannte฀ »Distinktionsgewinne«,฀also฀spezifische฀Merkmale฀sozialer฀Unterscheidung,฀ manifestieren฀ sich฀ schließlich฀ als฀ soziale฀ Anerkennung฀ (ebd.:฀ 346,฀ 440).฀ Bourdieu฀zeigt฀in฀seinen฀sozialen฀Analysen,฀auf฀welche฀Weise฀ein฀rhetorischer฀ Stil,฀ eine฀ bestimmte฀ Mode,฀ eine฀ ästhetische฀ Eigenart฀ oder฀ die฀ Entwicklung฀eines฀bestimmten฀symbolischen฀Markenzeichens฀»das฀strategische฀ 43 IM฀KINO฀DER฀HUMANWISSENSCHAFTEN Mittel฀ zur฀ Darstellung฀ von฀ Distinktion฀ bilden.«฀ (Ebd.:฀ 120)฀ Bezogen฀ auf฀ den฀Gegenstand฀der฀Medialisierung฀von฀Wissen฀hieße฀dies,฀dass฀der฀Film฀ bestimmte฀ Kriterien฀ (z.B.฀ rhetorische฀ Techniken)฀ inkorporiert,฀ mit฀ denen฀ er฀strategisch฀handelt. Auf฀ das฀ Gegenstandsfeld฀ der฀ filmischen฀ Verwissenschaftlichung฀ von฀ wissenschaftlichem฀ Wissen฀ angewandt,฀ heißt฀ dies฀ zunächst฀ defensiv,฀ dass฀ soziale฀ Strategien฀ aus฀ der฀ immanenten฀ Beschränkung฀ auf฀ filmgeschichtliche฀Aspekte฀und฀genrebezogene฀Filmsemiotik฀nicht฀ausreichend฀erschlossen฀werden฀können.฀In฀einer฀produktiven฀Weiterführung฀des฀Konzepts฀der฀ sozialen฀Strategie฀könnte฀es฀schließlich฀darum฀gehen,฀detailliert฀–฀beinahe฀ philologisch฀ –฀ die฀ rhetorischen฀ Strategien฀ zu฀ rekonstruieren,฀ mit฀ denen฀ der฀Film฀sozial฀handelt.฀Dazu฀ist฀ein฀anderer฀Blick฀auf฀den฀Film฀vonnöten.฀ Demnach฀ muss฀ sich฀ eine฀ Wissensgeschichte,฀ welche฀ die฀ Genese,฀ Zirkulation฀ und฀ Stabilisierung฀ von฀ Wissen฀ in฀ wissenschaftlichen฀ und฀ nichtwissenschaftlichen฀ Zusammenhängen฀ untersucht,฀ mit฀ sozialen฀ Regeln฀ und฀ Formen,฀ Praktiken฀ und฀ Systematisierungen฀ beschäftigen,฀ die฀ daran฀ beteiligt฀ sind,฀ Wissen฀ in฀ medialen฀ Repräsentationsräumen฀ zu฀ legitimieren.฀ Um฀ das฀ diskursive฀ Geflecht฀ von฀ Wissenschaft฀ und฀ Film฀ als฀ strategisches฀ Handeln฀ zu฀ untersuchen,฀ soll฀ dieses฀ unter฀ dem฀ Gesichtspunkt฀ der฀ Performativität฀ bestimmt฀ werden.฀ Vor฀ dem฀ Hintergrund฀ der฀ poststrukturalistischen฀ Debatten฀ ist฀ es฀ wichtig,฀ zwischen฀ Performanz฀ (performance)฀ und฀ Performativität฀ zu฀ differenzieren.฀ Während฀ die฀ Sprechakttheorie฀ Performanz฀ als฀ den฀ Vollzug฀ einer฀ Handlung฀ durch฀ ein฀ handelndes฀ Subjekt฀ voraussetzt฀ (Austin฀ 1975),฀ distanziert฀ sich฀ der฀ Begriff฀ Performativität฀ von฀ der฀Vorstellung฀eines฀autonomen,฀intentional฀agierenden฀Subjekts.฀Derrida฀ hebt฀hervor,฀dass฀Iterabilität฀und฀Zitathaftigkeit฀wesentlich฀dazu฀beitragen,฀ dass฀ performative฀ Äußerungen฀ innerhalb฀ anerkannter฀ Konventionen฀ und฀ Normen฀ überhaupt฀ gelingen฀ können฀ (Derrida฀ 1988:฀ 291–314).฀ Mit฀ performativen฀Äußerungen฀werden฀Handlungen฀vollzogen,฀Tatsachen฀geschaffen฀ und฀Identitäten฀gesetzt.฀Die฀Kategorie฀des฀Performativen฀versetzt฀die฀Filmanalyse฀also฀erstmals฀in฀die฀Möglichkeit,฀die฀autoritativen฀und฀subjektkonstitutiven฀ Funktionen฀ des฀ Films฀ herauszustreichen฀ (vgl.฀ Benveniste฀ 1974:฀ 297–308).฀ Die฀ Analysekategorie฀ der฀ Performativität฀ ermöglicht฀ es,฀ die฀ Medialität฀ des฀ wissenschaftlichen฀ Wissens฀ in฀ ihrer฀ Selektivität฀ zu฀ thematisieren.฀ In฀ diesem฀ Zusammenhang฀ firmiert฀ Performativität฀ als฀ ein฀ Gegenbegriff฀ zur฀ Handlungsmacht฀ der฀ Verwissenschaftlichung฀ von฀ Wissen฀ und฀ ermöglicht฀es,฀Lücken,฀Brüche฀oder฀Störungen฀in฀die฀Analyse฀von฀Mediendiskursen฀einzuführen.฀Entlang฀performativer฀Selbstreflexion฀fungiert฀Film฀ nicht฀ bloß฀ als฀ ein฀ Speichermedium฀ wissenschaftlicher฀ Repräsentationen,฀ sondern฀ tiefenstrukturell฀ als฀ ein฀ soziales฀ Speichermedium.฀ Der฀ Film฀ inkorporiert฀ soziale฀ Strategien,฀ die฀ als฀ Archiv฀ sozialer฀ Performativität฀ entziffert฀ werden฀können.฀Mit฀dem฀Konzept฀der฀Performativität฀kann฀die฀filmwissenschaftliche฀Methode฀konkret฀die฀»Bedeutungen฀der฀Form«฀(White฀1990)฀als฀ performative฀ Äußerungen฀ kennzeichnen.฀ Im฀ Kontext฀ des฀ wissenschaftlichen฀Gebrauchs฀firmiert฀ein฀Forschungsfilm฀als฀eine฀konstative฀Äußerung,฀ 44 I.฀FILMTHEORIE฀UND฀WISSENSCHAFTSGESCHICHTE er฀ erfüllt฀ die฀ Funktion,฀ einen฀ bestehenden฀ Sachverhalt฀ zu฀ beschreiben฀ oder฀ ihm฀ wird฀ die฀ Aufgabe฀ zugeschrieben,฀ Tatsachen฀ zu฀ behaupten,฀ die฀ entweder฀ wahr฀ oder฀ falsch฀ sind.฀ Andererseits฀ handelt฀ der฀ Forschungsfilm฀ auch฀strategisch,฀d.h.฀er฀entwickelt฀autoritative,฀rhetorische฀Strategien,฀um฀ seinen฀ eigenen฀ Diskurs฀ »faktisch«฀ abzusichern฀ und฀ ihn฀ als฀ einen฀ in฀ sich฀ geschlossenen฀ Tatsachenbericht฀ zu฀ stilisieren.฀ Von฀ Beispielen฀ wie฀ diesen฀ ausgehend฀ kann฀ die฀ These,฀ dass฀ die฀ wissenschaftliche฀ Kompetenz฀ als฀ ein฀ Merkmal฀sozialer฀Distinktion฀mit฀Hilfe฀des฀filmischen฀Stils฀kommuniziert฀ wird,฀überprüft฀werden. Der฀Einsatz฀und฀Gebrauch฀von฀Film฀dient฀folglich฀nicht฀nur฀zur฀Objektivierung฀ des฀ epistemischen฀ Objekts,฀ sondern฀ gleichermaßen฀ zur฀ Objektivierung฀ der฀ eigenen฀ sozialen฀ Position,฀ die฀ mit฀ der฀ ›unerschütterlichen‹฀ Verlässlichkeit฀ des฀ Films฀ als฀ einem฀ wissenschaftlichen฀ Beweismittel฀ gestützt฀ werden฀ soll฀ (siehe฀ z.B.฀ die฀ paratextuellen฀ Äußerungsinstanzen฀ zur฀ Legitimation฀ der฀ wissenschaftlichen฀ Autorität฀ respektive฀ des฀ auktorialen฀ Erzählers).฀ Eine฀ wissenschaftskritische฀ Perspektive฀ entsteht฀ da,฀ wo฀ diese฀ Verflechtung฀ zwischen฀ Medialisierung,฀ wissenschaftlichem฀ Wissen฀ und฀ sozialen฀ Machtstrategien฀ –฀ und฀ den฀ ihnen฀ zugrundeliegenden฀ sozialen฀ Konventionen฀ und฀ stereotypen฀ Kodierungen฀ –฀ kenntlich฀ gemacht฀ werden฀ kann.฀ Während฀ das฀ Geschichten-Erzählen฀ immer฀ auf฀ die฀ subjektive฀ Position฀und฀Blickweise฀des฀Erzählers฀verweist,฀interpretieren฀wissenschaftliche฀ Diskursgeschichten฀die฀Kinematographie฀als฀›neutrale‹฀Registriermaschine฀ (Marey฀ 1985:฀ 1–3).฀ Der฀ von฀ Odin฀ »institutionelle฀ Zuweisung«฀ (2002:฀ 49)฀ genannte฀institutionelle฀Rahmen฀(framing),฀in฀welchem฀ein฀Film฀präsentiert฀ wird,฀ spielt฀ sowohl฀ für฀ die฀ Legitimierung฀ des฀ Films฀ als฀ auch฀ für฀ die฀ der฀ Filmproduzenten฀eine฀bedeutende฀Rolle.฀Das฀Delegieren฀an฀das฀technischapparative฀ Ensemble฀ hat฀ den฀ grundlegenden฀ Zweck,฀ Fragen฀ an฀ subjektive฀ Beweggründe,฀ und฀ das฀ heißt:฀ soziale฀ Interessen,฀ aufzuheben.฀ Bereits฀ bei฀ der฀Erstellung฀des฀Forschungsdesigns฀und฀der฀ersten฀Konzeptphase฀strukturieren฀dispositive฀Ordnungen฀den฀Wissensprozess.฀Im฀Dispositiv฀verdichten฀sich฀Technik,฀Wissen฀und฀soziale฀Performativität:฀Anfang,฀Höhepunkt,฀ Phasen฀ und฀ Ende฀ eines฀ wissenschaftlichen฀ Versuchs฀ sind฀ von฀ sozialen฀ Akten฀abhängig,฀die฀ihnen฀einen฀»Rahmen«฀(Goffman฀1979)฀setzen.฀ Um฀die฀sozialen฀Strategien฀in฀den฀Blick฀zu฀bekommen,฀wird฀der฀Begriff฀ der฀Verwissenschaftlichung฀als฀eine฀soziale฀Praxis฀aufgefasst.฀Das฀praktische฀ Wissen฀nutzt฀filmisches฀Know฀How฀als฀Repertoire฀von฀Überzeugungstechniken.฀ Dazu฀ gehört,฀ dass฀ im฀ Forschungsfilm฀ inszenatorische฀ Strategien฀ weitgehend฀ unterdrückt฀ werden.฀ Profilierungsstrategien฀ versuchen,฀ den฀ Forschungsfilm฀ dem฀ schriftlichen฀ Bericht฀ über฀ die฀ Ergebnisse฀ von฀ Forschungsarbeiten฀anzunähern.฀Doch฀genau฀die฀demonstrative฀»Neutralisierung«฀und฀»Simplifizierung«฀der฀Ergebnisse฀verweist฀auf฀die฀szientifische฀ Strategie฀ der฀ Plausibilisierung฀ von฀ »objektiver«฀ Information฀ und฀ der฀ Vermeidung฀expliziter฀Wertaussagen.฀ Das฀Benennen฀der฀mit฀dem฀Film฀möglich฀gemachten฀›neuen฀Sichtbarkeit‹฀ korrespondiert฀ nicht฀ mit฀ einer฀ neutralen฀ sozialen฀ Praxis,฀ sondern฀ 45 IM฀KINO฀DER฀HUMANWISSENSCHAFTEN transformiert฀ die฀ Macht฀ des฀ Benennens฀ in฀ technisch-apparative฀ Anwendungen฀ wie฀ sie฀ etwa฀ der฀ Kinematograph฀ und฀ der฀ Film฀ bereit฀ hält.฀ Zur฀ Praxis฀der฀Signifizierung฀schreibt฀Donna฀Haraway:฀ »Ein฀Wissenschafter฀ist฀jemand,฀der฀dazu฀befugt฀ist,฀das฀zu฀benennen,฀was฀für฀die฀ Menschen฀der฀Industrienationen฀als฀Natur฀gelten฀kann.฀Ein฀Wissenschafter฀›benennt‹฀ Natur฀in฀geschriebenen,฀öffentlichen฀Dokumenten,฀denen฀die฀besondere,฀durch฀Institutionen฀verstärkte฀Eigenschaft฀zukommt,฀als฀objektiv฀zu฀gelten฀und฀über฀die฀kulturellen฀ Traditionen฀derer,฀die฀sie฀geschrieben฀haben,฀hinaus฀anwendbar฀zu฀sein.«฀(Haraway฀ 1995:฀138f) Der฀ Film฀ verknüpft฀ soziale,฀ materiale฀ und฀ symbolische฀ Technologien.฀ Soziale฀Strategien฀versuchen฀im฀Gebrauch฀filmischer฀Techniken฀zu฀kommunizieren.฀ Idealiter฀ sollte฀ es฀ der฀ Film฀ ermöglichen,฀ dass฀ sich฀ mit฀ ihm฀ die฀ Inszenierung฀eines฀souveränen฀Mehrwissens,฀wissenschaftlicher฀Seriosität฀ und฀einer฀homogenen฀wissenschaftlichen฀Geschichte฀ausdrücken฀lässt. I.5.฀Mediale฀Dispositive฀und฀Wissensarchäologie Der฀ Begriff฀ »Dispositiv«฀ bezeichnet฀ im฀ Französischen฀ als฀ le฀ dispositif฀ nicht฀ mehr฀ als฀ eine฀ Anordnung,฀ einen฀ Apparat.฀ Seine฀ Etymologie฀ dis-positio฀ verweist฀auf฀die฀Anordnung฀getrennter฀Elemente,฀die฀nicht฀in฀einer฀com-positio฀ zusammengefügt฀ werden.฀ Erstmals฀ integrierten฀ Jean-Louis฀ Baudry฀ (1970)฀ und฀Christian฀Metz฀(1977)฀den฀Begriff฀»Dispositiv«฀in฀ihre฀medientheoretischen฀ Modelle฀ (Sirois-Trahan฀ 2003:฀ 149–176).฀ Für฀ sie฀ ist฀ es฀ vor฀ allem฀ die฀ ideologische฀Funktion,฀die฀das฀kinematographische฀Dispositiv฀auszeichnet.฀ Das฀Kinodispositiv฀ermöglicht฀die฀Bedingung฀für฀das฀Sehen,฀das฀Dispositiv฀ ist฀ aber฀ jener฀ Apparatus,฀ der฀ selbst฀ nicht฀ mehr฀ sichtbar฀ ist.฀ In฀ den฀ Kinotheorien฀ von฀ Jean-Louis฀ Comolli฀ (1980),฀ Pascal฀ Bonitzer฀ (1987)฀ oder฀ Stephen฀ Heath฀ (2003)฀ ermöglicht฀ dieses฀ Dispositiv฀ etwas฀ abgeschwächt฀ bloß฀ eine฀ästhetische/technische฀Sphäre,฀die฀eine฀Erwartungsanordnung฀formiert,฀ aber฀ nicht฀ zwangsläufig฀ Rezeption฀ determiniert.฀ Jüngere฀ Theorien฀ lösen฀ sich฀von฀der฀Idee฀eines฀universell฀wirksamen฀Kinodispositivs฀und฀versuchen฀ vielmehr,฀die฀historischen฀Kontexte฀diverser฀medialer฀Bilddispositive฀zu฀rekonstruieren.฀Wenn฀das฀Konzept฀des฀Dispositivs฀aber฀als฀mediale฀Analysekategorie฀der฀Wissensherstellung฀genutzt฀werden฀soll,฀dann฀muss฀es฀weiter฀ gefasst฀werden.฀Die฀entscheidende฀Frage฀ist฀daher:฀wie฀kann฀der฀Begriff฀des฀ Dispositivs฀ aus฀ seiner฀ metapsychologischen฀ Konzeption฀ der฀ Apparatusdebatte฀der฀1970er฀Jahre฀gelöst฀werden฀(Baudry฀1975:฀56–72)? Die฀Stärke฀des฀Dispositiv-Begriffs฀liegt฀nicht฀in฀der฀alleinigen฀Fixierung฀ der฀ räumlichen฀ Kinosituation,฀ sondern฀ in฀ der฀ Verschränkung฀ von฀ wahrnehmungstheoretischen,฀apparativen,฀technischen฀und฀politischen฀Aspekten฀ (Müller฀ 2003:฀ 247–260).฀ Demnach฀ kontextualisieren฀ Dispositive฀ Wissensprozesse฀ nicht฀ bloß฀ auf฀ sekundäre฀ Weise,฀ sondern฀ formieren฀ und฀ gene46 I.฀FILMTHEORIE฀UND฀WISSENSCHAFTSGESCHICHTE rieren฀ die฀ Potentialität฀ von฀ Wissensentstehung฀ und฀ -entwicklung.฀ Damit฀ einhergehend฀ können฀ nicht฀ bloß฀ kinematographische฀ Praktiken,฀ sondern฀ gleichermaßen฀Wissensdynamiken฀in฀ihrer฀medial฀bedingten฀Performativität฀ beschreibbar฀ werden.฀ Mit฀ dem฀ Begriff฀ des฀ Dispositivs฀ kann฀ vermieden฀ werden,฀ dass฀ Wissensprozesse฀ monokausal฀ an฀ die฀ Errungenschaften฀ und฀ Charaktermerkmale฀ einzelner฀ Medienpraktiken฀ wie฀ der฀ Kinematographie฀ rückgebunden฀werden.฀Denn฀die฀Kinematographie฀ist฀ihrerseits฀in฀ein฀intermedial฀ prosperierendes฀ Feld฀ heterogener฀ Kultur-฀ und฀ Medienpraktiken฀ verflochten฀ (vgl.฀ Crary฀ 2002:฀ 16).฀ Insgesamt฀ stehen฀ diese฀ komplexen฀ Verzahnungen฀ für฀ spezifische฀ mediale฀ Dispositive,฀ die฀ als฀ ein฀ Netzwerk฀ von฀ Techniken฀ und฀ Institutionen฀ begriffen฀ werden฀ können,฀ »die฀ einer฀ gegebenen฀ Kultur฀ die฀ Entnahme,฀ Speicherung฀ und฀ Verarbeitung฀ relevanter฀ Daten฀erlauben«฀(Kittler฀1987:฀429).฀ Das฀mediale฀Setting฀repräsentiert฀inkorporiertes฀Wissen,฀umgekehrt฀ist฀ dem฀Wissen฀das฀mediale฀Setting฀inkorporiert.฀Mediales฀Setting฀und฀Wissen฀ strukturieren฀ein฀Netz฀von฀Beziehungen฀und฀Anknüpfungen.฀Dieses฀Netz,฀ das฀die฀experimentelle฀Beobachtung฀ermöglicht,฀kann฀mit฀dem฀Modell฀des฀ Dispositivs฀ untersucht฀ werden.฀ Auch฀ Michel฀ Foucaults฀ Dispositiv-Konzept฀ betont฀die฀enge฀Wechselbeziehung฀der฀einzelnen฀Komponenten฀zueinander฀ und฀ spricht฀ in฀ diesem฀ Zusammenhang฀ von฀ einem฀ Netz:฀ »Das฀ Dispositiv฀ selbst฀ist฀das฀Netz,฀das฀zwischen฀diesen฀Elementen฀geknüpft฀werden฀kann.«฀ (Foucault฀1993:฀119f )฀Das฀theoretische฀Konzept฀des฀Dispositivs฀kann฀herangezogen฀werden,฀um฀die฀strukturelle฀Beziehung฀heterogener฀Elemente,฀die฀ in฀ der฀ Wissenschaftsgeschichte฀ oft฀ gar฀ nicht฀ reflektiert฀ werden,฀ aber฀ dennoch฀in฀strategisch฀relevanten฀Beziehungen฀zueinander฀stehen,฀sichtbar฀zu฀ machen.฀Foucault฀betont฀die฀Zweckdimension฀des฀Dispositivs:฀»Das฀heißt,฀ die฀Elemente฀werden฀auf฀der฀Basis฀eines฀gemeinsamen฀Zwecks฀verknüpft.฀ Das฀ Dispositiv฀ ist฀ also฀ strategischer฀ Natur.«฀ (Ebd.:฀ 123)฀ Konkret฀ heißt฀ das:฀ im฀Lehrfilm฀konfiguriert฀sich฀ein฀Dispositiv฀bestehend฀aus฀der฀Disziplinarordnung฀Schule฀(Tafel,฀Klassenraum,฀Lehrer-Schüler-Verhältnis,฀Reglementierung,฀ Bewegungsverbot,฀ Bedürfnisaufschub,฀ Widerstand,฀ Schönschrift),฀ der฀medialen฀ Überlegenheit฀ der฀ Schrift฀ (Kodifizierung,฀Typographie,฀Definitionsmacht)฀und฀der฀Kamera฀als฀Apparat฀der฀Blickführung฀(Drill,฀Abrichtung,฀Lenkung,฀Kontrolle).฀Wissenskonstruktion฀und฀-kontexte฀als฀Dispositiv฀ zu฀erfassen฀heißt,฀Wissen฀als฀strukturelle฀Anordnung฀seiner฀wesentlichen฀ in฀ Verbindung฀ zueinander฀ stehenden฀ Elemente฀ zu฀ analysieren.฀ Das฀ sich฀ daraus฀ergebende฀»Netz«฀von฀Beziehungen,฀wie฀es฀Foucault฀nennt,฀ermöglicht฀ es,฀ wesentliche฀ Auswirkungen฀ der฀ in฀ Beziehung฀ stehenden฀ Anordnungen฀auf฀Wissen฀und฀Film฀zu฀analysieren. Die฀gängige฀anthropozentrische฀Annahme,฀dass฀Medien฀die฀Betrachterposition฀ ›erweitern‹฀ und฀ ›verstärken‹฀ erfährt฀ in฀ dieser฀ Perspektive฀ eine฀ Relativierung.฀ Vielmehr฀ lässt฀ sich฀ belegen,฀ dass฀ der฀ Kontext฀ der฀ Wissenserfindung฀durch฀mediale฀Anforderungen฀überformt฀wird฀(Holl฀2006:฀217– 240).฀ Aus฀ dem฀ Umstand,฀ dass฀ mediale฀ Dispositive฀ historischen฀ Konjunkturen฀ unterliegen,฀ kann฀ abgeleitet฀ werden,฀ dass฀ vermittels฀ der฀ medialen฀ 47 IM฀KINO฀DER฀HUMANWISSENSCHAFTEN Historiographie฀ gleichfalls฀ die฀ Geschichte฀ des฀ Betrachtersubjekts฀ lesbar฀ werden฀ kann.฀ Entscheidend฀ ist,฀ dass฀ das฀ Wahrnehmungsdispositiv฀ kein฀ feststehender฀Rahmen฀ist,฀sondern฀selbst฀historisch฀bedingt฀ist.฀Ein฀historisches฀ Wahrnehmungsdispositiv,฀ an฀ dem฀ die฀ wissenschaftliche฀ Kinematographie฀ maßgeblich฀ beteiligt฀ ist,฀ prägt฀ die฀ Kontextualität฀ von฀ Wissen฀ als฀ einer฀transwissenschaftlichen฀Pragmatik฀(Köppen฀2005:฀55–82). In฀ ihrem฀ richtungsweisenden฀ Text฀ »Dispositifs«฀ verkoppelt฀ AnneMarie฀ Duguet฀ das฀ mediale฀ Dispositiv฀ mit฀ der฀ sozialen฀ Organisation฀ der฀ Überwachung฀ und฀ nennt฀ diese฀ Koppelung฀ ein฀ »Überwachungsdispositiv«,฀ für฀das฀sie฀u.a.฀folgende฀Merkmale฀nennt:฀eine฀umfassende฀Aufsicht,฀die฀ Unsichtbarkeit฀ des฀ Beobachters฀ und฀ die฀ Dissoziation฀ von฀ Sehen฀ und฀ Gesehen-Werden฀ (Duguet฀ 1988:฀ 221–242).฀ Im฀ Kontext฀ der฀ Macht-฀ und฀ Wahrnehmungsgeschichte฀in฀Forschung฀und฀Lehre฀geht฀es฀um฀die฀Frage฀ der฀Entstehung฀und฀Formung฀bestimmter฀Typen฀des฀Sehens฀als฀internalisierte฀ und฀ auch฀ institutionalisierte฀ soziale฀ Praxis,฀ um฀ Einsichten฀ in฀ die฀ geschichtliche฀ Bedingtheit฀ und฀ die฀ normalisierenden฀ Prozeduren฀ –฀ etwa฀ jene฀von฀Sehen฀und฀Gesehen-Werden.฀ Im฀Kontext฀wissenschaftlicher฀Versuche฀können฀Dispositive฀als฀Ermöglichungsanordnungen฀ von฀ Beobachtung฀ begriffen฀ werden;฀ sie฀ ermöglichen฀ eine฀ Ordnung฀ von฀ Sichtbarkeit฀ ohne฀ damit฀ das฀ Subjekt฀ als฀ auch฀ das฀ Konzept฀ des฀ Wissens฀ zu฀ definieren.฀ Als฀ Bedingung฀ von฀ Möglichkeit฀ konfigurieren฀ sie฀ bloß฀ die฀ Wahrnehmbarkeit฀ von฀ epistemischen฀ Gegenständen฀ und฀ Vorgängen.฀ Entscheidend฀ am฀ Begriff฀ des฀ Dispositivs฀ ist,฀ dass฀ er฀ das฀ Bildfeld฀ des฀ Gesehen-Werdens฀ gegenüber฀ dem฀ aktiven฀ Sehen฀ thematisch฀ aufwertet.฀Die฀Position฀des฀Beobachters฀wird฀vom฀Dispositiv฀nicht฀geklärt.฀ Als฀Rahmenbedingung฀ist฀das฀Dispositiv฀nicht฀selbst฀eine฀Unterscheidung,฀ sondern฀ermöglicht฀oder฀verhindert฀diese.฀Damit฀fixiert฀das฀Dispositiv฀die฀ Dissoziation฀von฀Betrachter฀und฀Objekt,฀von฀Objekt฀und฀Apparat฀und฀strukturiert฀ dabei฀ den฀ Raum฀ der฀ experimentellen฀ Beobachtung฀ in฀ einen฀ Real-฀ und฀Imaginationsraum.฀Durch฀die฀Distanzierung฀im฀Verhältnis฀zum฀Raum฀ des฀Objektes฀bleiben฀der฀Betrachter฀und฀der฀Apparat฀außerhalb฀des฀Theaters฀ der฀ experimentellen฀ Repräsentation.฀ Diese฀ Zäsur,฀ die฀ das฀ Dispositiv฀ setzt,฀ ist฀von฀entscheidender฀Bedeutung,฀weil฀das฀Außerhalb฀des฀Beobachterstatus฀ und฀ der฀ apparativen฀ Anordnung฀ selbst฀ nicht฀ mehr฀ Teil฀ der฀ inszenierten฀ Versuchsgeschichte฀ist.฀ Vermittels฀ der฀ nachfolgenden฀ Studien฀ soll฀ erprobt฀ werden,฀ ob฀ und฀ inwiefern฀ Analysebegriffe฀ wie฀ etwa฀ das฀ Dispositiv฀ auch฀ methodologische฀ Perspektiven฀ermöglichen.฀Jedenfalls฀wird฀versucht,฀sich฀mit฀dem฀Dispositiv฀ von฀ bestimmten฀ methodischen฀ Annahmen,฀ die฀ in฀ der฀ Historiographie฀ des฀Wissens฀und฀des฀Films฀bis฀heute฀tradiert฀werden,฀abzugrenzen฀und฀alternative฀Beschreibungsverfahren฀zu฀entwickeln.฀Eine฀erste฀Distanzierung฀ gilt฀ den฀ teleologischen฀ Fortschrittsannahmen,฀ die฀ mit฀ der฀ Annahme฀ verknüpft฀ sind,฀ dass฀ sich฀ die฀ Anwendung฀ von฀ Film฀ in฀ den฀ Wissenschaften฀ kontinuierlich฀ weiterentwickelt฀ und฀ verbessert฀ habe.฀ Dabei฀ nimmt฀ man฀ eine฀ stetige฀ Progression฀ an,฀ deren฀ Dynamik฀ von฀ »Erfindersubjekten«฀ und฀ 48 I.฀FILMTHEORIE฀UND฀WISSENSCHAFTSGESCHICHTE »Pionieren«฀getragen฀wird,฀welche฀der฀Wissenschaftsgeschichte฀homogene฀ Ordnungsvorstellungen฀von฀»Grund«,฀»Folge«฀und฀»Entwicklung«฀verleihen.฀ Das฀ »Pionier«-Narrativ฀ personalisiert฀ geschichtliche฀ »Bruchlinien«฀ und฀ konstruiert฀ ein฀ auktoriales฀ Subjekt฀ der฀ Geschichte,฀ dessen฀ Werk฀ Einfluss฀ auf฀ die฀ »gesamte«฀ Epoche,฀ »die«฀ Gesellschaft,฀ »die«฀ Kultur฀ oder฀ auf฀ die฀ »Geschichte฀der฀Wahrnehmung«฀ausüben฀soll.฀Geltungsansprüche฀auf฀wissenschaftliche฀ Einzelleistungen฀ werden฀ oft฀ im฀ argumentum฀ ad฀ hominem฀ vorgebracht:฀ »Mareys฀ Erfindergeist฀ zeigte…«฀ oder฀ »Muybridge฀ zeigte฀ erstmals…«. Diese฀Problematik฀der฀Vereinheitlichung฀und฀Verallgemeinerung฀muss฀ auch฀ auf฀ das฀ Arbeiten฀ mit฀ dem฀ Begriff฀ der฀ »Mentalität«฀ bezogen฀ werden.฀ Wird฀ nicht฀ durch฀ die฀ Annahme฀ eines฀ wissenstradierenden฀ Netzes฀ von฀ Institutionen฀ (Schulen,฀ Akademien,฀ Vereinigungen฀ etc.)฀ erneut฀ die฀ Vorstellung฀ eines฀ historischen฀ Kontinuums฀ im฀ Sinne฀ der฀ Mentalitätsgeschichte฀ bemüht?฀ Denn฀ es฀ ist฀ freilich฀ verführerisch,฀ anzunehmen,฀ dass฀ eine฀ bestimmte฀historische฀Epoche฀oder฀Ära฀von฀einer฀Wahrnehmungsweise฀geprägt฀ gewesen฀sei,฀die฀sich฀als฀kohärente฀»Mentalität«฀manifestiert฀habe.6฀Grundlagenprobleme฀des฀Mentalitätsbegriffs฀sind฀erstens฀seine฀Verknüpfung฀mit฀ einer฀ gemeinsamen฀ Alltagspraxis,฀ die฀ eine฀ klassen-฀ und฀ geschlechtsneutrale฀ Vereinheitlichung฀ impliziert฀ und฀ mit฀ der฀ die฀ traditionellen฀ Konzepte฀ von฀ »Weltanschauung«฀ und฀ »Zeitgeist«฀ übernommen฀ werden.฀ Zweitens฀ die฀ generelle฀ Tendenz,฀ dass฀ mit฀ der฀ Theorie฀ der฀ kollektiven฀ Mentalitäten฀ die฀traditionelle฀Ideengeschichte฀wieder฀etabliert฀werden฀könne,฀wenn฀eine฀ Mentalität฀einer฀bestimmten฀historischen฀Periodisierung฀(Epoche,฀Zeitalter,฀ Strömung,฀Stil)฀zugeordnet฀wird.฀ Oft฀ werden฀ dabei฀ Filme฀ als฀ eine฀ transzendente฀ Wirkmacht฀ idealisiert,฀ welche฀ die฀ soziale฀ Welt฀ auf฀ eine฀ bestimmte฀ Weise฀ prägen฀ und฀ sich฀ in฀ die฀ »passive«฀ Masse฀ der฀ Rezipienten฀ einschreiben฀ würden.฀ Damit฀ stärkt฀ man฀ die฀ Annahme฀ einer฀ zerebralen฀ Effizienz฀ des฀ Sozialen฀ und฀ legitimiert฀ das฀ Gebrauchswertversprechen฀ des฀ Lehrfilms,฀ dessen฀ vornehmliche฀ Nützlichkeit฀ja฀darin฀bestehen฀soll,฀konsumiert฀zu฀werden.฀Mit฀der฀Spekulation฀eines฀ didaktisch-heroischen฀Einflusses฀des฀Films฀auf฀eine฀gesamtgesellschaftliche฀ 6.฀ 1974฀erschien฀der฀Sammelband฀»Faire฀de฀l’histoire«฀(dt.฀»Mentalitäten-Geschichte.฀ Zur฀historischen฀Rekonstruktion฀geistiger฀Prozesse«,฀1989),฀darin฀Historiker฀wie฀Peter฀ Burke,฀ Roger฀ Chartier,฀ Jaques฀ Le฀ Goff฀ und฀ Michel฀ Vovelle฀ Methodenprobleme฀ der฀ Mentalitäten-Geschichtsschreibung฀ kontrovers฀ diskutieren฀ respektive฀ das฀ MentalitätenKonzept฀ hinsichtlich฀ seiner฀ Tauglichkeit฀ zur฀ Analyse฀ historischer฀ Prozesse฀ in฀ Frage฀ stellen.฀ Der฀ Begriff฀ der฀ »Mentalität«฀ galt฀ in฀ den฀ akademischen฀ Debatten฀ der฀ frühen฀ 1970er฀Jahre฀in฀seinem฀polysemantischem฀Gebrauch฀als฀umstritten฀und฀vage฀–฀als฀ein฀ »Modebegriff«,฀wie฀er฀beispielsweise฀von฀Le฀Goff฀bezeichnet฀wurde.฀In฀den฀Folgejahren฀ wurde฀ der฀ Mentalitätsbegriff฀ von฀ zahlreichen฀ Kritikern฀ in฀ methodischer,฀ aber฀ auch฀ in฀ forschungspolitischer฀Hinsicht฀von฀führenden฀Historikern฀wie฀Claudia฀Honegger,฀Arlette฀ Farge,฀ Geoffrey฀ Lloyd,฀ Jacques฀ Rancière฀ und฀ Michel฀ Vovelle฀ einer฀ grundlegenden฀ Problematisierung฀unterzogen. 49 IM฀KINO฀DER฀HUMANWISSENSCHAFTEN Erinnerungskultur฀(Epochenfilm)฀kann฀dem฀Kanon฀und฀der฀Geschichte฀jeweils฀ ein฀ optimistisches฀ Moment฀ eingeschrieben฀ werden.฀ Diese฀ Annahme฀ eines฀ teleologischen฀ Prinzips฀ wissenschaftlicher฀ Forschung฀ und฀ Entwicklung฀ ist฀ insofern฀ problematisch,฀ als฀ damit฀ eine฀ kontinuierliche฀ Effektivierung฀ und฀ eine฀ sich฀ stetig฀ steigernde฀ Ökonomisierung฀ der฀ Wissenschaft฀ angenommen฀werden฀kann.฀ Damit฀ wird฀ Wissenschaft฀ als฀ Markt฀ behauptet,฀ der฀ aus฀ konkurrierenden฀Wissensprodukten฀besteht,฀die฀sich฀permanent฀in฀einem฀wechselseitigen฀Konkurrenz-฀und฀Kampfverhältnis฀von฀Behauptung฀und฀Verdrängung฀ befinden.฀ Dies฀ hat฀ zur฀ Folge,฀ dass฀ die฀ behaupteten฀ »Transformationen«,฀ »Brüche«฀ und฀ »Einschnitte«฀ ausschließlich฀ als฀ Analogie฀ zur฀ natürlichen฀ Selektion฀formuliert฀werden฀können,฀gerade฀so,฀als฀ob฀das฀Selektionsprinzip฀ der฀ Wissenschaften฀ evident฀ wäre฀ und฀ bloß฀ von฀ der฀ »richtigen«฀ Perspektive฀aus฀beobachtet฀werden฀müsse.฀Dadurch฀wird฀erneut฀ein฀Fortschritt฀ der฀ Geschichte฀ unterstellt,฀ der฀ den฀ »Sieg«฀ oder฀ die฀ »Niederlage«฀ von฀ wissenschaftlichen฀ Werken฀ in฀ sich฀ trägt฀ und฀ bedingt.฀ Die฀ damit฀ verbundene฀ Setzung฀ von฀ Grund฀ und฀ Folge฀ erneuert฀ das฀ Moment฀ der฀ Kausalität฀ von฀ Geschichte,฀ wodurch฀ der฀ historische฀ Prozess฀ wiederholt฀ zur฀ Abfolge฀ von฀ Ideen฀ wird.฀ Eine฀ weitere฀ Homogenisierungsstrategie฀ besteht฀ darin,฀ eine฀ Zeitströmung฀zu฀behaupten,฀die฀einen฀allgemeinen฀Wesenszug฀enthalte฀und฀ eine฀Gesellschaft฀allgemein฀gültig฀und฀allumfassend฀beeinflussen฀soll.฀Aus฀ der฀Geschichte฀der฀technischen฀Innovation฀lässt฀sich฀jedoch฀kein฀wirkungsgesetzlicher฀ Rückschluss฀ auf฀ historische฀ Produktions-฀ und฀ Rezeptionskontexte฀ ableiten.฀ So฀ sind฀ weder฀ Versuchsanordnungen฀ vor฀ und฀ hinter฀฀ der฀ Kamera฀ einfach฀ determiniert฀ durch฀ die฀ Wahrnehmungsgesetze฀ der฀ Apparate,฀sondern฀vielmehr฀geformt฀durch฀ein฀transitorisches฀Feld฀von฀sozialen฀Praktiken฀und฀Institutionen,฀überlagert฀und฀überblendet฀durch฀technische฀und฀wissenschaftliche฀Entwicklungen,฀die฀Wahrnehmung฀ermöglichen฀ ohne฀sie฀definitiv฀zu฀normieren.฀ I.6.฀Einzelfilmanalyse,฀Korpus฀und฀Serialisierung Für฀die฀Erstellung฀eines฀heterogenen฀und฀divergenten฀Geflechts฀von฀Filmen฀ kommen฀die฀Methode฀der฀Einzelfilmanalyse฀und฀der฀seriellen฀Filmanalyse฀ in฀Betracht.฀Eine฀Einzelfilmanalyse฀bemüht฀sich฀um฀eine฀konsequente฀und฀ detaillierte฀Kontextualisierung฀der฀Filme.฀Um฀den฀Stellenwert฀und฀den฀Gebrauch฀ nützlicher฀ Bilder฀ in฀ bestimmten฀ Konstellationen฀ der฀ Wissensproduktion฀zu฀beschreiben,฀soll฀einzelnen฀Funktionen฀des฀Films฀in฀konkreten฀ Fallstudien฀ nachgegangen฀ werden.฀ Dabei฀ werden฀ Filme฀ nicht฀ als฀ durch฀ eine฀episteme฀vereinheitlicht฀gedacht,฀sondern฀als฀Medien฀widersprüchlicher,฀ divergenter฀ und฀ disparater฀ Praktiken฀ des฀ Filmemachens.฀ Die฀ Einzelfilmanalyse฀grenzt฀sich฀von฀den฀homogenisierenden฀Tendenzen฀der฀Gattungsproblematik฀ab฀und฀fahndet฀an฀Stelle฀dessen฀nach฀den฀parasitären฀Strukturen,฀ die฀ nicht฀ im฀ Vordergrund฀ der฀ ursprünglichen฀ Lektüreanweisungen฀ 50 I.฀FILMTHEORIE฀UND฀WISSENSCHAFTSGESCHICHTE stehen฀ (z.B.฀ fiktionalisierende฀ und฀ narrative฀ Elemente,฀ GeschlechterStereotypen,฀intermediale฀Aspekte). Im฀Einzelfall฀wird฀gefragt,฀wie฀der฀Film฀seine฀Kodes฀einsetzt.฀Die฀Kennzeichnung฀ struktureller฀ Gemeinsamkeiten฀ über฀ den฀ Einzelfilm฀ hinausgehend฀ ist฀ das฀ Ergebnis฀ der฀ seriellen฀ Analyse฀ größerer฀ Beispielgruppen฀ (vgl.฀Lagny฀1994:฀24–44).฀Die฀»serial฀history«฀untersucht฀peritextuelle฀Stile฀ im฀ Vorspann,฀ um฀ etwa฀ die฀ Unterschiede฀ und฀ Gemeinsamkeiten฀ von฀ Authentisierungs-฀und฀Popularisierungsstrategien฀kenntlich฀zu฀machen฀(siehe฀ Kapitel฀III฀»Paratexte«). Obwohl฀ etwa฀ Filme฀ im฀ Gebrauch฀ wissenschaftlicher฀ Forschung฀ nicht฀ nach฀ festen฀ Regeln฀ oder฀ Bausteinen฀ konzipiert฀ sind,฀ weisen฀ sie฀ Regelinventare฀auf,฀die฀für฀bestimmte฀Kontexte฀und฀begrenzte฀Filmkorpora฀gelten.฀ Dennoch฀ sind฀ –฀ aufgrund฀ vielfältiger฀ Umstände฀ wie฀ Auftragslage,฀ Filmproduktion,฀ Wissenschaftskulturen฀ –฀ die฀ Regularitäten฀ verbindlicher฀ Stile฀ nur฀ bedingt฀ manifest.฀ Diese฀ Einschätzung฀ bekräftigt฀ die฀ These฀ von฀ Metz฀ (1972),฀ der฀ vom฀ Film฀ als฀ einer฀ parole฀ ohne฀ vorgängige฀ langue฀ spricht฀ und฀ damit฀ meint,฀ dass฀ für฀ den฀ einzelnen฀ Film฀ die฀ Regularitäten฀ der฀ langue฀ nicht฀ gelten.฀ Folgt฀ man฀ dieser฀ Einschätzung,฀ dann฀ erscheint฀ eine฀ einheitliche฀Genredefinition฀wissenschaftlicher฀Filme฀problematisch,฀weil฀sie฀das฀ vielschichtige฀ Bezugsverhältnis฀ zwischen฀ der฀ Kinematographie฀ und฀ der฀ Wissenschaft฀ homogenisieren฀ würde.฀ Die฀ Gattung฀ beschreibt฀ Derrida฀ als฀ ein฀höchst฀problematisches฀Gebilde: »Sobald฀man฀das฀Wort฀›Gattung‹฀vernimmt,฀sobald฀es฀erscheint,฀sobald฀man฀versucht฀ es฀zu฀denken,฀zeichnet฀sich฀eine฀Grenze฀ab.฀Und฀wenn฀sich฀eine฀Grenze฀herausbildet,฀ dann฀lassen฀Norm฀und฀Verbot฀nicht฀auf฀sich฀warten:฀›man฀muss,฀man฀darf,฀man฀darf฀ nicht‹฀–฀das฀sagt฀Gattung,฀das฀Wort฀Gattung,฀die฀Figur,฀die฀Stimme,฀oder฀das฀Gesetz฀der฀ Gattung.«฀(Derrida฀1994:฀248) Die฀ Suche฀ nach฀ einer฀ definitiven฀ Bestimmung฀ von฀ Gattung฀ und฀ Genre฀ scheint฀also฀grundsätzlich฀nur฀Probleme฀aufzuwerfen;฀eine฀Problematik,฀die฀ letztlich฀die฀offenen฀Lücken฀von฀Identität,฀Reinheit฀und฀Zugehörigkeit฀nicht฀ schließen฀kann.฀Ein฀geschlossener฀Identitätsdiskurs฀ist฀aber฀angesichts฀der฀ vielfältigen฀Beziehungen฀und฀Verflechtungen฀filmischer฀Referenzen฀ohnehin฀ nicht฀ möglich฀ und฀ sinnvoll.฀ Es฀ bieten฀ sich฀ jedoch฀ andere฀ Möglichkeiten฀an.฀Zunächst฀kann฀der฀Gattungs-฀oder฀Genrebegriff฀historisiert฀werden฀ und฀ die฀ historischen฀ Konditionen฀ untersucht฀ werden,฀ die฀ zur฀ Definition฀ von฀Gattung฀und฀Genre฀geführt.฀Andererseits฀zeigt฀die฀Geschichte฀des฀Forschungsfilms,฀ dass฀ aufgrund฀ situativer฀ Konstellationen฀ im฀ Rahmen฀ der฀ experimentellen฀Anordnungen฀oft฀ohne฀kanonische฀Gattungs-฀und฀Genrevorgaben฀ gedreht฀ wurde฀ (Kapitel฀ V฀ »Medientechniken฀ in฀ Neurologie,฀ Psychoanalyse,฀ Psychotechnik฀ 1882–1916«฀ und฀ Kapitel฀ VI฀ »1937/1955฀ Geschlechterpolitik฀ im฀ Röntgenfilm«฀ zeigen฀ die฀ Durchlässigkeit฀ der฀ Kategorien฀ »Forschungsfilm«฀ und฀ »Lehrfilm«฀ auf ).฀ Die฀ Geschichte฀ des฀ Films฀ und฀ sein฀ Gebrauch฀ für฀ die฀ Selbstlegitimation฀ und฀ Selbststilisierung฀ der฀ 51 IM฀KINO฀DER฀HUMANWISSENSCHAFTEN Wissenschaften฀ laufen฀ demnach฀ nicht฀ getrennt฀ voneinander฀ ab,฀ sondern฀ verweisen฀ auf฀ kulturelle฀ Praktiken.฀ Im฀ Unterschied฀ zum฀ Forschungsfilm฀ setzt฀ sich฀ der฀ Lehrfilm฀ mit฀ massenkulturellen฀ Wahrheits-฀ und฀ Evidenzeffekten฀ auseinander;฀ diese฀ werden฀ durch฀ die฀ serielle฀ Anordnung฀ von฀ Bildern฀respektive฀durch฀kontinuierliche฀Wiederholung฀von฀spezifischen฀Bildmotiven฀ hergestellt.฀ Erst฀ in฀ diesem฀ Gebrauchszusammenhang฀ macht฀ es฀ Sinn,฀vom฀Begriff฀der฀»kulturellen฀Kodierung«฀und฀einer฀kulturellen฀Praxis฀ zu฀ sprechen,฀ in฀ welche฀ der฀ Lehrfilm฀ eingebunden฀ ist.฀ An฀ diesem฀ Punkt฀ setzt฀ die฀ Serialisierung฀ des฀ Analysekorpus฀ an฀ und฀ versucht,฀ diskursive฀ Regularitäten฀der฀Wissensrepräsentation฀vergleichend฀zu฀untersuchen.฀Die฀ serielle฀ Filmanalyse฀ fokussiert฀ in฀ erster฀ Linie฀ »die฀ formalen฀ Besonderheiten฀der฀Filme฀als฀Aspekte฀einer฀historisch฀spezifischen฀Bedeutungsproduktion฀ […].฀ Eine฀ solche฀ Perspektive฀ erlaubt฀ eine฀ theoretische฀ Reflexion฀ des฀ historischen฀Quellenmaterials,฀gleichzeitig฀öffnet฀sie฀auch฀den฀Blick฀für฀die฀ Historizität฀der฀Gegenstände฀[…]«฀(Kessler฀2002:฀111).฀ Dementsprechend฀ dürfen฀ die฀ Analysen฀ von฀ Einzelfällen฀ jedoch฀ nicht฀฀ beim฀ Film฀ als฀ einer฀ unhintergehbaren฀ Bezugsgröße฀ stehen฀ bleiben.฀ Einzelne฀Filme฀müssen฀über฀ihre฀Singularität฀hinausgehend฀in฀diskursive฀Regularitäten฀und฀historische฀Bedingungen฀und฀Verschiebungen฀eingebunden฀ werden.฀Eine฀dieser฀Regularitäten฀ist฀der฀filmische฀Stil฀als฀Element฀der฀Verwissenschaftlichung฀ von฀ Wissen.฀ Mit฀ der฀ Analyse฀ des฀ filmischen฀ Stils฀ ist฀ die฀ These฀ zu฀ überprüfen,฀ inwiefern฀ die฀ Konformität฀ des฀ filmischen฀ Stils฀ einen฀ Bezug฀ auf฀ standardisierte฀ Wissenschaftspostulate฀ und฀ spezifische฀ Anforderungen฀der฀experimentellen฀Methode฀herstellt.฀So฀wurde฀etwa฀mit฀ der฀ Statik฀ der฀ Stativkamera฀ und฀ der฀ Stabilität฀ des฀ filmischen฀ Bildraums฀ eine฀›neutrale‹฀Wissensrepräsentation฀in฀Szene฀gesetzt.฀Eine฀stabile฀Kameraposition฀trägt฀dazu฀bei,฀den฀Versuch฀zu฀objektivieren.฀Damit฀erhält฀die฀Wissensrepräsentation฀eine฀filmische฀Stilistik,฀mit฀der฀eine฀diskursive฀Regularität฀markiert฀werden฀kann.฀Schwenks,฀Zooms฀und฀Fahrten฀fallen฀aus฀dem฀ epistemischen฀ Rahmen฀ des฀ Versuchs฀ und฀ werden฀ als฀ filmische฀ Stilmittel฀ der฀subjektiven฀Kamera฀vermieden.฀Der฀statische฀Stil฀wird฀mehr฀oder฀weniger฀stillschweigend฀in฀das฀Repertoire฀des฀objektiven฀Wissenschaftspostulats฀ eingehen฀und฀bis฀heute฀die฀Beständigkeit฀und฀Kohärenz฀des฀Abgebildeten฀ stilisieren. Um฀die฀große฀Bandbreite฀filmischer฀Medialisierung฀wissenschaftlichen฀ Wissens฀ berücksichtigen฀ zu฀ können,฀ wurde฀ das฀ Korpus฀ der฀ ausgewählten฀ Filme฀möglichst฀weit฀gefasst.฀Die฀ausgewählten฀Filme฀entstammen฀unterschiedlichen฀nationalen฀und฀historischen฀Produktionskontexten.฀Die฀Filmauswahl฀erstreckt฀sich฀von฀der฀›informativen‹฀Aufzeichnung฀wissenschaftlicher฀ Versuche฀ (die฀ Forschungsfilme฀ im฀ engeren฀ Sinn)฀ über฀ instruktive฀ Lehrfilme฀ bis฀ zu฀ popularisierenden,฀ kinotauglichen฀ Medienformaten,฀ die฀ mit฀inszenierten฀Spielhandlungen฀arbeiten฀–฀wie฀etwa฀die฀überwiegend฀zwischen฀Mitte฀1930฀und฀Ende฀1950฀in฀den฀USA฀hergestellten฀Social฀Guidance฀ Movies,฀ die฀ sich฀ im฀ Online-Archiv฀ der฀ Broadcasting฀ and฀ Record฀ Sound฀ Division฀ der฀ Library฀ of฀ Congress฀ in฀ Washington฀ befinden฀ (Smith฀ 1999).7฀ Der฀ 52 I.฀FILMTHEORIE฀UND฀WISSENSCHAFTSGESCHICHTE jeweilige฀historische฀Stellenwert฀der฀Filme฀wurde฀in฀das฀Auswahlverfahren฀ der฀ Filme฀ einbezogen.฀ Die฀ Auswahl฀ erfolgte฀ auf฀ der฀ Grundlage฀ der฀ Gesamtinventarisierung฀ historischer฀ Filmkataloge฀ und฀ der฀ systematischen฀ Sichtung฀ von฀ Filmbeständen.฀ Folglich฀ setzt฀ sich฀ die฀ Auswahl฀ nicht฀ aus฀ Filmen฀ zusammen,฀ die฀ einer฀ klassifizierenden฀ Sichtweise฀ entstammen฀ und฀ den฀ Filmen฀ eine฀ bestimmte฀ Eigenschaft฀ oder฀ Funktion฀ unterstellen.฀ Die฀ filmimmanent฀ untersuchten฀ Filme฀ weisen฀ eine฀ Vielzahl฀ informativer,฀ narrativer,฀rhetorischer฀und฀didaktischer฀Strategien฀auf,฀die฀mit฀diskursgeschichtlichen฀ Aspekten฀ und฀ kontextspezifischen฀ Kommunikations-฀ und฀ Popularisierungsstrategien฀zusammengeführt฀werden฀können.฀Ob฀Filme฀ als฀ wissenschaftlich,฀ belehrend฀ oder฀ unterhaltend฀ tituliert฀ werden,฀ ist฀ von฀ nun฀an฀keine฀Frage฀der฀ontologischen฀Gattungsbestimmung฀mehr,฀sondern฀ eine฀der฀Verfahren,฀Modi฀und฀Narrative฀filmischer฀Repräsentation. Paratextuelle฀Verfahren฀(Forschungsbericht,฀Publikation,฀Inhaltsangabe,฀ Abstract,฀ Vortrag,฀ Ankündigung,฀ Rezension฀ etc.)฀ prädikatisieren฀ den฀ wissenschaftlichen฀ Film฀ und฀ versehen฀ ihn฀ mit฀ dem฀ Adelstitel฀ »Wissenschaftlicher฀ Film«.฀ Die฀ Prädikation฀ bezieht฀ sich฀ vor฀ allem฀ auf฀ seine฀ technischapparativen฀ Qualitäten:฀ z.B.฀ die฀ bildgebenden฀ Techniken฀ von฀ Mikro-฀ und฀ Makroaufnahme,฀Zeitlupe฀und฀Zeitraffer.฀Film฀wird฀im฀sozialen฀Prozess฀zu฀ einem฀wissenschaftlichen฀Produkt฀(z.B.฀der฀Beweisfähigkeit)฀gemacht.฀Dieser฀ Prozess฀ entspringt฀ jedoch฀ weniger฀ wissenschaftlicher฀ Qualifizierung,฀ sondern฀ verweist฀ vielmehr฀ auf฀ opportunistische฀ Praktiken,฀ die฀ oft฀ unklar฀ und฀ vage฀ bleiben.฀ Die฀ Produktions-฀ und฀ Rezeptionskontexte฀ des฀ filmischen฀ Gebrauchs฀ in฀ wissenschaftlichen฀ Diskursen฀ sind฀ gesättigt฀ mit฀ disparaten฀ und฀ heterogenen฀ Strategien:฀ »Forschungsfilme«฀ sind฀ u.a.฀ Bestandteil฀ wissenschaftlicher฀ Publikationsstrategien฀ und฀ »Lehrfilme«฀ integrieren฀ sich฀ in฀nationale฀Wissens-฀und฀Erinnerungskulturen.฀Ihre฀strukturellen฀Unterschiede฀und฀Gemeinsamkeiten฀zu฀sondieren฀und฀auszumessen,฀stellt฀sich฀ die฀ folgende฀ Untersuchung฀ zur฀ Aufgabe.฀ Die฀ verschwiegene,฀ die฀ subjektive฀und฀aus฀der฀Sicht฀wissenschaftlicher฀Verwertungsökonomie฀›nutzlose‹฀ Seite฀des฀wissenschaftlichen฀Films฀bleibt฀nach฀wie฀vor฀seine฀Verwobenheit฀ in฀Aspekte฀der฀Narration,฀Inszenierung฀und฀Stilisierung฀–฀diese฀verdrängte฀ Kehrseite฀machen฀Filmstudien฀sicht-฀und฀sagbar. 7.฀ Produziert฀ wurden฀ die฀ 16mm-Filme฀ u.a.฀ von฀ Coronet฀ Films฀ (der฀ größte฀ Produzent฀ von฀Educational฀ Films,฀ gegründet฀ von฀ David฀ Smart฀ im฀ Jahr฀ 1946),฀Encyclopaedia฀ Britannica฀Films฀(Produzent฀einer฀Filmreihe฀zum฀Thema฀»Mental฀Hygiene«),฀ETRI฀Films฀ (einer฀ der฀ größten฀ Lehrfilm-Produzenten฀ der฀ 1930er฀ Jahre),฀ Avis฀ Films฀ (Mittelbetrieb฀ mit฀Schwerpunkt฀»Health฀Education«),฀Centron฀(Mittelbetrieb฀mit฀Schwerpunkt฀»Mental฀ Hygiene«),฀The฀Bell฀System,฀Sid฀Davis฀(Schwerpunkte:฀»Safety฀Film«฀und฀»Mental฀Hygiene«),฀Crawley฀Films฀und฀McGraw฀Hill฀(Auftraggeber฀von฀Managementfilmen). 53